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STILWELT
from Braun EDITION Vol. 7
by UCM Verlag
Sie wollen die Kunst einem breiteren Publikum zugänglich machen: Bernhart Schwenk (links) ist Sammlungsleiter an der Pinakothek der Moderne in München, Deutschlands größtes Museum für Kunst, Architektur und Design des 20. und 21. Jahrhunderts. Miro Craemer ist Künstler, Designer und treibende Kraft, wenn es um die experimentelle Kunstvermittlung geht.
Muss sich das Museum neu erfinden?
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Als Chefkurator an der Pinakothek der Moderne in München denkt Bernhart Schwenk zusammen mit dem Künstler und Designer Miro Craemer das Museum in die Zukunft. Ihr wesentlicher Anspruch? Das Museum soll nahbarer werden.
INTERVIEW: Nicoletta Schaper. FOTOS: Thomas Weinberger, Simone Ebert, Falk Kagelmacher, Haydar Koyupinar.
Provokant gesagt, repetieren Museen das Gestrige, als Repräsentationsorte für Sammlungen, die wenig mit dem heutigen Leben zu tun haben. Muss sich das Museum neu erfinden?
BERNHART SCHWENK: Finde ich schon. Das Museum hat nach wie vor den Auftrag, Kunst zu sammeln und diese als Bildungsinstitution auch zu zeigen. Allerdings ändert sich die Vorstellung von Bildung gerade ganz grundlegend. Wie sieht das Museum von morgen aus, für wen ist es eigentlich da? Diesen Fragen versuchen wir seit 2015 auf den Grund zu gehen. Angestoßen durch die Flüchtlingskrise wurde mir bewusst, dass wir offenbar nicht für alle Menschen gleichermaßen da sind und wir uns hier stärker engagieren müssen. MIRO CRAEMER: Aus demselben Grund entstanden meine „Togetthere“-Projekte, um auch Menschen zu begeistern, die sonst wenig Zugang zu Museen haben. 2016 starteten wir ein viermonatiges Integrationsprojekt, bei dem Münchner und Münchnerinnen gemeinsam mit Geflüchteten eine Performance erarbeitet haben, die am Ende auf der großen Treppe des Museums aufgeführt wurde. Das Museum wurde plötzlich als Resonanzraum spürbar ... BERNHART SCHWENK: ... Es war tatsächlich eine einzigartige Atmosphäre, viel lockerer als sonst! Nicht nur die Geflüchteten, auch das Publikum fühlte sich ganz neu angesprochen. Toll, wie im Museum viele Menschen unterschiedlicher Kulturen zusammenkamen. MIRO CRAEMER: Seit damals wollen wir neue Blickwinkel gleichberechtigt mit einbeziehen. Dafür machen wir zum Beispiel auch Schüler und Schülerinnen zu Gastgebern für Vermittlungsformate, bei denen sie persönlich den Besuchern ein Bild vorstellen. Wir lernen viel aus ihrem Feedback: Eine Schülerin fand es super, Gastgeberin zu sein, aber sie sagte auch, sie würde kaum ihre Freundinnen hier im Museumscafé treffen. BERNHART SCHWENK: Viele Museen haben erkannt, dass die Aufenthaltsqualität verbessert werden muss, angefangen mit einem ansprechenden Café, wo man sich austauschen kann, oder einem guten Museumsshop. Früher haben wir Kunsthistoriker diese vermeintliche Banalisierung des Museums belächelt, bis wir erkannt haben, dass wir auf dieser Basis ein anspruchsvolles Angebot aufbauen können.
In manchen Ausstellungen der Pinakothek werden die Besucher am Eingang zu einem Experiment eingeladen. Gehört das Interaktive zum Austausch dazu? Ich selbst bin nicht immer offen dafür.
MIRO CRAEMER: Da bin ich wie Sie, ich will mir erst selbst ein Bild machen. Damit das Herantreten an die Besucher nicht übergriffig wirkt, haben wir den Concierge des Hotels Bayerischer Hof gebeten, uns die richtige Ansprache beizubringen. Man muss auf die Körpersprache achten, ob es Augenkontakt oder ein Lächeln gibt. Falls nicht, lassen wir den Besucher weitergehen.
Muss sich das Ausstellungsprogramm ändern, um auch Jüngere anzusprechen?
BERNHART SCHWENK: Es muss sich erweitern! Im letzten Jahr habe ich gemeinsam mit der Filmemacherin Nicola Graef die Ausstellung „Feelings“ kuratiert, um die Sammlung bewusst aus einer anderen Perspektive zu zeigen. Uns war wichtig, dass sich die Besucher ein eigenes Bild machen konnten, weshalb wir auch alle erklärenden Texte weggelassen haben. Es war ein interessantes Experiment, das auch Lifestyle-Journalisten und neue Besuchergruppen angesprochen hat. Ähnliches erhoffen wir uns von der kommenden, großen Ausstellung „Look at this“ im Mai, die wir gemeinsam mit dem nigerianischen Kurator Folakunle Oshun konzipieren, der die Lagos-Biennale ins Leben gerufen hat. Auch hier wollen wir ein unvoreingenommenes Publikum animieren, einen eigenen Zugang zu finden. MIRO CRAEMER: Der jährliche „Denkraum“ geht in eine ähnliche Richtung. Das ist ein zwischengenutzter Saal im Museumsrundgang, der zum Austausch anregen soll, von Besuchern untereinander oder mit Künstlern. Ein Vorbild ist hier die Tate Modern in London, die der Kunstvermittlung ein ganzes Stockwerk widmet. Die Ansprache dort ist eine ganz andere! Mit dem Erfolg, dass dort ganze Familien zusammenkommen, mit Workshops für Kinder oder eigenen Spaces mit Clubcharakter für Gespräche. BERNHART SCHWENK: Das ist das, wo auch wir hinwollen: Wir wollen ein nahbares, demokratisches Museum sein, das die Deutungshoheit über die Kunst nicht allein für sich gepachtet hat.
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I. TOGETTHERE FACTORY: Das Integrationsprojekt „Togetthere Factory“ im Jahr 2016 hat viele Menschen unterschiedlicher Kulturen im Museum zusammengebracht, Pinakothek der Moderne 2020.
II. LEBENDIGER DIALOG: Lebendiger Dialog: Am Aktionstag „Togetthere_xperience“ mit Ayşe Güvendiren, Pinakothek der Moderne 2020.
III. NÄHE ZUR KUNST: Blick in die Ausstellung „Feelings“, mit Werken von Ruprecht von Kaufmann, Miwa Ogasawara, Sam Taylor-Johnson (von l.n.r.) und Rosemarie Trockel (vorne), Pinakothek der Moderne 2020.

I.

III. II.
