Top Magazin Leipzig Herbst 2018

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erlebt. Ich war ja noch ein Jahr dort und dann im Westen. Die Demokratie heute funktioniert tausend Mal besser, als die in der DDR. Aber sie hat heute eben auch Aspekte, die nicht dem demokratischen Ideal folgen. Es gibt Diktaturen in dieser Demokratie. Dieses Weltbild ergibt sich aus meinem Leben in der DDR, dem Iran und dem Westen. Was hat Sie in der DDR geprägt? Der Humanismus. Es gab Ideale. Als Kinder in den 60ern waren wir beseelt von den Idealen. Dass da schon alles kaputt war, wussten wir als Kinder ja nicht. Und das wir manipuliert wurden, wusste ich da auch nicht. Aber in meiner Seele weiß ich, das war ein reiner Gedanke. Der war schön, miteinander zu leben. Das hat mich geprägt. Deswegen gehe ich, wie ich gehe. Vielleicht ist das ein Punkt; warum Sie sich dem Thema Völkerschlacht so genähert haben … In der Kindheit hat mir keiner erklärt, was das eigentlich für eine Schlacht war. Da stand nur dieses Denkmal. Das war damals immer eine große Reise für mich. Ich war von den riesigen Figuren fasziniert, habe mich aber auch etwas gegruselt. Als ich mit dem Panometer hier gelandet war, wollten viele, dass ich das Thema aufnehme. Ich habe gesagt, dass ich keine Schlachten-

Zwischen Gipfelsturm und Respekt vor der Göttlichkeit der Höhe - Everest

bilder mache. Weil ich mich an die Bilder aus dem 19 Jahrhundert erinnert habe, die halte ich aus heutiger Sicht für völlig verblödet. China und Russland machen im 20 Jahrhundert immer noch so ein Zeug – ideologisch besetzte Bilder mit dem Krieg als adäquates Mittel. Da kam ich auf die Idee, den Krieg zu zeigen, wenn er vorbei ist. Diesen Augenblick. Dieses Bild hat eine Identifikationskraft. Die Leipziger sollten die Stadt in dieser Zeit sehen, Die Gottschedstraße, dass alles voller Flüsse war. Dieses Wässrige an Leipzig, die Pleißenburg, man begreift diese Stadt so ganz anders. Sich Themen nicht auf herkömmlichem Weg zu nähern, das eint ihre Projekte. Bei Titanic haben auch viele gesagt, ich soll die Finger davonlassen – das Thema sei erschöpft. Das Ausdehnen des Unfalls hatte in meiner Bearbeitung keine Relevanz. Ich weiß gar nicht, welchen Anteil ich da leisten sollte, genauso wenig, wie ich Krieg im Augenblick des Krieges darstellen will. Er

ist für mich unerheblich, aber nicht unerheblich im Sinne von nicht relevant. Bilder sind spektakulär, sie lassen aber nichts von dem Leid spüren, den Krieg hinterlässt. Deswegen habe ich immer gesagt, wenn es um ein Schlachtenthema geht, dann richte ich das Augenmerk auf den Augenblick kurz danach, wenn wieder Stille eintritt. Und wenn man das sieht, dann ist die Berührung viel größer. Wenn ich so ein Projekt mache, ist es immer ein Antikriegs-Projekt. Weil mich das so anwidert, dieser Begriff Krieg, dass Menschen seit Menschengedenken immer dieses Ding nehmen, um Probleme zu lösen und es noch nie geschafft haben.

9/11 ist auch so ein heißes Eisen. Ja, aber auch hier möchte ich die Leute anders abholen. Es gibt Augenblicke im Leben, die uns alle einen – Weltaugenblicke: die Mondlandung, der Mauerfall und 9/11. Wenn man jemanden fragt, wo er da war und was er gemacht hat, als das passierte, weiß er das genau. Es gibt ein Leben vor dem Augenblick und eines danach. Ich betrachte diesen Sehend entdecken, wie hier beim Erklärteil zum Great Barrier Reef, Asisi möchte den Fokus verschieben, hin zu mehr Kunst und was sich als Person für mich verändert hat. Menschen in diesen Augenblick wieder reinzustellen, das halte ich für einen interessanten Vorgang. Dass man nochmal vor den Wolkenkratzern steht, fünf Minuten bevor das erste Flugzeug kommt, und alles ist friedlich. Nichts, keiner ahnt, dass da fünf Minuten später Chaos entsteht. So entstehen auch Kriege. Ich möchte sehen, was in den Menschen passiert. Und da denke ich, ist das für ,9/11‘ ein ganz guter Ansatz. Alles andere ist schon tausendmal beschrieben worden. AB

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Fotos: TSchulze | Thomas Boivin

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