TRAFFIC News to-go #34

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Zeitgeschehen

Ausgabe N°34 • November 2013 • Jahrgang 5 • trafficnewstogo.de

DEUTSCHLAND EINIG MERKEL-LAND

Nach der Bundestagswahl kann Merkel entspannt zusehen, wie SPD und Grüne sich winden. Die Zeit spielt für sie. von Thorsten Denkler ES GIBT DA diese Szene vom Wahlabend. Im Konrad-Adenauer-Haus, der CDUZentrale im alten Berliner Westen, feiern sie, als hätten sie gerade alle olympischen Goldmedaillen auf einmal gewonnen. 42 Prozent, knapp an der absoluten Mehrheit vorbei, wer hätte das gedacht. Von wegen Untergang der Volksparteien. Da stehen sie auf der Bühne, singen Tage wie diese von den Toten Hosen, Generalsekretär Hermann Gröhe schwenkt so ausgelassen, wie das nur ein Niederrheiner kann, ein Deutschlandfähnchen. Die Kanzlerin sieht das und reißt ihm sofort die Fahne aus der Hand. Ihr Gesichtsausdruck sagt eindeutig: So was macht man nicht! Und: Wir wollen es nicht übertreiben! Es ist genau diese Angela Merkel, die die Deutschen als Kanzlerin offenbar behalten wollen. Eine, die weiß, was sich gehört, die selbst im größten Siegesrausch noch ein Gespür für die Grenzen des Anstands hat. Noch ist nicht klar, mit wem Merkel ihre nächste Regierung bilden wird. Mit der SPD oder mit den Grünen. Die Koalitionsverhandlungen mit der SPD laufen ganz gut an. Aber auch sie können scheitern, spätestens am Mitgliederentscheid der SPD über einen Koalitionsvertrag. Und dann müssten wohl doch nochmal die

Grünen neu mit Merkel verhandeln. Aber egal mit wem Merkel demnächst regiert: Sie ist schon jetzt die fleischgewordene große Koalition. Längst orientiert sich die Programmatik ihrer CDU nicht mehr an irgendwelchen konservativ- ideologischen Leitplanken. Merkel hat die Partei so sehr geöffnet, dass sie mit ihren Mindestlöhnen, Mietpreisbremsen und Atomausstiegsbeschlüssen bis tief hinein in ehemals sozialdemokratische, grüne und linke Wählerschichten vordrang. Von der SPD wanderten 920.000 Wähler zur Union, 230.000 von der Linken und 560.000 von den Grünen. Unterschiede sind natürlich erkennbar, Merkels Mindestlohn ist nicht der gesetzliche, flächendeckende Mindestlohn, den SPD und Grüne wollen. Aber zu behaupten, da lägen Welten dazwischen, wäre maßlos übertrieben. Angela Merkel kann in alle Richtungen integrieren. Selbst Anhänger der Grünen und der SPD finden mehrheitlich, dass sie einen guten Job macht. Hinter ihr können sich selbst jene versammeln, die mit CDU und CSU nichts am Hut haben. Deutschland ist einig Merkel-Land. Deshalb hat Merkel inhaltlich auch weder ein Problem mit der SPD noch mit den Grünen. Ihre Politik ist maximal kompatibel – um nicht zu sagen beliebig. Merkel ist die Großmeisterin des Machbaren. Sie regiert, um Probleme

zu lösen. Nicht um das Land zu verändern. Genau dort wird die Grenze sein, die sie SPD und Grünen in einer Koalition zeigen würde. Jedes Problem kann auf verschiedene Weise gelöst werden. Aber alles was in ihren Augen mit Wunschdenken zu tun hat, wird sie abblocken. SPD-Chef Sigmar Gabriel macht es da ganz richtig, wenn er sagt, Steuererhöhungen für Reiche seien kein Selbstzweck. Wenn die Union andere Ideen habe, wie sie ihre eigenen Wahlversprechen und die von der SPD identifizierten Probleme bezahlen könne, bitte. Sein Problem ist eher, wie er diese Flexibilität seinen Mitgliedern erklären will, die einen Koalitionsvertrag am Ende absegnen sollen. Die Grünen dagegen wissen selbst noch nicht, wo sie stehen. Ihre Parteiführung hat sich gerade erst neu sortiert. Einen der Partei immanenten Willen zum Regieren gibt es – anders als in der SPD – nicht. Die Grünen fühlen sich auch in der Opposition ganz wohl. Obwohl auch dort viele wissen, sollten Union und SPD nicht zusammenkommen, dann werden sie sich diese Frage noch einmal völlig neu stellen müssen. Und wenn nicht heute, dann in den kommenden zwei Jahren, in denen die Weichen für künftige Bündnisoptionen gestellt werden. Merkel hat die größte Hürde mit dem Atomausstieg nach Fukushima schon abgeräumt. Mit dem brutalen Pragmatismus der Mer-

kel-Union aber sind die Grünen bisher noch überfordert. Die demonstrative Offenheit selbst knarz-konservativer Unionisten gegenüber den Grünen bringt sie in Erklärungsnot. Jetzt zu kritisieren, dass nur Kohle-Leute von Union und SPD über die Energiewende verhandeln aber selbst nicht regieren wollen, das wirkt schon ein wenig verblendet. Inhaltlich wird sich kaum begründen lassen, weshalb die Grünen es im Zweifel auf Neuwahlen ankommen lassen würden. Neuwahlen sind ohnehin eine schwierige Sache. Merkel versteht es prächtig, den Eindruck zu vermitteln, dass an ihr sicher keine Koalitionsoption scheitern werde. Das mindert die Chancen von SPD und Grünen gestärkt aus Neuwahlen hervorzugehen. Mit anderen Worten: Mit Rot-grün wird es dann wieder nix. Und wenn Merkel keine absolute Mehrheit holt, stehen alle am gleichen Punkt, wie nach dem 22. September. Merkel kann sich also relativ entspannt ansehen, wie sich die SPD in den Koalitionsverhandlungen schlägt und die Grünen ihr Verhältnis zur Union klären. Die Zeit spielt immer für sie.

zeitgeschehen@trafficnewstogo.de


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