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Ja, alles bestens: Notlügen und Ausreden Franz Hohler, Susanne Mathies Heinrich Roller
from orte 212
Ja, alles bestens: Notlügen und Ausreden
Franz Hohler
Liebe Redaktion Ich wollte euch einen Beitrag zum nächsten Heft schicken, aber es ist mir etwas Dummes passiert. Ich hatte ihn handschriftlich im Zug von Innerferrera nach Zürich geschrieben, habe ihn dann zu Hause auf meinem Laptop abgetippt, und als ich das word.doc extern sichern wollte, also auf meinen Stick laden, begann das Windrad so lang zu drehen, bis ich eine Notabschaltung machte, den Stick rauszog und dann meinen Laptop neu startete. Als erstes erschien ein Menetekel auf meinem Bildschirm: «Sie haben Ihren Computer infolge eines Problems unter Missachtung des normalen Wegs abgeschaltet. Leider sind dabei alle Dateien verloren gegangen.» Zum Glück, dachte ich, hab ich ja meinen Stick mit den externen Sicherungen, steckte ihn ein, worauf ein knisternder Funke aus der Buchse des Laptops schoss und sich der Stick dunkelrot zu verfärben begann. Schreckensbleich zog ich ihn heraus und verbrannte mir dabei zwei Finger der linken Hand. Mein IT-Supporter, den ich sofort anrief, war in den Ferien, und da ich euren Redaktionsschluss schon verpasst hatte, schrieb ich meinen Entwurf von Hand mit einigen Verbesserungen ab, zerknüllte ihn und warf ihn in den Abfallsack, den meine Frau gerade zuschnürte. Die Reinschrift steckte ich in ein Couvert, adressierte und frankierte es, ging damit zum Briefkasten bei der Post und warf es ein. Nach einer Stunde, in der ich verzweifelt versuchte, das Back-up meines Laptops zum Leben zu erwecken, ging ich kurz raus, um mir bei Denner ein Six-Pack Bier zu holen. Als ich an der Post vorbeikam, war dort die Feuerwehr und versuchte, den Briefkasten zu löschen, aus dem Flammen schlugen. Ein schwarzer Qualm mit einem beissenden Geruch lag über der Strasse. Was hier los sei, fragte ich einen Feuerwehrmann, der sich an einem Hydranten zu schaffen machte. «Briefkastenbrand, Sendung explodiert», sagte er kurz, «bitte wegtreten!» Ich rannte zurück zu meinem Haus, wo gerade der Abfallwagen vorgefahren war und die Müllmänner, die mir fröhlich zuwinkten, unsern Sack mit meinem Entwurf im Schlund des Wagens versenkt hatten. Als der Wagen langsam zum nächsten Haus weiterfuhr, blieb ich am Gartentor stehen und wusste, dass es sinnlos war, den Text zu rekonstruieren, er würde euch auf keinen Fall erreichen. Dieses Mail schreibe ich auf dem Computer meiner Frau und grüsse euch alle zerknirscht, aber hochachtungsvoll, Franz Hohler
Susanne Mathies
Wahrheit und Lüge
Er fiel vom Dach. Die Wahrheit ist grauenhaft, dachte Daniel, als die Regenrinne an ihm vorbeisauste, gefolgt von den vertrockneten Geranien auf Frau Meiers Balkon, er fiel ungeschickt breitbeinig mit ausgestreckten Armen, hechtete nicht – wie er es sich vorher ausgemalt hatte – mit einem eleganten Kopfsprung in die Häuserschlucht. Genau genommen war es natürlich auch keine Häuserschlucht, musste er sich eingestehen, während ihm vom Wäscheständer im dritten Stock ein paar gestreifte Handtücher zuwinkten, eine vierspurige Strasse zwischen vierstöckigen Häusern gab bestenfalls einen tiefen Graben ab, Graben wie Grab, er wunderte sich, wie langsam die Zeit verging, jetzt war er erst am zweiten Stock angelangt, die Eglis mussten unbedingt mal ihre Jalousien reparieren lassen, nun fehlten nur noch der erste Stock und das Hochparterre, er würde wohl genau zwischen Zimmerlis offenem Küchenfenster und den Müllcontainern landen. Landen war so ein freundliches Wort, schoss ihm durch den Kopf, als er am letzten Sims vorbeikam, zwei aufgepumpte Reifen auf einem Rollfeld, jetzt noch durch den Duty Free und die Zollkontrolle, dann nach Hause, aber das gab es nicht mehr, jetzt würde er gleich hinknallen, zerknallen … Rummmms. Quietsch. Rumpel. Er rang nach Luft. Der Rücken tat ihm weh, und er wunderte sich, dass er noch am Leben war. Da hatten doch wieder irgendwelche Asozialen ihr kaputtes Mobiliar vor dem Müllcontainer deponiert, auch den Matratzenstapel, auf dem er jetzt lag. Vorsichtig setzte er sich auf. Es schien noch alles zu funktionieren. «Alles in Ordnung mit Ihnen?», fragte Frau Zimmerli und lehnte sich weit aus ihrem Küchenfenster.
«Ja, alles bestens», sagte Daniel. «Ich wollte nur die Antenne reparieren.» Eine glatte Lüge. In seinem Abschiedsbrief stand, dass er sich das Leben nehmen wollte, weil Eva, seine Ehefrau, ihn nicht mehr liebte. «Dann sind Sie also gestolpert? Ausgerutscht?», fragte Frau Zimmerli. «Ja, ausgerutscht.» Noch eine Lüge. Eva hatte ihn rücklings vom Dach gestossen. Seinen Abschiedsbrief hatte sie offenbar nicht gelesen, möglicherweise gar nicht gefunden, in der Küche hielt sie sich ja eher selten auf, daran hatte er gar nicht gedacht. «Da haben Sie aber Glück gehabt!», rief Frau Zimmerli. «Ja, ich bin ein Glückspilz!», antwortete Daniel, und das war höchstens teilweise wahr. «Fühlen Sie sich gut? Haben Sie sich wirklich nichts gebrochen?» «Nein, nichts.» Das stimmte natürlich nicht, sein Herz war gebrochen, aber das ging Frau Zimmerli schliesslich nichts an. «Hoffentlich hat Ihre Frau nichts davon mitbekommen, die hätte sich ja zu Tode erschreckt!» «Ich werde es ihr schonend beibringen.» An manchen Tagen war es einfach nicht möglich, die Wahrheit zu sagen.
Heinrich Roller
Der vergessene Bräutigam
Frau X., noch eine von den stolzen Gnädigen, Bekam die Liebschaft ihres Mädchens satt, Und mietete sich drum ein ander Mädchen, Was, wie es sagte, kein Verhältnis hat.
Jedoch bereits am ersten Abend Sie einen Grenadier erblickt, Der, in der Küche sich erlabend, Sich schnell in einen Winkel drückt.
«Was?», ruft sie, «also, Karoline, Du hast doch einen Bräutigam?» «Ich? – nee!» ruft diese mit naiver Miene, «Ick habe keenen Schatz, Madam!»
«Was? willst du leugnen, wo ich ihn entdecke? Das ist doch frech gelogen – in der Tat! Da steht er ja, da hinten in der Ecke, Und isst sich wohl an unserm Braten satt?»
«Wat?» ruft Karoline; «Eiherrjechen? Nanu – wie kommt denn der dahin? – Der muß wohl noch vons vor’ge Meechen Dahinten stehn jeblieben sin?!»