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Der Appenzeller Witz

«Lachen ist die beste Medizin» oder eben «Lache isch di bescht Medizin». Die Wahrheit dieser uralten Volksweisheit belegen verschiedene Studien: Herzhaftes Lachen verbessert die körperliche und psychische Gesundheit, beeinflusst den Blutzuckerspiegel und Blutdruck positiv, lindert Schmerzen und hilft bei Depressionen, Angst und Stress. Folglich gibt es Lachseminare und ähnliche Angebote, die das Lachen fördern. Erfolgreiche und kostenlose Alternative zum gruppentherapeutischen Lachen ist die Wanderung auf dem Appenzeller Witzwanderweg oder das gemütliche Verweilen in einer heimeligen Wirtschaft, wo eine gesellige Runde von Appenzellerinnen und Appenzellern am währschaften Tisch höckelt, witzelt und immer wieder in Gelächter ausbricht. Die gelebte Tradition wurde mit dem Witzwanderweg in den Fokus gerückt, was dem Appenzeller Witz 2012 einen Platz auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes sicherte.

«Der Appenzeller Witz ist eigentlich so alt wie die Freiheit des Landes, als sich die Appenzeller im 15. Jahrhundert aus der Untertänigkeit der Äbte des Klosters St. Gallen zur Eigenständigkeit emporrangen», schreibt Volkskundler Alfred Tobler in seinem Buch «Der Appenzeller Witz». Weit über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt wurde der Appenzeller Witz allerdings erst mit der ab 1750 einsetzenden touristischen Entwicklung. In der grünen Hügelwelt zur Erholung weilende Gäste aus der Schweiz und Deutschland ergötzten sich über die verblüffenden Reaktionen der kleinen Leute, die jede

Provokation der «Grossen» schlagfertig und punktgenau parierten. Ein Beispiel: Im legendären Molkenkurhotel Ochsen in Gais pfiff eine junge Kellnerin bereits frühmorgens während der Arbeit ein munteres Liedchen. Ein griesgrämiger deutscher Gast reagierte ausgesprochen übellaunig und meinte zurechtweisend: «Bei uns pfeifen nur die Stallknechte!» Antwortete die junge Gääserin lachend: «Ond bi öös die, wo’s chönid!» («Und bei uns diejenigen, die es können!»)

David gegen Goliath

Und was ist ein guter Witz? Fast immer geht es um die vermeintliche Überlegenheit des «Grossen» gegenüber dem «Kleinen», der mit einer träfen Antwort obsiegt wie im Beispiel der Kellnerin, die den Provokateur in aller Kürze in die Schranken weist. Die Gaiser Begebenheit liegt auf der Linie des Urwitzes, für den die biblischen Gegenspieler Klein-David und Gross-Goliath sorgten: Der siegesgewisse Riese fordert den Kleinen mit einer abschätzigen Bemerkung heraus und freut sich diebisch auf dessen Niederlage. Zur grossen Überraschung der Zuschauer aber bodigt David den Herausforderer, der nach seinem Misserfolg dem Spott und der Schadenfreude der Zuschauer preisgegeben ist. Im übertragenen Sinn hat sich an diesem Vorgang bis heute nichts geändert. Nur ist an Stelle von Davids Steinschleuder die verbale Schlagfertigkeit der Appenzeller getreten. Ein provozierendes Grossmaul erhält vom vermeintlich Schwächeren reflexartig eine Antwort, die den

Herausforderer schachmatt setzt. Natürlich gibt es viele weitere Witz-Definitionen. Jetzt aber genug des Theoretisierens. Überlassen wir das Wort den drei humorvollen Wirtinnen, die alle im nächsten Umfeld des Witzwanderweges tätig waren und fast täglich Appenzeller Schlagfertigkeit an den Tag legten. Ihre verbalen Reaktionen sorgten für gute Laune und waren damit vollauf dem Motto «Lachen ist die beste Medizin» verpflichtet. Und weil der Appenzeller Witz immer auch vom Dialekt lebt, werden die Geschichten teilweise in der Kurzenberger Mundart erzählt (der Kurzenberg umfasst das östliche Appenzellerland über dem Bodensee und Rheintal, wo der Appenzeller Witzwanderweg verläuft).

Drei schlagfertige Wirtinnen

Die Namen dreier unvergessenen Wirtinnen beginnen alle mit E: Elsi, Else und Ella. Der Buchstabe E trifft bei allen für Weiteres zu: Sie führten einzigartige Erststockbeizen mit endgültig besiegeltem Ende. Geblieben aber sind Erinnerungen an gemütliche Einkehr-Stunden, aber auch an eloquente, empathische und emanzipierte, vor einigen Jahren in die Ewigkeit abberufene Frauen. Heimelige Gaststuben erweisen sich übrigens auch heute als idealen Nährboden für Schlagfertigkeit und Witz. Und Dummköpfe, Wichtigtuer und Prahler nehmen witzige Zeitgenossen mit Vorliebe ins Visier.

All drei Fraue sönd schlagfierti gsi ond nie uf s Muul gkeit. D Elsi Lutz häd i de appezellische Grueb de «Anker» gfüert. E heimeligi Wiertschaft, wo de grooss

Von links:

Elsi Lutz, «Anker», Grub.

Ella Schenk, Grütli, Oberegg. Else Messmer, «Säntis», Walzenhausen.

Bachofe dra erinneret häd, as früener o no e Bäckerei samt Lädeli zom Hus zmittscht im Dorf gkhört häd. Wo o wider emol de Rolf Bischof vo de sanggalische Grueb am Handwerker-Znüni nomme häd wele hööre blöd lafere, befilt d Elsi uf zmol: «So, fertig mit Pludere, etz langets!» ond seid wiiter: «Wenn dier d Tömmi weh tät, denn wärischt du de ganz Tag luut am Brööle!» D Schtammtischler hand glachet, ond de Schnori isch veschtillet ond abgschliche.

Ond etz i d Lache ob Walzehuuuse, wo d Else Messmer mit Herzbluet im «Säntis» gwiertet häd. Emol hand o drei Tütschi e-n-Iikehrli gmacht, wo vo Wolfhalde uf Walzehuuse gloffe sönd. «Na, hier sieht es aber sehr bescheiden aus, wir sind uns weit Besseres gewöhnt!», häd de eerscht glamentiert, wos a am Tisch ghocket sönd ond abschätzi ommenand ggaffet hand. O de Zweit häd en tomme Latz ghka ond seid: «Da sind wir doch tatsächlich hinter dem Mond gelandet, alles reichlich primitiv hier und total veraltet!» Denn häd si o no de Dritt veluute lo ond rüeft: «Na, gute Frau, jetzt kriegen wir aber was zu essen! Bringen Sie uns Suppe, aber dalli, dalli! Und füllen Sie die Teller bis zum Rand, Suppe gibt nämlich Verstand!» Etz schmöllelet d Else ond määnt: «Ase vill Suppe, wies bi eu drei wuer bruuche, ha-n-i weleweg nöd!» D Manne hands gad halbwegs veschtande, aber de Lächler Bott, de Ernst Sturzenegger, häd am Nebetisch die lengscht Zitt vor si here pfnutteret.

Zom Schluss is «Grütli» a de Schtrooss zwüschet Oberegg ond Heide, wos o all familiär zue- ond herggange-n-ischt. D Ella Schenk, wo sinnerzitt vo Dörflige im Schaffhuusische is Appezellerland zoge-n-ischt, häd si all guet möge wehre. Binere Jassrondi isch de Jogg Breu gkhöri am Bralle gsii. Er häd tick ufgschnitte ond pralaaget, wiemme i de hüttige Zitt s Geld guet mös aalegge ond wie-n-er Erfolg hei im Akziegschäft. Er veschtändi halt näbis rond omms Geld ond hei all schöni

Erträg. Ond denn häd er zomme hööchgschtochne Schlusswort aagsetzt: «Ier Oberegger, Walzehüüsler ond Rüütiger Possli: Ier hand jo ka Ahni, wiemme uhni wäärche riich wierd!» blöd lafere, pludere: dumm schwatzen d Tömmi: die Dummheit luut am Brööle: laut am Weinen glamentiert: reklamiert weleweg: wahrscheinlich hands gad halbwegs: haben es nur teilweise

Wo-n-em d Ella die viert Fläsche Pier bringt, häd si e blaus Kassebüechli debi gkha. Si lueget em Finanzfachma i d Auge ond määnt: «So, riich? Denn wärs etz aber högschti Zitt zom d Pierschulde vo de letschte beide Mönet z zale, gell Joggeli!» Etz isch de Bralli veblaachet ond schtaggelet, as er uusgrechnet hütt de Geldseckel nöd debi hei. Denn ischt er ufgschtande ond fuert, ond s schadefroh Glächter häde bis a d Hustüer begleitet.

Zimmli henderenand sönd die drei berüemte Wiertinne gschtorbe: Zeerscht d Elsi vom «Anker» im 2011, denn d Else vom «Säntis» im 2012 ond zletscht im 2015 o no d Ella vom «Grütli». Ond mit dene Fraue sönd o ierni gmüetlege Wiertschafte für ali Zitte veschwunde.

Bott: Briefbote pfnutteret: verhalten gelacht wos o all: wo es auch immer pralaaget: geprahlt wiemme uhni wääche: wie man ohne zu arbeiten

Possli: kleingewachsene, einfältige Burschen

Bralli: Prahlhans, Grossmaul häde bis: hat ihn bis

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