Sex Sells (SS 18)

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Sprungfeder befestigt. Zuschauer konnten dann machen, was immer ihnen einfiel, und wurden von einer Amateur-Jury bewertet. Die einzigen Regeln: Respektiere die Klitoris und habe Spaß. Weitere interaktive Projekte, die Wallace 2014 startete, waren CLITglas und CLITform. Im Whitney Museum of American Art verteilte sie Brillen, aus denen die Form der Klitoris ausgestanzt worden war. Die Besucher sollten außerdem ausgeschnittene Formen der Klitoris dort hinhalten wo sie hinpassten und fotografieren. Zusammen mit Sarah Strauss, welche Innenarchitektur am Pratt Institute unterrichtet, erschuf sie im selben Jahr außerdem zwei Tapeten, deren Muster die Klitoris zeigten (Fleur De Clit und Clit Damask). Auch die Installation Formless bildete die Klitoris ab. Allerdings setzte sich der Umriss hier aus mehreren Platten zusammen und konnte nur von einem bestimmten Standpunkt aus vollständig gesehen werden. Mit ihrer Kunst schafft Wallace eine Grundlage, um über weibliche Sexualität zu reden. Sie will nicht nur Aufmerksamkeit für den weiblichen Körper gewinnen, sondern Informationen vermitteln und falschen Vorstellungen entgegenwirken – denn viele Menschen wissen nicht, wie die Klitoris aussieht. Der weibliche Körper wurde lange davon ausgehend untersucht, was über den männlichen Körper bekannt war. Die Klitoris wurde als weniger ausgebildeter Auswuchs eines Penis beschrieben – und das bis ins 20. Jahrhundert. So sah man

den weiblichen Körper oft als etwas, das weniger hatte als das männliche Gegenstück. Der deutsche Wissenschaftler Georg Ludwig Kobelt war 1844 der Erste, der nicht nur äußere, sondern auch innere Teile der Klitoris zeichnete. Aus unbekannten Gründen wurde aber 1948 in der 25. Ausgabe von Gray’s Anatomy, dem medizinischen Standardwerk für Anatomie, die Klitoris aus allen Abbildungen gelöscht. War sie zuvor nur nicht korrekt abgebildet gewesen, verschwand sie nun ganz. Auch heute noch fehlt dieses Organ in vielen Büchern und Abbildungen. Erst 1998 wurde die Klitoris in voller Größe und mit all ihren inneren und äußeren Bestandteilen vollständig in einer Publikation der australischen Urologin Helen O’Connell abgebildet. Dass die Klitoris oft ignoriert wurde, hat einen offensichtlichen Grund: Sie hat keinen Einfluss auf die Fortpflanzung. 1904 erklärte Sigmund Freud, dass es zwei Arten von weiblichen Orgasmen gäbe. Zum einen den klitoralen Orgasmus, welcher unreif sei und überwunden werde, wenn ein Mädchen zur Frau wird, und zum anderen den vaginalen Orgasmus. Obwohl mit dieser Unterscheidung verschiedene Stellen der Stimulation bezeichnet werden können, ist in beiden Fällen die Klitoris betroffen – nur eben einmal an der außen liegenden Eichel und einmal an den Nervenenden in den Vaginalwänden. Unsere Gesellschaft bezeichnet die Vagina als Gegensatz zum Penis – was schlichtweg falsch ist. Der Begriff »Vagina« bezeichnet eigentlich nur

KUNST & KULTUR

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