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/ TdZ Mai 2020 /
Der Irrwitz wohnt im Hinterhof Ein halbes Jahrhundert Eigensinn und Gaudi – Zum Jubiläum der freien Bühne TamS in München
Jürg Kienbergers Hommage an Huldrych
Julian Nagelsmann mit der Heisenberg’schen
in dem Schauspieler gemeinsam mit Psychia-
Zwingli war kaum über die Bühne gegangen,
Unschärferelation verknubbelt. Damals wie
triepatienten, deren Pflegern und Ärzten auf
da wurden die Geburtstagsfeierlichkeiten des
heute vermögen Vergeblichkeitsakrobaten wie
der Bühne stehen. Auch das 2009 begrün
TamS vom Virus gestoppt. Die fast 100-jäh
Burchard Dabinnus den Aufbau von Noten-
dete inklusive Grenzgänger-Festival gehört
rige Charlotte von Bomhard hätte das nächste
oder Mikrofonständern zu einer Parabel auf
inzwischen fest zum TamS. Und seit 2013
der Gastspiele von Freunden und Weggefähr-
das Leben als immerwährenden Versuch aus-
leitet der Regisseur und Puppenspieler
ten bestellen sollen, in deren Vorbereitung das
zubauen. Damals wie heute kapriziert sich die
Lorenz Seib mit Spola das Haus. Einige der
Leitungsteam der freien Bühne im Münchner
TamS’sche Welterforschung auf die kleinen
schönsten Inszenierungen der vergangenen
Stadtteil Schwabing ein halbes Jahr Arbeit
Dinge, die Suche, das Hinterfragen, die
Jahre gehen auf sein Konto – wie etwa das
gesteckt hat. Dann musste – wie überall –
Gaudi und das kindlich-weise Spiel.
musikalische Vexierbild des Stillstands „War-
alles auf Eis gelegt werden. Begonnen hatte
In dem üppig illustrierten Jubiläums-
tungsarbeiten“ mit der Express Brass Band,
die Sause zum halben Jahrhundert des Thea-
band „TamS Theater 50“ gratulieren (ehema-
ein irrwitziges und zartes Puppenspiel für die
ters am Sozialamt – so der volle Name des
lige) Mitstreiter wie der Kabarettist Gerhard
ganze Familie nach Philip Ardaghs Roman
TamS – passgenau schon im Februar, weil am
Polt, der im TamS den Wohnort der Fantasie
„Schlimmes Ende“, oder die Odyssee-Varia
27. Februar 1970 ein junges Puppenspieler-
ausmacht. Hier sieht man den späteren
tion „Sie sinken, wir winken“, in der auf dem
und Pantomimenpaar das ehemalige Brause-
Regisseur Herbert Fritsch als Jungschauspie-
Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise
bad in der Haimhauserstraße 13 erstmals mit
ler in seiner ersten Rolle – und Jörg Hube, der
der Massengrabcharakter des Mittelmeers
Bühnenleben füllte.
in diesem Nukleus der Theatergeschichte
mitschwang.
Die Karl-Valentin-Weide, die der Sprach-
auch Regie führte, in seiner letzten großen.
Eigentlich ist es ein schlechter Witz,
spieler Philip Arp und seine Frau Anette
Sepp Bierbichler spielte, Urs Widmer schrieb
dass sich ein Haus mit einer solchen Ge-
Spola zwei Jahre später pflanzten, wächst bis
und inszenierte an dem Ort, wo 1991 auch
schichte noch immer alle paar Jahre neu für
heute in der Schwabinger Hinterhofoase,
Jürg Kienbergers und Ruedi Häusermanns
die städtische Förderung bewerben muss. Der
deren gepflegte Wildheit etwas Präparadie
legendär-versponnener Abend „Baden zusam-
Vertrauensbeweis durch eine Carte blanche
sisches hat. Während die schwere Eingangs-
men“ uraufgeführt wurde. Und allein die
ist der größte Geburtstagswunsch von Spola.
tür ins innere Eden chronisch klemmt, flut-
schwerelosen Kunstwerke, die der früh ver-
Doch nun herrscht erst einmal Corona, und
schen die Aufführungen auf der Minibühne
storbene Eberhard Kürn einem nur zehn mal
Seib erzählt, dass die nächste Eigenproduk
umso geschmeidiger. Von Arps erstem „Valen
vier einhalb Meter kleinen Bühnen-„Hand
tion „Womöglich weltfremd“ Anfang Mai zu-
tinaden“-Abend, der im Juni 1971 den exis-
tuch“ ohne Unter- und Überbau abrang,
nächst ein Film wird, zusammengeschnitten
tentialclownesk-melancholischen
wären einen eigenen Bildband wert.
aus Video-Archivmaterial, das ursprünglich in
TamS-Stil
begründete, über Valentins „Weltuntergang –
Nach dem ebenfalls viel zu frühen Tod
einen Theaterabend integriert werden sollte.
Riesenblödsinn“ 1996 bis zur Jubiläums
Philip Arps 1987 leitete Anette Spola das
Die Option, das nachzuholen, wolle man
premiere „Trotz des großen Erfolgs. Eine
Haus alleine weiter. Von ihr wird erzählt, dass
sich offenhalten, so Seib. TamS-Getreue und
Revue des Scheiterns“ im Januar dieses Jah-
sie Neuzugänge statt nach ihrer Ausbildung
s olche, die es werden wollen, können bis
res hat sich das von der Süddeutschen Zei-
nur danach fragt, ob sie mit einem Besen
dahin im ständig erweiterten „Heimtheater“-
tung zum „Welthinterhoftheater“ geadelte Haus
umgehen können. So verfangen sich denn
Bereich auf der hauseigenen Website weiter-
seine zeitgeistresistente Unverwechselbarkeit
im TamS-Netz und seinem „asymmetrischen“
träumen, ihren Lebenskunst-Sinn auffrischen –
bewahrt. Und den menschenfreundlichen
Ensemble mit Vorliebe Leute, die mit an
und natürlich gerne auch spenden. //
Trotz, mit dem es in die Nischen schaut, in
packen wollen, ob Stadttheater-Abtrünni-
denen das Krause und Widerständige blüht.
ger, Freie-Szene-Gewächs oder sogenannter
Den Buchbinder Wanninger seinen
Sabine Leucht
Laie.
kafkaesken Telefonmarathon auf Arabisch
1981 stand der unter der Glasknochen-
bestreiten zu lassen, wie es der wunderbare
krankheit leidende Peter Radtke erstmals auf
Gerd Lohmeyer 1996 bis fast zum Stimmband-
der Bühne des TamS. Das war lange bevor er
kollaps tat, darauf muss man erst mal kom-
zum Tabori-Schauspieler und das „inklusive
Das Buch zum Jubiläum „TamS Theater 50“ wurde
men. Ebenso auf einen Vortrag, der 24 Jahre
Theater“ ein fester Begriff wurde. Seit 1998
von Anette Spola und dem TamS e. V. herausgege-
später die Weisheiten von Robert Habeck und
ist das TamS die Heimat des Theater Apropos,
ben und ist beim Athena Verlag erhältlich.
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