1TRIGONMAGAZINNR.95EINEGESCHICHTEDESWASSERS BURNING DAYS VON EMIN ALPER, TÜRKEI UMS ÜBERLEBEN RENNEN THE APPLE DAY VON MAHMOUD GHAFFARI, IRAN SYMPHONIE DES PROTESTS MI PAÍS IMAGINARIO VON PATRICIO GUZMÁN, CHILE AUF DEN SPUREN DES BAUERN MA YOUTIE RETURN TO DUST VON LI RUIJUN,CHINA AB IN DIE WÜSTE DIE WÜSTENTRILOGIE DES NACER KHEMIR, TUNESIEN
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Liebe Filmfreundin, lieber Filmfreund Ein immenses Loch klafft in der anatolischen Landschaft im Spielfilm Burning Days von Emin Alper. Eine unüberschaubare Menschenmasse flutet die Strassen von Santiago de Chile in Patricio Guzmáns Dokumentarfilm Mi país imaginario Zwei Bilder, die man nicht vergisst. Im Sommer 2022 dominieren andere Bilder und Schlagzeilen unsere Gedanken, sehen wir, wie ein Diktator in Moskau die Unfreiheit, die er seinem Land verordnet hat, überall ausmacht, nur nicht bei sich und seiner Clique. Er hat die Lehre beim Geheimdienst gemacht und bei den Republikanern beim Erzfeind in Nordamerika: Fake News, man muss sie nur ausreichend oft wiederholen und glaubt am Ende selber dran.
Kunst kann die Welt nicht verändern, aber genaues Hinschauen kann helfen, sie besser zu verstehen und aus dem Begreifen heraus zu handeln. Das immense Loch im fernen Anatolien hat mit Wassermangel zu tun, wie wir ihn auch nahe in der Po-Ebene oder verschiedenen SAC-Hütten in den Bergen erleben. Das Loch ist Folge von Korruption und einer Politik, die die Probleme so lange verdrängt, bis es keinen Ausweg mehr gibt, bis keine Lüge der Populisten mehr die Fakten schönreden kann. Mit der Lupe eines Spielfilms betrachtet Emin Alper das Treiben in seiner Heimat am Beispiel eines fiktiven Dorfes, in dem Verantwortliche mit einnehmendem Lächeln jenen, der die Wahrheit finden möchte, in den Rausch der falschen Behauptungen versetzen. Da sind Widerstandskraft und ein klarer Kopf gefragt.
In Chile muss niemand jemandem erzählen, was eine Diktatur bedeutet und wie schwierig es ist, sie zu überwinden. Patricio Guzmán hat das ein Leben lang betrachtet und luzid analysiert. Jetzt, 81-jährig, erlebt er noch einmal den Frühling der Hoffnungen, dokumentiert den Aufstand der Menschen, der sich an der Erhöhung der Metrotickets entfachte und für Explosionen sorgte: Genug ist genug. Demokratisch wird die alte Verfassung des Diktators ersetzt und eine junge Regierung gewählt. Sie kann sich 2022 anschicken, umzusetzen, was 1970 geträumt und 1973 vom Diktator vernichtet wurde. Mein imaginäres Land, nennt Guzmán seinen Film, und wesentlicher Teil seiner Erkenntnis: Der Protest wurde von den Frauen getragen. Die Mütter der Plaza de Mayo und andere Proteste gab es in Lateinamerika an verschiedenen Orten, an denen Diktatoren ihr eigenes Volk malträtierten, aber in Santiago waren das nicht mehr ein paar verzweifelte Mütter: Es waren die Frauen aller Generationen, die genug hatten von all den Männerlügen. Sie gingen friedlich auf die Strasse und waren so zahlreich, dass niemand mehr behaupten kann, es gebe sie nicht. – «Die Wahrheit», schrieb Leo Tolstoi in Krieg und Frieden, «muss sich ohne Gewalt durchsetzen.» Natürlich kommt einem bei den packenden Bildern aus Chile auch ein aktueller Diktator in den Sinn, in dessen Land das Volk vor gut 100 Jahren erfolgreich aufstand. Filme können auch Hoffnung geben.
Walter Ruggle
DER RAUSCH EINER ANDEREN ZEIT
Flowers of Shanghai von Hou Hsiao-hsien, Taiwan
EINE GESCHICHTE DES WASSERS
Burning von
UMS ÜBERLEBEN RENNEN
The Apple Day von Mahmoud Ghaffari, Raphaël Chevalley
SYMPHONIE DES PROTESTS
Mi país imaginario von Patricio Guzmán, Chile Meret Ruggle
SUSPENSE IN DER WIRKLICHKEIT
1976 von Manuela Martelli, Chile Stefanie Rusterholz
AUF DEN SPUREN DES BAUERN MA YOUTIE
Return to Dust von Li Ruijun, China Nathalie Bao-Götsch
AB IN DIE WÜSTE
Baliseurs du désert, Collier perdu de la colombe & Bab’Aziz : Restaurierte Klassik Nacer Khemir
EXKLUSIVITÄTEN IM STREAMING
Drive My Car, Clara Sola, O Megalexandros, Early Summer
FILMPERLEN AUF DVD 45 Costa Brava, Lebanon und Luzzu
Titelbild: Return to Dust Heftmitte: Mi país imaginario
TRIGONMAGAZINNR.95
5
10
Days
Emin Alper, Türkei Martial Knaebel
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Iran
21
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36
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ZuKALININGRADdenFilmen22/23
gehören neben
Nana von Kamila Andini, Indonesien, den wir im letzten Magazin vorgestellt haben, auch eine Produktion aus Brasilien und eine aus Kaliningrad, einer Exklave der russischen Diktatur.
Ein friedlicher Film aus einer friedlichen Stadt von einer friedlichen Frau: Als The Land of Sasha von Julia Trofimova an der Berlinale präsentiert wurde, hätte niemand für möglich gehalten, was kurz danach geschah. Der Kreml trat einen menschenverachtenden Krieg gegen sein Nachbarland los, und unvermittelt wird diskutiert, ob und was man denn aus dem Land, das ein anderes Land zerstören will, noch schauen und hören kann. Trofimova trägt keine Verantwortung für das schändliche Tun ihrer Regierung; ihr Film ist bester Beleg dafür, dass es ein Leben abseits des Kremls gab und gibt. Man könnte aus heutiger Sicht so gar sagen: Sie unterstreicht das allein schon mit der Wahl des Drehorts: Kali ningrad, das ist die Stadt im Baltikum, die abgekoppelt von Russland zu Russ land gehört und in die Schlagzeilen geriet, weil die Verantwortlichen für den Krieg gegen die Ukraine sich darüber empörten, dass Exporte über Kalinin grad nicht mehr einfach akzeptiert sind.
Freuen wir uns auf den Film, dessen Handlung so sensibel erzählt ist, dass er klar macht, wie wenig die Geografie für gewisse Momente im Leben eine Rolle spielt. Kaum ist die Schule vorbei, macht Saschas sonst komplizenhafte Mutter Druck. Er soll sich an der Uni
einschreiben. Aber Sascha lebt im Mo ment, will mit seinem Freund Max an sei nen Graffiti-Skills feilen und Zhenya tref fen. Getragen vom Licht und der Leichtigkeit des Sommers in Kaliningrad, ergründen sie zusammen ihre Gefühle.
Jung ist auch Joana. Sie lebt im brasilia nischen Porto Alegre und kurvt mit dem Fahrrad durch die Stadt. Auf dem Weg zur Arbeit wird sie in einen merkwürdigen Unfall verwickelt. Sie bleibt unverletzt, verheimlicht den Vorfall aber zuerst vor ihrer Partnerin Cecilia. Als ein seltsames Video des Unfalls auftaucht, erstatten die beiden Anzeige und erhalten bald darauf Besuch von der Fahrerin und ihrem Sohn, dem Autor des Videos. Bruno Carboni konfrontiert in O Acidente zwei Lebens entwürfe und arbeitet ihr Potenzial der Annäherung ebenso wie der Distanzie rung heraus. Premiere der beiden Filme in den Kinos im kommenden Winter.
RASOULOF VERHAFTET
Als er den Goldenen Bären der Berlinale gewann, durfte er nicht ausreisen. Nun hat das Regime in Teheran Mohammad Rasoulof verhaftet. Auslöser war ein kollektiver Post gegen Polizeigewalt.
Der iranische Filmemacher Mohammad Rasoulof hat 2020 in Berlin mit seinem meisterlichen Spielfilm There Is No Evil den Goldenen Bären gewonnen. Nun wurde er zusammen mit seinem Kollegen Mostafa Al-Ahmad verhaftet, weil sie im Zuge eines gewaltsamen Vorgehens der Regierung gegen den Protest nach einem Hauseinsturz mit 41 Toten unter dem Hashtag #put_your_gun_down eine Erklärung in den sozialen Medien veröf fentlicht hatten.
Kaveh Farnam und Farzad Pak, die beiden Produzenten von There Is No Evil, for
dern die Freilassung der Verhafteten. Am 8. Juli seien Mohammad Rasoulof und Mostafa Al-Ahmad in einem koordi nierten und brutalen Angriff unter falschem Vorwand in ihren Wohnungen verhaftet worden: « Wir verurteilen die Behörden aufs Schärfste für ihre Miss achtung grundlegender Menschenrechte und bürgerlicher Freiheiten sowie für die anhaltende Repression und den Druck, der auf engagierte und unabhän gige iranische Filmemacher ausgeübt wird, und fordern die sofortige und be dingungslose Freilassung der Kollegen.»
Mike Downey, Vorsitzender der Euro pean Film Academy, schreibt gemäss Variety: «Die Verhaftung von Mohammad Rasoulof und Mostafa Al-Ahmad ist nur ein weiteres Beispiel dafür, wie die korrupten staatlichen und kommunalen Behörden einen einfachen Akt des Pro tests in eine Anklage wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung verwandeln.»
Mohammad Rasoulof ist einer der profi liertesten Filmemacher der Gegenwart und eine der wichtigsten Stimmen nicht nur im iranischen Kino. Im Iran selber, wo von der religiösen Diktatur weder Kritik noch freie Meinungsäusserung geduldet wird, konnte er seine Filme bislang nicht öffentlich zeigen. 2011 erhielt er mit Goodbye zwei Preise in Cannes. Darauf wurde der Filmemacher wegen «regimefeindlicher Propaganda» zu sechs Jahren Gefängnis und einem 20-jährigen Arbeitsverbot verurteilt. Die Strafe wurde später auf Bewährung ausgesetzt. 2017 beschlagnahmten die Behörden Rasoulofs Reisepass, als er vom Telluride Film Festival zurückkehrte, wo sein Film A Man of Integrity über Korruption und Ungerechtigkeit in Iran gezeigt worden war.
Bei der Berlinale 2020 durfte Mohammad Rasoulof seinen Spielfilm There Is No Evil nicht begleiten und auch nicht anreisen, um am Ende des Festivals den Goldenen Bären entgegenzunehmen.
In einem Gespräch mit dem Tagesspiegel sagte er: «Der Iran ist meine Heimat, das Land und die Kultur, die ich liebe. Hier leben mein Vater und meine Mutter, die Menschen, die mir am Herzen liegen. Natürlich würde ich gerne reisen, aber warum soll ich mir mein Grund recht nehmen lassen, mich in meiner Heimat aufzuhalten? Abbas Kiarostami hat einmal gesagt, einen Baum könne man nicht verpflanzen. Meine Wurzeln sind und bleiben im Iran. Ich bin mit einem Film auf ein Festival eingeladen und fahre anschliessend nach Hause: Warum sollte ich weglaufen?»
The Land of Sasha
O Acidente
4 WEITSICHTEN
FLOWERS OF SHANGHAI
Hou Hsiao-hsien gehört zu den Altmeis tern des asiatischen Kinos. Der Taiwane se hat primär auf seiner Insel gedreht, aber thematisch ist er auch mal ins Festlandchina abgeschwenkt, hinein ins späte 19. Jahrhundert. Sein Prachtstück Flowers of Shangha i liegt jetzt restauriert vor.
Das Shanghai des späten 19. Jahrhun derts ist in mehrere ausländische Kon zessionen aufgeteilt. In der britischen Konzession gibt es mehrere «Blumen häuser», wie die Luxushäuser genannt werden, die der männlichen Elite vorbe halten sind. Da Bordelle für chinesische Würdenträger verboten sind, sind diese Häuser die einzigen, die diese Männer besuchen können. Sie bilden eine ge schlossene Welt, die ihre eigenen Riten, Gewohnheiten und sogar ihre eigene Sprache hat. Man kommt hierher, um zu essen, Opium zu rauchen, Mahjong zu spielen und sich zu amüsieren, aber auch, um die Konkubinen zu treffen. Die Frauen, die dort arbeiten, werden «die Blumen von Shanghai» genannt. Das asiatische Kino hat sich immer wieder mit Bordellen befasst, um über die Stellung der Frau in der Gesellschaft zu reden wie Kenji Mizoguchi oder die körperliche Liebe radikal zu denken wie Nagisa Oshima. Zwischen zwei Filmen über die taiwanesische Jugend, Goodbye South, Goodbye und Millennium Mambo , inszenierte Hou Hsiao-hsien stil- und epochenbewusst dieses kam merspielartige Gemälde mit dem Titel Flowers of Shanghai . Plansequenzen mit fliessenden Kamerabewegungen zeigen in opiumgeschwängerter Atmosphäre
das Schicksal von fünf Prostituierten. Die Frauen sind der männlichen Willkür schutzlos ausgeliefert und machen dennoch klar, dass die Gegenwelt der Bordelle für die Mannsbilder kein Ausweg, eher eine Sackgasse darstellt. Atmosphärisch dicht inszeniert.
SPÄTE EHRE FÜR ARGYRIS
Wie lange es dauern kann, bis Länder sich für Schandtaten entschuldigen, führt uns Deutschland vor, wenn es nach 78 Jahren einen damals 4-Jähri gen würdigt. Was Butscha 2022 war Distomo 1944. Ein bewegender Film legt ein stilles Zeugnis dafür ab.
Deutschland hat sich nach 78 Jahren entschieden, ein Bundesverdienstkreuz an den gebürtigen Griechen Argyris Sfountouris zu verleihen, für sein Werk und Engagement und auch als späte Entschuldigung für das, was er als Kind
erleben musste. Argyris überlebte als Vierjähriger das Massaker von Distomo am 10. Juni 1944. Seine weitere Kindheit und Jugend verbrachte der Vollwaise im Pestalozzi-Kinderdorf in Trogen. Dort machte er das Abitur und studierte an der ETH in Zürich Mathematik und Physik und wurde Lehrer.
Ein Lied für Argyris
Seit der Obristen diktatur in Griechenland, die er von Zürich aus mit unterschiedli chen Aktivitäten und prominenten Un terstützern bekämpfte, gilt er als Mittler zwischen griechischer und deutsch sprachiger Kultur, insbesondere durch seine Übersetzungen der verbotenen
Werke – vorzugsweise Lyrik – der damals in Griechenland inhaftierten Künstler. Stefan Haupt hat Argyris Sfountouris vor Jahren einen ungemein einfühlsamen und berührenden Film gewidmet: Ein Lied für Argyris . Ange sichts der aktuellen Schandtaten durch die russische Armee in Orten wie Butscha ist dieser Film aktueller denn je, führt Haupt uns doch mit der not wendigen Sensibilität vor Augen, was wir uns nicht vorstellen können und wollen. Normalerweise haben in der Geschichtsschreibung ja nur die Täter Namen und vielleicht noch besonders heldenhafte Opfer. Ein Lied für Argyris –zu schauen auf filmingo.
ErfreulicherALTIPLANO/TRANSSILVANIENKinostartfürdenbolivianischenSpielfilm
Utama in der Schweiz und zwei schöne Preise am Filmfestival von Transsilvanien.
Der bolivianische Filmemacher Alejandro Loayza Grisi gewann mit seinem Erstling Utama als bester Film die Transilvania Trophy am 21. Internationalen Film festival in Transsilvanien, das im rumä nischen Cluj-Napoca in Siebenbürgen stattfand und zwölf Erst- und Zweit lings-Filme im Wettbewerb hatte. Nicht nur die Jury mochte der Film aus dem andinen Altiplano zu überzeugen, auch das Publikum war begeistert und wählte ihn für den Publikumspreis. Die Jury hielt fest, dass der Erstling eine bewe gende Geschichte über ein QuechuaBauernpaar sei, der sich auszeichnet durch seinen «einfachen, klaren und poetischen filmischen Ansatz».
The Flowers of Shanghai
«Ich möchte mit dir das machen, was der Frühling mit den Kirschbäumen macht.»
Pablo Neruda
Utama
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6 HIT THE ROAD HASSAN PANTEAMADJOUNI PANAHIHA RAYAN SARLAK AMIN SIMIAR Ein Film von PANAH PANAHI JP PRODUCTION präsentiert EIN AUSSERGEWÖHNLICHER REGISSEUR. Télérama UNVERGESSLICH, ÜBERWÄLTIGEND, ZAUBERHAFT. Indie Wire ‘‘ ‘‘ ‘‘ ‘‘ AB 11. AUGUST IM KINO von KLARA im MUSEUM AARGAU www.filmpodium.ch SPIKE LEE’S JOINTS . 29. Juli – 27. Sept. 2022 . Do the Right Thing (1989) SOMMER-ABO: 13WOCHENKINO 90FILME FÜRCHF95.–! TRIGON_Inserat_Filmpodium_Spike_Lee_190x134.5.indd 1 14.06.22 14:54
FELLINI ZEICHNUNGEN
Bis zum 4. September 2022 zeigt das Kunsthaus Zürich anhand von rund 500 Exponaten, wie der legendäre italie nische Filmemacher Federico Fellini die Szenen und Charaktere seiner Filme in Zeichnungen entwickelte.
Federico Fellini (1920–1993) zählt zu den prägenden Regisseuren der Film geschichte. Filme wie La strada (1954), La dolce vita (1960), Roma (1972) oder Amarcord (1973) sind unverkennbar in ihrer Handschrift und Klassiker. Fellini war von Jugend an auch ein unermüd licher Zeichner, der seine Träume und Ideen zuerst mit Filzstift, Kugelschreiber oder Fineliner auf Papier skizzierte, bevor er sie am Set in Szene setzte und auf Zelluloid bannte.
Neben einzelnen Szenen oder Ausstat tungsdetails galt sein Interesse dabei in erster Linie den Figuren, die seine Filme bevölkern, wie Gelsomina in La Strada
nungen aus der Sammlung von Jakob und Philipp Keel aus. Ergänzt werden die Zeichnungen um eine ebenso grosse Anzahl von überwiegend schwarzweissen Setfotografien, um Kostüme und Filmrequisiten sowie raumgreifende Filmtrailer, die im Zusammenspiel mit den Zeichnungen die Arbeitsweise Fellinis anschaulich machen. Die Zeich nungen und Fotografien zeugen von der engen Verbindung zwischen Federico Fellini und der Familie Keel.
THE EXAM AUSGEZEICHNET
Erfolgreich wurde der kurdische Spiel film The Exam im Streaming lanciert. Nun gewann er zu früheren Preisen wie jenem der Filmkritik in Karlovy Vary eine weitere Auszeichnung. Wir gratulieren.
Der kurdische Spielfilm The Exam von Shawkat Amin Korki ( Memories on Stone, Kick Off ) hat am Internationalen Film festival von Santa Barbara, Kalifornien, den Preis für den besten internationalen Spielfilm gewonnen. «Leading Kurdish filmmaker Shawkat Amin Korki shines a highly entertaining light on women’s rights», notierte das Branchenblatt
Variety.Mitgrossem
(Sammlung Jakob und Philipp Keel, ProLitteris, Zürich). Diese Zeichnung wurde 1994 von Cannes sogar zum Festivalplakat erhoben. Fellini entwi ckelte Vorstellungen von einer Rolle unter anderem dadurch, dass er sie zeichnete. Diese schnellen Skizzen dienten ihm selbst zur Orientierung, fanden aber auch Verwendung, um dem Filmteam seine Ideen zu veranschaulichen. Fellinis künstlerische Prägung – er war zuerst als Karikaturist und Erfinder humoristischer Zeichnungen für Zei tungen tätig – brachte es mit sich, dass auch seine Filmzeichnungen einen deut lichen Zug ins Karikaturhafte, bisweilen Groteske haben. Es ist dieser spezi fische Stil, der die Zeichnungen unab hängig von den filmischen Werken zu künstlerisch bemerkenswerten, eigen ständigen Schöpfungen macht.
Die Zürcher Ausstellung umfasst rund 500 Exponate: Zeichnungen, Setfoto grafien und direkt aus den Filmen stam mende Requisiten. Zuletzt hatte das Kunsthaus 1984 eine Fellini-Präsentation zu Lebzeiten des Regisseurs und unter seiner Mitarbeit gezeigt. Den grössten Anteil an den Exponaten machen Zeich
Erfolg läuft der Film seit diesem Frühling als Streamingpremiere auf filmingo. Korki erzählt von Shilan, einer jungen Frau und Mutter im iraki schen Kurdistan, die fest entschlossen ist, ihre jüngere Schwester durch die Aufnahmeprüfung und an die Universität zu bringen, um ihr eine arrangierte Ehe zu ersparen. Gegen eine hohe Geld summe soll Rojin während der Prüfungen die richtigen Antworten zugeschanzt erhalten. Die beiden Schwestern verstricken sich in ein abenteuerliches Labyrinth korrupter Machenschaften, das Shawkat Amin Korki mit leiser Ironie und lauter Kritik offenlegt.
FILMCOOPI 50
Vom Krawall zum Schuh der Amélie hiess es zum 30. Geburtstag des Zürcher Labels Filmcoopi. Inzwischen sind zahl reiche sehenswerte Filme dazugekommen wie Toni Erdmann. Wir gratulieren unseren Freundinnen und Freunden, die dieselbe Leidenschaft für Film leben wie wir. Ihr Hauptfokus ist das Schweizer Kino und das unabhängige Filmschaffen.
Geburtstage können Anlass zu nostal gisch verklärten Rückblicken sein – ach, wie war das doch toll, damals, als man die Portokosten sparen konnte, weil die Filmschaffenden ihre Filme noch selber ins Kino trugen. Vor dreissig Jahren habe ich mich als Tagi-Redaktor auf den Weg an die Fabrikstrasse gemacht, um im damaligen Filmladen von Trudy Lutz, Felix Hächler und Wolfgang Blösche herauszufinden, wie sie die Filmcoopi ins zentral gesteuerte Europa retten wollten, ob sie den munteren Fisch aus dem Alpseelein im grossen Meer noch schwimmen sehen. Die drei waren fast von Anfang an dabei in der «selbst verwalteten Genossenschaft von Leuten, die sich aktiv an der politischen Film arbeit beteiligen» wollten. Immerhin, so habe ich 1992 notiert, ist dieser unabhängige Verleih «zusammen mit der auf Filme des Südens und Ostens spezia lisierten trigon-film der einzige, der ein klares Profil hat und sich vorbildlich um jeden einzelnen Film kümmert.»
eindrücklich, sie reicht von AutorInnen wie Audiard, Achternbusch, Amelio, Angelopoulos, Borden, Campion und Fassbinder über Haneke, Jarl, Kawase, Kiarostami, Kusturica, Lee, Loach, Mambéty zu Ade, Bong, Moretti, Ozon, Petzold, Pool, Resnais, Rivette, Soldini, Tykwer, Vigo, Wong und natürlich Kau rismäki. Darüber hinaus umfasst sie das halbe Verzeichnis des Neuen Schweizer Films, denn am Anfang waren ja all die Interventions-Geschichten, die bis in den letzten Chrachen hinauf im Land gespielt und diskutiert sein wollten. Hat das was genützt? Sicher. Man darf sich gar nicht ausmalen, wo wir wären, hätten sich all die Filmenden nicht zu Wort und Bild gemeldet, wäre da nicht die Filmcoopi gewesen, die all die Filme unters Volk gemischt hätte.
Lights in the Dusk
The Exam
«Spannend und in alle Richtungen gesell schaftskritisch», hielt SRF Kultur fest, und die NZZ notierte: «Shawkat Amin Korki baut von Anfang an Spannung auf, wodurch der Film neben der offensicht lichen Kritik an der Sozialordnung, in der er ein Gleichgewicht zwischen leichter Ironie und Ernsthaftigkeit findet, auch den Charakter einer Kriminalerzählung erhält.»
Down by Law
Inzwischen habe ich die Seite gewechselt und kümmere mich bei jenem zweiten Verleiher darum, Filme möglichst gut unter die Leute zu bringen. Ich weiss jetzt besser noch als damals, von welch unberechenbaren Faktoren die Karriere eines kleinen Filmes manchmal abhän gen kann und wie schwierig es mitunter geworden ist, in der ganzen Flut von Filmen für jene paar Titel, die einem ganz besonders ans Herz gewachsen sind, einen Platz zu finden, in den Kinos wie in den Medien, von denen Letztere am liebsten hinter den Rennern herren nen und dabei an manch einer kleineren Entdeckung vorbeiflitzen können.
Eines aber war mir schon immer klar, soweit sich mein Kinogängergedächtnis zurückbesinnen mag: Als Cinephiler hätte ich ganz Entscheidendes vermisst, wäre die Filmcooperative nicht gewe sen. Die Liste ihrer Filme ist lang und
Als Verleiher sehe ich, was die Coopi geleistet hat, welche Arbeit hinter der Lancierung eines Filmes steht und welche Freude, wenn der Funken springt. Vor allem aber weiss ich heute eines zu schätzen: Man kann mit der Mitspielerin Filmcoopi ein freundschaft liches Verhältnis pflegen. Vielleicht hat das auch etwas mit der Altersabge klärtheit der Crew zu tun, aber wäre das eine Selbstverständlichkeit, es wäre nicht der Rede wert.
Wir sind jugendliche 36, die Filmcoopi ist heuer 50 und hat sich in dieser Zeit mächtig entwickelt. Gestartet als kleiner, selbstverwalteter Laden, der sich ums hiesige Kino kümmerte, engagiert sie sich heute für die Präsenz eines unab hängigen Filmschaffens aus der ganzen Welt in der Schweiz und auch und nach wie vor in einem politischen Sinn besorgt um die Vielfalt auf den Lein wänden. Bei der Filmcoopi wie bei uns ist der Generationenwechsel erfolg reich vollzogen, hat sich die Generation der GründerInnen und Entwickelnden allmählich zurückgezogen, um den flies senden Übergang und die Fortsetzung mit frischem Elan zu ermöglichen und zu geniessen. Wir gratulieren der Filmcoopi und wünschen ihr und uns allen, dass uns das Kino als Ort der Ent deckungen und Begegnungen erhalten bleibt und von neuem Leben beflügelt wird. Der Blick zurück zeigt, wie sehr sich das lohnt. Walter Ruggle
Im Filmpodium Zürich gibt’s eine Hommage und schweizweit feiern wir den 50. der Filmcoopi auf fimingo.ch
Im Auto einst: La dolce vita
Im Auto jetzt: Toni Erdmann
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26th Internationale Kurzfilmtage Winterthur 8 13 Nov 2022 kurzfilmtage.ch Hauptsponsorin Medienpartner:innen Öffentliche Hand giovanecinemadelFestivalCastellinaria giovanecinemadelFestivalCastellinaria 19 26.11.22 Bellinzona 19 26.11.22 Bellinzona 19 26.11.22 Bellinzona 19 26.11.22 Bellinzona 19 26.11.22 Bellinzona 19 26.11.22 Bellinzona 19 26 .11.22 Bellinzona 19 26.11.22 Bellinzona 19 26.11.22 Bellinzona
FILMFEST INNSBRUCK
Seit 31 Jahren geht in Innsbruck ein Filmfestival über die lokalen ArthouseKinoleinwände, das sich ausgeprägt und engagiert dem Filmschaffen des Südens und Ostens widmet. Heuer erstmals regulär unter neuer Leitung.
Nach einer abgesagten und einer ver schobenen Ausgabe konnte das Festival 2022 erstmals regulär unter der neuen Leitung von Anna Ladinig stattfinden. Die junge Festivalleiterin studierte Sla wistik und Romanistik an der Universität Innsbruck. Sie spezialisierte sich auf Film und verfasste ihre Masterarbeit in Slawistik über das kirgisische Kino der 1960er und 1970er Jahre als identitäts stiftendes Instrument.
Ladinig löste vor der Pandemie den lang jährigen Leiter Helmut Groschup ab, der die Veranstaltung geprägt hat und Gäste aus aller Welt einlud. In quasi familiärer Atmosphäre boten sich da Möglichkeiten zu intensiven Begegnungen mit Film schaffenden wie Paul Leduc aus Mexiko, Shaji Karun aus Indien, Pierre Yaméogo aus Burkina Faso oder Fernando Birri aus Argentinien. Das IFFI zeigt Filme aus Regionen und zu Themen, die in globalen Kinonetzwerken unterrepräsentiert sind. Sechs Tage lang wird im schönen Leokino Film als globales Phänomen in allen Facetten gefeiert.
Der Jury des 31. IFFI gehörten die Filmemacherinnen Jeanine Meerapfel (Deutschland/Argentinien) und Kateryna Gornostai (Ukraine) an sowie Meret Ruggle, die Leiterin von trigon-film. Am Ende hat sie den brasilianischen Spielfilm Medusa von Anita Rocha da Silveira mit dem Hauptpreis ausgezeich net und begründet: «Nach einer langen Diskussion beschloss die Jury, den Hauptpreis an einen politisch engagier ten und zeitgenössischen Film zu ver geben, der die Realität eines ganzen Kontinents aufdeckt, in dem evangelikale Kirchen ihre Macht nutzen, um Unwis senheit durch Aberglauben und Gewalt zu erzwingen. In sehr starken Bildern und durch die Vermischung verschiede ner Genres zeigt die Filmemacherin die Idealisierung von körperlicher und geistiger Reinheit sowie den Kampf der Frauen, ihre eigene Stimme zu finden.»
Preisverleihung Jury 2022 Töchtern und der kranken Mutter Beirut, dem Müll, der Korruption und den enttäuschten Hoffnungen den Rücken gekehrt haben. In Hügeln fern der Stadt haben sie sich ihr kleines Paradies geschaffen. Dies ist bedroht, als die Regierung verkündet, direkt nebenan eine Mülldeponie zu errichten. Die Familie wird erneut mit den Gründen, die sie zur Flucht aus Beirut trieben, konfron tiert. Das Familiengefüge gerät durch einander. Akls Debütfilm besticht durch die Aushandlung grosser politischer Positionen innerhalb einer Familie und lässt genug Raum für lustige Momente. Costa Brava, Lebanon ist in der Edition trigon-film auf DVD erschienen und auf filmingo.ch im Streaming zu sehen.
ihre Anwesenheit und ihre Haltung –auch fürs Publikum – kenntlich. Sie deklariert sich – und bleibt dabei em phatisch. Sie involviert sich, allerdings ohne sich je über ihre ProtagonistInnen zu erheben. Aus grösster Nähe, die sich nur herstellen lässt über Zeit, Geduld, Courage und Offenheit, gelingen so verdichtete, beklemmende, komische, erhellende Einblicke in den Lebensund Arbeitsalltag von Di, ihren Ge schwistern, Freundinnen und Eltern –und es gelingen Bilder von künstleri scher Qualität, die bleiben.»
AUSFLUG ZUM WÖRTERBERG
Montricher ist ein kleines Dorf am Fuss des Juras, kurz bevor dieser am Genfersee endet. Hier liegt still eine Stiftung, die sich dem Wort verschrieben hat und noch bis zum 21. August eine kleine feine Ausstellung zum Künstler und Wortspieler Markus Raetz bietet.
Die Fondation Jan Michalski wurde 2004 im Dorf Montricher von Vera MichalskiHoffmann im Gedenken an ihren Mann als kleine Stätte des Schreibens und der Literatur gegründet, um literarisches Schaffen und Übersetzungen zu fördern und die Lust am Lesen zu wecken. Dieses Engagement für das geschriebe ne Wort zeigt sich insbesondere in der beein druckenden mehrstöckigen und vielsprachigen Bibliothek mit perspekti venreichen Lese- und Arbeitsnischen,
in den Ausstellungen und kulturellen Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Schreiben und der Literatur, in der Aufnahme von Schriftstellerinnen und Schriftstellern in Residenzen und in der Verleihung eines jährlichen Preises für internationale Literatur. Die Stiftung liegt mit prägnanter Architektur inmit ten der Natur am Fusse des Juras. Ihre Bibliothek ist ein frei zugänglicher Leseund Arbeitsbereich und bietet eine um fassende Sammlung moderner und zeit genössischer Literatur. Auf fünf Ebenen wiederspiegeln die nach Sprachen geordneten multikulturellen Sammlungen mit mehr als 60 000 Büchern Bereiche des Schaffens und des literarischen Wissens. Der Kulturraum der Stiftung widmet sich temporären Ausstellungen (Aktuell: Markus Raetz und seine Wort spiele) und Veranstaltungen, die Literatur und Schrift in verschiedenen Formen präsentieren. Ein Ort der Begegnung und des Austauschs zwischen Publikum, Künstlern und Schriftstellern.
PHILOSOPHIE FESTIVAL
Im nordmazedonischen Skopje gibt es alljährlich ein Festival des philosophi schen Films. Bei der diesjährigen Aus gabe im Juni gewann der Spielfilm Clara Sola aus Costa Rica den Hauptpreis.
In Skopje wurde Clara Sola von Nathalie Álvarez Mesén aus Costa Rica mit dem Golden Owl Award ausgezeichnet. «In der Symbolsprache des magischen Realismus schildert die Regisseurin ein drucksvoll Claras Kampf um Selbstbe stimmung, bei dem ihre Naturerfahrung im Mittelpunkt steht. Daraus ergibt sich die Quelle der philosophischen Betrach tung und poetischen Kraft dieses Films: tiefe Empathie mit allem Lebendigen.» Zu sehen im Streaming auf filmingo.
Publikumspreis: Costa Brava, Lebanon
Die Dokumentarfilmjury, der unter anderem der Schweizer Filmemacher Stefan Haupt angehörte, hat den viet namesischen Film Children of the Mist von Diem Ha Le zum Gewinner erkoren und schreibt: «Der Film nimmt uns mit in eine Region und eine Kultur, von der wir bisher nichts wussten. Er gibt uns die Möglichkeit ganz nah dran zu sein an einer Familie und an einer Tradition von beklemmender Drastik: Di, ein jun ges Mädchen, gerade mal Teenager, das eben noch via social media flirtet, wird , einem archaischen Ritual folgend, von ihrem gleichaltrigen künftigen Ehemann entführt. Die Filmemacherin agiert in diesem Kontext nicht als vermeintlich neutrale Beobachterin, sondern macht
Aus dem Gesamtprogramm hat der ausser Konkurrenz präsentierte libanesi sche Spielfilm Costa Brava, Lebanon von Mounia Akl den Publikumspreis gewon nen. Die Filmemacherin erzählt von Walid und Nadine, die mit den beiden
Medusa
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DES WASSERS
BURNING DAYS VON EMIN ALPER, TÜRKEI
Von Martial Knaebel
Emre, ein junger und engagierter Staatsanwalt, wird in eine Kleinstadt im tiefen Anatolien entsandt. Man hat da eine Wasserkrise ausgemacht, verbunden mit politischen Skandalen, die untersucht werden sollen. Herzlich ist die Begrüssung von Verantwortlichen am Ort, unentwirrbar wirken die Netze, die da geflochten sind. Gerüchte und Lügen prägen den Alltag und werden schleichend zu Wahrheiten. Ein fesselnder Politthriller, in dem sich Abgründe einer Gesellschaft auftun.
EINE GESCHICHTE
Der junge Staatsanwalt Emre kommt in Yaniklar an, einem abge legenen Ort in Zentralanatolien, wo er von einer Wildschweinjagd in den Strassen der Stadt begrüsst wird. Schreie und Schüsse erschallen zwischen den Mauern in den engen Gassen. Sie sind eine gute Gelegenheit für Emre, schon mal seine Autorität und die des Gesetzes zu demonstrieren. Das glaubt er zumindest, als er Sahin, den Anwalt und Sohn des Bürgermeisters, zusammen mit seinem Freund, dem Zahnarzt Kemal, empfängt. Ein erstes Beschnuppern für beide Seiten, das mit einer Einladung zum Essen durch Sahin endet, die Emre nur zögerlich annimmt. Das zweideutige Lächeln der Richterin Zeynep, als diese wenig später von Emre zum Thema befragt wird, sagt viel darüber aus, was der junge Staatsanwalt in den politischen Spielen, die die Stadt be wegen, zu erwarten hat.
DAS WASSER UND SEINE ABWESENHEIT
Ob bei Abluka (Frenzy) oder A Tale of Three Sisters , den beiden vorangegangenen Filmen von Emin Alper, die auch in der Schweiz in die Kinos gelangten: Die Eingeschlossenheit der Figuren liess da wenig Platz für grosse Räume, die Cadres waren meist in sich geschlossen. Das galt sowohl physisch selbst im letzten Film, in dem die Berge das Dorf umschliessen, als auch sozial, wenn die Figuren in ihrer sozialen Klasse gefangen sind. In Burning Days strickt die Gesellschaft zwar ihr Netz, in dem die Figuren gefangen sind oder gejagt werden, doch der Raum wirkt extrem offen und fast flach, die Aussenwelt scheint Öffnungen zu bieten.
Die Geschichte beginnt mit Bildern, die einem Science-FictionFilm entsprungen sein könnten, mit riesigen Löchern, die im Erdboden klaffen und wie nahezu perfekte Kreise geformt sind. In Wirklichkeit sind sie ein Beispiel für das Verschwinden des Grundwassers in einer Region, die geologisch vom Kalkstein geprägt ist. Schon als Emre in der Stadt ankommt, sieht er eine lange Schlange von Menschen mit Kanistern, die auf die Wasser versorgung warten.
EINE SCHICKSALSHAFTE NACHT
Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen den beiden grossen Namen des aktuellen türkischen Kinos, dem Filmemacher Nuri Bilge Ceylan ( Winter Sleep, Once Upon in Anatolia ) und Emin Alper: Es ist dies die Pflege einer langen Dialogszene, die beiden Regis seuren die Möglichkeit gibt, ihr Talent in Bezug auf das Schreiben und die Inszenierung auszudrücken. Vor allem aber ermöglichen diese entscheidenden Szenen, die Figuren ohne jede Schwere zu porträtieren und zu verankern, ohne dass die Handlung an Kraft oder Interesse verliert.
Doch hier endet der Vergleich, denn so sehr Ceylans Dialoge ziseliert, fast schon literarisch sind, so bewusst roh sind jene von
Alper: Sie deuten eine unterschwellige Gewalt an, die bei der Einladung von Sahin und seinem Vater spürbar wird. Der Bürger meister zieht sich früh zurück, und die Situation gerät für den zunehmend alkoholisierten Emre ausser Kontrolle. Ihm wird es später schwer fallen, sich an die Ereignisse dieser dramatischen Nacht zu erinnern. Selahattin Pasali (Emre), Erol Babaoglu (Sahin) und Erdem Senocak (Kemal) liefern eine bühnenreife Leistung ab und wechseln atemberaubend und meisterhaft zwi schen den verschiedenen Haltungen und Tonlagen.
DIE WASSERFRAGE IST EINE UNIVERSELLE
Natürlich ist die Stadt Yaniklar, wie Emin Alper im Gespräch auf den folgenden Seiten erklärt, rein fiktiv, aber wie jedes Provinz städtchen in jedem Land kann auch diese das Bild einer ganzen Gesellschaft und ihrer Schichten bieten. Und hier zeichnet sich der Regisseur wirklich aus, indem er die politischen Beziehungen, aber auch die Klassenverhältnisse, die diese Gesellschaft prägen, subtil herausarbeitet. Die Frage der Wasserversorgung ist in der Region ein Wahlkampfthema (die Kommunalwahlen stehen bald an) und auch ein Druckmittel gegen die Bevölkerung, wobei die tieferen Ursachen des Wassermangels natürlich nicht angespro chen werden. Auch wenn Yaniklar für Emin Alper einen Mikrokos mos der Türkei darstellt, so ist das Thema Wasser doch universell und die Wasserknappheit bedroht uns alle, und dort wie hier fehlt es den Reaktionen und Initiativen an Wirksamkeit und Relevanz, um nicht zu sagen an Ernsthaftigkeit. Dasselbe könnte man übri gens auch über die politischen Manipulationen sagen, denen eine Bevölkerung zum Opfer fällt – sie hat keine grosse Wahl.
WAS HEISST RECHT?
Murat (Ekin Koç), der Journalist, den Emre beiläufig kennenlernt, stellt insoweit eine Opposition dar, als seine Zeitung so gut wie möglich versucht, die Bevölkerung zu informieren. Eine Opposi tion, die von der herrschenden Klasse in Familien wie der von Sahin unterwandert oder, falls dies nicht möglich ist, niederge schlagen werden muss. Ausserdem wird Emre mit seinem ersten Kriminalfall konfrontiert, als der Vater von Pekmez, einem Zigeu nermädchen im Teenageralter, wegen Vergewaltigung seiner Tochter Anzeige erstattet. Diesmal ist es nicht einmal mehr die arme Bevölkerung von Yaniklar, sondern die unterste Schicht der Gesellschaft, die der Staatsanwalt verteidigen und schützen soll. Die Vergewaltigung fand in jener schicksalhaften Nacht statt, an die sich Emre nur schwer erinnern kann.
Über diesen persönlichen Konflikt hinaus wirft Emin Alper die Frage nach der Funktion des Rechts auf: Ist das Gesetz so konzi piert, dass es Gerechtigkeit schafft – jeder und jede ist vor dem Gesetz gleich? Oder wird es im Gegenteil eingesetzt, um beste hende Klassenverhältnisse aufrechtzuerhalten und zu festigen?
Die Antwort auf diese Fragen kennen wir aus der Türkei, wo es immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen kommt. Aber wie sieht es bei uns aus?
Die zweideutige Beziehung, die sich zwischen den beiden jungen Männern Murat und Emre entwickelt, fügt der allgemeinen Handlung eine neue Dimension und der sozialen Studie dieses Mikrokosmos’, die Emin Alper mit unausweichlicher Präszision unternommen hat, eine weitere Ebene hinzu. Während die Roma als das unterste Ende der Skala betrachtet werden, hat die Homophobie in dieser Männergesellschaft eine Tradition, die von manipulativen Populisten verschärft wird. Schnell wird da eine weitere Kategorie von Opfern hinzugefügt: so genannt abweichende sexuelle Minderheiten, und der Volksrache zum Frass vorgeworfen. Die unterste Stufe der Skala zieht die unters te Stufe der menschlichen Dummheit an, die immer auf der Suche nach leichten Opfern ist.
FRAGEN STELLEN
Man darf von der Subtilität der Handlung und der Inszenierung beeindruckt sein, besonders auch von der Kraft der Inszenierung. Emin Alper verbindet einen letztlich klassischen Spannungs bogen – die Suche nach einem Schuldigen – mit der feinen sozio logischen Studie einer Gesellschaft, die in einer ökologischen Krise gefangen ist. Einer Krise, der sie sich nicht zu stellen weiss, aus der sie keinen Ausweg finden will, der öko-logisch ist. Er geht über das hinaus, was man als politisches Kino bezeichnet, aus dem einfachen Grund, weil er zu keinem Zeitpunkt vergisst, dass er eben vor allem Kino macht. Und wie!
Was heisst das? Ganz einfach: Der Zuschauer und die Zuschauerin müssen nicht von Ideen überzeugt werden, vielmehr in erster Linie von einer Handlung erfasst, der sie und er bis zu ihrem end gültigen Ausgang folgen möchten.
Die majestätischen, aber auch beängstigenden Schauplätze, die Figuren, die man zu kennen glaubt, die aber im Laufe der Geschichte immer mehr Facetten entwickeln lassen und von fesselnd spielenden Schauspielerinnen und Schauspielern fassbar gemacht und belebt werden, all das hält jedes kinobegeisterte Publikum in Atem. Der Film beginnt mit einer Wildschweinjagd und endet in perfekter Symmetrie mit einer Menschenjagd. Emin Alper beherrscht sein Thema bis hin zum Aufbau dieser unheim lichen, schreienden Menschenmassen. Hinzu kommt die Rele vanz des Themas, das der türkische Regisseur in einer Zeit ent faltet, in der die Freiheit der Meinungsäusserung, des Seins oder sogar des Lebens in Gesellschaften, die sich liberal nennen, in Frage gestellt ist. Als guter Philosoph gibt Alper keine Antworten, er regt uns an, Fragen zu stellen. ■
INNEN UND AUSSEN
Wie sind Sie auf den Stoff von Burning Days gekommen? Haben Sie sich von wahren Begebenheiten inspirieren lassen?
Die ursprüngliche Idee war es, einen einsamen, idealisti schen Menschen ins Zentrum zu stellen, der gegen die korrupte Elite einer Kleinstadt ankämpft. Natürlich wur de die Idee inspiriert von den neusten politischen Ent wicklungen in meinem Land. Du kannst immer den Mut und die Energie aufbringen, gegen korrupte und autoritä re Politiker Widerstand zu leisten, aber wenn du dann siehst, wie populär solche Menschen sind und dass sie wieder und wieder gewählt werden, fühlst du dich nieder geschlagen, alleine und isoliert. Nach einer Weile denkst du, dass du deine Depression überwinden solltest und beginnst dich erneut aufzulehnen – bis zur nächsten Ent täuschung. Wir sind seit einigen Jahren gefangen in einem solchen Teufelskreis. Nicht nur in der Türkei, zahlreiche andere Länder machen ähnliche Erfahrungen. Ich be schloss daher, eine Geschichte zu schreiben, die diese beinahe universelle Entwicklung aufnimmt und die Ein samkeit von Menschen zeigt, die über den Aufschwung autoritärer Populisten empört sind.
Ist Yaniklar eine fiktive Stadt?
Ja, Yaniklar ist komplett erfunden. Ich wollte in der fik tiven Stadt einen Mikrokosmos der Türkei entwerfen. Mir war klar geworden, dass ich die Geschichte in einem Mikrokosmos ansiedeln musste, wie ihn Ibsen in seinem Stück «Der Volksfeind» erschaffen hatte. Dieses Theater stück, das vor beinahe eineinhalb Jahrhunderten geschrie ben wurde, war eine meiner wichtigsten Inspirations
Nimmtquellen.die
beschriebene Wasserkrise Bezug auf ein konkretes Problem in Gebieten der Türkei? Über das Wasser übt der Bürgermeister Kontrolle über Bewoh nerinnen und Bewohner aus. Sehen Sie hier eine Parallele zu anderen Formen der Kontrolle in populistischen Regierungen?DerWassermangel
wird zunehmend zum Problem und Erdrutsche sind in Zentralanatolien ein Fakt. Mit dem Fehlen von Grundwasser erhöht sich das Phänomen dras tisch und schafft echte Gefahren, dennoch bleibt der Was serverbrauch konstant hoch. Populisten haben in solchen Zeiten Hochkonjunktur, weil sie immer einfache Lösun gen parat haben, um die Bedürfnisse der Menschen schnell zu befriedigen. Sie präsentieren kontraproduktive Kurzzeitlösungen und nutzen die Naivität der Menschen und ihre Vorurteile aus. Das Wasserproblem der fiktiven
Wie kamen Sie darauf, mit Elementen des Thrillers zu Dasarbeiten?warnicht von Anfang an vorgesehen. Nachdem das Grundgerüst rund um das Wasser skizziert war, brauchte es Elemente, die die Handlung anreichern und den Charakter des Staatsanwalts vertiefen würden. Mir schwebte eine Art Kriminalgeschichte vor, aber nicht nur, um Spannung aufzubauen, sondern auch, weil es mich immer wieder erstaunt, wie die Menschen kriminel le Akte ihrer geliebter populistischer Führer einfach igno rieren können.
Das Nachtessen im Garten des Bürgermeisters ist eine wichtige und lange Szene, die zuerst amüsant ist (der Schauspieler, der den Zahnarzt verkörpert, ist grossartig), dann verstörend. Wie haben Sie die Szenen Icherarbeitet?liebelange Szenen von Essgelagen. Es gibt in fast all meinen Filmen eine solche Szene. Sie eignen sich hervor ragend, um die Spannungen unter der Oberfläche sichtbar zu machen. Der grösste Teil der Dialoge war im Drehbuch festgehalten, wir probten aber auch sehr viel und ich liess die Schauspielenden bis zu einem gewissen Grad improvi sieren. Ich notierte mir die besonders gelungenen Impro visationen und baute sie ein. Auf dem Set stand die Szene soweit fest, weil wir sie aber im Laufe von vier Nächten drehten, bestand die grösste Herausforderung darin, das emotionale Engagement aller Beteiligten über die Dreh tage hinweg auf demselben hohen Niveau zu halten.
Emre versucht, sich an die Geschehnisse jener Nacht zu erinnern: Sind die Fragmente, die nach und nach auftauchen, echte Erinnerungen oder Hypothesen? Es ist eine Mischung von echten Erinnerungen, Hypothe sen und Wunschdenken. Ich wollte keinen gradlinigen Prozess beschreiben, bei dem nach und nach die Erin nerung zurückkommt und schliesslich die Wahrheit zu Tage tritt. Das wäre zu klassisch. Dem Publikum wird zum Ende keine absolute Wahrheit präsentiert. Die Erin nerungen stehen manchmal im Widerspruch zueinander. Einige können real sein, andere wurden höchstwahr scheinlich nach Geschichten geformt, die er gehört hatte. Manche wiederum sind vermutlich so zurechtgebogen, wie sie der Staatsanwalt in Erinnerung behalten möchte.
14 Stadt Yaniklar könnte genauso gut für das Land stehen, das unter der Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes lei det, das Öl, das angeblich alle reich machen wird, oder die Einwanderer, die sowieso an allem schuld sind.
GESPRÄCH MIT EMIN ALPER ZU BURNING DAYS
Murats Charakter ist zwiespältig, hilft er Emre oder manipuliert er ihn? Können Sie etwas genauer sagen, was in seiner Jugend passiert ist?
Für mich ist eines der wichtigsten Themen im Film, dass du nicht vollkommen rein und moralisch bleiben kannst, wenn du gegen den Teufel kämpfst. Murat kämpft gegen die Korruption, lebt aber seit seiner Kindheit in dieser korrupten Umgebung. Es ist unvorstellbar, dass er unter diesen Voraussetzungen unschuldig bleiben kann. Also ja, er manipuliert, gleichzeitig ist er aber auch aufrecht in seiner Sache. Ich wollte ihn nicht in eine Schublade stecken. Er ist wirklich überzeugt davon, dass der Mangel an Grundwasser gefährlich ist. Dennoch ist er käuflich, um seine Ziele zu erreichen. Wahrscheinlich, weil er glaubt, dass er sonst keinen Erfolg hat.
Murats Vergangenheit ist unklar, implizit wird aber ange deutet, dass er in jüngeren Jahren der Stricher der Stadt war. Dieser Punkt war mir wichtig, um die Scheinheilig keit konservativer Kleinstädter hervorzuheben. Natürlich gibt es auch in solchen Städten Beziehungen zwischen Männern, gleichzeitig aber ist es ein absolutes Tabu, schwul zu sein oder sich zu prostituieren. Murats sexuelle Ambivalenz war ein erzählerisches Mittel, um diese Doppelmoral sichtbar zu machen. Es gibt noch ein Mys terium im Zusammenhang mit Murats Vergangenheit. Wurde er vom früheren Staatsanwalt in der Absicht adop tiert, ihn sexuell auszubeuten oder wollte er ihm wirklich helfen? Das ist nicht eindeutig, aber Murats harsche Reaktion auf Emre am See impliziert Letzteres.
Was soll das Publikum am Ende des Films glauben: dass Emre unschuldig ist und in eine Falle gelockt wurde? Nicht unbedingt. Dies ist keine Geschichte über Gut und Böse, sondern über «weniger Gut» und Böse. Das rein Gute gibt es nur im Märchen. Wie ich schon sagte, kann man im Kampf gegen das Böse selbst einen teuflischen Charakter entwickeln oder zumindest seine dunklen Seiten ans Licht zerren. Erstens führt Emre nie eine rund um seriöse Untersuchung durch. Vermutlich manipuliert er Pekmez’ Aussage, um die gewünschte Schlussfolgerung zu rechtfertigen. Er versteckt Beweismittel, ist jedoch mutig und ehrlich genug, um die Ermittlungen fortzuset zen, obwohl er merkt, dass er in den Fall hineingezogen
wird.Zweitens
ist Emre nie ganz sicher, was in jener Nacht wirk lich passiert ist. Als Mann voller unterdrückter Begierden schliesst er nicht aus, dass auch er ein potenzieller Verge waltiger sein könnte. Was Emre am Ende so tugendhaft erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass er aller Widerstän de zum Trotz weiterkämpft, wie auch immer es ausgehen möge. Der Weg des geringsten Widerstands wäre für ihn, den Fall aufzugeben, was er aber nie ins Auge fasst. Am Ende ist er nicht ganz unschuldig, versucht aber wenigs tens, etwas Gutes in sich zu bewahren. Das lässt ihn in eine Falle tappen, die nicht etwa ein lang geplanter Komplott ist, er überschätzt ganz einfach seine eigene Macht in Bezug auf die korrupten Lokalpolitiker, die die Stadt fest im Griff haben.
Der Film beginnt mit einer spektakulären Wildschwein jagd, zur Beute werden am Ende aber Emre und Murat. Ist Homophobie stark verbreitet in der Türkei? Leider ja. Mehr noch, ist sie in den letzten Jahren sogar auf die Agenda der Politik gerückt. Bis vor Kurzem war
die LGBTI+-Community in der Türkei trotz vorherr schender Queerfeindlichkeit vermehrt in den Blick der Öffentlichkeit gerückt und hat sich zu Wort gemeldet. Vor einigen Jahren startete die Regierung einen eigent lichen Kreuzzug gegen die öffentliche Sichtbarkeit von LGBTI+-Menschen und hat die Homophobie im Volk geschürt. Das ist bei Rechtspopulisten fast weltweit zu beobachten, denken Sie an Putin und Orban.
Ist Burning Days ein Konflikt zwischen Tradition und NichtModerne?zwingend oder nur teilweise. Sicher, Emre ist ein Stadtjunge und ziemlich modern. Die ersten Spannungen tauchen auf, als er mit der traditionellen Lebensweise kol lidiert, gleichzeitig ist das Problem komplexer. Der Bürger meister und sein Sohn sind nur in dem Masse traditionell, wie es Le Pen, Orban oder Putin sind. Populistischen Füh rern gefällt es, sich traditionell und volksnah zu geben. Sie neigen dazu, sich auf traditionelle, konservative Werte zu beziehen. Allerdings sind dies für sie in der Regel manipu lative Instrumente. Wir sollten uns vor Augen halten, dass der autoritäre Populismus ein modernes Phänomen ist. ■
EMIN ALPER
1974 in Zentralanatolien geboren und aufgewachsen, studierte Emin Alper in Ankara Wirtschaft und Geschich te. Nach dem Doktorat in zeitgenössischer türkischer Geschichte lehrte er an der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften der Technischen Unversität Instanbul. Als Jugendlicher begann sich Alper für Kino, Theater und Literatur zu begeistern. Als ein Schlüssel ereignis bezeichnet er Time of the Gypsies (1989) von Emir Kusturica. Alper war Mitglied in der Theatergruppe und im universitären Filmclub, wo Diskussionsrunden mit türkischen Regisseuren wie Zeki Demirkubuz und Nuri Bilge Ceylan organisiert wurden. Ceylan nennt er als einen der grössten Einflussgeber, neben Stanley Kubrick, Michael Haneke, Rainer Werner Fassbinder, Sergio Leone sowie den Autoren William Faulkner und Flannery O’Connor oder den russischen Schriftstellern Dostojewski, Tolstoi und Tschechow. Er verfasste neben Filmkritiken, die er aufgrund des Fehlens von Filmzeitschriften in der Türkei in einer universitätseigenen Publikation veröffentlichte, erste Drehbuchent würfe. 2004 wirkte er als Schauspieler im Kurzfilm Apartman von Seyfi Teoman mit, der ihn bis zu seinem Unfalltod im Jahr 2012 förderte. 2005 hatte Emin Alper einen Auftritt als Schauspieler im Kurzfilm Çarpisma von Umut Aral, und es entstanden mit Mektup und Rıfat erste eigene Kurzfilmarbeiten. Sein erster Spielfilm Tepenin Ardi (Beyond the Hill) , eine Western-Parabel mit bissigem, hintergründigem Kommentar zu türkischen Gesellschaftsstrukturen, erhielt zahlreiche Auszeich nungen, unter ihnen den Caligari-Preis an der Berlinale. Es folgte mit Abluka eine packende Betrachtung der Ängste in der türkischen Gesellschaft – und nicht nur dort. A Tale of Three Sisters war im tiefsten Anatolien angesiedelt, genauso wie Burning Days
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Saeed und Mahdi leben mit ihren Eltern in Teheran. Um das Alphabet zu lernen, sollen die Erstklässler etwas in die Schule bringen, das mit dem Beruf der Eltern zu tun. So ist Mahdi für A wie Apfel zuständig. Als sich die Er eignisse überstürzen, tut Saeed alles, um seinem kleinen Bruder zu helfen. Mahmoud Ghaffari inszeniert in der Tradition des italienischen Neorealismus und des irani schen Kinos eine ergreifende Geschichte und das kompromisslose Porträt seines Landes, das auch Hoffnung
UMSweckt. ÜBERLEBEN RENNEN THE APPLE DAY VON MAHMOUD GHAFFARI, IRAN Von Raphaël Chevalley
Die Vögel zwitschern, Morteza und sein Sohn Saeed ernten in einem ländlichen Obstgarten Äpfel. Sowie der Pick-up vollge laden ist, brechen sie nach Teheran auf, wo sie die Quartiere abklappern und ihre Früchte mittels Megafon an den Mann und die Frau bringen: «Frische Äpfel, 15 000 Toman das Kilo!» Am Abend stellen sie sich an befahrene Landstrassen und betreiben ihren Handel bis spät in die Nacht weiter. So lässt uns der irani sche Filmemacher in The Apple Day ( A wie Apfel ) gleich zu Beginn in das Leben einfacher Menschen in Teheran eintauchen.
Dem realistischen Kino verpflichtet, nimmt uns Mahmoud Ghaf fari mit in den Alltag einer Familie, die in einem heruntergekom menen Vorort in verwinkelten Gassen lebt. Hier sind der junge Saeed und sein kleiner Bruder Mahdi zuhause. Wenn sie nicht gerade im Haushalt oder bei der Arbeit mit anpacken, besuchen die beiden eine streng geführte Schule. Während der Vater den Unterhalt mit dem Verkauf von Äpfeln bestreitet, verdient Mutter Mahboubeh mit dem Waschen und Färben alter Kleider Geld. Sie arbeiten hart, in der Hoffnung, ihren beiden Söhnen eine bes sere Zukunft zu ermöglichen. Die Familie wirkt glücklich. In ihrer kleinen Wohnung wird gerne getanzt, und wenn es das magere Einkommen erlaubt, gönnen sie sich auch mal eine Mahlzeit in einem einfachen Restaurant.
EIN SYMBOL FÜR DIE MIGRATION
Der Filmemacher Mahmoud Ghaffari folgt seinen Figuren durch die Stadt, während sie ihren Lebensunterhalt verdienen und sich durch den Alltag schlagen, und schafft sogleich einen Gegensatz zwischen den weissen Wohnblocks am Rande Teherans und den Bildern einer grünen Landschaft, in der friedlich Schafherden grasen. Dies mit Grund, denn Vater Mortaza sehnt sich nach dem Dorf und der Landschaft, die er mit seiner Frau hinter sich gelas sen hat, um in der Stadt Fuss zu fassen.
Der Regisseur macht keinen Hehl daraus: Der Kontrast zwischen urbaner Tristesse und grüner Natur ist für ihn das Symbol der Migration schlechthin. Es geht nicht darum, das Landleben zu verherrlichen, sondern das Publikum zum Nachdenken anzuregen und die schwierige Lage jener aufzuzeigen, die alles aufgegeben haben, um sich in einem Überlebenskampf wiederzufinden, der kein Vor und Zurück mehr erlaubt.
Bei der Einschulung bittet die Lehrerin Mahdi, einen Korb Äpfel für die Klasse mitzubringen, was angesichts der Beschäftigung seines Vaters kein Problem sein sollte. Jeder Schüler braucht einen Apfel für den Tag, an dem sie den Buchstaben des FarsiAlphabets lernen, mit dem das Wort Apfel beginnt. Als verantwor tungsbewusster grosser Bruder übernimmt Saeed den Aufgabe, die nötige Menge Äpfel zu besorgen.
NEOREALISTISCHER ANSATZ
Doch die kostbaren Früchte werden auf einmal knapp und hier knüpft der Film mit seinem sozialen Anliegen wie in seiner Erzähl weise an eines der Meisterwerke des italienischen Neorealismus an: Ladri di biciclette von Vittorio de Sica. The Apple Day ist bis zum heutigen Tag sein vielleicht würdigster Nachfolger, zwei felsohne deshalb, weil das Drama ebenso zart poetisch wie kraft voll ist.
Die kleinen täglichen Zwischenfälle erzeugen nicht nur eine inten sive Spannung, sie entfalten auch eine sehr komplexe Wirklich keit, die die wirtschaftliche Lage und die psychische Verfassung der Figuren gleichermassen miteinbezieht. Und spiegeln das heutige Umfeld in einem Land, wo ein korruptes System alle, selbst die Kleinsten, dazu zwingt, zu tricksen, um durchzukom men. Alle beklauen sich gegenseitig, obwohl sie sich in einer
Mahmoud Ghaffari
ähnlichen Sackgasse befinden. Ganz ähnlich, wenn auch in einem andern Zusammenhang, führt dies auch der kurdischirakische Spielfilm The Exam von Shawkat Amin Korki brillant vor Augen – er ist aktuell im Streaming auf filmingo zu sehen.
Sicher, Solidarität ist spürbar, aber sie verfolgt oft eigene Zwecke, wie es der Freund der Familie veranschaulicht, der die chaotische Situation auszunutzen versucht. In der Schule wie bei der Polizei verhält es sich nicht anders: Lehrer, Eltern und Beamte, alle versuchen sie, etwas für sich persönlich herauszuholen. So wie Saeed, der junge Held, rennt, um Äpfel zu finden, sind hier alle am Rennen, um durchzukommen. Mahmoud Ghaffari hat sich beim Drehbuch von den Lebensgeschichten der Laiendarsteller Innen inspirieren lassen, die er vor Ort gefunden hat. Sein Ansatz ist ein durch und durch neorealistischer.
AUF AUGENHÖHE DER KINDER
Indem er seine Erzählung auf Augenhöhe der Kinder ansetzt, frischt der Filmemacher die Kunst und Vorgehensweise seiner cineastischen Vorfahren auf, die in den 1960er und 1970ern ge schickt die iranische Zensur umgingen und unter dem Vorwand, Filme für ein junges Publikum zu machen, kritische Filme drehten. Sowie jene Filmemacher, die nach der islamischen Revolution 1979 und während des Kriegs gegen den benachbarten Irak ihrer seits das Ferment des Neorealismus neu aufgriffen. Angefangen bei Abbas Kiarostami mit Wo ist das Haus meines Freundes? und dem Schulheft, das unbedingt abzugeben ist, über Jafar Panahis Der weisse Ballon , in dem ein junges Mädchen versucht, ihr verlorenes Geld wieder zurückzubekommen, bis hin zu Majid Majidis Kinder des Himmels , in dem ein Paar Schuhe fehlt. Die Reihe von Filmen, die aus den Augen von Kindern erzählt sind und als Metapher für die iranische Gesellschaft dienen, könnte beliebig fortgesetzt werden.
In The Apple Day sind es Äpfel, die es zu finden gilt. Im Iran sind sie das Symbol für das Leben schlechthin. Von diesem Bild aus gehend zeigt uns Mahmoud Ghaffari, was es heisst, ständig auf der Suche nach Leben zu sein. Mit einem ausgeprägten Sinn für Ellipsen und einer präzisen Montage erneuert er brillant die Tradition des Neorealismus und des «erwachsenen Kinderfilms» iranischen Zuschnitts. In einige nur auf den ersten Blick einfachen und unschuldigen Szenen und Dialogen schmuggelt er das korrup te, patriarchale und heimtückische System, das im Iran vorherr schend ist, in die Erzählung. Im Grunde genügen ihm ein paar Äpfel, um unterschwellig wirkende opportunistische, moralisie rende und autokratische Mechansimen an der Oberfläche auf scheinen zu lassen und deren Absurdität offenzulegen. Dennoch gibt der Filmemacher nicht auf: Sein Film nährt stets die Hoff nung und ist eine wunderschöne Hommage an die ausserordent liche Gewieftheit seiner Figuren ebenso wie an alle Mütter, die sämtlichen Widerständen unermüdlich die Stirn bieten. ■
«In der iranischen Kultur ist der Apfel ein Symbol für das Leben. Abgesehen davon ist der Apfel meine liebste Frucht, er ist schön und schmackhaft!»
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AUF EINEN MORALISCHEN ZERFALL ZU.»
EIN GESPRÄCH MIT MAHMOUD GHAFFARI ZU SEINEM SPIELFILM THE APPLE DAY
Von Raphaël Chevalley
Woher rührt Ihr Wunsch, Filme zu machen?
Das war Liebe auf den ersten Blick. Ich war acht Jahre alt, als mich mein Vater zum ersten Mal ins Kino mitnahm, und ich verliebte mich auf der Stelle in die grosse Lein wand, in das Licht, das sie beleuchtete und bewegte Bilder erzeugte. Später bastelte ich sogar einen Kasten, um 35mm-Negative von Fotos auf die Wand zu projizieren. Meine Begeisterung war riesig. Eines Tages kam ein Film team in unsere Schule. Alle Kinder waren fasziniert von den SchauspielerInnen. Ich entdeckte jedoch in jenem Moment, dass da jemand war, der alles in der Hand hatte: der Filmemacher. Ich habe sogleich gedacht, dass ich auch einer werden könnte; so nahm alles seinen Anfang.
Sie realisieren sowohl Dokumentar- als auch Spielfilme. Wie blicken Sie auf die beiden Gattungen?
Mich interessiert der Realismus im Film, und ich fühle mich generell von Filmen angezogen, bei denen die Gren ze zwischen Fiktion und Realität nicht hart verläuft. Ich glaube, dass diese Filme länger Bestand haben und das Publikum jedes Mal, wenn es sie anschaut, Neues ent decken kann. Um in einem Spielfilm realistische Situati onen zu schaffen, drehe ich oft erst Dokumentarfilme für mich persönlich, was meine Fähigkeit schärft, Echtes von Falschem zu unterscheiden. Meine Vision vom Kino ist auch ein wenig historischer und ethnografischer Natur: über die Geschichte hinaus, die die Zuschauenden unter hält, erzählt ein Film in seinen tieferen Schichten ein IRANISCHE GESELLSCHAFT STEUERT
«DIE
Stück Zeitgeschichte. Diese Attribute machen es aus, ob ein Film auch in Jahren oder Jahrhunderten noch gesehen und allenfalls einmal zum kulturellen Erbe gehören wird.
Was gab den ersten Impuls zum Film The Apple Day ? Als Folge der wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme in unserem Land machen wir mehr und mehr Filme, die darauf Bezug nehmen und die wir als Gesell schaftsfilme bezeichnen. Filmschaffende versuchen, die Situation der Menschen zu schildern, können aber auf grund der strengen Zensur nicht das ganze Ausmass sichtbar machen. Sie streifen diese Aspekte nur ober flächlich oder entscheiden sich oft für einen düsteren und gewalttätigen Film mit Figuren, die unter Druck stehen und ständig im Kampfmodus sind.
Auf die Dauer ist das für das Publikum ermüdend. Ich suchte also einen Weg, in meinem Film die aktuelle Situation aufzuzeigen, ohne die Zensur auf den Plan zu rufen oder in Bitterkeit zu verfallen. Ich überlegte mir, dass das mit einem Kind in der Hauptrolle funktionieren könnte, und so kam mir die Idee zu The Apple Day . Dabei ist mir klar geworden, wie viele Filmemacher sich in ver schiedenen Phasen der iranischen Geschichte darauf ver legt haben, Filme mit Kindern zu drehen, um den Druck der Zensur zu umgehen. Es ist unbelasteter, wenn man die Perspektive von Kindern einnimmt.
Wie haben Sie die Mitwirkenden gecastet und mit ihnen gearbeitet?
Ich habe alle Kinder in derselben Gegend entdeckt. Den Hauptdarsteller sah ich aus einem Laster Obst verkaufen.
Ich kaufte ein paar Mal Äpfel bei ihm, und wir kamen ins Gespräch. Schliesslich lud ich ihn zu einem Casting ein, und er wurde ausgewählt. Den Vater fand ich im gleichen schönen Dorf, das man im Film sieht. Wie die Kulisse stammen alle SchauspielerInnen aus dem echten Leben und erzählen eine Geschichte, die von ihrer eigenen inspiriert und ins Drehbuch geflossen ist. Sie erhielten von mir keine vorgefassten Dialoge, vielmehr schilderte ich ihnen jeweils vor jedem Drehtag die Situation und ver setzte sie in die entsprechende Atmosphäre. Sie sprachen also ihren eigenen Text und überraschten mich mehrere Male mit ihren improvisierten Dialogen.
Der Bezug zum Neorealismus und De Sicas Ladri di biciclette liegt nahe.
Der italienische Neorealismus bleibt eine starke Referenz für unabhängige Filmschaffende in Ländern, die von Armut, Krieg, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Unruhen geplagt sind. Ladri di biciclette ist da zweifel los eine Art Bibel. Meiner Ansicht nach haben wir noch keine besseren Methoden gefunden, um den Schmerz ärmerer Gesellschaftsschichten zum Ausdruck zu bringen.
In der Darstellung sind wir vielleicht etwas moderner geworden, nicht zuletzt durch den Einfluss der Gebrüder Dardenne, aber die Quelle ist dieselbe: Der Neorealismus funktioniert immer noch.
Wie sind Sie auf die Idee der Äpfel gekommen?
In der iranischen Kultur ist der Apfel ein Symbol für das Leben. Unsere GrafikdesignerInnen setzen Äpfel auf ihre Plakate, wann immer sie darauf Bezug nehmen. Und heutzutage streben die Menschen mehr denn je danach, einfach zu leben, und sie tun alles dafür. Abgesehen davon ist der Apfel meine liebste Frucht, er ist schön und Sieschmackhaft!beschreiben die Situation armer Familien, die vom Land in die Stadt gekommen sind. Wie sind Sie diesen Aspekt angegangen?
Ich bin von der Migration als Hauptthema ausgegangen. Auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen verlas sen viele ärmere Menschen ihr schönes Land. Fern ihrer Heimat erwartet sie aber nicht der erhoffte Komfort, viel mehr verlieren sie auch noch ihren Frieden und geraten in eine Sackgasse, die eine Rückkehr verunmöglicht.
Ich wollte dieses Problem grundlegend angehen und habe mich auf die allererste Migration der Menschheit kon zentriert, die sich vom Land in die Stadt vollzieht. Viele Leute wünschen sich, ihren Lebensabend im Dorf zu
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Mahmoud Ghaffari
Diese Frage treibt mich um und war für mich die grösste Herausforderung im Drehbuch. Ich bin der Meinung, dass der Mensch durch die Urbanisierung viel verloren hat. Um dies zu illustrieren, schien es mir das Beste, Stadtund Landleben einander gegenüberzustellen, damit das Publikum die beiden Welten vergleichen kann. Damit will ich aber nicht sagen, der Mensch müsse zwingend auf dem Land bleiben. Das Problem ist, dass wir höhere Geburten raten haben und sich das auf die Lebensqualität auswirkt. Dennoch sollte es möglich sein, sich zu modernisieren und zu entwickeln, ohne die Natur zu zerstören. Diesmal hat der Mensch den falschen Weg eingeschlagen, der viel leicht in sein eigenes Verderben führt.
Wie schätzen Sie die Zukunft der ärmeren Gesellschaftsschichten im Iran ein?
Sie werden im Stich gelassen. Die Oberschicht und die Regierung übernehmen keinerlei Verantwortung. Die Armen schlagen sich mit allen erdenklichen Mitteln durch.
Die wichtigste Frage ist für sie eine rechtliche: Da sich das Regierungssystem jeden Tag ein bisschen mehr von Recht und Gerechtigkeit verabschiedet, müssen sie die Regeln selbst neu definieren, was eine moralische Krise und Unsicherheiten mit sich bringt. Mit anderen Worten landen viele wegen einer Ungerechtigkeit in der Armut und beobachten gleichzeitig, wie gewisse Menschen ein besseres Leben führen, indem sie das Land in Missach tung des Gesetzes seines Öls und Geldes berauben. Also erscheint es ihnen nichts nur logisch, dass ihnen auch nur noch das Stehlen bleibt.
Ich glaube, dass die iranische Gesellschaft auf einen moralischen Zerfall zusteuert und Stehlen nicht mehr als unmoralisch gilt. Nun kann so ein Diebstahl unterschied liche Formen annehmen. Im Falle eines Lehrers kann das zum Beispiel bedeuten, dass er gewisse Schüler gegen Bezahlung in der ersten Reihe sitzen lässt. Sobald alle sozialen Schichten der Meinung sind, dass Diebstahl vor Gerechtigkeit kommt, integriert das jeder in seine Berufstätigkeit und auf seine Weise, um zu überleben. Deshalb gibt es im Film mehrere Diebstähle, wobei ich es für klug hielt, einige ausserhalb des Cadres spielen zu
lassen. Vielleicht dachte ich, das Publkum würde es nicht ertragen, vielleicht steckte aber auch ein wenig Spott
Wardahinter.eskompliziert,
eine Drehbewilligung zu erhalten und wurde Ihr Film in den iranischen Kinos gezeigt?
Wir brauchten über zwei Jahren, um eine Genehmigung für diesen Film zu erhalten. Im ersten Jahr sagte man uns, man könne nicht die Geschichte eines Kindes erzählen, das sich nicht mal 30 Äpfel leisten könne. Das rücke die Gesellschaft in ein schlechtes Licht. Im zweiten Jahr war der wirtschaftliche Zusammenbruch im Land so heftig, dass man uns sagte, man dürfe ein Kind nicht vor die Aufgabe stellen, so viele Äpfel aufzutreiben, weil es ein Ding der Unmöglichkeit sei.
Die Produzentin war glücklicherweise sehr geschickt und konnte die Drehgenehmigung schliesslich erwirken. Heu te aber stehen wir vor der schwierigen Aufgabe, den Film vertreiben zu können. Wir haben noch keine Vorführge nehmigung. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es eine riesige Kluft zwischen dem Volk und der Regierung gibt. Was die Behörden in unseren Filmen sehen wollen, ist sehr weit weg von der Wirklichkeit, und es ist prak tisch unmöglich geworden, ihre Erwartungen zu erfüllen. Sie wollen alles anders haben: die Art, wie man sich klei det, wie man spricht und wie man denkt. Und während dieses System stets daran ist, neue Bilder zu schmieden, weigert es sich, die tatsächliche Lage der Gesellschaft abzubilden und sich dabei vom Film helfen zu lassen.
MAHMOUD GHAFFARI
Mahmoud Ghaffari realisiert Spiel- und Dokumentar filme und wurde 1976 in Teheran geboren. Zunächst war er für das iranische Fernsehen tätig und pro duzierte unter anderem Serien, darunter eine über die Liebe und eine über Glücksspiele. Danach arbeitete er mit verschiedenen Regisseuren wie Bahman Ghobadi oder Asghar Fahradi zusammen, bevor er 2012 mit It’s a Dream seinen ersten Spielfilm drehte. Der beim Filmfestival Fribourg preisgekrönte Erstling erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die eine grosse Geldschuld loszuwerden versucht, jedoch in einer Gesellschaft, in der soziale und geschlechtsspezifische Ungleichheiten untrennbar miteinander verwoben sind, mit beträchtlichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
2016 wurde Mahmoud Ghaffari erneut am FIFF ausge zeichnet, diesmal für Hair, einen auf wahren Begeben heiten beruhenden Spielfilm, der drei stumme irani sche Sportlerinnen im Teenageralter begleitet, die für die Karate-Weltmeisterschaften qualifiziert sind.
Anschliessend drehte der Filmemacher No. 17 Soheila (2017), die Geschichte einer 40-jährigen Frau, die verzweifelt versucht, einen Ehemann zu finden in einer patriarchalischen und religiösen Welt, die sie daran hindert. Parallel zu The Apple Day, der unter anderem für die Berlinale 2022 ausgewählt wurde, drehte er Doggy Love, einen Dokumentarfilm über das Schicksal der vielen streunenden Hunde im Iran und wie ein Paar versucht, ihnen zu helfen.
«Der italienische Neorealismus bleibt eine starke Referenz für unabhängige Filmschaffen de in Ländern, die von Armut, Krieg, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Unruhen geplagt sind.»
20 verbringen, am liebsten auf dem eigenen Bauernhof. Dies zeigt, dass Migration die Menschen zwar in Bewegung setzt und ihr Schicksal verändert, sie aber letztlich vom Kern des Lebens entfernt.
Im Oktober 19 führt die Erhöhung der Metropreise in Santiago de Chile zu unerwarteten sozialen Protesten. Eineinhalb Millionen Menschen finden zusammen, um in den Strassen für Demokratie, ein gerechteres Bildungsund Gesundheitssystem sowie eine neue Verfassung zu demonstrieren – kurz: für ein besseres Leben. So viel fältig die Forderungen, so divers sind auch die Demonstrieren den, besonders laut erklingen die Stimmen und Sprechgesänge der Frauen. Mit Erfolg: Die Verfassung der Militär diktatur wird gekippt. Patricio Guzmán hat lange auf diesen Moment gewartet. Mit Mi pais imaginario hat er ein Zeitdokument geschaffen, das unter die Haut geht.
Von Meret Ruggle
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SYMPHONIE DES PROTESTS MI PAÍS IMAGINARIO VON PATRICIO GUZMÁN, CHILE
Im Mai 2019 präsentierte Patricio Guzmán mit La cordillera de los sueños den dritten Teil seiner Chile-Trilogie der Heimat am Filmfestival in Cannes und erhielt dafür den Oeil d’Or, die Aus zeichnung für den Besten Dokumentarfilm. Mit Blick auf das un verrückbare Steinmassiv, das sein Land durchzieht und begrenzt, suchte er damals Antworten auf die Fragen, die ihn umtreiben, seitdem er vor fünfzig Jahren den Fängen von Pinochets Militär diktatur entfloh. Die Kordillere sei mit ihrer Kraft und ihrem Cha rakter die Metapher seines Traums von Chile, sagte er in seinem letzten Film. Als er in Cannes auf dem roten Teppich die Stufen zum Festivalpalast hochschritt, hatte er keine Ahnung, dass die Steine der Kordillere wenige Monate später Zeugen und Protago nisten des Wandels in seinem Land werden würden und dass sein Traum von Chile ein bisschen näher rücken würde.
an den Demokraten und Sozialisten Salvador Allende erinnerte, hatte nicht mit dieser Form von kollektivem Aktivismus in seiner Heimat gerechnet. Berühmt war er unter anderem für seine poe tischen Parabeln zu Chile geworden. Dabei bildeten stets die Aufarbeitung des persönlichen Traumas und dasjenige von mehr als einer Generation den Hintergrund zu seinen Werken.
Seine jüngsten Filme bieten gleichermassen Reisen durch die ge sellschaftspolitische Geschichte wie in die Landschaften Chiles: In Nostalgia de la luz beobachten Astronomen in der AtacamaWüste das Weltall und blicken in die Vergangenheit, während um die Sternwarten herum Frauen nach den sterblichen Überresten ihrer Männer und Söhne suchen, die während der Diktatur hier im Wüstensand verscharrt wurden. In El botón de nácar nimmt er uns mit in den Ozean und aus diesem heraus zurück in die Ge schichte Patagoniens. Im letzten Teil seiner Trilogie der Heimat führt er uns zur Andenkette, der Kordillere der Träume
Mónica González, Journalistin
Als am 18. Oktober 2019 die Metro-Fahrpreise in Santiago de Chi le um 30 Pesos erhöht wurden, ergoss sich eine Welle der Empö rung über die Hauptstadt. Metro-Stationen wurden gestürmt, Lä den geplündert, eine U-Bahn wurde in Flammen gesetzt. Es entfachte sich eine Wut gegen die Regierung und gegen ein politi sches System, die sich nicht allein mit einem simplen ÖV-Ticket erklären lässt. Rufe nach Veränderungen wurden laut, das neoli berale System und die in der Militärdiktatur verabschiedete Ver fassung hätte ausgedient. Die Bewegung übertrug sich auf Millio nen von Bürgerinnen und Bürger. Beklagt wurden ein elitäres Bildungssystem, ein profitorientiertes Gesundheitswesen sowie unmenschliche Renten, welche die Leute in die Armut trieben.
ZURÜCK ZUR HOFFNUNG
Für Patricio Guzmán war dies nichts weniger als ein Schock. Er, der so viele Jahrzehnte schon die Missstände in seinem Land beschrieben hat, der als Bewunderer von Chris. Marker sich selber mit dokumentarischen Essays einen Namen machte und dabei
«Kameras spielten bei dieser Revolte eine wesentliche Rolle. Sie konnten uns nicht unterdrücken, töten oder foltern, weil zehn Kameras filmten, was sie taten. Das ist auch der Grund, warum wir zur Zielscheibe wurden.»
Nicole Kramm, Fotografin
Mit den Steinen dieser Kordillere – Guzmán nennt sie seine alten Freunde – beginnt auch sein jüngstes Werk und mit ihnen endet es. Sie sind Waffen, Musikinstrument, liefern uns den Klang der Empörung des Volks, eine Symphonie des Protests. Denn was Patricio Guzmán mit Mi país imaginario vorlegt, ist nicht mehr Nostalgie oder Verarbeitung – es ist Aufbruch und Hoffnung. Mi país imaginario (Mein imaginäres Land) ist angesiedelt zwischen Reportage und Reflexion. Letzteres trägt die unverkennbare Handschrift des chilenischen Altmeisters und macht den Film un glaublich bereichernd für uns Zuschauende; Ersteres macht den Film zu einem der direktesten, die wir von Guzmán je zu sehen bekamen.
«Diese Bewegung wird das Gesicht und die Stimme der Frauen haben. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Die Frauen sind in Rage. Und sie haben Recht.»
«Lange Zeit hielten wir es für normal, dass wir für alles bezahlen, dass bestimmte Leute durch billige Arbeitskräfte reich werden. Und dass man für eine gute Ausbildung oder eine gute medizinische Versorgung bezahlen muss. Jetzt glauben wir nicht mehr, dass dies normal ist.» Natalia Henríquez, Ärztin
WENN FRAU WILL, STEHT ALLES STILL
In einem Orchester aus Kochtöpfen, Steinen und Sprechchören erklingen die Frauen besonders laut, und ihnen gilt die volle Auf merksamkeit im Film. Patricio Guzmán führte Interviews mit Frauen diverser Ethnizitäten, sozialer Schichten und beruflicher Hintergründe und porträtiert mit einem ungemein ergiebigen und reichhaltigen Netz an weiblichen Stimmen das aktuelle Zeit geschehen in Chile.
Da ist die Mutter, die für die Zukunft ihres Sohnes kämpft. Die freiwillige Erste-Hilfe-Retterin, die neu im Job ist und bei diesem Aufstand zum ersten Mal Verletzungen durch Polizeigewalt aus gesetzt. Die Fotografin, die beim Fotografieren selber Opfer solcher Polizeigewalt wurde und dabei ihr wichtigstes Werkzeug verloren hat: die Fähigkeit, mit beiden Augen zu sehen. Er lässt eine Studentin zu Wort kommen, eine Aktivistin vom Stamm der Mapuche, eine Filmemacherin sowie eine Schachspielerin und Anwältin, ein feministisches Theater-Kollektiv, eine Journalistin, die überzeugt ist: Es gibt Flammen, die verzehren, und Flammen, die nähren – und hofft, dass die Flammen in Chile nahrhaft sind.
«Diese Revolte kommt von der Basis, sie hat keine Anführer, keine Einzelpersonen, die sie auf ein bestimmtes Ziel hinführen könnten. Das macht es so kompliziert, mit den Behörden zu verhandeln. Und das ist auch gut so, denn wir wollen mit niemandem verhandeln. Wir wollen einfach nur die Dinge ändern.»
EL VIOLADOR ERES TÚ!
DER VERGEWALTIGER BIST DU!
Das Patriarchat ist ein Richter, der uns bei unserer Geburt verurteilt. Und unsere Strafe ist die Gewalt, die du nicht siehst.
Das Patriarchat ist ein Richter, der uns bei unserer Geburt verurteilt. Und unsere Strafe ist die Gewalt, die du bereits siehst:
Die Strafe ist der Femizid, die Straffreiheit für meinen Mörder, sie ist das Verschwinden, sie ist die Vergewaltigung.
Und schuld war weder ich, noch wo ich war oder wie ich angezogen war!
Der Vergewaltiger warst du!
Es sind die Bullen, die Richter, der Staat, der Präsident!
Der Unterdrückerstaat ist ein vergewaltigender Mann! Der Vergewaltiger bist du! Colectivo Las Tesis
Sibila Sotomayor, Colectivo Las Tesis
MI PAÍS IMAGINARIO
Mein letzter Film, La cordillera de los sueños, endet mit einer Sequenz, in der ich erzähle, dass meine Mutter mir beigebracht hatte, dass ich mir beim Anblick einer Sternschnuppe am Himmel innerlich etwas wünschen könne und dass dieser Wunsch dann in Erfüllung gehen würde. In dieser Schlusssequenz sage ich, dass es mein Wunsch ist, dass Chile seine Kindheit und seine Freude Imwiederfindet.Oktober2019,
als mein Film in Frankreich in die Kinos kam, passierte in Chile etwas, was für mich völlig unerwartet kam: eine Revolution, ein sozialer Aufstand. Anderthalb Millionen Menschen demonstrierten für mehr Demokratie, für ein würdige res Leben, bessere Bildung und ein besseres Gesundheitssystem für alle. Chile hatte sein Gedächtnis wiedergefunden.
Seit Salvador Allende hatte ich so etwas nie mehr erlebt. Wie zu Zeiten der Unidad Popular hörte ich die Lieder von Víctor Jara und Los Prisioneros und von vielen anderen. Sie wurden nun von einer neuen Generation in Chile gesungen. Ich merkte, dass die Erinnerungen perfekt weitergegeben wurden und sehr lebendig Tausendewaren.
BürgerInnen marschierten, schrien und besprühten die Wände. Es waren ganz normale Menschen. Viele Eltern von anwe senden Schülern, Rentnerinnen, ehemalige Beamte oder auch Angestellte und anonyme Menschen. Es gab keine Anführerin, keinen Anführer, und es gibt sie immer noch nicht. Man konnte keine bekannten Personen erkennen.
Die Menschen marschierten durch die Strassen und stellten sich der Polizei und ihren Wasserwerfern entgegen. Zahlreiche verlo ren ein Auge, es gab Tausende Verletzte und zweiunddreissig Tote. Aber wie war es möglich, dass ein ganzes Volk siebenundvierzig Jahre nach Pinochets Putsch in einem so genannt sozialen Auf stand erwachte, einer richtiggehenden Rebellion, gar einer Revo lution? – Für mich war es ein Rätsel.
Also ging ich diesem Geheimnis nach und filmte, wie es sich auf die Stimmung, die Luft, die Emotionen und Gefühle der Men schen in meinem Land auswirkte.
Fünfzig Jahre, nachdem ich La batalla de Chile gedreht hatte, war ich wieder auf der Strasse, um das Geschehen festzuhalten. Ich war dabei, als das chilenische Volk über eine neue Verfassung abstimmte und die 80-prozentige Mehrheit für eine verfassungs gebende Versammlung erhielt. Ich war dabei, als ein neuer 35jähriger linksgerichteter Präsident, Gabriel Boric, mit 56 Prozent der Stimmen gewählt wurde. Das hatte es in der Geschichte des Landes, meines imaginären Landes, noch nie gegeben.
PATRICIO GUZMÁN IN DER EDITION TRIGON-FILM
Salvador Allende, 2004 – DVD Nostalgia de la luz, 2010 – DVD und filmingo El botón de nácar, 2015 – DVD und filmingo La cordillera de los sueños, 2019 – filmingo Die «Trilogie der Heimat» mit Nostalgia de la luz, El botón de nácar und La cordillera de los sueños ist auch in einer Sammelbox mit Begleitbooklet erhältlich. Mi pais imaginario, 2022 – in den Kinos
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Nahrhaft ist dieser Film in vielerlei Hinsicht, und er widerspiegelt so viel mehr als nur eine lokale Bewegung. Bilder und Erlebnisse des Schweizer Frauenstreiks kommen hoch, Farben, Parolen und Forderungen überschneiden sich mit diesem. Beide Proteste zeigen nicht weniger als die schiere Mobilisierungskraft der Frau en. Als sich in der chilenischen Hauptstadt eineinhalb Millionen Menschen versammelten, kam es auch zur Uraufführung des choreografierten Protestsongs gegen Gewalt an Frauen, der dar aufhin um die Welt gehen sollte: «El violador eres tu! – der Verge waltiger bist du!», nennt sich der Sprechgesang des feministi schen Theaterkollektivs Las Tesis. Ob in Madrid, Melbourne, Istanbul oder Caracas, überall konnten sich Frauen jeglichen Alters damit identifizieren, den Song gibt es inzwischen in diver sen Sprachen.
HOFFNUNGEN IN GANZ LATEINAMERIKA
Der Wandel, den die Frauen und eine Mehrheit der Bevölkerung in Chile anstreben, gibt dem in seinen letzten Filmen doch eher desillusioniert wirkenden Patricio Guzmán Grund zur Hoffnung: Seine Heimat ist dem Wunsch-Chile, auf das er im Titel anspielt, ein kleines bisschen näher gerückt. Der Wandel beschränkt sich indes nicht nur auf Chile. In letzter Zeit haben mehrere linke Präsidenten in Lateinamerika das Votum des Volkes gewonnen: Andrés Manuel López Obrador in Mexiko (2018), Alberto Fernán dez in Argentinien (2020), Luis Arce in Bolivien (2020).
Seit 2021 haben mit Xiomara Castro in Honduras sowie Gabriel Boric in Chile zwei weitere lateinamerikanische Staaten sozial politisch denkende Regierungsverantwortliche im Amt, und in Kolumbien gewann der linksgerichtete Gustavo Petro 2022 die Wahlen. Das ist noch nicht alles: In Brasilien stehen die Wahlen im Herbst bevor; der ehemalige Präsident und linke Arbeiter führer Lula da Silva scheint momentan die Nase vorn zu haben im Rennen gegen den rassistischen und frauenfeindlichen Rechtspopulisten und amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro. Auch wenn ihnen allen innerhalb der Regierung viel Opposition und nur kleine Mehrheiten sicher sind, gibt dies Anlass zur Hoffnung.
«Es war sehr seltsam, die U Bahn zu betreten und sie in einem ganz anderen Chile wieder zu verlassen. Aus der Metro in eine andere Welt zu kommen, ein anderes Chile, das Chile, in dem ich schon lange leben wollte.»
Catalina Garay, Studentin
EIN PLATZ IM FAMILIENALBUM
In fast jedem der Filme von Patricio Guzmán taucht das National stadion in Santiago de Chile auf, in welchem der Regisseur 1973 während 15 Tagen gemeinsam mit Tausenden anderen Gefange nen von den Schergen Pinochets eingeschlossen wurde. Hierher kehrt der Filmemacher auch jetzt wieder zurück, denn es ist ausgerechnet einer der Schauplätze, an welchen im Jahr 2020 die Verfassung aus der Ära Pinochet endlich vom Volk abgelehnt wird – eine neue Verfassung soll her. Eine Volksabstimmung, die vom Volksaufstand ausgelöst wurde und von 80 Prozent der Stimmberechtigten angenommen wird – die sozialen Proteste haben ein wichtiges Ziel erreicht. Und nicht nur dies: Am 19. De zember 2021 wird der sozial orientierte Jurist und ehemalige Studentenführer Gabriel Boric zum Präsidenten von Chile ge wählt. Mehr als die Hälfte seiner Kabinettsmitglieder sind Frauen.
Heute sind wir bereits einen Schritt weiter in der Geschichte: Die neue Verfassung ist noch nicht da, das Kabinett Boric hadert. Trotzdem ist Patricio Guzmáns Film hochaktuell im lateiname rikanischen und im globalen Kontext und auch für Chile beson ders wichtig: «Ein Land ohne dokumentierte Geschichte ist wie eine Familie ohne Fotoalbum. Eine inhaltslose Erinnerung», sagte der Regisseur vor Jahren schon. Mit Mi país imaginario füllt der grosse chilenische Film-Essayist einen wichtigen Platz im Familienalbum. Es ist zu hoffen und dem Land zu wünschen, dass er damit nicht nur ein Stück Zeitgeschichte porträtiert, sondern auch die Zukunft skizziert. Egalitär, revolutionär, weib lich. ■
Manuela Martellis exzellentes Spielfilmdebüt handelt von der 50-jährigen Hausfrau Carmen, deren bürgerliches Leben sich verändert, als sie heimlich den jungen, ver wundeten Widerstandskämpfer Elías zu pflegen beginnt.
1976 ist ein bewegendes, politisches Drama, das die Zeit der chilenischen Militärdiktatur aus der Perspektive einer Frau erzählt und mit dieser Erzählung einen spannenden Bogen schafft ins heutige Chile, in dem eine junge Filmemacherin den Frauen von damals eine Stimme verleiht.
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BLICK ZURÜCK AUF DIE FRAU 1976 VON MANUELA MARTELLI, CHILE Von Stefanie Rusterholz
Chile, Winter 1976. Drei Jahre ist es her, seit Augusto Pinochet durch einen Putsch zum Staatschef Chiles wurde und eine Mili tärdiktatur implementierte. Die 50-jährige Carmen führt mit ihrem Mann Miguel und ihren erwachsenen Kindern ein gutbür gerliches Leben in der Hauptstadt Santiago. Ehemann Miguel ist ein erfolgreicher, angesehener Arzt. Eigentlich wollte sie auch Medizin studieren, aber dies gehörte sich für eine Frau nicht. Daher ist sie Hausfrau geblieben, kümmert sich um den Haushalt und engagiert sich für gemeinnützige Projekte in der Kirche. Über Politik wird in der Familie und im Freundeskreis lieber nicht gesprochen. Man hat sich mit der neuen Staatsmacht relativ gut
Obwohlarrangiert.Carmen
ein geregeltes Leben zu führen scheint, macht sich immer mehr ein Unbehagen in ihr bemerkbar. Doch so richtig einordnen kann sie es nicht. Um auf andere Gedanken zu kom men, fährt sie in ihr Sommerhaus, welches im Küstenstädtchen Las Cruces liegt. Dort finden gerade Renovierungen statt, und sie übernimmt die Planung sowie die Überwachung der Arbeiten. Ihr Mann bleibt in Santiago, da er im Spital arbeiten muss. An den Wochenenden kommt er jeweils mit Kindern sowie Enkel kindern zu Besuch. Carmens Routine wird unterbrochen, als der lokale Priester Sanchez, ein Freund der Familie. sie um einen Gefallen bittet: Da sie medizinische Kenntnisse hat, soll sie heim lich den verletzten Widerstandskämpfer Elías pflegen, der Unter schlupf in der Kirche gefunden hat. Ohne zu zögern nimmt Car men die Aufgabe an. Doch der Auftrag ist riskant, denn Pinochets Spitzel lauern überall.
DIE SICHT DER FRAUEN
1976 ist die erste Regiearbeit der Chilenin Manuela Martelli, die zusammen mit Alejandra Moffa das Drehbuch geschrieben hat. Zuvor hatte sie als Schauspielerin gearbeitet und spielte in über fünfzehn Filmen mit, etwa 2004 die weibliche Hauptrolle in Ma chuca von Andrés Wood. Mit ihrem eindrücklichen Spielfilmdebüt konnte sie in Cannes in der Quinzaine des Réalisateurs dieses Jahr Weltpremiere feiern. In 1976 verarbeitet sie die Zeit der Mi litärdiktatur. Die blutige Vergangenheit unter Pinochets Regime wurde schon oft in Filmen thematisiert, jedoch immer aus Män nersicht. Manuela Martelli wählt in ihrem Film einen neuen Weg und erzählt die Geschichte ganz aus der Perspektive einer Frau. In einem Interview mit Variety äusserte sie sich dazu. Der Film sei ein Akt der Gerechtigkeit. Sie wolle den vielen anonymen Frauen jener Zeit, die nicht in den Geschichtsbüchern auftauchten, eine Stimme geben. Inspiriert wurde sie von ihrer Grossmutter müt terlicherseits, die sie selber nie persönlich kennengelernt hatte. Auf Spurensuche bemerkte sie, dass ihre Grossmutter auch ein Opfer dieser blutigen Zeit war. Sie wollte ihr und anderen Frauen einen filmischen Raum erschaffen, in dem sie existieren können.
Regisseurin Manuela Martelli nutzt in ihrem Debütfilm verschie dene Genres und Stilmittel, um die Geschichte zu inszenieren. 1976 ist eine Mischung aus Charakterstudie, Melodrama sowie Thriller à la Alfred Hitchcock oder Jean-Pierre Melville. Elegant mischt sie die Stilrichtungen miteinander und wechselt feder leicht hin und her. Die Anfangssequenz ist ein schönes Beispiel dafür. Wir sehen die elegante Carmen in einem Farbengeschäft. Sie blättert in einem italienischen Hochglanz-Reisebuch auf der Suche nach dem perfekten Rosaton, der ihr als Inspiration für die Renovation des Ferienhauses dienen soll. Als sie auf ein Foto des Dogenpalastes bei Sonnenuntergang stösst, ruft sie aus:
«Die!.»Derin
staubiges Rosa, blasses Mandarinenrot und Veilchenblau gehüllte Palast bietet die perfekte Farbvorlage. Der Maler beginnt mit der Mischung des Farbtons. Die Kamera folgt dem Maler und zeigt den Eimer mit der rosaroten Farbmischung in Nahaufnahme.
«Ich sprach mit vielen Menschen, die meine Grossmutter gekannt hatten, und mir wurde klar, dass Anonymität unter den Frauen der damaligen Zeit eine weit verbreitete Realität war. Frauen, die auf keiner Seite der Geschichtsbücher zu finden waren, welche ich in der Schule durchgenommen hatte. Ich hatte also das Gefühl, dass ich diesen Frauen Gerechtigkeit widerfahren lassen und sie aus der Anonymität herausholen musste.»
Manuela Martelli
MANUELA MARTELLI
Im Alter von 18 Jahren spielte Manuela Martelli die Hauptrolle im chilenischen Spielfilm BHappy von Gonzalo Justiniano und wurde am Festival des lateinamerikanischen Films in Havanna 2004 prompt als beste Schauspielerin ausgezeichnet. Seitdem hat sie in mehr als fünfzehn Filmen mitgewirkt, die in Chile, Argentinien, Bolivien, Italien, Deutschland und den USA produziert wurden. Der Film Machuca von Andrés Wood (Bild unten), in dem Martelli eine Hauptrolle spielte, machte sie endgültig bekannt, uraufgeführt 2005 in Cannes im Rahmen der Quinzaine des Réalisateurs. Auch hier gab’s wieder Auszeichnungen für die junge Schauspielerin. Es folgten weitere Hauptrollen, darunter in Navidad von Sebastián Lelio und Il futuro von Alicia Scherson, der auf dem Roman «Una novelita lumpen» von Roberto Bolaño basiert.
Nachdem sie gleichzeitig ein Theater- und ein Kunststudium absolviert hatte, erhielt Manuela 2010 ein Fulbright-Stipendium, um einen Master in Filmregie an der Temple University in Philadelphia, USA, zu absolvieren. Im Rahmen ihres Schulprojekts drehte sie den Kurzfilm Apnea Ausserdem wurde sie vom Programm Factory der Filmfestspiele von Cannes ausgewählt, um gemeinsam mit Amirah Tajdin einen Kurzfilm zu realisieren. Land Tides feierte seine Premiere im Rahmen der Quinzaine in Cannes 2015. Ihr Regieerstling 1976 war 2022 in Uraufführung im Rahmen der Quinzaine zu sehen. Sie habe vor sieben Jahren mit der Arbeit an diesem Projekt angefangen, sagt die Regisseurin darauf angesprochen, dass der Film nach dem Referendum zur Verfassung und der Wahl des jungen Gabriel Boric zum Präsidenten eigentlich perfekt passt. Sie meint, dass all die Dinge, die in letzter Zeit in der chilenischen Politik passiert sind, noch gar nicht vorstellbar waren, als sie mit ihren Recherchen und dem Schreiben begonnen hatte. «Für mich war die Frage, ob und wie die Mittelschicht während der Diktatur in der Lage war, über die eigenen vier Wände hinaus zuschauen, dring licher, als es heute den Anschein haben könnte. Vor allem, weil ich nach dem Studentenaufstand von 2019 begann, die gleichen Bilder der gewaltsamen Unterdrückung zu sehen, die während der Herrschaft Pinochets verbreitet waren. Es waren dieselben Bilder, das war schockierend! Ich konnte sie einander gegenüberstellen, und der einzige Unterschied war, dass die modernen Bilder in Farbe waren. »
Das Plebiszit und die Ausarbeitung der neuen Verfassung war die Einleitung einer glänzenden neuen Zeit in der chilenischen Geschichte, also habe sie sich gefragt, wie ihr Film mit dieser neuen Situation in Dialog treten könne. Dazu trägt die Schauspielerin Aline Küppenheim Wesentliches bei, für sie ist Carmens Erwachen mit allen Schwächen und Widersprüchlichkeiten, die in der Figur angelegt sind, das, «was ich heute von einer Gesellschaft wie der unseren erwarten oder mir erträumen würde.» Sie schätzte an ihrer Regisseurin Martelli «die totale Kohärenz zwischen ihrer Sensibilität, ihrer multidisziplinären Vor bereitung und Erfahrung, ihren Referenzen, ihrem Anspruch und ihrer Strenge bei der Arbeit.» Ihre Klarheit und Eigenverantwortung habe sich wie eine Kettenreaktion aufs gesamte Team übertragen.
Alles wirkt idyllisch, elegant und ist pastellfarben ausgestattet. Die Szene könnte aus einem Melodrama von Douglas Sirk stammen. Doch dann wechselt die Stimmung und Martelli flechtet gekonnt Suspense-Elemente ein. Während die Kamera auf der schönen Farbmischung in Nahaufnahme verweilt, hören wir plötzlich auf der Tonebene die gedämpften Schreie einer Frau. Draussen auf der Strasse scheint eine Frau am helllichten Tag entführt zu werden. Als Zuschauende merken wir also, dass die Idylle trügt und überall Gefahr lauern kann. Danach folgt ein Schnitt auf einen Holzstab in Nahaufnahme. Die frisch gemischte rosa Farbe tropft langsam auf Carmens marineblaue, elegante Pumps.
In diesem Moment ist das einzige hörbare Geräusch das verstärkte, in Zeitlupe herabfallende Tropfen der Farbe. Ein Sinnbild für das Blutvergiessen, aber auch eine Andeutung, dass der Schrecken Pinochets immer mehr mit Carmens Leben in Berührung kommt und sie ihn nicht mehr länger ignorieren kann. Danach sehen wir Carmen, wie sie mit den neu gekauften Farbbehältern aus dem Geschäft tritt. Dort wartet ihr schickes Auto. Während der Maler die Behälter in den Kofferraum lädt, entdeckt Carmen einen einzelnen Frauenschuh auf der Strasse. Ein schauriges Überbleibsel aus der Szene davor, die wir nur auf der Tonebene mitbekommen haben.
Von Anfang an ist Pinochets Schreckensherrschaft präsent im Film, doch wir sehen die Gewalt nie direkt. Regisseurin Manuela Martelli deutet sie subtil an, zeigt sie am Rande oder lässt sie uns durchs Off erahnen. Sie schwebt wie ein Damoklesschwert über den Figuren. Dies zeigt eindrücklich nachvollziehbar auf, wie man damals unter dem Pinochet Regime lebte: Niemand war sicher. Die Willkür kann jeden und jede treffen. Die Absenzen und Andeutungen von Gefahren sind auch ein Stilmittel, um Spannung aufzubauen. Je mehr sich Carmen später im Film mit Elías trifft, desto mehr sind wir als Zuschauende verunsichert. Ist Carmen in Sicherheit? Ist der Mann neben ihr im Restaurant ein Spitzel? Könnte dies ein Hinterhalt sein?
GEHEIMNISVOLLE ELEGANZ À LA JACKIE KENNEDY
Grossartig gespielt wird Carmen von Aline Küppenheim ( Play, Turistas, La buena vida, Una mujer fantástica ). Sie schafft mit ihrem Spiel die perfekte Mischung aus Selbstvertrauen und Verletzlichkeit und hat eine unglaubliche Präsenz sowie eine graziöse, geheimnisvolle Eleganz, die an Jackie Kennedy erinnert. Aber sie schafft es auch mit wenigen Veränderungen der Gesichtszüge die sensible, verletzlich-ängstliche Seite von Carmen sichtbar zu machen. Mit Leichtigkeit wechselt sie zwischen den verschiedenen Gefühlslagen hin und her. Manchmal liegt auch eine gewisse Müdigkeit in ihrer Darstellung, die glaubwürdig zeigt, dass sie eine Figur verkörpert, die es leid ist, in einem solchen politischen System zu leben, die endlich Veränderung möchte.
Eindrücklich spielt Küppenheim auch die psychologischen Veränderungen Carmens. Während sie anfänglich Elías vor allem hilft, weil sie endlich mal ihr Können in der patriarchalischen Gesellschaft unter Beweis stellen möchte und Anerkennung schätzt, wird ihr Handeln zunehmend politisch motiviert. Sie hat genug vom System und möchte etwas verändern, auch wenn es gefährlich ist. Die Repressionen des politischen Apparates sind allgegenwärtig.
1976 von Manuela Martelli ist ein Film, der einen von der ersten Minute an packt und nicht mehr loslässt. Mit ihrem bewegenden, wunderbar gefilmten sowie gut gespielten Drama beweist sie, dass sie eine neue spannende Stimme aus Chile ist, ein Film, den man auch aufgrund seiner subtilen visuellen Arbeit wie der Farbgebung auf der grossen Leinwand geniessen sollte. ■
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Der schweigsame Bauer Ma ist das letzte unverheiratete Mitglied seiner Familie. Seine angehende Frau Guiying ist behindert, unfruchtbar, dem im ländlichen China üblichen Heiratsalter entwachsen. In der zwischen den beiden arrangierten Ehe treffen sie als zwei Fremde aufeinander, die Einsamkeit und Demütigung gewohnt sind. Gemeinsam suchen sie ihren Weg. Die Sinologin Nathalie Bao-Götsch gewährt uns einen Blick in die Realitäten, aus denen diese bewegend erzählte Geschichte gewachsen ist. Es geht dabei um China, um Stadt und Land, Arbeit, Tradition und
AUFEmotion. DEN SPUREN DES BAUERN MA YOUTIE RETURN TO DUST VON LI RUIJUN,CHINA Von Nathalie Bao-Götsch
FOKUS LÄNDLICHES CHINA
Wer die Entwicklungen in China seit den 1980er Jahren verfolgt, als die Politik der «Reform und Öffnung» unter Deng Xiaoping zu greifen begann, ist sich sehr wohl bewusst, dass die Errungen schaften trotz allem Pathos beträchtlich sind. Das Land hat sich geöffnet, die Lebensbedingungen von hunderten Millionen Menschen in China haben sich in den letzten drei Jahrzehnten deutlich verbessert. Aber auch persönliche Freiheiten und indivi duelle Lebensgestaltung wurden erstmals für unzählige Men schen möglich. Diese Entwicklungen waren vor allem in den städ tischen Zentren gut sichtbar. Was dies im ländlichen China für Auswirkungen hatte, wo im Jahr 2020 immerhin vierzig Prozent der Bevölkerung, also rund 560 Millionen Menschen lebten, steht aber selten im Fokus der Aufmerksamkeit.
Der junge Regisseur Li Ruijun ist selber auf dem Land aufgewach sen. Sein neuster Spielfilm Return to Dust bietet einen seltenen Einblick ins ländliche China. Im Vordergrund steht die Geschich te der arrangierten Ehe zwischen dem mittellosen, alternden Bau ern Ma Youtie und der behinderten Cao Guiying. Nach und nach wird deutlich, dass ihr Lebensraum und die Auswirkungen der staatlichen Politik ebenso im Zentrum des Films stehen. Der Re gisseur hat in Interviews mehrfach geäussert, wie wichtig es ihm ist, seine Filme in China zeigen zu können, obwohl er weiss, dass er sich damit der Zensur fügen muss. Vor diesem Hintergrund er hält sein Film eine besondere Bedeutung, auch wenn, oder gerade weil sein Kontext aufgrund der vielen zensurbedingten Auslassun gen und Andeutungen nicht ganz einfach zu erschliessen ist.
ZWISCHEN TIBET UND DER INNEREN MONGOLEI
Ma Youtie und Cao Guiying leben in einem kleinen Bauerndorf in der nordwestchinesischen Provinz Gansu, der Heimat des Regisseurs Li Ruijun. Das Gebiet liegt zwischen Tibet und der Inneren Mongolei, teilweise auch in der Wüste Gobi, und wird vom
Gelben Fluss durchquert. Bergbau und Industrie gehören zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen, obwohl weiterhin ein Grossteil der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist. Diese sieht sich jedoch mit grossen Problemen wie Trockenheit, Bodenerosion, Desertifikation, aber auch Umweltverschmutzung und Landflucht konfrontiert. Die rund 27 Millionen Menschen zählende Provinz gilt als eine der ärmeren Regionen Chinas und wird von der Regierung mit Entwicklungsprojekten unterstützt.
DAS HUKOU-SYSTEM
Um einige Besonderheiten des ländlichen Chinas zu verstehen, ist ein Blick zurück in die Anfangszeit der Volksrepublik China hilfreich. In diese Zeit fiel die Etablierung des Hukou-Systems, des Haushaltsregistrierungssystems, das die Niederlassung der Bevölkerung regelt. Das System wurde 1958 eingeführt, um die Landflucht der Bauern in die Städte zu verhindern und ermöglich te dem Staat, die Mobilität der Bevölkerung zu kontrollieren.
Es etablierte eine strikte Trennung zwischen der Land- und der Stadtbevölkerung und erlaubte der Regierung, den Fokus auf die in den Städten angesiedelte Schwerindustrie zu legen. Ein städ tischer Hukou gewährleistete Zugang zu staatlichen Sozialleistun gen wie Unterstützung für Nahrungsmittel, Kleidung, Arbeit, Wohnen, Bildung, Versicherungen und medizinische Versorgung. Dies alles blieb den Bauern mit ihrem ländlichen Hukou hingegen mehr oder weniger verwehrt, ebenso wie der Umzug in eine Stadt. Das Hukou-System hat bis heute Bestand, obwohl die Kontrolle Anfang der 1980er Jahre gelockert wurde, um die Migration von billigen Arbeitskräften in die Städte zuzulassen. Die vom Land Zugewanderten haben aber in der Regel auch heute nach wie vor keinen oder nur limitierten Zugang zu den Unterstützungsleis tungen, die ein städtischer Hukou mit sich bringt. Bestes Beispiel sind die Millionen von Wanderarbeitern, die unter härtesten Bedingungen in den Städten arbeiten, aber ihren Hukou nicht in die Stadt transferieren dürfen. Damit bleibt beispielsweise ihren Kindern eine Ausbildung oder auch medizinische Versor gung verwehrt. Meist bleibt ihnen nichts Anderes übrig, als die Kinder in der Obhut der Grosseltern oder anderer Verwandten in der Heimat aufwachsen zu lassen und sie ein Mal pro Jahr zum chinesischen Neujahr besuchen zu gehen.
FREIE STADTMENSCHEN
Ein weiterer Brennpunkt in der unterschiedlichen Stadt-LandEntwicklung sind die Landrechte. Da privater Landbesitz nicht möglich ist, verpachtet der Staat Ackerland an die Bauern, wäh rend er ihnen Wohnland kostenlos zur Verfügung stellt. Die Möglichkeiten, dieses Land bzw. die Nutzungsrechte weiterzuver kaufen, sind stark limitiert. Städter hingegen sind relativ frei, Immobilien zu erwerben und wieder zu verkaufen. Da viele Bauern
Für die kommunistische Partei Chinas markierte das Jahr 2021 einen Meilenstein. Mit der Gründung der Partei in Shanghai genau hundert Jahre zuvor war der aus ihrer Sicht wichtigste Grundstein für das moderne China gelegt worden. Xi Jinping, Staatspräsident und Generalsekretär der Partei, verkündete stolz, China habe in seinem Kampf gegen die Armut einen «vollständi gen Sieg» errungen. Das chinesische Volk aus der absoluten Armut zu befreien war eines seiner erklärten Ziele gewesen, als er 2012 an die Spitze der Macht gelangt war. Dazu war 2013 ein grossangelegtes Armutsbekämpfungsprogramm initiiert worden, dank welchem rund 99 Millionen Chinesinnen und Chinesen über die Armutsschwelle von 2.30-Dollar-Einkommen pro Tag gehoben werden konnten. Das grosse Ziel war gerade rechtzeitig zum hun dertjährigen Jubiläum der Partei erreicht worden.
Li Ruijun zeigt in seinem Spielfilm sehr anschaulich, dass die Theorie in der praktischen Umsetzung ganz anders aussehen kann: Das System treibt die Bauern in eine gefährliche Abhängig keit der Kooperative. Wenn deren Vertreter – die sich zwar schicke BMWs leisten können – nicht in der Lage sind, die Mieten zu bezahlen, droht den Bauern einer ganzen Dorfgemeinschaft Hunger. Überschlägt man grob die verschiedenen Erträge und Ausgaben Ma Youties im Film, wird schnell deutlich, dass das, was er in einem Jahr auf seinem kleinen Stück Land erwirtschaf ten kann, kaum zum Überleben reicht und wohl unter der Armuts schwelle liegt. Umso verständlicher, dass Li die Handlung seines Films wohl in der Zeit vor Xi Jinpings Machtübernahme ansiedeln musste, damit der Film die Zensur passieren konnte.
ES LAUERN GESCHÄFTE
Die Partei ist sich dieser Probleme durchaus bewusst und hat in ihren Entwicklungsplänen nachhaltigere Formen der Urbanisie rung vorgesehen. Sie versucht auch, mit weiteren umfassenden Programmen und massiven finanziellen Mitteln die zahlreichen komplexen Herausforderungen des ländlichen Chinas anzugehen.
Viele Gebiete eignen sich nicht oder nur beschränkt für die in der aktuellen Form betriebene Landwirtschaft und können den Bauern keine existenzsichernde Grundlage bieten. Diese sind in ihren Möglichkeiten derart eingeschränkt, dass sie keine Alter nativen dazu sehen. Oft bleibt ihnen nichts Anderes übrig, als den
Anreizen des Staates Folge zu leisten, ihr Land zu verlassen und in städtischen Gebieten ein Auskommen zu suchen. Staatliche Akteure haben hier wiederum ein Geschäft entdeckt, da Bauern ihr Wohnland bzw. die Nutzungsrechte nur dem Staat verkaufen dürfen. Dieser zahlt ihnen eine Kompensation, die allerdings weit tiefer liegt, als was durch den Wiederverkauf erzielt werden kann. Folglich sind solche «Landverkäufe» zu wichtigen Einnah mequellen für lokale Regierungen geworden und haben besonders in ländlichen Gebieten, die an Städte grenzen, zur Immobilien blase der letzten Jahre beigetragen.
FRAGEN SIND NICHT GEFRAGT
Als Ma Youtie das staatliche Angebot erhält, seinen Hof und sein Land zu verlassen und für wenig Geld eine Stadtwohnung zu erwerben, versucht ihn sein älterer Bruder zu überzeugen, es an zunehmen. Er bietet an, die Wohnung für Ma Youtie zu kaufen, rechnet er sich doch bereits Chancen aus, sie womöglich später seinem eigenen Sohn überlassen zu können. Die Besichtigung der Wohnung wird vom lokalen Fernsehteam dokumentiert, schliess lich passt ein glücklicher Bauer in einer neuen Stadtwohnung genau in das Bild, das die Partei vermitteln möchten. Fragen, wie Ma Youtie sein Leben in der Stadt finanzieren soll und welcher Beschäftigung er überhaupt nachgehen kann, haben in dieser Realität keinen Platz.
Dass auch der Filmemacher Li Ruijun für seinen Protagonisten keinen lebenswerten Ausweg sieht, passt sicherlich nicht in das Konzept der Parteistrategen. Das Schicksal Ma Youties lässt aus Sicht eines westlichen Publikums am Filmende zwar Raum für Interpretation, ja vielleicht sogar etwas Hoffnung. Die chinesi schen Zuschauenden sehen aber wohl eher, was in ihrem Land weder in der Realität noch in der Fiktion sein darf: dass der arme
33 über nur kleine Ackerflächen verfügen, werden diese oft kollektiv vom Dorfkomitee verwaltet, welches sie einer Kooperative zur Verfügung stellt, die den Bauern Miete dafür bezahlt und das produzierte Getreide abkauft. Dies soll insbesondere den auf dem Land zurückgebliebenen älteren Leute, Frauen und Kindern ein gewisses Einkommen sichern.
LÄCHELN LERNEN AUF DEM LAND IN CHINA
Ma und Guiying führen ein isoliertes und eher beschwerliches Leben: Der schweigsame Bauer Ma ist das letzte unverheiratete Mitglied seiner Familie, Guiying ist behindert, unfruchtbar und über das im ländlichen China übliche Heiratsalter weit hinaus. In der zwischen ihnen arrangierten Ehe treffen sie als zwei Fremde aufeinander, die Vereinzelung und Demütigungen gewohnt sind.
Die Heirat könnte alles nur noch verschlimmern, doch für Ma und Guiying wird sie im bewegenden Spielfilm des jungen Regisseurs Li Ruijun zur Chance. Sie entdecken ihre gemeinsame Bestim mung. Sie lernen, Nähe zuzulassen, sich auszusprechen, füreinan der zu sorgen und zu lächeln – trotz der harten Feldarbeit, mit der sie ihren Lebensunterhalt bestreiten, und der Herausforderungen, die sie gemeinsam bewältigen müssen.
Li Ruijun, der für die Dreharbeiten in sein Heimatdorf Gaotai in die nordwestchinesische Provinz Gansu zurückgekehrt ist, thematisiert Ausbeutung, Zwangsverstädterung, Armut und Ver lust von Traditionen durch Entwurzelung. Doch vor allem geht es ihm darum, wie seine arglosen und verletzlichen Figuren die Welt sehen. Ihnen gelten seine Liebe und sein Vertrauen. Ein visuell beeindruckender, emotional bewegender und zutiefst menschli cher Film, der geprägt ist von unaufdringlicher Zärtlichkeit. «Es gibt Filme, die wie die chinesische Bauerntragödie Return to Dust auf den ersten Blick unpolitisch wirken, aber im Nachhinein in ihrer abgründigen Düsternis wie eine ästhetische Widerstands geste erscheinen», schrieb die Frankfurter Allgemeine nach der Premiere an der Berlinale 2022. «Nicht bloss beeindruckend, sondern sehr nahe jenem Bereich, wo Begriffe wie ‹ Meisterwerk › oder ‹ filmische Offenbarung › angemessen klingen», notierte die WochenZeitung. Li lässt uns teilhaben an einem Stück Wirklich keit, wie es nur das Kino schafft.
Bauer Ma Youtie lieber seinen Esel in die Freiheit entlässt und seinem Stück Land treu bleibt, indem er den Freitod wählt, als in die Stadt zu ziehen.
ÜBERSCHUSS AN MÄNNERN
Es ist wohl die einzige Entscheidung in seinem Leben, die Ma Youtie selber treffen konnte. Als vierter Sohn einer kinderreichen Familie in einer ärmeren Region Chinas steht das Schicksal von Li Ruijins Protagonist auch für die einschneidenden Auswirkun gen der Einkindpolitik auf die chinesische Gesellschaft. Um das Bevölkerungswachstum zu bremsen, wurde ab 1980 diese Politik mittels strenger Geburtenkontrollen implementiert. Da gemäss konfuzianischer Tradition nur Söhne die Familienlinie weiterfüh ren können, setzten viele Ehepaare alles daran, als einziges Kind einen Sohn zur Welt bringen zu können. Obwohl strikte verboten, wurden Millionen von weiblichen Föten abgetrieben. Dies führte über die Jahre hinweg zu einem zunehmenden Ungleichgewicht der Geschlechterverteilung bei Geburt, was aufgrund weiterer Faktoren bis 2020 in einem «Überschuss» von über dreissig Milli onen Männern im heiratsfähigen Alter resultierte.
DIE GUTE PARTIE
Auch im modernen China bleibt die Ehe die vorherrschende Lebensgemeinschaft für über neunzig Prozent der chinesischen Männer und Frauen. Wer mit knapp dreissig Jahren noch nicht verheiratet ist, hat deutlich schlechtere Chancen, eine gute Partie zu finden und erfüllt die gesellschaftlichen Erwartungen nicht. Der soziale Druck zu heiraten und Nachkommen zu zeugen ist daher für Frauen wie auch für Männer nach wie vor sehr gross. Traditionell wird in China von der Familie des Mannes ein Braut preis bezahlt, der im gegenwärtigen China oftmals das Mehrfache eines Jahreseinkommens beträgt und in der Regel mindestens eine eigene Wohnung, ein Auto und ein gutes Einkommen umfas sen soll. Diese Aspekte verdeutlichen, wie schwierig es für Männer generell und ganz besonders für Männer auf dem Land ist, zu heiraten, und welcher finanzielle Druck auf ihnen und ihren Fami lien lastet. In vielen ärmeren Regionen Chinas gibt es ganze «Junggesellen»-Dörfer mit Männern, die unfreiwillig unverhei ratet und kinderlos bleiben und damit letztendlich über keine soziale Absicherung bei Krankheit und im Alter verfügen.
Viele gut ausgebildete junge Frauen in den Städten wiederum möchten nicht mehr um jeden Preis heiraten oder haben Lebens pläne ohne Kinder entworfen, hinterfragen traditionelle Vorstel lungen bezüglich der Rolle der Frau in der Familie und wehren sich gegen Sexismus. Inzwischen ist nicht nur die Einkindpolitik abgeschafft, sondern es wird Paaren erlaubt, bis zu drei Kinder zu haben. Für viele Chinesinnen und Chinesen kommt dieser Entscheid viel zu spät – längst geht es nicht mehr darum, wie viele Kinder ein Ehepaar zur Welt bringen will, sondern ob es angesichts der enormen Wohnungspreise und Kosten für die Aus bildung über die finanziellen Möglichkeiten verfügt, nur schon ein Kind grosszuziehen.
HEIRATSMARKT
Es sind Themen, die in den sozialen Medien trotz Zensur intensiv diskutiert werden. Im für die Partei so wichtigen Jahr 2021 löste das Video eines etwas besonderen Paares kontroverse Diskussio nen aus. Zu sehen ist eine etwa zwanzigjährige, körperlich und geistig behinderte, in Tränen aufgelöste Frau, die am Rande eines Bettes neben ihrem frisch angetrauten, um über dreissig Jahre älteren Mann sitzt. Während ein Teil der Kommentierenden fand, dass dies eine gute Chance für die junge Frau ist, umsorgt zu werden und dies ihre Familie entlastet, während der Mann, der sonst auf dem Heiratsmarkt keine Chance hat, so doch noch zu einer Ehegattin kommt, entsetzten sich Andere, dass in einem
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solchen Arrangement weder der freie Wille der jungen Frau berücksichtigt noch ihre körperliche Unversehrtheit geschützt werden können und dies eigentlich den Gesetzen Chinas zuwider läuft. Fakt ist, dass gerade auf dem Land Familien häufig solche Arrangements organisieren, um ihre unverheirateten und/oder von einer Behinderung beeinträchtigten Familienmitglieder ver sorgt zu wissen, und dies von den Behörden toleriert wird.
BLOGGER ZEIGT KETTENFRAU
Ein weiteres Ereignis erregte Anfang 2022 auch international Auf sehen und löste in China heftige Empörung über die Unfähigkeit des Staates aus, die Rechte der Frauen zu schützen und deren Missbrauch zu bekämpfen. Ein Blogger hatte ein Video einer in einer ärmlichen Hütte angeketteten, etwa vierzigjähren Frau veröffentlicht. Sie wirkte geistig verwirrt, konnte kaum richtig sprechen und schien komplett verwahrlost. Die Behörden ver sprachen eine Untersuchung, präsentierten aber immer wieder neue Versionen der Geschichte, als Bürgerjournalisten begannen, eigenhändig die Identität der Frau zu erforschen, und Ungereimt heiten entdeckten. Die als «Kettenfrau» zu trauriger Berühmtheit gelangte Frau war psychisch krank und hatte als Opfer von Frauenhändlern acht Kinder geboren. Inzwischen ist sie in einer entsprechenden Institution untergebracht und eine ganze Reihe von Beamten wurden bestraft. Li Ruijin drehte seinen Film vor dem Bekanntwerden dieser Ereignisse, hatte aber mit der Wahl seiner beiden Figuren und ihrer arrangierten Ehe offensichtlich ein weiteres hochaktuelles und heikles gesellschaftliches Thema aufgegriffen. Man kann auch hier nur erahnen, wie gross die Herausforderung wohl war, dies in eine für die Zensoren akzepta ble Form zu bringen, und zollt dem Regisseur ganz einfach Respekt für sein Engagement, eine weitere der vielen Realitäten seiner Heimat sichtbar zu machen. ■
LI RUIJUN
Li Ruijun ist Filmregisseur und Drehbuchautor und wurde 1983 in Gansu, China, geboren. Im Alter von 14 Jahren begann er, sich mit Malerei und Musik zu beschäftigen. 2003 schloss er sein sein Studium am Institute of Management des China National Ministry of Radio, Film and Television ab. Er führte bei fünf Spielfilmen Regie, die sich alle um die Beziehung zwischen Mensch und Land sowie die ländliche Ein stellung zu Familie, Leben und Tod in einem sich rasch verändernden China drehen. Die Geschichten siedelt er überwiegend in seiner Heimatstadt Gaotai an und lässt darin enge Freunde und Verwandte mitspielen.
Li Ruijuns Filme wurden unter anderem für die Festivals in Venedig, Cannes und Tokio ausgewählt.
Mit River Road war er 2015 an der Berlinale im Generation-Programm zu Gast.
Filmografie:
Return to Dust (2022)
Walking Past the Future (2017)
River Road (2015)
Fly with the Crane (2012)
The Old Donkey (2010)
The Summer Solstice (2007)
Der Tunesier Nacer Khemir ist Erzähler in der Tradition von 1001 Nacht, Maler beflügelt von Paul Klee und Filmemacher. Jetzt liegen die drei Filme restauriert wie neu vor. Sie bilden die Wüstentrilogie, in der er sich drei Kreisen widmet: Dem Maghreb, der arabischen Sprache und seiner Religion, dem Islam und dem Sufismus. Nacer Khemir reist noch immer als Geschichtenerzähler im traditionellen Sinn durch die Länder und erzählt uns hier von den Wegen, die seine Filme prägen.
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AB IN DIE WÜSTE LES BALISEURS DU DÉSERT (1984) LE COLLIER PERDU DE LA COLOMBE (1991) BAB’AZIZ, LE PRINCE QUI CONTEMPLAIT SON ÂME (2005) Von Nacer Khemir
«Es ist kein Epochenwandel, sondern eine Tragödie. Uns erschüt tert nicht die Schwierigkeit, uns an eine neue Zeit anzupassen, sondern ein unauslöschlicher Schmerz, vergleichbar mit dem, den Mütter empfunden haben müssen, die ihre Söhne in die Emigration ziehen sahen und wussten, dass sie sie nie wieder zu Gesicht bekommen. Die Realität wirft uns einen unerträglichen Blick des Triumphes zu, dessen Verdikt lautet, dass alles, was wir geliebt haben, uns für immer genommen ist.» Pier Paolo Pasolini
MEINE DREI KREISE, DAS ERBE MEINES VATERS
Der frühzeitige Tod meines Vaters hat meine Lebensgeschichte über drei Bereiche beeinflusst, die ich meine drei konzentrischen Kreise nenne: Maghreb, arabische Zivilisation mit ihrer Sprache und Islam. Die Wüstentrilogie zeichnet diese drei Kreise nach. Les baliseurs du désert , das ist der Maghreb. Für meine Generati on war er nach der Unabhängigkeit unser natürlicher Horizont. Endlich würden wir die Einheit bilden, die für unser Überleben und den Fortbestand unserer Kulturen notwendig war. Doch die Geopolitik unserer korrupten oder mittelmässigen Politiker hat uns in eine Sackgasse geführt, in der wir noch heute stecken.
Le collier perdu de la colombe , das ist die arabische Sprache, denn wie der rumänische Philosophe Emil Cioran es treffend formulier te, « wohnen wir nicht in einem Land, sondern in einer Sprache. » Darüber hinaus wurde die arabische Sprache im feurigen Dichter wettstreit geformt und geschmiedet, lange bevor es den Islam gab. Hölderlin und sein Kommentator Heidegger beteuerten: « Die Welt muss lyrisch bewohnt werden .» Ist das vielleicht der Grund, weshalb der Vers in der arabischen Dichtung mit «bait» bezeich net wird, was auch «Haus» bedeutet?
Bab’Aziz, le prince qui contemplait son âme , das ist der Islam. Und für mich persönlich ist es auch das Gesicht meines Vaters, was ich gerne an diesem Gleichnis illustrieren möchte: Wenn ihr an der Seite eures Vaters geht und er mit dem Gesicht in den Morast fällt, was macht ihr? Ihr helft ihm auf und wischt sein Gesicht mit eurem Hemd ab. Das Gesicht meines Vaters ist der Islam. Ich habe versucht, es abzuwischen, indem ich in meinem Film eine tolerante und gastfreundliche muslimische Kultur zeige, die voller Liebe und Weisheit ist, ein Bild, das nicht mit jenem überein stimmt, das heute durch die Medien vermittelt wird.
Es ist der bescheidene Versuch, das wahre Gesicht des Islams wiederherzustellen. Ich sehe keinen dringlicheren Auftrag als diesen: Hunderten Millionen von Musliminnen und Muslimen wieder ein Gesicht zu geben, die häufig, um nicht zu sagen immer, die ersten Opfer von fundamentalistischem Terrorismus sind. Obwohl der Film auf der Tradition des Sufismus beruht, der uns mit Freude und Liebe erfüllt, ist er auch ausgesprochen politisch.
ZWISCHEN OHR UND AUGE
Ich glaube daran, dass das Kino eine eigentliche Renaissance befördern und bewirken kann, dass wir nach einer Kolonialisie rung, die die lokale Kultur kontinuierlich degradiert hat, um sie besser versklaven und unterwerfen zu können, aufbrechen und uns selbst zurückerobern. Ein simples Beispiel dieser Herabwür digung liefert die Sprache an sich, Arabisch sprechen wird in den Ohren eines Franzosen zu «Charabia», zu Kauderwelsch, Wörter wie Souk und Bazar bedeuten extreme Unordnung, Durcheinan der, Chaos, während es nichts Geordneteres und Organisierteres gibt als die Märkte von Fès, Tunis oder Damaskus. Die arabische Kultur ist eine orale und ihre Quelle ist das Ohr. Meine persönli che Kultur hat sich jedoch sehr schnell zu einer visuellen geweitet, deren Quelle das Auge ist. Es liegt in der Natur der arabischen Sprache, dass sie Schätze birgt, die den Sinn der Dinge zu offen
baren vermögen. So heisst Auge auf Arabisch «’ayn», das Wort beschreibt das physische Auge ebenso wie die Quelle, es kann auch für den Kern der Dinge stehen, deren Natur oder Ursprung.
Ich glaube, dass in der Kunst eines der grossen Probleme der modernen arabischen Kultur begründet liegt, weil es ihr nicht ge lungen ist, die Kultur des Ohrs auf eine Kultur des Auges auszu dehnen.
1001 NACHT ODER: OHNE ERZÄHLUNG KEINE IDENTITÄT
Die Geschichten von «Tausendundeine Nacht» haben die univer selle Vorstellungswelt genährt: Kein Schriftsteller, keine Schrift stellerin, kein Kind, die nicht eine Geschichte daraus gelesen oder gehört hätten. Sie sind durch Zeit und Raum gereist wie ein mys teriöser Fluss, der seine Quelle in den verborgenen Sehnsüchten des Menschen erneuert. Dennoch haben sie unter Verfälschungen und Klischees gelitten – und tun es immer noch. Im Orient im bes ten Fall als belanglos, häufig sogar als subversiv verrufen, waren sie in Kairo noch 1983 Gegenstand einer Bücherverbrennung! Im Westen werden sie oft mit billigen Bildern belastet und dadurch auf reine Folklore reduziert.
Goethe hielt fest: « Ihr eigentlicher Charakter ist, dass sie keinen sittlichen Zweck haben und daher den Menschen nicht auf sich selbst zurück, sondern ausser sich hinaus ins unbedingte Freie füh ren und tragen .» Ich bin geneigt zu denken, dass sich die arabische Kultur im Wesentlichen zwischen zwei Büchern findet: dem Ko ran, der vom Himmel hinabsteigt und sagt: «So solltet ihr leben», und «Tausendundeine Nacht», die wie eine Liebesklage aus dem Volk emporsteigt und sagt: «So möchten wir leben.» Ich habe be schlossen, Geschichtenerzähler zu werden, um Widerstand zu leisten gegen das Vergessen und Verschwinden der grossen arabi schen Tradition des Geschichtenerzählens, die mindestens tau send Jahre alt ist und Anfang des 20. Jahrhunderts still und leise der Gleichgültigkeit anheim gefallen ist. Denn obwohl es heute in der arabischen Welt Tausende von Schauspielerinnen und Schau spielern gibt, sind kaum noch Erzählende auszumachen, die aus dieser edlen Tradition hervorgegangen sind.
Ich erinnere mich noch an einen Satz von Antoine Vitez, als er mich einlud, im Nationaltheater Chaillot in Paris Geschichten aus «Tausendundeine Nacht» zu erzählen: « Der Erzähler übermittelt eine Sprache, die aus einer Zeit vor der Geburt des Theaters stammt .» Film ist nicht nur eine Erzählung, sondern in erster Linie Ikonografie. Ich bin der Wurzel meiner Bilder in den Minia turen auf die Spur gegangen, um das von der Kolonialisierung erzeugte Bild des Einheimischen zu vergessen, ja es zu übersprin gen, um es besser auflösen zu können. Dadurch verankerte ich mich noch tiefer in unserem Gedächtnis und versuchte etwa in Le collier perdu de la colombe, die Schatten wie in den Miniaturen
Alsauszuradieren.ich
Les baliseurs du désert (Die Wüstenwanderer) drehte, woll te ich jungen Menschen einen Denkanstoss geben, sie inspirieren, eine Zukunft zu erfinden. Der Film wurde jedoch auf dem Festival von Karthago so schlecht aufgenommen, dass ich vom Publikum ausgebuht wurde, als ich auf die Bühne trat, um den Preis für mein erstes Werk entgegenzunehmen. Diese Wüstenwanderer wurden in Tunesien missverstanden, von Algerien jedoch als ein Werk des Maghreb anerkannt. Die Anerkennung äusserte sich in einer offi ziellen Einladung zu einer Präsentation im algerischen National fernsehen. Ich fuhr für 48 Stunden, eine eineinhalbstündige De batte und acht Millionen ZuschauerInnen dorthin. Der Film erfüllte nun seinen Zweck. Es war das einzige Mal, dass mich ein Fernsehsender einlud, um über einen meiner Filme zu diskutieren, was für mich von enormer Bedeutung war.
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Am Tag vor seinem Tod hatte mein Vater all seine persönlichen Papiere verbrannt. Ein paar wenige waren der Vernichtung ent gangen, darunter Verwaltungsdokumente der französischen Gen darmerie, auf denen diese Zeilen standen: «Er war aktiv, hat 1936 Mittel für Palästinenser und 1937 für Algerier gesammelt.» In Bi zerte vom Militär gefoltert, in Sawaf eingesperrt, in Benguerdan (einer Militärbasis in der Wüste im tiefsten tunesischen Süden) lebendig begraben, erzählte mein Vater von seiner Vergangenheit nichts, er sprach nie über seine Jugend und verordnete das grosse Schweigen. Manchmal lud er mich ein, neben ihn zu sitzen. Wir schwiegen gemeinsam und hörten Radio, eine tägliche Sendung über den Kampf des algerischen Volkes für seine Unabhängigkeit. Kein Wort, kein Kommentar. Ich vermute, dass die Idee zu Les baliseurs du désert aus dieser Stille, aus diesem und anderen verzweifelten Kämpfen heraus geboren wurde. Ich konnte die Geschichte von niemandem erzählen, nicht einmal die meines Vaters, den ich so wenig kannte. Einzig der Mythos vermag – wie ein grosses Massengrab – all die geopferten Generationen auf der Suche nach Freiheit in seinem Schoss aufzunehmen.
PAUL KLEE
Ich frage mich häufig, ob es der Tod meines Vaters war, der meine Welt, die einzig aus Malerei bestanden hatte, so aus den Angeln hob. Mit 13 hatte ich in einem Buch Reproduktionen von Paul Klees Gemälden entdeckt. Ohne es zu wissen, gab er mir den Schlüssel zu den Zeichen in die Hand, die entlang von Moscheen und in Innenhöfen verliefen, auf Grabsteinen, in der Harmonie von Teppichen und Kleidern zu finden waren. Diesen zerstreuten und unsteten Zeichen folge ich weiterhin, ich betreibe es bis heu te wie Spiel. Durch die Entdeckung von Klees Malerei fand ich Zuflucht in einem Maltagebuch, zeichnete fast jeden Tag, was mich von der Enge des Internats befreite. Ich riss die Umschläge meiner Schulhefte heraus und raffte alle möglichen Kartons zusammen, die mir als Unterlage dienten. Als mein Vater starb, war an Malen nicht mehr zu denken; die Dringlichkeit bestand darin, Zeugnis abzulegen, etwas anderes hatte nicht mehr Platz.
«Das Leben und der Tod eines unbedeutenden Menschen», ist das zentrale Thema eines langen Gedichts von Nazim Hikmet im Band «Menschenlandschaften». Es handelt vom dem, was nicht
tolerierbar ist, und von der Ungerechtigkeit. Vielleicht war es die Lektüre dieses Gedichts, die schliesslich den Umschwung in mir bewirkt und mich zur Entscheidung geführt hat, Filmemacher zu werden, um – koste es, was es wolle – Zeugnis abzulegen, mich auf zulehnen gegen ein angekündigtes Verschwinden. Es war kein per sönliches Ansinnen, sondern ein kollektives Gefühl, denn wir sind die grossen Waisen unserer Vergangenheit. Wie es Nazim Hikmet so schön sagte: « Einzeln leben wie ein Baum und dabei brüderlich sein wie ein Wald. »
DAS KINO UND DER GESCHMACK DER FREIHEIT
Meine Liebe zum Kino wurde im Internat geweckt, als ich sechs Jahre alt war, denn jeden Freitagnachmittag wurde eine Vorfüh rung für uns organisiert. Sowie der Saal in Dunkelheit getaucht war, überkam mich ein Gefühl der Erleichterung und der grossen Freiheit. Dieses Schwarz am helllichten Tag machte die Aufseher blind und ein Schrei des Triumphes ging durch den Saal, wir betraten nun einen straffreien Raum. Unter der Woche waren wir simple Nummern, wurden gerufen, geheissen, getadelt. Sobald der Film anfing, wurde es still, und wir gaben uns mit Haut und Haar dem Vergnügen der Zerstreuung hin. Unwichtig, welcher Film, welche Helden, welche Geschichte über die Leinwand flim merten, wir liessen uns davontragen von ihren Gesichtern und Leidenschaften, in unbekannte Länder mit exotischen Landschaf ten, die aus (Tag-) Träumen gestrickt waren. So habe ich den ver borgenen Geschmack der Freiheit entdeckt.
DIE REISE ZU BERGMAN
Wir müssen zu den Anfängen zurück. Zu jener Zeit war es alles an dere als einfach, Filme zu drehen. Ich glaube, in Tunesien gab es damals gerade mal zwei 16mm-Kameras. Ich habe mich ein Jahr lang vorbereitet, arbeitete, um das Geld für die Reise zusammen zubringen, und feilte an einer Idee, die ich für mich behielt. Eines sonnigen Nachmittags im Juni stieg ich mit einem grossen roten Koffer auf einen Passagierdampfer, um meine erste Reise über das Mittelmeer anzutreten. Ein befreundeter Fotograf hatte mich begleitet und mich am Hafen von Goulette abgesetzt. Mein Ziel war Schweden, ohne Rückreisedatum. Ich hatte die Dialoge der Filme Wilde Erdbeeren, Die Jungfrauenquelle, Das siebente Siegel auswendig gelernt und mir in den Kopf gesetzt, Bergman zu besu
chen und Filme zu machen. Tunis-Marseille, Marseille-Montpel lier, Stück für Stück näherte ich mich dem Norden, doch als ich in Paris war, antwortete mein schwedischer Mittelsmann nicht mehr, also blieb ich gezwungenermassen, wo ich war.
LES BALISEURS DU DÉSERT
Durch die Fensterscheiben eines alten Reisebusses betrachtet ein junger Lehrer, wie sich die Wüste vor ihm ausbreitet. Er wurde in ein Dorf am Ende dieses riesigen Sandmeeres berufen. Auf ein mal taucht eine Gruppe von Männern auf, deren verstaubte Ges ten vom langsamen, unaufhaltsamen Voranschreitens der Wüste gezeichnet sind: Die Wüstenwanderer. Wie Geister wandeln sie auf einer kaum erkennbaren Strasse, hinter der sich eine andere Welt offenbart. Am Horizont erhebt sich wie eine Festung ein Dorf. Hierher kommt der junge Mann, um zu unterrichten, aber es gibt keine Schule. Durch die Augen eines jungen Mädchens wird er in diese Welt mit ihrer singulären Zeit hineingesogen, ein Reich, in dem «Tausendundeine Nacht», Córdoba und die verborgene Kraft einer unterschwelligen Erinnerung Hand in Hand gehen.
Ich hatte mit den Dreharbeiten von Les baliseurs du désert begon nen, ohne zu wissen, wer den Lehrer, also die Hauptfigur spielen würde. Zwei Schauspieler, denen ich die Rolle schon angeboten hatte, lehnten ab. Schliesslich schlug mir der Direktor des Thea terinstituts in Tunis, ein Freund des Produzenten, seinen besten Schüler vor. Nach dem ersten Drehtag wurde mir klar, dass ihm aufgrund seines festen Ganges niemand glauben würde, dass er im Film entschwinden könnte. Während ich meine Zweifel hatte, mit ihm weiterzuarbeiten, machte mich die Produktion darauf auf merksam, dass die Schauspielerin, die die Rolle der Grossmutter
JAMEL EDDINE BENCHEIKH LES BALISEURS DU DÉSERT
Sterben, um das Selbst zu überwinden Die Wanderer drehen und drehen sich auf der Düne des sanften Schauers Sie suchen, zu Erde und zu Wassern, das Geistersegel in den Garten der Ewigkeit
Was ist ihr Raum anderes als der untröstliche Wunsch, die Ewigkeit zu überwinden? Was anderes ist zu erwarten? Die Mauern stürzen auf kargen Boden Das stumme Mädchen mimt unlesbare Zeichen Der Greis gräbt im Gedächtnis der OhneWeltden Schatz zu finden irren die Wanderer durch unseren Rausch, wenn ihr Gesang am Tambourin seine Zärtlichkeit abwetzt Und was ist dieses Buch der Geheimnisse, das kein Wissen entschlüsseln kann bei jeder Geburt von Neuem die Buchstaben an den Horizont rückt, in beklemmende Nebel hüllt? Muss man den Tod abwarten, um ihn zu verstehen?
Was verstehen?
Das Kind träumt sich nach Córdoba Die Stumme verdrillt ihren Blick Der Horizont enthauptet die Nacken
NACER KHEMIR
Nacer Khemir wurde 1948 im tunesischen Korba als einziger Sohn neben fünf Töchtern geboren. Begeistert von der Zivilisation seines Landes, der andalusischen Vergangenheit seiner aus Córdoba stammenden Grossmutter und dem von ihr vermittelten poetischen Erbe wurde Khemir zuerst Erzähler. Gleichzeitig begann er zu malen und illustrierte Geschichten. 1972 recherchiert er nach den Erzählern in der Medina von Tunis. Diese Arbeit führt zu einer Sammlung von Erzählungen und Geschichten, die auch sein filmisches Werk prägen sollten. 1975 erscheint «L’Ogresse», eine kalligrafische Erzählung. 1982 und 1988 erzählt Nacer Khemir während je einem Monat die Geschichten aus 1001 Nacht im Théâtre National de Chaillot in Paris, jeden Abend eine neue Geschichte. Nach verschiede nen Kurzfilmen entstand 1984 Les baliseurs du désert , sein erster Langspielfilm, in dem er auch selber die Hauptrolle eines Lehrers im Wüstendorf spielt. Es folg ten Das verlorene Halsband der Taube und Bab’Aziz –le prince qui contemplait son âme . Nacer Khemir reist noch immer als Geschichtenerzähler im traditionellen Sinn durch die Länder. Seine Filme sind nun wieder und restauriert im Kino zu sehen, auf DVD mit Begleitmate rialien greifbar und auf filmingo zu geniessen.
Vom 1. bis 4. Oktober 2022 wird Nacer Khemir zu Publikumsbegegnungen in der Schweiz weilen und in Baden, Bern, St. Gallen und Zürich jeweils einen seiner Filme im Kino vorstellen. Aktuelle Infos gibt’s per Newsletter und auf der Homepage von trigon-film.
Sterben, um das Selbst zu überwinden Die Seelen wirbeln unter den Mauern, wenn das Leben weicht Die Leere füllt sich mit ihren Klagen und krumme Zuckungen erschaudern das Universum mit mathematischer Unordnung Was solltet ihr mit dem letzten Buch tun, das endlich offen liegt für euer Wandern, wenn nicht seine weissen Seiten lesen?
Und du, böses Trugbild des WohinSchiffbruchswirstdusie führen?
Von der Alhambra zu den gequälten Ufern von Byblos
Dreht denn weiter und dreht und sucht nach dem letzten Gold, ohne zu versteinern folgt dem antiken Schauspiel der fossil gewordenen Spezies auf der verzweifelten Suche nach der Unsterblichkeit, die einzig euer Schmerz sublimiert
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spielte, ausgebucht war und keine weiteren Daten mehr zur Ver fügung standen. Ich war also gezwungen, alles so zu drehen, dass die beiden in keiner einzigen Einstellung zusammen zu sehen wa ren. Dies ermöglichte es mir, den Lehrer später problemlos auszu tauschen. Es kamen für diese Rolle noch weitere zwei Schauspie ler in Frage: der zweite Kameraassistent sowie Hamou Graya, den ich aus einer Laune heraus aus Paris anreisen liess. Er hatte im Film L’Homme blessé von Patrice Chéreau mitgespielt und war der Lehrer, den ich suchte! Erst nach einer langen Reise und bei seiner Ankunft am Drehort im tiefen Süden Tunesiens merkten wir, dass er leider kein Wort Arabisch sprach! Daraufhin überzeugte mich die Script-Supervisorin davon, die Rolle selbst zu übernehmen.
Anlässlich der Premiere des Films in Paris schrieb Thierry Cazals unter dem Titel «Eine Erzählung gegen den Strich» in den «Cahiers du cinéma»: «Wenn es stimmt, dass Erzähler selten ge worden sind, so lässt die Abstammung von Nacer Khemir keine Zweifel offen. Er reiht sich ohne Weiteres in die Tradition der grossen Familie der Erzähler des Fantastischen ein Les bali seurs du désert , sein erster Spielfilm, ist ein weiterer Schritt auf dem Weg der Entfaltung seiner Talente als Geschichtenschöpfer. Die Handlung pendelt zwischen einer unwirklichen Welt ohne Fixpunkte und der Kraft inkarnierter Legenden. Sie ist nicht der springende Punkt: Das Wesentliche liegt ausserhalb, ist mehr im erzählerischen Vagabundieren als in der unwahrscheinlichen Konstruktion zu finden . . . In dieser feindlichen Welt bleibt die Erscheinung die einzige Hoffnung. Nicht etwa ein Erbsen zählen der Geist (jedes Sandkorn heben und wiegen), die unterbewusste Gier (Löcher graben, um nach dem berühmten Schatz zu suchen) oder der Wahnsinn der Wüstenwanderer (die unmögliche Suche nach Gott oder irgendeiner Gewissheit).»
«Die Stärke dieses Kinos besteht darin, dass es ein Gleichgewicht gefunden hat zwischen dem Respekt vor der Realität und dem fiktionalen Abschweifen, dass es versteht, auf verschiedenen Ebenen zu erzählen, auch bei der äusseren Erscheinung zu bleiben, die keine Oberfläche von Nichtigkeiten oder Gegenständlichkei ten ist, sondern eine Metapher bietet für Zuflucht und Trost, die der fliehenden Zeit entrinnt und wiedergefundene Gelassenheit und Fülle verspricht.»
VATER, KULTUR, ZIVILISATION
Durch den Film Le collier perdu de la colombe zieht sich als gro sses Thema: das Dasein als Waise. Waise sein von der Abstam mung eines Vaters, einer Kultur und einer Zivilisation. Denn wie ist es zu erklären, dass der grosse arabisch-andalusische Schrift steller Ibn Hazm Anfang des 11. Jahrhunderts sein Buch «Das Halsband der Taube» über die Liebe schreibt und arabische Gesellschaften die Liebe im 20. Jahrhundert aus ihrem Horizont verbannen und das Thema zu einem grossen Tabu machen? Daher der Titel Das verlorene Halsband der Taube , bei dem ich das Wort «verloren» hinzugefügt habe. Das Tilgen des Wortes Liebe aus dieser Gesellschaft hat der islamistischen Horde den Weg geebnet, die sich selbst verachtet und den Selbstmord einer Gesellschaft befördert. Denn im Grunde ist der Islamismus der angekündigte Tod des Islam und seiner Zivilisation. Man weiss nie, wozu die eigenen Filme nützlich sind, wem sie dienen werden und wer sie genau sehen wird. Anlässlich einer Reise nach Istan bul erwähnte ein Freund: «Dein Film Le collier perdu de la colom be wird in gewissen Buchhandlungen der Stadt verkauft.» An der Ecke seiner Strasse befand sich ein Buchladen. Auf der Auslage lag eine DVD des Films, die offensichtlich in der Türkei produ ziert worden war. Ich fragte den Verkäufer, wer die DVD so kaufen würde und weshalb. Häufig seien es Lehrer, erklärte er mir, die den Film ihren Arabisch-Studierenden empfehlen. Im Laufe der Jahre realisierte ich, dass sich der Film auf der ganzen Welt zu einer Art Lehrmittel für Lehrer des klassischen Arabisch gemau sert hatte.
Am Ende einer Vorführung von Das verlorene Halsband der Taube in Berlin sprachen mich einige Jugendliche an und fragten mich, wo sie das Buch mit den 66 Namen der Liebe in arabischer Spra che finden könnten. Ich versprach ihnen, es eines Tages zu schrei ben. Fast dreissig Jahre später, während des Lockdowns, in dem die Zeit stillstand, löste ich mein Versprechen endlich ein und ver fasste das Buch «Die Liebe nach Nacer Khemir». « Leben heisst, darauf zu beharren, eine Erinnerung zu vollenden », sagte René Char. Ich habe sogar noch etwas mehr getan und die sechsund sechzig Namen der Liebe gemalt. Paul Klee hielt in seinem Tage buch fest: « Kunst ist nicht dazu da, um das Sichtbare zu kopieren, sondern um es sichtbar zu machen. » ■
LuzzuNEUHEITEN
Alex Camilleri, Maltesisch/d/f,MaltaTrailer
Kore-eda – Box 69.90
Hirokazu Kore-eda, Japan
Fünf Meisterwerke in schöner Box mit Begleitbuch
Maboroshi – Nobody Knows – Hana – Still Walking
Like Father, Like Son Japanisch/d/f, Szenenwahl, reich illustriertes Begleitbuch mit Gespräch und Texten zum Werk, herausgegeben von Walter Ruggle
Russische Avantgarde – Box 29.90
Drei Stummfilmperlen des russischen Kinos der 1920er Jahre (Restaurierte Fassungen)
Die seltsamen Abenteuer des Mr. West im Land der Bolschewiken (Lew Kuleschow)
Der Mantel (Kosinzew & Trauberg)
Das Mädchen mit der Hutschachtel (Boris Barnet) Inserts Russisch/d/f/e ( Mantel d/f)
Musik: André Desponds, Piano Improvisations
Costa Brava, Lebanon 19.90 Mounia Akl, Arabisch/d/f/i/e,LibanonTrailer
Flowers of Shanghai (Restauriert) 19.90 Hou Hsiao-hsien, Taiwan Taiwanesisch/d/f Sin señas particulares 19.90 Fernanda Valadez, Mexiko Spanisch/deutsch & Deutsch; Trailer 107 Mothers 19.90 Peter Kerekes, Russisch/Ukrainisch/d/f,Ukraine Trailer, Booklet
TitónSPEZIALAUSGABEN–Solás 45.–
Titón Tomás Gutiérrez Alea & Humberto Solás, Kuba La muerte de un burócrata – Memorias del subdesarrollo – Lucía (Restaurierte Versionen) Box mit 3 DVDs, Spanisch/d/f/e/i, Booklet Scorsese – World Cinema Project 1 45.–A River Called Titas – Limite – La Noire de. Borom Sarret (Restauriert Versionen) Box mit 3 DVDs, OV/d/f, Booklet
Nuri Bilge Ceylan – Box 59.90
Fünf wichtige Filme des türkischen Meisters
Wild Pear Tree – Climates – Clouds of May – Distant
The Small Town – Box mit 6 DVDs, OV/d/f, Booklet, Kurzfilm, 6 Stunden Making of-Bonus
Fredi M. Murer – Die Berg-Trilogie 39.90
Die drei Bergfilme von Fredi M. Murer in edler Box (restauriete Fassungen), reich illustriertes Begleitbuch, herausgegeben von Walter Ruggle. Wir Bergler in den Bergen . – Höhenfeuer –
Der grüne Berg (alle Dialekt mit div. UT) Kommentierte Fassung von Höhenfeuer Taviani – Box 59.90
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Padre Padrone – La notte di San Lorenzo – Kaos (alle restauriert) – Una questione privata Italienisch/d/f; Begleitbuch mit Texten und Bildern
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Jirˇí Menzel, Tschechoslowakei
Scharf beobachtete Züge – Lerchen am Faden Launischer Sommer (Restaurierte Fassungen) Box mit 3 DVDs, OV/d/f, Szenenwahl
El robo del siglo 19.90
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Ixcanul 17.90
J ayro Bustamante, Kaqchikel/SP/d/f/e/i,GuatemalaRegisseur-Gespräch
La teta asustada 19.90 Claudia Llosa, Spanisch/d/f/e,PeruMaking of, Audiokommentar
HyènesAFRIKA– Besuch der alten Dame 19.90
Djibril Diop Mambéty, Senegal (Restauriert)
Wolof/d/f/e/i/sp, Trailer Lamb 23.–Yared Zeleke, Bonus:Amharisch/d/f/e,ÄthiopienGesprächmitYared Zeleke
Rafiki 18.90
Wanuri Kahiu, Swahili/Englisch/d/f/i,Kenia Trailer
Sankofa 19.90
Haile Gerima, Burkina Faso/Ghana Englisch/d/f Atlantique 19.90
Mati Diop, Wolof/d/f,SenegalTrailer
Wilaya 15.90
Pedro Pérez Rosado, Hassania/Spanisch/d/f,WestsaharaGespräch, Trailer
Timbuktu 19.90
Abderrahmane Sissako, Mali OV/d/f/i, Booklet
Lingui 19.90
Mahamat-Saleh Haroun, Tschad Amharisch/d/f/i, Trailer
This is not a Burial, it’s a Resurrection 19.90
Lemohang Jeremiah Mosese, Lesotho Sesotho/d/f, Trailer
Félicité 16.90 Alain Gomis, Demokratische Republik Kongo Lingala/d/f
ARABISCHER RAUM
Patricio Guzmán – Trilogie der Heimat 45.–Nostalgia de la luz – El botón de nácar –La cordillera de los sueños Box mit 3 DVDs, Spanisch/d/f Diverse Bonusfilme & Booklet Subiela – Box 45.–
Argentiniens Tagträumer – Drei Klassiker in restaurierter Fassung Hombre mirando al sudeste – Últimas imágenes del naufragio – El lado oscuro del corazón Box mit 3 DVDs, Spanisch/d/f/e, Booklet Nagisa Oshima – Box 45.–Drei Meisterwerke des japanischen Kult-Regisseurs
Nackte Jugend – Stadt der Liebe und Hoffnung Im Reich der Sinne (Restaurierte Fassungen) Box mit 3 DVDs, Japanisch/d/f, Booklet Independent Israel – Box 45.–Les méduses – Ajami – Longing Box mit 3 DVDs, Arab./Hebr./d/f, Booklet Glauber Rocha 45.–Barravento – Antonio das mortes – A idade da terra Box mit 3 DVDs, Brasilianisch/d/f, Booklet Kenji Mizoguchi – Box 45.–
Oyu sama – Gion bayashi – Akasen chitai Box mit 3 DVDs, Japanisch/d/f, Booklet
Milosˇ Forman – Box 45.–
Die vier tschechischen Filme (Restauriert)
Black Peter – Loves of a Blonde – Firemen’s Ball –Audition, Box mit 3 DVDs, Tschechisch/d/f Youssef Chahine 24.90
Cairo Station – Der Sperling – Die Rückkehr des verlorenen Sohnes , Box mit 3 DVDs, Arabisch/d/f, reiches Bonusmaterial
Asghar Farhadi – Box 34.90
Das Frühwerk des doppelten Oscar-Preisträgers
Fireworks Wednesday – About Elly – A Separation Box mit 3 DVDs, OV/d/f, Booklet
Bonus: Jirˇí Menzel – To Make a Comedy is no Fun Porträt von Robert Kolinsky Jirˇí Menzel – Box 2 29.90
Jirˇí Menzel, Tschechoslowakei (Restauriert)
Das einsame Haus am Waldesrand – Die wunder baren Männer mit der Kurbel – Kurzgeschnitten Box mit 3 DVDs, OV/d/f, Szenenwahl
Bonus: Jirˇí Menzel – To Make a Comedy is no Fun , Porträt von Robert Kolinsky
SalvadorLATEINAMERIKAAllende 16.90
Patricio Guzman, Chile Spanisch/d/f Ema 19.90
Pablo Larraín, Spanisch/d/f/i,ChileBonus, Booklet zum Film
Turistas 18.90
Alicia Scherson, Chile Spanisch/d/f/e, Gespräch, Making of La memoria del agua 18.90
Matías Bize, Spanisch/d/f,ChileTrailer
Gatos viejos 16.90
Silva Pedro Peirano, Chile Spanisch/d/f Rara 16.90
Pepa San Martín, Chile Spanisch/d/f Aquí no ha pasado nada 16.90
Alejandro Fernández Almendras, Chile Spanisch/d/f
La vida es silbar (Restauriert) 19.90
Fernando Pérez, Kuba
Spanisch/d/f/e, Trailer, Bonus: La vida es filmar
La nación clandestina (Restauriert) 19.90
Jorge Sanjinés, Spanisch/Aymara/d/f/e/sp,Bolivien Booklet
Le collier perdu de la colombe (Restauriert) 19.90 Nacer Khemir, Arabisch/d/f/eTunesien
Les baliseurs du désert (Restauriert) 19.90 Nacer Khemir, Arabisch/d/f/eTunesien
Bab’Aziz (Restauriert) 19.90 Nacer Khemir, Farsi/Arabisch/d/f/e,TunesienBonus mit Gespräch und Erzählung, Booklet
The Man Who Sold His Skin 19.90
Kaouther Ben-Hania, Syrien/Tunesien OV/d/f/i, Trailer, Booklet
Les silences du palais 19.90 Moufida Tlatli, Arabisch/d/f/eTunesien
Adam 17.90
Maryam Touzani, Marokko Arabisch/d/f, Trailer
Theeb – Wolf 18.90 Naji Abu Nowar, Jordanien Arabisch/d/f/e, Trailer
Tel Aviv On Fire 19.90
Sameh Zoabi, Arabisch/Hebräisch/d/f/i,Palästina Trailer
For Sama 18.90
Waad al-Kateab, Syrien OV Arabisch & Deutsch Synchron/d/f/i, Trailer
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19.90
PreparationsEUROPA Unknown of Time 19.90
Lili Horvát, Ungarisch/d/f/i,UngarnTrailer
Worlds Apart 18.90 Christopher Papakaliatis, Englisch/Griechisch/d/f/e,GriechenlandMakingof(e)
Der schwebende Schritt des Storches 19.90 Theo Angelopoulos, Griechenland Griechisch/d/f/e, Gespräch mit Petros Markaris
God Exists, Her Name Is Petrunya 18.90 Teona Strugar Mitevska, Nordmazedonien OV/d/f
Western 15.90
Valeska Grisebach, Deutsch/Bulgarisch/English/d/f,Bulgarien Trailer
C’eravamo tanto amati 19.90 Ettore Scola, Italienisch/deutschItalien
Undine 17.90
Christian Petzold, Deutschland Deutsch/f, Booklet mit Gespräch
AUSTRALIEN, OZEANIEN, KANADA
The Orator 18.90 Tusi Tamasese, Samoa OV/d/f/e, Bonusfilm: Sacred spaces
The Death and Life of Otto Bloom 19.90 Cris Jones, MakingEnglisch/d/f,AustralienTrailer,Statementsof,Kurzfilm The Funk
Tanna 18.90
Martin Butler & Bentley Dean, Australien Nauval/d/f, Trailer, Making of The Goddess of 1967 18.90 Clara Law, Englisch/Japanisch/d/f/iAustralien
Kuessipan 19.90
Myriam Verreault, Kanada Innu/Franz./d/f/i, Trailer, Booklet
SoASIENLong,
My Son 19.90
Wang Xiaoshuai, China Mandarin/d/f, Trailer, Booklet Shanghai, Shimen Road 19.90 Haolun Shu, Mandrain/d/f/e,ChinaGespräch (E/d/f) Trailer
Beijing Bicycle 19.90 Wang Xiaoshuai, China Mandarin/d/f
In Her Eyes 15.90
Xiaolu Guo, Mandarin/Englisch/d/f,China Trailer Night Train 18.90 Yinan Diao, Mandarin/d/f/eChina
Life on a String 16.90 Chen Kaige, Mandarin/d/fChina(fixe UT)
Lunana – Das Glück liegt im Himalaya 19.90
Pawo Choyning Dorji , Bhutan Dzongkha/d/f, Booklet zum Film
White Sun 18.90
Deepak Rauniyar, Nepal Nepali/d/f/i/e, Trailer A Dragon Arrives! 19.90
Mani Haghighi, Iran Farsi/d/f/e, Gespräch (e), Trailer
Modest Reception 19.90
Mani Haghighi, Iran
Farsi/d/f/e, Gespräche, Trailer Fish & Cat 18.90 Shahram Mokri, Iran Farsi/d/f/e, Gespräch (F), Booklet
Une famille respectable 19.90 Massoud Bakhshi, Iran Farsi/d/f The Hunter 15.90
Rafi Pitts, Iran Farsi/d/f, Gespräch
Name
DIE BLU-RAY-EDITION
There is no Evil & A Man of Integrity 19.90 Mohammad Rasoulof, Iran Farsi/d/f, Booklet – Doppel-DVD Wolf and Sheep 18.90
Sharbanoo Sadat, Afghanistan
Hazaragi/d/f/e, Gespräch mit Regisseurin Saratan 17.90
Ernest Abdyjaparov, Kirgisistan Kirgisisch/d/f/e
Dersu Uzala (Restauriert) 19.90
Akira Kurosawa, Russisch/deutschSowjetunion
Tokyo monogatari (Restauriert) 19.90 Yasujiro Ozu, Japanisch/d/f,JapanBooklet
Die Ballade von Narayama (Restauriert) 19.90 Shohei Imamura, Japan, 1982 Japanisch/d/f/e/i
The Seven Samurai (Restauriert) 19.90
Akira Kurosawa, Japan Japanisch/d, Filmessai von Walter Ruggle
True Mothers 19.90 Naomi Kawase, Japan Japanisch/d/f, Trailer Drive My Car 19.90
Ryusuke Hamaguchi, Japan Japanisch/d/f, Booklet
Ugetsu monogatari 19.90
Kenji Mizoguchi, Japan Japanisch/d/f
Mirr 19.90
Mehdi Sahebi, Kambodscha Khmer/d/f/e
The Music Room (Restauriert) 19.90 Satyajit Ray, Bengali/Englisch/d/f/i/eIndien
My Name is Salt 16.90 Farida Pacha, Gujarati/d/f/i/e/sp,Indien Booklet
Jazz On A Summer’s Day 23.90 Bert Stern, USA Englisch/d Still Walking 24.90
Hirokazu Kore-eda, Japan
Japanisch/d/f, Making of A Touch of Zen 24.90 King Hu, Taiwan (Restaurierte Fassung) Mandarin/d Stalker 24.90
Andrei Tarkowski, Sowjetunion
Russisch/d (Restaurierte Fassung)
Die sieben Samurai – Director’s Cut 24.90 Akira Kurosawa, Japan
Restaurierte Fassung des integralen Films Japanisch/d/f, Filmessai von Walter Ruggle Rashomon 24.90
Akira Kurosawa, Japan (Restaurierte Fassung) Japanisch/d/f, Filmessay von Walter Ruggle Solaris 24.90
Andrei Tarkowski, Sowjetunion (Restauriert)
Bonusfilm und Die Walze und die Geige Iwans Kindheit 24.90
Andrei Tarkowski, Sowjetunion (Restauriert)
Russisch/d, Bonus: Die Walze und die Geige Der Spiegel 24.90
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Andrei Tarkowski, Italienisch/Russisch/d,ItalienBonusfim: Meeting
Andrei Tarkowski, Booklet
Andrej Rubljow (Restaurierte Fassung) 24.90
Andrei Tarkowski, Sowjetunion
Bonusfilm und Die Walze und die Geige Tokyo monogatari (Restaurierte Fassung) 24.90 Yasujiro Ozu, Japan
Bonus: Filmessay von Walter Ruggle L’éternité et un jour 24.90 Theo Angelopoulos, Griechenland Griechisch/d/f/e (Restaurierte Fassung)
Bonus: Athen, Rückkehr auf die Akropolis, Booklet Mohenjo Daro 24.90 Ashutosh Gowariker, Indien Hindi & Deutsch/D, Trailer
KINO LESEN
ALLE PREISE IN DER CH INKL.
Farben der Welt 15.–Gedanken von Filmschaffenden zu ihrer Kunst
Hrsg: Walter Ruggle, 16 × 11.5 cm, 196 Seiten, reich bebildert, Text deutsch & französich, Welt in Sicht 21.–Das Lese- und Schaubuch durchs Filmschaffen von Lateinamerika, Afrika und Asien von Walter Ruggle, 504 Seiten, 280 Bilder, Farbe
Ich möchte das Magazin TRIGON gerne nach Hause zugestellt erhalten und so informiert sein übers Kino aus Süd und Ost. Jahresabo: 20.–
Im Onlineshop finden Sie weitere Titel und Kombina tionsangebote. Die Bestellungen können auch online gemacht werden. Mitglieder des Fördervereins trigon-film erhalten Ermässigungen.
MITGLIED WERDEN
Ich möchte etwas für die kulturelle Vielfalt tun und Mitglied werden bei trigon-film . Als Eintritts geschenk erhalte ich das Buch «Farben der Welt». Jahresbeitrag: 80 Fr. (40 Fr. für Studierende)
42 TALON BITTE SENDEN AN: trigon-film , Limmatauweg 9, 5408 Ennetbaden T 056 430 12 30, F 056 430 12 31 – shop@trigon-film.org – www.trigon-film.org
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VERSANDKOSTEN
to be Together for an
Period
COSTA BRAVA, LEBANON
Walid hat sich mit seiner Frau Nadine ihren beiden Töchtern und der kranken Mutter aus dem in Müll und Korruption versinkenden Beirut abgesetzt und der Familie in den Hügeln fernab der Hauptstadt ein kleines Paradies geschaffen. Die Familie lebt nun mitten in Olivenhainen, bewirtschaftet ihren Garten und geniesst die Tage. Tala, die 16-jährige Tochter, erlebt erste sexuelle Regungen, während die 9-jährige Schwester Rim imaginäre Feinde erfindet und die lungenkranke Grossmutter Zeina die frische Luft geniesst. Das relative Glück endet an dem Tag, an dem direkt unterhalb ihres Hauses eine Mülldeponie errichtet wird. Ausgehend von dieser Ungerechtigkeit führt uns Mounia Akl ins Leben einer Familie, die in dem Mass dysfunktional wird, wie sie von aussen bedroht ist. Die Filmemacherin spielt mit den Perspektiven ihrer
Figuren, hält sich akzentuiert auf Kinderhöhe mit der kleinen Rim und beschreibt ihre tiefen Dilemmas. Die Mitglieder der Familie Badri sind hin- und hergerissen zwischen ihrem Wunsch, wieder mit der Gesellschaft in Beirut in Kontakt zu treten, und ihrer Autarkie mitten in der Natur. Sie müssen sich entscheiden: Widerstand oder erneute Flucht. Die Spannung steigt, aber die Stärke von Costa Brava, Lebanon liegt darin, dass der Film eine viel grös sere Realität durch das Prisma dieses Mikrokosmos betrachtet und so die jüngsten Explosionen in Beirut auf beeindruckende Weise widerspiegelt.
trigon-film DVD-Edition 395 Sprache OV Arabisch/E/F Untertitel deutsch, français, italiano, english Dauer 106 Min. Format PAL, 1:1.66 – 16/9
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LUZZU
Kulturelle Vielfalt in Kinder- und Jugendbüchern
Kolibri stellt aktuelle Kinderund Jugendbücher vor, die eine o ene Begegnung mit anderen Kulturen ermöglichen und einen wertvollen Beitrag zur interkulturellen Diskussion
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Das aktuelle Verzeichnis wird ergänzt durch eine umfangreiche www.baobabbooks.ch/kolibriOnline-Datenbank:
Als Luzzu bezeichnet man auf Malta ein kleines Fischerboot, das durch seine bunten Farben stärker auffällt als durch seine Grösse. Seit Generationen sind mit solchen Luzzus die Fischer unterwegs auf dem Meer, um ihre Netze auszuwerfen und einen guten Fang auf den Markt zu bringen. Jesmark Scicluna, der auch im wirklichen Leben so heisst und Fischer ist, ist einer von ihnen. Viele sind es nicht mehr, denn das Meer ist leergefischt, die Bedingungen sind durch europäische Gesetze schwierig geworden. Was politisch dem Schutz vor der Überfischung dienen sollte, schmälert im Alltag die Möglichkeiten des Fangs für Fischer wie Jesmark. Parallel dazu hat sich eine Schattenwirtschaft etabliert, die mit ihren mafiösen Strukturen dem Berufsstand den Rest gibt.
Familie einfach ein anständiges Leben führen können. Die NZZ am Sonntag schrieb: «Alex Camilleri zeigt ein Malta abseits jeder Postkartenidylle und ermöglicht einen sonst seltenen Einblick in die Verhältnisse der europäischen
SpracheFischerei-Industrie.»trigon-filmDVD-Edition392OVMaltesischUntertiteldeutsch,françaisDauer94Min.FormatPAL,1:1.85
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TRUE MOTHERS
Erhältlich im Buchhandel oder direkt bei Baobab Books
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Alex Camilleri hat mit Sinn für die kleinen Details eine Familiengeschichte geschrieben, in der er die Situation vor Ort spiegelt. Er kennt nicht nur das Leben auf Malta und pflegt die Sprache der Insel, er weiss auch um seine Referenzen in der Filmgeschichte. Allen voran steht da das Meisterwerk La terra trema, das Luchino Visconti 1946 im natürlichen Hafen von Aci Castello auf Sizilien gedreht hat. Auch dort dreht sich die Handlung um Ausbeutung und Betrug, filmhistorisch betrachtet ist der Film ein frühes Werk des Neorealismo, und Luzzu kann man durchaus als zeitgemässen Versuch sehen, heute in dieser Tradition zu erzählen: Mit realer Umgebung, einem dringlichen Thema und mit Menschen, die nichts Anderes verkörpern als sich selber. Wie bei den Italienern der 1940er Jahre führt das auch beim Malteken Alex Camilleri zu einer Authentizität und Glaubwürdigkeit, die uns die Situation vor Ort in einem packenden Spielfilm vermittelt. Schliesslich möchten Jesmark und seine Partnerin als junge
Das Telefon klingelt – und plötzlich steht das Familienglück von Satoko und ihrem Mann auf der Kippe. Sie haben vor sechs Jahren den kleinen Asato adoptiert. Nun will Hikari, die behauptet, die leibliche Mutter zu sein, ihr Kind zurück. Satoko und ihr Mann beschliessen, die junge Frau zu treffen und Klarheit zu finden über die Situation. Die japanische Filmemacherin Naomi Kawase ( An –Von Kirschblüten und roten Bohnen ) hatte schon immer ein feines Gespür für Familiengeschichten bewiesen. In ihren Anfängen als Filmemacherin hat sie stille, persönliche, fast tagebuchartige Filme in ihrem nächsten Umfeld in der Region Nara gedreht und ist dabei auch um die eigene Mutter gekreist. In ihrem Spielfilm True Mothers erkundet sie nun die Natur biologischer und emotionaler Bindungen. Welche Frau kann für sich in Anspruch nehmen, mehr Mutter zu sein als die andere? Jene, die das Kind zur Welt brachte oder die, die es sechs Jahre begleitete? Ein Film von grosser Zärtlichkeit, eine Ode an die Frauen solidarität und die Elternschaft. trigon-film DVD-Edition 388 Sprache OV Japanisch
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43 INSELLEBENHEIMKINOAUFDVDFÜRDIEEIGENE FILMBIBLIOTHEK ODER ZUM STREAMEN AUF FILMINGO LUZZU – COSTA BRAVA, LEBANON – TRUE MOTHERS
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Kolibri
Neu
Trennlinien welche gesellschaftlichen und kulturellen Trennlinien ziehen sich durch die Schweizer Film- und Medienlandschaft, wie können soziale und kulturelle Ausgrenzung verhandelt und wie kann gesellschaftliche Diversität bekräftigt werden? Essays, Literarische Beiträge, Festivalberichte und Statements beleuchten das Thema von verschiedenen Seiten. Und wie jedes Jahr: Ein Rückblick auf das Schweizer Filmschaffen
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Eine zärtliche Liebes geschichte, in atemberaubender Natur und mit einer aktuellen und eindring lichen Botschaft. Ein Film perfekt für die Kinoleinwand!» arttv, Doris Senn
«Alejandro Loayza Grisi lässt die Details und Gesten für sich sprechen. Umso besser begreift man, warum die beiden Alten bleiben wollen. Nicht, weil ihr Leben so schön wäre – es war immer schon hart und ärmlich –, sondern weil es ihres ist. Nicht mehr, nicht weniger.» WoZ, Barbara Schweizerhof
«Fotografisch dicht verzahnt das Erstlingswerk des bolivianischen Regisseurs Alejandro Loayza Grisi die Schicksale von Figuren und Umwelt zu einer pointierten Parabel auf den Klima wandel.» Filmbulletin, Alexander Kroll
«Eine tiefsinnige und berührende Erzäh lung über die unerschütterliche Liebe. » Züritipp
«Die Geschichte einer anrührenden und unsentimentalen Liebe zwischen den beiden älteren Ehepartnern, gleichzeitig ein stilles, aber dennoch unüberhör bares und eindringliches Manifest –ein Ausdruck des Schmerzes angesichts dieses sterbenden Lebensraums, der sich in überwältigenden Bildern artiku liert.» NZZ am Sonntag, Teresa Vena
«Eine tiefsinnige und berührende Erzählung über die Liebe und die Welt, wenn beide sich dem Ende nähern.» Seniorweb, Hanspeter Stalder
«Lohnt es sich? Ja, sehr. Sieht man auf die gegenwärtigen Temperaturen in Europa, wirkt die Szenerie des bolivia nischen Films von Alejandro Loayza Grisi gar nicht so weit weg. Ohne anklagen den Tonfall führt einem Utama vor, wie unbarmherzig die Natur sein kann, wenn wir sie nicht schützen. Auf der Leinwand entfalten sich gleichwohl wunderschöne wie ergreifende Bilder einer Landschaft, die still vor sich hin stirbt, und von Menschen, die ihr über kurz oder lang folgen.» NZZ
«In atemberaubenden Landschaftsbil dern erzählt der Film von der uner schütterlichen Liebe eines älteren Ehe paars füreinander und für ihre Heimat, die ihnen viel abverlangt. Ohne morali sierend zu wirken, trifft das Drama den richtigen Tonfall, um uns vor Augen zu führen, dass für einige der Klimawandel bereits längst lebensbedrohliche Ausmasse angenommen hat.» Cineman
«Der Film des Bolivianers ist all dies in einem: zeitlos und aktuell, karg und schön, individuell und universal. Ein Werk, das einen bleibenden Eindruck hinterlässt.» kulturtipp, Urs Hangartner
«Durch den ebenso genauen wie geduldi gen Blick auf diese Lebenswelt, die Authentizität der LaienschauspielerIn nen und die grandiosen CinemascopeBilder der Kamerafrauuruguayisch-argentinischenBárbaraÁlvarezentwickelt
Utama eine Kraft und eine Intensität, denen man sich nicht entziehen kann.» Filmnetz, Walter Gasperi
«In der Dürre des bolivianischen Hoch lands sieht ein betagter Lama-Hirte seinem Tod ins Auge – eine klare, konse quente Öko-Fabel, und zugleich ein behutsamer Blick in die Intimität des Sterbens.» SRF Kultur, Georges Wyrsch
107 MOTHERS
«Die Inszenierung ist nüchtern, aber das Schicksal der inhaftierten Frauen geht einem nahe.» Züritipp, Gregor Schenker
«Eine raffinierte Collage, die eindring lich und wahrhaftig von Mutterschaft und Gemeinschaft erzählt.» Filmbulletin, Silvia Posavec
«Formal brillant und ästhetisch einzig artig verbindet Regisseur Peter Kerekes dokumentarische Recherche und rigide Inszenierung zu einer berüh renden Studie über den Kampf inhaftier ter Mütter um ihre Kinder. Schauplatz ist das Gefängnis 74 im ukrainischen Odessa.» Kino Rex Bern
«Der Film bietet dem Publikum einen Einblick in eine für viele unbekannte Realität an, die uns zum Nachdenken anregt. Es ist natürlich herzzerrei ssend, sich diesen Film in der derzeitigen Kriegslage anzusehen, dennoch ist er mit humorvollen und innigen Momenten versüsst.» Cineman
«Die Nähe und Menschlichkeit wie auch die formale Konsequenz machen die Stärke dieses berührenden, aber nie sentimentalen Dramas aus.» NZZ am Sonntag, Teresa Vena
«Gut recherchiertes und stark gestalte tes Drama über den Alltag in einem Frauengefängnis in der Ukraine aus der Zeit vor dem Krieg. Tönt sehr hart, aber die Geschichte ist warmherzig und von zeitloser Brisanz.» Annabelle, Mathias Heybrock
«Die Ausweglosigkeit der einen wird zur Gelegenheit für die andere.» P.S. Zeitung, Thierry Frochaux
«Mit 107 Mothers verbindet Péter Kerekes meisterhaft Authentisches mit Inszeniertem. Sein Film nähert sich respektvoll den Lebensrealitäten der inhaftierten Frauen an. » arttv, Doris Senn
YUNI«Kamila
Andini zeichnet ein Gesell schaftsbild, in dem praktisch alles unter der Hand geregelt wird und eine etwaig ruchbar werdende Fehlbarkeit niemals dem Manne angelastet werden will.» P.S. Zeitung, Thierry Frochaux
«Poetisch-realistisches Jugendporträt aus Indonesien.» kulturtipp
«Einfühlsam und in sorgfältiger Bild sprache erzählt Kamila Andini vom Ende einer Kindheit im Zwiespalt zwischen traditionellen Vorgaben und Wunsch nach selbstbestimmtem Leben.» Filmnetz, Walter Gasperi
«Einfühlsam und hintergründig. Ein Gedicht über das Leben und Lieben im Konjunktiv.»
Der andere Film, Hanspeter Stalder
«Eine einfache, aber berührende und analysierende Geschichte ganz ohne Bösewichte. Es geht um Schönheit, sexuelles Begehren und ganz speziell um erzwungene Heirat nach muslimischem Brauch. Schlussendlich das Portät einer jungen Frau zwischen Sehnsucht nach Freiheit und lokaler Tradition.»
Movie-Eye, Benny Furth
«Kamila Andini greift Themen auf, die diskutiert werden wollen, und bekräftigt ihren Ruf als vitale und intelligente Stim me des zeitgenössischen indonesischen Kinos. Gefilmt und gespielt mit einem schnörkellosen und überzeugenden Naturalismus, fühlt sich Yuni beinahe wie ein Dokumentarfilm an, der das Leben eines typischen indonesischen Mädchens erforscht, das in der Auf regung, Verwirrung und Beklemmung gefangen ist, die alle Heranwachsenden durchmachen.» Variety
45 VOM ALTIPLANO BIS NACH ODESSA MEDIENSTIMMEN ZU 107 MOTHERS AUS DER UKRAINE, YUNI AUS INDONESIEN & UTAMA AUS BOLIVIEN
107UtamaMothers
Das letzte AufgewachtWort
«Wir sind damit aufgewachsen, die Leute sagen zu hören: ‹Ihr dürft nicht über Politik oder Religion sprechen.› Ich glaube, die Politiker sind von den Menschen abge koppelt und umgekehrt. Grosse gesellschaftliche Veränderungen brauchen viel Zeit. Wir müssen geduldig sein. Diese Veränderungen sind nicht für uns. Sie sind für die nächsten Generationen, für zukünftige Generationen.
Wir begannen, über dieses gemeinsame Gefühl zu sprechen, das wir alle in uns trugen, tief in uns. Dieses Gefühl der Bitterkeit, der ständigen Traurigkeit, der Ungerechtigkeit. Wir sind nicht einfach eines Tages aufgewacht und haben es plötzlich gespürt. Es hatte sich schon seit einer ganzen Weile langsam aufgebaut. Aber dann ist es explodiert, geplatzt, und jetzt werden wir die Dinge ändern, es gibt kein Zurück mehr.»
TRIGONImpressumDastrigon-film-magazin3.Trimester2022Redaktionsadresse
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Konzept und Realisation Integral Lars Müller, Zürich Esther Butterworth
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Von María José San Martín, Filmemacherin, Chile
Bild: Rara von María José San Martin – erschienen auf DVD in der Edition trigon-film, zu schauen auf filmingo.ch
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