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Åsmund Asdal, Koordinator des Svalbard Global Seed Vault (SGSV).

Wie sicher ist unser Saatgut im ewigen Eis, Herr Asdal?

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Der „Svalbard Global Seed Vault“ ist der größte Saatgut-Tresor der Welt. In einem ehemaligen Braun- und Steinkohlestollen tief unter der Erde, im Permafrost von Spitzbergen, werden Saatkörner der wichtigsten Lebensmittel eingelagert. Ob Reis aus Indien, Amaranth aus Ecuador oder Tomaten aus Deutschland: Im Krisen- oder Katastrophenfall kann verloren gegangenes Saatgut ausgeliefert und nachgezüchtet werden. Der Norweger Åsmund Asdal koordiniert das globale Projekt.

INTERVIEW: Markus Deisenberger. FOTOS: Svalbard Global Seed Vault (SGSV).

Die Grundidee des Global Seed Vault ist es, über ein riesiges Backup Ernährung und Artenvielfalt für zukünftige Generationen zu sichern. Gibt es darüber hinaus noch einen anderen Zweck?

Ja. Hauptziel ist es, Saatgut, das in Datenbanken weltweit vorhanden ist, zu sichern. Wenn jemand aus welchem Grund auch immer Proben verliert, kann er von uns Kopien bekommen. Als der Saatgut-Tresor 2008 eröffnete, bekam er jedoch international eine Menge Aufmerksamkeit, wurde zu einem Symbol. Wir haben deshalb im Laufe der Zeit realisiert, dass alles, was wir tun, noch einem weiteren Zweck dient: Nämlich öffentliche Aufmerksamkeit dafür zu erzielen, wie wichtig es ist, die Artenvielfalt zu erhalten.

Wie viele Saatproben sind derzeit in Ihrem Tresor eingelagert?

87 verschiedene Genbanken haben exakt 1.074.533 Proben bei uns eingelagert. Jede dieser Probe beinhaltet zwischen 300 und 500 Samen.

Eine gewaltige Zahl. Wie viel Kapazität hat man noch?

Nach aktuellen Zahlen werden derzeit in den Gendatenbanken weltweit ca. 2,2 Millionen Proben gelagert. Wir in Svalbard haben Platz für 4,4 Millionen. Wir haben also doppelt so viel Platz wie wir für alle aktuell bekannten Saatarten brauchten. Auch wenn Gendatenbanken schnell expandieren: Einen Engpass oder den Bedarf zu expandieren sehe ich, zumindest so lange Sie und ich leben, nicht.

Wie funktioniert die Einlagerung? Welche Voraussetzungen sind an sie geknüpft?

Vertreter aller Genbanken, internationaler wie regionaler, sind eingeladen, aus Sicherheitsgründen Kopien zu uns zu schicken. Wichtigste Voraussetzung für die Einlagerung ist, dass das Material der Öffentlichkeit zugänglich ist. Es gibt auch private Firmen, die Genbanken betreiben, aber nur sehr wenige von ihnen lagern ihr Saatgut bei uns ein, weil sie ihre Muster nicht teilen wollen.

Im Tresor findet sich aber auch kein genmanipuliertes Saatgut, wenn ich richtig informiert bin.

Korrekt, aber das ist weniger unsere Entscheidung, als den rechtlichen Rahmenbedingungen geschuldet: Genmanipuliertes Material darf nach geltendem EU-Recht nicht über EU-Grenzen hinweg transportiert werden.

Welche Faktoren würden Sie als die größten Gegner für den Erhalt der Artenvielfalt ausmachen?

Viele Genbanken haben schon Material aufgrund von Krieg, Flut oder Feuer verloren. Eine Hauptursache für den Verlust von Saatgut ist aber auch der Mangel an Geld. Viele Genbanken haben nicht die finanziellen Mittel, die sie brauchten, um den Service aufrechtzuerhalten. Deshalb ist die Public Awareness so wichtig. Um Politiker davon zu überzeugen, wie bedeutsam unsere Arbeit ist. Dabei geht es in erster Linie nicht um den Seed Vault, sondern um die Sicherung unserer Nahrungsmittel.

Hat der Klimawandel Ihre Arbeit verändert?

Ja. Um die Landwirtschaft an die durch den Klimawandel geänderten Bedingungen anzupassen, brauchen wir die genetischen Ressourcen heute mehr denn je. Die Debatte über die Wichtigkeit von Genbanken im Allgemeinen und des Backups durch den Seed Vault im Speziellen hat deshalb an Intensität gewonnen.

Bereits vier Jahre nach der Eröffnung hat sich das Prinzip des Seed Vaults erstmals bewährt, als im syrischen Aleppo kriegsbedingt Saatgut verloren ging.

Ja, das Internationale Zentrum für landwirtschaftliche Forschung in Trockengebieten, ICARDA, das Saatgut von 40 Staaten des Nahen Ostens sammelte, wurde schwer beschädigt. Wissenschaftler der nach Beirut verlegten ICARDA nutzten wenige Jahre später Saatkörner aus dem Seed Vault für die Neuaussaat. Eine Erfolgsgeschichte, die zeigt, wie wichtig dieses Backup ist. Katastrophen sind schwer vorherzusagen. Als der Seed Vault 2008 errichtet wurde, war

I.

III. II.

IV.

I. Eine Arche Noah für Pflanzen: Svalbard Global Seed Vault (SGSV). Saatgut aus 249 Ländern der Welt ist heute in dem früheren Braun- und Steinkohle-Stollen deponiert.

II. Der Grund, weshalb man den Seed Vault in Spitzbergen (in Norwegen sagt man dazu Svalbard) errichtete, ist die Abgeschiedenheit. Unweit des Nordpols gibt es weder kriegerische Auseinandersetzungen noch nukleare Bedrohungen. Auch der Permafrost ist von Vorteil. Verschwindet er, fällt auch die Sicherheit, bei Versagen des Systems kurzfristig auf ihn zurückgreifen, weg.

III. 83.501 Samples wurden im Jahr 2020 eingelagert. Da muss Biologe Asdal auch schon mal selbst Hand anlegen.

IV. In Plastikboxen verpackt, geschützt vor Erdbeben, saurem Regen und radioaktiver Strahlung: Das eingelagerte Saatgut gehört den Genbanken, die es bereitgestellt haben.

ZUR PERSON: Åsmund Asdal (*1957) ist ein norwegischer Biologe und Agronom. Er ist Koordinator des Svalbard Global Seed Vault (SGSV). Von 2001 bis 2015 leitete er das norwegische nationale Programm für pflanzengenetische Ressourcen. Syrien zwar eine Diktatur, aber ein funktionierendes Land. Niemand konnte das Ausmaß dieser Zerstörung vorhersagen. Dasselbe gilt für Tsunamis und andere Katastrophen.

2016 war der Seed Vault in allen Medien: Durch das Schmelzen des Permafrosts war Wasser in die Tunnel eingedrungen. Wie sicher ist das eingelagerte Material angesichts des schmelzenden Eises noch?

Der Grund, warum man sich für diesen Ort entschied, war natürlich die Kälte, denn wenn die Kühlung versagt, ist der Permafrost von Vorteil. Verschwindet er, haben wir diese Sicherheit nicht mehr, dass wir bei Versagen des Systems kurzfristig auf den Frost zurückgreifen können. Aber der Seed Vault ist nicht vom Permafrost abhängig, denn der Permafrost sorgt nur für minus 3 bis minus 4 Grad. Das hier eingelagerte Material muss aber künstlich auf minus 18 Grad gekühlt werden. Solange die Infrastruktur funktioniert, das heißt Leute und Elektrizität da sind, werden wir auch immer die Temperatur halten können. Aber natürlich hat die Klimaerwärmung Auswirkungen, indem wir unter normalen Bedingungen mehr Energie brauchen, um das Material auf die gewünschte Temperatur abzukühlen. Zum Vorfall 2016: Jedes Jahr, wenn das Eis im Sommer schmilzt, kommt Wasser in den Eingangstunnel, das dann abgepumpt wird. 2016 hatten wir starke Regenfälle, weshalb mehr Wasser als jemals zuvor reinkam. Zerstört wurde nichts, es war nur mehr Wasser als sonst.

Das heißt, die Medien haben die Gefahr dramatisiert?

Ja, aber das hatte auch etwas Gutes. Der Zwischenfall überzeugte nicht nur uns, sondern auch die norwegische Regierung davon, dass wir einen wasserdichten Tunnel brauchen. Er kostete den norwegischen Staat um die 20 Millionen Euro und ist komplett wasserdicht. Der neue Tunnel ist sicherer denn je.

Wäre es, statt Samen im Permafrost einzulagern, nicht sinnvoller, finanzielle und politische Ressourcen dafür einzusetzen, lebende Nutzpflanzen zu sichern, sie also gar nicht erst aussterben zu lassen?

Das ist eine sehr relevante Frage. Grundsätzlich ist es viel wichtiger, die genetischen Ressourcen durch Verwendung zu schützen. Wenn Bauern die gesamte genetische Bandbreite, die gesamte Diversität nutzen, die die Natur anbietet, und nicht nur die Pflanzen auswählen, von denen man am meisten profitiert, sind sie besser gewappnet gegenüber klimatischen Veränderungen. Wir ermutigen Regierungen und Institutionen, Bauern dahingehend zu unterstützen, dass sie die genetische Diversität achten und den Artenreichtum voll ausschöpfen. Der Seed Vault ist nur eine Sicherheitsmaßnahme, die gewährleisten soll, dass wir die Diversität, die von der Landwirtschaft nicht mehr zur Verfügung gestellt wird, nicht ganz verlieren.

Laut dem US-amerikanischen Landwirtschaftsministerium kontrollieren acht Konzerne, darunter Monsanto und Syngenta, rund 94 Prozent des weltweiten Saatgutmarkts.

Die Monopolisierung des Saatgutmarktes dient nicht gerade der Diversität. Genau deshalb werden Gendatenbanken und deren Backups wichtiger.

Je mehr die Globalisierung an Fahrt aufnimmt, desto wichtiger wird Ihr Job?

So könnte man es sagen, ja.

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