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Woher kommen die Apenzeller Witze?

Der Appenzeller Witz ist uralt, nur fehlen vielfach schriftliche Quellen. Verbrieft aber sind schlagfertige Reaktionen bereits im 15. Jahrhundert, eine Zeit, die geprägt war von Streitigkeiten mit den Äbten von St. Gallen als Eigentümer vieler Ländereien zwischen Bodensee und Säntis. Die Richtlinien für alle Lebensbereiche gaben die mit harter Hand regierenden Klosterherren vor. Um- und durchgesetzt wurden sie von Vögten, deren Selbstherrlichkeit und Eigennutz zu Gegenreaktionen seitens der Appenzeller führten. Verbale Reaktionen vorerst, dann aber gefolgt von handfesten Auseinandersetzungen mit Waffengewalt. Auch nach den siegreichen Schlachten der Appenzeller bei Vögelinsegg (1403) und am Stoss (1405) waren die Differenzen zwischen den St. Galler Äbten (zur Zeit der Freiheitskriege war Abt Kuno von Stoffel am Ruder) und den Appenzellern keineswegs bereinigt. Besonders verhasst war der 1463 eingesetzte Klostervorsteher Ulrich Rösch, dessen Geiz und Raffsucht grenzenlos war, was den Druck auf die Appenzeller Landleute weiter steigerte. Sie nannten ihn spöttisch «de bschissen Uoli», und mit Sicherheit war er immer wieder Zielscheibe witzig-gehässiger Sprüche. Bereits nach 1403/05 suchten die Appenzeller bei den Eidgenossen Hilfe gegen den von den Habsburgern unterstützten Abt. In der Folge nahm die damalige Eidgenossenschaft Appenzell 1411 ins Burg- und Landrecht auf (das Land war nun zugewandter Ort und somit Beitrittskandidat), ehe dann 1513 die endgültige Aufnahme des damals noch ungeteilten Landes Appenzell als 13. Vollmitglied in den Bund der Eidgenossen erfolgte. Die Teilung ins katholische Inner- und reformierte Ausserrhoden wurde 1597 besiegelt.

Der verhasste Vogt von Schwende

Eine der alten Erzählungen befasst sich mit dem Spannungsfeld zwischen den St. Galler Äbten und den Appenzellern, die – wie erwähnt – von Vögten als Ausführende der äbtischen Direktiven die kleinen Leute nach Strich und Faden drangsalierten. Auch der verhasste Vogt von Schwende gehörte dazu.

I de Schwendi – e Schtond hender Appezell – ischt e Schloss vommene Vogt gschtande, wo d Lüüt eelend ploget häd.

Bim schöne Wetter ischt er fuul vor sim Turm gkhocket, ond nebet emm hand zwee riisegi Wolfshönd knuret ond ggaaferet. Fascht jede Tag isch dei e-n-arms Büebli vebii, wo mitere Taase häd möse i d Alp gi Schotte hole. De Vatter ischt en afache Beck ond Müller im Rachetobel gsii, ond d Mueter häd zo de groosse Famili glueget.

Amme Tag frooget de Vogt de Bueb, wa d Eltere machid. De Bueb seid: «De Vatter bachet ehggesses Brot, ond d Mueter macht bös uf bös.» De Vogt wott wisse, wa da z bedüütid hei. «Jo ebe, de Vatter vebachet Mehl, wo-n-er nöd häd köne zale, und d Mueter flickt verupfti Hose ond Hemper mit alte Lömpe», gid s Büebli zuer Antwort. «Woromm machids daa?» Do määnt de Bueb: «Wil du üüs alls Geld schtilscht!»

Etz wierd de Schlossherr veruckt ond treut em Junge, as er emm d Hönd noijagi, wenn er nomol aseweg e frechi Antwort gäb.

De Bueb ischt hamm ond häd em Vatter alls vezellt.

Dä häd Rot gwisst: «Los, legg d Taase s nöchschmol z onderschüberschi aa ond tos s Möhrli, üseri jung Katz, drii. Ond wennder de Vogt bös will, züchscht am Teckel.»

Ond wider isch de Bueb am Schloss vebii. Ond wider isch de Vogt veruss gkhocket ond häd de Jung zuer Red gschtellt. «So, du keibe Schnudernasli, kasch mer o säge, öb d Ägeschtevögel meh wiissi oder schwarzi Federe hand?» «Meh schwarzi», seid de Bueb. «Woromm?»

«Wil d Zwingherre wie duu meh mit em Tüüfel als mit de Engel z tänd hand!» Etz vetaubet de Vogt ond lood d Hönd los. Tifi zücht de Bueb de Taaseteckel, ond s Möhrli isch wie s Bisiwetter uf ond devo.

D Hönd sönd de Katz no. De Bueb lachet ond lauft wädli em Rachetobel zue. De Vogt fluechet, packt de Schpiess ond schpringtem no. Wo-n-eren fascht iigkholt häd, lood de Bueb d Taase gkeie. De Vogt schtolperet drüber, wörft de Schpiess ond trüfft de Jung am Baa. Dä hülpet hamm ond vezellts de Eltere.

E Halbschtond schpööter marschiert de Vatter mit bewaffnete Manne geg s Schloss. Aber de Vogt ischt uuf ond devo, ond er isch no nöd emol uf em Fänereschpitz obe gsi, wo-n-er sächt, wie s Füür überal zom Schloss usiflacket.

Am 17. Juni 1405 hand d Krieger vom Sanggaller Abt ond d Habsburger de böckige Appezeller wele zaage, wo de Bartli de Moscht holet. Sü sond vo Altstätte ufwärts gritte ond gmarschiert, ond am Stooss obe hands aagriffe. Es isch zonnere bööse Schlacht gko, wo d Appezeller gwonne hand. En Huffe vo de Äbtesche ond de Habsburger Ritterslüüt hand s Lebe velore. Ond am Oobet häd me onder de Tootne o de Vogt vo Schwendi gfonde.

Taase: Rückentrage für Milch, Schotte, Wasser

Schotte: Molke (Abfallprodukt beim Käsen) treut: droht z onderschüberschi: verkehrt

Schnudernasli: Lümmel

Ägeschtevögel: Elstern z tänd hand: zu tun haben vetaubet: wütend geworden tifi: flink hülpet hamm: hinkt heimwärts

Fänereschpitz: Hügel ob Brülisau

Touristen machten den Witz bekannt

Fast epidemieartig verbreitete sich der Appenzeller Witz mit dem Aufkommen des Fremdenverkehrs ab den 1750er-Jahren. «Die Appenzeller geniessen gemeinhin den Ruf, ein witziges Volk zu sein», schreibt der Innerrhoder Germanist und Historiker Peter Faessler (1942 –2006) in seinem 1983 im Nebelspalter-Verlag erschienenen Buch «Appenzeller Witz und arkadische SchweizIdyllik». Faessler weiter: «Das Appenzellerland als Arkadien. Dieses Charakterbild ist vorab eine Schöpfung des 18. Jahrhunderts, welches dem Gebirgsvolke höchst günstig gesinnt war. Nach Einschätzung des Gelehrten

Christoph Meiers (1747 – 1810), eines deutschen Reiseschriftstellers von Ruf, sind die Appenzeller die Lieblinge der ganzen übrigen Schweiz, die allenthalben bewundert und von den vaterländischen Dichtern als das freiste, glücklichste und geistreichste Hirtenvolk gepriesen werden.»

Arkadien und Appenzellerland. Die geographisch weitgehend isolierte griechische Provinz Arkadien wurde von Romantikern bereits vor Jahrhunderten zu einer heilen Welt verklärt. Eine Welt, wo Menschen frei von mühsamer Arbeit und gesellschaftlichem Anpassungsdruck in einer idyllischen Natur als zufriedene Hirten lebten. Arkadien wurde zum Sehnsuchtsort. Und genau dieser Mythos wurde ab dem 18. Jahrhundert auf das Appenzellerland übertragen, wo angeblich zufriedene, freiheitsliebende, stets gutgelaunte, sangesfrohe und witzige Leutchen in einer unberührten Landschaft lebten. Damals verfassten Schweizer und deutsche Reiseliteraten schwärmerische Berichte über das voralpine Hügelgebiet, die von einer breiten Leserschaft förmlich verschlungen wurden und eine Welle der Sympathie für das Appenzellerland auslösten.

Bibel der AppenzellerlandBegeisterung

Prominent erwähnt Faessler den deutschen Arzt und Schriftsteller Johann Gottfried Ebel (1764 – 1830) aus Preussen, der sich in besonderem Masse in den Bann von Landschaft und Volk ziehen liess: «Alle überlieferten

Lobreden münden schliesslich in Ebels ‹Schilderungen der Gebirgsvölker der Schweitz› (erschienen 1798). Das Buch galt als Bibel der Appenzellerland-Begeisterung im 19. Jahrhundert schlechthin.» Im erwähnten Buch rühmt Ebel: «Der Appenzeller ist lebhafter, munterer, scherzhafter, witziger und geistreicher als alle seine Nachbarn. Überall erschallen Appenzells Gebirge von freudigem Jauchzen und einem eigenen Geschrei, was sie jolen nennen. Als ich zum ersten Mal dieses Land betrat und von allen Seiten jauchzen hörte, wohlgekleidete Menschen im lachenden Grün der Wiesen hüpfen und sich freuen sah, glaubte ich auf einer der glücklichen Inseln zu seyn, wovon sich ein Schatten im Südmeere befindet.»

Der Schlagfertigkeit der Bevölkerung windet Ebel ein besonderes Kränzchen: «Die Appenzeller stellen sich gerne einfältig und dumm. Wenn ihre Gegner, da- durch dreist gemacht, ihren Spöttereien freien Lauf lassen und sich schon triumphierend sehen, so ergreift der schlaue Appenzeller die scharfe Waffe seines Witzes und vernichtet seinen Feind, indem er ihn zum Gelächter der ganzen Gesellschaft macht.» Im erwähnten Buch sind zudem Witz-Kostproben wie etwa diese aufgeführt: Ein Geistlicher fragt in der Kinderlehre: «Was haben Joseph und Maria mit sich genommen, als sie sich auf die Flucht begaben, um der Verfolgung durch Herodes zu entgehen?» Antwortet ein Innerrhoder Bub: «I wääss es nüd, i bi halt bim Uuspacke nüd debei gsee.»

Und Ebel weiter: Professor Johann Jakob Bodmer (Zürcher Literat, 1698 – 1783) macht mit Begleiter N. eine Reise zu Pferd durch Appenzell. Sie kommen an ein Gatter, welches den Weg verschliesst. «Mach auf, Junge!», ruft N. dem dort stehenden Knaben zu. «He, ich muss erst wissen, wer ihr seid», erwidert er. «Ich bin N., und der da ist ein Professor.» «Was ist ein Professor?», will der Bub wissen. «Nun, das ist ein Mann, der alles kann.» «O, da braucht ihr mich doch nicht, dann wird er auch den Gatter öffnen können», tönt es schlagfertig zurück.

Ebel liebte das Appenzellerland ehrlich, was er im schrecklichen Hungerjahr 1816 bewies und Historiker Walter Schläpfer im Buch «Geschichte von Appenzell Ausserrhoden» belegt: «Der alte Appenzellerfreund Johann Gottfried Ebel sandte zweimal Beiträge für die armen Gemeinden Urnäsch, Hundwil, Schwellbrunn und Rehetobel, ferner für die Hagelgeschädigten im Hinterland.»

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