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STILWELT
from Braun EDITION Vol. 7
by UCM Verlag
Er reist, „um dem Ranz des Alltags zu entkommen“, sagt Andreas Altmann. „Ich weiß – und kann – nichts anderes, um Geld zu verdienen. Nie wache ich mit einem Plot im Kopf auf, also muss ich in die Welt rennen, um Geschichten zu finden.“
Was bedeutet Heimat für Sie, Herr Altmann?
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Andreas Altmann ist einer der besten und eigenwilligsten Reiseschriftsteller Deutschlands. Nun hat er ein Buch über Heimat geschrieben und sich diesem so schwer zu fassenden Begriff auf sehr persönliche Weise angenähert.
INTERVIEW: Markus Deisenberger. FOTOS: Andreas Altmann.
Wie kommt ein rastlos Reisender, ein Heimatloser wie Sie dazu, ein Buch über Heimat zu schreiben?
Ich bin der genau Richtige, denn wo immer ich kann, klebe ich diskret einen Sticker an Orte, an Landschaften, an Frauen und Männer, die ich mir als Heimat wünsche. Zugegeben, ich habe mich ein bisschen geziert, als der Verlag mit dem Angebot kam. Doch dank meiner superklugen Lektorin bin ich eingeknickt und legte los.
Ging es Ihnen auch darum, weit verbreitete Missverständnisse, was Heimat sein kann, sein soll, zurechtzurücken? Oder herauszufinden, was Ihnen Heimat selbst bedeutet?
Keine Panik, der typische Heimatdusel kommt nicht vor. Meine eigene Heimat, ein bigottes Kaff, habe ich fluchend und mit zwei blutenden Augenbrauen verlassen. Um tatsächlich – als Reporter – herauszufinden, dass an vielen Orten der Welt Wärme entstehen kann, Nähe, Coolness, folglich Heimat.
Freundschaft, Sprache, Musik, Liebe. Es sind die essenziellen Dinge, über die Sie in Ihrem aktuellen Buch schreiben. Ist Heimat dort, wo all das möglich ist?
Aber ja, doch Liebe – was für ein bombastisches Wort – muss nicht überall ausbrechen, damit ich mich heimatlich fühle. Doch Swing sollte sein, Schwung, intelligente Frauen und Männer, eine Umgebung, die fiebert.
„Heimat ist ein wunderschönes Wort, wie warm es schwingt. Und wie unglaublich viele Bedeutungen es hat“, schreiben Sie. Aber wären wir nicht vielleicht ohne dieses gesellschaftliches Konstrukt besser dran?
Dass das Wort Heimat missbraucht werden kann, um – nur ein Beispiel – mit nazibrauner Blödheit die Welt heimzusuchen: Wir Deutsche wissen es am besten.
Eine ganz wesentliche Qualität Ihrer Bücher ist, dass Sie Menschen, die Sie auf Ihren Reisen treffen, zu Wort kommen lassen, sie ihre Geschichten erzählen lassen. Einfühlsam und ungeschönt. Diese alltäglichen Momente sind es, die oft hängen bleiben und ein größeres Bild zeichnen, als es Sensationsmeldungen vermögen. Wie essenziell ist die Eigenschaft, gut zuhören zu können, für Ihren Job?
Ich weiß nicht, ob ich wirklich gut zuhören kann. Ich unterbreche auch Leute, sobald sie mich langweilen. Aber ein Talent sollten Reporter schon mitbringen: die Nase, die sie zu Frauen und Männern führt, die nicht fadisieren.
Suchen Sie sich diese Leute aus, oder suchen die Leute Sie aus?
Ja, ich bin auch Hure, die irgendwo herumsteht und sich von jedem anmachen lässt. Ich bin dann „auf Empfang“, entscheide blitzschnell, ob mir das gefällt oder ich lieber weiterziehe. Ich bin gern das Objekt von Neugierde. So entstehen Rede und Widerrede.
Ihre Biographie wirkt, als wären Sie jedes Mal, wenn Ihnen etwas nicht mehr genügte, weitergezogen, um sich woanders zu versuchen. Kann der, der aktiv nach Heimat sucht, erfolgreich sein? Kann man Heimat erzwingen, oder fällt sie einem einfach zu?
Heimat erzwingen? So wenig wie eine Erektion. „Sie ist da!“, meinte Cocteau, herrlich weise. Oder eben nicht. So ähnlich passiert es wohl mit der Heimat. Sie fährt einem mitten ins Herz und man weiß Bescheid: Okay, hier isses!
Sie zitieren Houdini, der einmal meinte, seine größte Entfesselung sei die Flucht aus der Heimatstadt gewesen. War die Reise weg aus Ihrer Heimatstadt, weg aus dieser „Brutstätte prügelnder Lehrer, Priester und Nazis“ Ihre vielleicht wichtigste?
Ich will das Nest nicht überschätzen, hinterher kamen noch andere Reisen, auch fiebrig, auch randvoll mit Adrenalin und dem maßlosen Gefühl von Freisein.
Würden Sie so weit gehen, ein Menschenrecht auf Flucht zu postulieren? Jeder verdient doch eine zweite Chance? Der Mut, das eigene Elend, aber auch das, was man liebt, einfach hinter sich zu lassen, muss doch belohnt und darf nicht verteufelt werden? Der Spießer verteufelt immer gern das, wofür sein Mut nicht reicht.
In Ihren Büchern schreiben Sie unverblümt über sich selbst, Ihr Elternhaus, Intimität und Sex. Hat Ihnen diese direkte, mitunter radikal autobiographische Schreibweise auch Probleme eingehandelt? Haben Sie die Ehrlichkeit später manchmal bereut?
Freilich wurde ich dafür auch ordentlich bespuckt, denn meine Zeilen haben bei den notorisch Empörten etwas geweckt, von dem sie nichts wissen wollten. Auch klar: Derlei Intimität muss mit Eleganz und feiner Feder geschrieben werden. Ohne den Sound des Proleten, ohne schmierige Zwischentöne.
Ist es Ihnen schon passiert, dass Sie für eine gute Geschichte Grenzen überschritten haben, die Sie besser nicht überschritten hätten?
Wenn ich davonkomme, bereue ich nie.
Oft erfährt man an Orten, wo man es am allerwenigsten erwartet hätte, Zuwendung. Sind es solche Erlebnisse, die einem besonders in Erinnerung bleiben? Und ist Heimat vielleicht der Ort, wo man die meiste Zuwendung erhält?
Hm, es gibt ja auch Leute, die einem wohlgesinnt sind, und trotzdem bricht kein Feuer im Busen aus. Heimat darf ruhig auch etwas Verbotenes, etwas Anrüchiges haben. Lieb sein reicht nicht.
Miguel de Unamuno hat einmal gesagt: „Faschismus kann durch Lesen geheilt werden, Rassismus durch Reisen.“ Ein Zitat, das Ihnen gefällt, oder hohler Idealismus?
Ich verehre Unamuno, aber hier liegt er falsch, sein eigenes Leben widerspricht ihm. Was hat er gegen Franco angeschrieben – und wie vergeblich. Ich kenne zu viele Leute, die lesen und reisen und trotzdem jeden Morgen aufs Neue blöd aufwachen. Und ich kenne Leute, die wenig lesen und wenig reisen und trotzdem mit Hirn und Herzensbildung unterwegs sind.
Gibt es einen Ort, den Sie bereist haben, den Sie nicht verstanden haben und der Ihnen trotz Ihrer Versuche, ihn zu verstehen, deshalb fremd geblieben ist?
Unendlich viele Orte sind mir fremd geblieben. Wie auch Frauen und Männer, denen ich begegnete. Möglicherweise meine Schuld, da zu unsensibel, zu ungeduldig, zu vernagelt.
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ZUR PERSON: Andreas Altmann ist einer der bekanntesten Reiseautoren Deutschlands. Er wurde mit zahlreichen Preisen, wie etwa mit dem EgonErwin-Kisch-Preis, dem Seume-Literaturpreis und dem Reisebuch-Preis, ausgezeichnet. Er lebt in Paris.
ZUM BUCH: Gebrauchsanweisung für Heimat. Wenn jemand wie Altmann, der schon an den unterschiedlichsten Orten Heimat erlebt hat, über Heimat schreibt, kann das eigentlich nur radikal ehrlich und voller Poesie sein. Der berühmte Reiseschriftsteller erzählt, wo ihm Heimatgefühl und Fremdheit begegneten und wie wichtig für ihn Freundschaften, Sprache und Musik sind, um sich heimisch zu fühlen.
Andreas Altmann
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