Theatermusik. Analysen und GesprÀche

Page 368

Theatermusik als community of practice. Versuch einer Analyse

und es hat nie irgendwas gestört. Gollasch hingegen beschreibt sein Interesse an NebengerĂ€uschen im Musiziervorgang selbst: Ich habe gestern eine Geigerin aufgenommen, die beispielsweise unter anderem Flageoletttöne produziert hat: Wenn ich das aus drei Metern Entfernung aufnehme, habe ich viel Raum mit drauf und einen schönen Klang, aber wenn ich ganz nah rangehe, dann knistert jedes HĂ€rchen vom Bogen mit. Und diese Hyperakustik, diese IntimitĂ€t, die mag ich sehr gerne. Zwischen Musik und GerĂ€usch Diese AffinitĂ€t zum â€șRauschenâ€č,73 zum Körnigen des Klangs, spiegelt sich auch im Interesse der Theatermusiker*innen wider, im »Grenzbereich zwischen GerĂ€uschen, Sound und Musik« (Crummenerl) zu arbeiten. Theatermusik reiht sich hier in eine reiche Traditionslinie des 20. Jahrhunderts ein, mit einem erweiterten Musikbegriff zu operieren, bei dem GerĂ€usche systematisch miteinbezogen werden oder gar zum Zentrum von Kompositionen avancieren.74 Gollasch und Crummenerl beziehen sich z. B. explizit auf Mauricio Kagel und John Cage, Beckenbach hat am IRCAM [Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique] studiert, Heiß fand Inspiration bei Pierre Henry und Pierre Schaeffer, und Preuss sagt explizit: »Wichtig ist bei mir immer die komplette Gleichberechtigung von GerĂ€usch und Musik.« Dabei sind mindestens zwei Aspekte wichtig: Rudolph erzĂ€hlt zum einen, dass eine Faszination an allen KlĂ€ngen fĂŒr sie Motor und Inspiration sei, da diese immer auch ein narratives Potenzial hĂ€tten:

Im Alltag bin ich sehr hellhörig, meine Ohren sind immer in alle Richtungen offen. Kennst du den Sound, der entsteht, wenn man ein frisches Nutella-Glas aufmacht? Da kann ich mich wie ein Kind drĂŒber freuen. Ich mag es grundsĂ€tzlich sehr, mit AlltagsklĂ€ngen zu arbeiten und zu schauen, was diese KlĂ€nge auslösen. Teile meiner Filmmusik habe ich mit KĂŒchenutensilien und AlltagsgegenstĂ€nden aufgenommen. Wittershagen beschreibt zum anderen, wie die GerĂ€uschwelt des Theaters insgesamt in der Theatermusik mitgedacht werden muss, ja, von ihr gar nicht klar zu trennen ist:

366

TdZ_Recherchen151_Theatermusik_RZneu.indd 366

15.10.19 21:57


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
Theatermusik. Analysen und GesprÀche by Theater der Zeit - Issuu