DRAUSSEN! - Ausgabe 6

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IMPRESSUM

ALLE JAHRE WIEDER Der aktuelle Stand rund um das Thema Stadionverbot

Herausgeber: Violet Crew Gründung: 2002 www.violetcrew.de kontakt@violetcrew.de Erscheinungsdatum: 15.12.2019 Auflage: 200 Exemplare Satz und Gestaltung: Sektion Stuttgart (Hinweis zum Ursprung siehe unten) Fotos: Sektion SV, Tobo, V.I.P., SOKO Dresden Alle bisherigen Ausgaben der DRAUSSEN! stehen online unter www.violetcrew.de/draussen in Farbe zum Download bereit.

Hallo VfL-Fans, genau zehn Jahre ist es her, da erschien zum aller ersten Mal die DRAUSSEN!. Damals eher noch als kurze Infobroschüre zur Thematik für all diejenigen gedacht, die sich ihre Meinung zu Stadionverboten (SV) und Betretungsverboten (BV) vorrangig über die Verlautbarungen des DFB und der DFL oder Pressemitteilungen der Polizei gebildet hatten Im Jahre 2019 gibt es neben vielen bedenklichen Entwicklungen rund um den modernen Fußball auch eine gute Nachricht zu vermelden: Momentan ist nur eine Person der Fanszene Osnabrück akut von einem Stadionverbot betroffen. Um zu verstehen, wie besonders bitter das für diese Person ist, enthält diese Ausgabe einen Erfahrungsbericht eines SVlers aus seiner Zeit draußen. Natürlich ist diese Tendenz aber insgesamt eine positive Nachricht. Allerdings erschien uns gerade auch dieser Umstand Grund genug für eine neue Ausgabe, da sich die Problematik mit Nichten erledigt hat. Der momentane Stand ist kein Ergebnis einer generellen Entspannung, was nicht nur die Bewährungen, die wie ein Damoklesschwert über der Szene schweben, vor Augen führen, sondern auch die Praxis der Betretungsverbote, die vermehrt Anwendung findet und auch die Fanszene Osnabrück und ihre Mitglieder immer wieder einschränkt. Auch 10 Jahre später in der nunmehr sechsten Ausgabe bleibt die DRAUSSEN! aktuell. Leider. SV‘s und BV‘s gehören nach wie vor zum Alltag jedes aktiven Fußballfans, sei es als schmerzvolle Erinnerung, als aktueller Zustand oder als Bedrohung am Horizont. Daher sind Infos und Diskussionen rund um dieses Thema auch dann genau richtig und wichtig, wenn die Alltagserfahrung mal einen Moment weniger um dieses Thema kreist. Es gebietet auch die Solidarität mit anderen Aktiven, dass wir über unseren eigenen Tellerrand schauen und uns klarmachen, was die gängige Praxis der SV‘s und BV‘s für die Fußballkultur in ganz Deutschland bedeutet und wie viel mehr ein SV ist, als eine „Maßnahme“. Es schafft Fakten, die für den Einzelnen weit darüber hinausgehen, dass der Spielbesuch – was einschneidend genug ist – verhindert wird.

DRAUSSEN! ist kein Erzeugnis im Sinne des Presserechts, sondern ein Rundschreiben an Freunde, Mitglieder, und Sympathisanten der Violet Crew und verfolgt keinerlei kommerzielle Ziele. Etwaige Spenden dienen zur Deckung der Druckkosten. Das Magazin knüpft an die offizielle Stadionzeitung DRIN! des VfL Osnabrück an. Die ursprüngliche Gestaltung entstammte der Werbeagentur mittendrin, Osnabrück.

Genau dieses Spannungsverhältnis von Emotion und Repression, von Prävention und Motivation und auch von persönlicher Freiheit und staatlicher Autorität ist es, das wir in diesem Heft etwas beleuchten wollen. Wie fühlt es sich an, draußen zu sein? Dazu gibt es Hinweise und Erfahrungen für das richtige Verhalten bei polizeilichen Maßnahmen, was sagen eigentlich andere Szenen zum Thema, und wie kann man konkret helfen? Was wir zusagen haben, findet ihr hier. Was zählt, ist Solidarität mit den Ausgesperrten! Damit auch die im Spiel bleiben, denen ihre Leidenschaft zum Vorwurf gemacht wird.

ViolEt Crew

Violet Crew / Sektion Stadionverbot


SOLIDARITÄT

Solidarität ist unsere Waffe Über zusammenhalt UND WERTE Solidarität kann eine Waffe sein. In manchen Fällen muss sie sogar als Waffe verwendet werden. Aber gegen wen? Und ist der Vergleich nicht viel zu martialisch formuliert? Naja, ich finde nicht. Denn Solidarität ist ein Wert, der in der Welt immer mehr und mehr verschwindet. Sei es die Solidarität mit Geflüchteten, unmenschlich behandelten Arbeitern in Katar oder zu Unrecht kriminalisierten Fans eines Vereins. Solidarität schwindet und der Egoismus nimmt zu. Wieso jemand anderem zur Seite stehen, wenn ich daraus keinen Vorteil ziehen kann? Wieso mir andere Meinungen anhören, wenn diese sowieso Quatsch sind und nur meine Meinung die Einzige ist, die zählt? In dieser Gesellschaft gilt es die kleine Minderheit zu sein, die solche Werte wie Solidarität lebt. Und zwar aktiv! In unserem Fall spielt der Begriff der Solidarität eine gesellschaftlich übergeordnete Rolle. Im Zusammenhang von Fußball und vor allem im Zusammenhang mit der Kultur „Ultrà“, ist Solidarität ein Wert, der uns enorm wichtig ist. „Solidarität mit/für…“ ist ein Spruch, der häufig als Spruchband in den diversen Kurven der Republik und auch der Welt auftaucht. Dabei ist es nicht einmal Gesetz, dass die Solidarität nur einer Einzelperson oder einer bestimmten Fangruppe gilt. Solidarität wird von Ultras ebenso für politische, gesellschaftliche oder kulturelle Dinge gefordert. Beispielsweise unser Spruchband damals, welches sich solidarisch mit den Mitarbeitern von Karmann zeigte. Aber warum das alles? Einfach nur, um sich als der Samariter darzustellen und sagen zu können: „Guckt mal, wir setzen uns für jemanden und etwas ein und ihr nicht!“ Diese Stelle ist der Knackpunkt bei der ganzen Geschichte. Solidarität sollte keine leere Worthülle sein, sondern aktiv von jedem gelebt werden, der sich Ultras auf die Fahne schreibt oder mit dem Begriff Solidarität arbeitet. Wenn ich „Gute Freunde kann niemand trennen“ im Stadion anstimme, danach aber kein einziges aufmunterndes Gespräch mit den Jungs und Mädels vor den Toren führe oder keine 5€ für sie in den Pott schmeißen will, damit sie sich Bier am Kiosk

kaufen können, dann bleiben die vorherigen Gesänge nicht mehr als eine leere Phrase. Solidarität meint, dass man sich aktiv mit dem Thema Stadion-/ Betretungs-/ Aufenthaltsverbote auseinandersetzt, auch wenn ich selber nicht betroffen bin. Nur so kann ich ein Stück weit verstehen, was meine Freunde vor den Toren der Stadien zurzeit durchmachen. Erst, wenn ich den Schulterklopfer oder das „Kopf hoch“ auch wirklich zu 100% ernst meine und verstehe, bringt es beiden Parteien etwas. Ich als Stadiongänger gebe im Stadion 110%, weil ich weiß wie scheiße die Situation für meine Freunde ist und singe auch ein Stück weit für sie mit. Und die Leute

vor den Toren wissen, dass ihre Freunde in der Kurve um ihre Situation Bescheid wissen und sich solidarisch mit ihnen zeigen und deshalb ihre Stimmen mit in die Gesänge tragen. So lebt man Solidarität unter Ultras! Es müssen nicht immer Geldbeträge sein, um Solidarität zu leben. Auch wenn ein paar gesponserte Biere die Situation für unsere Stadionverbotler doch noch etwas erträglicher machen. An dieser Stelle möchte ich aber auch noch einmal darauf hinweisen, dass Solidarität nicht die blinde Romantisierung dessen ist, was die Jungs und Mädels vor den Toren so treiben. Natürlich ist es scheiße, dass sie ausgesperrt sind, aber das rechtfertig noch lange keine dummen Kamikazeaktionen, von

denen niemand etwas hat. Und dieser Punkt ist, für mich zumindest, ebenso ein Akt der Solidarität wie der 5er für die Solikasse: Ich passe aktiv auf meine Freunde auf, die es am Spieltag eh schon schwer genug haben und nicht noch mehr Stress brauchen. Dazu gehört es eben auch mal zu sagen: „Ey, du lässt die Scheiße jetzt sein. Das ist total dumm.“ Natürlich ist damit keine Angsthasen-Mentalität gemeint, die zu jeder Konfrontation direkt „Nein das darfst/machst du jetzt nicht“ sagt. Es geht hier um das gesunde Maß an Weitsicht, das man als Person ohne Stadionverbot etc. in einigen Situationen vielleicht besser an den Tag legen kann, als

jemand, der es eh schon schwer und deswegen noch ein paar Bier mehr getrunken hat. Im Endeffekt möchte ich euch allen mit auf den Weg geben, Solidarität zu leben! In einer Zeit, in der wir, im Vergleich zur großen Maschinerie Fußball, nur ein kleines Zahnrad sind. Wir stehen im (wichtigen) Gegensatz zu größenwahnsinnigen Cops, geldgeilen Vereins- & Verbandfunktionären und egomanischen Zivis. Für uns ist Solidarität die Waffe, die uns zusammenhalten lässt! Nur durch diesen Zusammenhalt können wir uns denen entgegenstellen, die aktive Fan- und Ultràkultur durch Sanktionen und Repressionen zerstören wollen. Also, lasst Solidarität unsere schärfste Waffe sein! United we stand – Divided we fall! Sektion SV-Magazin DRAUSSEN! | 3


INTERVIEW SOKO DRESDEN

Interview MIT DEM Solidaritätskomitee Dresden ÜBER DIE Ermittlungen nach dem Auswärtsspiel DER SGD in Karlsruhe Das Solidaritätskomitee Dresden (SoKo Dresden) unterstützt die Betroffenen der Ermittlungen nach dem Auswärtsspiel in Karlsruhe am 14.05.2017. Wann und weshalb kam es zur Gründung des SoKo Dresden? Beschäftigt ihr euch ausschließlich mit den Themen, die ihren Ursprung beim Spiel in Karlsruhe haben? Zu Beginn des Jahres 2018 gründet sich das Solidaritätskomitee Dynamo. Dies ist ein Zusammenschluss verschiedener Dynamofans aus unterschiedlichen Bereichen der Fanszene oder Zusammenhängen, wie etwa der Schwarz-Gelben Hilfe e.V. – der Fanhilfe

nen, ist es wichtig, für einen durchgehend hohen Informationsstand jedes Einzelnen zu sorgen und die Betroffenen über verschiedene Wege über neue Entwicklungen in Kenntnis zu setzen. In regelmäßigen Abständen finden Betroffenentreffen statt, in denen sich die Beteiligten austauschen können und das weitere Vorgehen in Zusammenarbeit mit den Anwälten geklärt wird. Hinzu kommt die Information der Öffentlichkeit über neue Entwicklungen als weitere Aufgabe des Solidaritätskomitees. Im Laufe des Verfahrens musste das SoKo allerdings feststellen, dass eine umfassende Information durch das

Karlsruhe geben? Wie kam es zu den Durchsuchungen und wie ging es danach weiter? Am 5. Dezember 2017 wurden mit ungeheurem logistischen Aufwand 35 Objekte und Wohnungen bundesweit und in der Schweiz von 28 Betroffenen durchsucht.

der SG Dynamo Dresden. Dieser Zusammenschluß beschäftigt sich seit der Initialzündung ausschließlich für und um die nunmehr 58 Betroffenen des Karlsruhe-Verfahrens. Es werden Spendenaktionen initiiert, organisiert und koordiniert, um die Betroffenen zu unterstützen. Eine weitere Kernaufgabe des SoKos ist die Arbeit nach innen. Damit die Beschuldigten an einem Strang ziehen kön-

laufende Verfahren nicht möglich ist und viele entscheidende Informationen zurückgehalten werden mussten.

lungen wurden beschlagnahmt, ebenso verschiedene Devotionalien, die mit dem Spiel in Karlsruhe keine Verbindung hatten. Daneben werden sämtliche Datenträger, elektronische Geräte wie PCs, Tablets, Handys und Spielkonsolen mitgenommen. Bei den Spielkonsolen wird nach Hinweisen der Dresdner SKBs vermutet, dass hierüber eine geheime Kommunikation stattgefunden

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Das Karlsruhespiel war lange in den Medien und den Höhepunkt bildeten, von außen betrachtet, die Hausdurchsuchungen im Dezember 2017. Könnt ihr uns einen kurzen Abriss über die Folgen aus

Unter Führung der Karlsruher Polizei, unterstützt durch sächsische Kollegen, verschafften sich die Beamten Zutritt zu den Wohnungen. Textilien, die einen angeblichen Beweis für die Anwesenheit in Karlsruhe darstellen sollten und Eintrittskarten-Samm-


INTERVIEW SOKO DRESDEN

die dankenswerterweise nach Dresden reiste. Der Karlsruher SC hatte keine Akteneinsicht, kannte deshalb nur den Tatvorwurf Landfriedensbruch und ging davon aus, dass die einzelnen Beschuldigten tatsächlich aus der Menge heraus Straftaten begangen hätten. Die Betroffenen erklärten ihre Sicht auf den Tag in Karlsruhe und warum sie im Fokus der Ermittlungen stehen. Folge: Es wurden zahlreiche Stadionverbote verhängt, die allesamt auf Bewährung ausgesetzt wurden, da die individuelle Schuld der Betroffenen unklar ist.

hätte. Die Herausgabe von Passwörtern und Zugangsdaten zu sämtlichen elektronischen Geräten werden von den meisten Betroffen rechtmäßig verweigert. Auch das Fanprojekt Dresden wird Ziel der Maßnahme, da die Ermittler hier wichtiges Beweismaterial vermuteten. Hier konnte nur nach massiven Protesten durch die Mitarbeiter des Fanprojektes die Mitnahme der Computer verhindert werden. Die damals beschlagnahmten Gegenstände kamen vereinzelt und nur sporadisch über das ganze Jahr 2018 zurück. Die große Ausnahme ist der Trabant, der immer noch unter Verschluss gehalten wird.

müssten oder gar aktiv mitgewirkt hätten. Ende April 2018 kommt es für alle Beteiligten zu einem Gespräch vor der Stadionverbotsanhörungskommission (SVAK). Die Polizei hatte zuvor erheblichen Druck bis hin zum DFB ausgeübt, damit alle Betroffenen ein Stadionverbot erhalten. Der DFB hatte die Entscheidung darüber aber dem Karlsruher SC überlassen.

Anfang Juli 2018 wurde das Konto des Forza Dynamo e.V. gepfändet und der gesamte Umsatz der in Karlsruhe verkauften Motto-Shirts durch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe eingefordert. Der Forza Dynamo e.V. dient bis heute zur Finanzierung von Choreografien und Fanaktionen rund um die SG Dynamo Dresden. Eben diese Aktionen drohten nun für die Zukunft auszufallen. Letztlich kann die Summe durch eine enorme Spendenbereitschaft innerhalb der Dynamo-Familie aufgebracht werden. Zieht man die heute bekannte Geldstrafe für den Verein mit hinzu, reden wir über exakt 50.000€, die der Verein an Vater Staat „verlor“.

Nahezu alle Betroffenen standen an einem Tag in nacheinander stattfindenden Terminen der Anhörungskommission gegenüber,

Wenige Wochen danach erhält die SchwarzGelbe Hilfe von 31 Dynamofans Informationen, dass sie als Beschuldigte zur Polizei

Es folgte die Auswertung der Akten. Die wesentliche Erkenntnis daraus: es gibt keine Beweise für die Organisation von strafrechtlich relevanten Vorfällen. Die Erkenntnisse der Polizei Karlsruhe beruhen im Wesentlichen auf den Einschätzungen der Dresdner SKBs. Diese übermittelten Daten zu bekannten Persönlichkeiten aus der Dresdner Fanszene mit entweder wichtigen Aufgaben oder vermutetem großen Einfluss auf eben diese Szene. Die Ermittlungsbehörden in Karlsruhe schlussfolgerten aus diesen Beschreibungen, welche Personen von der angeblichen Organisation gewusst haben Sektion SV-Magazin DRAUSSEN! | 5


INTERVIEW SOKO DRESDEN

vorgeladen wurden. Dieser Kreis deckte sich im Wesentlichen mit Personen, die in verschiedenen Chatverläufen auf den beschlagnahmten Handys gefunden wurden. Jeder, der in den diversen Chatgruppen identifiziert wurde, galt nun als Beschuldigter. Die Zugehörigkeit in diesen Chatgruppen allein beweist für die Staatsanwaltschaft aber bereits eine wichtige Stellung innerhalb der Fanszene von Dynamo Dresden. Dazu geraten nun auch gänzlich unbekannte Personen in den Fokus der Ermittlungen. Selbst Leute, die keinerlei Beziehung zur aktiven Fanszene haben und lediglich das Spiel besucht haben, sind nun Beschuldigte. Dies ist ein eklatanter Widerspruch zur Aussage der Karlsruher Staatsanwaltschaft in der Pressekonferenz nach den ersten Hausdurchsuchungen, denn nun wird gegen jeden ermittelt, der nachweislich in Karlsruhe war und dabei die entsprechenden Kleidungstücke trug. Als Beweis dafür reichen den Ermittlern Fotos aus den sozialen Medien, die Beschuldigte im Stadion zeigen. Der Kreis der Verdächtigen wird dadurch erheblich erweitert. Ab August 2019 trafen nun die Strafbefehle ein. Diese wichen zum Teil erheblich von den Absprachen und den telefonischen Aussagen gegenüber den Anwälten ab. Der größte Teil der Amtsrichter winkt die Anträge nun folgenschwer durch. Mehr als 2 Jahre nach dem Fanmarsch der 6 | Sektion SV-Magazin DRAUSSEN!

Football Army Dynamo Dresden liegen die Strafbefehle für die Betroffenen der Hausdurchsuchungen vom Dezember 2017 vor. Es folgten neben unzähligen Geldstrafen auch mehrmonatige Haftstrafen ausgesetzt zur Bewährung inklusive horrenden Auflagen in Form von Geldzahlungen. Der Großteil dieser Beschuldigten ist nun durch ein Strafbefehlsverfahren rechtskräftig verurteilt worden. Aus Angst vor dem finanziellen Ruin, den monatelange Verhandlungen in Karlsruhe nach sich gezogen hätte, hat der Großteil der Betroffenen darauf verzichtet, gegen die Strafbefehle Einspruch einzulegen. Nur sehr wenige Betroffene erhielten eine Einstellung des Verfahrens nach §170 (2) StPO – wobei diese ebenfalls nun ihre Anwaltskosten begleichen müssen. Die Gesamtkosten aller Beschuldigten für Anwalts-, Straf- und Verfahrenskosten belaufen sich auf 290.000 Euro. Wie kam die Summe zustande? Welches sind die größten Posten? Dies sind die Gesamtkosten aller Beschuldigten für Anwalts-, Straf- und Verfahrenskosten. Davon sind stand heute 47.900€ Geldstrafen inkl. der Bewährungsauflagen, 50.000€ Strafe für den Verein Forza Dynamo e.V., 66.737€ Anwaltskosten und geschätzte 125.000€ offene Kosten. Die offenen Kosten beziehen sich vor allem auf die Kosten des sogenannten erweiterten Kreises, bei vielen sind diese Strafen und Anwaltskosten eben noch offen.

Derzeit läuft eine große Spendensammlung. Die zwischenzeitlich als Crowdfunding-Aktion angelegte Sammlung musste inzwischen wieder zurückgenommen werden. Wie ist hier der aktuelle Stand der Dinge? Als Wasserstandsmeldung gab es die Info, dass bereits 89.000€ + 22.000€ Reserve bereits verfügbar sind. Wieviel Geld fehlt aktuell noch? Zum zweiten Jahrestag der Hausdurchsuchungen vom Dezember 2017 wurde ein neuer Spendenstand veröffentlicht. Wir erhielten in letzter Zeit unglaubliche Unterstützung vor allem innerhalb der Dynamofamilie, Unterstützung aber auch weit über die Grenzen des Dynamolandes hinaus. Spendensammlungen überall in Deutschland, Trödelmarkt, Tombola, Versteigerungen, Becher-Sammelaktionen, und und und… Wir konnten einen großen Sprung nach vorne machen.Stand heute benötigen wir „nur“ noch 46.534,18 €. Blicken wir abschließend in die Zukunft: Wie gehen die weiteren Verfahren weiter? Wann ist mit einem Ende der letzten Verfahren zu rechnen? Dadurch, dass im erweiterten Kreis noch nicht alle Strafbefehle ausgesprochen worden, sind wir hier mit einer Prognose sehr vorsichtig. Durch einige wenige Einsprüche ist das komplette Ende des Verfahrens noch nicht in Sicht, aber wir werden euch natürlich über www.soko-dynamo.org und anderen Medien auf dem Laufenden halten. Wir bedanken uns ausdrücklich für das Interview und wünschen euch und allen Betroffenen viel Kraft und Durchhaltevermögen! Wir haben für die deutschlandweite Welle an Solidarität und Unterstützung zu danken.


GEFÜHLSWELTEN

Wie es sich anfühlt, draußen zu sein VERBOTE UND IHRE FOLGEN Jeder hat es in seinem Freundeskreis schon einmal mitbekommen, wenn ihr es nicht sogar schon mal selber durchmachen musstet. Der Albtraum eines jeden Fußballanhänger lautet zu dieser Zeit, Stadionverbot beziehungsweise Betretungsverbot. Und genau hier nimmt das Übel seinen Lauf, denn ein Verbot hat eindeutig weitreichendere Folgen, als nur das Wegbleiben von den Spielen seiner Lieblingsmannschaft. Denn ähnlich wie bei Gefährderansprachen oder Hausdurchsuchungen haben diese Verbote einen kriminalisierenden Beigeschmack. Problematisch ist es hier, dass diese in letzter Zeit bereits ausgestellt wurden, wenn ein strafrechtlich relevantes Verfahren nur eröffnet wurde. Das heißt, dass es weder einen Schuldspruch noch eine Verurteilung gab. Normalerweise gilt in der Bundesrepublik Deutschland die Unschuldsvermutung, warum dieses bei Fußballfans anders ist, bleibt für mich unverständlich.

schwersten Zeiten stehen wir zusammen.“ Umso wichtiger ist der richtige Umgang mit unseren ausgesperrten Brüdern und Schwestern. Verzichtet bewusst vor euren Freuden auf Aussagen wie: ,,Das Spiel hätte man sich

in Kauf, um zusammen bleiben zu können. Verbringt die Halbzeitpausen nicht nur am Bierstand, sondern bleibt im Kontakt mit euren Freuden. Ein kurzes Gespräch durch den Stadionzaun ist für euch keine große

Dieses ist leider möglich, da ein Stadionverbot eine präventive Maßnahme sein soll. Das hiermit oftmals junge Menschen, die wohlmöglich unschuldig sind, aus ihrem 2. Wohnzimmer ausgesperrt werden, bleibt für den Deutschen Fußball Bund in völligem Unverständnis irrelevant. Die Betroffenen werden aus ihrem sozialen Umfeld gerissen, sie werden durch die Polizei systematisch aus ihrem Freundeskreis ausgesperrt. Aber dieses lassen wir uns als Fanszene Osnabrück nicht gefallen. Denn wie es so schön auf unseren Spruchbänder letztes Jahr zu lesen war: ,,Keiner bricht uns weg.‘‘ ,,Auch in den

sparen können“ oder ,,hätte ich das gewusst, wäre ich draußen geblieben.“ Denn für einen Ausgesperrten gibt es nichts Schlimmeres, als sowas zu hören. Während ihr euch über das verloren gegangene Spiel aufregt, würde die andere Person wahrscheinlich alles dafür geben, nur einmal wieder im Block völlig geisteskrank ausrasten zu können.

Sache, gibt aber euren Svlern ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Zusammenhaltes.

Zu gut kann ich mich an meine Zeit außerhalb der Tore erinnern und weiß noch ganz genau, wie wir uns jedes Mal über diese geistig eingeschränkten Menschen aufregen mussten, die zwar im Stadion anwesend waren, dann aber lieber 90 Minuten lang an der Bierbude vor der Kurve standen. Unfassbar frustrierend zu sehen, wie man selber am liebsten den ganzen Block in Ekstase versetzen würde und auf der anderen Seite des Zaunes jemand das ganze Spiel am Bierstand verbringt. Achtet deshalb bewusst auf euren Umgang mit euren ausgesperrten Freunden. Versucht diese so lange wie es nur irgendwie geht, am Spieltag mit einzubinden. Sucht euch bewusst Kneipen aus, die außerhalb vom Bereichsverbot liegen. Findet, zum Beispiel, bei eingeschränkten Bvs, Wege zum Stadion, die erlaubt sind und nehmt kleinere Umwege

Aber auch schon deutlich kleinere Gesten können die Tortur erträglicher machen. Hier gibt es viele verschieden Möglichkeiten. Ein überteuertes ekelhaft schmeckendes Bier aus dem Stadion, eine aufmunternde Nachricht nach dem Spiel, ein solidarisches Spruchband, eine kleinere Geldspende (die gerne während des Spiels versoffen werden darf ), laut gesungene Svler Lieder, das ständige Schwenken unserer ,,Wir bleiben im Spiel“ Fahne und noch vieles mehr. Das alles benötigt keinen großen Aufwand und ist lediglich eine kleine Geste, doch genau diese Geste hat eine enorme Signalwirkung. Eure Freunde werden spürbar bemerken, dass keiner jemals alleine dasteht. Die Zeit eines SVs ist für viele Betroffene eine sehr gravierende Zeit, in der sie über jede Hilfe dankbar sind. Deswegen steht euch gegenseitig bei und durchsteht diese schwere Zeitspanne gemeinsam. Denn wie heißt es so schön, Unus pro omnibus, omnes pro uno – Einer für alle und alle für einen.

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HAUSDURCHSUCHUNGEN

Und plötzlich klingelt es an der Tür.... Was tun bei Hausdurchsuchungen? Jeder, der sich im Umfeld des Fußballs bewegt, hat es sicherlich schon mal mitbekommen. Meistens ist es früh morgens, man wird aus dem Schlaf geklingelt und der Schrecken in Uniform steht bei dir vor der Haustür. Unwissend öffnet man die Tür und erlebt sein blaues Wunder: Hausdurchsuchung! In der Regel warten etwa 4-5 Polizisten vor der Tür und übergeben dir den richterlichen Durchsuchungsbeschluss. Hier heißt es jetzt: Ruhe bewahren und klug handeln. Die Polizeibeamten haben genaue Vorschriften und

Regeln. Lass dir zuerst den Beschluss zeigen und lies ihn dir gründlich durch. So erfährst du genau, wonach die Polizei suchen darf und was dir vorgeworfen wird. Falls kein richterlicher Beschluss vorliegt, ist die Durchsuchung nur zulässig, wenn die sogenannte „Gefahr im Vollzug“ besteht. Diese „Gefahr“ liegt vor, wenn die Polizei davon ausgehen muss, dass Beweismittel vernichtet werden könnten. Zur dieser Zeit ist es besonders wichtig, nicht alleine dazustehen. Versuche hier deinen Anwalt telefonisch zu erreichen, dieses darf Dir in keinem Fall verwehrt bleiben. Am besten liegt die Nummer deines Anwalts des Vertrauens immer schon griffbereit zur Hand. Die Polizei darf mit der Durchsuchung erst starten, wenn dieser vor Ort anwesend ist. Des Weiteren ist es dein gutes Recht, unabhängige Zeugen dazu zuziehen. Diese können dir helfen, dich später bei angeblich ge8 | Sektion SV-Magazin DRAUSSEN!

machten Aussage, zu entlasten. Leider kann die Durchsuchung in der Regel nun nicht mehr gestoppt werden. Außer du händigst die gesuchten Gegenstände freiwillig aus. Dieses kann den Vorteil haben, dass Zufallsfunde vermieden werden. Denn wenn bei der Durchsuchung andere strafrechtlich relevanten Dinge gefunden werden, dürfen diese von der Polizei auch mitgenommen werden. Nun verlange von den staatlichen Dienern, dass du bei der Durchsuchung anwesend sein möchtest und jedes Zimmer

einzeln durchsucht wird. In dem dir vorgelegten Beschluss steht genau drin, welche Räume durchsucht werden dürfen. Als Beispiel dürfen in Wohngemeinschaften niemals die Zimmer deiner Mitbewohner durchsucht werden. Lass dir genau dokumentieren, welche Gegenstände die staatlichen Marionetten beschlagnahmt haben und achte darauf, dass dieses unterschrieben wird. Schlussendlich ist es noch von enormer Wichtigkeit, dass du der Hausdurchsuchung widerspricht und dieses auch dokumentieren lässt. Dieses kann dir später bei der Geltendmachung von Verfahrensfehler behilflich sein. Doch am aller wichtigsten ist wie immer: DENKT MIT UND SCHALTET VON VORNE REIN EUREN KOPF EIN. Rechnet immer mit dem Erscheinen der Hilfssheriffs und gebt diesen keinen Nährboden für spätere gerichtliche Verfahren. Doch was bedeutet eine Hausdurchsuchung für den Menschen selber? Hier muss man leider von einem schwer-

wiegenden Eingriff in den persönlichen Lebensbereich sprechen, wo die Grundrechte eines jeden Bürgers massiv eingeschränkt werden. Besonders bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen kann dieses enorme Folgen haben. Denn durch den traumatisierenden Aufmarsch der Staatsgewalt werden diese Heranwachsenden oftmals automatisch von den Staatsdienern kriminalisiert und in eine soziale Rolle gesteckt, die in der Regel absolut unzutreffend für diejenigen Personen ist. Oftmals werden die Jugendlichen hier wie schwerwiegende Verbrecher behandelt. Ob dieses einem Menschen gerecht wird, der vielleicht nur den Namen seines Vereins an einer Hauswand verewigt hat, ist mehr als fragwürdig. Natürlich lassen sich Hausdurchsuchung zur Aufklärung schwerwiegender Verbrechen nachvollziehen, nur ist hier die Verhältnismäßigkeit von Bedeutung. Reicht ein einziges Tag an einer Hauswand, ein vom Hals gezogener Schal, ein unbegründeter Verdacht aus, um die Grundrechte eines Menschen so massiv einzuschränken? Der Staat sollte deutlich behutsamer mit unseren Grundrechten umgehen und diese eher schützen, anstatt sie wegen kleinerer Lappalien außer Kraft zu setzen. Wenn wir auf die letzten Jahre der Fanszene Osnabrück zurückschauen, müssen wir bedauerlicherweise feststellen, dass die Verhältnismäßigkeit und die Gerechtigkeit viel zu oft vernachlässigt wurden. Telefone wurden abgehört, Handys konfisziert und ausgewertet und Wohnungen durchsucht. Leider ist für die Zukunft keine Besserung in Sicht, besonders durch das neue Polizeigesetz müssen wir noch von einer Verschlimmerung ausgehen. Umso wichtiger ist es jetzt, im Umgang mit der Polizei überlegt zu handeln, um Kurzschlussreaktionen zu vermeiden. Falls ihr jemals Opfer dieser Schikanen werden solltet, denkt immer daran: In Osnabrück steht keiner alleine da.


FANPROJEKT OSNABRÜCK

Die aktuelle Situation in Osnabrück UPDATE VOM FANPROJEKT Gemäß der DFB-Richtlinien zielen Stadionverbote darauf ab, auf Grundlage des Hausrechts Personen von Spielbesuchen der oberen Ligen fernzuhalten, die sich nicht an die Stadionordnung halten. Zudem können bundesweite Stadionverbote auch bei Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten auf An- und Abreisewegen verhängt werden. Häufig werden Stadionverbote nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Polizei ausgesprochen. In der Regel setzt die Polizei nach Einleitung eines entsprechenden Verfahrens den Verein darüber in Kenntnis, verbunden mit der Aufforderung, gegen die betreffende Person ein Stadionverbotsverfahren zu eröffnen. Die Vereine der Ligen 1 bis 4 müssen sich im Rahmen des Lizensierungsverfahrens verpflichten die „Richtlinien zur einheitlichen Bearbeitung der Stadionverbote“ des DFB umzusetzen.

Regel auf der „Klärung des Sachverhalts. Daher empfinden Fans ein SV in aller Regel auch als Strafe, was wiederum zu einer starken Ablehnung der Maßnahme „Stadionverbot“ führt. Heben Vereine gar, in Missachtung der SV- Richtlinien, ein Stadionverbot trotz Freispruch in einem Gerichtsverfahren zum entsprechenden Fall nicht auf, befördert das den Eindruck, der Willkür der Verantwortlichen nahezu hilflos ausgeliefert zu sein.

Letztendlich obliegt die Entscheidung über Verhängung, Dauer und Umfang/Art (örtliches SV/ bundesweites SV) jedoch dem oder der Stadionverbotsbeauftragten des

STATUS QUO IN OSNABRÜCK In dem Bemühen SV-Verfahren für die Betroffenen transparenter zu machen und sie stärker in Richtung rechtsstaatlicher Grundsätze zu orientieren, wurden an vielen Standorten auf Initiative und unter Beteiligung von Fans und Fanprojekten Anhörungs- und Bewährungskommissionen eingerichtet. Dadurch soll gewährleistet werden, das auch die Perspektive der Fans sowie pädagogische Ansätze in den Verfahren Berücksichtigung finden. Auch in Osnabrück entstand auf Betreiben von Fans und Fanprojekt eine Bewährungskommission. Zwar konnte eine Kommission

Damaliger Ausgangspunkt war ein von Fans und Fanprojekt erstelltes Bewährungskonzept. Nach, langwierigen Diskussionsprozess und nach Ausarbeitung eines für geeignet befundenen Konzeptes durch das Fanprojekt, wurde die Einrichtung der Kommission schließlich vom Präsidium des VfL Osnabrück genehmigt und mit ständigen Vertretern des Vereins, der Fans und des Fanprojektes besetzt. Fortan entschied die Kommission nach Prüfung des Sach-

jeweiligen Vereins. Und hier mangelt es noch immer an einem einheitlichen Umgang mit den Richtlinien. So kommt es vor, dass gleiche Vorwürfe oder Vergehen von den Vereinen unterschiedlich sanktioniert werden. Das führt auf Seiten der Fans zu Unsicherheiten, der Fokus liegt in den Verfahren in der

eingerichtet werden, unter anderem unter Befürwortung des damaligen Präsidiums, allerdings zeigte sich trotz positiver Erfahrungen, dass in kritischen Fällen und bei Meinungsverschiedenheiten am Ende des Tages Vereinbarungen schnell einseitig aufgelöst werden.

verhalts, Anhörung der betroffenen Person sowie unter Berücksichtigung der polizeilichen Stellungnahme über die Aussetzung von Stadionverboten, Bewährungsmöglichkeiten und Auflagen. Dieses Konzept bewährte sich aus Perspektive von Fans und Fanprojekt schon bald. So zeigte sich, dass Sektion SV-Magazin DRAUSSEN! | 9


FANPROJEKT OSNABRÜCK

durch ihre Einbindung in die Verfahren, diese sowie auch die gefällten Entscheidungen für die Betroffenen zumindest nachvollziehbarer wurden. Insgesamt 19 Stadionverbote wurden gemeinsam bearbeitet und einstimmig unter Auflagen ausgesetzt. Vorweg: Keiner der „Stadionverbotler“ ist in diesem „Bewährungszeitraum“ negativ aufgefallen. Allerdings meldeten sich schnell auch kritische Stimmen zu Wort. Von Seiten der Polizei wurde so die aus pädagogischer Sicht wichtige Beteiligung von Fans an der Bewährungskommission problematisiert. Aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven der Beteiligten und des Machtgefälles zwischen Stadionverbotsbeauftragten auf der einen sowie Fans und Fanprojekt auf der anderen Seite kam es dazu, dass die erfolgreich arbeitende Kommission durch VfL Osnabrück aufgelöst wurde. DIE SOZIALPÄDAGOGISCHE PERSPEKTIVE Aus sozialpädagogischer Sicht lösen Stadionverbote kaum eines der Probleme auf die sie zielen. Allenfalls tragen sie zu einer Verlagerung von „Problemen“ bei, nämlich aus dem Stadion in das Umfeld. Während Vereine und Verbände sich auf die Situation fokussieren, d.h. Stadionverbote vor allem als Mittel betrachten, Risiken zu minimieren,

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die eine störungsfreie Durchführung des jeweiligen Fußballevents gefährden könnten, nehmen die Fanprojekte die von Stadionverboten betroffene oder bedrohte Personen in den Blick. Der sozialpädagogische Fokus auf die Person bildet insofern den Ausgangspunkt für die Kritik von Fanprojekten am Instrument SV sowie an der Vergabepraxis. Denn die gravierenden sozialen Folgen, die der – oft langwierige – Ausschluss von Spielbesuchen insbesondere für Jugendliche haben kann, bleibt von den SV vergebenden Personen und Institutionen weitgehend unberücksichtigt. Neben massiven Einschnitten in die gewohnte Freizeitgestaltung, der Distanzierung vom Freundeskreis beim Stadionerlebnis, stellt vor allem die fehlende Perspektive auf eine zeitnahe Rückkehr ins Stadion ein Problem dar. Aus sozialpädagogischer Sicht müssen neben den Folgen für die betroffene Person auch deren jeweilige (Fan-)Biographie sowie die sozialen Hintergründe bei der Vergabe von Stadionverboten Berücksichtigung finden. Auch die unterschiedliche Faktoren die zu negativen Ereignissen führen, sollten in die Bewertung des „Verhaltens“ einfließen. Denn nur so kann der Einzelfall vollumfänglich geprüft werden.

Insbesondere intransparente Stadionverbotsverfahren und die „präventive“ Aussprache eines SV, die zu der Überzeugung führen, in ungerechter Weise abgestraft zu werden, können zudem zu einer generellen Ablehnung gegenüber stattlichen Autoritäten sowie den Vereinen und Verband führen. Stadionverbote sollten daher IMMER das letzte, keinesfalls jedoch das erste Mittel sein, um „Fehlverhalten“ – sei es nachgewiesen oder auf Verdacht – zu sanktionieren. Zudem muss bei der Verhängung von Stadionverboten zwischen Jugendlichen und Erwachsenen unterschieden werden. Denn für Jugendliche sind die sozialen Folgen, die ein SV nach sich zieht, mitunter gravierender, denn befindet sie befinden sich noch in der Entwicklung ihres „FanSeins“. Gerade der verlässliche Kontakt zum Freundeskreis hat dabei einen besonderen Stellenwert. Hier wäre es angeraten, generell auf die Verhängung von SV zu verzichten und zur Sanktionierung von Verstößen auf alternative Maßnahmen, wie Arbeitsstunden oder andere pädagogisch sinnvolle Auflagen auszuweichen. Generell sollte von der Möglichkeit alternativer Maßnahmen, die in den überarbeiteten DFB-Richtlinien vorgesehen


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sind, im Rahmen von Stadionverbotsverfahren stärker Gebrauch gemacht werden. Dem wurde in der Neufassung der DFB-Richtlinien, die seit 2014 gelten, formal insofern Rechnung getragen, als das die betroffene Person die Möglichkeit zur Stellungnahme erhält und auch Fanprojekte und Fanbeauftragte zum Fall gehört werden können. Das Stadionverbot, das in seiner bundesweiten Version Anfang der 1990er Jahre geschaffen wurde, war praktisch von Beginn an ein Reizthema für Fans. Daran hat sich auch nach der Überarbeitung wenig bis gar nichts geändert. Im vergangenen Jahr unternahm das Fanprojekt, auch auf Wunsch der Fans, einen erneuten Versuch, beim Verein eine kritische Reflexion seiner grundsätzlichen Haltung gegenüber Stadionverboten anzustoßen sowie die praktische Umsetzung der DFB-Richtlinien in ein transparentes Vergabekonzept zu forcieren. Angedacht war die Einrichtung einer „Anhörungskommission Stadionverbote“. In den Gesprächen mit dem Verein trat jedoch erneut die unterschiedlichen Perspektiven hervor, als es

um die Interpretation der Richtlinien ging. Während der Stadionverbotsbeauftragte seine Entscheidung nahezu ausschließlich von der Klärung des Sachverhalts abhängig macht, muss aus Perspektive des Fanprojekts die Persönlichkeit des oder der Betroffenen klar im Vordergrund stehen. Denn nur so ist eine Prognose in Bezug auf zukünftiges Verhalten möglich.

verfahren zu legen. Viel Zeit und Energie wurde darauf verwendet – bisher jedoch leider ohne nachhaltigen Erfolg. Aber: Wir bleiben am Ball. Grüße an die Jungs! Das Fanprojekt Osnabrück Dezember 2019

Ein weiterer strittiger Punkt war die Bedeutung der Unschuldsvermutung im Rahmen von SV- Verfahren. Ziel war es hier, ein transparenteres Verfahren zu schaffen und Bewährungsmöglichkeiten für die Betroffenen einzuräumen. Nach diesen ersten Gesprächen zog sich die Vereinsseite zurück, mit dem Verweis darauf, die Problematik intern diskutieren zu wollen. Bis heute gibt es diesbezüglich von Seiten des Vereins keinen neuen Sachstand. Das Fanprojekt hat daher nach Rücksprache mit der Fanszene entschieden, nicht erneut initiativ tätig zu werden und den Fokus auf die Beratung von Betroffenen in StadionverbotsSektion SV-Magazin DRAUSSEN! | 11


ERLEBNISSE ALS SV‘LER

AUS DER SICHT EINEs STADIONVERBOTLERS WIE HEIM- und auswärtsspiele erlebt werden ABLAUF EINES HEIMSPIELTAGES Die Heimspiele als SVler sehen jedes Mal ziemlich gleich aus. Gibt es vorher einen Szenetreffpunkt in der Stadt, wird dieser besucht und dann entweder in der Kneipe geblieben oder diese gewechselt. Da inzwischen fast alle Spiele von der Polizei in Osnabrück zu Hochrisikospielen erklärt wurden, gibt es für fast alle Heimspiele eine Reihe an Betretungsverboten, sodass sich der Aufenthalt in unmittelbarer Stadionnähe als unmöglich erweist. Nach dem Spiel heißt es häufig schlicht und ergreifend warten, bis die Jungs und Mädels aus dem Stadion wieder da sind und man die bekannten Gesichter wiedersehen kann. Wenn auch das Fernsehdiktat im deutschen Fußball eindeutig abzulehnen ist, so schafft dies zumindest den SVlern einen entscheidenden Vorteil: Zu allen Spielen gibt es bewegte Bilder und nicht nur den Liveticker über Handy, was das Ganze noch dröger machen würde. Die Zeit, die man als SVler in ein und derselben Kneipe verbringt, ist erschreckend hoch und so hängen mir bestimmte Lokale Osnabrücks inzwischen mehr als zum Hals raus.

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ABLAUF EINES AUSWÄRTSSPIELTAGES Alles in allem unterscheidet sich die Auswärtsfahrt gar nicht so großartig von denen der normalen Stadionbesucher. Morgens aufstehen, fertigmachen, losfahren. Auf der ganzen Fahrt bleibt jedoch dieses scheiss Gefühl, sich nachher wieder für 2 Stunden von den Freunden zu verabschieden und die Zeit irgendwie totzuschlagen. Meist wurde sich im Vorfeld etwas überlegt, wie eine Kneipe ausgemacht oder essen zu gehen oder auch nur vor dem Stadion zu grillen und Flunky Ball zu spielen. Der gravierende Unterschied zu den Heimspielen ist, dass man auswärts auf den Good Will der örtlichen Bullerei angewiesen ist. Nicht selten wurde man einfach auf dem Stadion Parkplatz versauern gelassen, ohne jedwede Möglichkeit, sich zu verpflegen oder irgendwelche Bilder vom Spiel zu sehen oder sonst etwas. Es gibt jedoch auch Ausreißer nach oben. Zu nennen wäre hier bspw. Jena, wo es uns ermöglicht wurde, das Spiel durch den Zaun mitzuverfolgen. Stadionerlebnis konnte man das natürlich nicht nennen, aber man bekam wenigstens etwas vom Spiel zu sehen.


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