DRAUSSEN! - Ausgabe 5

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IMPRESSUM

ALLE JAHRE WIEDER Der aktuelle Stand rund um das Thema Stadionverbot

Herausgeber: Violet Crew Gründung: 2002 www.violetcrew.de kontakt@violetcrew.de Erscheinungsdatum: 12.09.2015 Auflage: 750 Exemplare Satz und Gestaltung: Sektion Stuttgart (Hinweis zum Ursprung siehe unten) Fotos: Sektion SV, Buschi, Tobo, Niko, V.I.P. Alle bisherigen Ausgaben der DRAUSSEN! stehen online unter www.violetcrew.de/draussen in Farbe zum Download bereit.

DRAUSSEN! ist kein Erzeugnis im Sinne des Presserechts, sondern ein Rundschreiben an Freunde, Mitglieder, und Sympathisanten der Violet Crew und verfolgt keinerlei kommerzielle Ziele. Etwaige Spenden dienen zur Deckung der Druckkosten. Das Magazin knüpft an die offizielle Stadionzeitung DRIN! des VfL Osnabrück an. Die ursprüngliche Gestaltung entstammt der Werbeagentur mittendrin, Osnabrück.

Hallo VfL-Fans, die DRAUSSEN! feiert heute mit der fünften Ausgabe ihr erstes kleines Jubiläum. Uns wäre es selbstverständlich lieber gewesen, wenn man kein Magazin gebraucht hätte, um rund um das Thema Stadionverbot zu informieren. Doch seit der Erstausgabe im April 2009 hat sich die Situation keineswegs entspannt. Die Fanszene ist immer noch mit zahlreichen Stadionverboten belegt und Repressionen wie Meldeauflagen und Betretungsverbote, zum damaligen Zeitpunkt noch unvorstellbar, sind jetzt Alltag für die Osnabrücker Fanszene. Doch auch der Gesamtkontext, in dem die DRAUSSEN! erscheint hat sich verändert. Was damals gegen Hansa Rostock mit dem leidlichen Verteilen eines Informationsmagazins begann, hat sich heute zu einem ganzen Thementag entwickelt – dem „Solitag“. Ein Tag, an dem sich alles um die Themen Stadionverbot und Repressionen dreht und wir uns mehr denn je solidarisch zu unserer Sek. SV. zeigen. Beginnend mit einem gemeinsamen Frühstück, dem soweit es geht gemeinsamen Spielbesuch bis zur abendlichen Party. Den ganzen Tag über gilt unsere Aufmerksamkeit den Personen, welche nicht das Glück haben im Stadion zu stehen und unseren VfL siegen zu sehen. Wie sich die von Stadion- und/oder Betretungsverbot betroffenen Personen fühlen, wird auf den folgenden Seiten berichtet. Ein Einblick in den Spieltagsablauf und die Gedankenwelt während der 90 Minuten vor den Stadiontoren oder in den stadionnahen Kneipen der Liga.Auf der anderen Seite gibt es aber immer wieder Hoffnung auf ein Ende des Stadionverbots und dank der Bewährungskommission des VfL auch die Chance auf ein früheres Ende der Leidenszeit. Das Fanprojekt berichtet über die Vergabepraxis von Stadionverboten sowie die bisherigen Erfolge der Bewährungskommission. Doch wo ein Licht am Ende des Tunnels ist, gibt es auch immer wieder neue Steine, die den Fans in den Weg geworfen werden. So etablieren sich nach und nach Teilausschlüsse von Fans genauso wie die verpflichtende Kombianreise zu Risikospielen. Wie ihr seht wird es nicht ruhiger auf dem Themengebiet und wenn ihr wollt, dass sich die Lage nicht noch weiter zuspitzt, dann macht endlich den Mund auf. Wir werden weiter für den Erhalt der Fankultur kämpfen und uns nicht alle Repressionen gefallen lassen. Wir lassen uns durch kein Verbot von unserem Weg abbringen. Wir zeigen, dass Zusammenhalt und Solidarität größer und stärker sind, als jeglicher Gegenwind von Polizei und Politik. Lasst uns Solidarität leben und nicht als leere Phrase stehen lassen. Wir bleiben im Spiel!

ViolEt Crew

Violet Crew / Sektion Stadionverbot


VERGABEPRAXIS STADIONVERBOTE

Vergabepraxis Stadionverbote Osnabrücker „Bewährungskonzept Stadionverbote“

Seit dem 01.01.2014 gelten die „Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten“ des DFB in überarbeiteter Fassung. Viele Inhalte wurden verbessert, einige haben sich aber deutlich verschlechtert. Es bleibt allerdings dabei: die „Präventivmaßnahme“ Stadionverbote bleibt ein Reizthema und beschäftigt uns als Fanprojekt tagtäglich. ZUM AKTUELLEN UMGANG MIT STADIONVERBOTEN IN DEUTSCHLAND Nach wie vor findet sich die Grundlage, auf der alle Vereine ein Stadionverbot (SV) verhängen können in den „Richtlinien zur einheitlichen Behandlung von Stadionverboten“. Im Rahmen der jährlichen Lizensierungsverfahren verpflichten sich alle Vereine zur Umsetzung dieser Vorgaben. Dadurch, dass die genannten Richtlinien den Verantwortlichen im Verein einen gewissen Interpretationsspielraum gewähren, ist der Umgang mit dieser „Präventivmaßnahme“ in nahezu jedem Verein anders. Inzwischen erkennen die meisten Vereine, dass die Strafe SV auf Dauer keines der Probleme löst auf welche diese abzielt. Maximal verlagern sich Störungen oder Straftaten aus dem Stadion in sein Umfeld. Mehr und mehr werden daher die pädagogischen Mitarbeiter der Fanprojekte zu Rate gezogen Bewährungsmöglichkeiten in ein vereinseigenes Arbeitskonzept zu formulieren.

nen, die sich im Stadion nicht an die Hausordnung halten, kurz formuliert eine „Gefahr“ darstellen durch Ausübung des privaten Hausrechts präventiv vom Besuch eines Fußballspiels auszuschließen. Hinzu kommt inzwischen, dass Ordnungswidrigkeiten und Straftaten bei der An- und Abreise zu Spielen in vielen Fällen zu einem SV führen können. Durch die gegenseitige Bevollmächtigung der Vereine, die Bestandteil und Bedingung des Lizensierungsverfahrens ist, das Stadionverbot auf bundesweite Fußballstandorte zu übertragen sind Fußballanhänger häufig von allen Partien der Ligen eins bis vier ausgeschlossen. In der Regel wird ein SV dann ausgesprochen, wenn dem Verein bekannt wird, dass gegen eine Person ein polizeiliches Ermittlungsverfahren läuft. Er reagiert somit auf ein Ereignis, was dem präventiven Charakter schon mal widerspricht. Die Entscheidung über die Verhängung, Dauer und Dimension (örtliches SV/ bundesweites SV) obliegt dabei dem Stadionverbotsbeauftragtem des jeweiligen Vereins. Somit wird nach subjektivem Ermessen und Beurteilen einer Person entschieden. Leider wird in aller Regel kaum auf den Kontext des Ereignisses, Fanbiographie des Betroffenen oder dem sozialen und persönlichen Hintergrund des Fans eingegangen. Die fehlende Unschuldsvermutung, eigentlich ein grundlegendes

Recht eines Jeden, ist aus unserer Sicht ein zentrales Problem. Weiterhin fehlt derzeit aus Sicht der Fanprojekte ein einheitlicherer Umgang mit den Richtlinien. Wie kann es sein, dass für gleiche Vorwürfe und Vergehen von verschiedenen Vereinen völlig unterschiedliche Sanktionen erfolgen? Dies stiftet Verwirrung unter Fußballfans, sorgt für zunehmende Unsicherheit bis Hilflosigkeit und führt folgerichtig zur völligen Ablehnung der Maßnahme SV. Konflikte und Aufbegehren der Anhänger sind vorhersehbar. Wenn Vereine dazu noch die Stadionverbots-Richtlinien missachten und wie im Fall des 1. FC Heidenheim SVs trotz Freisprüchen in den Gerichtsverfahren nicht aufheben, wundert es niemanden mehr, dass das Gefühl der Willkür immer stärker wird. Auch die neu ausgearbeiteten und seit dem 01.01.2014 geltenden „SV-Richtlinien“ brachten nur punktuelle Verbesserungen in der Thematik. Nach wie vor werden die unter Umständen gravierenden sozialen Folgen für Betroffene wenig bis gar nicht thematisiert. Es fällt schwer bis unmöglich sich in die Gefühlswelt der SVler zu versetzen. 12, 24 oder 36 Monate kein Spiel des Bezugsvereins verfolgen zu können, stellt für viele Fans einen gravierenden Einschnitt in deren Freizeitgestaltung dar. Häufig ist die gesamte Peer-Group von Jugendlichen die jeweilige Gruppe mit der die Spiele

Grundsätzliches Problem bleibt aber die individuelle Auffassung und Umsetzung der „SVRichtlinien“, i.d.R. durch die Sicherheitsbeauftragten der Klubs. Für vergleichbare Vorfälle, Vorwürfe oder Ermittlungsverfahren werden völlig unterschiedliche Strafmaße ausgesprochen. Das ist, neben der aufgehobenen Unschuldsvermutung, einer der Gründe warum das Thema Stadionverbote in allen Fanszenen so konfliktbehaftet ist. WIE BEURTEILT DAS FANPROJEKT OSNABRÜCK AUS PÄDAGOGISCHER SICHT DIE „MASSNAHME STADIONVERBOT“? Laut Aussage des DFB und den Richtlinien soll das SV eine Möglichkeit eröffnen, PersoSektion SV-Magazin DRAUSSEN! | 3


VERGABEPRAXIS STADIONVERBOTE

FORTSETZUNG: Vergabepraxis Stadionverbote Osnabrücker „Bewährungskonzept Stadionverbote“ besucht werden. Erzwungene Loslösung von Bezugsgruppen, Orientierungslosigkeit, fehlende Perspektiven auf die Rückkehr ins Stadion sind die ersten Folgen. Häufig schließt sich gesteigerter Suchtmittelkonsum, Aggressivität und Ablehnung gegenüber staatlicher Behörden, Sicherheitsinstitutionen und Vereinen/ Verbänden an. Die negativen Folgen für eine positive Entwicklung der Fanidentität ist enorm, wird aber gleichermaßen verkannt.

Ansatz SVlern eine Perspektive auf die frühzeitige Rückkehr ins Stadion zu bieten ist richtig. Intensiv wird über das Bewährungskonzept diskutiert, Erklärungen und Motivation sich selbst zu engagieren und „den ersten Schritt“ zu machen sind notwendig. Die ersten abgeschlossenen Fälle zeigen, dass sich eine große Erleichterung bei den Teilnehmern entwickelt. Das erste Spiel nach dem Stadionverbot bleibt vermutlich jedem in Erinnerung.

Bei all den möglichen Folgen existiert ein weiteres Problem für die sozialpädagogische Arbeit der Fanprojekt-MitarbeiterInnen: Ein Stadionverbot ist innerhalb kürzester Zeit ausgesprochen, nach wie vor in Einzelfällen ohne ein Anhörungsrecht. Der Weg Jugendlichen und jungen Erwachsenen Fußballfans eine Perspektive auf die vorzeitige Rückkehr ins Stadion, zu seinem Verein, in seine Kurve zu ermöglichen ist schwer und langwierig. Oft vergehen mehrere Monate der Ungewissheit, unzählige Telefonate und Emails bis eine Aussetzung, Aufhebung oder eine Bewährungsmaßnahme greifen kann.

Viel Kritik musste das Osnabrücker Bewährungskonzept am eigenen Standort einstecken. Nicht jeder ist von der Maßnahme überzeugt, die Polizei sieht gerade in der Beteiligung von Fanvertretern in der Kommission ein Problem. Hier unterscheiden sich pädagogische und polizeiliche Sichtweise grundlegend. Eine erste Statistik macht aber deutlich, dass diese Sorge bis dato unberechtigt ist:

AKTUELLE STADIONVERBOTS-ZAHLEN FÜR OSNABRÜCK • aktuell sind 38 VfL-Fans von einem Sta- dionverbot betroffen • davon sind 3 auf Bewährung ausgesetzt • 9 der 38 Stadionverbote sind durch den VfL Osnabrück verhängt worden • insgesamt sind durch den VfL Osnabrück derzeit 68 Stadionverbote ausgesprochen DER WEG ZUM „BEWÄHRUNGSKONZEPT STADIONVERBOTE“ Die Idee der Bewährung für Stadionverbotler ist in der Sache nicht neu. Dennoch fehlte es am Standort Osnabrück an einem grundlegenden und personenunabhängigen Konzept, dass die Umsetzung von Bewährungsmöglichkeiten in Gänze regelt. Seit knapp 2 Jahren arbeitet in Osnabrück die „Bewährungskommission Stadionverbote“. ERSTE ERFAHRUNGEN Eines zeigen die ersten Erfahrungen in der Umsetzung des Bewährungskonzepts: Der 4 | Sektion SV-Magazin DRAUSSEN!

• 12 Anträge (jeweils bundesweites SV) wurden in knapp einem Jahr behandelt • 9 SV ausgesprochen durch einen anderen Verein, 1 durch den DFB, 2 durch den VfL Osnabrück • 11 Fälle wurden tatsächlich behandelt, 1 abgelehnt • 9 Fälle wurden durch ein einstimmiges Ergebnis (!) entschieden (Aussetzung auf Bewährung bzw. auf Bewährung unter Auflagen) • 7 mal lag ein bereits eingestelltes Ermitt- lungsverfahren vor, 2 mal lag eine Verurtei lung vor • 2 Verfahren werden aktuell noch bearbeitet • in 2 Fällen widersprach die Entscheidung der Bewährungskommission der polizei lichen Stellungnahme Trotz der vielen positiven Erfahrung und Etablierung des Konzepts innerhalb von Verein und Fanszene, traten auch einige Probleme auf, die es erforderlich machen, das Konzept und den Arbeitsprozess weiter zu optimieren. Das Zusammenspiel mit anderen Vereinen bzw. Stadionverbotsbeauftragten stellte sich als schwierig heraus. Zum Teil wurde mehrere Monate auf die offizielle Abtretung des SV an den VfL Osnabrück gewartet. Das

liegt unter anderem auch daran, dass viele Stadionverbotsbeauftragte diese Tätigkeiten nebenberuflich erledigen und die Zuständigkeit nicht immer an hauptamtlich tätige Personen gekoppelt ist. In einem Fall versuchte die örtliche Polizei die Entscheidung der Bewährungskommission „anzufechten“ und sorgte dafür, dass der Betroffene trotz offizieller Aussetzung seines SV ein weiteres Spiel verpasste. Darüber hinaus machte das insgesamt positive Ergebnis in der Bewährungskommission eines deutlich: Für die grundsätzliche Vergabe von Stadionverboten fehlt am Standort Osnabrück eine angemessene, verlässliche Arbeitsgrundlage zur Umsetzung der SV-Richtlinien. Hier muss der Weg der größtmöglichen Transparenz, einer umfassender Prüfung des Sachverhalts und ausgiebiger Auseinandersetzung mit der Persönlichkeit, Fanbiographie und individuellen Situation betreffenden Person gegangen werden. Aus Sicht der Fans werden diese Konzepte das Konfliktthema Stadionverbote nicht beseitigen. Das kann auch nicht das Ziel sein. Dennoch können diese Instrumente helfen die Vorgaben des DFB, solange die Sanktion Stadionverbot existiert, für Fans möglichst nachvollziehbar, am Einzelfall orientiert und „gerecht“ zu gestalten und eine vorzeitige Rückkehr in die Kurve zu ermöglichen. ///


OWI IST DAS SCHÖN

OWI ist das schön Ein neues Mittel der Schikane Repressive Maßnahmen gegenüber Fußballfans wie Stadionverbote, Meldeauflagen oder Betretungsverbote sind altbekannt und finden bereits bundesweit Anwendung. Doch in Osnabrück konnte das Portfolio noch einmal erweitert werden. Ordnungswidrigkeiten verbindet der „normale“ Bürger wohl eher mit Falschparken oder überhöhter Geschwindigkeit und nicht mit Fußballfans oder Fankultur. Doch im Nachgang des vergangenen Heimderbys wurde der „Fanmarsch“ zur Bremer Brücke seitens Stadt und Polizei als ordnungswidrig gemäß §118 OWIG eingeordnet. Dieser Paragraph besagt folgendes: „Ordnungswidrig handelt, wer eine grob ungehörige Handlung vornimmt, die geeignet ist, die Allgemeinheit zu belästigen oder zu gefährden und die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen.“ Ob ein Fanmarsch von ca. 400 Personen wirklich „grob ungehörig“ ist, dazu teilen sich wohl die Meinungen. Merkwürdig erscheint die Kategorisierung schon, da die Route von der Polizei über das vermittelnde Fanprojekt vorgegeben wurde. Die Route führte vom Grünen Jäger, welcher als Treffpunkt der VfL Anhänger durch die Fanszene ausgerufen wurde, über den Herrenteichswall und die Liebigstraße zur Bremer Brücke. Die Große Straße war „tabu“, so dass die Strecke über den Nikolaiort und das Theater (hier wurde

das schöne Foto geschossen, das den Weg aus den Ermittlungsakten in die NOZ gefunden hat) in die Domsfreiheit ging. Am Ende sollte die kurze Strecke durch die Innenstadt in Kombination mit Schmähgesängen wie „Tod und Hass dem SCP“ ausreichen, um oben stehende Ordnungswidrigkeit durchzusetzen. Begründet wird dies unter anderem damit, dass sich die normalen Bürger in ihrem Marktbesuch gestört fühlten. Getoppt wurde dies nur durch die Aussage „ältere Personen hätten sich aufgrund des großen Polizeiaufkommens, dunkel gekleideter Menschen und den lauten Parolen an das Dritte Reich zurück erinnert gefühlt.“ Im Nachgang erreichte ca. 60 Personen ein Bußgeldbescheid über 175€ für die Teilnahme an besagtem Fanmarsch. Interessant dabei ist, dass lediglich Personen der aktiven Fanszene (VC, Inferno) davon betroffen waren und nicht alle 400 Teilnehmer. Schließlich wurden auch bei Personen aus dem Kreise der Fanszene die Personalien festgestellt um ihnen die Bußgeldbescheide zuzuschicken. Natürlich ist an dieser Stelle die Vermutung haltlos, die Polizei wolle den „Initiatoren des Fanmarsches“ einen Denkzettel verpassen. Ein Großteil der Betroffenen legte Einspruch gegen das Bußgeld ein und sah sich final vor dem Amtsgericht wieder. Manche konnten die Strafe herunter handeln, aber

ein Freispruch gab es bis dato noch nicht. Das Gericht verurteile selbst Personen, die nicht an den diffamierenden Gesängen teilgenommen hatten, somit überspitzt gesagt nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Eine Strafe für Fangesänge auf dem Anreiseweg zum Stadion, welche möglicherweise beleidigenden Charakter besitzen aber wie oben bereits erwähnt jedes Wochenende sowohl auf den Anreisewegen (Bahnhöfe, Rastplätze) als auch im Stadion toleriert und von einer breiten Masse an Menschen als Ausdruck normaler Rivalität mitgetragen werden. Der Fanmarsch zu einem Derby ist bestimmt nicht zu vergleichen mit der Diskussionskultur beim philosophischen Quartett – es ist wahrscheinlich wirklich nicht die „feine englische Art“. Ob allerdings hier eine grob ungehörige Handlung vorliegt, die geeignet ist die öffentliche Ordnung zu beeinträchtigen, ist beispielsweise angesichts der massenhaften „ungesühnten“ Junggesellenabschiede – nicht nur in der Osnabrücker Altstadt – aus unserer Sicht zweifelhaft. Leider ist auch diese Maßnahme Ausdruck eines von der Politik und den Sicherheitsbehörden verschärften Kurses: alles was nicht passt, alles was „anders“ ist gehört abgestraft – bestenfalls verboten. Ordnung muss sein! OWI ist das schön. ///

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STADION- UND BETRETUNGSVERBOTE

DRAUSSEN! Wie Stadion- und Betretungsverbote den Spieltag verändern Stell dir vor, alle deine Freunde dürfen zum wichtigsten Spiel der Saison, zum Derby oder zu einem besonderen Pokalabend ins Stadion und du nicht. Diese Situation allein ist eine harte Bestrafung für jeden Betroffenen. Mit welchen Problemen die Sektion SV/ BV während der Spiele jedoch zusätzlich zu kämpfen hat, ist im Stadion oft nur wenigen bekannt, weshalb ich an dieser Stelle einige Erlebnisse und gewöhnliche Situationen nennen möchte, mit deren Kenntnis ihr euch vielleicht etwas besser in die Lage der Leute versetzen könnt. Du möchtest am Spieltag natürlich versuchen, so viel Stadionatmosphäre wie möglich aufzuschnappen und dir persönliche Highlights zu setzen. Du bist weit vor Spielbeginn mit deinen Freunden unterwegs, trinkst ein paar Bier vor der Ost, unterhältst dich über das Spiel, die letzte Woche oder sonst was – gemäß dem Fall, dass du überhaupt zum Stadion darfst. Andernfalls siehst du weit weg vom Stadion höchstens die Flutlichtmasten oder zumindest mal einen lila-weißen Fan vorbeiradeln. Unter Umstän-

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den hast du Glück und das Spiel wird im TV übertragen oder gestreamt. „Welche Kneipe zeigt es?“ ist die erste Frage, die es an dieser Stelle zu klären gilt, die zweite wäre: „Dürfen wir dort überhaupt hin?“. An Spieltagen, an denen für Teile der Sektion SV zusätzlich Betretungsverbote bestehen, sind die Möglichkeiten noch begrenzter als ohnehin schon. Du bist abgeschottet vom Stadion, kannst in der Halbzeitpause nicht mal ein „Zaungespräch“ mit den Freunden in der Kurve führen. Auswärts ist vieles noch schlimmer. Solltest du einmal kein Betretungsverbot vom Postboten bekommen haben, (der sich schon fragt, ob du die Post bekommst, weil du bei der Polizei arbeitest oder ob du ihn an irgendeinem Mittag in dein Haus zerren und umbringen wirst) und sollte das Spiel nicht gerade in Unterhaching stattfinden, wo Stadionverbotler generell einen Bereich um das Stadion nicht betreten dürfen, könntest du Glück haben. Der optimale und seltenste Fall: Es gibt einen Blick auf das Spielfeld und die Polizei lässt dich einfach machen. In der Regel wirst du jedoch von deinem Logenplatz vertrieben und darfst irgendwelche Betonmauern anglotzen. Natürlich wirst du zuvor noch einer Personalienfeststellung unterzogen, bei der die Polizistin entrüstet und treffsicher feststellt: „Sie haben ja alle Stadionverbot!“. Nach der Durchsuchung, die ihr über euch ergehen lassen musstet, diversen Wegschick-Schika-

nen von Plätzen, die euch noch etwas Sicht geboten haben und einem Bußgeld wegen Wildpinkelns, weil man euch den Gang zu öffentlichen Toiletten untersagt hat, bist du einfach nur noch sauer. Zu allem Überfluss wirst du von mitgereisten Zivis ständig beobachtet und angegrinst. All solche Situationen führen zu Wut und Ärger. Der Spieltag wird zur Belastung und statt Freude am besten Tag der Woche entsteht Stück für Stück Resignation. Resignation, die im schlimmsten Fall dazu führt, dass man den Tag lieber zuhause verbringt – vom Spiel hat man ja nichts und oft entstehen nur noch weitere Probleme. Leider denke ich mittlerweile während meiner Betretungsverbote selbst auch oft so, doch auch wenn sich der SKB, der diese Zeilen gerade liest, in diesem Moment freut und glaubt, einen kleinen Sieg errungen zu haben, dann muss ich ihn enttäuschen. Unser Lebensgefühl, unsere Liebe und unsere Solidarität sind viel zu stark, als dass sie durch Verbote aufzuhalten wären. Allein die Aussicht, beim nächsten Mal wieder in der Kurve zu stehen und auch im Stadion wieder gemeinsam abzufeiern, halten sie aufrecht. Schon der kleine Gruß des Nicht-Vergessens als Nachricht eines Stadiongängers auf meinem Mobiltelefon kurz vor Beginn des Rostock-Spiels reichte aus, um mir dessen wieder einmal bewusst zu werden. ///


GÄSTEFANS UNERWÜNSCHT

BRANDAKTUELL Gästefans unerwünscht Seit der vergangenen Woche ist es offiziell, unsere Derbys gegen Münster sollen ohne Gästefans stattfinden. Angeblich sehen die Vereinsoffiziellen keine Alternativen – zu hoch die Zahl der Verletzten seit 2011, zu groß die Gefahr vor neuen Ausschreitungen. Über Ursache und Schwere der Verletzungen wird dabei natürlich kein Wort verloren und so kann nicht zwischen Verletzungen durch Pfefferspray oder Pyrotechnik unterschieden werden. Natürlich wird der Druck auf die Vereine durch Aussagen von Polizei und Politik keineswegs vermindert. Nicht ohne Grund geht unser Innenminister Boris Pistorius an die Öffentlichkeit und fordert eine Spielverlegung, da eine Austragung am Abend zu riskant sei. Doch ist ein Gästeausschluss die Lösung? Wir sagen Nein! Ein Gästeausschluss trifft wie so ziemlich jede Kollektivstrafe zum Großteil die Falschen. Anhänger, die nichts mit den vergan-

genen „Vergehen Einzelner“ zu tun haben. Dennoch wird diesen Leuten die Möglichkeit genommen ihren Verein im Gästeblock zu verfolgen. Was ist die Folge? Die Leute, die das Spiel trotzdem sehen wollen, reisen dennoch an und versuchen sich über „Heimtickets“ Zutritt zu verschaffen. Vergangene Spiele unter Ausschluss von Gästefans haben dies bestätigt. Knapp 300 Anhänger von Dynamo Dresden in Frankfurt oder ca. 1000 Fans der Frankfurter Eintracht beim Gastspiel

in Berlin (Union) sind zwei Beispiele. Getreu dem Motto „ Wo ein Wille ist, da ist ein Weg“, wird es niemals gelingen Gästefans vollends auszuschließen. Zu dieser Erkenntnis kam ebenfalls Rainer Koch, Vizepräsident für Rechts- und Satzungsfragen beim DFB und sagte im Nachgang an das Spiel Union Berlin – Eintracht Frankfurt: „Bei uns ist wahrgenommen worden, dass die ausgesprochene Sanktion ihren Zweck nicht erfüllt hat.“ Das Gästefans auf „heimischen“ Tribünenbereichen eher kontraproduktiv für die Sicherheit als isoliert in einem „gut bewachten“ Gästeblock sind, sollte jedem einleuchten. Hinzu kommt die unkontrollierbare Anreise der Gäste. Anstatt in großen Gruppen via Zug oder Bus, reisen diese Personen in Kleingruppen an, sodass die Anreisewege zum Stadion ebenfalls unsicherer als bei einem normalen Spiel sind. Denn durch einen Gästeausschluss werden sich die Ansichten potentieller „Gewalttäter“ nicht ändern lassen. Gewalt

ist und bleibt ein gesellschaftliches Problem, welches auf jedem Volksfest, Schützenfest oder sonstigen Veranstaltungen auftaucht, wo größere (alkoholisierte) Personengruppen aufeinandertreffen. Maßnahmen wie Gästeausschlüsse werden das Problem nicht lösen, sondern lediglich verlagern. In unserem Fall wird es sich ebenfalls auf die Straße verlagern. Die angekündigte Demonstration der Preußen durch unsere

Stadt wird ebenfalls ein Gefahrenpotential bergen. Denn die Personen, die unter normalen Umständen im Gästeblock stehen würden, laufen nun durch Osnabrücker Straßen. Personen, deren „Gefahrenpotential“ sich keineswegs verändert haben wird und denen die Wut über den Ausschluss ins Gesicht geschrieben stehen wird. Dementsprechend wird es keinerlei Entspannung der Situation geben. Vielmehr wird es für die Ordnungshüter zwei Baustellen geben. Die Demo auf der einen und das Stadion(umfeld) auf der anderen Seite. Ein klassisches Eigentor, bei dem es nur Verlierer geben wird. Gästefans, denen das Spiel verwehrt bleibt, Heimfans, welche sich keineswegs sicherer fühlen können (Anreise zum Stadion, mögliche Gäste auf heimischen Tribünen), die Vereine, denen Einnahmen fehlen und Polizei, welche eher mehr als weniger Arbeit haben. Doch der größte Verlierer ist das Derby selbst. Ein Derby lebt

von gesunder Rivalität auf den Rängen. Es gibt nichts Schöneres als den Rivalen zu zeigen, wer Herr im Hause ist. Ein Derby ohne Gäste ist kein Derby, denn ihm wird alles genommen was ein Derby ausmacht. Der Reiz ist weg und so besteht kaum ein Unterschied zu sterilen Spielen gegen Stuttgart II oder Großaspach. Fußball muss dreckig bleiben! Gegen Gästeausschlüsse. ///

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CHECKLISTE STADIONERLEBNIS

Checkliste für ein „sicheres Stadionerlebnis“ INFORMAtionen rund um den stadionbesuch EIN EINIGERMASSEN KLARER KOPF! Setze Genuss- und Rauschmittel ggfs. nur so ein, dass Du jederzeit noch Herr der Lage bist. NIE ALLEIN! Bewege Dich möglichst immer in einer Gruppe. Gemeinsam mit Freunden macht das Erlebnis Fußball gleich doppelt so viel Spaß und ihr könnt Euch gegenseitig bei Ärger helfen. INFORMIERE DICH! Unter www.fananwaelte.de gibt es bspw. Tipps, wie Du reagierst, wenn sich Ärger anbahnen sollte. Informiere Dich schon im Voraus – nicht erst wenn es zu spät ist.

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INFORMIERE ANDERE! Sollte doch etwas geschehen sein, informiere vertrauenswürdige Stellen. Das sind in erster Linie die bekannten Leute in der Szene, der Fanbeauftragte, sowie die Mitarbeiter des Fanprojekts.

NACH LÖSUNGEN SUCHEN! Solltest Du bspw. ein Stadionverbot bekommen, kontaktiere Vertrauenspersonen (s.o.). Gemeinsam kann man besser nach Möglichkeiten und Lösungen suchen. Erfahrung kann dabei viel helfen.

KEINE AUSSAGE BEI DER POLIZEI! Egal was Dir vorgeworfen wird, mach keine Aussage bei der Polizei, bevor Du Dich nicht hast anwaltlich beraten lassen. Das Recht zu Schweigen, heißt nicht umsonst so. Es ist und bleibt Dein gutes Recht und wird in allen Teilen der Gesellschaft so gehandhabt.

POSITIV BLEIBEN! Der wohl wichtigste Punkt von allen. Versuche Dir trotz möglicher Schikanen und Repressionen nicht das Erlebnis Fußball kaputt machen zu lassen. Unser Atem ist länger. Unser Wille stärker. Unsere Gemeinschaft unzertrennbar.


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