2019 tbz 09

Page 1

Tirol

NR. 09 | 28. FEBRUAR 2019

BauernZeitung

Das Wildeinflussmonitoring (WEM) gibt Einsicht in den Zustand des Waldes.

„Unverständliches Urteil“: Reaktionen aus der Politik Weit über Tirols Grenzen hinaus entsetzt das Ergebnis des Gerichtsprozesses um eine Auseinandersetzung zwischen Kuh und Wander-in mit Hund im Pinnistal (Stubaital), der tödlich endete (siehe S. 1).

Tirol, wie wir es kennen, bedroht Tirols Politiker sehen sich in der Pflicht, dem existenzbedrohenden Urteil entgegenzutreten. Landeshauptmann Günther Platter empört sich: „Das Gerichtsurteil ist nicht nachvollziehbar. Ich stelle mich unmissverständlich auf die Seite der Bauern. Die in unserem Land seit Jahrhunderten praktizierte Form der Almbewirtschaftung steht auf dem Spiel. Sowohl Gäste als auch Einheimische haben negative Konsequenzen zu befürchten. Ich hoffe deshalb, dass die Berufung gegen das Urteil Erfolg haben wird.“ Auch die Wirtschaft lässt das Urteil nicht kalt. Franz Hörl, Obmann des Tiroler Wirtschaftsbundes, betont den Wert der Almwirtschaft: „Mit der Begründung, dass aufgrund eines ausgewiesenen Wanderwe-

ges eine Umzäunung notwendig gewesen wäre, wird die landwirtschaftliche Nutzung der Freizeitnutzung untergeordnet. Damit klammert das Gericht nicht nur den Wert der Bewirtschaftung unserer Almen, sondern auch die Anforderungen an die menschliche Eigenverantwortung aus. Schließlich wurde mit Hinweisschildern auf wichtige Verhaltensregeln hingewiesen.“

Österreichweite Unterstützung Das „Aus für unsere Almen“ sagt der österreichische Bauernbundpräsident Georg Strasser bei Bestehen des Gerichtsurteils voraus. Agrarministerin ElisabethKöstinger stimmt ihm zu: „Ich kann das wirklich nicht nachvollziehen, wie es zu solchen Entscheidungen kommt.“ Josef Moosbrugger, Präsident der LK Österreich, ruft in Erinnerung, dass die Weidewirtschaft nicht nur aus Tierschutzgründen, sondern auch im Sinne von Artenschutz, Biodiversität, Landschaftserhaltung und Klimaschutz dringend erforderlich ist.

Kein Almtourismus ohne Eigenverantwortung Bangen um Haus und Hof, die Wirtschaftsgrundlage, kurz gesagt: die gesamte Existenz. Die Angst, die der verklagte Bauer aus Neustift durchleben muss, wollen sich viele Bauern in und außerhalb von Tirol ersparen.

Wanderwege und Almen gesperrt Ein Bauer aus dem Alpbachtal war der Erste, der ankündigte, seine Alm im Sommer für Freizeitnutzer zu sperren. In einem Brief erklärt er, dass er sich aufgrund des Gerichtsurteils, das die fehlende Eigenverantwortung der Menschen und den nicht vorhandenen Respekt vor bäuerlichem Eigentum beweist, gezwungen sieht, seine Alm und die Wanderwege, die hindurchführen, zu sperren. „Ich bin sicher nicht bereit, von Freizeithungrigen und deren Anwälten an den Pranger gestellt zu werden und von Generationen praktizierte Almwirtschaft zer-

stören zu lassen“, schreibt der Alpbacher. Eine konkrete Ankündigung, Wanderwege zu sperren, gibt es auch von zwei Almbauern aus der PyhrnPriel-Region (OÖ). Sie wollen die Almen erst wieder für Freizeitnutzer zugänglich machen, wenn geklärt ist, wer die Haftung für mögliche Zwischenfälle übernimmt.

Eigenverantwortung der Freizeitnutzer Stephan Pernkopf, Niederösterreichs Bauernbundobmann, stellte gegenüber der Kronen Zeitung (Ausg. vom 24.02.2019) klar: „Unsere Weiden sind kein Freilichtmuseum, sondern knochenharter Arbeitsplatz sowie Produktionsstätte für wertvolle regionale Lebensmittel unter freiem Himmel. Dessen muss sich jeder bewusst sein, egal, ob er zu Fuß oder auf dem Rad unterwegs ist. Es gilt Eigenverantwortung. Daher volle Unterstützung für die Almbauern.“

Hoher Preis

Seite 11

LAbg. Martin Mayerl: „Der Preis für die Rückkehr des Wolfes ist hoch.“

Bildung

Seite 17

Die Bauernbund-Winterakademie bietet wieder interessante Veranstaltungen.

Almwirtschaft in Gefahr: Kuh-Urteil ist ergangen Das Urteil im Zivilprozess nach einer tödlichen Kuh-Attacke auf eine 45-jährige Deutsche im Juli 2014 im Tiroler Stubaital ist vergangenen Donnerstag ergangen. Demnach muss der vom Witwer beklagte Landwirt 490.000 Euro zahlen. Der Bauer will gegen das Urteil berufen.

D

ieses Urteil ist eine Katastrophe für die Alm- und Weidewirtschaft in Tirol und hat verheerende Auswirkungen bereits für den heurigen Almsommer“, so Bauernbundobmann LHStv. Josef Geisler zu den Konsequenzen. „Dieses Urteil eines Einzelfalles stellt die Almwirtschaft, wie wir sie bisher gekannt und seit Jahrhunderten praktiziert haben, in Frage.“ Er führt weiter aus: „Im Falle, dass auch die weiteren Instanzen dieses Urteil bestätigen, ist zu befürchten, dass das Miteinander von Landwirtschaft, Freizeitwirtschaft und Tourismus in der gewohnten Art und Weise kein Fortbestehen mehr haben wird. Der althergebrachte Almbetrieb wird damit nicht nur in Frage gestellt, sondern existenziell gefährdet. Zu befürchten ist, dass in Zukunft auch die strafrechtliche Relevanz bei vergleichbaren Zwischenfällen neu beurteilt wird.“

Almwirtschaft in Gefahr Auch wenn der Landwirt jetzt in Berufung geht, so hat das vorliegende Urteil bereits massive Auswirkungen auf den bevorstehenden Almsommer. Geisler schildert drei Möglichkeiten, welche die Tiroler Bauern haben: „Eine

FOTO: IRENE PRUGGER

Seite 10

Immer wieder entbrennen Konflikte zwischen Kühen und Wanderern. Besonders gefährlich kann die Situation werden, wenn auch Hunde involviert sind. (Symbolbild)

Möglichkeit wäre, die Tiere zuhause zu lassen und nicht mehr aufzutreiben, was eine Verwilderung und Verbuschung unseres Landes mit sämtlichen Folgen wie Lawinen und Umweltkatstrophen zur Folge hätte. Die zweite Möglichkeit wäre, die Tiere nach wie vor aufzutreiben, jedoch das Almgebiet für sämtlichen Fußgängerverkehr insbesondere mit Hund zu sperren, weil eine Abzäunung aller Wanderwege praktisch nicht möglich ist. Und die dritte Variante wäre, dass unsere Bauern so weitermachen wie gehabt und dabei in Kauf nehmen, dass im Falle eines ähnlichen Vorfalles die Existenz der bäuerlichen Familie mit Haus und Hof auf dem Spiel steht.“ LHStv. Geisler fasst zusammen: „Das Wanderparadies Tirol ist damit massiv gefährdet. Als Obmann des

KOMMENTAR

Tiroler Bauernbundes fordere ich klare Signale in Richtung Alm- und Weidewirtschaft vom Tourismus, vom Alpenverein und von allen Nutznießern eines funktionierenden Almgebietes. Von Seiten des Gesetzgebers werden die nötigen gesetzlichen Maßnahmen zum Schutz der heimischen Almwirtschaft geprüft und in die Wege geleitet. Letztendlich geht es darum, ob die Almwirtschaft in Tirol überhaupt noch gewünscht ist.“

Einzige Möglichkeit? „Unter dem Strich bleibt uns nur eine Möglichkeit: Nachdem man den Bauern nicht empfehlen kann, ihre Rinder zuhause zu lassen, bleibt in letzter Konsequenz, die Wanderwege auf den Almen für Wanderer zu sperren“, schließt Josef Geisler.

Bauernbundobmann Josef Geisler

BAUERNBUNDDIREKTOR BR. DR. PETER RAGGL

Almwirtschaft massiv bedroht Der Richterspruch zum bedauerlichen Zwischenfall auf der Pinnisalm im Jahr 2014 kam überraschend und macht Bauern gleich wie große Teile der Bevölkerung betroffen. Vor allem macht uns das Urteil jedoch fassungslos, weil es einen Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung darstellt, stand doch bisher bei Unfällen auf Almen, mit oder ohne Hund, immer noch die Eigenverantwortung im Zentrum. Mit dem zugesprochenen Schadenersatz in bisher unvorstellbarer Höhe ändert sich das nun schlagartig. Diesem Rechtsspruch ging eine jahrhundertelange Alm- und Weidetradition voraus, die nun aufgrund eines Einzelfalles auf einmal ins Wanken gerät. Es steht uns ein schwieriger Almsommer bevor, der bereits in wenigen Monaten beginnt und vor allem die Unsicherheit mit sich bringt, was raggl@tiroler-bauernbund.at

FOTO: BAUERNZEITUNG

Monitoring

bei einem möglichen nächsten Zwischenfall sowohl zivil- als auch strafrechtlich passieren wird. Die Angst bei den Bauern wächst, die ersten haben bereits entschieden, ihre Almen komplett für Wanderer zu sperren, um nicht ihre Existenz aufs Spiel zu setzen. Es geht aber auch um die Zusammenarbeit von Tourismus und Landwirtschaft, denn in kaum einem anderen Zweig wie in der Almwirtschaft wird so gut ersichtlich, wie eng sich die beiden Partner gegenseitig bedingen – geht der eine, bleibt auch der andere nicht lange. Nun bleibt zu hoffen, dass rasch Lösungen zum Selbstschutz der Bauern gefunden und umgesetzt werden. Es sind alle Partner der Landwirtschaft aufgefordert, ein klares Signal für die Absicherung der Almwirtschaft zu geben und die Almbauern nicht alleine zu lassen.


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.