Francesca Bettini und Gyula Molnàr: BIN nicht IM ORKUS

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VOR WORT

Als wir uns an einem heißen Augusttag 2008 erstmals mit Gyula Molnár trafen, um über die Möglichkeit einer Ausstellung in der Sammlung Puppentheater des Münchner Stadtmuseums zu sprechen, ahnten wir noch nicht, was für eine fruchtbare Beziehung sich aus dieser Begegnung entwickeln sollte. Molnár war bereits seit Mitte der 1990er Jahre mit seinen Inszenierungen Gast auf dem Münchner Figurentheaterfestival gewesen. 2002 hatte er zusammen mit Christian Carrignon, Annette Scheibler und Katharina Wibmer im Depot der Sammlung den verrückten kleinen Film Object Emotions gedreht. Wir hatten Gyula Molnár um dieses Gespräch gebeten mit der noch völlig unklaren Absicht, eine Spur seiner theatralen Denk- und Handlungsweise in einer Ausstellung auf circa 160 Quadratmetern zu präsentieren. In Reaktion hierauf bestand er auf der Notwendigkeit, bei einem nächsten Treffen zusammen mit seiner künstlerischen Weggefährtin Francesca Bettini einen Tag lang im völlig leeren Ausstellungsraum über das Konzept nachdenken zu können. Denn eines wollte Molnár auf keinen Fall: eine rein historische Werkschau mittels Fotografien, die seine Person in den Mittelpunkt gestellt hätte. Mit der Zusage, eine Rauminstallation zu schaffen, verbanden Molnár und Bettini die Bedingung, 2009 mit internationalen Künstlerfreunden an der Ausstellung arbeiten zu können. Die Rauminstallation entwickelte sich parallel zum Theaterstück Kasperls Wurzeln und bildete den Inszenierungsprozess räumlich ab. In der Überschneidung von Theaterproduktion und Raumgestaltung erschufen Molnár und Bettini ein für das Museum neuartiges Ausstellungsformat. 2011 wurde der Endlichkeit einer Ausstellung die Zerstörung der Installation zugunsten der Erstellung eines Films entgegengesetzt. Mit Bin im Orkus. DER FILM entstand eine zweite Spur, die sich als Dokumentation des Projektes bis zu diesem Zeitpunkt verstand. Nach all diesen Aktivitäten erschien es zwingend, die Ausstattung des Theaterstückes Kasperls Wurzeln nach der letzten Aufführung 2017 für die Sammlung Puppentheater zu erwerben. Sinnvollerweise ergänzt durch eine Dokumentation, die den Abschluss des nun dreiteiligen Projektes besiegeln sollte. Hieraus entwickelte sich das mit dieser Publikation vorliegende Format. Ein Comic, der den Übergang aus der theatralen in die museale Welt thematisiert: eine Reflexion über die Vergänglichkeit, über die Augenblickskunst Theater, über das, was für immer dem Vergessen anheimfällt, und über das, was bleibt. Mit dieser erneuten Zusammenarbeit wagen wir die These einer dritten Spur. Soll die Sammlung sich in Zukunft anmaßen, als (Ko-)Produzent der eingehenden Exponate zu agieren? Wir bedanken uns bei Francesca Bettini und Gyula Molnár für die inspirierende Zusammenarbeit und die Freundschaft, die im Lauf der Jahre entstanden ist. Unser Dank geht auch an den Verlag Theater der Zeit, der mit diesem Buch ein in völliger Naivität durchgeführtes Wagnis dokumentiert. Mascha Erbelding und Manfred Wegner

Vorgeschichte Tagebuch aus Matsch Im Jahr 2009 gestalteten Künstler aus Italien, Frankreich, Österreich und Deutschland unter Leitung von Gyula Molnár und Francesca Bettini die Ausstellungsinstallation Bin im Orkus. Ein Tagebuch aus Matsch für die Sammlung Puppentheater / Schaustellerei des Münchner Stadtmuseums. Zum Raumkonzept: » Der Raum ist eine Werkstatt, in der einige Kreaturen das Licht der Welt erblicken und mit ihren ersten Schritten einer möglichen Geschichte entgegengehen. Die Wände sind die Seiten eines Tagebuches, aus denen man die Entwicklung eines Theaterstückes lesen kann.«

Bin im Orkus. Nach Ablauf der Ausstellung von 2009 brachte es die Sammlungsleitung nicht über das Herz, das Tagebuch aus Matsch kaltblütig im Orkus der Münchner Abfallwirtschaft verschwinden zu lassen, und bat Gyula Molnár und Francesca Bettini, die Installation als Material und Kulisse für eine zweite, filmische Spur ihrer theatralen Denk- und Produktionsweise zu nutzen. Bin im Orkus. (Der Film) 2011, ca. 30 Minuten Buch und Regie: Gyula Molnár und Francesca Bettini Kamera: Claudio Coloberti Schnitt: Gyula Molnár und Claudio Coloberti Mitarbeit: Olivia Molnár, Tristan Vogt, Eva Kaufmann, Alexandra Kaufmann

Kasperls Wurzeln (2009) von Molnár & Bettini und Kaufmann & Co. Spiel: Gyula Molnár, Alexandra Kaufmann, Eva Kaufmann Regie: Francesca Bettini Licht: Werner Wallner Produktion im Auftrag von Linz09 in Koproduktion mit FIDENA Bochum Unterstützt durch den Fonds Darstellende Künste und Les Coproducteurs Anonymes. Zum Inhalt des Stückes: Bei der Auflösung der Wohnung seiner verstorbenen Tante entdeckte Gyula Molnár in altes Zeitungspapier eingewickelte Kasperlpuppen. Sie waren verschimmelt und von Motten und Holzwürmern zerfressen, zerfielen in seinen Händen zu Staub. Nur wenige von ihnen konnten gerettet werden. Kasperl war nicht darunter, weder unter den Geretteten noch unter den Zerfallenen. In der Inszenierung Kasperls Wurzeln steigt Molnár hinab in die Unterwelt, wo Kasperl auf der Suche nach der Großmutter verschwunden ist.


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