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Ein Haus für die Wetterwarte
Nöödig Chemmi, zum Gamsloch, zur Bösegg und dann auf den Säntis.132 Ein alleiniger Aufstieg über die Chammhalde oder die Nasenlöcher wäre im Winter sehr gefährlich und ziemlich anstrengend. Deren Begehung ist, sofern kein guter Trittschnee vorhanden ist, nur mit Steigeisen und Pickel möglich. In den Akten werden solche Hilfsmittel nicht erwähnt, von Skiern ist jedoch mehrmals die Rede.
Die Zeit auf dem Säntis vor den Morden (16. bis 21.Februar)
Zu Kreuzpointners Ankunft auf dem Säntis ist man dank der Berichte der Ehefrau des Säntisträgers, Maria Theresia Rusch-Hersche (1870–1942), und eines Telegrafenbeamten des Telegrafenbüros St.Gallen informiert. Die Frau Wetterwart soll ihr am 19. Februar, an einem Sonntag, morgens um halb neun Uhr mitgeteilt haben, seit Donnerstag sei der Kreuzpointner bei ihnen oben, aber man dürfe es nicht sagen, er wünsche, dass es geheim gehalten werde. Sie dürfte Maria Theresia Rusch auch darauf aufmerksam gemacht haben, dass wegen des unvermutet auftauchenden Gasts mit der Zeit die Lebensmittelvorräte zur Neige gehen würden.133 Da er damals noch in seinem Bett gewesen sei, habe sie ins Tal, nach Wasserauen zur «Alpenrose», wohin die Telefonleitung ging, telefonieren können.134
Am darauffolgenden Tag, am 20. Februar, machte sie nach Abgang der mittäglichen Depesche weitere telegrafische Mitteilungen ans Telegrafenbüro St.Gallen. Da diese privater Natur waren, wurden sie durch den dort ausnahmsweise arbeitenden Dienstchef, Johann Schneider, nur mit dem Gehör entgegengenommen. Ein zweites, auch nur fragmentarisch vorhandenes telegrafisches Gespräch, fand tags darauf im Anschluss an die morgendliche Depesche statt. In der Wetterwarte waren auf dem Telegrammstreifen nur die Antworten aus St.Gallen vorhanden, wohl um eine allfällige Aufdeckung durch Kreuzpointner zu verhindern. Der Gesprächsanteil von Magdalena Haas war nur durch Unterbrechungsmarken ersichtlich.
Über den Wortwechsel gibt Schneiders Aussage vor der Staatsanwaltschaft des Kantons St.Gallen und die Mitteilung des Adjunkten der Meteorologischen Centralanstalt, Professor Alfred de Quervain, über dessen «Dechiffrierung von Depeschen auf dem Säntistelegraphen» Aufschluss. Um mehr über die Hintergründe der Ereignisse zu erfahren und aus Fehlern für die Zukunft zu lernen, sah es Letzterer als Vertreter der Vorgesetzten der ermordeten Eheleute als seine Pflicht an, eigene Untersuchungen anzustellen. Sein handschriftlicher Bericht, den er am 28. Februar 1922 den Polizeibehörden in Herisau übergab, wurde aber nicht wie vorgesehen an die Staatsanwaltschaft des Kantons St.Gallen weitergeleitet, sondern ge-
langte an die Polizeidirektion in Appenzell,135 die ihn nach St.Gallen herauszugeben verweigerte und einfach zu den Akten legte.136 Am 21. April 1922 verfasste er einen ergänzenden Bericht an die Centralanstalt. Darin beklagte er sich auch über die fehlende Mitarbeit der Behörden in Appenzell und St.Gallen bei der Rekonstruktion der Gespräche. Offenbar war der Fall für sie nach Kreuzpointners Suizid abgeschlossen.137 Es ist davon auszugehen, dass de Quervain von Schneiders Aussage keine Kenntnis hatte und deswegen auf dessen Befragung hartnäckig beharrte. Weil ihm nur der Wortlaut von St.Gallen zur Verfügung stand, stellte er zu jenem von Magdalena Haas Vermutungen an. Fazit: Er will in der Wetterwarte eine beunruhigende Situation erkannt haben. Sowohl Schneiders Aussagen als auch de Quervains Untersuchungen werden, weil sie von Wichtigkeit sind, im folgenden abgedruckt.
Erstes Gespräch Zeugenaussage von Johann Schneider, am 3. März 1922, im Kriminalgebäude in St.Gallen:138 Montag, den 20. Februar Abends etwas über 6 Uhr, als ich gerade im Begriff war, mein Bureau zu verlassen, meldete sich der Säntis. Ich nahm die Drahtmeldung nur phonetisch entgegen, da ich sah, dass es eine private Mitteilung sei. Es hiess hier Haas, ob es die Frau oder der Mann war, kann ich nicht sagen, da ich als Dienstchef nur die Aufsicht habe und nur ausnahmsweise an den Apparaten selbst arbeite, sonst ist es wohl möglich, von 2 Telegraphisten eines Ortes, die Personen nach dem Ton und Rythmus, wie sie auf den Apparaten spielen, also hier Mann oder Frau Haas genau von einander zu unterscheiden. Das Telegramm, das ich nur mit dem Gehör entgegen nahm, lautete weiter: Es sei droben bei ihnen seit Donnerstag, den 16. Februar, ein Gregor Kreuzpointner; es sei ihm verdächtig, dass er nicht mehr hinabwolle; er habe zur Ausrede das Wetter sei nicht günstig; aber da er ein guter routinierter Skifahrer sei, erscheine das als blosse Ausflucht. Ich schlug sofort das Adressbuch auf, fand den Namen und beschloss, ihm nachzufragen. Ich dachte, er könnte hier etwas begangen haben und sei nun flüchtig. Nach dem Säntis berichtete ich, dass ich andern Morgens Bericht erstatten wolle. Noch gleichen Abends erkundigte ich mich über Kreuzpointner bei Feusi [Johann Kaspar FeusiDrittenbass, vorheriger Inhaber von Kreuzpointners in Konkurs geratenem Geschäft – Anm. d. Verf.], fragte, wo dieser sich befinde. Feusi antwortete, ziemlich sicher im Weissbad. Feusi erzählte dann, dass Kreuzpointner sein Geschäft gekauft habe, Geld von seiner Braut erhielt, die aber das Verhältnis gelöst habe, dass Kreuzpointner dann in Konkurs gekommen und jetzt ohne Arbeit sei.