Die Kirche »St. Marien« zu Orlamünde Als bedeutendster Pfarrer wirkte im Orlamünder Amt zweifellos Dr. Andreas Bodenstein aus Karlstadt und auch so genannt. Zunächst eifriger Mitstreiter Luthers, dann unbeugsamer Widerpart, proklamierte er als Archidiakon des Wittenberger Allerheiligenstifts schon vor dem Reformator seine eigenen evangelischen Thesen. Er drang darauf, sämtliche Heiligenbilder aus den Kirchen zu entfernen und die Anbetung allein an Gott zu richten. Als „Bilderstürmer“ zu radikal für Luther, kam es zwischen beiden zum Zerwürfnis und Karlstadt im Mai 1523 nach Orlamünde, dessen Pfarrei dem Allerheiligenstift unterstand. Er ließ natürlich hier die Heiligenbilder und die Kunstschätze aus „St. Marien“ und den Kirchen des Sprengels entfernen, die der Heiligenverehrung dienenden Nebenaltäre abreißen und predigte deutsch. Er verzichtete auf seinen „Doktor“, tauschte den Gelehrtenrock mit dem Bauernkittel und ging als Bruder Andres unter die Leute. Seine Volksnähe zog von weither die Bauern in die Kirche, zudem disputierte er mit den Bürgern und nahm die Ratsherrn für sich ein. Als Luther ihn mit dem „Schwarmgeist“ Müntzer gleichsetzte, schrieben die einen geharnischten Brief nach Wittenberg und brachten damit den selbstherrlichen Reformator gegen sich auf. Der reiste nach Jena, wo es im „Schwarzen Bären“ zu einem Streitgespräch mit Karlstadt kam, dann nach Orlamünde. Dort ließen ihn Stadtrat und Gemeinde abblitzen, wegen seiner überheblichen Art, vor allem aber standen sie fest zu ihrem Pfarrer. Wütende Frauen drängten Luther dem Sagen nach auf einen Misthaufen. Der verfluchte sie darob: alle Brunnen in der Stadt mögen versiegen. Vielen Orlamünderinnen wuchsen später Kröpfe. Noch heute spotten die Unterstädter bei passender Gelegenheit über die in der oberen Stadt wohnenden „Kropfberger“. Für Karlstadt endete der Streit indessen tragisch. Luther blieb unversöhnlich. Er betrieb die Suspendierung seines Widersachers und dessen Ausweisung aus Kursachsen. Karlstadt führte daraufhin ein armseliges Wanderleben, bis er 1534, rehabilitiert von der Universität Basel, dort als Professor für Theologie wieder eine Wirkungsstätte fand. Auch Thomas Müntzer weilte, vermutlich im Juni 1819, in Orlamünde im Pfarrhaus bei Karlstadts Vorgänger, dem Vikar Konrad Glitsch.
„Die erste Kirche ließ Graf Otto II. von Weimar und Orlamünde bauen, der sich 1057 mit seiner Frau Adelheid hier niederließ. Einer alten Kirchenurkunde nach stand sie bereits 1067 neben der Burg oben auf dem Bergsporn über der Saale. Zur ‚Urpfarrei’ Orlamünde gehörten damals 22 Dörfer. Offenbar bald zu klein für die wachsende Gemeinde, erfuhr sie unter dem Grafen Sigfrid III. zwischen 1176 und 1206 eine grundlegende Erneuerung. Erzbischof Konrad von Mainz weihte die ‚Marienkirche vor der Stadt’ im Jahre 1194. So konnten wir 1994 ihr 800-jähriges Bestehen feiern“, fasst Pfarrer Dr. Wolfgang Freund die Entstehungsgeschichte „seiner“ ehrwürdigen Kirche kurz zusammen. Als Baufacharbeiter mit Abitur studierte der gebürtige Meininger zunächst Arbeitspsychologie, dann, weil ihm dieses Gebiet zu eingeengt erschien und er es um Wissen über das Seelenleben der Menschen erweitern wollte, Theologie in Jena und bei Friedrich Schorlemmer in Wittenberg. Inzwischen wirkt er seit über zwanzig Jahren als Seelsorger in „St. Marien“. „Teile des heutigen unteren Turmgeschosses stammen vermutlich noch aus dem zwölften Jahrhundert. Was die einstige Gestaltung des Kirchenraumes betrifft, gibt es die berechtigte Vermutung, dass er neben der Andacht auch der Präsentation von Kunstsinn und Reichtum diente. Bis zum Einzug der Reformation und Karlstadts gab es fünf Altäre zur Anbetung verschiedener, in geschnitzten Skulpturen „verewigter“ Heiliger. Eine Inschrift an der Südseite des Kirchturmes weist auf bauliche Veränderungen ab 1504 hin. Damals erhielt das Turmdach eine gotische Form, die heutige, mit der offenen Laterne und der Schweifkuppel dann 1651, nach den auch für Orlamünde verheerenden Folgen des Dreißigjährigen Krieges. Das Langhaus in seiner jetzigen Gestalt entstand erst mehr als hundert Jahre später.“ Den heutigen lichten Kirchenraum schmücken als mittelalterliche Relikte ein um 1300 herum aus Sandstein gehauener Taufstein und ein etwa 150 Jahre jüngeres, spätgotisches Kruzifix. Die Orgel im barocken Prospekt dagegen ist nagelneu. Das 1920 von Otto Ladegast gebaute Instrument erwies sich aufgrund inflationsbedingt verwendeten minderwertigen Materials als nicht mehr bespielbar. Für eine neue Orgel gab es keinerlei Förder-
mittel, wohl aber für die Wiederherstellung der historisch wertvolleren, 1782 vom Uhlstädter Orgelbauer Sigmund Voigt vollendeten Vorgängerin. So fasste die Kirchgemeinde anlässlich der 800Jahr-Feier den feierlichen, trotzdem noch kostspieligen Beschluss, die Firma Rösel & Hercher aus Saalfeld mit dieser Aufgabe zu betrauen. Zehn Jahre lang sammelte nun die Gemeinde Spenden ein, verkaufte alte Orgelpfeifen als Liebhaberstücke, auch die Partnergemeinde im württembergischen Schnait beteiligte sich, um das erforderliche eigene Drittel zur Finanzierung aufzubringen. Immerhin 100 000 DM. Je ein weiteres Drittel trugen Denkmalpflege und Landeskirche bei. Am 29. Oktober 2000 weihte der brillante Jenaer Organist Dr. Hartmut Haupt, der auch die Rekonstruktion als Orgelsachverständiger begleitet hatte, das kostbare Stück feierlich ein. Neben einigen großformatigen Bildnissen streng dreinblickender Orlamünder Geistlicher an den Wänden fällt besonders ein originelles Reliefbildnis des Kurfürsten Johann Friedrich I. auf. Als dieser nach dem Schmalkaldischen Krieg in kaiserliche Gefangenschaft geriet, wendeten sich viele seiner Verbündeten und „Freunde“ von ihm ab. Nicht so die Orlamünder. Da ließen seine Söhne das eigenwillig naturalistische Konterfei aus Pappmaché anfertigen und stifteten es ihnen für die erwiesene treue Gefolgschaft. Offenbar eine den Bürgern eigene Tugend, die sie ja auch Karlstadt gegenüber bewiesen. Ein gleichzeitig angefertigtes Duplikat des Porträts hängt im Weimarer Residenzschloss. Von Dr. Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt respektive „Bruder Andres“, existiert vermutlich nur ein einziger zeitgenössischer Holzstich. An sein Wirken im Pfarrsprengel Orlamünde erinnert ein Gedenkstein vor der Kirche.
Evangelisch-lutherisches Pfarramt Burgstraße 65 · 07768 Orlamünde · Telefon 03 64 23/2 24 03 pfarrer.freund@web.de 22