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KI: Keinerlei Intelligenz

(überzufällig wahrscheinlich) in die gewünschte Richtung geht. Empirische Erkenntnisse beschränken sich allerdings auf Beobachtbares und haben eine kritische Störgröße: den Confounder. Nicht immer ist die beobachtbare Wenn-dann-Beziehung kausaler Natur, auch wenn sie konsistent und immer wieder in gleicher Weise beobachtet werden kann. Der Zusammenhang kann vorgetäuscht werden durch eine weitere Größe, den Confounder, der bei Anwesenheit/Abwesenheit auf beide beobachtbaren Phänomene einwirkt. Leider gibt es keine systematische Strategie, im Rahmen einer Beobachtung einen möglichen Confounder gezielt dingfest zu machen, ja nicht einmal zu erkennen, ob ein Confounder im Spiel ist oder wie viele und welche.

Ob ein Zusammenhang tatsächlich kausal ist, lässt sich allerdings in aller Regel durch eine dafür entwickelte Methodik belegen, und, wenn die Ergebnisse reproduzierbar sind, zunehmend erhärten (vulgo beweisen), nämlich durch experimentelle vergleichende Forschung mit zufälliger Gruppenzuordnung (randomisiert kontrollierte Studie). Dabei wird die Versuchsanordnung so gestaltet, dass bestimmte (offene Studie oder Verblindung bestimmter Beteiligter) oder alle (Verblindung aller Beteiligten) Confounder ausgeschlossen werden können, ohne dass man diese kennen oder gar benennen können muss.

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Empirische Erkenntnisse geben wichtige Hinweise darauf, ob eine sich prima vista anbietende Spur „heiß“, „warm“ oder „kalt“ sein könnte. Sie sind deshalb eine entscheidende Determinante für die Priorisierung von Fragestellungen, die sich nicht schlüssig mit den Mitteln der Empirie selbst beantworten lassen (als Beispiel für letztere Situation wird etwa die Untersuchung der Fragestellung angeführt, ob beim Fallschirmspringen ein Fallschirm zwingend erforderlich ist).

Wenn-dann-Konstellationen sind übrigens auch das Kerngeschäft jedes Programmierers. Programme sind ja Konstrukte, die ein „Dann“ ausführen, wenn ein „Wenn“ passiert. Ein Konstrukt von solchen Wenndann-Verknüpfungen, die zu einem Ergebnis führen, hat einen Namen: Algorithmus. Und damit wären wir in diesem kurzen Abriss der Menschheitsgeschichte endlich im Jahr 2023 angekommen: beim Hype um die sogenannte „künstliche Intelligenz“. Anders als beim klassischen Programmieren handelt es sich nicht um „fertige Programme“, sondern um Programme, die aus den eigenen Fehlern lernen können, also die eigenen Ergebnisse (empirisch) einer Wenndann-Analyse unterziehen. Sie seien

„lernfähig“, heißt es. Im Gegensatz zu einem menschlichen Wesen, dem die ganze Welt offen steht und das deshalb auch jede neue, unerwartete, zum allerersten Mal auftretende Beobachtung in ein neues Wenn-dannSzenario integrieren kann, können KI-Systeme nur auf das zurückgreifen, was ihnen zur Verfügung gestellt wurde. Und das sind selbst wieder empirische Erkenntnisse, zudem aus Datenquellen, für oder gegen die sich der Programmierer entscheiden muss. Es liegt also im Ermessen des Programmierers, an den Grenzen seines eigenen Horizonts und nicht zuletzt am Zeitpunkt, an dem diese Entscheidung getroffen wurde, was der KI zur Verfügung gestellt wird. Ausgehend von der Definition von Intelligenz des Dudens („Fähigkeit [des Menschen], abstrakt und vernünftig zu denken und daraus zweckvolles Handeln abzuleiten“) müsste KI wohl eher für „Keinerlei Intelligenz“ stehen. Die Möglichkeiten der KI beschränken sich nämlich auf das Abrufen der zur Verfügung gestellten Daten und Fakten. KI ist deshalb ein tolles Instrument für das Lösen von Kreuzworträtseln oder auch für medizinische Prüfungen, nicht aber für abstraktes, vernünftiges und zweckvolles Neues. Denn KI könnte nur dann Neues schaffen, wie z.B. Einstein die Relativitätstheorie, wenn der Programmierer dahinter Einsteins bahnbrechende Wenn-dann-Verknüpfung „vorausgedacht“ hätte. Dann wäre er aber mit dem Nobelpreis deutlich besser bedient als mit dem Gehalt eines Programmierers …

Soweit zu den Grenzen, jetzt zu den Risiken: In Zeiten, in denen sich die Informations-Empirie immer mehr in Blasen abspielt, selektive Wahrnehmung und „alternative facts“ im Vormarsch sind, wird KI diese Trends verstärken – und immer besser maskieren, bis wir das Original nicht mehr von der Fälschung unterscheiden können. Dann braucht es allerdings wirklich unsere menschliche Intelligenz, damit wir uns nicht selbst zugrunde richten.

Bersichtsarbeit

Arexvy – der erste Impfstoff gegen die RSV-Infektion bei älteren Erwachsenen 72 Brigitte Söllner

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