TRIGON Magazin Nr. 73

TRIGON ANGST ÜBER DER STADT

MAGAZIN NR. 73

ABLUKA VON EMIN ALPER, TÜRKEI

EIN HEIDI IN KIRGISISTAN

HEAVENLY NOMADIC VON MIRLAN ABDYKALYKOW, KIRGISISTAN

EIN WALD MIT NAMEN LIEBE

LA MEMORIA DEL AGUA VON MATÍAS BIZE, CHILE

GRENZEN ÜBERWINDEN

SOY NERO VON RAFI PITTS, MEXIKO

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TRIGON MAGAZIN NR. 73

Liebe Filmfreundin, lieber Filmfreund

DER DRACHE KOMMT 4 Mani Haghighi präsentiert seinen neuen Film am Bilderrausch in Basel

Mark Twain hat ein altes Bonmot konkretisiert, als er notierte: «Die Realität übersteigt die Fiktion, weil die Fiktion die Glaubwürdigkeit enthalten muss, die Realität muss das nicht.» Wenn man gegenwärtig die Nachrichten liest, lauscht oder schaut, dann beschleicht einen immer wieder das Gefühl, was da berichtet wird, könnte man in keinem Film inszenieren, weil niemand es glauben würde. Und man erinnert sich, wie man im letzten September beim Schauen des türkischen Spielfilms Abluka am Filmfestival von Venedig das Gefühl hatte, da würde einer etwas auf die Spitze treiben. Der Film wurde mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet, und heute ist man sich gewiss: Was der junge Regisseur Emin Alper da inszeniert hat, geht nicht nur im wahrsten Sinn unter die Haut, es dringt ins Innere einer Gesellschaft, die sich in Angst versetzt und selber auffrisst. Er erzählt von einem Istanbul, in dem die Menschen sich kaum noch auf die Strasse wagen und jeder jeden verdächtigt, keiner mehr dem Anderen trauen kann.

Das ist zu einem Drehbuch gewachsen und in atemberaubender Konsequenz in einem Film verdichtet, dass man das Gefühl bekommt, die Leinwand könnte gleich explodieren. Inzwischen wissen wir, dass Emin Alper nicht übertrieben hat, dass ein moderner Sultan das Land mit allen Mitteln unter Kontrolle haben möchte, dass er gefährliche Allianzen schliesst, eigene Bevölkerungsgruppen verfolgt und das ganze Land in Gefahr bringt.

Man setzt sich Filmen, die am Existenziellen der Gesellschaft wie des Einzelnen kratzen, weniger leicht aus als zu Zeiten eines ­Antonioni oder Bergman. Dabei wäre es dringlicher denn je. Abluka ist ein starkes Kinostück, es gibt heute wohl keinen zweiten Film, der so nah an der Realität liegt, obwohl er in die Zukunft gedacht ist. Auch Rafi Pitts, der Exil-Iraner mit britischem und französischem Pass, stellt in Soy Nero zentrale Fragen unserer Gegenwart: Was sind Grenzen? Was schliessen sie ein? Wen schliessen sie aus? Und ganz speziell: Was tut einer, um anderswo dabei zu sein?

Das Magazin dokumentiert die Vielfalt, die in den kommenden Wochen in den Kinos entdeckt werden kann. Aus Kirgisistan erreicht uns die ungemein sanft anmutende Geschichte Heavenly Nomadic, in der Mirlan Abdykalykow, den einige vor vielen Jahren als schüchternen Knaben in Beshkempir gesehen haben mögen, vom Nomadentum und dem Leben in den entlegenen Bergregionen seiner Heimat erzählt. Und in Chile fragt sich Matías Bize, wie ein Paar mit dem Unfalltod seines vierjährigen Buben umgehen kann. Ein Liebesfilm ist da entstanden, der das Leben im kleinen Element einer Paarbeziehung betrachtet und die Grenzen auslotet, innerhalb derer sie sich abspielt. Gehen Sie ins Kino, auch wenn der Frühling draussen spriesst. Es lohnt sich.

Walter Ruggle

ANGST ÜBER DER STADT 7 Abluka von Emin Alper, Türkei Martial Knaebel

EIN HEIDI IN KIRGISISTAN 13 Heavenly Nomadic von Mirlan Abdykalykow Meret Ruggle

IM WALD MIT NAMEN LIEBE 16 La memoria del agua von Matías Bize, Chile Brigitte Siegrist

GRENZEN ÜBERWINDEN 24 Soy Nero von Rafi Pitts, Mexiko Walter Ruggle

DIE EIGENE FILMBIBLIOTHEK 33 DVDs aus der Edition trigon-film Titelbild: La memoria del agua von Matías Bize

WEITSICHTEN

BERLINER & BASLER BILDERRAUSCH Die 66. Berlinale ist längst wieder ­ eschichte, einzelne Filme, die da PreG miere feierten, gelangen im Lauf des Jahres in die Kinos der Welt. Bei uns zum Beispiel The Dragon Arrives! vom Iraner Mani Haghighi oder Rara von der Chilenin Pepa San Martín. Beide starten im Herbst und haben im Frühjahr Vorpremieren.

Ein orangefarbener Chevrolet fährt über einen Friedhof inmitten einer Wüstenlandschaft auf ein verlassenes Schiffswrack zu. Es ist der 22. Januar 1965, am Vortag ist der iranische ­P remierminister vor dem Parlament erschossen worden. Im Inneren des Wracks hat sich ein verbannter politischer Gefangener aufgehängt. Die Wände sind übersät mit Tagebuchaufzeichnungen, Romanzitaten und rätselhaften Zeichen. Können sie Kommissar Babak Hafizi bei seinen Ermittlungen nutzen? Geben sie Aufschluss über die Frage, warum sich stets ein Erdbeben ereignet, wenn ein Toter auf dem ­Wüstenfriedhof beerdigt wird?

Der Spiegel schrieb über dieses wuchtige Bildstück: «Wie grossartig und wildherzig dagegen der letzte Film des Wettbewerbs, The Dragon Arrives! des iranischen Drehbuchautors, Schauspielers und Regisseurs Mani Haghighi.

Mit einem orangefarbenen Chevrolet in der Wüste und einem umwerfend gut aussehenden Kommissar am Steuer beginnt der furiose Genre-Cut-up. – Mit The Dragon Arrives! endet ein durchwachsener Wettbewerb auf

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Rara von Pepa San Martín

The Dragon Arrives! von Mani Haghighi

v­ ersöhnlich hohem Niveau.» Und die ­S üddeutsche meinte: «Ein besonders wilder und wahnsinniger Kinotrip ist der iranische Film The Dragon Arrives!

– Recherche und Fantasie, Fiktion und Dokumentation verschmelzen inein­ ander, bis sie genauso unauflöslich werden wie das Rätsel dieses Films selbst. The Dragon Arrives! kann man als unheimlichen, absurden Thriller ­a nsehen, genauso wie als historisches Porträt eines längst untergegangenen, wilden Iran.» Wir freuen uns schon jetzt auf den Oktober, wenn der

C­ hevrolet über die Leinwände tuckert.

Und auf die Vorpremiere im Rahmen des Festivals Bilderrausch in Basel.

Mit dem Grossen Preis der Internationalen Jury Generation für den besten Film ausgezeichnet wurde Rara von Pepa San Martín aus Chile. Die Regisseurin versetzt sich mit viel Feingefühl und ­e iner hervorragenden Darstellerin in die Haut einer 12-Jährigen, um aus ihrer speziellen Perspektive einen Blick auf die Gesellschaft zu werfen, in der Patchwork-Familien zum Alltag gehören.

Seit der Trennung ihrer Eltern lebt Sara mit ihrer jüngeren Schwester bei der Mutter, die jetzt mit einer Frau ­z usammen ist. Der Alltag der vier unterscheidet sich eigentlich kaum von dem anderer Familien. Für Sara ist die Situation in Ordnung. Doch nicht alle ­s ehen es so, insbesondere ihr Vater hat Bedenken. Als Saras 13. Geburtstag ­a nsteht, ist sie überfordert: Die erste Verliebtheit, ein Körper, der sich ver­ ändert, und jetzt auch noch Loyalitätskonflikte mit den Eltern, alles wirkt falsch. Begründung der Jury: «Von der ersten Szene an haben wir einen authentischen, sorgfältig konstruierten Einblick in das Leben einer Jugendlichen erhalten, die mit den alltäglichen Problemen des Erwachsenwerdens kämpft. Jede Szene dieses kraftvollen Films lebt von den wohldurchdachten

Bewegungen und der Geschichte.

Die Charaktere und Beziehungen geben eine moderne Realität wieder, die sowohl die Zeit, in der wir leben, widerspiegelt, als auch unser Konzept von der perfekten Familie hinterfragt. Das Schauspiel, das Drehbuch und vor allem die Regie dieser wunderbaren Erzählung über Loyalität, Verzweiflung, Hoffnung und vollkommener Liebe in all ihren ­Facetten haben uns sehr ergriffen.»

Rara wird Ende August in die Kinos gelangen und bereits im Mai in Zürich und Frauenfeld im Rahmen von Pink Apple als Vorpremiere zu geniessen sein.

Barakah Meets Barakah

Überrascht und verzückt hat uns im Programm des Forums des Jungen Films ein Film aus Saudi-Arabien, der am Ende den Preis der Ökumenischen Jury erhielt. Barakah Meets Barakah von Mahmoud Sabbagh. Er dreht sich um ­e inen städtischen Ordnungsbeamten in Dschidda, nicht wirklich aus bester ­Familie, und um eine wilde Schönheit, Adoptivtochter eines reichen Paares mit Eheproblemen. Der junge Mann ist ausserdem Laiendarsteller in einer

­b ezeichnet und treibt sich meistens in den Strassen Kalkuttas herum. Auf der Suche nach Liebe und Anerkennung trifft er auf die schöne Gulabo, eine Prostituierte, die auf Anhieb von seinen Gedichten fasziniert ist und sich in ihn verliebt.Vijay begegnet auch seiner ­E x-Freundin Meena aus dem College und findet heraus, dass sie mit dem bekannten Verleger Mr. Ghosh verheiratet ist. Ghosh stellt ihn als Diener ein, um mehr über ihn und Meena herauszu­ finden. Guru Dutt hat hier ein zeitloses Melodram gestaltet, dessen Handlung eng verflochten war mit seiner eigenen Realität. Der Film kommt restauriert im Herbst in die Kinos und wird auch auf DVD in einer untertitelten Fassung greifbar sein. Ein Genuss.

Theatergruppe, die «Hamlet» auf­ führen will. Sie agiert als Zugpferd der Boutique ihrer flotten Adoptivmutter und ist als renitent-populäre Bloggerin unterwegs. Das Schicksal führt die ­b eiden zusammen – in einer Umgebung, die jeder Form von Dating feindlich ­g egenübersteht.

Begründung der Jury: «Barakah Meets Barakah ist eine klassische «Boy meets girl»-Geschichte in einem erfrischenden und überraschenden Kontext.

Der Film reflektiert über den Wert der Freiheit, über die Rolle der Frauen in der saudi-arabischen Gesellschaft und über die Frage nach Selbstverwirklichung trotz kultureller Beschränkungen.

Mit Humor und Charme eröffnet er ­s eine politische Botschaft über eine Jugend, die nach Freiheit strebt.»

IN DEN GÄRTEN DER GANZEN WELT Eine vielfältige und umfassende Ausstellung über die Welt der Gärten ist im Zürcher Museum Rietberg ­angesagt. Sie lädt ein zu einem Spazier­ gang durch die Gärten von Japan bis England, vom Alten Ägypten bis in ­unsere Tage. Kunstwerke, Fotos und Videos zeigen, wie sich Menschen in unterschiedlichen Kulturen und Epochen Gärten herbeigesehnt und sie verwirklicht haben.

«Ich war so scheu»; Krishna und Radha treffen sich zum ersten Mal, Meister der ersten Generation nach Nainsukh und Manaku von Guler, Indien, Pahari-Region, Guler, 1775/1780

v­ ielfältig umsetzen, wie es selber auch ist», sagt Albert Lutz, Direktor des ­M useums Rietberg. Dazu gehören auch zahlreiche Veranstaltungen, die das Thema Garten auf unterschiedliche Weise erlebbar machen. Ein Kräutermarkt, ein Gartenfest, Afternoon Tea im englischen Stil, Konzerte und Film­ abende sind nur ein paar Highlights aus dem Rahmenprogramm.

Weitere Infos finden sich online unter: www.rietberg.ch

EINES DER SCHÖNSTEN MELODRAMEN ÜBERHAUPT Eine Perle der Filmgeschichte wird in Kürze in restaurierter Fassung auf den Leinwänden zu geniessen sein: ­P yaasa von Guru Dutt. Er war der Star des indischen Kinos und starb im Alter von 39 Jahren. In Indien erzielte Pyaasa 1957 das drittbeste Einspielergebnis, die Zeitschrift Time zählt ihn zu den einhundert besten Filme aller Zeiten.

Vijay (Guru Dutt) ist ein erfolgloser Dichter. Er wird als Taugenichts

HAVANNA AN DER AARE Obama in Havanna, Pérez in Bern.

Der eine hat die Aufmerksamkeit der Welt, der andere die Herzen seines ­lokalen Publikums. Fernando Pérez ist fünfter Friedrich Dürrenmatt Gast­ professor an der Universität Bern.

Dazu gibt es eine Retro mit seinen Filmen. Und Gespräche mit dem Meister des kubanischen Kinos.

Geboren 1944 in Havanna, begann Fernando Pérez bereits kurz nach der Revolution als Assistent und Über­s etzer an Filmproduktionen mitzuwirken. ­S eine Ausbildung in Russischer

Grosse Namen der Kunst sind in der Ausstellung vertreten, etwa der japanische Künstler Kitagawa Utamaro oder Claude Monet. Ebenso Zeitgenossen wie Ai Weiwei und Wolfgang Laib, der sein Kunstwerk aus Blütenstaub direkt auf dem Museumsboden ausstreuen wird. Präsent sind auch Gartenbilder aus der Schweiz von Künstlern wie Paul Klee, Alberto Giacometti oder Adolf Dietrich. Der Villengarten des Museums, der Rieterpark, bildet die grandiose ­Kulisse der Ausstellung. Er gehört zu den schönsten Landschaftsgärten der Schweiz und wird eigens für die Ausstellung wieder mit Blumenbeeten bepflanzt, wie sie im 19. Jahrhundert Mode und auch im Rieterpark zu ­b ewundern waren.

Die Ausstellung findet damit nicht nur in den stimmig inszenierten Museumsräumen statt, sondern auch rund um die Villa. Ein so sinnliches Thema wie der Garten verlangt auch nach einer besonders kreativen Inszenierung.

«Wir wollten das Thema genauso

Das ultimative Melodram: Pyaasa von Guru Dutt

«Gehen

dem Menschen Hühner und Hunde verloren, so weiss er, wo er sie suchen soll.

Geht ihm sein Herz verloren, so weiss er nicht, wo er es suchen soll.»

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SCHÖNE FILMAUSSICHTEN Die kommenden Wochen laden ein zu Reisen in alle Himmelsrichtungen und zu spannenden und anregenden Be­ gegnungen. Wöchentlich aktualisierte ­D aten und Nachrichten aus dem Kino des Südens und Ostens finden Sie auf unserer Homepage.

7. April ABLUKA Emin Alper, Türkei Selten ist es, dass ein Spielfilm die Gegenwart so hautnah erfasst.

Istanbul in einer Zeit, in der die Menschen sich nicht mehr auf die Strasse wagen und keiner mehr dem andern traut. Ein starkes Stück Kino.

Fernando Pérez zur Eröffnung der Retro im Kino Rex in Bern, im Gespräch mit Professor Oliver Lubrich

Sprache und Handelswirtschaft kam ihm dabei zugute, bevor er 1970 ­a usserdem ein Studium der Hispanistik an der Universität von Havanna abschloss. Ab 1971 drehte er zahlreiche Dokumentarfilme. Er porträtierte den Revolutionsführer Camilo Cienfuegos (1982) und die legendäre Sängerin Omara Portuondo (1983), die später mit dem Buena Vista Social Club auftrat.

Seine Suite Habana (2003) ist eine vielstimmige Darstellung des kubanischen Alltagslebens. Neben seiner Tätigkeit als Dokumentarfilmer schrieb Pérez Filmkritiken, leitete Kinodebatten und unterrichtete an der Escuela Internacional de Cine y Televisión in San Antonio de los Baños.

1988 veröffentlichte Fernando Pérez seinen ersten Spielfilm, das Widerstandsdrama Clandestinos, bei dem er wie für alle späteren Filme das Drehbuch verfasste und Regie führte.

Sein internationaler Durchbruch gelang ihm 1994 mit Madagascar, der ­B etrachtung dreier Frauengenerationen. La vida es silbar (1998), Madrigal (2007) und José Martí – el ojo del ­canario (2010) festigten Pérez’ Stellung als ­e iner der faszinierendsten und meistbeachteten Filmemacher Latein­ amerikas. Er wird gelobt für die brillante Kinematografie und die poetische ­Komposition seiner Filme, die mitunter surrealistische Züge haben. So fallen in La vida es silbar (Das Leben ist Pfeifen) die Figuren in Ohnmacht, wenn ­j emand das Wort Libertad, Freiheit, ausspricht. Der Film brach mit 120 000 Eintritten in der Schweiz alle Rekorde kubanischer Filme, war der erfolgreichste Film von trigon-film überhaupt und ist noch heute ein Genuss.

Sein neuestes Filmprojekt Últimos días en La Habana (Letzte Tage in Havanna)

ist fertiggestellt und wird im Winter in die Schweizer Kinos gelangen. In ­e inem wöchentlichen Seminar an der Universität Bern führt Fernando Pérez seine Studierenden derzeit in die Kunst des Filmemachens ein, mit Beispielen aus Werken der für ihn einflussreichsten Regisseure (Murnau, Fellini, Bertolucci, Bergman, Hitchcock, Scorsese) und einem Schwerpunkt auf dem lateinamerikanischen Kino, das er selbst mitgeprägt hat. Eine öffentliche Filmreihe begleitet die Lehrveranstaltung: die ­R etrospektive der Filme von Fernando Pérez im Berner Kino Rex dauert noch bis Ende April, jeweils mittwochs 20.30 Uhr. Das Zürcher Filmpodium widmet dem Filmemacher am 15. April einen Abend mit Gespräch. Die meisten Filme sind in der Edition trigon-film auf DVD greifbar.

DADA IN AFRIKA Es hat sich herumgesprochen: Dada wird 100 Jahre alt: Zeit für «Dada A ­ frika»! Weltweit zum ersten Mal ­w idmet sich diese Ausstellung der Aus­ einandersetzung der Dadaisten mit ­a ussereuropäischer Kunst und Kultur.

Die sinngewaltigen, spartenübergreifenden Inszenierungen der «Soirées nègres» im Cabaret Voltaire attackierten den gängigen Kunstbegriff und die

bis dahin geltenden Wertvorstellungen.

Die Darbietung von pseudo-afrikanischen Lautgedichten, Trommelrhythmen und Maskentänzen – spontan, vital und wild – folgte dem dadaistischen Selbstverständnis, grenzenlos zu agieren.

Beim Publikum Befremden auszulösen, war intendiert. Die Masken von Marcel Janco, aber auch die Kostüme von ­S ophie Taeuber-Arp oder die Collagen von Hannah Höch waren von der Suche nach einer neuen Formensprache und elementaren Lebenswelt geprägt.

Im exotisch Fremden entdeckten die Dada-Künstler und -Künstlerinnen eine befreiende Gegenwelt. Damit wollten sie die eigene Gesellschaft und Kunst erneuern. In dieser Ausstellung treten dadaistische Arbeiten in Dialog mit Kunst, Musik und Literatur aus Afrika, Amerika, Asien und Ozeanien.

Das Museum Rietberg besitzt einen umfangreichen und sehr bedeutenden Bestand des Sammlers Han Coray. ­C oray war nicht nur einer der bedeutendsten Sammler afrikanischer Kunst, sondern auch ein wichtiger Mäzen, Kunsthändler und Förderer der Dadaisten. In seiner Galerie fanden 1917 die wichtigsten Dada-Ausstellungen statt.

Erstmals wurden hier afrikanische Kunstwerke in einem gleichwertigen Dialog mit dadaistischen Arbeiten ­p räsentiert.

Infos: www.rietberg.ch

12. Mai HEAVENLY NOMADIC Mirlan Abdykalykow, Kirgisistan Die ungemein schöne Berglandschaft Kirgisistans bildet das Dekor für diese Familiengeschichte, die vom Leben der Nomaden erzählt und davon, wie die Tradition in leisen, ­feinen Schritten verdrängt wird.

26. Mai LA MEMORIA DEL AGUA Matías Bize, Chile Ein Mann und eine Frau müssen mit dem Verlust ihres vierjährigen Kindes fertigwerden und leben lernen. Ein Film über die Liebe und darüber, was am Ende wirklich zählt im Leben.

Heavenly Nomadic

30. Juni SOY NERO Rafi Pitts, Mexiko-USA Grenzen werden weltweit wieder ­g efestigt und ausgebaut. Hier über­ windet ein junger Mexikaner die Grenze in die USA, wo er Bürger werden will und in den Krieg zieht, um einen Pass zu bekommen.

14. Juli AQUÍ NO HA PASADO NADA Alejandro Fernández Almendras, Chile Ein Jugendlicher erwacht in einem ­b ösen Traum, der seine Realität ist.

Nach einer durchzechten Nacht sitzt er in einem Auto, das einen Unfall baut. Er wird beschuldigt, am Steuer gesessen zu haben.

11. August INNOCENCE OF MEMORIES Grant Gee, Türkei-GB In seinem Roman «Das Museum der ­U nschuld» erzählt Nobelpreisträger Orhan Pamuk von einer leidenschaft­ lichen und unglücklichen Liebe in Istanbul. Die filmische Lektüre des grossartigen Buches feiert die Stadt.

Hannah Höch, Ohne Titel, 1929, Collage, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

25. August RARA Pepa San Martín, Chile Eine Mutter trennt sich von ihrem Mann und zieht mit den beiden Töchtern und ihrer Geliebten in eine Wohnung. Der Alltag wirkt normal, doch die Zwölfjährige weiss nicht immer, wie sie mit der speziellen Situation umgehen soll.

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ANGST ÜBER DER STADT ABLUKA VON EMIN ALPER, TÜRKEI Von Martial Knaebel

Istanbul versinkt im Chaos. Bewaffnete Gruppen haben die Kontrolle über die ärmeren Stadtteile gewonnen.

Die Polizei ist machtlos. Kadir wird vorzeitig aus der Haft entlassen und soll als Informant arbeiten. Er überprüft den Müll auf Sprengsätze und die Strassen auf verdächtige Subjekte hin. Doch als Erstes sucht er seinen jüngeren Bruder Ahmet auf. Wer kann wem noch trauen? Eine ­Momentaufnahme aus der Endzeit, die in der Türkei näher und näher rückt. Ein Film von höchster Intensität.

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Fünf Jahre vor Ablauf seiner zu verbüssenden Zeit wird Kadir (Mehmet Özgür), ein Mann in den Fünfzigern, aus dem Gefängnis entlassen und auf freien Fuss gesetzt – unter einer Bedingung: Er soll draussen für die Polizei arbeiten und den Anweisungen des Polizeioffiziers Hamza (Müfit Kayacan) gehorchen. Dabei soll er einer Gruppe angehören, die den Auftrag hat, Abfall zu durchwühlen und nach Elementen zu suchen, die der Herstellung von Bomben dienen könnten. Als Erstes nutzt Kadir seine Freiheit, um den jüngeren Bruder Ahmet (Berkay Ates) aufzusuchen; dieser war noch ein Kind zur Zeit seiner Verhaftung. Ahmet erkennt denn den Bruder auch nicht auf Anhieb und wirkt nicht besonders glücklich über dessen Rückkehr. Bald wird klar, dass er dem Wunsch Kadirs, die alten Familienbande aufzufrischen, mit einiger Skepsis begegnet, die immer stärker zu einer Art Widerstand heranwächst. Kommt hinzu, dass ihn seine Arbeit zusehends mürbe macht. Er ist von der Stadt angestellt, um in einem Team loszuziehen und wild herumirrende Hunde zu erledigen. Es scheint viele von ihnen zu geben.

Der Filmemacher Emin Alper hat das ländliche Umfeld, in dem er seinen ersten Film Beyond the Hill angesiedelt und gedreht ­hatte, verlassen, um mit Abluka auch in der Stadt familiäre Strukturen zu analysieren, die von der Gesellschaft bedroht sind. Hier sind sie dem totalen Zerfall unterworfen.

BELAGERUNGSZUSTAND Die Idee zu seinem Film ist Emin Alper am Anfang des Jahres 2000 gekommen. Heute, im Jahr 2016, wirkt Abluka, als sei er aus der Aktualität heraus entworfen und gedreht worden, der türkischen Realität zuerst, aber auch der globalen. In einer apokalyptischen Beschreibung nimmt Alper Kurs auf eine verhängnisvolle ­Spirale in der Zukunft: Eine Stadt versinkt in den verarmten Aussenquartieren ins totale Chaos. Das autoritäre Regime antwortet darauf mit mehr Gewalt und Repression.

Alper lässt ganz bewusst ein Stück Unbestimmtheit in dem beschriebenen Zustand der Dinge – das alles könnte genauso gut ein Aufleben der 1990er Jahre sein, des brutalen Kampfs der türkischen Regierung gegen die Opposition im Land und gegen die PKK, die kommunistische Pratei der Kurdinnen und Kurden, oder eben auch eine Vorschau auf das, was sich aus der heutigen politischen Situation heraus im Land entwickeln könnte. Eine Ver­ härtung der Fronten von Tag zu Tag. Explosionen in der Ferne, die einander immer schneller Folgen, Stiefelgetrampel und militärische Truppenverschiebungen in der Nacht, Polizeisperren, die ganze Bereiche der Stadt abriegeln sollen, in denen keine Gesetze mehr zu gelten scheinen.

Von diesem ganzen Chaos zeigt Emin Alper nichts oder nur ganz wenig. Es ist nicht nötig, allein die Geräusche oder ihre gänzliche

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«Wir

haben in der Türkei keine liberale Demokratie im westlichen Sinne. Wir haben eine populistische, intolerante Demokratie, die ich WahlDemokratie nenne: Wir Bürger dürfen wählen, ansonsten aber sollen wir gefälligst tun, was die Regierung für richtig hält. Deshalb müssen wir auch immer fünfzigmal darüber nachdenken, wenn wir etwas sagen.»

Orhan Pamuk März 2016 in einem Interview mit dem «Spiegel»

Absenz erzeugen eine unheimliche Atmosphäre. Der Regisseur will auch gar nicht auf konkrete Vorkommnisse eingehen, er konzentriert sich mit seiner Kamera auf die beiden Brüder, die auf der Leinwand in dunklem Licht erscheinen, der Atmosphäre, die diesen Spielfilm prägt. Ihr Gefühlschaos ist direkt beeinflusst vom Durcheinander, das auf den Strassen herrscht. In diesem ­Sinne ist der Film auch eine Allegorie.

VERWAHRLOSUNG UND ENTMENSCHLICHUNG Die Wege der beiden Brüder verlaufen in entgegengesetzter Richtung. Kadir kommt aus dem Gefängnis, wo das Leben sozusagen in Klammern gesetzt ist, will sich ganz einfach wieder integrieren in der Gruppe der Lebenden. Er ist zu allem bereit, um diesen ­Status zu erlangen, er geht so weit, dass er als Informant der Polizei arbeitet, und er macht das mit Fleiss und motiviert. Rapport um Rapport liefert er ab, um die unbedeutendsten Verhaltensmuster oder Äusserungen von Menschen in seiner näheren Umgebung so festzuhalten, als wären sie alle ein Ansinnen, den Staat anzugreifen.

Will er einfach seinem Chef Hamza gefallen oder glaubt er wirklich an das, was er tut, und dass er auf diesem Weg seinen Platz in der Gesellschaft zurückerobern kann, die ihm diesen im Moment verwehrt? Ahmet versinkt im Gegenteil in eine gewollte Einsamkeit und distanziert sich von der Gesellschaft. Er hält seine Arbeit als Hundetöter nicht mehr aus, nimmt gar ein Tier, das er selber verletzt hatte, zur Pflege zu sich nach Hause. Ahmet und Kadir sind zwei exemplarische Produkte einer Gesellschaft, die sich auf dem Weg in den Totalitarismus befindet: Der Erste wird ein beobachtender Beobachteter der andern, der Zweite zieht sich in eine paranoide Einsamkeit zurück. Beide sind sie Opfer ein und derselben Verwahrlosung und Entmenschlichung.

MORGEN DIE HUNDE? Eine vage Erinnerung, die mehr als vierzig Jahre zurückreicht, klingt an: Die Sammlung von Science-Fiction-Kurzgeschichten «Als es noch Menschen gab» des Nordamerikaners Clifford D. ­Simak (im Original betitelt mit «City»). Es handelt sich um neun Erzählungen, in denen alte Hunde als letzte Überlebende auf der Erde den jüngeren unter ihnen Legenden erzählen über ­mythische Gestalten, die Herren über die Erde gewesen sein ­sollen.

Es ist der Blick von Coni, jenem Hund, den Ahmet im Film zu sich nimmt und pflegt, gleichzeitig abwartend und erwartend, der diese Erinnerung hochkommen liess. Es ist der Blick desjenigen, der den anderen überleben wird. Natürlich hat Simak, wie die meisten nordamerikanischen Science-Fiction-Autoren der 1950er Jahre, eine um Lichtjahre optimistischere Zukunft gezeichnet als jene, in die uns Alper hier tauchen lässt. Trotzdem bleiben die Fragen der jungen Welpen haften, die diese in Bezug auf die Legenden stellen und die im Vorwort festgehalten sind: « Was ist das, ein

Mensch? fragen sie, oder vielleicht: Was ist das, eine Stadt?

Oder auch: Was ist das, ein Krieg? Es gibt auf keine dieser Fragen eine positive Antwort.»

EIN LEUCHTEN IN DER NACHT Aber nicht alles ist so düster. Da gibt es Meral (die grossartige ­Tülin Özen) und Ali, das junge befreundete Paar von Ahmet, bei denen sich der Bruder auf sein Vermitteln hin einmieten kann. ­Besonders Merals Lächeln an anfangs noch durchaus geselligen Abenden hellt die Erzählung auf. Und es lässt nicht einmal Kadir unberührt. Sie wird die einzige Figur sein, die es wagt (wenigstens ein klein wenig), sich jemandem anzuvertrauen. Sie ist auch die Einzige, die Kadir an einem bestimmten Punkt dazu bewegen kann, einen eigenen Schritt zu tun und nicht blindlings nur den Befehlen anderer zu gehorchen. Und sie ist die Einzige, die Verständnis aufbringen kann für Ahmet, was beim älteren Bruder wiederum neue Verdächtigungen schürt.

In einer Stadt, die im Chaos versinkt, in der keiner mehr dem ­anderen trauen kann, niemand der ist, der er sein sollte, können Freundschaftlichkeit oder gar Fröhlichkeit bei Kadir nur Verdacht wecken. In einer solchen Welt verliert man logischerweise jeglichen Anhaltspunkt und jeglichen Halt. Kadir, Ahmet und mit ­ihnen der Zuschauer und die Zuschauerin tun sich zunehmend schwer damit, das Wiirrwar dieser Realität zu entschlüsseln und zu entflechten. Wie Kadir wissen auch wir bald nicht mehr so genau, was real ist und was Einbildung, simple Fantasie der Figuren.

Es ist die grosse Kunst von Emin Alper, all das auf der Leinwand wahrnehmbar zu machen, ohne dass er viel Worte verlieren müsste. Der junge Filmemacher beweist, dass er inszenieren kann und fähig ist, praktisch ohne Spezialeffekte eine fantastische und gespenstische Atmosphäre zu schaffen. n

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EMIN ALPER ZU SEINEM FILM POLITISCHES CHAOS Abluka spielt in einer Stadt, die ins politische Chaos getrieben wird. Der Staat befindet sich in einem hoffnungslosen Kampf ­gegen Terroristen in den Vorstädten. Als die Techniken der Isolation und der Abtrennung dieser Viertel erfolglos bleiben, erfindet der Staat neue Methoden. Abluka erzählt die Geschichte von zwei Brüdern, die in einem solchen Viertel zu überleben versuchen. Der Film zeigt, wie das System «kleine Männer» als Mitspieler seines gewaltvollen Mechanismus assimiliert, indem es sie mit Autorität und Instrumenten der Gewalt ausstattet, die sich schliesslich gegen sie selbst wenden und sie zerstören.

BEFEHLE BEFOLGEN In Abluka beobachte ich «kleine Männer» sowohl als Werkzeug als auch als Opfer systematischer Gewalt. Kadir ist ein Informant, der die Macht hat, das Leben eines anderen durch den Geheimdienst zu beenden. Ahmet rottet streunende Hunde aus, eine ­Metapher und das Parallelbild des Terroristenjägers. Ob sich ihre Gewaltmethoden gegen streunende Hunde oder Terroristen richten, diese Männer befolgen Befehle – sei es, um ihre Träume zu realisieren oder um sich den Lebensunterhalt zu verdienen.

Die Auswirkungen ihrer Methoden sind ihnen egal. Gleichzeitig

können sie der erstickenden Wirkungsmacht der politischen ­ tmosphäre nicht entkommen. Die sie umgebende Gewalt und A der Druck, den die Machthaber ausüben, treiben sie mehr und mehr in die Paranoia. Die Auswirkung dieses Wahns ist wegen der Waffen, die sie haben, tödlich.

FREUND UND FEIND Die Ereignisse im Film werden ausgelöst durch die emotionale Beunruhigung, welche die Brüder aufgrund dramatischer Wendungen erleben. Im Falle Ahmets verwandelt sich ein Feind in ­einen Freund, im Falle Kadirs werden Freunde zu Feinden. In Abluka sehen wir, dass ein Feind auch ein Freund sein kann, während ein naher Freund sich zum Feind wandeln kann. Ich empfinde ­diese Unterscheidung als beinahe zufällig. Ahmets Notwendigkeit, zu überleben, macht ihn zu einem Hundemörder. Kadirs Traum von Familie und Zugehörigkeit macht ihn zum Informanten. ­Ahmets grausame Einsamkeit macht einen intimen Freund aus dem feindlichen Hund, während ein Freund von Kadir und das Objekt seiner Begierde zu tödlichen Feinden werden. Die unbeugsame Logik der Gewalt zerstört alle intimen Bindungen dieser Menschen und erschafft entfremdete politische Gegner. Die Linien zwischen Feind und Freund können zufällig sein, aber sie sind sehr stark. Kadir und Ahmet können nicht mit der Situation umgehen, als die Charaktere von einer Seite auf die andere wechseln.

VERLETZLICH

EMIN ALPER 1974 in Zentralanatolien geboren und aufgewachsen, machte Emin Alper sein Abitur in Ankara und studierte Wirtschaft und Geschichte. Nach dem Doktorat in ­zeitgenössischer türkischer Geschichte lehrte er an der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der ­Technischen Unversität Instanbul (ITÜ). Als Jugendlicher begann sich Alper für Kino, Theater und Literatur zu ­b egeistern. Als ein Schlüsselereignis bezeichnet er Time of the Gypsies (1989) von Emir Kusturica. Alper war Mitglied in der Theatergruppe und im Filmklub der Univer­ sität, wo Diskussionsrunden mit türkischen Regisseuren wie Zeki Demirkubuz und Nuri Bilge Ceylan organisiert wurden. Ceylan nennt er als einen der grössten Einfluss­ geber, neben Stanley Kubrick, Michael Haneke, Rainer W ­ erner Fassbinder, Sergio Leone sowie den Autoren William Faulkner und Flannery O’Connor oder den russischen Schriftstellern Dostojewski, Tolstoi und Tschechow.

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Alper versuchte sich neben Filmkritiken, die er aufgrund des Fehlens von Filmzeitschriften in der Türkei in einer ­u niversitätseigenen Publikation veröffentlichte, an ersten Drehbuchentwürfen. 2004 wirkte er als Schauspieler im Kurzfilm Apartman von Seyfi Teoman mit, der ihn bis zu seinem Unfalltod im Jahr 2012 förderte. 2005 hatte Alper einen Auftritt als Schauspieler im Kurzfilm Çarpisma (2005) von Umut Aral und es entstanden mit Mektup (2005) und Rıfat (2006) erste eigene Kurzfilmarbeiten. Sein erster Spielfilm Tepenin Ardi (Beyond The Hill), eine Western-­ Parabel mit bissigem, hintergründigem Kommentar zu t­ ürkischen Gesellschaftsstrukturen. erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter ihnen den Caligari-Preis an der ­B erlinale.

Die Figuren sind nicht einfach Werkzeuge des Systems oder Opfer einer gewaltvollen Atmosphäre. Sie treffen Entscheidungen und tragen Verantwortung, was den Film für mich näher an die Form der Tragödie heranrückt. Die Personen sind verletzlich und haben Schwächen, die sie zu ihren tragischen ­Enden führen. Ahmets Bedürfnis nach Zuneigung zwingt ihn dazu, eine perverse Beziehung mit Coni, dem Hund aufzubauen. Die Angst, ihn zu verlieren, macht ihn wahnsinnig. Kadirs Bedürfnisse nach Liebe und Zuneigung spielen ebenfalls eine auslösende R ­ olle. Seine Bemühungen, Ahmets Liebe für sich zu gewinnen, seine ­Eifersucht auf seinen verschwundenen Bruder Veli, seine Sehnsucht nach Meral und sein Neid auf deren Ehemann – all das nährt Kadirs Paranoia. Es sind also nicht nur die politische Atmosphäre und die Autoritäten oder die Sprünge vom Freund zum Feind, die verantwortlich sind für das tragische Ende, sondern auch die emotionalen Schwachstellen der Persönlichkeiten.

ORT UND ZEIT Ich lege nicht genau fest, wann Abluka zeitlich stattfindet. Es könnte eine fiktive Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft sein…

Meine Inspiration fand ich in den zahlreichen brutalen Geschichten der modernen Welt. Dieser Film musste lange auf seine Realisierung warten. Zum ersten Mal dachte ich Anfang 2000 darüber nach, der erste Entwurf stand in den späten 2000er Jahren. Obschon die Zeit verging, wurde die Relevanz der Geschichte stets stärker durch das sture Festhalten der türkischen Politik an ­alten Mitteln. Als ich in den frühen 2000ern zum ersten Mal über die Geschichte nachdachte, war die «Organisation», gegen die der Staat einen Krieg führte, beeinflusst von den marxistischen und ethnisch separatistischen Guerilla-Bewegungen, die im 20. Jahrhundert von Lateinamerika bis nach Asien aktiv waren. Als das 21. Jahrhundert anbrach, führten Ereignisse wie die Anschläge von 9/11 und die Besetzung Afghanistans und des Iraks zu einem neuen globalen Kontext, um über das Entstehen und die Täter politischer Gewalt zu reflektieren. In den jüngsten Jahren rechtfertigen die Wellen von Aufständen und Revolutionen – die sich nicht nur auf den arabischen Frühling beschränken – die Kritik an Gewalt in meinem Film. Dringend und einmal mehr in der Menschheitsgeschichte müssen wir uns alle die Frage stellen, wie man mit politischer Gewalt umgeht. n

Eine Nomadenfamilie lebt mit ihren Pferden in der atemberaubenden Berglandschaft Kirgisistans. Der Vater ist vor Jahren im Fluss ertrunken. Als sich die Mutter neu verliebt und inmitten der unberührten Natur erste Anzeichen vom Einzug der Moderne auftreten, gerät das von Traditionen geprägte Leben der Familie aus dem Gleichgewicht. Das ist in eindrucksvollen und überwältigenden Bildern erzählt.

EIN HEIDI IN KIRGISISTAN DER SPIELFILM HEAVENLY NOMADIC VON MIRLAN ABDYKALYKOW Von Meret Ruggle

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Es ist für uns schwer fassbar, dass wir Menschen auf der Zeitachse der Erdgeschichte eigentlich nur einen winzigen Teil ausmachen und im Vergleich zu anderen Lebewesen genaugenommen eine Neuerscheinung sind. Noch überraschender dürfte für viele die Tatsache sein, dass auch die Sesshaftigkeit des europäischen ­Menschen ein verhältnismässig junges Phänomen ist. Über Jahrzehntausende waren unsere Vorfahren Jäger und Sammler und folgten den jahreszeitlichen Wanderungen der grossen Herden, um dort ihre Nahrung zu suchen. Erst im Neolithikum wurden ­Hirten und Nomaden zu Bauern und lernten, dass man säen und ernten konnte. Dies wiederum bedeutete, dass sie am jeweiligen Ort warten mussten, bis die Saat aufging und reif wurde zur Ernte. Für die Ernte musste man Häuser bauen, um sie einzulagern – da erst waren unsere Vorfahren bei der Sesshaftigkeit angelangt, die für uns heute nicht mehr wegdenkbar ist.

WÜSTENSTADT Auch heute existieren noch verschiedene nomadische Lebens­ formen. Nicht zuletzt in den Schweizer Alpen ist der Nomadismus in der Form der Alpauffahrt der Sennen noch zu finden. In anderen Erdteilen ist diese Lebensform allerdings noch viel verbreiteter als bei uns: So etwa in Kirgisistan, wo die Nomaden seit Jahrhunderten im Einklang mit der Natur leben und sich der Pflege ihrer Tiere widmen.

Im Spielfilm Heavenly Nomadic porträtiert Mirlan Abdykalykow in naturbetonter Bildsprache eine Nomadenfamilie in Kirgisistan und bringt die Bedeutung der Traditionen in schnell wandelnden Zeiten zur Sprache. Die so genannten «Nomaden des Himmels» machen eine von drei nomadischen Formen aus, die noch stets ­verbreitet sind in seiner Heimat. Währenddem einige Nomaden im Sommer auf die Alp ziehen, ziehen andere Familien im Winter

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­näher ans Dorf. Die Nomaden des Himmels hingegen bleiben das ganze Jahr auf der Weide, ziehen jedoch von Ort zu Ort, je nachdem, wo noch Gras zu finden ist.

Sein Spielfilmdebüt eröffnet der Kirgise in der traumhaften Berglandschaft Kirgisistans. Vier Pferde mit wehenden Schweifen schreiten gemächlich durch die Wiese, sanfte Töne unterstreichen die weiten Bildaufnahmen. Der Auftakt stimmt ein auf das Tempo des Films. Ein Drama, aber eines, das sich vielmehr in den Gemütern der Protagonisten als durch die Musik oder erhöhte Schnittfrequenzen ausdrückt.

Eine Nomadenfamilie bestehend aus drei Generationen lebt mit ihren Pferden mitten in einer Landschaft, die umgeben ist vom atemberaubenden, teils schneebedeckten Gebirge. Die Familienmitglieder werden gleich zu Beginn eingeführt: Da ist der Grossvater Tabyldy, mit traditionell kirgisischem Hut (dem Kalpak), den er während des ganzen Films nur selten ablegen wird. Das ­kleine Mädchen Umsunai taucht auf, das allem Anschein nach eine zufriedene Kindheit bei den Pferden verbringt. Schaiyr, seine ­Mutter, kümmert sich um die Pferde und scheint ein respektvolles, aber distanziertes Verhältnis zum Grossvater zu haben.

Schliesslich ist da die Grossmutter, eine tüchtige Frau, vom Leben gezeichnet wie auch der Grossvater, aber mit strengerem, forscherem Ton als er. Gemeinsam leben die vier in einer traditionellen Jurte, der einfach auf- und abbaubaren Behausung der Nomaden.

Nur einer fehlt: Der Vater.

DIE NEUE LIEBE? Als der Meteorologe Jermek im abgeschiedenen Bergtal auftaucht, kommt ein Stück Stadt in die Natur. Der Forscher ist ein Bindeglied in der Geschichte, mit städtischem Hintergrund zwar, aber

von seiner Arbeit her mit einem starken Bezug zum Leben auf dem Land. Er hat ein Auge auf Schaiyr geworfen, und diese scheint das nicht zu stören. Ganz im Gegensatz zu den beiden Grosseltern, die, wie sich bald einmal herausstellt, die Schwiegereltern von ­Schaiyr sind: Den Sohn haben sie bei einem tragischen Unfall vor sechs Jahren verloren.

DER BUND MIT DER NATUR Trotz der Jahre, die seit seinem Tod vergangen sind, hat der Vater eine ausserordentlich starke Präsenz im Film. Sei es in der Fantasie der 7-jährigen Umsunai, die ihn gemäss einer Volkslegende im Adler wiedererkennt, der am Himmel seine Kreise zieht, oder in den Träumen des Grossvaters, der sich von seinem Sohn begleitet auf die letzte Reise begeben möchte. Die Trauer liegt wie eine Last auf allen Familienmitgliedern – insbesondere auch auf der Witwe, die sich schwer damit tut, eine neue Liebe zu akzeptieren, und sich schliesslich nicht dazu durchringen kann.

Trotzdem findet die Familie Wege, mit der Trauer umzugehen. Dabei helfen ihnen die starken Legenden, die Grossmutter und Grossvater voller Anmut beim Zusammensitzen in der Jurte erzählen. Es sind nicht blosse Volkserzählungen, die dabei zum Vorschein kommen, mit ihnen nehmen sie auch Stellung zu Gegenwärtigem. So drückt die Grossmutter etwa über die Legenden ihre kritische Haltung gegenüber der neuen Liebe der Schwiegertochter aus, und der Grossvater versucht, damit den Schmerz der kleinen Umsunai über den Verlust des Vaters zu lindern.

Regisseur Mirlan Abdykalykow verwebt Traditionen und Bräuche so fliessend leicht in den Alltag seiner Figuren und hebt deren Stellenwert hervor. Im Interview erzählt er: «Ich möchte in meinem Film von dem Konflikt zwischen der modernen Welt und den langsam schwindenden Traditionen erzählen und von der dringenden Notwendigkeit, sie zu erhalten.»

MIRLAN ABDYKALYKOW Mirlan Abdykalykow wurde 1982 geboren und ist seit s­ einem achten Lebensjahr in der Filmlandschaft zu Hause. In drei ­F ilmen (Swing, Beshkempir und Naimil), bei denen sein Vater Aktan Abdykalykow, der sich später kirgisisch Arym Kubat taufte, Regie führte, spielte er die Hauptrolle. 2010 gab ­A bdykalykow sein Regiedebüt mit dem Kurzfilm Pencil Against Ants, der auf dem ­R otterdam International Film Festival ­p räsentiert wurde.

Sein Spielfilmdebüt ­H eavenly Nomadic ­feierte im Rahmen des Karlovy Vary ­I nternational Film Festival in der Kategorie East of the West Competition Weltpremiere.

Als junger Schauspieler ist er in Beshkempir (Der Adoptivsohn) aufgetreten - Bild oben. Dieser Film ist, wie auch The Light Thief, den Vater Aktan auf Locarnos Piazza Grande präsentieren konnte, auf DVD in der Edition trigon-film erschienen.

Filmografie: 2015 Heavenly Nomadic (Regie) 2011 Naimil (Darsteller) 2010 Pencil Against Ants (Regie, Kurzfilm) 1998 Beshkempir (Darsteller) 1993 Swing (Darsteller)

VERBORGENE ÄNGSTE Die moderne Welt, die Abdykalykow anspricht, scheint zwar zunächst weit entfernt zu sein vom Chonashu-Tal, wo sich die Nomadenfamilie für eine Weile niedergelassen hat; die Tage plätschern in gemächlichem Tempo einher. Doch dann kehrt Umsunais Bruder Ulan während seiner Ferien aus der Stadt zurück, wo er Architektur studiert. Sein Erscheinen bringt versteckte Ängste zum Vorschein, die zuvor unausgesprochen in den Protagonisten geschlummert ­haben: Was, wenn sich meine Mutter wieder verliebt und einen anderen Mann heiratet? Wird mein Enkel bei seinem Mädchen in der Stadt bleiben und seine Familie und Traditionen vergessen?

Oder wird die Moderne der Stadt bald zu uns kommen, gemeinsam mit den Gerüchten um den Bau einer Eisenbahnlinie im ChonashuTal und den Lastwagen, die plötzlich aufgetaucht sind?

Wie sehr die Ängste um den Einzug der Moderne real sind, ist auch den Zuschauenden bewusst. Während wir die malerischen Landschaftsaufnahmen aus einem fernen Land geniessen, wissen wir, dass Globalisierung, Bevölkerungswachstum und Ausbreitung von Moderne auch vor der teilweise noch unberührten Landschaft Kirgisistans nicht Halt machen werden.

AUTOBIOGRAFISCHES In diesem Bewusstsein lebt auch Regisseur Mirlan Abdykalykow, der 1982 geboren wurde und in einem Dorf aufgewachsen ist. Da seine Eltern viel arbeiteten, wurde er in seiner Kindheit hauptsächlich von seinen Grosseltern aufgezogen – eine Parallele zur 7-jährigen Umsunai im Film, die den Alltag auch grösstenteils mit Grossmutter und Grossvater verbringt. Auch die Grosseltern von Abdykalykow legten viel Wert darauf, die Traditionen und Bräuche ihres Volks an ihren Enkel weiterzugeben und diese auch

in ­wandelnden Zeiten zu bewahren. Ein Anliegen, dem Abdykalykow in Heavenly Nomadic nun Ausdruck verleihen möchte: «Kirgisistan ist ein kleines Land, und in Zeiten der Globalisierung besteht die Gefahr, dass es verschwinden könnte, wenn wir nicht sein einzigartiges Gesicht erhalten: unsere Kultur, Sprache und Identität.»

GEBOREN, UM ZU FILMEN Es ist nicht ganz selbstverständlich, dass wir hier aus einem so ­kleinen Land wie Kirgisistan alle paar Jahre wieder einen Film in den Kinos zu sehen bekommen. Nachdem die Filmindustrie Kirgisistans nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion beinahe zum Erliegen gekommen war, haben einige wenige Filmemacher versucht, die dem Land ganz eigene, ausgeprägt poetische Filmsprache zu pflegen. Zu diesen Filmemachern gehörte nicht zuletzt ­Aktan Arym Kubat – der Vater von Mirlan Abdykalykow, einer der wichtigsten kirgisischen Filmemacher. Dank ihm ist Abdykalykow bereits seit seinem achten Lebensjahr in der Filmlandschaft zu Hause. Bevor er selbst hinter die Kamera wechselte, spielte er die Hauptrolle in drei Filmen, bei denen sein Vater Regie führte (Swing, Beshkempir und Naimil). Auch die Hauptdarstellerin Taalaikan Abasowa (Schaiyr) ist bei uns kein neues Gesicht: Sie spielte bereits 2010 in The Light Thief mit, bei dem ebenfalls Aktan Arim ­Kubat Regie führte. Sowohl The Light Thief als auch Beshkempir wurden von trigon-film im Kino und auf DVD herausgebracht.

Dass das Filmemachen in der Familie liegt, beweist Mirlan Abdykalykow eindrücklich mit Heavenly Nomadic. Eine poetische Liebes­erklärung an die Natur und an ein kleines Land, das darum kämpft, seine Identität in Zeiten der Globalisierung zu bewahren, erzählt im sanften Rhythmus des Nomadenlebens. n

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Javier und Amanda verlieren ihren 4-jährigen Buben im eigenen Garten durch einen Unfall. Sie sieht im Gesicht ihres Mannes jenes des Kindes, erträgt die Situation nicht und sucht Distanz in der Beziehung.

Er wehrt sich und versucht, sein Leben weiter zu leben.

Matías Bize erzählt in beeindruckenden Stimmungen vom Abschiednehmen und davon, wie anspruchsvoll menschliche Beziehungen sind und wie wertvoll.

EIN WALD MIT NAMEN LIEBE DER SPIELFILM LA MEMORIA DEL AGUA VON MATÍAS BIZE, CHILE Von Brigitte Siegrist

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Was könnte eine stabile Paarbeziehung in ihren Grundfesten erschüttern und sie urplötzlich einstürzen lassen? Wie überwinden zwei gemeinsam die tiefst anzunehmende Krise? Ist die Liebe am Ende immer stärker? Dass Matías Bize diese Fragen aufwirft, erstaunt nicht, wenn man in sein filmisches Universum blickt.

Seit seinem kometenhaften Aufstieg mit dem Erstling Sábado, den Bize mit 23 Jahren in einer einzigen Plansequenz drehte, kreisen all seine Filme um den Planeten Liebe. Mal witzig verspielt, mal sentimental melancholisch, mal existenziell intensiv – immer nah an den Darstellenden, interessiert an inneren Realitäten, ­fokussiert auf einen prägenden Moment Leben.

Seine Arbeiten, hat man den Eindruck, reifen mit seiner Person, was er in einem Interview bestätigt: «Um einen Film zu machen, muss man von der Wahrheit ausgehen. Bei mir entstehen sie aus ganz persönlichen Geschichten heraus und Fragen, die ich mir dazu stelle. Zwei Filme habe ich realisiert, nachdem Beziehungen in Brüche gingen. Im einen fragte ich mich, wie man eine Beziehung beendet, im andern, wie ein Wiedersehen mit der Exfreundin in zehn Jahren aussehen könnte.» Ungewöhnlich, dass sich ein Mann so offen und öffentlich mit (seinen) Gefühlen auseinandersetzt – und irgendwie wohltuend.

KEINE LANGEN VORSPIELE Im jüngsten Spielfilm La memoria del agua schickt er ein Paar Anfang dreissig auf die emotionale Umlaufbahn. Die erste Sequenz führt in medias res an den wunden Punkt. Die Kamera b ­ egleitet Javier von der Küche hinaus in den Garten, wo Amanda in einem verzweifelten Versuch den Swimming Pool decken will, der, das wird bald klar, wie eine offene Narbe im Rasen klafft. Er, gefasst, nimmt sie in die Arme. Sie, um Beherrschung bemüht, e­ röffnet ihm im Flüsterton, dass sie ausziehen muss, weil sie seinen Anblick nicht mehr aushält. Der Zuschauende kann sich schnell ­zusammenreimen, was passiert ist, und erlangt die Gewissheit, als die Kamera auf einer Mauer ruht, auf der Jahresstriche das Wachstum eines Kindes anzeigen. Sie enden bei vier Jahren. Dies alles erfährt man noch vor Einblendung des Filmtitels.

Lange Vorspiele sind Bizes Sache nicht – nie: In Sábado lässt er in der ersten Szene eine Hochzeit platzen, um dann die Folgen der Entscheidung zu beobachten. Der Film beginnt damit, dass eine junge Braut ihren Verlobten am Hochzeitsmorgen unter der Dusche hervor auf die Strasse zerrt, wo er sich und sie ihm die Blösse gibt, seinen Seitensprung am Polterabend einzugestehen.

Direkt zur Sache geht es auch im zweiten Spielfilm En la cama, in jenem Bett, in dem sich zwei Fremde im Hotel einnisten, die sich für den One Night Stand eigentlich zu gut verstehen. Die Betrachtung des Endes in Lo bueno es llorar eröffnet er mit einer ausgedehnten Einstellung auf ein Paar, das sich nichts mehr zu sagen

hat. Danach irren sie eine letzte gemeinsame Nacht lang durch Barcelonas Gassen.

Die Szene erinnert an Erich Kästners Gedicht «Sachliche Romanze»: Als sie einander acht Jahre kannten (und man darf sagen sie kannten sich gut), kam ihre Liebe plötzlich abhanden.

Wie andern Leuten ein Stock oder Hut. […]

Sie gingen ins kleinste Café am Ort und rührten in ihren Tassen.

Am Abend sassen sie immer noch dort.

Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort und konnten es einfach nicht fassen.

In La vida de los peces schliesslich findet man sich unvermittelt in einem Gespräch unter alten Freunden an einem Fest. Einer von ihnen verabschiedet sich, einmal, zweimal … und kann doch erst gehen, als der Film zu Ende ist und ein paar fatale Missverständnisse mit der Exfreundin aus dem Weg geräumt sind. Die Einheit von Ort, Zeit und Handlung haben es Bize angetan. Während Sábado in Echtzeit gedreht ist, spielen sich En la cama in einem Hotelzimmer und La vida de los peces in einem Haus in ­einer Nacht ab.

EINE BERÜHRENDE LIEBESGESCHICHTE Im jüngsten Film La memoria del agua weitet er den örtlichen und zeitlichen Raum, montiert parallel die getrennten Wege, die das Paar einschlägt, lässt ihre Wege sich kreuzen und auf einem Ausflug in den vulkanischen Süden für eine Weile zusammenfinden.

Dennoch bleibt er höchst konzentriert an der Ausgangsfrage, die die Rekonstruktion einer Beziehung nach einer Tragödie im Visier hat. Wie verarbeitet das Paar den Verlust des Kindes?

Trauer ist etwas sehr Individuelles und eine Beziehung ein fragiles Gebilde. Ist geteilter Schmerz wirklich halber Schmerz oder wäre «Aus den Augen, aus dem Sinn» die bessere Variante für einen Neubeginn? Einzeln oder getrennt, Eltern werden wohl nie darüber hinwegkommen, sondern nur damit leben lernen. Das versuchen Amanda und Javier in kleinen Schritten, allein und zusammen. Man kann La memoria del agua als romantisches Drama bezeichnen, als emotionale Reise zu einem möglichen Neuanfang, als eine berührende Liebesgeschichte definitiv.

PRÄSENZ DER ABSENZ Ihre Liebe ist intakt, das erfahren wir, doch der Schmerz steht noch zwischen ihnen. Ob die beiden wieder fürs Leben zusammen-

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finden, wissen wir nicht. Das überlässt der Filmemacher der ­ ukunft, die wir uns als Zuschauende individuell ausmalen, nachZ dem wir den Spuren seiner Bildsprache gefolgt sind. Auch die schmerzende Leerstelle füllt Bize weder mit klärenden Worten noch mit romantisierenden Erinnerungen auf. Keine Rückblenden, keine Bilder zeigen den verlorenen Sohn. Seine Präsenz wird in der Absenz sichtbar – über Gesten, Blicke, Handlungen, die uns den Puls der beiden erfühlen lassen – aber auch unseren eigenen.

Bize beabsichtigt eine Katharsis im klassischen Sinn.

Kleine, präzis gesetzte Details fungieren wie Türöffner in die ­eigene Erfahrungswelt. Die Musik wird zu einer Off-Stimme, die den Protagonisten aus der Seele spricht. Matías Bize scheut die Emotionen nicht. Die Zuschauerin soll nach dem Film nicht die Gleiche sein wie vor dem Film. Die Kamera unterstützt das ­Intime mit Nahaufnahmen, ruht auf den Gesichtern, erhascht ­Signale aus dem Herzen. Das Stilmittel kommt weniger zum Zug als in früheren Werken, wobei man in zwei Liebesszenen wieder ganz in die Körperpoesie von En la cama versinkt. Lippen, Finger, Augenlider und Haut flackern in stimmungsvollem Licht wie Fotografien auf. Sei es das Spiel mit sich brechenden Lichtquellen oder vorbeiziehende Goldfische im Aquarium, Bizes Liebesgeschichten verführen immer auch mit lyrischen Avancen. In Memoria sind es die Schneeflocken, die das Paar schicksalshaft wieder zusammenführen und als Ereignis gefeiert werden – denn in ihnen ist die ­titelgebende Erinnerung konserviert.

BEI DER WAHRHEIT DES LEBENS Als Ereignis kann man auch das beherrscht ausdrucksstarke Spiel der beiden Hauptdarsteller bezeichnen. Elena Anaya gehört aktuell zu den aufregendsten Schauspielerinnen Spaniens, sie hatte

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die Hauptrolle in Julio Medems Habitación en Roma (Zimmer in Rom) inne und wurde für ihre Rolle in Almodóvars La piel que habito (Die Haut, in der ich wohne) mit einem Goya ausgezeichnet. Benjamín Vicuña ist in Chile, Argentinien und Spanien ein begehrter Theater-, TV- und Filmschauspieler. Seine eigene ­Lebensgeschichte hat ihn an diese Rolle herangeführt. 2012, als das Drehbuch zu Memoria bereits verfasst war, verlor Vicuña seine 6-jährige Tochter Blanca nach einer kurzen, heimtückischen Krankheit. Nie im Leben wäre Bize auf die Idee gekommen, Vicuña für die Rolle anzufragen. Doch dann, eines Tages, meldete er sich von selbst und bot seine Mitarbeit an, nachdem er über ­einen Freund vom Projekt gehört hatte. Da ist der Regisseur wieder ganz bei der Wahrheit des Lebens, die er in seinen Filmen ­anstrebt.

MÄNNLICH? WEIBLICH? EINFACH LIEBE Mann und Frau sind versucht, typisch männliche oder weibliche Züge auszumachen in der unterschiedlichen persönlichen Verarbeitung. Javier kann nicht weinen und will als Architekt konstruieren – eine neue Zukunft aufbauen. Sie übersetzt in der Dolmetscherkabine – und das Gesicht ihres Partners in das Gesicht ihres verlorenen Buben, findet Trost in der Trauer, denn Glücklichsein wäre ein Verrat am Kind. Anderseits sind sie beide unfähig, Vorwürfe und Schuldgefühle zu kommunizieren – und sondiert Bize tiefer: In einer grossartigen Szene, die inmitten von Bäumen an die Wurzeln der Existenz vordringt, verankert er den Film im menschlichen Urgrund. Da stehen sich plötzlich fundamental andere Lebenskonzepte und Werte gegenüber. Gibt es einen Plan in dem Ganzen oder stehen wir einfach komplett verloren und ausgeliefert im Wald – im Universum, auf einem Planeten, vielleicht ­namens Liebe? n

«WAS MIT DEN MENSCHEN PASSIERT, IST WUNDERSCHÖN UND UNBEZAHLBAR.» DER FILMEMACHER MATÍAS BIZE ZU SEINEM SPIELFILM LA MEMORIA DEL AGUA

Was ist deine Hauptmotivation, um immer wieder von der Liebe zu sprechen?

Grundsätzlich muss es eine Geschichte sein, die einen Bezug zu mir hat. Wenn ich einen neuen Film mache, schaue ich zuerst, wie es in meinem Inneren aussieht und wovon ich sprechen möchte. Das hat bis jetzt gut funktioniert. ­Beziehungen sprechen mich an und berühren mich, ebenso die Welt, mit der ich Erfahrung habe und in der ich lebe.

Ich versuche etwas zu thematisieren, das ich kenne, um mit grösserer Wahrhaftigkeit zu erzählen.

Welche Bedeutung misst du der Inszenierung bei, im Sinne der Kunst, der Kamera und der Musik?

Oder ist die Schauspielführung sowieso das Wichtigste, und der Rest ergibt sich von selbst?

Ich denke, alles ist wichtig. Mir scheinen Musik, Fotografie, Schauspiel, Drehbuch und Montage zentral. Ich könnte ­alles aufzählen, weil alles wichtig ist. An diesem Film haben wir fünf Jahre gearbeitet, wir versuchten, jede einzelne Sache möglichst gut zu machen, um ein möglichst gutes Gesamtergebnis zu erreichen. Alles musste so sein, wie es schliesslich gekommen ist.

Bei welchen Bereichen fällt es dir am schwersten, zu d ­ elegieren? Oder gehörst du zu den Filmemachern, die alle Prozesse begleiten und kontrollieren?

Eigentlich delegiere ich gar nichts. Ich bin gerne möglichst nah an allen Prozessen beteiligt, gleichzeitig ist Kino die Kunst der Zusammenarbeit. Über einhundert Menschen ­arbeiten an einem Film mit, also versuche ich es so zu gestalten, dass alle motiviert sind mit dem Film, sich alle als Teil von ihm fühlen und hoffentlich ihr Bestes geben, vom Komponisten über den Drehbuchautor zum Kameramann und den SchauspielerInnen bis hin zum ganzen Team.

Das Wichtigste ist, dass wir alle im Dienste des Filmes ­zusammenarbeiten. Damit am Ende der Film brilliert und nicht das Drehbuch, der Schauspieler oder der Regisseur.

Entscheidend ist die Erzählung, sie soll möglichst ehrlich sein, einfach, und direkt beim Zuschauer ankommen, ihn berühren, kein Konstrukt darstellen und nicht auf Effekte bauen.

Wie sieht dein kreativer Prozess aus? Wo fängst du an?

Bei einem Bild, einem Song?

Es hat viel mit Disziplin zu tun, dich hinsetzen, nachdenken und sagen: «Gut, was mache ich jetzt?» Julio Rojas, der Drehbuchautor, hat in diesem Sinn viel beigetragen in Gesprächen, bei denen wir uns überlegten, wovon wir reden und welchen Film wir machen wollen. Da spielt wieder mit rein, was ich anfangs sagte, man muss in sich hineinschauen, so lange, bis die Idee klar ist. Haben wir einmal

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JUGEND AM BODEN AQUÍ NO HA PASADO NADA VON ALEJANDRO FERNÁNDEZ ALMENDRAS Von Fred Egger

Das chilenische Kino zeigt sich als ausgesprochen vielfältig und spannend in den letzten Jahren. Dieser Film zum Beispiel entstand in einer spontanen Reaktion auf tatsächliche Ereignisse.

Die bescheidenen Mittel wurden zu grossen Teilen in einer Crowdfundingaktion zusammengetrieben, die Mitwirkenden stellten sich unentgeltlich in den Dienst der aufklärerischen Gesellschaftskritik, der Dreh geschah in verblüffend kurzer Zeit, umso erstaunlicher die Dichte der Erzählung. Die Direktheit dürfte mit dem Entstehungs­prozess zusammenhängen, man spürt eine Notwendigkeit, diese Geschichte zu erzählen.

Vicente ist ein junger Mann, der das Leben geniesst und nach ­einem Jahr studienbedingter Abwesenheit in Los Angeles, zurückgekehrt ist und die Ferien im Haus der Familie am Meer verbringt.

Er liebt heisse Partys, schöne Mädchen, schnelle Autos. In einer Sonntagnacht fährt er mit anderen Jugendlichen, mit denen er gefeiert hat, die er aber kaum kennt, durch die Stadt. Plötzlich ­erschüttert ein Schlag den Wagen. Am Morgen stellt sich heraus, dass ein Mann überfahren worden ist, ein Vater von drei Kindern; und niemand hat Hilfe geleistet. Obwohl Vicente nicht am Steuer sass, gilt er bald als der Schuldige. Denn der Vater des eigent­ lichen Fahrers ist ein Senator und Wirtschaftsboss, einer der mächtigsten Männer im Land. Auf seine Familie darf kein Schatten fallen. Auch Vicentes Familie gehört zur Oberschicht: Vater und Onkel sind Anwälte. Wird es ihnen gelingen, den Vorwurf der fahrlässigen Tötung von ihm abzuwenden?

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Alejandro Fernández Almendras, der bereits mit seinem letzten Spielfilm Matar a un hombre (To Kill a Man) aufgefallen war, rekonstruiert hier einen wahren Fall, der in Chiles Medien hohe Wellen schlug. Gleichzeitig untersucht er die Auswirkung korrupter Machtstrukturen auf Recht und Gesetz. Man könnte den Titel Aquí no ha pasado nada am besten übersetzen mit der Aufforderung an ­einem Unfallplatz: «Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen». Die Weisung hier ist allerdings eine gesellschaftliche.

Die Gerichte sollen sich anderen Themen widmen, auf dieses hier will man nicht eingehen. Die chilenische Affäre hat aber auch eine globale Ebene, denn Vertuschungsgeschichten finden sich überall. Ähnlich im Ansatz gab es sie vor nicht allzulanger Zeit in einer Episode des argentinischen Knallers Relatos salvajes von Damián Szifron, nur dass in Episoden eben jede Geschichte ­bestenfalls angedacht oder auf ihren Knalleffekt hin ausgenutzt werden kann.

Alejandro Fernández Almendras sucht etwas anderes: Er will die Tiefe eines solchen Vorfalls ausloten und der Gesellschaft die ­Mitverantwortung zurückgeben. Aquí no ha pasado nada ist zunächst eine heftige Sozialkritik an einer Bourgeoisie, die es sich bequem gemacht hat und ihre Privilegien in Ruhe geniessen will.

Gleichzeitig, und da wird der Film global, beschreibt Alejandro Fernández Almendras eine Jugend, deren Eltern nie Zeit hatten, ihnen aber alles Käufliche gaben, eine Jugend, deren Alltag von Vereinsamung, Langeweile und Sinnesleere geprägt ist, die sie in kollektiven Besäufnissen und Happenings zu verdrängen sucht.

Die ­omnipräsenten Smartphones und ihre kurzen Messages wirken, als würden sie die Beziehungsleere noch verstärken. Macht weiter, es gibt hier nichts zu melden. n

eine erste Linie skizziert, arbeiten wir sie aus und treiben sie vorwärts. Mehr als mit einem Bild hat es mit einer Idee zu tun, zum Beispiel, dass einem Paar eine Atombombe wie der Tod eines Kindes ins Haus fällt und wie dieser Verlust die beiden verändert. Wir fragten uns: Lohnt es sich, davon zu sprechen? – Ja. – Möchten wir einen Film ­darüber machen? – Ja. Danach begannen wir zu arbeiten, das heisst zuallererst, dass ich mich in die Figuren hin­ eindenke. Ich habe keine Kinder, aber ich kann mich in die Lage versetzen und sagen, wie es mir erginge in einer solchen Situation.

Auffällig im Film ist die Zeit, die du jeder Figur lässt, damit sie sich frei entfalten kann, egal, wie lange es dauert. Wie gehst du beim Schnitt mit der Zeit um?

Wie weisst du, wann genug ist? Spürt man das oder gibt es dafür eine bestimmte Technik?

Die Montage war auch ein sehr langer Prozess, sie dauerte ungefähr sechs Monate, die sich als sehr wichtig erwiesen, denn in dieser Zeit gelangte das Gefilmte zur Reife. Ich schnitt mit Valeria Hernández, einer sehr jungen, guten Cutterin, und wir waren während sechs Monaten täglich damit beschäftigt, den Film zu schleifen und zu polieren.

Wir machten einen Rohschnitt und fingen an, auszumisten und das Wesentliche stehenzulassen, eine Einstellung durfte nur bleiben, wenn sie eine Bedeutung hatte, weil sie etwas erzählte. Wir haben also viel Material ausgeschlossen, der Film wurde durch eine Art Sieb getrieben, in dem schliesslich nur das Wesentliche der Geschichte hängenblieb – mit dem Bewusstsein immer beim Zuschauer, den wir packen und berühren wollten, das war uns ein Anliegen.

Ich denke, jeder Film hat sein eigenes Markenzeichen und das scheint mir interessant. Dieser hat auch eine Handschrift, er gleicht den früheren in manchem, zeugt aber auch von einem Wachstum und einer Entwicklung. Das freut mich, denn mehr als ein einzelner Film interessiert mich bei einem Filmemacher seine Laufbahn. Ich schaue mir die Filme an und beobachte, wie er oder sie sich weiterentwickelt. In diesem Sinn kann man La memoria del agua leicht identifizieren, das stimmt. Das macht mich stolz.

Weshalb hältst du den letzten für deinen bisher besten Film?

Weil ich glaube, dass er den Zuschauer in einer Art anspricht und erreicht, wie ich das noch nicht erlebt hatte, er schafft eine spezielle emotionale Verbindung. Was mit den Menschen passiert ist wunderschön und unbezahlbar – jenseits und unabhängig von allen möglichen Preisen, die etwas Äusseres und total Unberechenbares sind.

Was denkst du vom aktuellen chilenischen Kino und der fruchtbaren Generation neuer junger Filmemacher?

Das chilenische Kino ist gerade in einer extrem guten ­Phase. Es gibt Filme, die im Ausland Preise erhalten, sowie bedeutende kommerzielle Premieren im Land, was ­bedeutet, dass das Kino in Form ist. Hoffentlich ist es nicht nur eine temporäre Erscheinung, sondern hält noch lange an. Ich denke, es ist auch von staatlicher Seite das Bewusstsein gewachsen, wie wichtig das Kino in und für Chile ist. Es braucht noch mehr Unterstützung, aber wir sind auf einem guten Weg. n

Die Musik ist ein weiterer Treffer im Film, vor allem in den kurzen Videoclips, die einen Übergang beschreiben. Nach welchen Kriterien erfolgte die Auswahl. Wurde der Soundtrack für den Film extra komponiert?

Ja, die Musik stammt von Diego Fontecilla, der bisher in all meinen Filmen für die Musik zuständig war. Er beginnt schon zu komponieren, wenn wir zu schreiben anfangen, das heisst, die beiden Disziplinen wachsen zusammen und inspirieren sich gegenseitig. Wir sind sehr stolz auf die ­Arbeit.

Wir waren schon sehr zufrieden mit dem Resultat in La vida de los peces, wollten aber noch einen Schritt weiter­ gehen, denn hier war die Musik entscheidend, um an die Emotionen heranzukommen, die wir suchten. Es ist ein Masterpiece geworden, mit dem wir so glücklich waren, dass wir eine CD mit dem Soundtrack herausbrachten. Sie enthält die Musik von Diego Fontecilla und der Gruppe «Inverness», die auch schon in früheren Filmen mitwirkte, und schliesslich den Song «Arranquemos del invierno» (Lassen wir den Winter hinter uns), der von Fernando ­Milagros gesungen wird, einem bekannten chilenischen Singer-Songwriter. Das Stück läuft im Abspann und wir drehten damit einen Videoclip, um den Film zu promoten.

Du bist ein Autorenfilmer, deine Arbeiten tragen eine eigene Handschrift, die man wiedererkennt.

Diese Woche habe ich den Kommentar gehört, der Film sei sehr «Bize». Bist du ein Vorreiter und setzt Tendenzen im chilenischen Kino?

Wirst du auf der gleichen Linie weiterarbeiten?

Was betrachtest du als dein Markenzeichen?

MATÍAS BIZE Matías Bize hat die Chilenische Filmhochschule absolviert.

Nach verschiedenen Kurzfilmen im Laufe der Ausbildung, drehte er mit 23 Jahren seinen ersten Spielfilm Sábado (Samstag, 2003). Die in Echtzeit gedrehte Tragikomödie über eine in letzter Minute abgesagte Hochzeit feierte am Filmfestival Mannheim-Heidelberg Premiere und gewann den Rainer Werner Fassbinder Preis. Die Handlung seines zweiten Films En la cama (Im Bett, 2005) entwickelt sich mit nur zwei Darstellern in einem Hotelzimmer und ­e iner Nacht. Der Film hatte seine Premiere am Filmfestival Locarno und gewann am Filmfestival Seminci in Valladolid den Hauptpreis. Bize führt seine feinfühligen Betrachtungen des Paarlebens im dritten Spielfilm Lo bueno de llorar ­( Weinen tut gut, 2006) fort, in dem er sich mit dem Ende ­e iner ­B eziehung auseinandersetzt. Für La vida de los peces (Das ­Leben der Fische, 2010) verlieh die spanische Film­ akademie Matías Bize den Goya für den besten lateinamerikanischen Spielfilm. 2012 wurde Bize eingeladen, am neuen Berlinale Residency Programm teilzunehmen, um seinen fünften Spielfilm, La memoria del agua (Das Gedächtnis des ­Wassers) zu entwickeln.

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Nichts vermag den jungen Mexikaner Nero von seinem Traum abbringen, US-amerikanischer Staatsbürger zu werden. Er folgt den Spuren des älteren Bruders, die ihn nach LA bringen, in die Villen der Reichen und Schönen.

Um eine Green Card zu bekommen, meldet er sich frei­ willig zum Militärdienst. Und schon findet Nero sich in einer Wüstenlandschaft der Kriegsgebiete im Mittleren Osten wieder. Ein packender Film über Grenzen.

GRENZEN ÜBERWINDEN DER SPIELFILM SOY NERO VON RAFI PITTS Von Walter Ruggle

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Sagt Ihnen der Name José Antonio Gutierrez etwas? Er war der erste Soldat, der im zweiten Krieg der USA gegen den Irak fiel.

Am 31. März 2003 starb er im so genannten «friendly fire», das heisst: Versehentlich von eigenen Leuten getroffen. Die Schweizer Filmemacherin Heidi Specogna hat vor zehn Jahren in ihrem sorgsam recherchierten Dokumentarfilm Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez seine Geschichte rekonstruiert.

Als Kind hat er die Eltern im guatemaltekischen Bürgerkrieg verloren, in dem die CIA eine entscheidende Rolle spielte. Er wuchs als Strassenbub auf, der sich selber über Wasser halten musste, und machte sich irgendwann auf zu einer beschwerlichen Reise in den verheissungsvollen Norden. Beim dritten Versuch schaffte José Antonio Gutierrez es, die mexikanisch-nordamerikanische Grenze erfolgreich zu überqueren; um zu einer Green-Card zu gelangen, meldete er sich bei der Armee. Allein im zweiten IrakKrieg zählte man 32'000 Männer und Frauen, die wie er über den Kriegsdienst für die USA zur US-Identität gelangen wollten. Sein Bild ging um die Welt als das des ersten US-Soldaten, der im Irak gefallen war. Die Staatsbürgerschaft erhielt er posthum. Tot war er, nun endlich US-Amerikaner.

ICH BIN - WER BIN ICH? Die Geschichte von José Antonio Gutierrez hat auch den iranischen Filmemacher Rafi Pitts (The Hunter) beschäftigt. Es war nicht die einzige Erzählung, die ihm zu Gehör kam, gleich mehrere Schicksale von Green CardSoldiers trug er zuammen, um aus ihnen einen Spielfilm zu schreiben und zu drehen, der sich aus ­Erfahrungselementen zusammensetzt. So entstand der an der Berlinale uraufgeführte Film Soy Nero. Der Titel, so kurz er wirken mag, erzählt eigentlich bereits eine Geschichte, denn wenn jemand sagt, «Ich bin Nero», dann bezeichnet er damit zunächst einmal den Namen, aber mit dem «soy» sagt er auch: «Ich bin».

Was heisst das: Ich bin? Was sind wir? Was macht uns zu dem, was wir sind? Rafi Pitts begibt sich auf eine Spurensuche. Er weiss als Träger von drei Nationalitäten aus eigener Erfahrung, dass zum Beispiel ein Heimatland zum Sein gezählt wird: Ich bin Mexikaner, ich bin Senegalese, ich bin Chinese, ich bin Schweizer. Das heisst je etwas anderes und mitunter viel. Pitts selber fragt sich, ob er Iraner sei, weil er Farsi als Muttersprache hat und da zuhause war, auch wenn er nicht mehr in seine Heimat einreisen darf. Oder Engländer, weil er einen britischen Vater hat, oder Franzose, weil sein Stiefvater von dort stammt und er in Paris eine Wohnung hat?

VON MENSCHENHAND GEZOGENE LINIEN Seine Filmfigur Nero ist Mexikaner, auch wenn er keine Identitätskarte vorlegen kann und behauptet, er sei in Los Angeles aufgewachsen. Spielt es eine Rolle, ob seine Behauptung bei der ­Einvernahme stimmt oder nicht? In Kalifornien leben viele Hispanos; 37,6 der KalifornierInnen ist spanischsprachiger Herkunft, fast die Hälfte. Vor 500 Jahren wurde hier auch kein Englisch gesprochen. Nero möchte US-Bürger werden und begegnet dem American Dream beim Besuch seines Bruders in einer Villa in Beverly Hills. Wie schnell sich eine Erscheinung ändern kann, zeigt sich hier. Am einen Tag präsentiert sich der Bruder als Arrivierter und Villenbesitzer, am nächsten Tag gehört er wieder zum Dienstpersonal, weil die Besitzenden zurückgekehrt sind. Und Nero muss davonrennen aus dem vermeintlichen Paradies.

Wie die Nation ist auch die Villa von einer Mauer umgeben, zum Schutz vor Eindringlingen. Rafi Pitts führt uns in seiner fiktiven Handlung Variationen von Grenzen vor Augen, innerhalb derer sich Menschen befinden, die Menschen überwinden möchten. Die absurdeste, nicht erkennbare, künstlichst geschaffene liegt in

the middle of nowhere irgendwo sehr weit entfernt von den USA in einer Region, die wie Afghanistan ausschaut, aber nicht näher bezeichnet wird. Hier bewachen sie, die Jungs, die zu einer Nation gehören möchten. Was bewachen sie? Sie wissen es auch nicht.

Die erste Grenze, mit der sich Nero konfrontiert sieht, ist der mehrere Meter hohe Grenzzaun, der in Tijuana ins Meer hinausläuft. Nero sitzt auf der mexikanischen Seite und will rüber auf die Seite der USA. Es braucht mehrere Anläufe, aber er weiss: Irgendwann schafft er es, jene von Menschenhand gezogene Linie zu überqueren, die die Menschen auf der einen Seite zu US-AmerikanerInnen macht und die anderen zu MexikanerInnen.

AMEISE UND ELEFANT Der Schlepper am Grenzzaun erzählt Nero zum Einstieg die Geschichte von der Ameise und dem Elefanten, die sich auf einer Strasse begegneten und der Liebe auf den ersten Blick verfielen.

Es sei unglaublich, aber so sei es nun mal. Die beiden hätten die ganzen Nacht hindurch getanzt und gebumst. Sie hätten den Moment genossen, und am Morgen sei der Elefant tot gewesen.

Die Ameise sagte sich: Puta madre! Eine Nacht mit dem Sex meines Lebens, und jetzt muss ich für den Rest meines Lebens ein Grab buddeln. Der Elefant, dem sie beim Überqueren der Grenzzone begegnen würden, sei der Helikopter oben am Himmel.

«Und Ihr seid die Ameisen.»

Nero schafft es im zweiten Anlauf. Wie José Antonio Gutierrez heuert auch er bei der US-Army an und lässt sich in den Mittleren Osten versetzen, um dort einen Grenzposten zu bewachen. Im ­Unterschied zur ersten Grenze, die er zu überwinden hatte, liegt diese nun in einem Gebiet, das sich fernab von so etwas wie Heimat befindet. Nero verteidigt als Nochnichtamerikaner ein Stück Wüste in einem Land, das nicht Amerika ist. Er tut dies mit ein paar Kumpeln zusammen, um eine Nationalität zu erlangen oder, wie die anderen, sozialen Aufstieg. Die Grenze und ihre Protagonisten wechseln, jetzt ist er, der Verfolgte, derjenige, der andere anhält oder angreift.

SCHAU-PLÄTZE Der Film Soy Nero ist in vier Schau-Plätze gegliedert, die je für eine Phase im Leben von Nero stehen. Auf die Grenzzone zu den USA folgt die Freiheit in den USA, verkörpert durch einen Autofahrer, der mit seiner Tochter unterwegs ist, bewaffnet und in seinen Erzählungen Gefangener seiner Ängste. Der dritte Schauplatz ist die erwähnte Villa in Bevery Hills, wo die Dekadenz sich schon breit gemacht hat. Darauf folgt die Verteidigung des American Dreams, und diese findet aktuell primär im Mittleren Osten statt. Pitts versteht es, Situationen zu inszenieren, in denen die Figuren Gefangene ihrer Träume sind. Das war in The Hunter so, wo ein Mann und Vater sich am Verlust seiner Frau und Tochter rächt und wir uns mit ihm in einem ausweglosen Wald mit zwei Polizisten wiederfinden, von denen je länger je weniger klar ist, wer mit wem zusammenspannt und warum.

Hier nun verdichten sich die Fragen, die den Filmemacher beschäftigen, an jenem Grenzzaun in der Wüste. «Ich bin Nero», sagt der Held auch hier wieder, aber er weiss weniger denn je, was das bedeutet. Mexikaner ist er schon lange nicht mehr. USBürger ist er noch nicht, aber er setzt sein Leben für die USA aufs Spiel. Am Ende des Tages ist Nero allein auf weiter Flur, ein Individuum, wie wir alle. Die Grenzen der Welt wurden von Menschenhand geschaffen und im Lauf der Geschichte ungezählte Male verschoben. Weil das zu oft willkürlich und rücksichtslos geschah, sind Kriege vorprogrammiert. Auch und gerade die aktuellen. n

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«ICH HATTE IMMER DAS GEFÜHL, EHER VON MEINER SCHUHSOHLE ALS AUS EINEM BESTIMMTEN LAND ZU KOMMEN.» REGISSEUR RAFI PITTS ÜBER SEINEN SPIELFILM SOY NERO

Wird das Phänomen der Green Card Soldiers in den USA derzeit debattiert, sind Sie deshalb darauf gestossen?

Immigration gibt es auch in Europa. Ich wollte aber nicht einfach eine Geschichte über Immigration schreiben, die sich ausschliesslich mit einem Land beschäftigt. Ich wollte die absurdeste Grenze finden und bemerkte, dass sich die US-amerikanische Grenze gut dafür eignet. Die USA ist ein Land voller Immigranten. Ausserdem ist die Wirtschaft Kaliforniens stark abhängig von der Latinogemeinschaft und der Immigration – und dennoch haben sie eine Mauer gebaut.

Unser Film befasst sich auch mit dem Krieg im Nahen Osten, der viele Länder betrifft. Ich wollte keine Geschichte über eine einzige Grenze oder über ein Land machen. Die US-amerikanische Grenze schien einfach die passendste, wenn man die heutige Geopolitik betrachtet. In der US-Armee gibt es Green-CardSoldaten aus der ganzen Welt. Das nordamerikanische Kino hat dieses Thema überraschenderweise nie behandelt, obschon es die Green-Card-Soldaten schon seit dem Vietnamkrieg gibt.

Nach Verabschiedung des «Patriot Act» nach 9/11, der für die Deportation illegaler Immigranten sorgte und die Grenzen verstärkte, brachte George Bush auch die Idee des «Dream Act» auf.

Dieser sollte bewirken, dass man seine Deportation verhindern konnte, indem man sich der US-Armee anschloss und ein GreenCard-Soldat wurde. Kam man nach zwei Jahren aus einem der Kriegsgebiete zurück, erhielt man die Staatsbürgerschaft.

Obamas Regierung korrigierte dies. Bei ihm wird man ein USamerikanischer Staatsbürger, bevor man zum Kämpfen in den Nahen Osten geht.

Die Hauptfigur Nero bewegt sich durch verschiedene geogra­ fische Schauplätze. In früheren Jahrhunderten war eine solche Reise oft ein erzählerisches Muster für einen lehrreichen Weg, der schliesslich zum Aufbau einer Identität führte, indem man seinen eigenen Platz in der Welt fand. Können Sie sich identifizieren mit diesen klassischen Geschichten?

Wo lägen die Unterschiede zu Ihrem Film?

Natürlich kann ich mich damit identifizieren, denn ich bin, wer ich bin – ich habe einen britischen Vater, eine iranische Mutter und einen französischen Stiefvater. Ich hatte immer das Gefühl, eher von meiner Schuhsohle als aus einem bestimmten Land zu kommen. Die Absurdität, unbedingt irgendwo dazugehören zu wollen, hat mich immer schon fasziniert, da jedes Land, aus dem ich stamme, stets darauf beharrt hat, dass ich aus dem ­anderen komme.

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Natürlich gibt es für die Menschen ein Bedürfnis, dazuzuge­ hören, aber wenn man sich ansieht, was sich heutzutage in der

Welt abspielt, ist die Befriedigung dieses Bedürfnisses zu einer Absurdität geworden.

Im zweiten Teil spielt der Film in der Wüste. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es zwei Geschichten sind. Ich glaube aber stark daran, dass es sich um ein und dieselbe Geschichte handelt, weil die eine ein Echo der anderen ist. Meine Figur wird erst von der Grenzwache gejagt und wird dann selber ein Grenzwächter. Es ist ein Echo davon, was sich in den Wüsten abspielt, die praktisch ein Niemandsland sind. Wie der Mann auf dem Mond. Und dieser wird ebenfalls im Film repräsentiert mit der Figur des Armstrongs, der in seiner Anti-Minen-Ausrüstung durch die Wüste spaziert. Der Glaube der Menschen, dass man alles erobern könne, ist absurd. Tatsächlich haben alle Charaktere in unserem Film ein Bedürfnis, dazuzu­ gehören und haben sich in ihrer Identität verloren.

Ihre Protagonisten repräsentieren eine Gruppe von ­Menschen, die bereit sind, ihr Leben herzugeben, um eine nationale und damit eine individuelle Identität zu ­erlangen. Ihre Bemühungen und ihr Leiden in einem Krieg, der weit weg von der Heimat abgehalten wird, ­werden jedoch als kollektive Erfahrung eines ganzen ­Landes gesellschaftsfähig gemacht. Man könnte sagen, dass der Tod dieser Soldaten der Preis für den Nationalstaat der USA und dessen nationale Identität darstellen. ­Warum interessieren Sie sich so stark für die USA? Wegen der multinationalen Seite. Es ist ein Land der Immigranten, die einzigen Menschen, die eingeborene Amerikaner sind, haben nichts zu sagen, das sind die Indianer. Ich finde es faszinierend, wie die USA hart gegenüber Menschen sein können, die dazugehören möchten, die «Amerikaner» werden wollen – in dem Sinne, dass GreenCard-Soldaten die US-amerikanische Nationalität nicht erhalten, bevor sie kämpfen, sondern erst danach.

Green-Card-Soldaten erhalten ihre Nationalität entweder, indem sie dort draussen sterben, oder, indem sie aus der Hölle zurückkehren. Ich finde das sehr brutal. Trotzdem wollte ich nie einen einseitigen Film machen, der eine Geschichte erzählt, in der die US-Amerikaner die Bösen und die Immigranten die Guten sind. Es gibt schliesslich eine Menge junger Amerikaner, die hauptsächlich aus der Arbeiterklasse kommen und in denselben Krieg ziehen. Auch sie kämpfen um ihr Überleben. Sie kämpfen nicht um die Nationalität, sondern um eine soziale Sicherheit. Um ein Leben zu erhalten, das sie nicht zwingend haben. Sie alle sind verbunden in ihrem Kampf um das Überleben.

Ich habe ausführlich darüber mit dem Co-Autor Razvan Radulescu gesprochen, weil ich besessen war von der Idee, dass wir keinen Film über einen Immigranten machen sollten, der die böse Maschinerie bekämpft, eher ­anders rum.

Wir beginnen an einem Punkt, dem ich mich von meiner ­eigenen Identität aus am nächsten fühle. Es ist das Bedürfnis, zu einem Land zu gehören. Wir fangen an beim Überqueren einer Grenze und den Schwierigkeiten und der ganzen Absurdität dabei. Das ist in einer gewissen Weise persönlich. Aber es ist auch universell in dem Sinn, als j­ eder Mensch das verzweifelte Bedürfnis hat, dazuzuge­hören.

Wie setzen Sie dieses geografische Problem in der Filmstruktur um?

Als Filmemacher glaube ich an den Aufbau oder sogar die Architektur innerhalb eines Films. Das habe ich bereits bei It's Winter begonnen, dann bei The Hunter fortgesetzt und nun mache ich damit in Soy Nero weiter. In The Hunter gab es auch den Gedanken, dass sich die beiden Seiten der ­Geschichte gegenseitig spiegelten.

In Soy Nero liess ich die Landschaft und die Identität oder den Schauplatz durch die Reduktion auf detaillierte und direkte Spiegelungen verschwinden: die Grenzwache am Anfang und die Grenzwache in der zweiten Hälfte. Der gefangene junge Immigrant am Anfang und der junge Immigrant, der am Ende gefangen wird. Es ist eine Geschichte von jemandem, der zu den Himmelspforten gelangt, aber wieder zurück in die Hölle geworfen wird.

Man könnte sagen, dass die Nation als symbolische Kraft und die Nation als militärische Kraft die zwei Hauptteile von Soy Nero strukturieren – in Los Angeles und im Krieg. Für den Protagonisten scheinen sie aus einer unantastbaren Logik verbunden zu sein, die aufs Publikum sehr ironisch wirkt. Warum vertrauen Sie dieser Verbindung nicht?

Es geht nicht nur um die Symbolik. Der Film beginnt mit zwei rennenden Körpern, zwei Mexikanern, die durch die Wüste rennen. Es folgt der Teil in der Villa. Die Villa selber ist an einem Tag mexikanisch, am nächsten nordamerikanisch. Dennoch ist es derselbe Ort. Am einen Tag hören wir Latino-Musik, am anderen US-amerikanische. Dennoch bleiben wir in derselben Landschaft. Das ist ein wichtiger Teil in der architektonischen Struktur unseres Films.

Als wir zurückkehren in die Wüste, treffen wir wieder auf zwei Individuen. Aber dieses Mal tragen sie eine Militäruniform. Das bringt Mexiko und die USA in dieselbe Landschaft – wie die Villa, weil sie am einen Tag den Mexikanern und am anderen Tag den Nordamerikanern gehört.

Trotzdem ist es dieselbe Landschaft. Ich denke, dass ein Mexikaner, der sich in der nahöstlichen Wüste ­befindet, sich stärker Zuhause fühlt als ein Typ aus der Bronx, der in derselben Wüste steht. Ironischerweise fühlt sich der Mexikaner stärker zuhause in dieser fremden Landschaft als der Nordamerikaner.

Die Architektur und die Räume, die Sie im Film auf­bauen, scheinen sehr präzise zu sein.

Gleichzeitig spielt jede Szene in einem ausserräumlichen Setting, vor allem an den Grenzen.

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Was bedeuten diese Grenzen für den Protagonisten?

Und für die Erzählung des Films?

Für mich sind Grenzen Übergänge, eine Art Sequenzen, auch im Filmemachen. Es gibt also einen Bezug. Aber ich bin auch etwas besessen von der Wüste in Los Angeles. Im US-Kino sieht man sie nie als verlassene Landschaft. Aus irgendwelchen merkwürdigen Gründen neigt das nordamerikanische Filmschaffen dazu, immer Statisten in jede einzelne Aufnahme zu platzieren. Aber wenn du die Strassen von Los Angeles entlang läufst, ist kaum je einer da, dann gibt es nur dich und deinen Schatten – ausser du gehst zu einem der Touristenorte wie dem Kodak-Theater.

Wenn man die Strassen entlang geht, ist man oft allein, bloss eine Silhouette. Du wirst aus den Autos beobachtet, weil du merkwürdig wirkst, wenn du eine Distanz zu Fuss zurücklegst.

Und wie in all meinen Filmen taucht auch das Labyrinth in einer verlassenen Landschaft auf. The Hunter spielt im Wald, da ist das Labyrinth ein bisschen offensichtlicher.

«Wer bin ich? Ich habe einen britischen Vater, eine iranische Mutter und einen französischen Stiefvater.

Die Absurdität, unbedingt irgendwo dazugehören zu wollen, hat mich immer schon fasziniert, da jedes Land, aus dem ich stamme, stets darauf beharrt hat, dass ich aus dem anderen komme.»

Rafi Pitts

Hier in der Wüste ist es ein merkwürdiger Irrgarten, in ­welchem verschiedene Vorstellungen von Grenzen bestehen. Nero ist nicht der einzige Typ zwischen den Grenzen.

Die beiden Schwarzen kommen aus demselben Land und haben dieselbe Hautfarbe, trotzdem stammen sie nicht aus derselben amerikanischen Kultur. Einer kommt von der Ostküste, der andere vom Westen. Darum bringe ich die Rapkultur mit ein und die Absurdität des Hasses darin.

So evoziere ich die Grenzen, die in ihren eigenen Köpfen und in ihrem eigenen Land existieren.

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A propos Grenzen: So wie die Arbeit der Grenzwächter am Ende darin besteht, zu bestimmen, wer die Grenze überqueren darf und wer nicht, schaffen Sie als ­Regisseur ebenfalls Grenzen in Ihrem Film, indem sie entscheiden, dass gewisse Dinge sichtbar werden und andere ausgespart bleiben. Ist das Ihrer Meinung nach etwas, was das Filmemachen zu einer politischen Angelegenheit macht?

Ich denke, dass das Filmemachen immer auch etwas Politisches in sich hat, weil Entscheidungen politisch sind. Es liegt ein schmaler Grat dazwischen, Stellung zu beziehen für eine politische Ansicht oder Stellung zu beziehen für Menschen und ihre ­Lebensbedingungen. Ich war schon immer fasziniert vom Typen auf der Strasse und habe mich nie besonders für Politiker interessiert. Vielmehr geht es mir um den normalen Menschen und wie er in einer Situation überleben kann, in der er von jemand anderem beherrscht oder gar marginalisiert wird. Das muss nicht unbedingt die politische Partei sein, die regiert, sondern kann auch das sein, was ihm von der Gesellschaft auferlegt wird.

Gerade ein Film braucht verschiedene Schichten innerhalb der Story, des Drehbuchs und der Charaktere. Zu diesem Film wird zum Beispiel eine zweite Schicht hinzugefügt durch die Schauspieler mit ihrer eigenen Realität und ihrer eigenen Persönlichkeit. Dann spielt auch die Drehart eine Rolle. Die Art, wie wir die Geschichte mit der Kamera umformulieren. Die Architektur, die Weise, wie du den Film gestaltest, macht eine weitere Schicht aus. Der Schnitt. Der Ton. Es ist eine Vereinfachung, aber schliesslich geht es um ­diese Besessenheit, den Film mit jeder Schicht verbessern zu wollen. Ihn in jedem Stadion neu zu formulieren. JeanPierre Melville sagte etwas, das mir sehr gefällt. Er wurde einmal gefragt: «Für Sie ist die Geschichte das Wichtigste beim Filmemachen, nicht?» Und Melville antwortete: «Nun, das Drehbuch macht 50 Prozent des Films aus.»

Und dann sagte er: «Das Casting macht weitere 50 Prozent aus. Die Kameraführung sind 50 Prozent des Films. Der Schnitt macht nochmals 50 Prozent aus, und vielleicht macht auch der Ton noch 50 Prozent aus.» Zum Schluss sagte er: «Wie Sie sehen, gibt es ziemlich viele 50 Prozente dabei.» Was ich damit sagen möchte, ist Folgendes: Wenn eines dieser Elemente fehlt oder nicht gut genug ist, verliert der Film 50 Prozent. Das ist Filmemachen. Das stammt aus einem sehr alten Interview, ich glaube 1967.

Aber es ist die Wahrheit über das Filmemachen.

In jeder Volksgeschichte haben Autorinnen und Autoren, Film- und Kunstschaffende einen wichtigen Teil zum Prozess der Staatenbildung beigetragen.

Inwiefern verknüpfen Sie Ihre Arbeit mit verschiedenen oder spezifischen Ländern?

Natürlich bin ich der Ansicht, dass Filme oder Kunst ganz allgemein aus einem kulturellen Hintergrund heraus entstehen. Aber ihre Schönheit besteht darin, dass sie keine Grenzen kennen. Das ist das Erste, was ich beim Filmemachen oder überhaupt bei der Kunst entdeckt habe. Im Iran verstehen wir Fassbinder, wir verstehen Welles, Ford, Hawks oder Fellini, Pasolini, Antonioni, wir verstehen die Franzosen oder die Japaner. Umgekehrt verstehen auch sie uns. Ich denke, wenn ein Film ernst gemeint ist, gibt es keine Grenzen. Ich rede nicht vom Weltkino, denn diesen Begriff mag ich überhaupt nicht. Aber jeder Film, der ernst gemeint ist und zunächst einfach aus einer menschlichen Gefühlsregung stammt, ist universell verständlich.

Und das ist für mich der Inbegriff der Kunst. Bewegung mit Gefühl. n

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STICHWORT: GREEN CARD SOLDIERS

Das US-Militär ist voller Amerikaner, die eine Veränderung der Welt bewirken möchten. Es schliesst aber auch viele mit ein, welche die USA nicht als ihr Heimatland beanspruchen können. Gemäss des US Centre of Naval Analyses rücken jährlich 8000 Menschen ohne Staatsbürgerschaft in die US-Army ein. Viele erhoffen sich dadurch, die Staatsbürgerschaft für sich und ihre Familien zu erlangen. Sie werden oft als Green-Card-­Soldaten bezeichnet.

Nicht-Staatsbürger können kämpfen und sterben im US-Militär, um vom Land aufgenommen zu werden. Zu den US-Streitkräften im Irak und in Afghanistan gehören «ein paar Tausende GreenCard-Soldaten, die noch nicht mal Bürger dieses Landes sind» (John McCain). Viele der diensthabenden Soldaten im Irak zählen Englisch nicht zu ihrer ersten Sprache und würden lieber

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­ efehle in ihrer Muttersprache entgegennehmen – üblicherweise B in Spanisch.

2012 berichtete die Presseagentur von beinahe 17 000 Nicht-Bürgern unter den diensthabenden Rekruten. Teil der Anziehungskraft für Rekruten aus dem Ausland ist ein schnellerer Weg zur Einbürgerung, das Produkt einer politischen Linie, die nach dem 11. September 2001 gezogen wurde, um die militärischen Ränge zu füllen. Ein Präsidentenerlass von 2002 erlaubte es Nicht-Bürgern, im Militär zu dienen, um eine beschleunigte Staatsbürgerschaft zu erlangen –nach dem geleistetem Dienst. Ausländische Soldaten gehörten zu den ersten militärischen Opfern im Irak, darunter der Marine Lance Corporal José Antontio Gutierrez, der am 31. März 2003 starb und die US-amerikanische Staatsbürgerschaft posthum erhielt. Seine Odyssee hat Heidi Specogna im Dokumentarfilm Das kurze Leben des José Antonio Gutierrez eindrücklich beschrieben. Präsident Obama änderte den Erlass dahingehend, dass ausländische Soldaten die US-Staatsbürgerschaft schon vor dem militärischen Einsatz erhalten.

2012 wurde eine Rekordzahl von Mitgliedern des US-Militärs eingebürgert, die höchste Rate seit 1955. Dunkelhäutige sind unter den US-Bürgern wie den Soldaten ohne US-Staatsangehörigkeit gut vertreten und zählen häufig zu den militärischen Opfern. Gemäss der spanischsprachigen Zeitung «El tiempo latino» machten die Latino-Armeeangehörigen im Irak die meisten Toten unter den Minderheiten der Wehrkräfte aus. Aber Tod im Kampf ist Tod und betrifft alle. n

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Idiot – Hakuchi 23.–

Beshkempir – Der Adoptivsohn 21.–

Aktan Abdykalykow – Arym Kubat, Kirgisistan Kirgisisch/d/f/e, Szenenwahl The LIght Thief 23.– Aktan Abdykalykow – Arym Kubat, Kirgisistan Kirgisisch/d/f, Trailer Winter Sleep 23.– Nuri Bilge Ceylan, Türkei Türkisch/d/f, Szenenwahl, Booklet Reise zur Sonne 21.– Yesim Ustaogˇlu, Türkei Türkisch/Kurdisch/d/f, Trailer, Bilder Fish & Cat 23.– Shahram Mokri, Iran Farsi/d/f/e, Bonusfilm mit Gespräch, Booklet The Hunter – Zeit des Zorns 23.– Rafi Pitts, Iran Farsi/d/f, Szenenwahl, Gespräch Russian Ark 21.– Alexander Sokurow, Russland Russisch & Deutsch/d/f/e/hol, Making of Durak 23.– Juri Bykow , Russland Russisch/d/f/e, Szenenwahl, Trailer Star 23.– Anna Melikian, Russland Russisch/d/f, Szenenwahl Dersu Uzala 23.– Akira Kurosawa, Russland Russisch/d, Szenenwahl Tokyo monogatari (Restaurierte Fassung) 23.– Yasujiro Ozu, Japan Japanisch/d/f, Szenenwahl, Booklet Tokyo Family 21.– Yoji Yamada, Japan Japanisch/d/f, Filmessay mit Vergleich, Trailer Narayama bushiko – Imamura 21.– Shohei Imamura, Japan Japanisch/d/f/e, Szenenwahl Narayama bushiko – Kinoshita 21.– Keisuke Kinoshita, Japan Japanisch/d/f, Szenenwahl Die Frau in den Dünen 21.– Hiroshi Teshigahara, Japan Japanisch/d, Szenenwahl Like Father, Like Son 21.– Hirokazu Kore-eda, Japan Japanisch/d/f, Szenenwahl, Booklet

Akira Kurosawa, Japan Japanisch/d/f, Szenenwahl Bodhi-Dharma (Restaurierte Fassung) 21.– Bae Yong-kyun, Südkorea Koreanisch/d/f/e, Szenenwahl, Booklet Ilo Ilo 21.– Anthony Chen, Singapur Mandarin/E/Tagalog/d/f, Szenenwahl Yi Yi 21.– Edward Yang, Taiwan Mandarin/d/f, Szenenwahl Un soir après la guerre 21.– Rithy Panh, Kambodscha Khmer/Franz./d/f/e/i, Szenenwahl My Name is Salt 23.– Farida Pacha , Indien OV/d/f/e/i/sp, Booklet Good Morning Karachi 21.– Sabiha Sumar, Pakistan Urdu/Englisch/d/f/e, Trailer, Booklet Shanghai, Shimen Road 23.– Haolun Shu, China Mandarin/d/f/e, Gespräch, Trailer The Woman in the Septic Tank 21.– Marlon N. Rivera, Philippinen Filipino/Tagalog/d/f/e, Szenenwahl

El espíritu de la colmena 21.–

Bal – Honig 26.–

EUROPA

DIE BLU-RAY-EDITION

Víctor Eríce, Spanien Spanisch/d, Szenenwahl Les hommes du port & Chandigarh 21.– Alain Tanner, Italien/Schweiz/Indien OV/d/f/e/sp/port., Gespräch mit Alain Tanner

L’Intrepido 21.–

Gianni Amelio, Italien Italienisch/d/f, Szenenwahl Avé 21.– Konstantin Bojanov, Bulgarien Bulgarisch/d/f, Gespräch, Trailer Honeymoons 21.– Goran Paskaljevic, Serbien Serbisch/Albanisch/d/f/e, Gespräch Love Island 23.– Jasmila Žbanic´, Kroatien Englisch/d/f, Szenenwahl Grbavica 21.– Jasmila Žbanic´, Bosnien und Herzegowina Bosnisch & Deutsch/d/f, Szenenwahl An Episode in the Life of an Iron Picker 21.– Danis Tanovic´, Bosnien & Herzegowina Bosnisch/d/f, Szenenwahl, Trailer Class Enemy 23.– Rok Bicek, Slowenien Slowenisch/d/f/e/i, Szenenwahl, Trailer Le pas suspendu de la cigogne 26.– Theo Angelopoulos, Griechenland Griechisch/d/f/e, Szenenwahl Bonus: Zwei Gespräche mit dem Krimiund Drehbuchautor Petros Markaris

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trigon-film, Limmatauweg 9, 5408 Ennetbaden

Semih Kaplanogˇlu, Türkei Türkisch/d/f, Gespräch mit Semih Kaplanog˘ lu Still Walking 26.– Hirokazu Kore-eda, Japan Japanisch/d/f, Making of Nostalghia (Restaurierte Fassung) 26.– Andrei Tarkowski, Russland Italienisch/Russisch/d, Bonusfim: Meeting Andrei Tarkowsky, Booklet Japanisch/d/f, Bonus Making of Der Spiegel (Restaurierte Fassung) 26.– Andrei Tarkowski, Russland Russisch/d, Bonus zum Film Iwans Kindheit (Restaurierte Fassung) 26.– Andrei Tarkowski, Russland Russisch/d, Bonus: Die Walze und die Geige Solaris (Restaurierte Fassung) 26.– Andrei Tarkowski, Russland Bonusfilm und Die Walze und die Geige Andrej Rubljow (Restaurierte Fassung) 26.– Andrei Tarkowski, Russland Bonusfilm und Die Walze und die Geige Die sieben Samurai – Directors Cut 26.– Akira Kurosawa, Japan Restaurierte Fassung des integralen Films Japanisch/d/f, Filmessay von Walter Ruggle Tokyo monogatari (Restaurierte Fassung) 26.– Yasujiro Ozu, Japan Japanisch/d/f/i, Filmessay von Walter Ruggle Rashomon (Restaurierte Fassung) 29.– Akira Kurosawa, Japan Japanisch/d/f, Filmessay von Walter Ruggle Birdwatchers 26.– Marco Bechis, Brasilien Brasilianisch/d/f/, Szenenwahl, Making of La teta asustada 26.– Claudia Llosa, Peru Spanisch/d/f/e, Making of, Audiokommentar

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Welt in Sicht 19.– Das Lese- und Schaubuch durchs Filmschaffen von Lateinamerika, Afrika und Asien von Walter Ruggle, 504 Seiten, 280 Bilder, Farbe

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EINE WELT – VIELE GESCHICHTEN NEU AUF DVD: LA HISTORIA OFICIAL, LAMB, 10 MILLIARDEN, TURISTAS, CORN ISLAND, IXCANUL

HISTORIA OFICIAL

hat seinen Erstling in starken Aufnahmen gestaltet, die die Verlorenheit ­g enauso zeigen wie die Geborgenheit; sie sind einander nah. In der Natur ­e rleben wir Ephraim glücklich und bei sich selbst. Eines der stärksten Bilder dafür ist jenes, das den Jungen in ­e inem verschlungenen Baumlabyrinth zeigt, verloren und behütet in einem.

Es ist ein Ort, an den er wiederkehrt im Verlauf des Films, an dem er auch den Wandel vollzieht, eingeschlafen ist im Schoss der Natur, erwacht im Bewusstsein, dass er nicht allein ist.

Ephraim durchlebt die Entwicklung vom Buben zum Mann und begreift dabei, dass er sein Lamm mit der kleinen Herde ziehen lassen muss, damit es glücklich ist.

Argentinien im Jahr 1983: Das Ende des dreckigen Krieges und damit der Herrschaft der Militärjunta ist in Sicht, offene Wahlen stehen bevor und Hoffnung auf bessere Zeiten keimt im Land. An ihrer Schule lehrt Alicia allerdings unbeirrt die «offizielle» Geschichte Argentiniens, spart die Gräueltaten der Diktatur – Folter, Verschwinden von Oppositionellen, Massenexekutionen – aus. Auf die drängenden Fragen ihrer Schüler reagiert sie mit Unverständnis und Härte.

Die Rückkehr ihrer alten Freundin Ana aus dem Exil und die Demonstranten der Frauen und Mütter auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires, die unentwegt für die Aufklärung der Zwangsadoptionen unter der Militärdiktatur kämpfen, zwingen die Mutter eines adoptierten Kindes, sich mit der noch «inoffiziellen» Geschichte des Landes auseinander­ zusetzen. Schrittweise muss sie reali­ sieren, dass auch ihre Familie untrennbar mit einem dunklen Kapitel des Landes verbunden ist. Zwei Jahre nach Ende der Diktatur thematisierte Luis Puenzo in seinem bei den Oscars und in Cannes ausgezeichneten Film das Schicksal der «Desaparecidos» (Verschwundenen) und ihrer Kinder, die an regimetreue Paare vergeben wurden.

Bewegend stark.

Edition trigon-film 319 Restaurierte Fassung, Sprache OV Spanisch Untertitel deutsch, français; Dauer 112 Min. Format 1:1.85 – 16/9 LB PAL, Farbe Ton DD 5.1

La historia oficial von Luis Puenzo

LAMB

Der neunjährige Ephraim hat seine Mutter verloren und wird vom Vater zu Verwandten auf einen entlegenen Hof gebracht. Sein bester Freund Chuni ist ein Lamm, mit dem er herumzieht.

Von Heimweh geplagt, versucht der Junge, für sich und sein Schaf eine Fahrkarte zu ersparen. Dabei hilft ihm die rebel­l ische Tsion, die auch weg möchte von hier. Die anrührende ­G eschichte erzählt vom Weg eines Jungen und eines Lamms in ihre Freiheit. Das Lamm ­C huni ist für Ephraim so etwas wie ein Teddybär, einfach

­l ebendiger. Die ­b eiden leben in der v­ ulkanischen Natur Äthiopiens, in einer grünen und traumhaft schönen Berglandschaft.

Atemberaubend ist die Aussicht, die der Junge von der Spitze jenes Berges geniesst, der in einer verbotenen Zone liegt und ihn allein schon deshalb anzieht. Der Vater ist abwesend, dem Onkel gefällt es nicht, dass Ephraim lieber kocht, als Ochsen durch den Acker peitscht. Kochen sei Mädchensache, bekommt er zu hören. Der ­ä thiopische Filmemacher Yared Zeleke

Ganz wichtig auf dem Weg dahin ist Tsion, jenes Mädchen im üppigsten Teenageralter, das den weiblichen ­G egenpart zu Ephraim einnimmt. Während er gerne auf den Markt geht und kocht, liest sie Zeitungen und widerspricht. Yared Zeleke betrachtet die gesellschaftlichen Vorstellungen, mit denen Kinder konfrontiert sind, be­h utsam. Er zeichnet nach, wie Lebewesen nach Freiheit streben. In dem Moment, in dem Ephraim seine eigene Situation akzeptieren kann, schenkt er dem Lamm die Freiheit und gewinnt sie selber mit.

Edition trigon-film 309 Sprache OV Amharisch; Untertitel deutsch, français, english; Dauer 82 Min. Bonus: Ein Gespräch mit Regisseur Yared Zeleke, Trailer: Bildformat 1:1.85 – 16/9 LB, PAL, Farbe Ton DD 5.1 & 2.0

10 MILLIARDEN – WIE WERDEN WIR ALLE SATT

Lamb von Yared Zeleke

Bis 2050 wird die Weltbevölkerung auf zehn Milliarden Menschen an­ wachsen. Doch wo soll die Nahrung für alle herkommen? Kann man Fleisch künstlich herstellen? Sind Insekten die neue Proteinquelle? Oder baut jeder bald seine eigene Nahrung an? Regisseur, Bestseller-Autor und Food-Fighter Valentin Thurn sucht weltweit nach Lösungen. Auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie wir verhindern können, dass die Menschheit durch die hemmungslose Ausbeutung knapper Ressourcen die Grundlage für ihre Ernährung zerstört, erkundet er die wichtigsten Grundlagen der Lebensmittelproduktion. Er spricht mit Machern aus den gegnerischen Lagern der industriellen und der bäuerlichen Landwirtschaft, trifft Biobauern und Nahrungsmittelspekulanten, besucht

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Laborgärten und Fleischfabriken.

Ohne Anklage, aber mit viel Gespür für Verantwortung und Handlungsbedarf macht der Film klar, dass es nicht weitergehen kann wie bisher. Der WWF schreibt: «Der Film macht Lust und Hoffnung. Lust auf eigenes Gärtnern.

Und Hoffnung, dass es Alternativen gibt, um gesunde Lebensmittel für alle zu produzieren.»

FILM: Sprache Deutsch, Untertitel Deutsch für Hörbehinderte (ausblendbar); Dauer 103 Min. Bonus: Zusätzliche Szenen, Interview, Trailer BUCH: Lieferbar ist bei uns auch das reichhaltig dokumentierte Buch zum Film

TURISTAS

Blühendes chilenisches Kino. Carla ist 37 Jahre alt, verheiratet, vielleicht schwanger und eigentlich sollte sie glücklich sein, als sie mit ihrem Mann und einem Wasserscooter von Santiago aus Richtung Süden in die Sommer­ ferien aufbricht. Die beiden plaudern, wie das Paare in Autos so tun mögen.

Und plötzlich verändert eine Kleinigkeit die ganze Stimmung grundlegend. ­V ielleicht möchte Carla ja gar nicht da sein, wo sie ist. Vielleicht möchte sie lieber mit dem norwegischen Ruck­ sack­t ouristen Ulrik an einer Land­ strasse stehen, auf dem Weg zum Nationalpark, wo sie zwischen grossen Bäumen wandeln, im Zelt übernachten und sich mit dem Parkaufseher über Vögel und alte Popsongs unterhalten könnte. Vielleicht wäre das wirklich besser, und sei’s ganz einfach deshalb, weil etwas frische Luft manchmal gut tut. Carla wird jedenfalls von ihrem Mann am Wegrand sitzen gelassen und muss schauen, wie sie wieder zurückfindet – weniger nach Santiago als zu sich selber.

Der Titel Turistas macht rasch Sinn: Die Biologin Carla, grossartig ver­ körpert durch die spanisch-chilenische Schauspielerin Aline Kuppenheim, und ihr Mann Joel, den wir bald hinter uns lassen, reisen, sind Touristen im eigenen Land. Bald lässt er sie am Strassenrand sitzen, weil er das ­G efühl hat, sie hätte ihm nicht alles gesagt, was sie ihm hätte sagen ­m üssen. Der kleine Zwist mag auch noch alltäglich sein, nicht aber die Trennung, die doch überraschend kommt und die bald einmal dazu führt, dass das Wort «Touristen» noch einen anderen Sinn bekommt, einen philosophischeren. Denn Touristinnen und Touristen sind wir ja alle irgendwie und dauernd auf unserer Lebensreise.

Alicia Scherson gehört seit ihrem ­verblüffenden Erstling Play (erhätlich auf DVD) zu den Entdeckungen und den grossen Talenten im chilenischen Kino, das sich in den letzten Jahren wieder verblüffend regt. Sie selber hat Biologie studiert, und irgendwie hat man gerade bei ihrem Film Turistas das Gefühl, da betrachte eine Forscherin das Verhalten zweier Menschen­ käfer unter dem Mikroskop, das die Kamera auch sein kann, wenn sie entsprechend klug eingesetzt wird.

Nichts ist laut, aber alles deutet von den Rändern her aufs Zentrum: Die Sehnsucht nach dem Wiederfinden der Natur.

Edition trigon-film 174 Sprache OV Spanisch, Untertitel deutsch, ­f rançais, english; Dauer 105 Min. Bildformat 1:1.85 – 16/9 PAL, Farbe Ton DD 2.0 FSK 14+ Ländercode Bonus: Gespräch mit Alicia Scherson | Making of

CORN ISLAND

Jedes Jahr im Frühling schwemmt der kraftvolle Fluss Enguri in Georgien grosse Brocken fruchtbaren Bodens aus den Höhen des Kaukasus in die Ebene, wo sie sich allmählich zu kleinen Inseln zusammenfügen. So ent­ stehen Oasen für wildes Leben und für Menschen. Abga, ein alter Bauer, ist mit seiner 16-jährigen Enkelin Asida am Fuss der Berge zu Hause. Zurückgezogen und einfach leben sie von und mit der rauen Wildnis. Obwohl es lebensgefährlich ist, weil die schwimmenden Landstücke jederzeit abtreiben können, will Abga es wagen, eine der Inseln zu bepflanzen.

Zusammen mit Asida baut er eine ­k leine Hütte, pflügt den Boden und säht Mais aus. Als der Mais langsam aus dem Boden zu spriessen und zu wachen beginnt, begegnet Asida einem verwundeten Soldaten, der auf der Korninsel Schutz sucht. Sie versteckt ihn, und so gerät die schwimmende Insel ins Visier seiner Verfolger. Der Grossvater bereitet den Boden für sein ­g efahrloses Verschwinden, denn er fürchtet den Verlust seines neuen ­Z uhauses und Asidas, die sich zu dem Soldaten hingezogen fühlt und sich

seit seiner Ankunft ein eigenständiges Leben erträumt. In meisterhaft arrangierten Bilderströmen von berückender Schönheit und sinnlicher Wildheit ­e rzählt George Ovashvili (The Other Bank) in seinem neusten Spielfilm Corn Island die Geschichte eines zarten ­E rwachens und einer Freiheitssuche.

Der Gewinner des Internatio­n alen Filmfestivals Karlovy Vary führt uns auf eine hypnotisierende Reise durch eine Welt voller Vergangenheiten und Zukünfte, durch Geheimnisse und Wandlungen, die wir nirgendwo besser als in der Natur erfühlen können.

Edition trigon-film 312 Sprache OV Abchasisch/Georgisch/Russisch Untertitel deutsch, français, english; Dauer 100 Min. Bildformat 1:2.39 – 16/9 LB, PAL Farbe Ton DD 5.1 FSK 0; Bonus: Trailer

IXCANUL

María, eine 17-jährige Maya-Frau, lebt mit ihren Eltern auf einer Kaffeeplantage am Fuss eines aktiven ­Vulkans. Sie soll mit dem Vorarbeiter ­verheiratet werden, sehnt sich aber danach, die Welt jenseits des Berges kennenzulernen. Sie verführt einen Kaffeepflücker, der in die USA fliehen möchte. Als dieser sie alleine zurücklässt, entdeckt María ihre eigene Welt und Kultur noch einmal neu. Jayro Bustamante erzählt bewegend von ­s einer Heimat.

María lebt in Guatemala, einem Land, das bei uns im Kino kaum je zu sehen ist und sicher nie so intensiv. María weiss sehr wohl, wie gut sie aussieht, und sie ist stolz, wenn sie sich farbenprächtig schmückt. Die Figuren in

­d iesem Film sind Menschen, wie man ihnen an jenem Flecken Erde begegnet, an dem die Handlung spielt. Regisseur Jayro Bustamante ist da aufgewachsen, und man spürt es in jedem Atemzug seines ersten Spielfilms: Er kennt das Leben, von dem er erzählt, er hat aus dem Innern heraus die Geschichte entwickelt, die da am Fuss des mächtigen Vulkans leise brodelt.

Die Menschen, die hier leben, arbeiten hart und haben kaum Zeit für grosse Träume. Die Tochter will gut verheiratet sein, dafür gibt man das Letzte. Aber unter den Jungen wachsen doch andere Sehnsüchte. Denn hinter dem alles ­d ominierenden Vulkan soll ein anderes Land liegen, in dem alle Menschen ein Auto besitzen. Das, was von den USA im Dorf ankommt, ist wenig, aber ­a nziehend genug, dass einer wie der Plantagenarbeiter Pepe sich aufmacht, es mit eigenen Augen zu sehen.

Bustamante entwickelt seine Erzählung von der jungen Frau, die sich am Fusse eines Vulkans einem jungen Mann hingibt, um mit ihm eine andere Welt zu erfahren, in einer faszinierenden Fusion von grossem Leinwandepos im Cinemascopeformat und intimer Betrachtung des indigenen Lebens.

Alles ist gespielt, aber alles strahlt eine Wahrhaftigkeit aus, der man nicht mehr allzu häufig begegnet im Kino und der man sich kaum entziehen kann.

Der Filmemacher fühlt dem indigenen Leben den Puls.

Edition trigon-film 311 Sprache OV Spanisch/Kaqchikel, Untertitel deutsch, français, english, italiano; Dauer 91 M. Bildformat 1:2.39 – 16/9 LB, PAL, Farbe Ton DD Bonus: Gespräch mit Jayro Bustamante, Trailer

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DIE JAPANISCHE SCHWESTER UND DER AMAZONISCHE SCHAMANE MEDIENSTIMMEN ZU DEN FILMEN OUR LITTLE SISTER UND EL ABRAZO DE LA SERPIENTE

OUR LITTLE SISTER

«Eine Symphonie der Menschlichkeit.»

Seniorweb, Hanspeter Stalder «Vergänglichkeit und Zukunft, Natur und Lebendigkeit, Schönheit und Sterben verschmelzen in solchen ­B ildern zu unangestrengter Einheit.

So könnte das Glück aussehen.»

ProgrammZeitung, Alfred Schlienger «Hirokazu Kore-eda (der Meister ­seelischer Regungen) erzählt diese ­Geschichte eines berührenden Zusammenfindens feinfühlig im Wechsel der Jahreszeiten. Das ist derart betörend, dass man seinen Augen kaum traut.»

Aargauer Zeitung, Elisabeth Feller «Ein reines Meisterwerk.»

Freddy Buache «Kore-eda bleibt in seiner Adaptation des Mangas Umimachi Diary seinen bevorzugten Themen ‹Familienbande› und ‹Tod› treu. Wie in Nobody Knows (2004) müssen Geschwister, diesmal sind sie allerdings im jungen Erwachsenenalter, sich ohne ihre Eltern durchschlagen und die Familientragödie alleine bewältigen. Our Little Sister ist insgesamt versöhnlicher, Konflikte brechen zwar immer wieder kurz durch die heitere Oberfläche, doch diese wird von den Frauen sofort wieder geglättet. Auch der Tod ist für sie keine unmittelbare Bedrohung, er gehört zum Leben, das so vergänglich und gerade dadurch so schön erscheint wie die Kirschblüten, die der Jüngsten auf einer berauschenden Velofahrt aufs Haar fallen.»

Tages-Anzeiger, Christa Haesli «Die Geschichte von Our Little Sister ist eingebaut in die vier Jahreszeiten, in einen zeitlichen und räumlichen Ablauf des Lebens, in welchem auch das Sterben als Teil des Lebens verstanden wird. Der japanische Grossmeister hat die seltene Gabe, all die kleinen Geschichten, Begegnungen, Handlungen und Ereignisse, die der Menschen Alltag erfüllen, in ein umfassendes Grosses, ein Mysterium der menschlichen Schönheit und Würde einzubauen.»

Der andere Film, Hanspeter Stalder

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«Hirokazu Kore-eda beginnt in seiner feinen, ja oft zärtlichen Art die Geschichte des Trios zu erzählen, das zu einem Quartett wird. Das Bild aus der Musik liegt nahe. Ein neuer Spieler braucht eine Stimme, ein Instrument, einen Platz und einen Notenständer.

Themen und Melodien können vorerst bleiben, allerdings nur vierstimmig ­a rrangiert. Und in anderem Sinne

Our Little Sister von Hirokazu Kore-eda

­arrangieren müssen sich alle vier. ­ usammenleben bedingt VerantworZ tung und Liebe. Das allmähliche Werden, das Integrieren und Assimilieren und das spätere Funktionieren und Wachsen des Geschwisterquartetts spielt sich in Augenblicken, in einem Aufatmen etwa und in kurzen Sätzen und in Stille ab. Variationen faszinierender Inszenierung umspielen das konstante Thema Familie.»

Der Bund, Fred Zaugg «Vier gewinnt. Drei Schwestern holen ihre Halbschwester aus der neuen Ehe des verstorbenen Vaters zu sich.

Hinreissende Geschichte über die ­heilige japanische Familie im Wandel.»

Annabelle, Mathias Heybrock «Drei erwachsene Schwestern leben zusammen in einem Haus, in das sie ihre kleine Stiefschwester holen. Was im Laufe eines Jahres passiert, zeigt der Japaner Hirokazu Kore-eda in ­s einem neuen Familienfilm Our Little Sister.»

Kulturmagazin Luzern, Urs Hangartner «Kore-eda feiert das Leben, indem er den Augenblick betont … und man sieht: Glück ist, die Schönheit im ­Vergänglichen zu erkennen.»

Die Zeit «Leben und Tod, auf diese existenzielle Zweisamkeit ist auch die Handlung des Films aufgebaut, was simpel klingt, aber doch alles beinhaltet, was unser Bewusstsein beschäftigt.»

Filmbulletin, Erwin Schaar

«Hirokazu Kore-Eda erzählt in seinem ruhigen Film von drei Schwestern, die eine Stiefschwester bei sich aufnehmen, wobei ihr Verhältnis – zwischen Rebellion und Selbstbestimmung – neu ­austariert wird.»

Neue Zürcher Zeitung, Christina Tilmann «Der japanische Regisseur Hirokazu Koree-eda wird oft mit dem Meister­ regisseur Yasujiro Ozu verglichen. Wie Ozu lässt sich Kore-eda auf alltägliche Geschichten ein, beleuchtet intensiv familiäre Beziehungen. Einmal mehr deutet Kore-eda in diesem Film auf sensible Art Konflikte an und charakterisiert mit zarten, kleinen Gesten die Verhältnisse zwischen den Figuren.»

Cineman, Andrea Lüthi «Kore-edas unwiderstehlich-sympathisches Familien-Kaleidoskop Our Little Sister ist eine einnehmende leise Hymne auf das Leben, das Jasagen zum Glück und den gemeinschaftlichen Zusammenhalt.» filmstarts «Dieser Film ist ruhig, zurückgenommen und sanft und lässt seinem ­P ublikum alle Zeit, die Feinheiten der ­E r­zählung zu geniessen, die er mit ­wunderbarer Frische und Klarheit ­p räsentiert. Unmöglich, dass Sie dieser Film nicht berührt und betört.»

The Guardian «Ein Film der leisen Freuden und ­k leinen Genüsse.»

The Telegraph

«Ganz still, mit unfassbar schönen ­Bildern und feinem Humor macht der Film melancholisch und glücklich zugleich. Ein Juwel.»

Cosmopolitan «Kino, das glücklich macht.»

Der Spiegel «Zweifelsohne einer der schönsten Filme des Jahres.»

Leipziger Volkszeitung «Nicht verpassen.» Le Monde «Spektakulär unspektakulär: Our Little Sister – ein zarter Film des Japaners Hirokazu Kore-eda erzählt von plötzlichem Familienzuwachs.»

Tagesspiegel

EL ABRAZO DE LA SERPIENTE

«Absolut halluzinierend.»

Art-tv

«Zugleich ist das ein Erfahrungs­ flimmern: Eine Kinoparabel der einfachsten Mittel, in dem vermeintlich ­s icheres Wissen unter Hypnose gerät und Pflanzen Träume auslösen, die sind wie ein Portal in eine andere Welt. Da wird man ein anderer – und sieht zauberhafte Formen, die man noch nicht ­kannte.»

Tages-Anzeiger, Pascal Blum «Zwei Forscher erkunden den ­A mazonas und stossen dabei an die Grenzen des Bewusstseins.»

Seniorweb, Hanspeter Stalder

Our Little Sister von Hirokazu Kore-eda

«Eine herzogsche Reise ins Grenzland der Sinne – und zugleich irres Kino der einfachsten Mittel.»

Züritipp, Pascal Blum «Vielschichtig, berauschend und ­geheimnisvoll.»

Der andere Film, Hanspeter Stalder «Der Spielfilm El abrazo de la serpiente dokumentiert kunstvoll eine ver­ sunkene Zeit. Das ist nicht nur ein ­berückend schönes empathisches ­Dokument, sondern nimmt uns auch mit auf einen wahren Trip, bei dem sich die Zeiten und Räume vermischen wie in einem halluzinierenden Traum.»

ProgrammZeitung, Alfred Schlienger «Eine berauschende Reise in die Tiefen des Amazonas.»

Bewegungsmelder «Der Film überzeugt nicht nur durch atemberaubende Bilder von der Natur; Guerra gelingt es auch, eine einnehmende Geschichte über wissenschaftliche Neugier zu erzählen und mit ­h istorischen Fakten zu jonglieren.»

Aargauer Zeitung, FBO «Hier gehört der Blick dem Ureinwohner, der Gott in der Natur sieht. Die auf 35-mm-Film aufgenommenen Bilder entrücken uns der Zivilisation, ohne dass irgendwo Kitsch lauert.»

Frame, Flavia Giorgetta

Film nominiert wurde: Ciro Guerra g­ elang ein filmisches Gesamtkunstwerk, das auf sinnliche Weise betört und gleichzeitig mit brisanten, ­durchaus politischen Fragen zum Nachdenken anregt.»

TagesWoche, Mara Wirthlin «Ein Spielfilm über Spiritualität, ­Forschung und Kolonialismus im ­A mazonasgebiet.»

Kulturtipp, Melanie Riedi «Der kolumbianische Film El abrazo de la serpiente ist ein bildgewaltiger Trip.» Tierwelt, Oliver Loga «Spektakulärer Ton und eindrucksvolle Bilder in Schwarz-Weiss bringen uns näher an die traditionelle Lebensweise indigener Völker, die seit jeher in und mit dem Urwald gelebt haben. Der ­Zuschauer erhält Einblicke ins Wissen ihrer Ahnen, in uralte Geheimnisse und erfährt gleichzeitig die Fragilität des Amazonas.»

Incomindios, Claudia Gafner Rojas «Von grossartiger Kraft sind die Schwarz-Weiss-Bilder, wenn die P­ rotagonisten zuletzt in eine ­m agische Berglandschaft gelangen.»

Neue Zürcher Zeitung, Christoph Egger

«Es wird klar, wer die Geschichte eines Landes, ja eines Kontinentes verstehen will, muss zwingend die Geschichten der Menschen im ‹unberührten Regenwald› kennen.»

WochenZeitung, Silvia Süess «El abrazo de la serpiente wirft einen nuancierten Blick auf die Begegnung zweier grundverschiedener Kulturen, ohne dadurch die verheerenden Folgen des Kolonialismus zu verharmlosen.

Doch nicht nur auf dieser ‹Message›Ebene zeigt sich der Film vielschichtig, filigran. Er ist zudem ein starkes Stück Schauspielkino. Eine spannende Zeitreise. Und zu guter Letzt vor allem auch sinnlich – visuell, musikalisch – und atmosphärisch ein Genuss.»

Filmbulletin, Stefan Volk «Während Marco Bechis in Birdwatchers in der Gegenwart von der Vernichtung der Amazonasvölker ­erzählte, blickt Guerra so in die Vergangenheit und bewahrt mit seinem Film eine ­untergegangene Kultur vor dem Vergessen. Gleichzeitig geht dieser visuell faszinierende und inhaltlich vielschichtige Trip über den historischen Blick weit hinaus, wenn der Forderung des Schamanen nach einem respektvollen Umgang mit der Natur das rücksichts-

lose Vorgehen der Weissen gegen­ übergestellt wird. In seiner Kritik an Raubbau, Profitgier und einer Wissenschaft, die zu Gewalt und Tod führt, ­s owie der Vorstellung der Überlegenheit der westlichen Kultur ist El abrazo de la serpiente ein absolut heutiger und zeitloser Film, der auch im Aufeinandertreffen gegensätzlicher Formen von Wissen zum Nachdenken anregt.

Cineman, Walter Gasperi «Eine filmsprachlich wunderschöne Auseinandersetzung mit der Entwicklung des Landes, wenn nicht gar des Kontinentes.» Kinozeit «Der verbotene Amazonas.»

Libération «Eine sinnliche und philosophische ­f ilmische Erfahrung.»

Mediapart «Üppige dichte Wälder, majestätische kahle Berge und die unbändige Wildheit des Wassers versetzen den ­Betrachter in einen Zustand des ­Staunens… Es gibt nicht viele Filme, die ­einen so – im besten Sinne – ­eigen­artigen Eindruck hinterlassen.»

Critic

«Was für ein ausserordentlicher ­S ehgenuss.»

Rundschau «Magische Bilder und ein üppiges Sounddesign begleiten uns bei der ­M itreise durch den Dschungel.»

Kulturmagazin Luzern, H. Weingartner «Ein wirklich ungewöhnliches, dafür umso sehenswerteres, bildgewaltiges Werk, das, obwohl in perfektem Schwarzweiss, farbiger nicht sein könnte. Unglaublich schöne Sequenzen und noch nie gesehene Szenen aus dem Amazonasgebiet hypnotisieren die Kinobesucher, die ein realistisches, faszinierendes Dschungelabenteuer mit den Ureinwohnern erleben.»

Mein Kino «Und dann ist da immer wieder diese überwältigende Natur, in wunderschönem Schwarz-Weiss-Schattenspiel von der Kamera eingefangen, die alles andere klein und irgendwie nebensächlich erscheinen lässt… Es überrascht kaum, dass El abrazo de la serpiente für den Oscar als bester ausländischer

El abrazo de la serpiente von Ciro Guerra

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Nachricht an den Mondgeist 1966 kam ein NASA-Team zum Training für die Apollo Mondmission ins Navajo Land. In der Nähe von Tuba City sieht es aus wie auf dem Mond. Erstaunt beobachteten ein Navajo und sein Sohn zwei grosse Gestalten in Raumanzügen. Nach einer Weile wurden sie von NASA-Mitarbeitern bemerkt und angesprochen.

Da der alte Navajo kein Englisch sprach, fragte sein Sohn, was es mit diesen merkwürdigen Kreaturen auf sich habe. Man erklärte ihm, dass das Männer seien, die sich darauf vorbereiteten, zum Mond zu fliegen.

Impressum TRIGON Das trigon-film-magazin 2. Quartal 2016

Druck Gremper AG, Basel © 2016 trigon-film

Redaktionsadresse Limmatauweg 9 5408 Ennetbaden Tel: + 41 56 430 12 30 Fax: + 41 56 430 12 31 magazin@trigon-film.org www.trigon-film.org

Herausgeberin Stiftung trigon-film, Basel

Redaktion Walter Ruggle magazin@trigon-film.org

Das Copyright der Texte ist bei den AutorInnen, jenes der Bilder bei trigon-film, das der Archiv-Bilder bei taris, das des Bilds zur Gartenausstellung im Rietbergmuseum liegt bei Rainer Wolfsberger. Bei Zitaten ist jeweils als Quelle « trigon-film-­magazin » anzu­ geben. Nachdruck und onlineVerwendung nur nach vorhe­ riger Absprache mit der Redaktion.

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Nun war der Vater aufgeregt und fragte, ob er den Männern eine Nachricht für den ­M ondgeist mitgeben könne. Die NASA-Leute meinten, why not, holten ein Tonbandgerät und zeich­ neten die Nachricht auf. Den Sohn baten sie, ihnen das Gesagte zu übersetzen. Der weigerte sich und erklärte, das sei einzig für den Mondgeist gedacht. Nun versuchten die NASALeute, andere Navajos dazu zu bringen, die Nachricht zu übersetzen. Aber es half ihnen niemand, alle kicherten nur freundlich vor sich hin. Kurz vor Abschluss des Trainings fanden sie einen, der bereit war, den Satz zu über­ setzen. Die Nachricht des alten Navajos lautete: «Nehmt euch vor diesen Leuten in Acht, sie kommen nur, um euch euer Land weg­ zunehmen.»

Legende aus dem Navajo-Land

Anzeigen Tel: 056 430 12 35 medien@trigon-film.org

Mitarbeit und gute Geister: Emin Alper, Bruno Betatti, Matías Bize, Christine Brönnimann, Fred Egger, Martial Knaebel, Hugo Köpfli, Rafi Pitts, Meret Ruggle, Monika Schweri, ­Brigitte Siegrist, Margaret Viermann, Suzanne Widmer.

Konzept und Realisation Integral Lars Müller, Zürich

Produktion Martina Mullis Esther Butterworth

trigon-film Limmatauweg 9 5408 Ennetbaden Tel: +41 56 430 12 30 Fax: +41 56 430 12 31 magazin@trigon-film.org www.trigon-film.org

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