Connecting Leaders

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Genau wie Dörfer und Städte können Firmenzentralen nicht nur Infrastruktur und Schutz, sondern auch Identität und Wurzeln bieten. Der renommierte Architekt Sir David Chipperfield und Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, trafen sich in dem von Chipperfield entworfenen Galeriehaus am Kupfergraben in Berlin. In den Räumen der Contemporary Fine Arts Galerie – gegenüber dem von Chipperfield meisterhaft rekonstruierten Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel – sprachen sie darüber, wie Architektur zur Förderung unternehmerischer Ziele beitragen kann; und das in einer Zeit, in der sich Wertvor­ stellungen und Bedürfnisse ändern und Identitäten unbeständig sind. Zusätzlich an Spannung und Relevanz gewann das Gespräch durch den Umstand, dass das Verlagshaus Springer sich mitten in einem Designwettbewerb für einen ambi­ tionierten „New Media Campus“ in Berlin befindet – mit der Zielsetzung, seine unterschiedlichen journalistischen Bereiche aus traditionellen und neuen Medien zusammenzuführen.

Schon immer haben Unternehmen mit ihren Gebäuden auch den Geist zum Ausdruck bringen wollen, der innen herrscht – von betont schlichter Bescheidenheit über schnörkellose Modernität mit klaren Linien und glatten Fronten bis zu aufwendigen Prunkbauten. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass umgekehrt Ästhetik und Design auch einen starken Einfluss auf den Umgang miteinander und auf die Kultur in einem Unternehmen haben können. S i r D a v i d C h i p p e r f i e l d : Ich beobachte, dass wir in Zeiten leben, in denen Führung vor allem die Aufgabe hat, Risiken zu minimieren, indem sie sich an Zahlen hält. Das macht es schwieriger, den weniger messbaren Faktoren des Lebens eine Stimme zu verschaffen. Das ist eine der Herausforderungen, denen sich die Architektur – wie übrigens der gesamte Kulturbereich – stellen muss. Heutzutage bewertet man ja sogar Museen anhand ihrer Besucherzahlen; im Grunde wird alles in Zeit und Geld gemessen. Doch für das Abstrakte haben wir keine Maßeinheit. Es gibt keine Methode, mit der wir ausdrücken könnten: „Zahlenmäßig waren es zwar nicht so viele Besucher, doch die, die kamen, waren tief beeindruckt!“ Es lässt sich einfach nicht messen, welche Eindrücke man in jemandes Gehirn hinterlassen hat. Möglicherweise hat man das Leben von zehn Museumsbesuchern verändert, und vermutlich ist das sogar das Wesentliche – doch wann ist davon je die Rede? In der Architektur sollten wir uns eigentlich immer an den drei Dimensionen Zeit, Geld und Qualität orientieren, und jedes Projekt sollte jeder dieser Dimensionen gleichermaßen gerecht werden. Doch allzu oft werden zunächst ehrgeizige Vorhaben auf die Faktoren Zeit und Geld reduziert und verflachen damit. Qualität hingegen ist nicht absolut, und es ist sehr schwierig, den weniger leicht quantifizierbaren Aspekten ausreichend Beachtung zu verschaffen. Mathias Döpfner:

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Sir David Chipperfield

Mathias Döpfner

Da stimme ich Ihnen zu. Ich glaube, gerade heute, im Zeitalter der Digi­ talisierung und angesichts riesiger Datenmengen, erliegen wir zunehmend dem Trugschluss, alles sei komplett quantifizierbar – und jede Entscheidung könne anhand messbarer Kriterien getroffen werden. Doch wenn Zahlen und Mess­bar­ keit die einzigen Grundlagen für eine Entscheidung darstellen, ist die Wahrscheinlichkeit einer Fehlentscheidung ziemlich hoch. Ich habe das in meiner beruflichen Laufbahn mehrmals festgestellt. Eigentlich bräuchten wir Fürsprecher für qualitative Faktoren, wie etwa die Architektur. Wir spüren, dass es dringend notwendig ist, eine neue Unternehmenskultur zu entwickeln, die die Mitarbeiter der alten und der neuen Medien zusammenbringt – Menschen mit sehr unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, Lebensstilen und Arbeitsweisen. Deshalb planen wir ein neues Gebäude. Natürlich könnte man die Frage stellen, wozu wir in der Zeit der digitalen Ökonomie überhaupt ein neues Gebäude brauchen. Heute lässt sich im Prinzip alles von zu Hause aus erledigen, und niemand benötigt einen Arbeitsplatz im herkömmlichen Sinne. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass eine Neudefinition von Arbeit und Arbeitsraum, ein attraktives, neu gestaltetes Arbeitsumfeld die Menschen zusammenbringen kann. Wir sehen das neue Haus auch als ein konkretes Beispiel für den Ansatz, Unternehmenskultur mithilfe eines ästhetischen Projekts zu verändern. C h i p p e r f i e l d : Unsere Generation ist mit der Annahme aufgewachsen, Architektur sei ein „Change Agent“, ein Katalysator. Sie ist es aber nicht per se. Wer nur das Fassadenmaterial auswechselt und vielleicht ein paar Fenster neu platziert, bewirkt damit gar nichts. Wirklich etwas verändern kann man nur, wenn man an die Substanz eines Gebäudes geht – und dazu braucht es, genau wie Sie sagen, den bewussten Wunsch nach Veränderung. Mir ist aufgefallen, dass sich in Deutschland hauptsächlich mittelständische Unternehmen intensiv mit ihrer Unternehmenskultur auseinandersetzen. Es beeindruckt mich sehr, wie viel Geld und intensive Überlegungen sie in langfristige Vorhaben, wie zum Beispiel klug konzipierte Firmengebäude, investieren. Das ist in anderen Ländern in dieser Ausprägung nicht zu finden. Döpfner:

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