The Gap 132

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Far Cry 3 —— tiere und schiessen Tocotronic / thomas feuerstein / EDM-boom 132 Magazin für Glamour und Diskurs.

»AnschluSS Oida, wegen des Qualitäts.« – Eine Thomas-Weber-Martin-Mühl-Koproduktion auf der Klausur.

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MONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 132, DEZEMBER 2012 / JÄNNER 2013

Beasts Of The Southern Wild. Der Nino aus Wien. Action Bronson. Post Doku Hype. Roboter. Toro Y Moi. Neue Politshow-Formate. Yael Bartana. Vienna Open. Chasing Aurora. Im Wortwechsel: Soll man sinnlose Gesetze ignorieren?

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Nina durfte sich von den kosmetischen Qualitäten der Farben überzeugen.

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Zuerst haben wir Street Art verlost. Dann hat Nina über 860 Likes gesammelt. Jetzt hat sie einen echten Boicut an der Wand. Angefangen hatte alles ganz harmlos mit dem Hinweis, dass The Gap Roomservice ein Kunstwerk für die heimische Wand verlost. Nina hatte dann offenbar die besten und meisten Facebook-Freunde. Und so klopften wir eines schönen Tages im November zusammen mit Boicut an Ninas Tür. Das Ergebnis ist eine Kamera auf Fingern mit einem Pudding drunter, aus dessen Mündern Rettichwürste hängen. Zumindest glauben wir das. Und gratulieren natürlich herzlich. Das Video zur Aktion: www.thegap.at/roomservice

Nachmachen empfohlen. Boicut hat das Artwork vorher mit Bleistift skizziert. Dann kam Farbe an die Wand.

Tipps von Boicut: Keine Angst vor Fehlern — Du bist selbst dein schärfster Kritiker. Aber hab keine Angst vor Fehlern. So entstehen oft die besten Ideen. Brainstorming — Der Start ist immer das Schwierigste. Du hast unendlich viele Möglichkeiten, solange das Papier noch weiß ist. Nimm dir Zeit und denke in Ruhe nach: Was willst du machen? Warum? Wie? Skizze — Sobald die Idee steht, mach eine Skizze auf Papier. Farben — Gute Farben sind wichtig. Achte auf Deckkraft und Konsistenz. Du kannst Deine Skizze auch einscannen und im Bildbarbeitungsprogramm deines Vertrauens mit Farbkombianationen herumexperimentieren. Wandskizze — Bevor du beginnst, mache mit Bleistift eine Skizze in Originalgröße direkt an die Wand. So bekommst du eine Vorstellung von Größe und Proportionen. Du musst dich nicht zu 100% an die Skizze am Blatt halten. Verändere nach Gefühl einzelne Elemente und gehe auf die Wand ein. Zurücktreten — Mach von Zeit zu Zeit eine Pause und betrachte Dein Artwork aus einiger Entfernung. So verlierst du nicht den Überblick.

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Das gibt es in keinem Möbelhaus: Street Art über dem Sofa, handgeschöpft und echte, glückliche Gesichter.

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MEIN PAPA MACHT … eigentlich nix.

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Leitartikel von Thomas Weber.

Wir Draufgänger   Von ungeschriebenen Gesetzen und der ernüchternden Einsicht, vielleicht doch ein typischer Österreicher zu sein. Ein paar lustlose Gedanken zum Gesetzesbruch. Alles Verbrecher!

egeln? – Gehören gebrochen. Die Freiheit? – Endlich unendlich. Grenzen? – Die existieren doch bloß im Kopf der armseligen Kreatur, die nicht an sich selbst und ihre Fähigkeiten glaubt, diese aus eigener Kraft hinter sich zu lassen. Gesetze? – Für Obrigkeitshörige, die zu feig sind, sich bei vollem Bewusstsein auf Ungewisses einzulassen. Wir Draufgänger! Was für ein wildes, lasterhaftes Leben! Tatsächlich, glaube ich, breche ich kaum einmal Gesetze. Genau kann ich es nicht sagen, weil ich – wie die meisten – die wenigsten Gesetze wirklich kenne. Dennoch überrascht mich diese Einsicht. Gefühlsmäßig hätte ich gedacht, den Pfad des Gesetzes jeden Tag mehrmals um ein paar Handbreit zu verlassen. Doch beim gedanklichen Durchgehen eines durchschnittlichen Tages ist da wenig geblieben, das gegen geltendes Gesetz verstoßen könnte, seit ich vor Jahren das Kiffen eingestellt (verjährt!) und beschlossen habe, in eine U-Bahn-Jahreskarte zu investieren. Auch fad irgendwie. Wobei sich natürlich schon die Frage aufdrängt, warum man plötzlich vor sich selbst als fad und spießig dasteht, wenn man draufkommt, eher keine Gesetze zu brechen.

fast alles irgendwie wahrgenommen (auf Kameras), aufgezeichnet (auf Servern) und registriert (in sozialen Netzwerken) wird, macht mir das manchmal Angst. Weil unser Leben dadurch zwar bequemer und einfacher wird. Es dabei letztlich aber kaum einmal um uns als Bürger geht, sondern stets um mich als Nutzer und Konsument. Ich werde vereinzelt verwertet. Meine kriminelle Energie mehrt das auch nicht, lediglich die Lust, das eine oder andere »Service« vielleicht auszutricksen. Wobei das Wissen, dass dies letztlich dazu beitragen wird, dieses Service zu verbessern, die Lust gleich wieder ein wenig mindert. Wegklicken, ja. Ausklinken, nein. Wäre wohl auch sinnlos. Was also bleibt von der Einsicht, doch kein geborener Gesetzesbrecher zu sein? Hm. Wieder mal eine Lebenslüge beseitigt. Auch nicht nix. Bild michael winkelmann

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Sind das Reste eines nicht oder nur halbherzig überwundenen Rock’n’Roll-Gehabes? Ist gar Hollywood schuld, weil es Gauner und Diebesgesindel mag und Cops nur dann cool ausschauen lässt, wenn sie sich brutal über (sinnlose) Regeln und (starre) Hierarchien hinwegsetzen? Immerhin: Zumindest als Einzelkämpfer gehe ich durch. Denn meine These, dass sich auch die Kollegen selbst – wie ich – unreflektiert als mittelgroße Verbrecher sehen, ist bei einer Blitzumfrage in sich zusammengebrochen. Maximal Kavaliersdelikte. Der eine telefoniert beim Autofahren ohne Freisprecheinrichtung, Frau Nebenerwerbs-DJ lässt sich ihre abendlichen Auftritte statt gegen Honorarnoten schon einmal in Naturalien auszahlen, sonst: Schwarzfahren, Downloaden, Partydrogen. Aber allesamt nichts Großartiges – und das immerhin bei einem Sample von 14 Befragten. Offensichtlich habe nur ich mich bislang als Gesetzesbrecher gesehen. Das muss, wie so vieles, seine Wurzeln in der Kindheit haben. Noch als Jugendlicher war ich davon überzeugt, fast alles würde irgendwie wahrgenommen, aufgezeichnet und überwacht. Vielleicht war das die letzte Ahnung einer Gottespräsenz, vielleicht aber auch bloß zutiefst österreichisch, denn die Beamtenmentalität dieses Landes baute lange auf geschützten Räumen, geregelten Abläufen und falschen Sicherheiten. Beunruhigt hat mich das nicht. Es war ein langer Prozess, der mir das ultimative Big Brother Watching Me-Bewusstsein ausgetrieben hat: Lesen, Kultur und die Beschäftigung mit Wirtschaft haben zur Erkenntnis beigetragen, dass es okay ist, Dinge einfach zu tun, zu unternehmen, auszuprobieren. Dass nichts gottgegeben ist und Gesetze abänderbar und Auslegungssache sind und dazu da, dem Menschen zu dienen (siehe dazu Seite 046f). Heute, wo ich weiß, dass tatsächlich

Thomas Weber Herausgeber weber@thegap.at @th_weber

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EDM In den USA geht es neuerdings elektronisch rund. Wenn man jemandem die Schuld daran geben will, dann wohl David Guetta und Skrillex. EDM heißt das seit ein paar Monaten – Electronic Dance Music. Da passt ganz viel drunter, viel Schlechtes und viel Gutes, vor allem aber viel Schlechtes ... meint zumindest Sebastian Hofer nach ein paar Monaten in Detroit.

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Magazin Far Cry 3 022 —— Den neuen Open-World-Shooter spielt man nicht nur, man taucht in ein ungewöhnlich dichtes Spielerlebnis ein. Ein Lehrstück dafür, was gute Spiele ausmacht. Golden Frame: Yael Bartana 026 —— Die jüdische Künstlerin Yael Bartana hinterfragt nations- und identitässtiftende Momente und vermengt dabei geschickt Politik mit Poesie, Dokumentarisches mit Erfundenem. EDM-Boom in den USA 028 —— 2012 war das Jahr, in dem die Clubmusik Amerika eroberte. Inklusive Neonglitzer und Konfetti. Musikalisches Fastfood, und das ist noch gar nicht das Allerschlimmste. Tocotronic 030 —— »Hey, ich bin jetzt alt«, singen Tocotronic gleich am Anfang. 20 Jahre gibt es die Band, die mit »Wie wir leben wollen« trotzdem kein Manifest, sondern artifizielle Lyrik geschrieben hat. Beasts Of The Southern Wild 032 —— Märchen, Heldengeschichte und Drama – Benh Zeitlins Debütfilm zeigt Hurrikan Katrina durch die Augen eines kleinen Mädchens. Neue Politshowformate 034 —— Nachrichtensendungen sind auf der Jagd nach jungen Sehern. Sind Satireshows die Nachrichten von morgen?

Thomas Feuerstein 036 —— In seinem »Candylab« verwandelt Thomas Feuerstein Gedanken in Zucker. »Pancreas« etwa wird mit Seiten aus Hegels »Phänomenologie des Geistes« gefüttert. Vienna Open: Open Design 038 —— Am Vienna Open Festival ging es um den offenen Austausch von kreativen Ideen. Die Veranstalter Gerin Trautenberger und Berhard Tobola resümieren im Interview. Roboter 040 —— Terminatoren und Robocops gehören spätestens seit »A.I.« und dem Aufkommen von Klonen in Hollywood zum alten Eisen. Eine kleine Kulturgeschichte menschlicher Roboter. Ludic Interfaces 041 —— Bei »Ludic Interfaces«, dem neuen Studiengang der Kunstuni Linz dreht sich alles um Gamification, Digitalität und Technik. departure SWOT Blog 042 —— Der SWOT-Blog beobachtet, was aus neuen Ideen von Musikkreativen über die Jahre entsteht, was gelingt, was stirbt und daraus erwächst. In der ersten Folge: Ntry Smart Ticketing und Siluh Kickoff Europe. Design in Zahlen gieSSen 044 —— Was nicht messbar ist, hat am Markt oft einen viel zu geringen Wert. Ein EU-Projekt will nun die Wirtschaftsleistung von Design in Zahlen festhalten.

kommt bald

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Beasts Of The Southern Wild Da kommen einem ja die Tränen. Wirklich. »Beasts Of The Southern Wild« erzählt von einem Mädchen in New Orleans, das nach einem Hurrikan nicht nur mit der Krankheit des Vaters zurechtkommen muss, sie sieht auch Monster vom Südpol kommen, gegen die sie kämpfen soll. Jonas Vogt hat einen Film gesehen, der eine wunderschöne Hymne und eine perfekte Parabel ist.

032 Rubriken Leitartikel Inhalt Editorial Porträts / Impressum Fondue Unbezahlter Anzeiger Splitter Wortwechsel: Soll man sinnlose Gesetze ignorieren? Workstation: Matthias Hombauer Lyrik: Literaturpreis Ohrenschmaus Blow Up: Nach dem Hype um Dokus Reviews Introducing: Matthias Schoenaerts Termine

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Bild der Ausgabe Das beste Trainingslager aller Zeiten. Monopol, die Mutter von The Gap, fuhr auf Klausur in die Therme Bad Blumau. Und echt: nirgends hat man bessere Ideen und nichts verbindet mehr als mit seinen Kollegen im Thermalbecken zu treiben mit einem Dutzend Kleine Weber (Kleines Soda und Quittenschnaps) intus.

Kolumnen Zahlen, bitte Know-Nothing-Gesellschaft

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Games. Games. Games. — Als wir vor zehn Jahren begonnen haben über Games zu schreiben, wollten wir die Kulturtechnik aus der Schmuddelecke holen und ihr jene Art von Berichterstattung widmen, die unserer Meinung nach fehlte. Seit einigen Monaten ist das Thema allgegenwärtig und durchdringt – ganz nach Johan Huizingas »Homo Ludens« – alle Lebensbereiche. Mit »Ludic Interfaces« (Seite 043) startet an der Kunstuni Linz ein Lehrgang, der spielerische Prozesse zum Ausbildungsmittelpunkt macht, bei Vienna Open (Seite 040), Wiens Open Design-Festival, ist ein offener, verspielter Zugang sowieso Pflicht. Am 19. November diskutierten wir im Rahmen von 20.20 (Seite 015) über Gamification als Methode, um in Unternehmen Veränderungen zu bewirken und als Grundlage jeglichen Fortschritts in einer nicht nur technologisch hochkomplexen Lebensumgebung. Die Review von »Chasing Aurora« (Seite 071) behandelt eine Wiener Produktion und einen Launch-Titel von Nintendos neuer Konsole Wii U, die deren Koop- und Multiplayer-Möglichkeiten nützt, und mit »Far Cry 3« (Seite 022) haben wir auch unser erstes echtes Game-Cover. All diese Zugänge und Themen, das mussten wir feststellen, haben nicht nur den Background Spiel (in all seinen Bedeutungen) gemeinsam, sondern auch, dass sie oft hart zu fassen und beschreiben sind. Das aber ist kein Grund, den Versuch der Vermittlung nicht doch immer wieder zu wagen. One Level up.  Martin Mühl muehl@thegap.at @the_gap

kontribut

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Lisa Schmidt

Matthias Hombauer

Ungeschminkt — Man wird nicht oft so oft auf die Neue angesprochen. Lisa streitet nicht, sie diskutiert nur leidenschaftlich gern. Etwa darüber, welchen Plattenspieler sie sich anschaffen sollte und man schon viermal entgegnet hat: Kauf dir gute Boxen. Oder über schlimme Frauen, die sich in ihren Blogs erst wieder nur mit Mode, Schminken und Backen beschäftigen. Lisa schreibt aber auch vom Fleck weg über nackte Männer in der Kunst, Wankelmut oder Glücksspiel in Wien. So fällt man auf. Oder mit Strebertum – damit Texte möglichst gut überlegt, gut formuliert und trotzdem rechtzeitig fertig werden. Geübt hat die gebürtige Wienerin mit einem PublizistikStudium und dem Blog »Outright«, auf dem sie sich gemeinsam mit Myranda Wiederholz alle Ressorts von Gesellschaftskritik bis Feuilleton teilt. Sie selbst meint, dass sie sich mit zwei Brüdern leicht in Männerzirkeln zurechtfindet – und seien wir uns ehrlich, The Gap gehört leider auch dazu. Dass sie hierher noch dazu ihre regelmäßigen Girl Crushes für starke Frauen mitbringt, von Grimes und Feist bis Lykke Li und Yolandi Visser (Die Antwoord), macht uns hoffentlich bald zu besseren Menschen. Echt jetzt. 

Meister des Moments — Guns N’ Roses live, Papas Zappa-Platten, die dunkle Seite des Metal und »Star Wars« beeinflussten den jungen Matthias Hombauer. »Deine Leidenschaft du ausüben musst, zu kurz das Leben ist«, scheint Yoda ihm eingeflüstert zu haben, als der einstige Padawan der Molekularbiologie beschloss, Musik und Fotografie zu verbinden. Fotos auf Konzerten, damit hat er bei The Gap begonnen, zwischendurch sogar schreibend. Inzwischen beliefert er Magazine, Bands und Labels mit Fotos, von Atari Teenage Riot (15 Jahre The Gap) über Zola Jesus (Waves Vienna) bis Flaming Lips (Tokio, einfach so). Persönlich hat Matthias eine Abneigung gegen Ungerechtigkeit, vor allem bei lauten, unreflektierten Menschen. Oder gegen seltsame Windows-Fehlermeldungen. Gelegentlich flüchtet er auf einsame Bergwanderungen, wo er über Entschleunigung nachdenkt. Bei Konzerten bleibt dafür keine Zeit. Immerhin gilt es, die flüchtigen und magischen Momente einer Rock-Show einzufangen und für uns alle festzuhalten. Bald dann als fixfertiger Biologe und Vollzeitfotograf. blog.matthiashombauer.com 

TEXT sandra adler BILD matthias hombauer

TEXT stefan niederwieser BILD Martin fon

Impressum

HERAUSgeber Thomas Weber chefredaktION Martin Mühl, Stefan Niederwieser Redaktion Ranya Abd El Shafy, Niko Acherer, Gregor Almassy, Michael Aniser, Matthias Balgavy, Claire Benedikt, Josef Berner, Sandra Bernhofer, Liliane Blaha, David Bogner, Manuel Bovio, Ivo Brodnik, Stephan Bruckner, Klaus Buchholz, Johannes Busching, Ann Cotten, Lisa Dittlbacher, Andreea Dosa, Margit Emesz, Juliane Fischer, Holger Fleischmann, Philipp Forthuber, Manuel Fronhofer, Daniel Garcia, Lisa Gotthard, Manfred Gram, Dominique Gromes, Benedikt Guschlbauer, Jan Hestmann, Christoph Hofer, Sebastian Hofer, Lukas Hoffmann, Peter Hoffmann, Michael Huber, Konstantin Jakabb, Reiner Kapeller, Iris Kern, Markus Keuschnigg, Hubert Kickinger, Michael Kirchdorfer, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Katrin Kneissl, Markus Köhle, Christian Köllerer, Rainer Krispel, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Gunnar Landsgesell, Enrico R. Lackner, Artemis Linhart, Ali Mahlodji, David Mochida Krispel, Christiane Murer, Nuri Nurbachsch, Michael Ortner, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Karolina Podolecka, Christian Prenger, Mahdi Rahimi, Teresa Reiter, Werner Reiter, Kevin Reiterer, Tobias Riedl, Georg Russegger, Joachim Schätz, Barbara Schellner, Bernhard Schmidt, Werner Schröttner, Richard Schwarz, Katharina Seidler, Wolfgang Smejkal, Cornelia Stastny, Roland Steiner, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Peter Stuiber, Asha Taruvinga, Martin Tschiderer, Hanna Thiele, Horst Thiele, Raphaela Valentini, Jonas Vogt, Ursula Winterauer, Imre Withalm, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer, Barbara Zeman PRAKTIKUM Sandra Adler, Lara Andersen, Lisa Schmid, Katharina Wiesler termine Stefan Niederwieser AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Stefan Tasch, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Karin Wasner, Michael Winkelmann Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr COVER Ubisoft WORKSTATION-FOTOstrecke Matthias Hombauer ART DIRECTION Sig Ganhoer DESIGN Manuel Fronhofer (Helsinki Office), Manu Uhl (Vienna Office) Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Wolfgang Hoffer, Micky Klemsch, David Kreytenberg, Martin Mühl, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH, Pulverturmgasse 3, 1090 Wien geschäftsFÜHRung Bernhard Schmidt PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6 / III, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766-41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, Kontonummer 20010710457, BLZ 14200 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42; HEFTPREIS EUR 2,— erscheinungsweise 10 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.

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Trotzige Party Die Doku »Last Shop Standing« feiert Plattenläden

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»Last Shop Standing« ist es wert, gesehen zu werden. Der Film ist die trotzige Feier einer Musikkultur, die in den vergangenen Jahren rasant implodierte: das Stöbern nach Vinylplatten in einem Plattengeschäft. Den aktuellen Moment des Luftholens – Vinyl erholt sich und die Verkaufszahlen steigen wieder – nützt Regisseur Pip Piper für eine Bestandsaufnahme in Form einer Tour durch kleine Plattengeschäfte in Großbritannien. Pipers Oral-History-Bilderbuch erzählt von fanatischen Musikliebhabern, einer Industrie, die sich erst langsam aus ihrer Schockstarre befreit und davon, wie weit sich diese beiden Welten in den vergangenen Jahrzehnten voneinander entfernten. In den Hauptrollen: der kleine Plattenladen, aus Idealismus und Musikliebe gegründet. Das gute Vinyl als edle Trägersubstanz des Epos. Die böse CD als industrielles Gift, das dem Helden beinahe das Leben kostet. Als Protagonisten dienen die idealistisch-kauzigen Typen hinter der Kassa und die Musiker, die ihre Jugend in Plattengeschäften verbrachten. Vinyl-Fürsprecher wie Johnny Marr, Paul Weller, Richard Hawley oder Norman Cook blättern in ihrer Jugend, lehnen an Plattenstapeln und kolorieren vergilbte Erinnerungen nach. Wechselnde Moden, musikalische Trends und das soziale Makeup der britischen High Street bieten das kulturelle Panorama, vor dessen Hintergrund sich die Geschichte entfaltet. Und diese ist schnell erzählt: Held wird in widrigen Umständen geboren (karge Nachkriegszeit), meistert Prüfungen (emanzipiert sich als eigenständiges Geschäft; die ersten Platten wurden meist in Gemischtwaren-, oder Elektrogeschäften verkauft), reift heran (Beatboom der 1960er), zieht aus, um Abenteuer zu bestehen (neue Vertriebswege, Punk, DIY), erleidet Rückschläge (etwa der Kampf gegen Supermärkte und das scheinbar übermächtige Onlinemonster), steht wieder auf (Record Store Day) und kehrt schließlich reifer zurück (VinylRenaissance und die große Hoffnung der Macher). Die Textur passt in den gängigen Retro-Chic. Der Film inszeniert die Shops als Hüter essentieller britischer Tugenden: Hartnäckigkeit, Durchhaltekraft, schwarzer Humor, der Kampf des Underdogs und eine Prise Schrulligkeit.  Eine ausführliche Kritik von »Last Shop Standing« findet sich auf www.thegap.at

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Es gibt Dinge da draußen, die sind so gut, die sind Segnungen für die Menschheit, echte Hits der Warenwelt, für die machen wir freiwillig Werbung.

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Nicht umsonst für »multiple entry« konstruiert, ist die Aufblaspuppe des nervigsten Teenie-Stars seit den fürchterlichen HansonLotterkindern eindeutig auch für Heteros von mitunter therapeutischem Interesse. Denn wer würde nicht gerne das lebensgroße Justin-Faksimile fisten, oder ihm das Maul mit einem kotigen Stiefel stopfen. Pipedream Products, die sich schon durch Celebrity-Aufblasmodelle wie »Katy Pervy« oder »Lindsay Blowhan« einen Namen gemacht haben, gebührt großer Dank dass sie den heilsuchenden Menschen dieser Welt dies ermöglichen. www.pipedreamproducts.com

Wer hat nicht irgendwo eine Flasche »Hitler« oder »Mussolini« daheim stehen, mit der man irgendwann mal von einem Freund des gepflegten Humors beschenkt wurde. Politisch weniger bedenklich und dabei qualitativ überlegen präsentieren sich die Sorten der reihe Metal & Wine. »Back In Black«-Shiraz, »ZinFire«-Zinfandel oder »Reign In Blood«-Cabernet Sauvignon halten Gaumen und Augen befeuchtet, während man sich die via Dauerwerbesendung gekaufte 4fach-Rock-ClassicsCD reindröhnt. www.metal-and-wine.de

Gut, im Sinne von zusätzlichem Stauraum bzw. praktischer Ablage haben wir hier keine Spitzenlösung vor uns. Weil eigentlich kriegt man außer Mon Chéris, Radiergummis und Zinnsoldaten kaum was rein. Dennoch sind die Jack Letters eine reizvolle Halbfunktionsdeko für die traute Wohnzimmerwand. Und im Gegensatz zur Tätowierung ist zB. auch ein LebensgefährtInnenwechsel mit wenigen Handgriffen problemlos abgefrühstückt. Also eh so, wie man sich das in echt auch wünschen würde. www.thefancy.com

Brötchen-Listen. Von Tex Rubinowitz. Heute: Die sieben überflüssigsten Hinweisschilder 01 02 03 04 05 06 07

»Karton nicht zum Verzehr geeignet« »Garderobenhaken nicht mit mehr als 17 Tonnen belasten« »Wir müssen leider draußen bleiben« (vor dem Porzellanladen, für Elefanten) »Nicht über 1 Million Grad erhitzen« »Die Autobahn ist kein Kinderspielplatz« »Betreten des Minenfelds auf eigene Gefahr« »Nicht frisch gestrichen«

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Stephanie Posch (Super-Fi)

TOP 10

VEGANE LECKEREIEN

01 Summer Rolls 02 Loving Hut Burger 03 Ruccola-Pizza mit Knoblauch 04 Pho Hanoi-Suppe 05 Teriyaki Kung Pao 06 Schwammerlsauce mit Semmelknödel 07 Tori Bento 08 Hot Dog 09 Pikante Suppe 10 Gemüse-Lasagne

TOP 5

OFF-PISTEn-ERLEBNISSE

twenty.twenty #12: Gamification

01 Penkkopf (Salzburg) 02 Wildalpe (Steiermark) 03 Hoher Riffler (Tirol) 04 Tauplitz (Steiermark) 05 Röbialpe (Vorarlberg)

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Unter dem Titel »Gamification: Bildung. Arbeit. Leben. – Ein Spiel« diskutierten wir am 19. November 2012 im Wiener HUB.

auch nicht schlecht: Hundespaziergänge & Katzenkuschelabende

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Jakob Bouchal (The Gap / Disco Demons)

TOP 10

01 Lost In Translation 02 What About Bob 03 Rushmore 04 The Life Aquatic 05 Groundhog Day 06 The Darjeeling Limited 07 The Man Who Knew Too Little 08 Moonrise Kingdom 09 Ghostbusters 10 The Royal Tenenbaums

TOP 5

TÄTIGKEITEN, DEREN VOLLER UNTERHALTUNGSWERT SICH ERST VOR PRÜFUNGEN OFFENBART

01 Wohnung aufräumen 02 Etiketten auf Zahnpastatuben lesen 03 Tageszeitungen auf Rechtschreibfehler durchsuchen 04 CDs chronologisch sortieren 05 Blumen gießen

auch nicht schlecht: Mark Farina & Derrick Carter

TEXT werner reiter, martin mühl BILD werner reiter

FILME MIT BILL MURRAY

Elemente und Mechaniken, die sich in Computerspielen bewährt haben, werden immer häufiger in Kontexten außerhalb der Spielewelt verwendet: Werbung und Marketing, Bildungsinstitutionen und auch Unternehmen setzen bewusst auf Gamifizierung. Eine neue Partizipationskultur und die zunehmend komplexer werdende Welt, die andere Methoden der Problemlösung erfordert – etwa kollaborative Prozesse und Design Thinking – begünstigen den Einsatz von spielerischen Elementen in allen Lebensbereichen, stellte Michael G. Wagner, Spieleforscher und Professor für Digitale Medien an der Drexel University in Philadelphia, in seinem Eröffnungsstatement fest. Dazu kommt noch ein weiteres Phänomen: »Es gibt noch keine klar definierte Kultur der sozialen Medien«, so Wagner. Der spielerische Umgang damit hat hier jene kulturschaffende Funktion, die Johan Huizinga schon Ende der 30er Jahre in seinem Essay über den Homo Ludens beschrieben hat. In der anschließenden Diskussion ging es um verschiedene Arten der Gamification, um intrinsische und extrinsische Motivationsfaktoren und die Regeln, die bei spielerischen Problemlösungsstrategien zum Tragen kommen. Nicht zuletzt ging es auch darum, wie Spiele unsere Sicht auf die Welt positiv beeinflussen können. Spielerische Elemente werden heutzutage hauptsächlich als Motivationsinstrument eingesetzt. Wettbewerb und das Sammeln von Punkten und Badges sind aber noch lange nicht der Weisheit letzter Schluss, meint Jogi Neufeld, Gründer und Betreiber von Subotron. Mario Herger, der die internationale Gamifizierungsinitiative von SAP aus Unternehmenssicht beschrieb: »Bei Enterprise Gamification geht es darum, Möglichkeiten zu schaffen, dass Menschen ihre Arbeit in einer lustvolleren und selbstbestimmteren Form machen können.« Spiele sind ganz wesentlich dadurch definiert, dass die Menschen freiwillig an ihnen teilnehmen. Wenn sie im Unterricht oder in Unternehmen eingesetzt werden, ist diese Teilnahme nicht mehr rein freiwillig. Umso wichtiger ist dann ein bewusster Umgang mit dem Thema und das Transparentmachen der Ziele, ist Sabine Harrer, Lektorin für Cultural und Media Studies am Institut für Anglistik der Universität Wien, überzeugt. Harrers Wunsch für das Jahr 2020: Spiele sollen wieder den Spielern gehören und als Denkräume genutzt werden.  Alle Beiträge zur twenty.twenty-Blogparade und die Videoaufzeichnung der Veranstaltung sind auf www.twentytwenty.at zu finden.

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Für jede Spende gibt’s zwei Lächeln. Erst beim Empfänger, dann beim Spender. Ein Service des Finanzministeriums. O

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Ihre Spende macht zweimal glücklich! Den Empfänger durch die dringend benötigte Hilfe – und Sie als Spenderin oder Spender mit dem schönen Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Ihr gutes Gefühl wollen wir noch verstärken: durch die steuerliche Absetzbarkeit Ihrer Spende bei der Arbeitnehmer/innenveranlagung für 2012! So zaubern Sie mit jeder Spende ein Lächeln in zwei Gesichter.

Alle spendenbegünstigten Organisationen und weitere Informationen finden Sie unter www.bmf.gv.at/spendenservice sowie unter www.facebook.com/finanzministerium RZ_BMF_Inserat-Spende_TheGap_210x140.indd 1

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Dorit Chrysler (Sängerin, Thereminspielerin)

TOP 10

FAVORITE MAD SCIENTISTS

01 Nikolas Tesla 02 Hedy Lamarr 03 Delia Ann Derbyshire 04 Wendy Carlos 05 Leon Thermen 06 Ada Lovelace 07 Wilhelm Reich 08 Herb Deutsch 09 Les Paul 10 Bob Moog

TOP 5

LAST DAY OF THE WORLD ACTIVITY

01 Tikibar 02 Grießauflauf 03 Honore de Balzac 04 Sex 05 My Bloody Valentine

auch nicht schlecht: Ungekämmt.

www.thegap.at/gewinnen IchmyRSO Unter dem Untertitel »Greatest Hits For Contemporary Orchestra« veröffentlicht das ORF Radio Symphonie Orchester diese hochwertige CD-Box als moderierte Reise durch 300 Jahre Orchestermusik. Darunter etwa Fundstücke für Kinder und Zeitgenössisches von Stockhausen oder Olga Neuwirth. Wir verlosen 1 Exemplar.

Microsoft Wedge Speziell für Windows 8 hat Microsoft die Wedge-Eingabe-Hardware entwickelt. Diese ist von der Verpackung bis zum Produkt hochwertig und punktet mit kleinen Details, wie der Möglichkeit, mittels Bluetooth auf Empfänger zu verzichten oder die Tastaturverkleidung als Tablet-Ständer einzusetzen. Wir verlosen 1 Set bestehend als Wedge Touch Mouse und Wedge Mobile Keyboard.

Playstation Allstars Battle-Royal

Katrin Hoffmann (Kuratorin Feschmarkt)

TOP 10

SYNONYME FÜR FESCH

01 schneidig / schnittig 02 leiwand 03 heiß 04 süss 05 hübsch 06 kess 07 apart 08 adrett 09 damn attractive 10 flott

TOP 5

NÖTIGE FESCHERFINDUNGEN

01 Endless Gaffa 02 Permanent Concealer 03 Clutch Bag Werkzeugkasten 04 Fotogener Blaumann 05 Fünfstöckiges Piaggio

auch nicht schlecht: Schweinsbraten am Sonntag.

Mit bis zu drei Mitspielern lässt es »Playstation Allstars Battle Royal« krachen: Sackboy, Nathan Drake und viele andere Spielhelden treten in diesem Beat ’em up gegeneinander an. Besonders schön: Das Spiel unterstützt Cross-Play und damit die Möglichkeit, als PS3- und PS Vita-Spieler miteinander gegeneinander zu prügeln. Wir verlosen 1 Exemplar für Playstation 3 und eines für PS Vita.

Pussy Riot in Worten Das Buch versammelt Briefe, Plädoyers, Erklärungen und Gedichte der drei Künstlerinnen, die von der russischen Willkürjustiz zu zwei Jahren Straflager verurteilt wurden. Die Texte bieten ein bedrückendes Bild der russischen Demokratie, vom Filz zwischen Staat und Kirche, von der Realität im Gerichtsverfahren und im Gefängnisalltag – sie zeigen aber auch, wie mutig und stark der Widerstand dieser Frauen ist. Das Vorwort zur deutschen Ausgabe hat die britische Bloggerin und Journalistin Laurie Penny verfasst. Wir verlosen 3 Exemplare.

Capote & Ein Sommernachtstraum Unter dem Label Cineproject veröffentlicht Centfox große Kinounterhaltung. Ende November »Ein Sommernachtstraum«, eine Shakespeare-Verfilmung mit Michelle Pfeiffer, Kevin Kline und Christian Bale und Anfang Jänner »Capote«, mit Philip Seymour Hoffman als Truman Capote. Wir verlosen 2 Pakete bestehend aus jeweils 1 DVD.

Ellie Goulding Die britische Singer-Songwriterin veröffentlicht dieser Tage mit »Halcyon« ihr zweites Album. Nach vor allem publicityträchtigen Auftritten (Hochzeit von William und Kate, Konzert vor Barack Obama, Beziehung mit Skrillex) steht nun wieder die Musik im Vordergrund. Wir verlosen 3 CDs.

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Kolumne: Zahlen, bitte! von Thomas Edlinger

50   Prozent der US-Amerikaner sind mittlerweile für gleichgeschlechtliche Ehen. Werden wir sogar noch eine queere Präsidentin erleben?

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exualität hat keine Lobby«, beklagt die amerikanische Historikerin Dagmar Herzog in einem Interview in der TAZ. Sie meint aber offenbar die progressive Sexpolitik. Vom sexuellen McCarthyismus und seiner Abstinenzerziehung weiß sie nämlich Übles zu berichten. Sie erinnert an den Wahlkampf der Republikaner, in dem nicht nur die üblichen Antiabtreibungstiraden erschallten, sondern auch das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch im Fall einer Vergewaltigung in Abrede gestellt wurde. Abseits der in Sonntagsreden verordneten Neo-Keuschheit plappert und produziert freilich nicht nur das freie Unternehmen in Form der Sexindustrie, sondern formiert sich auch politischer Widerstand. Der hat sehr wohl eine mächtige Lobby, nämlich die ObamaAdministration. Die nun aus der Regierung geschiedene Hillary Clinton hat nicht nur Frauenrechte mit Menschenrechten in eins gesetzt, sondern auch die Anliegen von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen auf die Agenda. Mittlerweile wirbt auch Obama für die gleichgeschlechtliche Ehe im puritanisch geprägten Amerika. In den Werkstätten der Kunst, den urbanen Szenen und an den Unis ist man natürlich schon einen Schritt weiter. Die auf Verwirrtaktiken zwischen Identitäten spezialisierte deutsche Band FSK hat einmal in einem Song gefragt: Warum kann dein Mann nicht lesbisch sein? Ein Künstler wie Tobaron Waxman macht Performances, in denen er sich Bart und Haare rasiert und dann auf jiddisch und hebräisch alte Lieder oder Versionen von Lou Reeds »Candy Says« singt, die von einem Anders-Werden voller Hoffnung erzählen. Es geht um den Übergang, um eine »queere Diaspora«, um die Bewegung zwischen Oppositionen wie Mann und Frau. Wenn man sich solche selbstbewussten transsexuellen Aushängeschilder ansieht, die auch andere Bühnen der Selbstdarstellung wie Theater, Clubs oder Bars bevölkern, könnte man meinen: Das LesbischWerden der Männer geht doch eh! Männer und Frauen, das ist oldschool. In einem

Facebook-Kommentar schlug vor einigen Monaten übrigens jemand in seinem heterosexuellen Jammer vor, ein Museum für die prähistorischen Gattungsirrtümer Mann und Frau einzurichten, auf dass künftige Generationen überhaupt noch wissen, was damit einmal gemeint war.

Im Reich der Gender-Freiheit In der aktuellen Musikdoku »Turning« von Charles Atlas bekommt die queere Entourage von Transgender-Star Antony Hegarty ihren großen Glam-Auftritt. Man räkelt sich auf Drehbühnen, während Antony am Piano die Zumutungen einer untergehenden Welt der Geschlechteridentitäten im großen Seufzen und Schmachten endgültig verabschiedet. Wir sehen Stars von der Straße, die ihre Warhol-Lektion gelernt haben und sich in der medialen Projektion als überlebensgroßes Bühnenbild narzisstisch überhöhen. Die November-Retro im Wiener Filmmuseum über die 60ies-Camp-Ikone Jack Smith dürfen die Performer wohl auch mit gutem Gewissem geschwänzt haben. Denn dessen in Exotismen und viel Musik getränkten Liebeserklärungen an das Gewimmel der Hände, Münder und anderer Partialobjekte gehören sowieso zur ästhetischen Grundausbildung. In »Turning« hingegen hat das bei Jack Smith ins kollektive Taumeln gebrachte Individuum wieder festen Grund unter dem Boden. Es will stolz und selbstbestimmt in eine Welt blicken, die ihm ein Anderssein ermöglicht. In den eingestreuten Interview-Passagen zwischen den Selbstdarstellungsritualen erzählen die Protagonisten dann teilweise auch recht ungeschminkt von ihrem Coming-out und dem Übertritt aus dem Reich des sexuellen Identitätsterrors in das Reich der Gender-Freiheit. Früher war man vielleicht eine todunglückliche Kellnerin in der Vorstadt, aber »Today I Am A Boy« auf der Bühne, wie ein zentraler Song von Antony heißt. Ist das der Moment, in dem sich queere Lebenspraxis und die eher akademische Frage nach der »queeren Abstraktion«, also nach einer Ausweitung eines nicht normativen Denkens von Gemeinschaft und Identitäten, treffen? Die an der Akademie der Bildenden Künste in Wien laufende Ausstellung »Rosa Arbeit auf goldener Straße« spürt etwa den Freiheitsversprechungen

eines Lebens im Gedenken an Rosa von Praunheims frühen schwulen Gegenentwürfen zur »Heteronormativität« nach. Es geht dabei nicht nur um die flamboyante Geste der Überschreitung, sondern auch um die Mühen des Alltags. Jenseits aller Lust an den sexuellen Parodien, an der Umwertung der Zeichen in der Maskerade und den Genderdekonstruktionen erscheint freilich oft ungeklärt, auf wen oder was sich eigentlich ein libidinöses Begehren richtet, das sich nicht um Subversion kümmert. Eine heute unvorstellbare Szene in der ersten Staffel von »Mad Men« zäumt das Pferd von der anderen Seite auf. Bürohengste im weißen Hemd jagen durch die Gänge und heben die Röcke der Sekretärinnen, um die Farbe der Unterhosen zu verifizieren – Wette gewonnen und noch einen Whiskey, Sweetheart! Es sind Was-kostet-die-WeltTypen in der New Yorker Überflieger-Werbeagentur von 1960, angeheizt durch ein paar After-Work-Drinks.Die Männer sind außer Rand und Band, die Frauen sind – ja was eigentlich? Auf jeden Fall bleiben sie offenbar lieber am Ort des Geschehens als nach Hause zu gehen. Am nächsten Morgen krabbeln aus den einzelnen Büros die verkaterten Paare der Nacht und richten sich die Haare zurecht. Das eben gar nicht subversive, sondern zwanghafte Rollenspiel namens heterosexistischer Alltag hat sie wieder. Die Frauen müssen ins Vorzimmer, die Männer lassen sich von ihnen den Kaffee servieren. Trotzdem: Kann es sein, dass auch die Frauen in der Nacht ihren Spaß an der Party hatten?  Die Qual der Zahl – 9 wie »Revolution Nr. 9« oder 99 wie in »99 Luftballons«? Schreibt uns eure Vorschläge, um welche Zahl zwischen 0 und unendlich es nächstes Mal gehen soll. zahlenbitte@thegap.at

Thomas Edlinger Journalist und Kurator

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dynamowien | Fotos: Klaus Fritsch, Paul Schimweg/whitehall.de, fuhrmannmanagement.com, Viktor Gernot GesmbH/Robert Saringer

oe1.ORF.at/quiz

gehört. gewusst.

Das Ö1 Weihnachtsquiz live

Prominente Nussknacker sind Wolf Haas, Irmgard Knef, Katharina Straßer und Viktor Gernot. Sonntag, 16. Dezember 2012, 12.30 Uhr im ORF RadioKulturhaus, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien. Eintritt frei mit Anmeldung unter T (01) 501 70 - 377. Live in Ö1 ab 13.10 Uhr.

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Eine Veranstaltung zugunsten des Ö1 »Licht ins Dunkel«-Projekts Kinderschutzzentrum Wien.

Casinos Austria unterstützt das Ö1 »Licht ins Dunkel«-Projekt.

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Die Natur des Spielplatzes Rook Island fordert ihren Platz als unberechenbarer Mitspieler 022

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Far Cry 3 Die beste Shootererfahrung, seit es Open World-Spiele gibt

Jason und das Krokodil Wie immer scheint die Sonne. Ich habe gerade wieder ein Piratenlager erobert, doch meine Taschen sind zu klein, um die Beute einzustecken. Größere Beutel kann ich im Spiel zwar herstellen, dafür muss ich aber Tiere töten und ihre Haut verarbeiten. Die Karte zeigt mir, wo ich das richtige Tier finde, diesmal einen Laufvogel. Mit einem Geländewagen fahre ich in die Nähe, erspähe ein Exemplar aus gut 65 Metern Entfernung, lege an und ziele auf den Kopf des Tieres. Auf Knopfdruck peitscht der Schuss durch die Luft, die druckvolle Akustik verstärkt den Eindruck. Ich treffe und das Tier sackt zu Boden. Nun kann ich mich nähern und die Haut abziehen – und während ich das tue, bemerke ich, dass der erfolgreiche Jagdabschluss mich nicht kalt lässt. Während es mir egal war, zig menschliche Schießbodenfiguren mit dem Messer oder einem Maschinengewehr beiseite zu räumen, hallt der Schuss auf den Vogel nach, sehe ich das Tier immer wieder zusammensacken. Egal, weiter! Wenig später nähere ich mich einem weiteren Lager der Gegner – zum bereits dritten Mal. Bei meinen ersten beiden Versuchen war ich zu unvorsichtig. Ich hatte einen Gegner übersehen, dieser hat Alarm ausgelöst und im Kugelhagel der anrückenden Feind-Verstärkung bin ich schnell zu Boden gegangen. Diesmal will ich es anders machen. Von einer nahen Anhöhe aus versuche ich das Lager zu überblicken und mit der Kamera alle Gegner zu markieren. Das wird mir helfen, Überblick zu bewahren. Doch genau in diesem Augenblick ruckelt der Bildschirm, färbt sich Rot und kurz bevor es zu spät ist sehe ich, dass es ein Tiger ist, der mich von der Seite attackiert und erledigt. Ich brauche mindestens noch einen Versuch.

Spieltiefe »Far Cry 3« ist Ubisofts neuer Open-World-Shooter. Und dieser ermöglicht ein ungewöhnlich tiefes Spielerlebnis. Dessen Vermittlung ist – wie immer bei Spielen – eher schwierig. Die oben beschriebenen Zusammenhänge sind für Nicht-Spieler nachvollziehbar banal. Spieler wissen, dass sie das nicht sind. Dass nur wenige Spiele eine Komplexität und Spieltiefe erreichen, die die oben beschriebenen Szenen möglich machen. Und wenn doch, dann sind die meisten davon nur für eine eingeschworene Fangemeinde zugänglich. So wie die »Fallout«-Reihe oder das 2011 erschienene Rollenspiel »The Elder Scrolls V: Skyrim«. Auch dieses bietet eine riesige, frei begehbare Spielwelt und eine außergewöhnliche Fauna. Es ist ein gigantisches

Abenteuer, das dem Spieler im Gegenzug viel Zeit und Muße abverlangt, um sich einzuarbeiten. Eines der Dinge, die »Far Cry 3« jetzt so außergewöhnlich gut macht, ist, dass genau dies nicht nötig ist. Jeder Hobbyspieler wird sich schnell zurechtfinden, in der dichten Action Erfolge feiern und gleichzeitig die Größe und Tiefe dieser Spielwelt erfahren. Ja: Erfahren! Mögen die einzelnen Features, Möglichkeiten und Zusammenhänge noch so platt erscheinen, gemeinsam ergeben sie ein bisher nahezu einzigartiges Spielerlebnis. Verantwortlich dafür ist unter anderem Scriptwriter Jeffrey Yohalem, der neben dem für die Branche üblich unreflektierten Selbstlob in Interviews auch ein paar interessante Dinge sagt. Immer wieder wird bei Spielen diskutiert, ob neben den Entwicklern nicht auch der Spieler als Autor zu sehen ist, der je nach Spiel einen engeren oder weiteren Raum an Möglichkeiten nutzt, um mit seinen Ideen und Handlungen das Spiel zu meistern. Yohalem stellt dieser Betrachtungsweise seine Theorie eines spielerischen Method Acting gegenüber. Und auch für jemand, der Vergleiche zwischen Spielen und Filmen womöglich vermeidet, ist diese Sichtweise verfolgenswert. Yohalem meint damit, dass die Entwickler die Autoren des Spiels sind, sie schreiben die Geschichte und sie designen das Spiel mit all seinen Details. Es ist aber auch ihre Aufgabe, dem Spieler zu helfen, immer mehr zur gespielten Figur zu werden, so wie ein Regisseur dem Method Actor hilft, eins mit der Rolle zu werden. Wie aber lässt man den Spieler zu Jason werden? In »Far Cry 3« passiert dies unter anderem durch Limitierungen: Der Spieler hat zu Beginn nur eine Machete und eine nicht einmal schallgedämpfte Handfeuerwaffe, um sich zur Wehr zu setzen und die ersten Aufgaben auf der Insel zu erledigen. Selbst erfahrene Spieler sind also in ihren Mitteln eingeschränkt und müssen – wie Jason – lernen, mit der neuen Situation umzugehen. Wenn sie später mehr Fähigkeiten und bessere Ausrüstung bekommen, werden sie dadurch parallel zu Jason potenter und mächtiger und können sich größeren Aufgaben stellen. Anders als in klassischen Military-Shootern, in denen die Spieler vom Start weg Super-Soldaten sind, gibt es hier also eine ParallelEntwicklung zwischen der Figur und dem Spieler. Gestützt wird dies außerdem durch einen ursprünglich aus Rollenspielen bekannten Skill-Tree. Jason sammelt Erfahrungspunkte, die er für Fähigkeiten eintauschen kann. Fähigkeiten wie neue Kill-Techniken oder die Möglichkeit, länger zu tauchen und mehr Schaden einzustecken. Obwohl die einzelnen Storymissionen linear durch das Erreichen bestimmter

Text martin mühl Bild ubisoft

Mit seiner offenen Spielwelt und der knackigen Action bietet »Far Cry 3« einen verführerisch-erlebnisreichen Insel-Spielplatz inklusive Piraten und wilden Tieren. Und ist ein Lehrstück darin, was gute Spiele ausmacht.

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Permantes Eingreifen

Orte geöffnet werden, ist es von den bisher von Jason erlernten Fähigkeiten abhängig, wie sie sich spielen, und dadurch vom Spieler erlebt werden.

Tausende Tote Games sind in erster Linie Gameplay, also nach vorgegebenen Regeln ablaufende Interaktion. Spieler bekommen eine Aufgabe und Hindernisse in den Weg gelegt und müssen diese meistern. Deswegen ist ihnen meist vollkommen egal, wenn sie in einem Spiel hunderte oder tausende menschliche Gegner töten. Sie sind nicht mehr als Hindernisse und der abgegebene Schuss ist nicht mehr als eine Linie, die durch den dreidimensionalen Spielraum gezogen wird und entweder auf das Objekt trifft oder nicht. Wer ein darüber hinausgehendes Spielerlebnis haben will, muss freilich zulassen, dass noch auf anderen als dieser technischen Ebene eine Verbindung hergestellt wird. Auch bei »Far Cry 3« kann dies nur bedingt über die Narration passieren. Wie in eigentlich fast allen Spielen ist die Geschichte Mittel zum Zweck und verliert bei der Nacherzählung jeden Anreiz: Eine Gruppe junger Amerikaner rund um den 25-jährigen Jason Brody landet bei einem ihrer vielen Funsport-Ausflüge mit dem Fallschirm auf der südostasiatischen Insel Rook Island. Wenig später finden sie sich in Käfigen wieder und werden von Piraten, die mit Drogen- und Menschenhandel ihren Alltag bestreiten, gefangengehalten. Auf der Flucht wird der ältere Bruder von Jason erschossen und Jason muss schnell lernen, selbst zur Waffe zu greifen. Sein Ziel: Die restlichen Freunde finden und retten.

Ein großer Faktor in »Far Cry 3« ist die Detailfülle der Spielwelt, deren Höhepunkt ohne Zweifel die Natur selbst und die Tierwelt darstellen. Mit all diesen Details kann der Spieler interagieren und das nicht nur zum Spaß, sondern um im Spiel etwas zu verändern – und damit die Wirkung seines Tuns zu erfahren. Genau dies ist die Grundlage jedes Computerspiels. Nicht nur Herbert Rosenstingl von der Bupp (www.bupp.at) erklärt die Faszination von Spielen so: Games geben dem Spieler die Möglichkeit zur Interaktion, so wie Kinder im Kasperltheater gerne eingreifen und den Pezi vor dem Krokodil warnen. Computerspiele sind permanentes Eingreifen, permanentes – und meist positives – Erleben der Wirkung der eigenen Handlungen. In »Far Cry 3« werden Sendetürme manipuliert, um Kartenteile freizuschalten, Outposts eingenommen, um in einem Gebiet die Gegnerdichte zu verringern, wird mit Waffen und geklauten Gegenständen Handel betrieben, werden an die 30 verschiedenen Pflanzen in Performance verändernde oder heilende Spritzen verwandelt oder wird aus Tierhäuten Ausrüstung hergestellt. Der Spieler hat nicht nur eine Menge zu tun, sondern bekommt auch noch für jede seiner Handlungen positives Feedback. Erfahrungspunkte gibt es außerdem für Minigames, in denen Medizin an ihr Ziel gebracht werden muss oder möglichst viele Gegner möglichst schnell mit bestimmten Waffen getötet werden. Diese Liste lässt sich locker verdoppeln und jede Aktion, jeder Erfolg, verändert die Spielwelt und wie sich das weitere Spiel meistern lässt. Je mehr Erfolg der Spieler hat, desto mächtiger wird er im Spiel. Auch das ist aus anderen Genres, wie eben Rollenspielen, bekannt, wird hier aber geradezu einmalig mit dichter Action verbunden. Die Spieltiefe eines Rollenspiels gepaart mit dem Tempo eines Egoshooters ergibt das ganz eigene Spielerlebnis von »Far Cry 3«. Die Masse an Spielmöglichkeiten bietet bei konkreten Aufgaben auch eine taktische Tiefe, die weiterhilft, eine Verbindung zwischen der offenen Spielwelt, Jason und den Spielern herzustellen. Es macht gerade unter diesen Umständen besondere Freude, sich einem Abschnitt auf verschiedene Weise zu nähern: Der Spieler erlebt einen Unterschied, ob er ein Lager frontal angreift, mit leisen Takedowns die Gegner einzeln ausschaltet oder das im Lager gefangene Raubtier befreit und dieses die Drecksarbeit erledigen lässt. Das Gefühl, keinen vorgefertigten Pfad möglichst geschickt bewältigen zu müssen, sondern sich einer Aufgabe auf einem eigenen Weg zu stellen, verstärkt das Gefühl eines persönlichen Abenteuers. Helfen mir meine bisherigen Entscheidungen (nicht narrativ, sondern in der Entwicklung der Ausrüstung und der Reihenfolge der Aufgaben), mein Ziel leicht zu erreichen, oder stellen sie mich vor Probleme, die größer sind, als sie sein müssten? Dabei will »Far Cry 3« in keinster Weise ein Kommentar zur Realität sein. Wie ein Genrefilm genügt sich das Spiel damit, ein Unterhaltungsprodukt zu sein. Das kann man durchaus schade finden, weil auch so manches Spiel einen Teil seines Reizes aus seinen Bezügen zur Realität zieht, wie etwa die »Grand Theft Auto«-Reihe. Das Spiel ist keine psychologische Abhandlung über Menschen in Ausnahmesituationen. Auch wenn es sich gern so vermarktet. Der Posterboy des Spiels ist nämlich nicht Jason Brody, sondern Vaas Montenegro, Jasons Antagonist und die ach so unberechenbare Rampensau der Piraten. Das Marketing versucht hier anzusetzen und mit Vaas der insanity der Insel ein Gesicht zu geben. Die brutalen Piraten sind nicht absurder als das Personal jedes klassischen Militärshooters – inklusive der eigenen Einheiten auf der Seite der Guten. Sowohl Vaas, seine motivlosen Mitstreiter und auch das Chaos der Insel bleiben recht flache Rollen, müssen allerdings gar nicht mehr sein, weil sie im Spiel nur eine Funktion erfüllen. Im Verlauf des Spiels und über die Insel verstreut gibt es Hinweise darauf, dass sich die Entwickler dessen vielleicht auch bewusst sind: Die Insel ist eine Parallelwelt, die irgendwann in der Vergangenheit anders abgebogen oder stehengeblieben ist. Immer wieder begegnet man etwa alten Kanonen und findet Briefe, die eine Geschichte der Insel um den Zweiten Weltkrieg erzählen. Diese sind der Atmosphäre zuträglich, emotionalisieren aber wie Vaas weniger als vielleicht gewünscht. Jasons Verwandlung zum ultimativen Krieger – laut Jeffrey Yohalem ist es der Wunsch jedes Spielers, ein ultimativer Krieger zu werden – wird zumindest zeitweise von Kommentaren seiner Freunde begleitet, die in dieser Entwicklung nicht nur Positives sehen. Relativ unkontrollierbar bleibt auf Rook Island

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Inseln der Popkultur Die Insel als Motiv taucht in der Popkultur regelmäßig auf. Daniel Dafoes »Robinson Crusoe« ist die Blaupause, aber mit einer Veröffentlichung 1719 halt auch schon ziemlich alt. Auch an anderen Inhalten bedient sich »Far Cry 3« großzügig, aktuellere Beispiele sind: »Herr der Fliegen« — Die Geschichte von William Golding datiert auf das Jahr 1954. Hier ist es eine Gruppe Sechs- bis Zwölfjähriger, die nach einem Flugzeugabsturz auf einer Insel und ohne die Betreuung durch Erwachsene eigene Regeln des Zusammenlebens entwickeln. Diese basieren in erster Linie auf Gewalt und dem Recht des Stärkeren. Die Lösung kommt von außen, kurz bevor das Verhalten der Kinder nicht nur die Insel, sondern sie alle vernichtet hätte. »The Beach« — Alexander Garlands Roman aus dem Jahr 1996, wurde bereits 2000 von Danny Boyle verfilmt. Ein RucksackTourist entdeckt in Thailand einen Strand, auf dem eine Kommune sich an einer Utopie versucht. Im Film flüchtet Leonardo DiCaprio einmal in Videospielgrafik durch den Dschungel. Drogenbanden sind hier im Gegensatz zu »Far Cry 3« nicht das eigentliche Problem, sondern nur der die Utopie zerstörende Katalysator. »Lost« — Die wohl wichtigste Insel der letzten Jahre ist jene in der extrem erfolgreichen TV-Serie »Lost« (2004–2010). Verschachtelt wird hier von den Charakteren erzählt, die mit Flug Oceanic 815 abstürzen. Die Mythologie und die Geheimnisse der Insel werden immer mehr zum reinen Selbstzweck, trotzdem haben die wenigsten die Serie nicht bis zur müden Auflösung am Ende der 6. Staffel verfolgt.

Open World Games

einzig die Tierwelt. Robinsons Kampf zwischen Mensch und Natur wird hier aber nur lose als Idee hereingeholt, nicht als aktuelles Bild für den Klimawandel oder andere Probleme. Genauso wie sich in die Piraten keine Spiel-Funktion hineininterpretieren lässt – sie haben keine Motive und keine Geschichte. Unbestreitbar hätte sich das Spiel hier mehr Standpunkt erlauben können, ohne damit die Spielwirkung zu gefährden.

Eine gute Zeit ist garantiert Mit »Far Cry 3« zeigt sich, wie sich die komplexen Spielwelten von Rollenspielen, die Freiheit von Open-World-Games und die knackige Action eines Shooters verbinden lassen – und damit steht der Weg für neue Hybride offen. Sie sind ein Entwicklungszweig, während andere daran arbeiten, in ihrer jeweiligen Disziplin neue Meisterleistungen zu vollbringen. Abgerundet wird »Far Cry 3« als Paket durch einen Koop-Mode, Multiplayer-Level oder auch einen Map-Editor, mit dem eigene Inseln und Spielplätze erschaffen werden können. Sie alle kommen nicht an die Perfektion des Single-Player-Modus heran. Dieser aber ist eine große Einladung, sich einem Spiel hinzugeben, intellektuelle Zweifel am Sinn daran abzulegen und einem der reichhaltigsten und großartigsten Medienprodukte dieser Tage rund 15 bis 25 Stunden seines Lebens zu widmen. Eine gute Zeit – was will man mehr – ist beinahe garantiert. »Far Cry 3« ist Ende November für Xbox 360, PlayStation 3 und PC erschienen.

Open World- bzw. Sandbox-Games bezeichnen grundsätzlich all jene Spiele, in denen sich die Spieler nicht von abgeschlossenem Level zu abgeschlossenem Level vorkämpfen, sondern sich von Start weg mehr oder weniger frei durch die Spielwelt bewegen. Diese vage Beschreibung passt schon auf Text-Adventure (»Adventure«, 1979) und ihre Point-and-Click-Varianten wie Lucas Arts »Day Of The Tentacle« (1993), das in einem abgeschlossenen Gebäudekomplex (also auch einer Art Insel) spielt. Weitere Vertreter sind Space-Simulationen, Action-Adventure (wie die Zelda-Reihe, obwohl hier die eigentlichen Level dann abgeschlossene Dungeons sind) und unzählige Rollenspiele. Angefangen von gerasterten Karten in »Might And Magic« über die »Fallout«-Reihe bis zu den riesigen Welten in »Elder Scrolls«. Ableger davon sind Massivly Multiplayer Online Rollenspiele (MMORPG) wie »World Of Warcraft« und natürlich die freien Spielwelten von »Second Life«. Großen Auftrieb brachte dem Genre die »Grand Theft Auto«-Reihe, die eine offene Spielwelt mit einer Gangster-Story zum bissigen Kommentar auf die Realität verband und viele eher oberflächliche Nachfolger nach sich zog. Mittlerweile sind offene Spielwelten aber selbst in Rennspielen immer wieder Teil des Settings, wenn der Spieler auf einer großen Landkarte die Rennen finden, anfahren und bestreiten muss (»Fuel«, »Midnight Club«, »Burnout Paradise«). Im Genre der Shooter nutzt kein anderes Spiel dermaßen weitreichend Elemente von Rollenspielen und Open World Games wie die »Far Cry«-Reihe. Schon der erste Teil war 2004 ein von Crytek in Deutschland entwickelter, herausragender Open-World-Shooter. Der Spieler konnte sich ziemlich frei über eine Insellandschaft bewegen und das Spiel präsentierte sich in erster Linie als technische Meisterleistung. Teil 2 schlug einen anderen Weg ein, war für viele zu unfokussiert und unspielbar, für andere eines der tiefsten und überraschendsten Spielerlebnisse. »Far Cry 3« schafft es, die Vorteile beider zu verbinden. 025

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Text Erwin Uhrmann Illustration Bo Soremsky Bild Courtesy Annet Gelink Gallery, Amsterdam & Sommer Contemporary Art, Tel Aviv © Yael Bartana; Ilya Rabinovich, Manifest: Sebastian Cichocki & Yael Bartana

links oben:

Kongress des Jewish Rennaissance Movement in Polen im Mai 2012 bei der Berlin Biennale. Skizzen dazu. links unten: Still aus »Mur i Weiza«, 2009. recht unten: Kongress.

recht oben:

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golden frame Yael Bartana – Jewish Renaissance Movement in Poland

Der Mut zur Utopie Yael Bartana bearbeitet und kritisiert nations- und identitätsstiftende Momente und stellt eine neue jüdische Utopie in den Raum. Dabei verbindet sie Politik und Poesie, vermischt Dokumentarisches mit Erfundenem, hinterfragt und ironisiert politische Rituale. Oft ist es schwierig, einen behaupteten politischen Unterton in der Gegenwartskunst zu finden oder nachzuvollziehen. Anders ist es bei der israelischen Künstlerin und Filmemacherin Yael Bartana, deren Arbeiten einen ebenso dokumentarischen wie poetischen und evident politischen Charakter haben. Bartana wurde 1970 in Israel geboren und fand über die Fotografie, nach künstlerischen Studien in Jerusalem und Amsterdam sowie einem längeren Aufenthalt in den USA, wo sie in der Werbebranche tätig war, zu einem ihrer bevorzugten künstlerischen Medien, der Videokunst. In ihren Filmen und Fotoarbeiten geht es ihr um nationale Identität, Herkunft, Rückkehr und auch die Schoah, also jene Themen, die ihren Alltag in Israel entscheident prägen – verbunden mit einem Gefühl des dauernden Belagerungszustands. Bartana hat bereits in früheren Arbeiten etwa israelische Soldatinnen bei Schießübungen oder die Evakuierung von jüdischen Siedlern inszeniert.

künstlerisch-politische utopie Die Künstlerin steigert ihre Kritik an nationalen Ritualen und Symbolen, indem sie aktiv ins Geschehen eingreift. 2011 wurde Yael Bartana als erste Nicht-Polin zur Vertreterin Polens für die 54. Kunstbiennale von Venedig ausgewählt. Sie zeigte eine Filmtrilogie, die im Rahmen ihres 2007 gegründeten Jewish Renaissance Movement in Poland (JRMiP) entstanden ist. Die zentrale Prämisse des JRMiP lautet, dass 3,3 Millionen Juden in das Land ihrer Vorfahren, Polen, zurückkehren. Dabei oszillieren Bartanas Arbeiten immer zwischen Fiktion und Realität. Sie erfindet Symbole, Banner, Monumente, Sprachgewalt, politische Propaganda, zionistische Träume und die Ermordung der Führungsfigur der Bewegung. In der Folge dieser Trilogie fand in Berlin vergangenen Mai der erste internationale Kongress des Jewish Renaissance Movement in Poland statt. Diskutiert wurden notwendige Veränderungen in den betroffenen Gegenden: der Europäischen Union, Polen und Israel. Daraus schnitt Baratana wiederum einen Film, der nun mitsamt Installationen in der Wiener Secession gezeigt wird. So entsteht eine ständige Rückkopplung zwischen realen Hoffnungen und künstlerischer Überhöhung. Bei jedem Schritt entstehen neue Ideen und Perspektiven, Unvorhergesehenes. Yael Bartanas künstlerisch-politische Bewegung spiegelt die Anfänge des Zionismus in einer zeitgenössischen Form wider und macht einen Schritt in Richtung einer neuen Utopie, was ebenso vorausschauend wie vergeblich wie unzeitgemäß schön ist. Yael Bartana, geboren 1970 in Kfar Yehezkel (Israel), lebt und arbeitet in Tel Aviv und Amsterdam. Am 28. November zeigt das Mumok Wien ihre Filmtrilogie. Von 7. Dezember 2012 bis 10. Februar 2013 zeigt die Wiener Secession eine Einzelausstellung mit Werken von Yael Bartana: »Wenn ihr wollt, ist es kein Traum. Fragen an Herzl und Freud«. 027

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EDM Boom — Schlimmer Dubstep in Amerika

Extrem druffe Musik

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2012 war das Jahr, in dem Amerika tanzen lernte. Zu einer Musik, die dort EDM heißt. Aber das ist gar nicht das Allerschlimmste.

Das Allerschlimmste sind die Hula-Hoop-Reifen. Im Dunkeln leuchtende, neonglitzernde Hula-HoopReifen. Gedreht und hochgehoben oder einfach nur herumgetragen von jungen Mädchen mit im Dunkeln leuchtenden Augen und fragwürdigem Outfit. Es handelt sich um ein auf US-amerikanischen Großraumtanzveranstaltungen derzeit offenbar unverzichtbares Accessoire, um die Verkreisung des bescheuerten Glow Stick zu einem noch sehr viel bescheuerteren Ring of Feierei. Das Zweitschlimmste sind die Bühnen. Im Dunkeln leuchtende, gern auch pulsierende und natürlich neonglitzernde Bühnen. Meterhohe Bühnen, die junge Männer noch sehr viel höher heben, als sie sich eh schon fühlen, Männer, deren Augen manchmal von den Computerschirmen leuchten, hinter denen sie stehen, meistens aber auch nicht, weil sie gar keinen Computer brauchen für das, was sie da oben machen. Rein optisch schlägt einem das erstens die Augen an den Hinterkopf und zweitens die Brücke von Daft Punk zu Madonna, was äußerst passend erscheint, weil das Genre, das hier (also auf USamerikanischen Großraumtanzveranstaltungen) gespielt und gefeiert wird, genau unter dieser Brücke haust. Es heißt EDM. Das steht für Electronic Dance Music und klingt genauso raffiniert wie diese Genrebezeichnung, also eher nicht besonders.

neue fronten, klar verteilt

Text Sebastian Hofer Bild WMG, Universal, Ceaesar Sebastian, Taylor Swift

Weniger schlimm ist erstmal, dass elektronische Musik in den USA, wo Clubmusik zwar geboren, aber nie wirklich groß wurde, langsam in die öffentliche Wahrnehmung hineinfindet. Wobei: Langsam ist in diesem Zusammenhang wirklich das falsche Wort, wir sprechen schließlich von sehr vielen BPM und sehr schnellem In-die-öffentliche-Wahrnehmung-Hineinfinden. 2012 war das Jahr, in dem EDM in den USA durchbrach. Ein paar beispielhafte Daten: Im Februar wurden der Dubstep-Frisur Skrillex gleich drei Grammys verliehen, im März warb Microsoft mit einem Brostep-Remix von Alex Clares »Too Close« für seinen neuen Internet Explorer, es folgte ein ausgesprochen gutbesuchte Sommerfestivalsaison (Electric Daisy Carnival, Las Vegas: 300.000 Raver), die durchwegs gutverkauften Herbstalben von Deadmau5, Martin Solveigh, Zedd und Swedish House Mafia sowie die ersten schüchternen Dubstep-Versuche von Taylor Swift, dicht gefolgt von dem stets sehr trendbewussten Klavierspieler Lang Lang, der sich sein aktuelles Chopin-Video von dem Youtube-Dubstep-Schleicher Marquese aufhübschen ließ. Majorlabel-Menschen und andere Großdenker sprechen von Skrillex angeblich schon als dem neuen Kurt Cobain, in seiner Funktion als telegener Typ, der eine Subkultur für die Massen aufschließt. Sagen wir mal so: Clubmusik ist ins amerikanische Stadion eingetreten. Beispiel Detroit, im Oktober 2012. Die Fronten sind neu, aber schon sehr klar verteilt, die Größenverhältnisse auch. Detroit-Techno-Fackelträger Kyle Hall gibt sein Heimspiel in einer Weinbar im Büroviertel. Ein paar Tage später verkauft Bassnectar, EDM-Ballermann aus Kalifornien, eine 2000-Leute-Bude im Vergnügungsviertel gleich zweimal hintereinander aus. Und dazwischen springt der sonst ja recht vernünftige Flying Lotus auf den abfahrenden Zug, macht bei seinem Gig in einem mittelgroßen Konzertsaal in Detroits Studentenviertel auf erhöhte Neonglitzerbühne, Dubstep-Rave und Hände-in-die-Luft. Der EDM-Hype lässt einem wohl keine Wahl, die Studenten wollen das so. Und sie wollen ihre verdammten Hula-Hoop-Reifen drehen. 028

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029 Er wars. Skrillex bringt EDM in den USA zum Explodieren. Bassnectar lädt den Bahö mit ein paar politischen Ideen auf. Und sogar CountryPop-Rehkitz Taylor Swift macht ein bisschen mit. Laurent Garnier nennt EDM »electro de merde«, und man kann ihn ja wirklich verstehen. Youtube liefert genug Hassargumente in Form lustiger Erlebnisvideos von jugendlichen Duckface-Tänzerinnen und Bunte-Plastikbrillen-Trägern, die sich sauwohl fühlen, weil ihnen Skrillex gerade ihren MDMA-Flash ins Zwerchfell bläst. Nein, das ist nicht schön anzusehen. Anzuhören aber auch nicht. Was auch immer man konkret unter EDM verstehen mag (unter der Bezeichnung firmieren in den USA neben vielen anderen zum Beispiel Avicii, Deadmau5, Skrillex, Bassnectar, Tiesto, Steve Aoki, Zedd oder Swedish House Mafia; Musikrichtung: egal; Hauptsache, die LEDs sind groß genug und die Konfettikanonen gut aufgeladen), mit elektronischer Tanzmusik hat das soviel zu tun wie Justice mit Daft Punk.

wider die vergangenheit EMD, das ist als Clubmusik verkleideter Rock, verpackt und verkauft für Leute, die zu jung sind, um Eltern zu sein, aber Musik ungefähr so verstehen wie diese, nämlich nach dem Motto: Nur was eine Melodie hat, ist richtige Musik. Und wenn diese Melodie aus der Preset-Bibliothek von Avicii stammt, auch egal. Man muss dem Korn-Sänger und Scherzkeks Jonathan Davis richtig dankbar sein, dass er EDM mit seinem Metal-Dubstep-Projekt J Devil dorthin weiterdreht, wo sie hingehört: an den Rand der Parodie. Aber muss man denn gleich so undankbar sein? Immerhin besteht doch die Chance, dass der Massenappeal der Electronic Dance Music irgendwie durchsickert und auch etwas ambitionierteren, bis dato unter der Wahrnehmungsschwelle dahinfrickelnden Produzenten ein bisschen Aufmerksamkeit und vielleicht sogar etwas mehr Gage beschert. Nun, ja, muss man. Weil, nein, sie besteht nicht. Das einzige, was hier wirklich versickert, ist Teenagertaschengeld und Sponsorenkohle, und zwar in die Taschen der Megafestivalveranstalter und ihrer Headliner. Dem Dahinfrickler bleibt von Weitem allenfalls die Aussicht auf ein neues Radioprogramm – eines, in dem statt Gitarren eben Tieftöner röhren, und das seine Musik genauso ernst nimmt wie das davor. Wer dieses Argument elitär nennt, ist Populist. Und wer Skrillex Kurt Cobain nennt, ist ein Plattenfirmenmanager. Als Genre ist EDM natürlich trotzdem interessant. Vor allem, weil es zeigt, dass Pop eben nicht, wie Simon Reynolds gern behauptet, von seiner eigenen Vergangenheit besessen ist. Und nein, das soll jetzt nicht heißen, dass EDM besonders zukunftsträchtig klingen oder funktionieren würde. Das Gegenteil ist der Fall. Aber es ist als Genre so sehr darauf angewiesen, seine eigene Vergangenheit – oder genauer: seine Ursprünge – zu verleugnen, dass es eine sehr eigentümliche Zeitform entwickelt hat, die mit der Zukunft nichts zu tun hat, mit der Vergangenheit nichts zu tun haben will und die Gegenwart so schnell vergisst, dass sie kaum je existiert. Es zählt nur der Moment. Und dann der nächste. Ja, EDM ist ein Pop-Phänomen. Das macht die Leute, die aus seiner Vergangenheit kommen, aber auch ein bisschen unrund, weil: Warum waren sie kein Pop-Phänomen? Waren sie ja. Ein anderes. Ein zukunftsträchtigeres, vergangenheitsbewussteres, in ihrer damaligen Gegenwart aber eben nicht ganz so erfolgreiches. Keines, in dem Plattenfirmenmanager sich mit großen Sprüchen und noch größeren Vorschüssen hervorgetan hätten. Das holen sie jetzt nach. Wer diesen Ansatz populistisch nennt, ist Idealist. Lady Gaga macht gemeinsame Sache mit Zedd? Natürlich. Was sollte sie sonst machen? Nirvana-Coverversionen einsingen? Das wäre dann übrigens das Allerallerschlimmste. 029

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tocotronic — Wie wir leben wollen

Text michael kirchdorfer Bild polarized – michael petersohn

99 Thesen: Tocotronic beschäftigen sich auf ihrem neuen Longplayer »Wie wir leben wollen« mit der Frage, wie man der eigenen Vergänglichkeit zu begegnen hat. Das Projekt Tocotronic ist 20 Jahre alt geworden. Die jungen Männer in den Trainingsjacken haben graue Haare bekommen und tragen jetzt Samtjacken. Die in Polaroid-Covers verinnerlichte Geschichte der Band, die sich von der Mainstream-Antithese zum Aushängeschild für deutsche Popmusik wandelte, war allerdings nie mit sich selbst deckungsgleich. Als die Tocos mit Songs wie »Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein« den Zusammenhalt von Subkulturen, die bestimmte Styles und Werten teilen, mehr ironisch als ernst besangen, kreierten sie dabei eine eigene Sub-Subkultur für sich. Nach den prägenden Hamburger Schrammeljahren folgte mit dem Übergangswerk »K.O.O.K.« so etwas wie eine Neuorientierung der Band in expressivere Gestaltungsformen. Mit der Berlin-Trilogie »Pure Vernunft darf niemals siegen«, »Kapitulation« und »Schall und Wahn« gingen Tocotronic mehr denn je in einer sehr eigen definierten Mischung aus Roxy Music-Glamour und Hauptstadt-Depression auf. Mit »Wie wir leben wollen« erscheint im Jänner das nächste Kapitel einer Band, die darum kämpft, nicht als ihre eigene Referenz verstanden zu werden. Die gute Nachricht gleich vorweg: Es geht im Großen und Ganzen auf – gerade weil die neue Mimik allzu verwandter Gesten hier fremd erscheint.

Analog ist besser Aufgenommen auf einer anlogen Telefunken-T9-Vierspur-Tonbandmaschine aus dem Jahr 1958, verfolgt das Album rückwärtsgewandte Klangeffekte. Hall und Echo, Verwaschungen und Unschärfen definieren die 17 Lieder. »Wie wir leben wollen« ist die Antithese zu den Tocotronic, die sich vor allem mit der Artikulation dessen beschäftigen, was sie nicht haben wollten. Diskursfähige Antworten oder gar Lösungsansätze braucht man hier trotzdem kaum zu suchen. Es geht nicht um ein Programm, um keinen Leitfaden, um kein Manifest, sondern um Poesie. Die subjektiven Selbstbefindlichkeitsverse früherer Alben sind einer artifiziellen Kunstlyrik gewichen. Folgt man dem freischwingend geflochtenen Faden der Songs, erschließt sich ein fortlaufendes Thema: Es geht ums Älterwerden, um Sterben, um Nostalgie und Narzissmus. Es klingt wie eine Mischung aus romantisierendem »New Grave«-Pop und Body-Snatcher-Horror, oder in den Worten von Dirk von Lowtzow, nach der »Höllenfahrt in den eigenen Körper«. Der Körper, von dem uns Abgründe trennen, an dem wir gefesselt sind, in dem wir sterben werden, und dem wir uns kaum verständlich machen können.

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Befreie deinen Körper »Hey, ich bin jetzt alt / Hey, bald bin ich kalt / Im Keller wartet schon die Version, die mich dann ersetzt«, singt Dirk von Lowtzow im Eröffnungslied »Im Keller« und erinnert dabei an den tragischen Dandy Dorian Grey, der genau das nicht wahrhaben will. Während in »Abschaffen« die Utopie eines Lebens ohne Tod besungen wird, versiegt der Blättertrieb spätestens in »Warte auf mich auf dem Grund des Swimmingpools« in einer Rock’n’Roll-Suicide-Romantik. Die wiederkehrenden Begriffe bilden keine Erzählung, sondern sollen ein Protokoll von Thesen darstellen: »Er sagt, ich bin hier nur Tourist, ich bin nicht integriert / Das Dasein das ich friste hat ein Anderer inszeniert«, heißt es sinnig im Titellied des Albums. Den theatralischen Akt der Selbstauflösung haben Tocotronic hier zur Blüte gebracht. Es wirkt, als würde die Band sich als Fremdkörper im eigenen Bedeutungskontext zeigen, während ihre körperlosen Schatten den Raum mit den Erinnerungen und Bedeutungsebenen vieler Jahre schmücken. »Wie wir leben wollen« heißt in diesem Kontext – sowohl für die Band wie auch ihren Zuhörer – in der Fremdheit vielleicht eine Emanzipation finden. Möglichst noch, bevor der Körper kalt ist.

Interview mit Dirk von Lowtzow Nach den vielen Wandlungen, die du als Künstler sowohl außerhalb als auch innerhalb von Tocotronic unternommen hast – wie gehst du mit Authentizität um? dirk von lowtzow: Kunst kann nie authentisch sein. Wenn ich an etwas Authentisches denke, denke ich an eine Kuh. Authentisch ist, wenn ich ein Rindviech auf der Weide sehe. Aber Kunst, oder irgendwas, das mit künstlerischer Tätigkeit zu tun hat, da kann ich mit dem Begriff überhaupt nichts anfangen, weil Kunst nie authentisch sein kann. Das ist auch kein Kriterium für mich, ob etwas authentisch ist oder nicht, sondern eher ein Schimpfwort. Wenn ich jemanden ganz besonders blöd finde, dann sage ich: das ist ein authentischer Typ. Authentizität interessiert mich nicht, ich bin immer an Künstlichkeit interessiert. Thematisch geht es in »Wie wir leben wollen« in vielen Liedern um den Körper als Festung und die Befreiung daraus. Hat das letztlich nicht doch auch mit der Frage der Authentizität zu tun? Das geht analog zu dem, was ich gerade gesagt habe – immer, wenn über Kunst oder Popmusik gesprochen wird, wird mit Begriffen des Seelischen und des Innerlichen hantiert. Und ich habe – so ähnlich wie mit dem Authentischen – eine leichte Allergie dagegen. Mich interessiert, wie sich bestimmte Vorgänge bilden, die man hat – die seelischen Vorgänge, wie sie sich körperlich abbilden. Die Dinge von der körperlichen Seite her zu betrachten. Diesen Dualismus KörperSeele, Innen-Außen finde ich so spießig, genauso wie den Dualismus Mann-Frau – die ganze abendländische Tradition, die auf dem Dualismus aufgebaut ist. Vielleicht kann man mal jenseits dieser Dualismen denken? Normalerweise assoziiert man mit dem Künstlerischen, dass das Innere nach außen gekehrt wird. Mich interessiert, das Äußere ins Innere zu kehren - mit dem Körper zu denken. Das hat sich bei diesem Album als roter Faden durch die ganzen Songs gezogen. Woher das so kommt, keine Ahnung – das Alter? Im Song »Abschaffen« singst du davon, wie es wäre, den Tod abzuschaffen. Wie wäre eine Welt ohne Tod? Den Tod find ich blöd, es wäre am besten, wenn er abgeschafft werden würde. Eine Abschaffung des Todes muss nicht gleich für ewiges Leben stehen. Um Revolutionen und Utopien denken zu können, ist es fast unerlässlich, zunächst einmal die Absolutheit des Todes in Frage zu stellen. Die marxistischen als auch die christlichen Ideen, das theologische und das theoretische Vokabular zu seiner Macht zu berauben. Sich gedanklich vom Imperativ des Todes zu befreien, ist – finde ich – eine gute Idee. »Die Show ist aus, ich bin jetzt alt, bald bin ich kalt.« So beginnt »Im Keller«, das erste Stück des Albums. Haderst du mit deiner Sterblichkeit?

Da ist eigentlich ein sehr heiteres Stück übers Altern. Mit dem Altern wird man mit den Verfallserscheinungen, mit Krankheiten und Tod konfrontiert. Krankheiten im eigenen Umfeld – jeder kennt das. Als sehr junger Mensch, wenn man Mitte 20 oder Anfang 30 ist, rückt das noch nicht so sehr in den Fokus. Trotzdem finde ich weiße, heterosexuelle Männer Anfang 40 schrecklich, die über ihre verlorene Jugend jammern. Das ist ein eigenes Songwriter-Genre für sich, und schwer erträglich für mich. Und dann denke ich: Vielleicht wäre es besser, wenn man statt über seine Vergänglichkeit nachzudenken einfach in den Keller geht, und da wächst wie in einem Body Snatcher-Horrorfilm eine zweite Version von einem heran und die ersetzt einen dann einfach. Von seinem Ebenbild ersetzt werden, die Verstellung finde ich schön. Kann man sich durch ein Ebenbild ersetzen? Ohne dem dazugehörigen »Ich« ist auch eine perfekte Kopie nicht mehr man selbst. Genau das ist das Schöne daran – das man dann nicht mehr man selber ist. Darum geht es bei den ganzen Tocotronic-Texten seit 7–8 Jahren, um die Zertrümmerung des Ichs. Weil ich diese Mode, diese authentische Kuh-Mode zertrümmern will. Zu sagen: Ich sage, damit hat man überhaupt nichts gesagt, das ist für die Kunst das ödeste. Die wahren Gefühle, das wahre Ich, davon möchte niemand wissen und ich möchte niemanden damit belästigen. Bei uns geht es darum, das Ich zu zertrümmern. Bei Rockmusik geht es ums Vervielfältigen, darum, sich neue Identitäten zu suchen. Es sind diese Versprechen, die in der Rockmusik liegen – wenn man an die Selbstverletzung eines Iggy Pop denkt oder an die ikonografischen Images eines David Bowie – das Frau werden, das sind durchaus ganz verlockende Angebote, eine Möglichkeit, anders zu leben als die anderen. Und ich finde das ganz interessant, wie heute in Vergessenheit geraten ist, was Rockmusik darstellt. Sie ist von allen Künsten fast zur allerspießigsten geworden. »Europas Mauern werden fallen«, singst du im Lied »Neue Zonen«. Ist das als politisches Statement zu verstehen? Textlich bot es sich an, weil es um die äußere geografische Panzerung der Festung Europas geht, was auch als Analogie zu der Panzerung eines jeden einzelnen zu verstehen ist. Dabei ging es mir weniger um das Integrationskonzept EU, sondern mehr darum, konkret die gesamteuropäische Flüchtlingspolitik zu geißeln. Die Abschottung Europas ist eine der verabscheuungswürdigsten Praktiken, denen man heute begegnet. Jeden Tag gibt es Tote an den Grenzen Europas, das geht unter in der Tagespolitik. Das Flüchtlingsthema liegt mir am Herzen, weil es unfassbar beschämend ist. Glaubst du an die revolutionäre Kraft des Popsongs? Ich würde es nicht auf Popsongs reduzieren. Ich würde sagen: Ich glaube an die Kraft der Theorie. Aber ich glaube nicht daran, das alles Praxis sein muss. Wenn man Worte als Synonyme für Theorie sieht, glaube ich, dass das viel bewirken kann. Man kann Worten unterstellen, sie seien eben nur Worte, trotzdem haben sie eine große Kraft. Sprache wirkt ja in dem Moment, wenn Leute mit ihr konfrontiert werden, und das hat eine Wirkung, die nicht zu unterschätzen ist. Von welcher Wirkung sprichst du? Ganz banal: Ich glaube, dass Kunst dann etwas bewirken kann, eine Relevanz bekommt – auch im politischen Sinn – wenn man dadurch lernen kann, wie man leben will. Es ist eine banale Formel, aber irgendwie trifft sie zu. Das Album ist keine Erzählung, sondern eine Sammlung von Ideen, Gedanken, Thesen, Kollagen, Gewimsel und Geschwobel und Tönen und Noten, denn es ist ja Musik. Vielleicht können die Hörer davon lernen, wie sie leben wollen, das wäre eine schöne Sache. Das ist Fazit des Albums – das wäre unsere Hoffnung als Band. Aber wir sind ja auch keine Lehrmeister, sondern selbst nur Unwissende. 031

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Beasts Of The Southern Wild — Abenteuer Kindheit

Wo die wilden Herzen wohnen 032

Text Jonas Vogt Bild Polyfilm

Wunderschöne Hymne, trauriges Requiem und perfekte Parabel: Benh Zeitlins Debütfilm »Beasts Of The Southern Wild« ist eine beeindruckende und bewegende Ode an die Kindheit. Der Film begleitet ein kleines Mädchen aus New Orleans durch den Hurrikan Katrina und erzählt von ihrem Kampf gegen die Krankheit ihres Vaters, die Angst vor der Zukunft und prähistorische Monster. Der im Mai diesen Jahres verstorbene Maurice Sendak war kein Mann der vielen Worte. Sein wichtigstes Werk ist nur knapp 20 Sätze lang. Und doch ist »Wo die wilden Kerle wohnen« ein unerreichtes Meisterwerk. Kraftvoll, wunderschön, todtraurig. Und das Beste an der illustrierten Geschichte rund um den Jungen Max, der vor der Autorität seiner Eltern auf eine Insel voller letztlich freundlicher Monster flieht: Sie ist frei von jeder Ironie. Auch Benh Zeitlins Debütfilm »Beasts Of The Southern Wild«, der im Jänner bereits auf dem kanadischen Sundance Festival stürmisch gefeiert wurde, ist kein ironisches Werk. Die nervige Doppelbödigkeit eines »Shrek« fehlt dem Streifen völlig. »Beasts Of The Southern Wild« unterhält Erwachsene nicht mit »Matrix«-Anspielungen oder Analogien zu Prominenten. Stattdessen lässt er sich völlig auf seine kleine Heldin ein und erzählt die Geschichte aus ihren Augen: Hushpuppy und wie sie Welt sah. Die sechsjährige Protagonistin von »Beasts Of The Southern Wild« lebt mit ihrem Vater Wink, einem Schwein und einem dürren Hund in einer Swamp-Siedlung vor den Toren New Orleans, genannt The Bathtub. Ihr Kindheitsbiotop besteht aus Schmutz, Armut und Trailern. Wink pflegt eine liebevolle, aber raue Erziehung, die Hushpuppy auf den Tag vorbereiten soll, an dem er nicht mehr da ist, um sie zu beschützen. Und doch gibt es auch viel Magie und Freude in ihrem Leben. Hushpuppy hört die Herzen ihrer Mitmenschen und

Tiere um sich herum schlagen und mit ihr reden. Außerdem haben die Bewohner von Bathtub wenig, teilen dies aber bereitwillig. Die Szenen, wie sie ihre ärmliche Existenz mit einem Festzug durch die Siedlung und anschließendem Feuerwerk feiern, gehören zur eindrucksvollsten Darstellung von Unterschichten-Stolz seit Langem. Wie viele Kinder hat auch Hushpuppy einen imaginären Fluchtpunkt, der ihr hilft, die Ängste und Entbehrungen zu verarbeiten. Dieser Punkt ist ihre Mutter, die nach ihrer Geburt davonlief. Das Mädchen steht auf dem Dach ihres Trailers und ruft nach ihr, wann immer die reale Misere zu viel wird. Hushpuppy lebt in einem kleinen, geordneten Universum, in dem nichts verschwendet und alles repariert wird. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse: Der Hurrikan Katrina setzt die Siedlung unter Wasser, und Hushpuppys Vater erkrankt schwer. Die Welt, die sie kennt, gerät gewaltig aus den Fugen. Und sie muss lernen, dass manche Dinge zu kaputt sind, um sie zu reparieren. Zu allem Überfluss hat Hushpuppy auch noch Visionen von prähistorischen Monstern, die aus ihrem Schlaf am Südpol erwachen und sich auf den Weg zu ihr machen. Die kleine, tapfere Bewohnerin von Bathub macht sich auf die Suche nach der einzigen Person, von der sie glaubt, Hilfe erwarten zu können: ihrer Mutter.

die monster, die ich rief »Beasts Of The Southern Wild« ist ein bewegender, vielschichtiger

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Film. Märchen, Heldengeschichte und Drama. Wie bei einem mehrfach belichteten Foto legt Regisseur Zeitlin fantastische und reale Erzählebenen übereinander, von denen man letztlich nie ganz weiß, ob sie sich wirklich berühren. Das Verstörendste in »Beasts Of The Southern Wild« sind riesige, grausame Auerochsen. Die prähistorischen Monster wirken inmitten der Dammbrüche und Zwangsevakuierungen im Post-Katrina-New Orleans zwar wie Fremdkörper, aber dieses narrative Element ist nicht losgelöst von seiner Perspektive zu betrachten. »Beasts Of The Southern Wild« wird vielleicht nicht für, aber von Kindern erzählt. Schon immer wurden Bedrohungen in Märchen, Kinder- und Volksgeschichten personalisiert, dadurch gebrochen und zugänglich gemacht. Der charmante Wolf in Rotkäppchen warnt den Zuhörer eben nicht vor der Gefahr durch Wölfe, sondern der deutlich realeren Gefahr durch männliche Sexualität und Vergewaltigung. »Hänsel und Gretel« entstand vermutlich in der Zeit des 30-jährigen Kriegs, als die entvölkerten Landstriche von Hungersnöten geplagt wurden und die Menschen vielerorts bereit waren, das Tabu des Kannibalismus zu brechen. Der Kinderfresser im Film »Pan’s Labyrinth« symbolisiert die Schrecken des spanischen Bürgerkriegs. Manche Dinge sind zu schlimm, um sie direkt zu betrachten. Da kann es helfen, sie zu einem irrealen Ungeheuer zu machen. Auch die Monster in Sendaks Buch und Zeitlins Film sind nicht zufällig da. Sie symbolisieren die Ängste und Wünsche ihrer kleinen Protagonisten. Max versteht nicht, warum er seine destruktiven Gefühle beherrschen sollte. Die wilden Kerle sind das, was Max gerne sein will: sie leben ohne Regeln und ohne Zügel. Bei Hushpuppy sind die Monster eher die Dämonen einer Zukunft, die sie nicht versteht. Sie weiß, dass sich die Dinge verändern werden und fürchtet sich davor. Sie hat Angst vor dem Unbekannten und der Möglichkeit, dass sie vielleicht zu schwach für künftige Bedrohungen sein könnte. Das Ganze geschieht auch deshalb, weil man ihr die Dinge nicht erklärt. Jedesmal, wenn sie Wink auf seine Krankheit anspricht, bekommt sie nur zu hören, dass sie das nicht verstehen würde.

der preis des erwachsenwerdens

zu sehen. Max und Hushpuppy sind roh, naiv, gewalttätig, liebesbedürftig, böse, neugierig und verletzlich. Sie durchleben das gesamte Gefühlsspektrum. Kurzum: Sie sind Kinder. Und Kindheit ist nun mal magisch und erschreckend zugleich. Und Kinder bewegen sich nicht im Moralsystem der Erwachsenen um sie herum. Max und Hushpuppy sind wütend, wild, werfen mit Dingen herum und zerstören ihre Besitztümer, um die aus ihrer Sicht ungerechten Eltern zu bestrafen. Sie kommen aus unterschiedlichen Situationen: Das behütete Eigenheim auf der einen, die schmutzige Trailerpark-Siedlung auf der anderen Seite. Und doch benehmen sie sich ähnlich. Ihre Gefühle sind universell, und damit auch die erzählten Geschichten. »Wo die wilden Kerle wohnen« und »Beasts Of The Southern Wild« sind allgemeingültige, perfekte Parabel auf die Kindheit. Am Endpunkt beider Parabeln steht eine so traurige wie zentrale Wahrheit des Erwachsenwerdens: Träume halten unseren Erwartungen meist nicht stand. Aber eben auch die Erkenntnis, dass die Realität bewältigbar und voller Liebe ist, wenn man sich ihr stellt. Das macht beide Geschichten so besonders. Sie sind jeweils eine wunderschöne Hymne auf und gleichzeitig auch trauriges Requiem für die Kindheit. Denn am Ende der Geschichten sind Max und Hushpuppy ein Stück erwachsener. Sie begreifen, dass man sich seinen ungezügelten, animalischen Monstern stellen muss und sie nur so besiegen kann. Aber mit jedem Monster verschwindet eben auch ein Stück Magie aus dem Leben –das ist der Preis des Erwachsenwerdens. Doch beide Kinder werden am Ende auch belohnt. Max erkennt die bedingungslose Liebe seiner Mutter. Und Hushpuppy, die in einer unwirtlichen Welt aufwuchs und immer zur Stärke erzogen wurde, darf am Ende schwach sein. Die Heldin erlaubt sich, zu weinen. Letztlich bleibt nur noch die Frage, warum die Geschichten auch Erwachsene tief im Herzen packen. Weil sie uns in eine Welt entführen, die uns nicht mehr offensteht. Das bewegt uns, muss uns aber nicht traurig machen. Denn wir haben gegenüber Hushpuppy und Max einen Informationsvorsprung. Wir wissen ganz genau: Das Ende der Kindheit mag das Ende der Magie sein. Aber ganz sicher nicht der Abenteuer.

Quvenzhané Wallis, die Darstellerin von Hushpuppy, ist ein Glücksgriff. Eine kraftvolle, kindliche Urgewalt. Und das ist auch der Schlüssel, als das Gemeinsame in den Protagonisten von Sendak und Zeitlin

»Beasts Of The Southern Wild« ist seit Oktober in den österreichischen Kinos zu sehen. 033

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Neue Politshow-Formate — Infotainment für die Jugend

Politainment! 035 Armin Wolf legt sich auf einen Tisch, Stefan Raab lässt über Politiker abstimmen und Oliver Welke kopiert seit hundert Sendungen ein US-Erfolgrezept. Das Fernsehen ist auf der Jagd nach Jugendlichen, die immer schwerer zu »infohalten« sind.

Wenn politik wirklich auf wirklichkeit trifft Was war da nicht los, einen Tag, nachdem Stefan Raab eine gar nicht so andere Talkshow hinlegte. »Absolute Mehrheit«: ein Reinfall, überflüssig oder eine Lehrstunde in Emokratie. Vier Politiker und eine Unternehmerin diskutierten mit Stefan Raab ziemlich riesige Themen. Weil aber der Sieger der Debatte 100.000 Euro gewinnen konnte, war die Show von Anfang an verdächtig, nur den größten Populisten zu belohnen – so, als müsste man das Volk noch immer vor sich selbst beschützen, weil es ein bisschen dumm ist. Dabei hatte Raab nur ein paar Dinge konsequent und simpel zu Ende gedacht. Immerhin dreht es sich bei vielen anderen Polit-Talkern wie Jauch, Beckmann, Thurnher und Pelinka oft genug nur darum, wer mehr Applaus einfährt, wer die Sache auf ein Bonmot zuspitzt, das sitzt. Josef Cap hätte bei Raab definitiv gute Chancen. Und dafür Geld zu bekommen, ist eigentlich sehr naheliegend. Dass die Sache selbst dabei egal ist, stellte Stefan Raab vorher oft genug klar. »Absolute Mehrheit« war – ähnlich wie Raabs »TV Total« – vielmehr ein Kommentar über die Medien selbst. Und tags darauf schaute man halb entsetzt, halb bewundernd, was

Raab angerichtet hatte. Von den Jüngeren war zur späten Uhrzeit fast jeder fünfte auf Pro7. Schlag den Raab, so schwer hatten sich das die restlichen Profis nicht vorgestellt. In den USA schaffen Jon Stewart und sein republikanisches Gegenstück Stephen Colbert allerdings, wovon man in deutschsprachigen Sendern träumt: Zivilgesellschaft. Als die erzkonservative Tea Party zur halben Amtszeit von Präsident Obama das Klima im Land vollends vergiftet hat, versammeln Stewart und Colbert mehr als 200.000 Menschen in Washington, um dort ein Zeichen gegen politischen Extremismus zu setzen. Im Wahlkampf gründet Stephen Colbert vor laufender Kamera ein sogenanntes Super-PAC und lässt sich in mehreren Sendungen von seinem Anwalt erklären, wie er damit Kandidaten anonym mit Geld zuscheißen kann und gleichzeitig vertuschen, von wem es kommt. Zwischendurch schauen Bands, Schauspieler und Bestsellerautoren vorbei, während kurz davor noch von Schwänzen geredet wird oder die animierte königliche Familie eine gute Zeit im Bondage-Keller hat. Davon ist man hier in Mitteleuropa noch weit entfernt, in beide Richtungen. Auch wenn die Shows wesentlich zahmer sind, trauen sich viele Politiker oft nicht hin, sind sie doch schwerer kontrollierbar als die klassischen Medien, die man wahlweise »wulffen« oder mit Anzeigen subtil beeinflussen kann. In den USA dagegen kommen Politiker nicht um diese Shows herum – auch wenn sie dort ein paar Tage vorher noch verspottet wurden. Joe Biden, John McCain, Barack Obama, Bill Clinton oder auch König Abdullah II. von Jordanien tun es, weil die Zuseher dieser Shows jung und clever sind – so, wie sie eben ins Frühstücksfernsehen gehen, wenn sie Mütter ansprechen wollen.

Fernsehen verstehen Die US-Shows haben zwar ein paar Jahre Erfahrung mehr, oft genug sind sie aber auch weit vom politischen Alltag entfernt, greifen sich die dümmste Aussage der Woche heraus – einen Patzer oder die verwirrte Idee eines Abgeordneten – und rösten sie solange, bis nur noch Gags, Gags, Gags übrig bleiben. In diesen Momenten sind sie wie ein harmloser Hofnarr, der den Mächtigen auf der Nase herumtanzt, und mehr auch nicht. Wenn es aber gelingt, die Grenze zwischen bitterer Politik und blöden Scherzen zu verwischen, wenn zwischen den Pointen immer wieder scharfsinnige Analysen aufblitzen, dann können Politiker nicht mehr anders, als hinzugehen. Die »Heute-Show« und »Absolute Mehrheit« könnten das definitiv schaffen – schneller, als man glaubt. Wer auch sonst? In Österreich sind solche Formate noch zarte Pflänzchen, man bewegt sich größtenteils auf dem Niveau politischen Kabaretts. So gut Palfrader, Dorfer, Ster- und Grissemann oder Ostrowski mit ihren Pointen oft sind, Fernsehen kann viel mehr als das. Am besten hat das wieder einmal Armin Wolf verstanden, der sich auf den ZIB-Studiotisch legte und als lebende Planke für helle Aufregung sorgte. Mit einfacher Sprache hält er seine Facebook-Fans bei Laune und sorgt dennoch mit seinen Interviews für die größten Schlagzeilen. Wenn man sich nun aus all den Formaten etwas Beispielhaftes mitnehmen will, dann vielleicht das: von Stefan Raab, wie man die Codes von cleveren Halbstarken beherrscht, von Stephen Colbert und Jon Stewart, wie man dem Bedeutung verleiht und von Oliver Welke, was mit öffentlichrechtlichem Geld alles möglich ist. Könnte dann »ZIB-Show« heißen. Nur so eine Idee. Die »Heute-Show« läuft jeden Freitag um 22.30 Uhr auf ZDF. »Daily Show« und »Colbert Report« werden viermal wöchentlich produziert. »Absolute Mehrheit« lief bisher erst einmal, die nächste Show ist für Jänner geplant. Alle Sendungen kann man auch online sehen.

Text Stefan Niederwieser Bild brainpool

Nachrichten im Fernsehen sind alt geworden. Über 60 Jahre im Durchschnitt, zumindest bei den ausrangierten Sendungs-Flagschiffen wie »Zeit im Bild« und »Tagesschau«. Wenn das Ganze mit Steuern bezahlt wird, kann das vor allem den Machern selbst nicht egal sein. Warum das so ist, hat etwa auch Österreichs Mediengesicht Nummer Eins, Armin Wolf, akademisch untersucht. Im Grunde würden Jugendliche durchs Netz streunen und wären nur selten bereit, sich auf komplexe Themen einzulassen. Man muss ihnen nun nicht unbedingt vorwerfen, dass sie in ihrem FacebookStream lieber Katzenfotos und Memes sehen als Palästinenser mit abgetrennten Gliedmaßen oder protestierende Griechen. Auch wenn man das könnte. Oder aber man fragt sich, was man tun soll, um diese anstrengenden Geschichten so zu gestalten, dass sie mitreißen, so, dass die Schwelle niedrig ist und die Einsichten tief. Nachrichten in ihrer Reinform bekommt man schließlich auch im Teletext, auf Twitter oder im Ticker. Auf der Suche nach den Zusehern von morgen wird heute quer über alle Medien experimentiert, mit Infografiken, kürzeren Beiträgen, kumpelhaftem Ton, animierten Videos, Top-Soundso-Listen, Schlagzeilen-Journalismus, Texten im Superlativ und Daten-Journalismus. Oder, man probiert es mit Humor. Wie das gehen könnte, proben im deutschen Fernsehen derzeit mehrere Sender. Einer davon – das ZDF mit der »Heute-Show« – bedient sich gleich direkt bei dem großen Vorbild aus den USA. Bei der Verleihung des renommierten Grimme-Preises meint die Jury zwar noch, die »Heute-Show« sei mehr als nur Jon Stewarts »Daily Show«, sei nicht nur »öffentlich-rechtlicher Satireauftrag im Korsett eines amerikanischen Erfolgsmodells.« Die Ähnlichkeiten sind allerdings unübersehbar. Soziopathische Korrespondenten, merkwürdige Außenreportagen, erfundene Experten und Requisiten gehören ebenso dazu wie grafische Inserts, die bekannte Filme und Serien in eine aktuelle Schlagzeile umtexten: Gaywatch, Shrek lass nach, Brokeback Bayern. Es wird geflucht und brutal übertrieben, es wird gelogen und geradeheraus geredet – alter Schwede, es tut weh und zeigt, wie dumm die Tagespolitik manchmal ist. Oliver Welke ist das Gesicht der Show, der Gastgeber. Und tatsächlich hat das Team nach 100 Folgen eine hohe Quote geschafft. Im November erreichte die »Heute«-Show bereits bis zu elf Prozent Marktanteil und 8,3 bei der werberelevanten Zielgruppe zwischen 14 und 49. Was für das ZDF wahnsinnig gut ist. Aber nichts gegen Stefan Raab.

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Text Margit Emesz Bild Courtesy Galerie Elisabeth & Klaus Thoman, Innsbruck/Wien © VBK, Wien, 2012

Thomas Feuerstein — Kunst mit Zuckerschock

Besuch beim Candyman Im »Candylab« experimentiert Thomas Feuerstein mit Körper, Geist und Zucker: Menschliche Gehirnzellen ernähren sich von philosophischen Schriften, Sprache wird zu Hochprozentigem. Bitterer Ernst oder süße Gaukelei? Pancreas (Bauspeicheldrüse) ist einerseits eine exokrine Drüse, das bedeutet, ein Organ, das Stoffe – in diesem Fall Verdauungsenzyme – nach außen abgibt. Sie ist in weiterer Funktion für die Regulation des Blutzuckerspiegels verantwortlich und produziert unter anderem das Hormon Insulin. Diabetes, bekannt als Zuckerkrankheit, ist ein Resultat einer Störung dieses Organs. »Pancreas« (griech: »alles Fleisch«) ist auch der Titel des Herzstücks von Thomas Feuersteins aktueller Ausstellung in der Kunsthalle Krems. Im »Candylab« steht diese Skulptur, die gleichzeitig Versuchsanordnung und Laboratorium ist. Feuerstein füttert die Maschine mit spezieller Nahrung: den Seiten eines Buches, und zwar des immer gleichen Werks: Hegels »Phänomenologie des Geistes«. Die als Zersetzer des Papiers agierenden Bakterien haben einiges zu knabbern. Sie wandeln die philosophische Schrift über Wahrnehmung, Bewusstsein, Vernunft und Universalwissen zu Glukose, sprich Zucker, der lebenswichtigen Essenz und zugleich Geißel unserer Zivilisation. Für Feuerstein ist es der »universelle Brennstoff des Lebens«. Und tatsächlich wird die Glukose in einem gläsernen Glassturz von menschlichen Gehirnzellen freudig erwartet – sie wachsen und gedeihen je nach der Zufuhr des aus der Niederschrift der geistigen Ergüsse gewonnenen Nektars.

Rund um die Apparatur finden sich Zeichnungen und Malereien – ebenfalls aus dem Werkstoff Zucker gefertigt. »Mary«, ein phallischer Zuckerberg auf einem Büchersockel, und weitere Plastiken in einem Vitrinenschrank namens »Speis« bestehen ebenso aus der süßen Materie. Ihnen liegt dann aber doch eine umfangreichere Auswahl an Literaturgeschichte zugrunde: Sie speisen sich unter anderem aus Seiten von Werken von Mary Shelley, Simone de Beauvoir oder Joris Karl Huysmans.

zerstörerisches potenzial Zucker als Elixier des Lebens? Zucker als Grundlage von Wissen(schaft)? Mitnichten. Aber vielleicht ist es gerade dieser Zwiespalt von Gut und Böse in einem Stoff vereint, den Feuerstein so interessant findet. Zucker versüßt unser Leben und erzeugt Energie, ohne die es kein Fortkommen gäbe. Doch Zucker bedeutet auch – speziell in unserer westlichen Kultur – Abhängigkeit und Übersättigung. Das, was die Menschheit krank macht. Diabetes ist eine Zivilisationskrankheit, die in den letzten Jahren rasant zugenommen hat. Der Großteil des amerikanischen Maisanbaus wird beispielsweise für die Produktion von Glukosesirup (Corn Sirup) verarbeitet. Es gibt kaum ein Lebensmittel, das diesen

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Stoff, der im Vergleich zu Zucker wesentlich kostengünstiger herzustellen ist, nicht enthält. Nicht ohne Grund ist fast jeder dritte Amerikaner fettleibig, Tendenz auch in Europa steigend. Kaum jemand hinterfragt oder vermutet, welche Mengen an Zucker jeden Tag durch die Nahrung, die vordergründig nichts mit Süßspeisen zu tun hat, aufgenommen werden. Wie recht hat Thomas Feuerstein: Zucker ist die Grundsubstanz des Lebens – mit gefährlichen Nebenwirkungen. Doch damit nicht genug. Im nächsten Stock des Ausstellungsgebäudes begegnet man einer weiteren für den Menschen wesentlichen Substanz, deren Grundlage ebenfalls Zucker ist: dem »Genius In A Bottle« Ethanol. Feuerwasser, Sp(i)rit, Booze – das Elixier, das das menschliche Gehirn beflügelt und einlullt. Thomas Feuerstein lädt in seine Spezialbar, die aus bunt illuminierten Flaschen besteht: In der Installation »Poem« wird feuchte Luft, die beim Sprechen aus den Mündern der Besucher entweicht, durch eine Reihe von biochemischen Prozessen gejagt. Am Ende wird sie als extrahierter Alkohol abgefüllt. Aus Worten gewonnener Weingeist, der gesprächig macht.

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realität und alchemistische mythen Dem Künstler geht es offensichtlich um den transformatorischen Aspekt: Wort wird Fleisch, Wort wird Geist. Die Wandlung von Literatur bzw. Sprache zum alles antreibenden Brennstoff Zucker ist eine verheißungsvolle und eventuell auch etwas elitäre Metapher. Schließlich werden die Maschinen nicht mit dem HeuteMagazin gefüttert, sondern mit Wälzern aus Philosophie und Literaturgeschichte. Die Realität sieht aber anders aus, denn die »Phänomenologie des Geistes« wird im Alltag nicht besonders geschult. Hier erkennt man Feuerstein als den traditionellen Alchimisten, als Verfechter der magischen Mythen, der die Naturgesetze mit Philosophie und moderner Technik paart, um ein Laboratorium vorzuführen, das man auch als romantische Spielerei oder Horrorkabinett sehen kann. Verselbstständigen sich seine wahnwitzigen Versuchsanordnungen, könnte die aus Zucker gespeiste Energie ein Supergehirn erzeugen. Was, wenn es sich befreit? Was, wenn sich jemand Cocktails aus Feuersteins Spezialbar mixt? Führt dann die ultimative Erkenntnis zum Untergang, die Hybris zum Fall, wie man es aus dutzenden Legenden kennt? »Flesh For Fantasy II« heißt eine der Polyprohylenskulpturen, die einen Affenschädel mit spitzen Reißzähnen in einer Wolke aus molekular anmutenden Kugeln zeigt. Gib dem Affen Zucker – wir sind doch nur triebgesteuerte Säugetiere, die sich durch die Entwicklung des Geistes vom Animalischen vermeintlich abheben. Lassen sich Kunst und Wissenschaft nun also vereinen? Ist die Kunst das Mittel, das der Wissenschaft ermöglicht, das Unglaubliche darzustellen? In Thomas Feuersteins »Candylab« trifft das jedenfalls zu. Dennoch, das Kunstwerk ist nicht konkret erfassbar. Die Installationen zeigen Vorgänge, die ein Ergebnis zu liefern vorgeben. Fragil und ephemer sind die Arbeiten, undurchsichtig die Tatsachen.

»Flesh For Fantasy« – Thomas Feuerstein transformiert Gedanken ins Gegenständliche.

der trickster macht‘s möglich Thomas Feuersteins künstlerische Karriere entwickelte sich aus den Studien der Kunstgeschichte und Philosophie. Er ist Wissenschaftler, der Kunst macht, und sich selbst dabei mit dem Begriff »Trickster« in Verbindung bringt. Ein Trickster ist ein Schelm, ein Narr und ein Gaukler, Magier, Betrüger. Ein gerissener Kerl, der mit Sein und Schein spielt, die Menschen in seinen Bann zieht, sie verleitet, verführt und nicht zuletzt verschaukelt. Ein diabolischer Charakter, der Realität und Fiktion vermischt. Wie viel von den gezeigten Experimenten ist haltbar? Haben wir es wirklich mit echten Gehirnzellen zu tun, die ihr literarisches Gourmetmenu verspeisen? Finden sich unsere Worte tatsächlich in der geheimnisvollen Laborbar wieder? Egal, wie es um den Wahrheitsgehalt bestellt ist, die Hintergründe wurden akribisch recherchiert. Den Rest besorgen die Kraft der Imagination und unsere Begeisterungsfähigkeit. »Candylab« von Thomas Feuerstein ist ab 18. November 2012 in der Kunsthalle Krems zu sehen. 037

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Kooperation Vienna Open — Ein Rückblick

Open Design: Eine Strategie

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interview Martin mühl Bild Nataša Sienčnik

Mit ihrem Verlag Neue Arbeit veranstalteten Gerin Trautenberger und Bernhard Tobola diesen Herbst Vienna Open. Ein Rückblick in Interviewform. Ihr habt in den letzten Wochen Vienna Open als Festival veranstaltet. Welche Vorhaben oder Ziele waren für euch dabei wichtig? Vienna Open klingt nicht nur wie ein Match zwischen verschiedenen Disziplinen – das ganze Festival ist ein spielerischer Umgang mit Design in all seinen unterschiedlichen Facetten und Erscheinungsformen. Das besondere bei Vienna Open ist der kreative Austausch von Ideen und Projekten auf gleicher Augenhöhe und nicht das Bussi-Bussi / Bling-Bling wie bei den Design-Ausstellungen mit Sekt und Kaviarbrötchen. Der offene Zugang und der freie Umgang miteinander sind das Besondere. Da alle Projekte, die bei Vienna Open vorgestellt wurden, unter Creative Commons publiziert wurden, können sie von jedem und jeder nachgebaut und jederzeit frei verwendet werden. Das Ziel, den Umgang mit Creative Commons anhand von konkreten Projekten und Produkten zu zeigen und zu erlernen, haben wir mit den Workshops und Lectures erreicht. Mit den über 500 Besuchern von Ausstellung / Eröffnung / Programm wurden Projekte und Konzepte rund um Open Design verhandelt und ausgearbeitet. Damit wollten wir zeigen, dass Open Design keine neue künstlerische Ausdrucksform, sondern eine neue Strategie für Gestalterinnen und Gestalter darstellt. Welche Vor- und Nachteile hat dabei die Organisation als Festival? Der eindeutige Vorteil bei einem Festival-Format ist die intensive und kompakte Auseinandersetzung mit einem Thema. Durch die zeitlich verteilten Lectures und Workshops konnten Teilnehmer an verschiedenen Tracks teilnehmen. Bei klassischen Drei-Tages-Festivals möchte man sich ja am liebsten klonen, um an allen interessanten Veranstaltungen teilnehmen zu können. Für uns ganz persönlich war das Wichtigste sicherlich, dass wir endlich mit den Designerinnen und Designern zusammenarbeiten konnten, mit denen wir schon immer mal was gemeinsam machen wollten. Was wurde 2012 noch nicht über Open Design gesagt? Wie bei allen guten Dingen: Es braucht Zeit! Das Prinzip von Open

Design ist zwar simpel, aber die Handhabung und die Anwendung von Creative Commons nicht. Die Prinzipien von Open Design entsprechen der Offenheit und Nachvollziehbarkeit von Gestaltungsprozessen. Der Ideenaustausch unter Kreativen ist durch das Internet viel leichter geworden. Printfiles in 2D oder auch 3D können in Sekundenschnelle über den ganzen Erdball verteilt werden. Dabei können meine Entwürfe am anderen Ende der Welt produziert werden, ohne dass ich dabei vor Ort sein muss. Aber nicht nur die Produktion hat sich radikal verändert, sondern auch die Möglichkeit, dass andere meine Ideen weiterentwickeln und das Produkt dadurch verbessert werden kann. Damit kann ich als Gestalter auch vom Austausch und der Weiterentwicklung profitieren. Das ist wie bei der Entwicklung von Software. Linux zum Beispiel wurde erst durch den unkomplizierten Austausch und der inkrementellen Entwicklung ein ernst zu nehmendes Betriebssystem und eine echte Gefahr für Microsoft. Es ist ein evolutionärer Prozess – und bekanntlich geht so etwas nicht von heute auf morgen. Dabei muss der Umgang mit Creative Commons für Produkte von Interessierten erst erlernt werden, um auch sinnvoll angewendet werden zu können. 2009 haben wir als Microgiants und Initiative Neue Arbeit angefangen, uns mit Open Design zu beschäftigen. 2011 konnten wir im Grazer Design-Monat zeigen, was Open Design kann und wie lokale Produktionsstätten und Fabriken davon profitieren. Und beim Vienna Open Festival haben wir zum ersten Mal viele unterschiedliche Produkte, die unter Open Design veröffentlicht sind, in Wien gezeigt. Diesmal haben wir aber Open Design noch weiter gefasst und Projekte zu Mode, Sound und Structures in einer Ausstellung und bei Workshops präsentiert. Von Mode über Musik bis zu Open Organisation habt ihr viele Themen behandelt. Welche wurden besonders gut angenommen? Die Themen Sound, Mode und Structures waren sicherlich die Highlights, wenn man nach Besucherzahlen geht. Ronen Kadushin war ja schon dreimal in Wien, konnte aber auch diesmal ganz neue Aspekte

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Bis zum nächsten Vienna Open: Das Vienna Open Team — Nataša Siencnik (Lectures), Moya Hoke (Kuratierung der Ausstellung), Bernhard Tobola (Projektleitung), Franz Piffl / Lukas Bast (Ausstellungsdesign) und Emanuel Jesse (Grafik) Open Design Contest — Vienna Open hat noch einen kleinen Ableger: Der Open Design Contest – der das ganze nächste Jahr laufen wird. Gemeinsam mit der Waag-Society in Amsterdam wird ein internationaler Wettbewerb für Open Design-Produkte zu den Themen Form, Food, Fashion und Fusion veranstaltet. Gesucht sind neue Ideen und gute Umsetzungen von Open Design-Produkten. www.vienna.opendesigncontest.org von Open Design zeigen. Für mich war sicherlich das Interessanteste, dass man bei Musikhardware mit Open Design arbeiten kann. Peter Kirn hat mit seinem MeeBlip ganz neue Wege für Musikproduktion und Business aufgezeigt. Dazugelernt habe ich auch, dass Mode immer schon Open Source war und erst seit dem Entstehen der großen Modehäuser plötzlich mit Copyright versehen wurde. Wie Cecilia Palmer in ihrer Lecture zeigte, kann Mode nur durch Kopieren und Zitieren bekanntgemacht und verbreitet werden. Oder auch Thomas Lomeé mit seinem Open Structures-Projekt. Thomas hat eine Produktpalette basierend auf einem 4 × 4-cm Raster entwickelt. Dabei kann jeder und jede mitarbeiten und so die entwickelten Produkte, Möbel und Teile von anderen verwenden, um das gesamte System weiterzuentwickeln. So entstanden in einer breiten Zusammenarbeit Transportfahrräder, Kaffeemaschinen und viele andere Produkte. Nicht zu vergessen ist auch die begleitende Ausstellung zu den Open Design Lectures: Die Präsentation von rund 50 Produkten, bei der wir die ganze Bandbreite von Open Design zeigen wollten. Das aktuell spannendste Projekt war die riesige Lowtech-Printmaschine »Grand Central« von Thibault Brevet – damit konnte jeder aus der ganzen Welt direkt Nachrichten in die Vienna Open Galerie schicken. Diese Nachrichten wurden dann in vier Farben durch dicke Permanentmarker auf eine große Druckwalze mit Endlospapier gebracht. Georg Russegger meinte in seinem Interview über Open Organisation, dass es keinen Sinn machen würde, alles einem Diktat der Offenheit zu unterwerfen, sondern dass Offenheit gerade im Widerspruch und in Zusammenarbeit mit herkömmlichen Strukturen einsatzbar ist. Wie seht ihr das? Was Georg Russegger in seinem Interview und auch in seinem Vortrag beschreibt, erscheint für viele der Open Source- und Open Design-Bewegung als Widerspruch. Kann etwas offen sein und gleichzeitig einer Norm unterliegen? Viele Anhänger der WestcoastInternet-Liberalen lehnen jegliche Kontrolle und Beschränkungen – und dabei nicht nur für das Internet – konsequent ab. Da ist unser Ansatz ein klar differenzierter: Offenheit ja, aber es muss auch für alle nachvollziehbar sein, wie etwas entstanden, verarbeitet und produziert wurde. Es nützt das schönste Open Design nichts, wenn es nicht gut dokumentiert ist. Denn ohne gute Dokumentation kann niemand das Open Design-Produkt nachvollziehen oder gar nachbauen. Das vergessen die meisten dabei – dass Offenheit auch Transparenz erfordert und das ist bereits der Beginn einer Normierung. Ihr seid mit dem Verlag Neue Arbeit auch Veranstalter des Maispace und anderer Events. Wie ist für euch inhaltlich und organisatorisch die Verbindung zwischen Vienna Open und den anderen Events? Wir wollen mit unseren Aktionen, Veranstaltungen und Festivals zeigen, dass Wien kein verschlafenes Nest ist und mit anderen Hauptstädten auf gleicher Augenhöhe die aktuellen Strömungen der Zeit verhandelt. Ich glaube, dass uns das mit Vienna Open zweifelsohne gelungen ist und wir auf verschiedenen Konferenzen in Europa eingeladen wurden, um über unsere Projekte zu sprechen. Plant ihr Vienna Open 2013? Definitiv. 

Die Workshops und Lectures von Vienna Open 2012 fanden zwischen 19. Oktober und 16. November statt. Noch bis 22. Dezember hat der Design Store & Showroom geöffnet. www.viennaopen.net 039

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In »Star Wars – The Clone Wars« kämpfen Klone gegen Roboter. Wir wissen alle wer dabei gewinnen muss.

Kleine Kulturgeschichte der Roboter — Wie aus scheißenden Blechenten Kampfdroiden wurden

Klone sind die besseren Roboter 040

text yannick gotthardt Bild lucasfilm ltd. & tm

Mit »Star Wars« begann der Niedergang. Seit den 80er Jahren hat sich die goldene Epoche der C3POs, Terminatoren und Robocops sang- und klanglos ihrem Ende zugeneigt. Vielleicht wären die ersten menschenähnlichen Roboter ziemlich nette Kerle gewesen, vielleicht aber hätten sie auch umgehend die Menschheit vernichtet. Wir werden es wohl nie erfahren. Im Kampf um die lustvoll schaurigen Zukunftsfantasien der Menschen hat mittlerweile die Biotechnologie über die Mechatronik gesiegt. Der Aufstieg der Roboter war lang und eindrucksvoll, gehört mittlerweile aber der Vergangenheit an. Unter den Spezialisten (Nerds) gilt die Indizienlage als erdrückend. So dokumentiert heute im ganzen weiten Internet fast jedes beliebige Science-Fiction-Forum, dass »Klonkrieger viel besser sind als Kampfdroiden«. Dabei war »Star Wars« nur der erste Anstoß. Es folgten die Kultfilme der Klone: »Blade Runner«, »Das Fünfte Element« und »Resident Evil«. Wenn Roboter seitdem in der Populärkultur auftauchen, dann meist entweder als Sequel von 80er-Jahre-Filmen wie »Terminator«, als niedliche nostalgische Kinderfiguren wie in »Wall-E« oder als Remake von jahrzehntealter Science-Fiction-Literatur wie »I-Robot«. Wer seit den 90ern auf intelligente aber gefügige Sklaven der Zukunft hofft, hofft nicht mehr auf menschenähnliche Automaten, sondern auf die Biotechnologie. Das war vom frühen 18. bis zum späten 20. Jahrhundert noch anders.

die roboter-zukunft von gestern In ihrer Blütezeit war die Roboterkultur hoch entwickelt. Sie brachte es sogar zu einer festgeschriebenen Ethik. Über die stolpert man heute noch etwa in drei anerkennenden Zeilen im Skript »robots.txt« von last.fm. Sie lauten: Disallow: /harming/humans Disallow: /ignoring/human/orders Disallow: /harm/to/self

Der russische Autor Isaac Asimov war es, der 1942, zur Blütezeit der mechanischen Roboter, diese drei »Asimov’schen Gesetze« definierte. Von ihm stammen auch zahlreiche Science-Fiction-Erzählungen wie »Runaround« oder eben »I-Robot«. Die Anfänge der Utopie automati sierter Lebewesen reichen dabei einige hundert Jahre weiter zurück, bis zum französischen Philosophen René »Ich denke, also bin ich« Descartes, der meinte, es sei gut möglich, dass der Mensch einmal ein perfektes Tier erschaffen würde. Daraufhin baute Jaques de Vaucanson 1735 eine mechanische Ente, die watscheln konnte, fressen, verdauen und ausscheiden. Auch humanoide Roboter blieben die längste Zeit Blechkisten und wurden als »Automaten« oder »Menschmaschinen« bezeichnet. 1920 erst wurde der Roboterbegriff vom Tschechen ˇ Karel Capek eingeführt ( Robota, als westslawisches Wort für mühselige ˇ Arbeit). Capek prangerte die Macht von Industriekonzernen und Diktaturen an. Menschenähnliche Roboter waren das utopisch überspitze Gleichnis für die absehbaren Probleme des technologischen und sozialen menschlichen Fortschritts. Als die »Menschmaschine« zum »Roboter« wurde, wandelte sich gleichzeitig die naive Science-Fiction zum technologie- und gesellschaftskritischen Begriff. Des Menschen neuer Sklave war der menschenähnliche Roboter. Er zeigte die Kehrseite von Industrialisierung und Rationalisierung. Diesen Part haben in Hollywood heute die Elektronengehirne, die Klone der Biotechnologie und kybernetische Organismen übernommen. Schade eigentlich, Roboter waren irgendwie deutlich weniger gruselig und als Spielzeug auch weihnachtsbaumtauglicher als künstliche Intelligenz und Klonfleisch.  Die Ausstellung »Roboter: Maschine und Mensch?« ist ab 7. Dezember im Technischen Museum Wien zu sehen.

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Ludic Interfaces — Die Kunstuni in Linz bietet einen neuen Studiengang

Kreative Universalisten 041 Spiele sind seit einigen Jahren und gerade wieder in aller Munde – Stichwort Gamification. Die Grundprinzipien sind aber viel älter … Mit dem Schlagwort Gamification passiert gerade wieder einmal das, was auch schon mit Social Media, Web 2.0 oder Mobile Computing passiert ist. Das Überfrachten eines Begriffs, der somit als Hype zu klassifizieren ist. Angesprochen ist der Versuch, mittels spielgeleiteten Design- und Produktlösungen die Überforderung von Individuen und Gruppen in immer komplexer werdenden Handlungs- und Interaktionswelten handzuhaben. Das Potenzial von Gamification im Allgemeinen ist unumstritten, es bleibt aber ein zahnloser Begriff, wenn keine Kontexte geliefert werden. Die Grundprinzipien dieses Ansatzes sind nicht neu, denn Spiel und Spielen sind immer schon fixer Bestandteil von menschlichem Trainieren, Üben, Experimentieren, Lernen. Joan Huizinga hat dies mit seinem Werk »Homo Ludens« exemplarisch aus kulturwissenschaftlicher Sicht zusammengefasst. Welche Rolle spielen hier Digitalität und Technik? Digitalität und Technik eröffnen neue Möglichkeitsräume und Handlungsumgebungen. Das wirkt sich auf globale Zugänglichkeiten aus und eröffnet auch neue Kultur- und Marktformen. Und es schafft auch neues Potenzial für kreatives Entwerfen und Entwickeln. Hierbei lauteten die Schlagworte immer schon Herumspielen und Experimentieren. Für Kunstschaffende und Kreative ist das spielerische Erfinden schon immer eine Basis für das Schaffen von Neuem. Früh haben Firmen wie z.B. Sony dieses Potenzial erkannt und sich Forschungsabteilungen geleistet, in denen Künstler und Designer nichts anderes machen mussten als herumzuexperimentieren. Und wie kommen Ludic Interfaces gerade jetzt an die Universität? Das hat mehrere Gründe. Einerseits ist schon länger klar, dass Aus-

bildungssysteme sich an die laufenden Anforderungen von Betätigungsbereichen dynamisch anpassen müssen. Hier geht es verstärkt um interdisziplinäre Ausbildungsprofile, die Ansätze vermitteln, um Lernen zu lernen. Andererseits stellen spielerische Ansätze keine fachspezifischen Werkzeuge dar, sondern Methoden zur Verfügung, um mit komplexen Themen und Sachverhalten umzugehen. Wir hatten das Glück, im Rahmen einer EU-Förderung, die vier europäischen Universitäten zugesprochen wurde, drei Jahre lang Lehrmethoden und Inhalte zu entwickeln, die sich mit spielerischen Herangehensweisen in Bereichen wie Kunst, Technik, Design und Medienwissenschaften auseinandersetzten. Warum ist dies gerade an einer Kunstuni angesiedelt? Wie sieht die Zusammenarbeit mit den anderen beiden Universitäten aus? Kunstuniversitäten bieten einen freien Zugang zu Schaffensprozessen und schreiben in Bezug auf Lern- und Ausbildungsziele wenig vor. Gerade bei Studienzweigen, die im Bereich Mediendesign und Medienkunst angesiedelt sind, gewinnen spielerische Ansätze an Bedeutung, um neue Formen der Interaktion mit Medientechnologien zu schaffen. Mit Ludic Interfaces wird ein Fachbereich der Abteilung Interface Cultures angeboten, der sich insbesondere mit spielerischen Formen des künstlerisch-kreativen Entwerfens im Bereich MenschMaschinen-Interaktion beschäftigt. Die beiden Partneruniversitäten in Spanien (Polytechnische Uni, Valencia) und England (Salford University, Manchester) bringen Expertise im Bereich Technologie und Medien ein, die sich mit den Zielen der Kunstuniversität Linz sehr gut vereinen lassen. Studierende werden an allen drei Universitäten unterrichtet. Der Abschluss mit einem europäischen Master of Arts soll kreative Universalisten mit einer großen Bandbreite an Fähigkeiten hervorbringen.  Mehr Infos zum neuen Studiengang unter: www.ludicinterfaces.com

interview Martin MühL Bild Thumb Fu (Vesela Mihaylova, 2012)

Gemeinsam mit Partneruniversitäten in Valencia und Manchester bietet die Kunstuniversität Linz den neuen Studiengang »Ludic Interfaces« an. Georg Russegger ist als Scientific Manager für die Entwicklung und Umsetzung des Studiengangs zuständig.

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Werkzeug in der Hose Letztens beim Caribou-Konzert hatte die halbe Arena das Ticket über Ntry gekauft und am Smartphone vorgezeigt. Es läuft also, größtenteils sogar ganz rund. Wir haben uns über erste Schritte unterhalten. »Geld ist ein ganz schlechter Ratgeber«, meinte Hannes Tschürtz noch vor acht Monaten, als Ntry von departure mit 55.600 Euro gefördert wurde. Ohne solche Mittel, weiß er natürlich, wäre so etwas wie Ntry allerdings sehr viel schwerer. Der Chef von Ink Music (Garish, Bilderbuch, Clara Luzia, etc.) kennt viele Veranstalter, bekommt von tourenden Bands laufend Neuigkeiten zugezwitschert. Diesen soll Ntry das Leben erleichtern, aber nicht nur denen.

Text und interview stefan niederwieser Bild ntry

departure SWOT-Blog

Was hat das Caribou-Konzert für Ntry gebracht? Wir haben mittlerweile eine ganze Palette an Veranstaltungen abgewickelt – von mittelgroßen Musikfestivals mit mehreren tausend Besuchern über Filmfestivals, kleine Konzerte, Theatervorführungen, Konferenzen, Dia-Vorträge und Messen / Ausstellungen – es ist erstaunlich, wie weit das Feld des Ticketing eigentlich ist, es beschränkt sich bei Weitem nicht auf Konzerte wie das genannte. Jeder Event bringt natürlich ein gewisses Plus an Aufmerksamkeit für das Service. Wir bzw. auch die Veranstalter, die Ntry regelmäßig nutzen, haben eine »Lernkurve« bei Besuchern beobachtet – spätestens binnen zwei, drei Events kennen, verstehen und schätzen die Anwender das Service sehr. Caribou war wohl auch für viele ein Einstieg in das Thema mobiles Ticketing – ein Event wie dieser trägt also auch dazu bei, vielen die Scheu davor zu nehmen. Habt ihr den Aufwand vor einem Jahr richtig eingeschätzt? Ziemlich exakt sogar. Wir haben insgesamt sehr vorsichtig und schlank geplant, was bei der departure-Jury sowohl kritisch hinterfragt als auch wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde. Wir wollten ein sinnvolles, stabiles, gutes Service aufbauen. In eurer App bekomme ich keine Vorschläge für kommende Konzerte? Wir sind kein Ticketportal und streben nach wie vor auch nicht an, eines zu werden. Dafür gibt es genügend Dienste, der Aufwand so etwas anzubieten wäre enorm. Wir wenden uns explizit an Veranstalter, Künstler, Vereine, Bands, die den direkten Weg zu ihren Kunden gehen, oder vorhaben, dies zu tun. Ntry ist in erster Linie ein großartiges Werkzeug. Die App ist dementsprechend auch in erster Linie ein Werkzeug für die Veranstalter und keine »Ich-such-mir-ein-Ticket-Anwendung«. Hättet ihr Ntry ohne Förderung von departure auch angegriffen? Ich denke ja, aber mit Sicherheit nicht auf diesem Level. departure hat uns ermöglicht, die Grundentwicklung einigermaßen sorgenfrei in Angriff zu nehmen und sich auf das Wesentliche – nämlich die Produktqualität – zu konzentrieren. Jetzt kommt Schritt zwei – und der ist um nichts weniger spannend! www.ntry.at

tärken, Schwächen, Chancen, Gefahren – auf englisch abgekürzt S.W.O.T. – müssen am Anfang eines großen Projekts nicht immer klar sein, aber es hilft, sie zu kennen. Wenn öffentlich gefördert wird, hilft es nicht nur, dann muss es sein. departure, die Kreativagentur der Stadt Wien, unterstützt das mit dem SWOT-Blog, der laufend beobachten wird, was aus neuen Ideen der Kreativen über die Jahre entsteht, was gelingt, was stirbt und daraus erwächst. In der ersten Folge: Ntry Smart Ticketing und Siluh Kickoff Europe. www.departure.at 042

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Diese Seite ist Teil einer entgeltlichen Kooperation mit departure.

From: Festival To: Festival Auf nach Europa. Denn wer in Österreich independent Musik macht, muss raus. Siluh Records hat sich diesen Schritt von der Wiener Kreativagentur departure fördern lassen. Nach knapp einem Jahr hat das Label mindestens doppelt soviel Freunde von Freunden.

Das Spiel Seit seiner ersten Förderung durch Departure vor etwa zwei Jahren hat er den Brotjob aufgegeben und ein paar alte Gewohnheiten, die unnötig Geld gefressen hatten. Promo, Anzeigen, Verpackung etwa. So langsam hat sich das Label begonnen zu tragen. Er konnte seine Bands ausbezahlen, sich mit ihnen zusammen- und auseinandersetzen. Heute weiß er, was er von ihnen erwartet: auf bestimmten Festivals spielen etwa. Weil die richtigen Leute sie dort live sehen. Man taucht ein in einen sich selbst erhaltenden Kreislauf aus Subventionen, Musikkonferenzen und Exportbüros, trifft sich, feiert, redet, sieht sich Bands an, lernt Leute kennen und kennt sie schon. Zwei Wochen später von vorn, irgendwo anders. Dazwischen Twitter an, Mail an, hallo, wie geht’s, hier der Link, wurde letztens übrigens auf BBC One gespielt. Bernhard Kern macht da mit, nicht etwa, weil er das so toll und inspirierend findet, nein. »Man weiß nicht, was am Ende dabei rauskommt. Showcase-Festivals sind eine Chance, auch wenn damit allein noch keine Karriere beginnt. Eigentlich sollte es euch Spaß machen, und ihr müsst live spielen«, sagt er jetzt seinen Bands. Er wüsste auch nicht, wie auch sonst. Siluh soll immerhin internationaler werden. Das ist der Plan und der wurde bei Departure beantragt und abgesegnet. Heute, knapp ein Jahr

später, muss er erst einmal in den Unterlagen nachsehen, ob er sich selbst richtig eingeschätzt hat. »Einiges ist aus dem Fokus gerückt. Aber die Intensivierung bestehender Kontakte läuft sehr gut.« In Benelux etwa. Frankreich wäre als nächstes dran, aber die Bands auf Siluh sind gerade woanders. Luise Pop hat trotz Ladyfest in Paris beschlossen, erst einmal wieder aufzunehmen und nicht mehr zu touren. Der Re-Release wird dort vertagt. Man kann immerhin die Ohren öffnen, man kommt ran, an die mittlere Ebene, wenn man auf die einschlägigen Festivals fährt und seine Bands mitnimmt. Das Waves Vienna hat heuer zu einem Artikel im britischen Guardian und im Artrocker Magazine geführt, die grandiosen Mile Me Deaf spielten letztens im Old Blue Last, dem Vice Pub in London. »Mir kommt das manchmal vor wie bei alten AdventureGames wie Zak McKracken. Man fliegt herum, sammelt Kontakte und Fähigkeiten, kombiniert, schaut, was mit was funktioniert, damit man weiterkommt.« Die letzten zehn Prozent besser sein als die anderen – also genau das, was den alles entscheidenden Unterschied ausmacht –, die sind irgendwie Magie. Oder Glück. Beides kann man nicht erzwingen, aber man muss im richtigen Augenblick darauf vorbereitet sein.

Das Glück Unmittelbar vor dem Interview im Büro in der Wiener Zirkusgasse, das sich Bernhard Kern mit Seayou Records teilt, telefoniert er noch mit Sweet Sweet Moon, ein enormer Rohdiamant, der nur leider irrsinnig verpeilt ist. Mit ihm über die Studioarbeit reden, oder ihn fragen, was er möchte, dass über ihn erzählt wird, was ihn ausmacht, wie Bernhard Kern das mit all seinen Bands macht, das sind kleine Schritte, damit der große Schritt nach Europa überhaupt gelingen kann.

www.siluh.com www.departure.at

Text stefan niederwieser Bild siluh

Er hat jetzt echte Ordner, halbe oder ganze pro Quartal, mit Rechnungen. Am Tisch liegen schmale Stapel Visitenkarten aus Frankreich und Deutschland, von Managern, Agenten und Bookern, aufgesammelt bei Festivals quer durch Europa. Gerade ist das blutig neue Album der Sex Jams eingetroffen, drei Monate vor Release, mit Stickern, Grafik und fixfertigen Plänen für ein Performance-Video. Live steht dieser Band am besten. Und ohne Video bekommt man heute keine Gigs mehr, zumindest nicht in der Bundesrepublik, wenn man befreundete Clubs im Dutzend anschreibt. Bernhard Kern wirkt zufrieden, zufriedener als vor drei Jahren, als er das Label Siluh Records noch in seiner Freizeit geschmissen hat. Und er ist heute viel fokussierter.

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€-Design — Design in Zahlen gießen

Den Pudding an die Wand nageln! 044

Text Peter Stuiber Bild walking chair

Ist Kreativleistung messbar? Darüber ist schon viel diskutiert worden. Ein EU-Projekt versucht nun, die Wirtschaftsleistung von Design in Zahlen zu gießen. In Österreich gibt es bereits 40 Ausbildungsstätten für Design – von experimentell bis industriell, vom Crashkurs bis zum Studium. Aber nur in den wenigsten Fällen wird den angehenden Kreativarbeitern jenes betriebswirtschaftliche Know-how vermittelt, das sie für das harte Berufsleben brauchen würden. Das führt zum Beispiel dazu, dass Absolventen oft gar nicht wissen, welche marktüblichen Preise sie für Leistungen fordern können. Oder dass sie keine Ahnung haben, wie man einen Businessplan erstellt, um zu Förderungen zu kommen. Klar, es gibt auch eine Holschuld: Viele Designer interessieren sich partout nicht für Zahlen, sondern vertrauen darauf, mit ihrem vermeintlichen Genie den Durchbruch zu schaffen. Und es gibt noch andere Schuldige: wir Journalisten. Das Image von Design, das über die Medien transportiert wird, führt zu falschen Vorstellungen. Jungdesigner werden wie Popstars präsentiert, auch wenn sie noch keinen Cent am Markt verdient haben, HardcoreIndustriedesign spielt so gut wie keine Rolle. Medial dominiert das Verspielte, Freie und Künstlerische – jene Faktoren also, die mit Zahlen schwer zu messen sind. Genau das schadet aber den Designern. Denn was nicht messbar ist, hat am Markt oft einen viel zu geringen Wert, was die bekannt

prekären Lebensverhältnisse der Protagonisten mitverantwortet. Nicht wenige Designer haben es schon erlebt, dass sich potenzielle Auftraggeber erst einmal einen kostenlosen Entwurf wünschen, bevor sie überhaupt weiterreden wollen. Ganz zu schweigen von lächerlich geringen Margen beim Verkauf oder von geladenen Design-Wettbewerben, bei denen die Teilnehmer vom Unternehmen mit Waren statt mit Barem abgegolten werden.

design statt kohle, fisch und edelweiSS Immerhin wird für die Creative Industries seit rund 15 Jahren kräftig die Werbetrommel gerührt. Tony Blairs New Labour-Mitstreiter sorgten einst für eine Überraschung, als sie die Leistungen der britischen Kreativindustrie messen ließen und diese die traditionsreiche (und damals gerade im rasanten Abstieg befindliche) Kohleindustrie schlugen. Auch Norwegens Nationalstolz, die Fischindustrie, konnte sich nicht mit dem Kreativbereich des Landes messen. Und Österreich? Sind die heimischen Designer, Grafiker, Modemacher und Spieleprogrammierer womöglich wirtschaftlich wichtiger als unsere geliebte Landwirtschaft? Wird die Kronen-Zeitung in Zukunft die jungen Kreativen statt der heiligen Bauern unter ihre Fittiche nehmen? Soweit wird es zwar nicht kommen, aber immerhin wurde soeben das EU-Projekt »€-Design

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Ist Design Goldes wert? Klar, meint das Studio Walking-Chair und liefert gleich den Beweis mit dem goldenen Sitzmöbel namens »Meine Bank«.

– Measuring Design Value« gestartet, dessen Ziel es ist, den Beitrag von Design zum Wirtschaftswachstum zu messen. Gemeinsam mit fünf Partnern aus Großbritannien, Dänemark, Ungarn und Spanien hat sich Designaustria, die Interessensvertretung der heimischen Gestalter, dafür stark gemacht. Geschäftsführer Severin Filek: »Was bringt eigentlich jeder einzelne Euro, den man in Design steckt? Welchen Wertschöpfungsfaktor gibt es? Wir wollen mit diesem Projekt beweisen, welche Leistung Design erbringt. Fundierte Zahlen sollen dann den Behörden und Institutionen wie etwa Eurostat oder der OECD bewusst machen, wie viel Anteil Design am BIP hat.« Am Ende des Projekts, das bis 2014 läuft, soll ein international gültiges Handbuch zur Messung der BIP-Leistung publiziert werden. Die Stoßrichtung des Ganzen ist offensichtlich: Wer seine eigene Stärke beweisen kann, tut sich leichter, an die nationalen und internationalen Geldtöpfe zu kommen. Design soll vom Bittsteller zum gleichwertigen Partner werden. »Es geht natürlich darum, die politischen Entscheidungsträger mit Datenmaterial zu füttern und dadurch entsprechenden Einfluss zu gewinnen«, so Filek. Klingt ambitioniert, ist es auch. Vor allem angesichts der Tatsache, dass in Österreich erst seit gut zehn Jahren Kreativleistung ansatzweise statistisch erhoben wird. Man weiß ja nicht einmal so genau, wie viele Designer es da draußen tatsächlich gibt – kein Wunder, es gibt ja auch keine geschützte Berufsbezeichnung, dafür allerorten Nail-Designer, Dental-Designer oder Feriendesigner (ehemals Reisebüro, kein Spaß). Bereits in der Vergangenheit hat Designaustria immer wieder mit Zahlenmaterial versucht, Lobbying zu betreiben. Kürzlich wurde etwa erhoben, dass Österreich bei den internationalen Red Dot Design Awards auf Platz 11 von 58 Ländern liegt, was auch Kenner überraschte (am meisten abgeräumt haben übrigens EOOS, Porsche-Design und Kiska). Ende des Jahres wird man außerdem eine Umfrage zum Design-Bewusstsein bei heimischen Unternehmen der Öffentlichkeit präsentieren. Nur so viel vorweg: Um die 80 Prozent der Unternehmer meinen, dass Design (in irgendeiner Form) eine wichtige Rolle spielt und einem Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen könne. Allerdings geben wiederum

nur 55 Prozent aller Befragten an, tatsächlich auf die Leistungen von Designern zurückzugreifen. Dabei wäre es angesichts der globalen Konkurrenz überlebensnotwendig, sich stärker über Innovation und Kreativität von der Konkurrenz zu unterscheiden, billiger produziert wird bekanntlich woanders. Und aufgepasst: Die asiatischen Ländern sind drauf und dran, ihr Image als Ramschladen aufzupolieren, Design spielt auch dort im gesamten Entwicklungsprozess eines Produkts eine immer größere Rolle. Dass man Design messen könne, davon geht man in Großbritannien schon lange aus. Dort vergibt die bereits 1986 gegründete Design Business Association jährlich den Design Effectiveness Award, der ausschließlich nach wirtschaftlichen Kriterien wie Verkaufszahlen, Vergleich mit Konkurrenzprodukten etc. ermittelt wird. »Die prämierten Projekte beweisen den finanziellen Nutzen und den Return on Investment, den eine kohärente, durchdachte und professionell durchgeführte Designstrategie bringen kann«, argumentiert die BDA. Vollkommen logisch, dass derartiger Zahlenfetischismus auch Kritiker auf den Plan ruft, und das nicht immer zu unrecht. Sind wirtschaftliche Kriterien allein überhaupt aussagekräftig, vor allem vor dem Hintergrund, dass in internationalen Vergleichen zunehmend »softe« Faktoren eine Rolle spielen und Glückindizes neuerdings en vogue sind? Oder, um einen plakativen Vergleich zu bringen: Welches Design ist mehr wert – die Kotanyi-Gewürzmühle (millionenfach verkauft!), gestaltet von Rouven Haas, oder die Trinkschale Liquid Skin von Barbara Ambrosz für Lobmeyr, die zwar wenig verkauft wurde, aber dafür der hiesigen Szene einst einen enormen Schub verpasst hat und zudem in die Sammlung des MOMA in New York aufgenommen wurde? Die Antwort lautet: Beide haben ihren Wert, Vergleiche in die Richtung sind unsinnig. Genauso unsinnig wäre es allerdings, die wirtschaftliche Bedeutung von Design dadurch zu schwächen, dass man den tatsächlichen Output weder misst noch ins Rampenlicht stellt. Selbst wer experimentell arbeitet, könnte einst davon profitieren, dass man weiß, wie viel Prozent Design zum BIP beiträgt. Selbst wenn Berichte von Eurostat oder der Statistik Austria nicht gerade Sex-Appeal haben.  045

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ute bock

der wortwechsel. vier personen zur frage:

flüchtlingshelferin

Soll man sinnlose Gesetze ignorieren?

Ziviler Ungehorsam kann viele Formen annehmen. Es muss nicht immer das Vermummungsverbot oder der Mafiaparagraph sein. Oft werden Verordnungen und Gesetze von Handelnden gezielt ignoriert: Vorratsdatenspeicherung, verdeckte Angestelltenverhältnisse aus gefühlter ökonomischer Notwendigkeit, das Facebook-Verbot für den ORF, ein mögliches Burka-Verbot bzw. Verbot von Beschneidungen, Aufzeichnung eines Korruptionsgesprächs, Einreiseverbote, uvm. Ein befreundeter Bauer schlachtet bei sich am Hof, verkocht das und serviert das seinen Gästen. Was verboten ist. Es gibt sicher gute Gründe dafür – wir tippen auf Hygiene –, trotzdem gibt es ebenso gute Gründe, es zu machen, wenn alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen eingehalten werden. Das ist nun leider nicht sinnvoll kontrollierbar und öffnet dem Missbrauch alle Türen, also sagt Papa Staat lieber gleich nein. Manchmal hat man sich sogar daran gewöhnt, dass Gesetze lässig ignoriert werden, selbst wenn sie eher sinnvoll sind. So etwa beim Thema Schwarzarbeit. Man kann vielleicht sogar vage begründen, warum das für die Betroffenen gar kein grober Nachteil sei. Wenn dann aber die Möbelpacker vor der Tür stehen, fragen wohl nur wenige beim Chef nach, ob die Arbeiter auch sicher sozialversichert sind. Man hat sich daran gewöhnt. Unbezahlte oder schlecht bezahlte Praktika fallen ebenfalls in die Kategorie »Tolerierte Übel«. Auf Praktikanten und freien Mitarbeitern liegt in vielen Firmen ein großer Teil der Arbeit. Man weiß, dass das ungerecht ist. Man weiß, Ärzte und LKW-Fahrer sollten ihre vorgeschrieben Ruhezeiten einhalten. Gesetze sind dann sinnlos, nicht weil sie nicht einleuchtend wären, sondern weil sie an der Praxis vorbeigehen. Und manchmal stehen sie sogar zu dem im Widerspruch, was als menschenwürdig empfunden wird. Soll man sie also ignorieren? The Gap wird das Thema auf www.thegap.at weiter verfolgen.

dokumentation stefan niederwieser text Kramar für fischka.com; Ingo Pertramer; Porrporr; Manfred Werner

Wir sind keine Anarchisten. Aber manche Gesetze sind sinnlos und dumm. Darf man sie deshalb gekonnt übersehen, als Zivilcourage, als Dienst an der Allgemeinheit und sich selbst?

»Gesetze nicht ignorieren, aber Änderung fordern« — Prinzipiell hat man sich an die Gesetze eines Landes zu halten. Ich könnte meine Arbeit nicht nach wie vor machen, wenn ich mich nicht an die Gesetze halten würde. Gerade im Flüchtlingsbereich ist es wichtig, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren. Die Erfahrungen, die ich im Alltag sammle, versuche ich stets bei diversen Zusammentreffen mit Politikern und anderen Entscheidungsträgern vorzubringen. Im Asylbereich gibt es noch immensen Verbesserungsbedarf. Ein Beispiel ist das »Nichtarbeitendürfen« von Asylwerbern, die dadurch viele Jahre zur Untätigkeit und Abhängigkeit gezwungen werden. Dieses Gesetz kann man allerdings nicht ignorieren, sondern muss versuchen, mit Hilfe von engagierten Einzelpersonen, Medien, Institutionen etc. eine Änderung zu fordern. Ignoranz wird meiner Meinung nach sicher nichts verändern. Die grundsätzliche Einstellung Migranten gegenüber müsste sich ändern. Es hat sich ja keiner ausgesucht, wo er geboren wird. Es ist ein Zufall, dass wir hier sind und die anderen dort. Ich bin Erzieherin und nicht Polizist oder Richter. Meine Aufgabe ist es, jungen Menschen zu einer Ausbildung oder einer Arbeit zu verhelfen und sie zu unterstützen, ein einigermaßen lebenswertes Leben führen zu können. Für mich müsste jeder Mensch dieselben Möglichkeiten und Chancen haben. Ich glaube nicht, dass es klug ist, eine Gruppe von Unzufriedenen und Benachteiligten zu schaffen. Selbst wenn es einmal so sein sollte, dass diese Menschen in ihre Heimat zurückkehren können oder müssen, ist es besser, sie haben hier etwas gelernt, sind hier gut behandelt worden und können das hier Erfahrene in ihre Heimatländer mitnehmen, als sie sind Unzufriedene, die das Gefühl haben, zu kurz gekommen zu sein, sind Alkoholiker, Drogenabhängige und Kriminelle.  Ute Bock, 70, betreibt ein Flüchtlingsprojekt und setzt sich für menschengerechte Behandlung von Asylwerberinnen und –werbern in Österreich ein.

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niko alm

porrporr

Aktivist und Info Ninja

social media experte

»Der ORF muss ein soziales Medium werden« — Die Regeln für unser Zusammenleben ändern sich permanent. Wer sein Handeln nicht an unveränderlichen, göttlichen Gesetzen ausrichtet, sondern an die Rechtsstaatlichkeit glaubt, wird gelegentlich seinen Skeptizismus auch auf bestehendes Rechtsgut anwenden wollen. Da kann es dann schon passieren, dass ein Gesetz als sinnlos befunden und im Falle persönlicher Betroffenheit auch gezielt ignoriert wird. Manchmal wird dieses Ignorieren auch zum Gebot, wenn geltendes Recht die eigene Handlungsfähigkeit einschränkt und nach subjektivem Gefühl eine Reparatur in einem angemessenen Zeitrahmen aussichtslos ist. In diesem Sinne ist der ORF auch in Social Media aktiv, wenn auch etwas schaumgebremst, was mit Sicherheit der unpräzisen Gesetzeslage geschuldet ist. Die Herstellung von Rechtssicherheit könnte natürlich als Folge politischer Willensbildung über den Gesetzgeber erwirkt werden. Anscheinend ist die Erfolgsaussicht für ein zeitnahes Ergebnis aber so gering, dass nur das Beharren auf die eigene Interpretation dessen, was Recht ist, zum gewünschten Zustand führt. Konkret ist nämlich äußerst fraglich, ob der ORF überhaupt ein sinnloses Gesetz ignoriert, oder ob die Gerichtsbarkeit schlicht und einfach manchmal von derselben Leseschwäche erfasst ist, die uns schon bei PISA den drittletzten Platz in Europa beschert hat. Nicht bereitgestellt werden dürfen laut ORF-Gesetz: »soziale Netzwerke sowie Verlinkungen zu und sonstige Kooperationen mit diesen, ausgenommen im Zusammenhang mit der eigenen tagesaktuellen OnlineÜberblicksberichterstattung«. Dass hier ein Verbot von Facebook-Pages und TwitterAccounts mit zivilem Ungehorsam quittiert wird, ist für mich nachvollziehbar. Als GISKunde erwarte ich mir sogar Informationsversorgung über diese Kanäle. 

»Niemand hat das Recht zu gehorchen.« (Hannah Arendt) — Ob ein Gesetz sinnvoll oder sinnlos ist hängt immer davon ab, wem diese Frage gestellt wird, bzw. welche Lobbyinggruppen intervenieren, um Politikern etwas Sinnloses als Gesetz unterzujubeln. Wie geht der Staat also mit Gesetzen um? In Kärnten / Koroska werden verfassungsrechtlich garantierte Rechte wie die zweisprachigen Ortstafeln von Landeshauptleuten seit Jahrzehnten ignoriert. Bei Abschiebungen wird allzu oft versucht, Kinder, Familien oder Menschen, die im Herkunftsland großer Bedrohung ausgesetzt sind, möglichst schnell in den Abschiebeflieger zu setzen. Damit werden diesen Menschen rechtliche BerufungsMöglichkeiten in Österreich vorenthalten und die Causa schnell vergessen. Wer erinnert sich an das Amtsmissbrauchsverfahren gegen Ernst Strasser wegen der illegalen Abschiebung von 72 Flüchtlingen nach Tschetschenien? Zumindest einige Menschen konnten durch zivilen Ungehorsam vor der Abschiebung bewahrt werden. Ein anderes Beispiel ist die Einführung von sogenannten »Bettelverboten« in verschiedenen Bundesländern. Gesetzlich völlig unsinnig, da Handlungen, die das »Bettelverbot« vorgibt zu verhindern, bereits davor gesetzlich geregelt waren – politisch motiviert beschlossen, um die menschenverachtende Stimmung gegen Randgruppen gesetzlich zu legitimieren. Ein paar Euro können für manche Menschen viel bedeuten, egal ob das Betteln »illegal« sein soll. Eine Ablehnung von Gesetzen, die zu Menschenrechtsverletzungen führen, sollte eine moralische Verpflichtung sein. Ich halte mich hier an David Thoreau und sehe es als Pflicht, Ungehorsam gegenüber dem Staat zu leben. Speziell in einem postnazistischen Staat wie Österreich. 

» Es hat sich ja keiner ausgesucht, wo er geboren wird.« (Ute Bock)

Niko Alm, 37, ist Geschäftsführer im Super-Fi Mikromischkonzern, Publizist und Polit-Aktivist.

Porrporr ist ein anonymer politischer Aktivist, der sich via Blog und Twitter regelmäßig und intensiv in politische Debatten einmischt.

Freda Meissner-Blau

Grande Dame der Grünen

»Rechtsstaat und notwendiger Ungehorsam« — Sie haben mit Ihrer sehr überzeugenden Aufzählung existenter oder drohender, höchst sinnloser, ja teilweise sogar gesellschaftspolitisch schädlicher Gesetze meine Überzeugung einen Augenblick ins Wanken gebracht. Dennoch: Auch auf die Gefahr hin Menschen, die mich als widerständige Bürgerrechtlerin, die nicht nur einmal Gesetze übertreten musste, kennen, zu irritieren und zu enttäuschen, bin ich der Meinung, dass die Gesetze auf einem Übereinkommen der Bevölkerung basieren (basieren sollten! )und die tragenden Säulen des Rechtsstaats sind. Wenn Letzterer flöten geht, haben wir eine Diktatur, Monarchie oder Chaos. Alles schon ausprobiert, keines sehr erfreulich. Man hat eben erst bei Grün loszufahren. Was also mit den sinnlosen Gesetzen machen? Einerseits drohende Sinnlosigkeiten (Burkaverbot etc.) verhindern. Das ist durchaus möglich durch und mit engagierten Bürgerinnen und Bürgern. Dazu ist Absage an das zutiefst österreichische »Die da oben machen sowieso was sie wollen, kannst nix mochn!« nötig, oft genügt eine gewitzte und kluge Minderheit. Die Erfahrung lehrt, dass es möglich ist. Schwieriger ist es schon mit dem bereits existierenden Blödsinn. Um ihn obsolet zu machen, braucht es die Mithilfe von gewählten Repräsentantinnen, Repräsentanten und der Medien. Ist aber auch machbar, sonst wäre das Koalitionsabkommen zwischen Rot und Schwarz zum Bau von vorläufig einem und geplanten sechs AKWs – ausschließlich durch die Bevölkerung und gleichgesinnten Journalisten – seinerzeit nicht gestürzt worden! Andere Beispiele gibt’s en masse. Da konnten auch die tief involvierten Lobbys nichts ausrichten. Geht’s ans Leben selbst, bei Ökozid, der Vergiftung unserer Lebenssphäre, der aus Profitgründen motivierter Zerstörung letzter Naturräume, ist meiner Ansicht nach ziviler Ungehorsam nicht nur notwendig sondern »jedes Bürger Pflicht«!  Freda Meissner-Blau, 85, ist die Grande Dame der österreichischen Grünen und war wesentlich an ihrer Gründung beteiligt.

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Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ

Nicholas Platzer, 28, Inoperable Gallery

Es begann in Brooklyn, New York. 401RUSH aka Nicholas Platzer studierte dort Film – und die eindrucksvolle Kunstszene mit ihren unzähligen Galerien. »Mir gefiel die Idee, dass jeder willkommen ist, und der erfrischend unelitäre Zugang zur Kunst.« Als Platzer dann nach Wien kam, empfand er seine liebsten Kunstinhalte Graffiti und Street Art hier als zu schwach vertreten – und gründete zusammen mit der Kunstgeschichtestudentin Nathalie Halgand die Inoperable Gallery. In ihrem sechsjährigen Bestehen hätten sie unfassbar viel lokale und internationale Unterstützung erfahren, der Start in Wien sei dennoch kein leichter gewesen. Wenn er gerade nicht in der Galerie weilt, ist Nick normalerweise damit beschäftigt, die nächste Ausstellung klarzumachen oder auf einer Party sein Netzwerk auszubauen. Nicholas Platzer hofft, dass sich die Wiener bald noch mehr mit Street Art und Graffiti auseinandersetzen und ein dementsprechend größeres Angebot entsteht. »Wer braucht dann noch Berlin?«

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Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ

Verena Michalitsch, 29, Wienkind

Nur selten verlässt sie das Haus ohne Kamera, denn am liebsten schießt Verena Michalitsch Fotos, während sie einfach durch die Stadt spaziert. Das können kleine Details sein oder ganze Situationen. »Wenn die Komposition gerade stimmt – und ich schnell genug mit meinen Kameraeinstellungen bin.« Porträts gehen auch, aber nur von Menschen, die sie kennt und mag, also niemals von Fremden auf der Straße. Unter dem Label Wienkind fertigt Michalitsch mit ihren analogen Bildern auch Schmuckanhänger und Lampenschirme; eine mühevolle Bastelarbeit, deren Ergebnisse sie jedoch stets entschädigten. Nicht selten weint sie dabei vergangenen Zeiten nach, wie sie erklärt: »Ein schöner Moment macht mich oft traurig, weil ich weiß, er wird bald vorüber sein.« Glücklicherweise könne sie Momente als eine Art Schatz in sich speichern und davon zehren. Deshalb süße Melancholie, deshalb Fotos als ideale visuelle Konservierung.

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Lyrik Literaturpreis »Ohrenschmaus«

der literaturpreis ohrenschmaus fördert das literarische schaffen von menschen mit intellektuellen behinderungen. hier nun der lyrik-gewinner michael wilhelm und fünf weitere herausragende gedichte.

Zu zweit ist weniger allein kunst oder lebenskunst

amerika

von Michael Wilhelm (Siegertext Lyrik)

von Herbert Schinko

Die Kunst ist sehr eigen, doch wo fängt sie an im Kopf eines Menschen, der sie nicht immer verstehen kann. Bilder sind Kunstvoll, in ihren Farben und Stil, dem einen sehr wertvoll, einem anderen bedeuten sie nicht viel. Ein Kind malt mit Liebe, zeigt das Bild dann herum, Herman Nitsch ist ein Künstler, ich finde in dumm. Der Ball ist des Kickers, sein tägliches Brot, doch manchmal kommt er auch damit mal in Not. Das Tor ist ganz lehr, frei für den Schuss, die Kunst ihn zu verschießen, ist für ihn kein Genuss. Doch die Zeit bleibt nicht stehen, das ist unsere Gunst, das Leben zu meistern, ist auch eine Kunst. Ein Sandler hat wenig, zu Geld macht er das Flaschenpfand, hat dennoch zufrieden, sein Leben in der Hand. Ein Millionär der hat alles, ist dennoch allein, wer von den beiden wird glücklicher sein? Die Kunst zeigt ihre Vielfalt im Leben, am Bild und auf dem Papier dennoch bin ich kein Künstler, das glaube mir.

ich bin von Irene Gering Ich bin lustig wie Fasching Ich bin wie ein Fisch der schwimmt Du bist Du bist gemein Du fahrst mit mir nicht in den Urlaub Wir sind Wir sind Verwandt Wir sind wie Fremde

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Einen Bach gibt es in Amerika. Die Bäume sind dünn, ich weiß nicht, wie sie heißen. Die Ortschaft heiß New York. Sie reden Englisch, das kann ich nicht recht gut, glaube ich. Wie heißt der Mann in Amerika, der immer nachschaut, ob die Leute dort sind, wo sie hingehören. Das ist der Präsident. In Amerika gibt es ein Meer, glaub ich. In Amerika gibt es Öl. Sie essen einen Hamburger. Ich glaube, dass er gut schmeckt. Was gibt es noch da unten. Gibt es da so etwas, das hin und er her geht? Eine Schaukel meine ich. Ich glaube, es gibt Palmen auf der Straße. Mir gefällt es, wann die Palmen auf der Straße stehen. Mitten auf der Straße. Seen gibt es dort auch. Sie haben Ziegelhäuser. Ich glaube, dass die Häuser niedrig sind. Wann die Häuser hoch sind, gefällt mir das nicht, weil ich das nicht will. Ich glaube, es gibt Fische in Amerika. Sie schwimmen im Wasser. Papageien gibt es dort auch noch. Die Leute putzen dort alles sauber. Die Leute tun reden, weil sie so viel lachen müssen. Wir fliegen mit dem Flugzeug nach Amerika. Ich kann dort schlafen. Nur eine Nacht, weil mir das nicht taugt. Sie haben große Autos und die Straße ist lang und ich möchte dort nicht hinfahren, weil ich kriege so viel Bauchweh. Ich sehe im Fernsehen Amerika an. Ich glaube, es gibt eine Schule, wo wir lernen können. Sie haben viel Rindviecher, sie tun die Rindviecher immer so gut waschen und putzen, weil sie dreckig und stinken so amerikanisch.

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Das Projekt

Der Literaturpreis Ohrenschmaus existiert seit 2007. Er ist einzigartig in der heimischen Literaturszene, da er Lyrik, Kurzprosa und Lebensberichte von Menschen mit Lernbehinderung auszeichnet. Die besten Texte haben dabei alles, was Literatur ausmacht. Sie berühren und wühlen auf, sie bringen zum Nachdenken, eröffnen neue Sichtweisen, fordern und zeichnen sich zudem nicht selten durch kompromisslose Radikalität aus. Inhaltlich und sprachlich. Nachzulesen ist dies u.a. in der Anthologie »Kann nicht schlafen« (Bibliothek der Provinz), die Franz-Joseph Huainigg im Vorjahr herausgegeben hat und die besten Arbeiten der ersten fünf Preisverleihungen (2007–2011) versammelt. Die Arbeiten, die heuer zum Thema »Zu zweit ist weniger allein« entstanden sind, kann man darin leider nicht finden, dass es ein großartiger Wettbewerb war, lassen die hier abgedruckten Gedichte vermuten. Manfred Gram www.ohrenschmaus.net

zu zweit ist weniger allein von Martin Gasgeb In einer lauen Sommernacht, hat jemand, jemand umgebracht. Jetzt steckt er eingemauert in der Wand, und winkt mit bleicher Leichenhand. Er denkt er kratzt, er weint und schreit. Doch keiner hört sein stummes Leid. So wünscht er sich jetzt jede Nacht, wie damals als er umgebracht, Viel lieber wäre er zu zweit, Dann hört ihn jemand wenn er schreit.

vorfreude von Herwig Hack Zufall Alle auf dem Weg nach oben. Finnland Ich flieg in der Luft wie ein Adler. Schön sind das Land und die Liebe. Du überraschst mich. Du bist das Lied meines Herzens. Ich warte auf den Bus um 5 Uhr Früh.

venushügel von Christian Kargl Ich erstarre vor Entzücken, wenn ich Bella erblicke und in die Arme nehme und ihren Schweiß rieche, denn der Schweiß schweißt zusammen, als Schweißkleber sozusagen. Super, super, dass du da bist, super dass du da bist. Ich freue mich, ich freue mich, dass du hier bist, ich möchte dich die ganzen Nächte kosen … Kommst du? In 5 Minuten ist es 4. Kommst zu mir? Schnell: Regen in den Wäldern nördlich der Fantasie. Dein Körper ist die Medizin, die ich brauche. Ich brenne für dich, du bist der Venushügel meiner nächtlichen Wanderungen.

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Kolumne Blow-up: Film in Österreich von Gunnar Landsgesell

links:

»More Than Honey«. rechts: »Richtung Nowa Huta«. Nur einer dieser beiden Filme erreichte ein breites Publikum. Auflösung auf dieser Seite.

It’s the topic, stupid!   In Österreich werden viele Dokumentarfilme gefördert. Das Publikum scheint sie vor allem über die Themen wahrzunehmen. Ein Defizit. Ist Film wirklich nur schnödes Trägermedium?

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etztens auf der Viennale. Da lief ein Film namens »Leviathan«, für den zwei wackere Filmemacher über Monate auf einem Fischkutter vor der winterlichen Küste von Massachusetts bei schwindelerregendem Wellengang mitgetuckert sind. Das Ergebnis bewegt sich hart am Avantgardefilm: Farben, Formen und unsichtbare Kräfte bestimmen die Bilder, die sich oftmals nachtschwarz präsentieren, mit grünen, blauen oder roten (Fischblut!) Farbflecken. »Leviathan« ist Dancefloor, eine hypnotische Reise, auf der die Geräusche des Trawlers, des Wassers, des Windes, des Schlachtens einen in ein suggestives Sounddesign integrieren. Dieser Dokumentarfilm ist hochspannend, aber eines sicherlich nicht: eine kritische Abrechnung mit den Praktiken der Hochseefischerei. Umso erstaunlicher, dass sich das Publikumsgespräch danach aber größtenteils darum drehte. Erfreulich einerseits, dass sich hinsichtlich der Produktion unserer Nahrungsmittel so viel bewusstes Publikum versammelt hat. Enttäuschend andererseits, weil das Medium Film wieder mal zum reinen Botschaftsträger degradiert wurde. Topic-driven könnte man Filme nennen, die ihre fixfertige Geschichte notgedrungen auch bebildern müssen. Die sozusagen für die Dialoge auch noch was Visuelles zur Untermalung brauchen. Filme, die so funktionieren, auch und gerade in kom-

merzieller Hinsicht, gibt es viele. Vor allem auch Dokumentarfilme, die ja oft mit einem Anliegen, etwas ganz Bestimmtes zu dokumentieren daherkommen. In Österreich gab es in den vergangenen Jahren wahre Doku-Blockbuster, Erwin Wagenhofers »Let’s Make Money« und »We Feed The World« etwa avancierten zu absoluten Spitzenreitern. Mit Themen, die bewegen – die Krisen des Finanzsystems und unsere Nahrung – und global gedacht. Dort, wo das Fernsehen sich in Soaps, Serien und Shows festgefahren hat, springen solche Arbeiten ein. Das ist gut so. Filmkulturell betrachtet hat der Jubel über möglichst viele Besucher aber einen Haken: Wer sich selbst eine Art Quotendruck im Kino auferlegt, läuft Gefahr, sein Publikum zu verbrennen. Oder, anders formuliert: Wer beim Publikum mit Themen punkten möchte, das Medium selbst aber nicht ernst nimmt, wird ein Problem bekommen, sobald die Themen einmal ausgehen. Weil dann die Leute nicht genug damit vertraut gemacht wurden, was einen als genuin filmische Form, als offene, vieldeutige Filmsprache, als eigenwilliges Hybrid zwischen Realität und Kunst oder wie immer man »Kino« beschreiben möchte, zu faszinieren vermag. Sie werden sich dann eben wieder anderen Medien zuwenden, die diese Themen auch weiterhin garantieren, die wie brave Esel die aufgepackten Inhalte tragen und darüber keine Ansprüche stellen. Youtube und eine ganze Generation lässt grüßen. Mit dem Abflauen des Dokumentarfilmbooms in Österreich gibt es derzeit so eine Situation. Man muss nicht unbedingt nach einer didaktischen Maßnahme und Medien-

unterricht in den Schulen rufen, den die Regierung im Übrigen schon seit den 50er Jahren ankündigt. Das lässt sich etwa in der um das Wohl der Jugend besorgten, damals vom Unterrichtsministerium (!) herausgegebenen Zeitschrift »Filmkunst – Zeitschrift für Filmkultur und Filmwissenschaft« nachlesen. Für eine selbstgesteuerte Mediensozialisation spricht viel. Angebote, sich einzuklinken, gibt es genug. Im aktuellen Kinojahr sind weit mehr dokumentarische als fiktionale Arbeiten aus Österreich zu sehen. Drei junge Beispiele für sehr persönlich gehaltene und formal bewusste Filme: »Richtung Nowa Huta« über die Metamorphosen einer polnischen Stahlwerk-Modellstadt; »More Than Honey« über den Konnex von Ökonomie und Bienensterben; »Nr. 7«, die Erkundung eines Mietshauses und seiner Bewohner. Nur einer der drei Filme erreichte ein breiteres Publikum: der Bienenfilm. Warum? It’s the topic, stupid! 

Gunnar Landsgesell landsgesell@thegap.at

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AB HIER: REZENS ONEN

Der Nino aus Wien Bulbureal (Problembär)

In- und auswendig Mit dem vierten Album »Bulbureal« schlagen Der Nino aus Wien ein neues Kapitel in der Bandgeschichte auf. Poetischer Rumpelpop, am Balkan extrahiert. Rezensionen über Bands zu verfassen, die man mag, ist oasch. Da kann Objektivität gleich vorab einmal einmargariniert werden. So gesehen kann man dankbar sein, dass Nino Mandl, Sänger und Texter der Band Der Nino aus Wien im Booklet zu »Bulbureal« gleich einmal eine Rezension zum Album verfasst hat. Die ist zwar auch nicht objektiv, 7,3 von 10 Punkten gibt er sich und den Seinen. Aber sie ist lustig zu lesen und aufschlussreich. Irgendwo zwischen Kritik und Selbstironie, Unsinn und Wahrheit, Zitat und Gegenwart, klopft der 25-jährige das neue Album der Band ab. Und genau in diesem Koordinatensystem bewegt sich Nino Mandl auch sonst recht gerne. Geschickt und sehr behände übrigens. Sein Fazit zum neuen Werk: »Manche berühren mit ihrer Stimme, manche berühren das Mikrofon mit dem Mund. Ich glaube ja, dass es letztendlich nur darum geht, ob die Sängerin oder der Sänger den Text auswendig weiß. Sonst kann es mitunter zu peinlichen Situationen kommen.« Auswendig kann Nino Mandl mittlerweile so einiges. »Bulbureal« ist mittlerweile sein viertes Album und bewegt sich sich in Gefilden, die in den letzten Jahrzehnten ordentlich Staub angesetzt haben (österreichisches Deutsch, hie und da Dialekt, viel Gitarre). Austropop oder dergleichen sollte man aber besser nicht dazu sagen. Man kennt sich aus im Werk der Alten, destilliert aber einen ganz anderen Schnaps. »Bulbureal« etwa wurde in sieben Tagen in Mazedonien eingespielt. Dieses Mal rumpelt und rockt man beherzt, legt falsche Fährten, dreht wieder um, verarbeitet Geräuschkulissen, fängt Stimmungen ein, oder rotiert mal eine Runde am Stand. Was mit einem Klavierintro leise beschwingt beginnt, wird zu einer lauten Anklage an falsch Verstandenes (»Aber die Bar ist nicht arg«). Und wenn es passt, darf auch mal berauscht gegröhlt werden (»Nach Hause«). Ein mitreißendes Album, mit Zeilen, die hängen bleiben. »Wenn wir uns den Käse nachwerfen, landen Löcher in unseren Herzen«. 7,3/10 manfred gram 057

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Dog Bite Velvet Changes (Carpark)

m u si k

Everything Everything Arc (RCA / Sony)

Für immer weich Der Multiinstrumentalist Phil Jones macht mit seinem Projekt Dog Bite ätherische Popmusik mit hohem Sehnsuchtsfaktor: Trübsalblasen wie in den 80ern.

Zappelphilippe Das zweite Album von Everything Everything hat wieder alles und das gleich doppelt – Intellekt, Humor und Genie mal zwei. Solche Streber aber auch.

Ist es eigentlich schon wieder an der Zeit, die ruhmStreber, die die Welt (des fad gewordenen Britpop) volle Wiederkehr der Chillwave einzuläuten? Dieses unbedingt braucht. Oberflächlich betrachtet sind Mal vielleicht aber mit etwas schwermütigerem UnEverything Everything ja ein klassisches englisches terton und Kieselsteinen in der Seele? Statt verblasFour-Piece, von denen es derzeit geschätzte 1.000 senden Erinnerungen an die letzten Tage eines total Exemplare pro Kopf gibt. Hört man genauer hin, verliebten Sommers heute bloß noch mit Regen im entpuppen sie sich als eine dieser Formationen, die Gemüt? Der Musiker Phil Jones aus Atlanta bemüht sich schon einmal darum und dabei flutscht ihm gleich eine durchaus umwerfende Platte – ähnlich wie Foals, Friendly Fires oder Field Music – mit einer überproaus dem Ärmel. Bislang hat Jones mit solch nicht rauschend bekannten, portional großen Menge an Ideen, einem gesunden Selbstbewusstsein trotzdem sehr guten Acts wie Bosco, Mood Rings und Acid Flashback und einer sympathischen Keckheit gesegnet sind. Der NME verglich gearbeitet und mit seinem Soloprojekt Dog Bite ein paar Tracks beim ihr 2010er Debüt »Man Alive« mit dem neuen Kind in der Klasse, das englischen Label Young Turks veröffentlicht, wo sonst Menschen wie dauernd mit seiner Cleverness prahlt und damit allen übrigen Kindern Chairlift, The xx oder SBTRKT zumindest teilweise zuhause sind. Mit auf die Nerven geht. Das lässt sich auf »Arc« übertragen. Streber halt. Die erste Nummer »Cough Cough«, die auch als Single erschienen einem der Zentralgestirne dieser einst Chillwave getauften Weichzeichnermusik aus dem Schlafzimmer, nämlich Ernest Greene von ist, lässt gleich zu Anfang keine Zeit, um sich einzuleben. Ohne große Washed Out, war Jones bereits als Keyboarder unterwegs, bei dem Umschweife gibt das britische Quartett aus ehemaligen Studenten der anderen, Toro Y Moi, absolvierte er als Dog Bite den Tour Support. In Musikwissenschaft im sexy-fetzigen Staccato-Trommelrhythmus den ganz genau dem Koordinatensystem, das man nun versucht ist, sich in sich durch 13 Songs ziehenden Alarmton an, bei dem man bestimmt Pastell­farben auszumalen, bewegt sich jetzt das Debütalbum von Dog nicht auf Schlummern drücken wird. Ebenso gut gehen »Kemosabe« Bite, das Wort Velvet – der Samt – im Albumtitel »Velvet Changes« passt und »Torso Of The Week« ab. Stillsitzen geht nicht, man lechzt nach so haargenau auf diese Musik, dass man die Platte wegen aufdringli- immer mehr und das Herrliche daran ist, dass man es auch bekommt. Everything Everything werden auch zur Mitte von »Arc« hin nicht cher Übererfüllung gar nicht mehr so hätte nennen dürfen. Die früheren Stücke von Dog Bite waren eher elektronisch angelegt und erin- müde. Die Balladen wirken ebenso wie die Tanznummern und wähnerten an die Loop-Spielereien von Panda Bears Album »Person Pitch«, rend man bei »Man Alive« noch häufig auf zwischenzeitliche Durchheute jedoch wird mit echtem Band-Instrumentarium gesoftrockt atmer gewartet hat, da die Band ganz offensichtlich ein wenig mehr und -poppt. Wir finden uns hier also wieder einmal in verhallter und Spaß an den Uptempo-Songs hat, funktioniert das Sequencing auf dem verhuschter Wave-Gitarren-Musik der mittleren 80er bis frühen 90er Nachfolger beinahe ganz problemlos. Das eher ruhig dahinschwebenwieder, mitunter im Treibsand des Shoegazing. Diese Musik ist kein de und stimmlich arg dramatische »Undrowned« macht sich beispielsKommentar zu irgendwas, nichts wird hier erneuert, umgedeutet oder weise mit dem chorlastigen Titelsong entspannt vor dem wieder sehr weitergedacht. Es ist Musik, die so sehr dem Zeitgeist entspricht, dass experimentellen »Armourland«. All dieses Auf und Ab könnte unter sie schon wieder völlig unmodern ist. Es sind bloß ein paar sehr schö- Umständen aber auch zu Schwindel führen. Das ist und bleibt aber ne Lieder, über denen ein merkwürdiger Dampf und ein Nebel stehen, auch die einzig potenzielle Kritik an Everything Everything und »Arc«. Also – Sehr gut, setzen! 08/10 nicole schöndorfer der einen irgendwie komisch im Kopf macht. 07/10 Philipp L’heritier 058

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Pantha Du Prince & The Bell Laboratory Elements Of Lights (Rough Trade)

Licht beim Entstehen Pantha Du Prince hat mit Osloer Musikern 45 Minuten sakral-perkussiven Sound komponiert, der gewöhnlicher Clubmusik fremde Impulse gibt, sie sogar übertrifft. Es ist dunkel. Augen auf. Carillon, Glockenspiel und Gamelan erklingen. Etwas Sphäre ergänzt die fragilen, zufallsgenerierten Töne der klangvollen Glocken, die willkürlich im Raum ausbrechen. Dann fragmentarisch mal Bass, mal ein paar Drums, Strukturen entstehen – und wir hören zu, wie Licht entsteht. »Elements Of Light«: Das sind fünf Songs, die ein 45-minütiges Ganzes bilden. Das Ganze ist Hendrik Webers persönliche, akustische Interpretation von fünf physikalischen Phänomenen, die bei der Entstehung des Lichts beteiligt sind. Wave, Particle, Photon, Spectral Split und Quantum. Man kann in vielfältige Bassspuren und sphärische Flächen verloren gehen, nur vereinzelt gibt ein Synthesizer das Thema vor. Schon in seinem letzten Album »Black Noise« charakterisierten Glocken jeglicher Art die Songs. Wo aber einst melodische Synths und Bässe die Vorherrschaft hatten, reduziert er diesmal seine Songs noch weiter, um den vielen Glockeninstrumenten Platz zu lassen. Sie sind die akustischen Hauptakteure und brauchen Platz, um sich frei entfalten zu können, zu schwingen und auszuklingen. Gemeinsam geben sie die Themen vor, lassen uns träumen, tanzen, fühlen. Den Höhepunkt der Geburt des Lichts bildet ein 17 Minuten langes Stück, das von Stellen mit nahezu metaphysischer Ruhe umgeben wird. Doch auch in den ambientartigen Ruhephasen des Albums ist ständig die Entstehung neuer Melodien und Themen zu bemerken. Wie in einem Raum, der langsam harmonisch ausgeleuchtet wird. Glocken und Beat sind die Scheinwerfer ins Nichts. Pantha Du Prince, vormals Arrangeur, Produzent und Kurator, wurde zum Autor und Komponisten. Die Glocken sind seine Begleiter, die aber ihren eigenen Weg gehen. Nur durch sein gebautes, elektronischrhythmisches Gerüst werden die Töne der archaischen Klangkörper zusammengehalten, gar eingefangen, um dem Song Struktur zu geben. Und irgendwie entsteht Licht, im Bruchteil eines Augenblicks. Es ist hell. Augen zu. 08/10 moritz gaudlitz

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Toro Y Moi Anything In Return (Carpark)

Sex hinterm Milchglas Hintergrundmusik mit Anspruch: Toro Y Moi vermengt weiterhin Wave und Black Music zu Songs, die für Bars und Schlafzimmer gemacht sind. Es wäre zu einfach, Toro Y Moi als den perfekten Hipster zu verspotten. Sammeln wir trotzdem kurz die Argumente, die dafür sprechen: Toro Y Moi hat einen College-Abschluss (Buh!), tobt sich nebenbei im Bereich Grafikdesign und Fotografie aus (Pfui!) und produziert am laufenden Band blogaffine Stücke (Pfff!). Außerdem ist er halb schwarz, halb Filipino, trägt riesige Brillen und hat einen Endorsement-Deal mit Urban Outfitters. What is this? 2008? Aber wie gesagt: zu einfach. Ja, Toro Y Moi wurde mit der »Glo Fi«-Welle heraufgespült und reitet sie auch weiterhin recht souverän. Konkret macht Brundick auf »Anything In Return« das, womit er bei »Underneath The Pine« aufgehört hat. Er nimmt die entspannteren Spielarten von dem, was man unter dem Label »Black Music« versammelt, und verordnet ihnen ein wenig Wave-Moderne. Heraus kommen Songs, die manchmal in Richtung Funk gehen (»Say That«), manchmal in Richtung R’n‘B (»So Many Details«), zwischenzeitlich aber auch so cheesy sind, dass sie sich auch unter einem French House-Etikett wohlfühlen könnten. Bei »Rose Quartz« können wir uns wohl auf einen Fred Falke-Remix einstellen. Aber keine Angst: Toro Y Moi kann Understatement und vermeidet die Hochglanz-Politur. Der Produzent in ihm legt klugerweise über alles ein soundtechnisches Milchglas, sodass seine Musik auch im Lo-Fi-Umfeld funktioniert. Toro Y Mois Musik ist perfekt für zwei Situationen: Erstens in Bars und zweitens im Schlafzimmer. Hintergrundmusik im besten Sinne. Einen Song, der unpeinlich ist, einen Abend subtil vorantreibt, sich nicht in der Vordergrund drängt, aber auch in Konversationspausen keine unangenehme Stimmung verbreitet, muss man erstmal produzieren. Und das liefert »Anything In Return« überzeugend. Und daneben auch ein paar richtig gute Doing-It-Songs, die man problemlos auflegen kann, wenn man romantische Stimmung erzeugen will und die WG-Wände nicht zu dünn sind. 06/10 jonas vogt 059

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Action Bronson Rare Chendeliers (Vice)

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Roc Marciano Reloaded (Decon)

Rap Vixens

New York Classic

Die Mixtapes von Action Bronson sind wie Sexploitation-Filme, die sich reimen. Dass sie sich dessen bewusst sind, macht sie nicht weniger absurd und dicht.

Roc Marciano war schon in den 90ern dabei und zeigt den Nostalgiejüngern, wie eine moderne Version der goldenen Ära von New York Rap klingen sollte.

Action Bronson beklaut Nutten, sabbert, fährt auch mal VW Passat, schlägt Frauen oder tötet sie, hat einen äußerst feinen Gaumen und einen furchtbaren Geschmack, und überhaupt ist Action Bronson ziemlich gestört. Richtig gut finden sollte man diesen verpeilten Bär als Mensch mit Matura also nicht, außer man hat eine Schwäche für derbe Beats und derbe Charaktere. Action Bronson hat beides, reichlich. Er ist irgendwo am untersten Rand der Gesellschaft angekommen und gibt mit Gucci, Kaviar und billigen Lederanzügen an. Immer wieder bringt er punktgenau Ober- und Unterschicht durcheinander. Er macht Bling und Bravado mit einem mächtigen Knacks. Ja, man darf dabei auch lachen. Oder mit dem Kopf nicken. Der wuchtige Bass und die Samples dazu kommen auf »Rare Chandelier« von The Alchemist, der vor allem deepen Funk und rohes Blaxploitation-Treibgut arg geschmeidig zusammenkratzt. Die Bläser sind butterweich, die Streicher kitzeln an den Nervenspitzen und das Rhodes-Piano massiert das Zwerchfell. Stoner-Rap wurde das letztens ganz treffend genannt; aber auch kritisiert, dass die Tracks den Charakter von Action Bronson nicht verstärken. Auf dem Mixtape »Blue Chips« reimte er noch über Frauenchöre und zarten Männerschmelz aus den 50ern, über Science-Fiction-Synths oder Schwanzrock. Das aktuelle Tape ist viel klassischer, New York, 90er. Und es funktioniert auch auf guten Boxen. Im echten Leben waren Action Bronsons Eltern albanische Immigranten, er selbst Grillchef bei den New York Mets. Sein allerliebstes Fleisch ist allerdings ein rauchbares Kraut, für das er scheinbar mehr als tausend Rezepte und Wörter kennt. Seine Reime spucken denselben Rauch aus, gepaart mit etwas Duft aus dem Schritt, genau der Mischung also, die auch schon Grand Theft Auto oder die Sexfilme von Russ Meyers so magnetisch macht. Kein Wunder, dass so viel schlechter Einfluss auf Vice Records gelandet ist. 07/10 Stefan Niederwieser

Nirgends ist diese Sehnsucht nach Nostalgie derzeit mehr ausgeprägt als im HipHop. In so ziemlich jedem Land läuft eine Bewegung, die einem erzählen möchte, dass es damals besser war, sei es in den USA mit Rappern, die sich bewusst auf die 90er Realness berufen, in Frankreich, wo »Le Rap c’etait mieux avant (Rap war früher besser)«-T-Shirts an jeder Ecke sichtbar sind, oder eben hier in Wien, wo Golden Era-Clubs fast jede Woche stattfinden. Roc Marciano bedient sich Elementen der Golden Era. Schließlich ist er, obwohl »Reloaded« erst sein zweites Soloalbum nach dem 2010 erschienen »Marcberg« ist, ein Rapper der 90er. Er wuchs in den Marcy Projects in Brooklyn auf, war Teil von Busta Rhymes’ Flipmode Squad. Was Roc Marciano jedoch deutlich von anderen Künstlern unterscheidet, ist, dass er es geschafft hat, trotz Nostalgieelementen seinen eigenen unverkennbaren Sound zu etablieren – was daran liegen mag, dass er das ganze Album bis auf zwei Ausnahmen selber produziert hat. Vor allem ist dieser Sound distinktiv New York und wäre in keiner anderen Stadt möglich gewesen. Die Produktion leiht sich 70er-Blaxpoitation-Sounds, Samples und klassische New York Drumloops, ohne jedoch wie ein Rap-Album aus dem New York der 90er zu klingen. Dies ist seinem Spiel mit Melodien und den Facetten seiner Rapstimme zu verdanken. Zwar benützt er hauptsächlich denselben Trick, nämlich eine Aneinanderreihung von mehreren mehrsilbigen Wörtern, doch das mit einer guten Portion Humor, die man sonst fast nur bei MF Doom hört. Die Bedeutung von »Reloaded« wird sich erst über die Jahre zeigen. Es mag sein, dass das Album inhaltlich zu wünschen übrig lässt. Doch das Album ist, was Produktion und Raps betrifft, schwer zu überbieten und liefert im 21. Jahrhundert, wo 808s und elektronische Sounds dominieren, einen wichtigen Entwurf für die Vielfalt im Rap und vor allem, wie eine moderne Version des klassischen New York Rap klingen sollte. 08/10 Mahdi Rahimi

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Ultraista Ultraista (I Am Fortified / Rough Trade)

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Various Artists Re:composed – ArbeiterInnen- und feministische Lieder (MA 57 Records)

Pop 3.0 Eine Supergroup jazzt krautige Electronica mit verhallten Synthesizern, Afrobeats und engelsgleichem Gesang auf. Ein Stück weit Richtung Zukunft.

Suffragetten-Singalong Der Feminismus kämpft nicht erst seit der ermüdenden Diskussion um das Binnen-I mit seinem angestaubten Image. Musik verbindet Menschen. Die MA57 bittet deshalb zum Tanz.

Ultraista als Supergroup zu bezeichnen ist eigentlich etwas überzogen. Wenn sich Leute wie Nigel Godrich (Produzent von Radiohead oder Paul McCartney) und Joey Waronker (Szene-Drummer von Die Idee: Junge Künstlerinnen – u.a. Mika Vember, Beck, R.E.M. oder Atoms For Peace) zusammentun Mieze Medusa und Squalloscope – singen alte Arund mit der Künstlerin Schrägstrich Sängerin Laubeiterinnen-Kampflieder neu ein. Das Problem: Die ra Bettinson eine Band gründen, geht das mit zugedrücktem Auge sozialistische Ideologie der historischen Arbeiterschon als Supergroup durch. Soundseitig und erfahrungstechnisch bewegung gehört gerade in Österreich schon längst sind die Musiker sowieso mit sämtlichen Wassern gewaschen. Es wunzum guten Ton, Frauen dürfen seit bald einem Jahrdert also kaum, dass der Output nicht nur hochmusikalisch, sondern auch fortschrittlich geraten ist. Ultraista machen Jetztmusik. Die Band hundert wählen. Was aber auf den ersten Blick anachronistisch anmuverschmiert Genres und Ästhetiken wie Hauntology, 2 Step, Techno, tet, entpuppt sich spätestens am Equal Pay Day als leider immer noch Afrobeat, Synthie-Pop oder Krautrock zu einem dichten Klanggemälde. relevantes Thema. Gerade weil man damit den ewigen FeminismusSoundmalerisch verschwägert ist man mit Acts wie Four Tet, Caribou Beschwichtigern (»Ich hab ja nichts gegen Gleichberechtigung, aber …«) trotzen muss. Manches auf »Re:composed – ArbeiterInnen- und feoder auch so manchem Post-Dubstep-Projekt. Dass Broken Beats, krautige Electronica und verhallter Dreampop ministische Lieder« fällt allerdings ab. Aber sagen wir, der Wille zählt. aktuell für unzählige Electronic-Acts zum guten Ton gehören, ist kein Die Songs reichen von melancholisch bis tanzbar. Stefanie Sourials Geheimnis. Viele hübschen ihre Popmusik derzeit mit diesen Sounds Version von »Bella Ciao« oder das von Catch-Pop String-Strong (ein auf. Ultraista drehen ihre Tracks aber weiter als andere und geben Cello-­Viola-Duo) eingesungene »La Lega« sind beide im Original italiesich nicht mit diesem ästhetischen Standard zufrieden. Hinter jeder nische Landarbeiterinnen-Lieder. Die beschwingten Rekompositionen Synthie-Fläche und hinter jedem Beat zwiebeln sich Unsummen an lassen die durchaus kämpferischen Texte aber geradezu leicht klingen. Geräuschen, Effekten und minimalistisch eingesetzten Instrumenten Auch Mimus Spielart von »Auf, auf zum Kampf!« verpasst Berthold hervor. Das zeichnet neben den loopartigen und poppigen Gesangs- Brechts Original in xylophonischer Kinderlieder-Manie die für heutiparts und den gefinkelten Beat-Texturen die Musik von Ultraista aus. ge Verhältnisse nötige Portion Ironie. Allen Rekompositionen gemein Die Tracks sind auf einem hohen produktionstechnischen Niveau un- ist übrigens die minimalistische Vortragsweise, die oft mit weniger aufgeräumt, aber trotzdem nicht überladen. Sie überfordern das Ohr als zwei bis gar keinen Instrumenten auskommt. Das unterstreicht nicht und bleiben so auch für an Pop gewohnte Hörer konsumierbar. auch den Plan, mehr ein politisches Statement zu vertonen als eine Darin liegt die Stärke dieser Musik. Ein bisschen mehr Pomp hätte dem euphonische Sternstunde. Um »yet another Emanzending« handelt es Album teilweise nicht geschadet. Trotzdem kann man Ultraista nicht sich unterm Strich trotzdem nicht. Viel mehr ist dieses Projekt als ein übertriebenes Understatement vorwerfen. Ein breit aufgestelltes, span- Pamphlet für geschlechterübergreifenden Humanismus zu verstehen. nendes Popalbum zu machen, ist die Königsdisziplin in Sachen Produ- Das machen schon Agenda Lobkov klar, die gleich zu Beginn singen: zententum. Nigel Godrich, Joey Waronker und Laura Bettinson haben »Femininity, what’s femininity? Masculinity, what’s masculinity? It’s humanity that we both share!« 06/10 Lisa schmidT sich mit diesem Debüt bereits gekrönt. 07/10 maximilian zeller 061

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Musik

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Sandra Adler (The Gap)

TOP 10

SAY MY NAME

01 Incubus – Anna Molly 02 Kings Of Leon – Joe’s Head 03 Queens Of The Stone Age – Regular John 04 Patti Smith – Gloria 05 Zomby – Natalia’s Song 06 Foals – Cassius 07 Nirvana – Polly 08 Jimi Hendrix – Hey Joe 09 Michael Jackson – Billie Jean 10 White Stripes – Jolene

TOP 5

DER WOLF IST LOS

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Queens Of The Stone Age – Someone’s In The Wolf TV On The Radio – Wolf Like Me Incubus – In The Company Of Wolves Portugal The Man – AKA M 80 The Wolf Duck Sauce – The Big Bad Wolf

auch nicht schlecht: Schokolade

Gerald C. Stocker (The Gap)

TOP 10

SONGS MIT »SMITH«-BEZUG

01 The Cure (Robert Smith) – Treasure 02 The Smiths – There Is A Light That Never Goes Out 03 The Jam – Smithers-Jones 04 The Fall (Mark E. Smith) – Hit The North (part 1) 05 Editors (Tom Smith) – An Eye For An Eye 06 Maxïmo Park (Paul Smith) – The Undercurrents 07 Elliott Smith – Ballad Of Big Nothing 08 Ron Sexsmith – Get In Line 09 Patti Smith – Because The Night 10 Smithereens – House That We Used To Live In

TOP 5

FILMMUSIK KLASSIKER

01 02 03 04 05

Bernard Herrmann – Main Theme / Murder (Psycho) Nino Rota – Titelthema (Godfather) John Williams – Titelthema (Jaws) Jerry Goldsmith – Titelthema (Star Trek) Ennio Morricone – Titelthema (Spiel mir das Lied vom Tod)

auch nicht schlecht: Paul Robeson – Ol’ Man River

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01/10 grottig 02/10 schlecht 03/10 naja 04/10 ok, passt eh 05/10 guter Durchschnitt 06/10 sehr gut 07/10 super 08/10 ein Top-Album des Jahres, Genre-Klassiker 09/10 absolutes Meisterwerk

Musik in der Flatrate streamen auf www.myjuke.at Asaf Avidan Different Pulses (Polydor) — Kaum einer leidet so euphonisch, wie das israelische Pendant zu Janis Joplin. Ein Stimmwunder rettet sich aus der One-Hit-Wonder-Falle. 07/10 lisa schmid

Björk Bastards (One Little Indian) — Björks »Biophilia«-Songs lassen den handverlesenen Remixern auf »Bastards« viel Raum für ihren eigenen Stil. Das Ergebnis: eine Bandbreite von Dubstep bis orientalischer Folklore. 07/10 sandra adler

Meek Mill Dreams & Nightmares (Warner) — »Dreams & Nightmares« ist vielleicht die größte Enttäuschung im sonst großartigem Rapjahr 2012. Bitter, denn auch auf einem eher miesem Album zeigt Meek sein großes Potenzial.

The Mohawk Lodge Damaged Goods (White Whale) — Springsteen, Young, Molina, und und und. Ryder Havdale mag es klassisch und bleibt dabei rotzig, kantig und eckig. 30 sehr zufriedenstellende Minuten gleich vom ersten Hören an.

04/10 mahdi rahimi

07/10 werner schröttner

Villagers {Awayland} (Domino) — Die irische Ein-Mann-Band Villagers überlädt ihre Songs mit Ideen und allen RechnerSoundbanken. Was großteils überfordert, ist in seinen lichten Momenten beängstigend gutes Songwriting.

Yan Wagner Forty Eight Hours (Pschent) — Orthodoxer, niemals aus der Rolle fallender, tech-housig aufgepeppter Elektro-Pop mit wavigen 80er- und DiscoAnleihen. Trashhumorfrei. 05/10 thomas wieser

Sylvain Chauveau Simple – Rare & Unreleased Pieces 1998–2010 (Fatcat) — Man merkt, dass dieser Mann für Filme komponiert. Seine neoklassischen Miniaturen sind tief und schwer, aber sie schillern nicht. 05/10 stefan niederwieser

The Moons Fables Of History (Schnitzel) — Klassischer Northern Soul trifft auf Sixties Garagen-Rock-Sound. Wurde schon vor ein paar Jahren von den Rifles in eine Sackgasse geführt. 05/10 gerald c. stocker

The Weeknd Trilogy (Universal) — Wer es nicht mitbekommen hat: The Weeknd ist die bestmögliche Schnittmenge aus James Blake und Michael Jackson. Seine drei Tapes aus 2011 sind unverzichtbare Emotionsmusik. 09/10 stefan niederwieser

06/10 stefan niederwieser

Wermonster Ghosts Move Slowly (Exotic Pylon) — Im Jahr Sechs nach Burial wird eine zauberhaft klingende Formel einmal zu oft durch das Blogosphäre getrieben. Chipmunk Dubstep, Teil Siebzehn, ist mindestens einmal zu viel.

Yo La Tengo Fade (Matador) — Das US Trio setzt auch diesmal wieder auf altbewährten Indie-Rock mit ausgeprägtem Hang zu spannenden Soundexperimenten. 06/10 gerald c. stocker

Neil Young Psychedelic Pill (Warner) — Grandioses Spätwerk des großen »alten Manns mit Gitarre« und seiner nach gut einem Jahrzehnt vehement reaktivierten Lieblingsbegleitband. 09/10 rainer krispel

05/10 stefan niederwieser

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Deftones Koi No Yokan (Reprise / Warner) — Es gibt nichts mehr zu beweisen. Die Deftones sind die Guten unter den Überlebenden der Nu Metal-Blase. Mit dem siebten Studioalbum bewähren sie sich als Kategorie für sich. 07/10 sandra adler

Lana Del Rey Born To Die – The Paradise Edition (Universal) — Lana komponiert aus unverwüstlichen Symbolen eine Symphonie der Großmacht. Dunkle Fantasien, ein Leben für dich selbst, verrückt, aber frei. Genau das. USA, fuck yeah.

musik

Green Day ¡Dos! (Warner) — Aufmüpfiger Punkrock als Lebensprinzip scheint ausgedient zu haben. Es lebe der gute, alte, erwachsene Rocksound. Auch wenn er die besten Tage schon gesehen hat.

Schorsch Kamerun Der Mensch lässt nach (Buback) — Sammlung von Theater-Musiken und -Liedern der Goldenen Zitrone Kamerun. Forderndes und bestes Edu-Poptainment für alle, die mit der Stammband können. 06/10 rainer krispel

Lord Huron Lonesome Dreams (I Am Sound) — Nach einer vielversprechenden EP will das Debüt nicht so recht vom Fleck. Dem poppigenCountry-Folk fehlt es an wirklich zündenden Ideen.

Stubborn Heart Stubborn Heart (One Little Indian) — Das Duo Santucci und Fitzgerald heftet sich behutsam an die PostDubstep-Fersen von SBTRKT und James Blake. Punkte gibt es dabei besonders für die glasklare Produktion.

Tiger Fingers Tiger Fingers (Hafendisko) — Ein Debütalbum überschwanger mit elektronischen Skizzen, Umrissen, Mustern und Vorstellungen – Sechs Tracks und 60 Ideen, manchmal wäre weniger doch mehr.

06/10 nicole schöndorfer

05/10 kevin reiterer

05/10 reiner kapeller

04/10 gerald c. stocker

07/10 stefan niederwieser

08/10 nicole schöndorfer

Rick Redbeard No Selfish Heart (Chemikal Underground) — Rick Anthony, Sänger der Phantom Band, veröffentlicht seine gesammelten Solo-Stücke. Weit weg vom Sound der Hauptband wurde daraus ein intimes Folk-Album mit hörbaren schottischen Wurzeln.

Ron Sexsmith Forever Endeavour (Cooking Vinyl) — Unermüdlich reitet Sexsmith reife Melancholieattacken. Auch wenn Paul McCartney und Elvis Costello zu seinen Bewunderer gehören, sind seine Folktunes immer noch verkannte Schätze.

05/10 sandra adler

07/10 gerald c. stocker

29. NOV. BIS 9. DEZ.

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29. NOV. BIS 9. DEZ.

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Foto: everydayrebellion.com by the Riahi Brothers

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Foto: everydayrebellion.com by the Riahi Brothers

Motorama Calendar (Talitres) — Motorama aus dem Südwesten Russlands klingen irgendwie eher nach Nordlichtern, Nadelwäldern und Skandinavien. Das ist schön. Das schreiben wir in unseren Kalender.

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Oh Boy von Jan Ole Gerster; mit Tom Schilling, Marc Hosemann, Friederike Kempter — »Oh Boy« erzählt episodenartig einen Tag im Leben von Nico Fischer (Tom Schilling). Nico ist ein klassischer End-20er-Dandy, der mit großen Augen durch Berlin wandert, alles beobachtet, aber niemanden wirklich versteht. Ob auf einem Golfplatz, am Filmset eines Holocaust-Dramas oder einfach abends in einer Bar, nie fühlt sich Nico wohl und möchte am liebsten nur mit einem Kaffee und seinen Gedanken alleine sein. Schöne Schwarzweiß-Bilder der facettenreichen Welthauptstadt, dazu passende Jazzmusik und wunderbar ehrliche sowie amüsante Dialoge zeichnen »Oh Boy« aus. Tom Schilling ist die Rolle des nachdenklichen Dandys wie auf den Leib geschrieben. Überzeugend und mit nur wenigen Worten gibt er den scheinbar ewig Suchenden. Der Jungregisseur und Drehbuchautor Jan Ole Gerster setzt in seinem ersten Langspielfilm ein Ensemble aus bekannten deutschen Charakterdarstellern gekonnt in Szene und liefert einen Film voller charmanter Momente – ohne dabei jemals platt zu wirken. Eine große, tiefgründige Geschichte darf man bei »Oh Boy« nicht erwarten. 08/10 lena nitsch Cold Blood von Stefan Ruzowitzky; mit Eric Bana, Charlie Hunnam, Olivia Wilde, Kris Kristofferson, Sissy Spacek — Passend zu Thanksgiving bringt Stefan Ruzowitzky seinen ersten handfesten US-Thriller in die Kinos, doch bedanken kann man sich für diesen leider gar nicht. Der österreichische Oscar-Preisträger (2008: »Die Fälscher«) treibt zu Beginn die Erzählung zwar mit einem spektakulärem Unfall auf die Spitze, überlässt sein Publikum danach aber einem Haufen flacher Figuren. Nah an der kanadischen Grenze flüchtet ein wirres Geschwisterpaar mit erbeutetem Casinogeld durch Schneestürme. Abwechslungsreiche Actionsequenzen werden dicht zueinander montiert, während zu viele Familiendramen die Handlung überlagern. Noch schlimmer als die plumpen Männchen im Film sind die schrulligen Frauenfiguren. Nachvollziehbar ist hier wenig, unfreiwillig komisch jedoch viel zu viel. »Cold Blood« wird wegen seines sachgerechten Handwerks zwar nicht langweilig, schlüssig aber nie. 02/10 klaus Buchholz Paradies: Glaube von Ulrich Seidl; mit Maria Hofstätter, Nabil Saleh — Ulrich Seidl ist ja hinlänglich bekannt dafür, Gefühle der Beklemmung von der Leinwand aus in sein Publikum zu prügeln. Das Schauspiel von Maria Hofstätter ist aber derart atemberaubend, dass es jegliches Bemühen seiner episch angelegten Trilogie in den Schatten stellt. Selbstredend bedingt er ihr Spiel und sie spricht auch von der schwierigsten Rolle ihrer bisherigen Karriere. Doch sich selbst so glaubhaft den Abgründen ihrer Figur nahe zu bringen, schafft im österreichischen Kino vielleicht nur Hofstätter. Sie verkörpert Anna Maria, eine Frau. die Jesus bis aufs Blut liebt. Sie opfert sich täglich für ihre Religion, etwa mit Peitschenhieben, womit auch der Film eröffnet. Außerdem versucht sie in einer Gruppe wehrhafter Ultrakatholiken krampfhaft, ihre Mitmenschen zu bekehren. Als ihr muslimischer Ehemann nach zwei Jahren plötzlich auftaucht, beginnt ihr Gott sie zu prüfen. Zwischen religiösem Wahn und Beziehungstrauma schafft Seidl ein sadistisches Kammerspiel. Wie üblich geht es bei ihm um größtmöglichen Effekt (was die willkürliche Orgienszene im Park sehr verdeutlicht). Den hat er diesmal einzig der Größe seiner Hauptdarstellerin zu verdanken.

Film

Was bleibt von Hans-Christian Schmid; mit Lars Eidinger, Ernst Stötzner, Corinna Harfouch, Sebastian Zimmler

Entfernte Verwandte Hans-Christian Schmid lässt ein bildungsbürgerliches Familienmodell leise implodieren. Seinem Publikum liefert er einen erregenden Alltagsgruselfilm. Die sorgenvollen Blicke, mit denen die Figuren sich bereits am Beginn von »Was bleibt« belasten, bestimmen bis zum Finale die Schwere dieses Dramas. Noch werden sie in einer Nachwuchsfamilie Mitte 30 gewechselt, deren Eltern sich trennen. Lars Eidinger spielt einen jungen Vater und Schriftsteller, der seinen Sohn von seiner Freundin abholt und wiederum mit ihm zu den eigenen Eltern fährt. Der Kleine trägt fast immer eine Tigermaske, Eidinger seine trüb-ernsten Augen. Beides markiert vorab die innerfamiliären Entfremdungen, die wenig später von der charismatischen Corinna Harfouch auf die Spitze getrieben werden. Sie spielt die Mutter der wohlhabenden Kernfamilie, von deren Bruch »Was bleibt« erzählt. Sie wird zunächst von allen nur mit ihrem Vornamen angesprochen. Erst wenn es um ihre Person Probleme gibt, ist statt von Gitte von Mama die Rede. Gitte ist seit Jahren psychisch krank und an Medikamente gebunden. Als sie beschließt, diese nicht mehr einnehmen zu wollen, bricht alles gleichzeitig auf. Jahrelang hat die Familie ihre Gitte vor Unheil beschützt, ihr Wahrheiten vorenthalten. Hans Christian Schmid formt aus diesen Ansprüchen Charaktere der Isolation. »Wir müssen aufhören, uns was vorzumachen« - Gitte wünscht sich nichts mehr als festen Boden unter den Füßen, einfach Selbstbestimmung. Schmid lässt den Wunsch seiner Figur ins in der Vorstadt verhallen. Die erfolgreiche, intellektuelle und liberale Verlegerfamilie ist in Wahrheit ein desillusioniertes Ensemble kühler Täuscher. Schmid kleidet seine Scheiternden in nüchterne, einfärbige Casual-Kostüme. Sie agieren zwischen der stilvollen, ähnlich kargen Einrichtung des Elternhauses aneinander vorbei. Dank neugieriger Zooms und unruhigen Schwenks wird das Publikum indes zum aufgekratzten Voyeur. Die aufgeklärte Familie muss sich eingestehen, bei der eigenen Emanzipation gescheitert zu sein. Nach außen ruht der Wohlstand, innen verwüstet eine schaurige Leere. »Was bleibt« begleitet diese bildungsbürgerliche Implosion mit wachsender Unruhe und beschreibt den Horror der eigenen Entfremdung mit bestechendem Feingefühl. 08/10 Klaus Buchholz

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Searching For Sugar Man von Malik Bendjelloul; mit Sixto Rodriguez, Steve Segerman, Dennis Coffey

Führ mich zum Zucker! Der schwedische Regisseur Malik Bendjelloul erzählt in »Searching For Sugar Man« die unglaubliche Geschichte eines Rockstars, der nichts von seiner Berühmtheit wusste. Nebenbei und sehr unterhaltsam veranschaulicht der Dokumentarfilm den Weg zum Pop-Mythos. Hätte sich diese Geschichte jemand ausgedacht, so würde darüber debattiert werden, wie unwahrscheinlich sie doch ist. Der Dokumentarfilm »Searching For Sugar Man« erzählt von Sixto Rodriguez, einem mittlerweile 60-jährigen Bauarbeiter aus Detroit. Er nahm in den frühen 70ern zwei Platten auf, seine Produzenten hielten ihn für den nächsten Bob Dylan – wenn nicht sogar den besseren Dylan. Doch es sollte alles anders kommen: Die beiden Alben floppten und Rodriguez kehrte in sein Arbeiterleben zurück. Er baute Häuser und riss andere ab. In Südafrika aber, wo die LPs »Cold Fact« (1970) und »Coming From Reality« (1971) plötzlich auftauchten, lösten sie Wellen der kollektiven Begeisterung aus. Im Land am Kap wurde Rodriguez ein Star. Mehr noch, er wurde ein mythischer Held, über den wilde Gerüchte kursierten. Dies führte einen Musikjournalisten auf die Suche nach dem Menschen hinter der Musik. Der Rest ist eine fast unglaubliche Geschichte des Rock ’n’ Roll. Im Film rekonstruiert der schwedische Regisseur Malik Bendjelloul eine Art magische Reise durch die Musik: die Spur führt auf den Weg des Geldes, doch der Umweg über den Zufall bringt sie ans Ziel. Dabei werden dokumentarische Aufzeichnungen durchbrochen von animierten Sequenzen, stillstehende Zeichnungen erwachen zum Leben, eine belebte Stadtansicht erstarrt zur Fotografie. Diese Ansammlung hybrider Bildwelten spricht von der dichtenden Imagination der Erinnerung. Sie verweist ebenso auf einen interessanten Mix aus Fiktion und Wirklichkeit, der die Figur dieses Stars exemplarisch ausmacht. Hier spielt die Musik, hier wird popkulturelle Mythenbildung veranschaulicht. Dokumentarfilm als intelligentes Soulfood gibt es nicht alle Tage und ist in diesem Fall sehr sehenswert. 07/10 lena stölzl

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Introducing Matthias Schoenaerts Das Kinopublikum ist dem französischen Regisseur Jacques Audiard aus vielen Gründen dankbar. Einer davon ist 35 Jahre alt, kommt aus Belgien und heißt Matthias Schoenaerts. Nach dem intimen wie rohen Gefängnisdrama »Un prophète« (2009) wirkte Audiard künstlerisch bereits unantastbar. Nun hat er sich ein weiteres Filmdenkmal gesetzt, das aus zähem Schauspielerfleisch besteht. Für »De rouille et d’os« hat er den besagten Belgier zu sich genommen und neben Marion Cotillard gestellt. Sie spielt in dem Drama eine junge Frau, die aufgrund eines Arbeitsunfalls ihre Beine verliert. Mit aufwühlender Performance macht Cotillard schnell die undankbaren Nebenrollen bei Christopher Nolan (siehe »Inception« oder »The Dark Knight Rises«) vergessen. Dennoch fordert Schoenaerts seine Kollegin heraus. Er spielt den arbeitslosen Ali, der mit seinem ungewollten fünfjährigen Sohn an die Südküste Frankreichs fährt, um bei seiner Schwester ein Leben zu beginnen. Vom Leben ernüchtert und von Kampfsport geformt startet er zunächst als Türsteher neu, wird dann zum kleinkriminellen Wachmann und schließlich zum Mixed-Martial-Arts-Tier, das sich bei illegalen Hinterhofkämpfen seinen Stolz und Unterhalt verdient. In einer Szene in des Films erklärt seine Figur, früher bei einem Schlachthof gearbeitet zu haben – ein Verweis auf »Bullhead« (2011). Darin brilliert Schoenaerts als suchtkranker Rinderzüchter, der mit illegalen Hormonen handelt und sich selbst Testosteron in seine Muskelberge spritzt. Dort ist es ein düsteres, männlich dominiertes Hinterland in Belgien. Bei »De rouille et d’os« ist es die trügerische Côte d’Azur. In beiden Fällen ist es das einerseits so massive und andererseits so subtile Körperspiel von Schoenarts, das seinen tragischen Helden diese überwältigende Intensität verleiht.  »De rouille et d’os« startet am 11. Jänner 2013 in den österreichischen Kinos, »Bullhead« ist bereits via Alive auf DVD erschienen. TEXT Klaus Buchholz BILD Polyfilm

Boardwalk Empire – Staffel 2 (Warner) mit Steve Buscemi, Michael Pitt, Kelly Macdonald auf DVD und Blu-ray

Hesher (Koch) von Spencer Susser; mit Joseph Gordon-Levitt, Devon Brochu, Natalie Portman auf DVD und Blu-ray

Mad Dogs – Staffel 1 (Polyband) von Adrian Shergold, James Hawes; mit John Simm, Marc Warren, Max Beesley, Philip Glenister auf DVD

Die Morde von Snowtown (Film Frontal); von Justin Kurzel; mit Lucas Pittaway, Daniel Hanshell, Louise, Harris auf DVD

DVD

Erneut präsentiert sich das Historiendrama stark. Vor allem erzählerisch setzt Staffel 2 nochmal eins drauf, schildert vielschichtig (manchmal auch etwas verworren) die Zeit der Prohibition im Atlantic City der 1920er. Geschichte und Fiktion fließen ineinander und ergeben ein lebendiges Ganzes; ein Verdienst des über weite Strecken stimmigen Drehbuchs und der herausragend guten Schauspieler (allen voran Steve Buscemi). Gebrochene Persönlichkeiten, skrupellose Gangster, verlorene Seelen geben sich in »Boardwalk Empire: Staffel 2« ein Stelldichein. Ihr Facettenreichtum macht es schwer, sie entweder zu lieben oder zu hassen. Erwartungsgemäß geht es auch bei diesem Mafia-Epos nicht gerade zimperlich zur Sache. Generell ist das Erzähltempo jedoch ein gemächliches, manchmal sogar zu gemächlich. Das langweilt ungeduldige Zuseher, alle anderen erfreuen sich an den (zahlreichen) interessanten Dialogen. 08/10 Stefan Kluger Endlich eine gute Rolle für Joseph Gordon-Levitt, der als Hesher so etwas wie die Antithese zu seiner Tom-Hansen-Figur aus »(500) Days Of Summer« gibt: Hesher ist roh, direkt und mitunter brutal. Der 13-jährige T.J. lebt gemeinsam mit seinem Vater seit dem Tod seiner Mutter bei der Großmutter, die für die beiden sorgt. Relativ unvermittelt tritt Hesher in ihr Leben und macht sich nicht nur auf ihrer Couch breit. Seine unverblümte Art ist unberechenbar, reißt die beiden aber auch aus ihrer Lethargie. Erlebnisse, in denen er T.J. hilft, auf eigenen Beinen zu stehen, wechseln sich mit jenen, in denen Heshers Handlungen ihm Schmerz zufügen. Der Film setzt dabei weniger auf Pointen denn auf eine aufgekratzte Grundstimmung. Heshers Unberechenbarkeit ist oft schon wieder berechenbar, wie für die Figuren ist der Ausgang vieler Situationen aber unklar. Spencer Susser inszeniert den Film nicht als Loblied auf kompromisslose Anarchie, sondern als liebevollen Reminder, nicht in geschlossenen Gedankenmustern zu verharren. Ganz definitiv Feel-Good-Kino. 08/10 martin mühl Am Ende der ersten Episode verteilt sich das Gehirn einer der Hauptfiguren über den langen Esstisch einer spanischen Villa, weil völlig überraschend ein kleiner Mann in schwarzem Anzug und übergroßer Tony-Blair-Maske die Szene betritt, um besagter Figur in den Kopf zu schießen. Willkommen in der entdeckenswerten Fernsehlandschaft Großbritanniens: Schwarzer Humor und menschliche Untergriffe sind hier zum Glück keine Seltenheit, doch selten so souverän und anregend gespielt wie hier. Die Darsteller glänzen allesamt mit ihren Schattierungen, besonders auch wieder John Simm und Philip Glenister. Vier Freunde mittleren Alters treffen auf Mallorca einen alten gemeinsamen Kumpel, der reich geworden ist. Der plötzliche Mord lässt die Urlauber durch ein unerwartbares Gewirr aus Drogenmafia und Polizeikorruption taumeln, »Mad Dogs« dosiert gekonnt Albernheit oder Aufregung und bleibt ein mehr als solider TV-Thriller. 07/10 klaus buchholz Immer wieder haben Filme in den letzten Jahren die Brutalität des Hinterlands zum Thema gehabt. Meist, wie in »Winter’s Bone«, die des US-Hinterlands. »Die Morde von Snowtown« zeichnen ein ebenso tristes Bild von einer armen Gegend Australiens, beruhend auf einer wahren Begebenheit. Der Teenager Jamie erlebt mit seiner Mutter und seinen Geschwistern einen traurigen Alltag, in dem der Zusammenhalt mindestens brüchig ist. John ist einer der Freunde seiner Mutter, ein charismatischer kleiner Mann, der einerseits die Kinder unterstützt und andererseits mit seinen Ansichten und Aktionen verschreckt. Jamie hat niemanden anderen, lässt sich auf John ein und ist wenig später Komplize in einer extrem brutalen Mordserie, die nicht nur einmal Jamies Bekanntenkreis betrifft. »Die Morde von Snowtown« ist ein trauriger Blick auf Menschen ohne Chance; Angehörige einer weißen Unterschicht in einer vermeintlich entwickelten Welt. Der Erzählton ist langsam, die Bilder sind eindringlich und verstörend brutal und der Film keiner, den man sich gerne antut. 09/10 martin mühl Auf www.thegap.at außerdem Reviews von »Act Of Valor« (Universum), »Agent Hamilton« (Ascot Elite), »The Artist« (EuroVideo), »Bel Ami« (Studiocanal), »Der Diktator« (Paramount), »Dream House« (Universum Film), »Magic To Win« (Ascot Elite), »Metalocalypse« (AdultSwim), »Pretty Little Liars« (Warner Bros), »Romance & Cigarettes« (Atlas), »Steve Jobs – iGenius« (Koch) etc.

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Bjarni Bjarnason Die Rückkehr der Jungfrau Maria (Tropen)

Teju Cole Open City 01 (Suhrkamp) — Eigentlich, so dachte man, sei es mit der »literarischen Langweile« vorbei. Aber nein, der Debüt-Roman von Teju Cole belehrt einen in dieser Hinsicht. Der ist jetzt zwar nicht so zurückhaltend erzählend wie Peter Handke, doch in dieser Tradition ist er schon zu finden. Interessant nur, dass Cole nicht über eine vielleicht ereignislose Provinz schreibt, nein, Cole verlegt seinen eigenartig ruhigen Roman nach New York City. Jetzt kann man durchaus ganz blöd fragen, ob sich der Autor nicht eine fadere Stadt zum Flanieren aussuchen hätte können. Aber vielleicht macht gerade das den Reiz des Romans aus, wenngleich auch auf jeder Seite das epochale Knistern fehlt. Was gibt es inhaltlich zu sagen, worum geht es also? Der junge Psychiater Julius streift durch die Stadt und zwischen Nationalmuseen, Parkanlagen und U-Bahnschächten macht er sich Gedanken über seine afrikanische Herkunft, seine verflossene Liebe und lässt dabei den New Yorker Marathon an sich vorbeiströmen. Fazit: Lesen ja, da doch wieder etwas Einzigartiges entstanden ist, wie es halt so ist, in der Literatur, aber bitte nicht wundern, wenn nichts Wesentliches passiert. 06/10 martin g. wanko

Sie ist wieder da Der isländische Schriftsteller Bjarni Bjarnason schickt seine Leser auf eine abenteuerliche Reise mit der Jungfrau Maria – durch die Gegenwart. Im Einst und Jetzt hat es der Jungfrau Maria an Sendungsbewusstsein gefehlt. Dass dennoch eine ungewöhnliche Kraft von ihr ausgeht, lässt bereits der Buchumschlag von »Die Rückkehr der Jungfrau Maria« vermuten. Es zeigt das Gemälde »Sendung« des deutschen Malers Norbert Bisky. Kraft- und geheimnisvoll deutet es das Wesen der Heiligen Jungfrau an und der Romananfang lässt keine Zweifel, dass gleich Realität und Metaphysik verschwimmen werden. Erzähler Michael von Blomsterfeld, Enkel des bedeutenden Theologen Johannes von Blomsterfeld, zitiert auf den ersten Romanseiten aus dem Traumtagebuch seines Großvaters. Der hat bereits vor Jahren die Wiederkehr der Jungfrau prophezeit und dafür Schimpf und Schande von den Kirchenoberen geerntet: nichts wird ihre Schönheit verhüllen / obgleich sie sich jedem Auge entzieht ... berührst du die Gesegnete mit der Hand / spürst du dein eigenes Leid. Starker Tobak also, die Vision einer Wiederkehr der Heiligen Jungfrau. Starker Tobak auch, was nun häppchenweise in einem Genremix aus Thriller, Entwicklungsroman und Heiligenlegende auf lediglich 170 Seiten erzählt wird. Entführungen, eine erstaunliche Flucht und Verfolgungsjagd, die Ermordung des Mädchens Salome, eine Liebesgeschichte, Sex und viel Erotik sind dabei inkludiert. Maria ist Studentin. Nach und nach verliert sie ihre Identität. Spiegelbild hat sie keines mehr, seit sie in der Pubertät ist, nun, da ihr Studium und ihre theologische Doktorarbeit, lakonisch »Liebe« betitelt, fertig ist, sind auch sukzessive alle Dokumente, die ihre Existenz beweisen, verschwunden. Stipendienbetrug steht im Raum und vor allem der sinistere Bischof Jean Sebastian hat es auf die Jungfrau abgesehen. Sie flieht aus ihrer Heimatstadt und trifft auf Michael von Blomsterfeld, der sich als Varietékünstler verdingt. Er verliebt sich natürlich in Maria, wird ihr Gefährte und Liebhaber. Ein Leben in Ruhe, Liebe und Leidenschaft ist undenkbar. Zum einen, da Maria durch ihr Auftreten und ihre vollkommene Schönheit Leute in Trance versetzen kann. Zum anderen, weil eben Bischof Jean Sebastian und die Sekte »Kinder Marias« hinter ihr her sind. Der eine, weil er Marias »Jungfräulichkeit« mit allen Mitteln zu widerlegen versucht, die anderen, weil sie an das Wunder ihrer Erscheinung glauben. Diesen Kontrahenten gelingt es aber ebenso wenig wie Michael selbst, dem gutmütigen und wunderbaren Wesen Marias in der Gegenwart gerecht zu werden. Das alles endet mit einem Gerichtsverfahren, das vehement von der Presse verfolgt wird, aber schlussendlich scheitern muss, da sich die Existenz Marias auf keinem Dokument beweisen lässt. Es fehlt also nicht an Spannung, Unterhaltung und Fantasie. Allerdings leiden Themen wie Glaube, Liebe, Vertrauen, Überlegungen zu Marias Dualismus sowie die Symbolik und die Dogmenkritik ein wenig unter der rapiden Handlung. 08/10 Jón B. Atlason

Florian Illies 1913 – Der Sommer des Jahrhunderts 02 (S. Fischer) — Florian Illies hat ein ausgezeichnet recherchiertes und außerdem literarisch geschriebenes Sachbuch verfasst und bombardiert darin seine Leser mit Ereignissen. Illies kennt man ja eigentlich aus einer anderen Ecke: Der ehemalige Kulturjournalist schrieb mit »Generation Golf« und »Generation Golf II« die Fahrkurse für gelangweilte Wohlstandsjugendliche zur Jahrtausendwende, die gerade einmal das Zündschloss im Golf fanden. Irgendwie machte das Illies nicht zwingend sympathisch, und ein bisserl ein Streber ist er ja geblieben, aber auch Streber müssen erwachsen werden: Dazu setzt er seinen Roman ins Jahr 1913. Knapp vor dem Ersten Weltkrieg, in der Blüte des Expressionismus und der Tiefenpsychologie, ist alles politisch schon sehr angespannt und riecht förmlich nach epochaler Chemie. Illies baut hier ein Mosaik aus kleinen Happen, und lässt ein hundert Jahre altes Stimmungsbild wieder aufleben. Ein kleiner Einblick gefällig? Luis Armstrong tauscht im Jugendheim die Pistole gegen eine Trompete, Franz Kafka schreibt die Verwandlung und seinen 200. Brief an Felice Bauer … Lou Andreas-Salome macht in Wien ziemlich viele Männer verrückt, während in Schönbrunn Stalin und Hitler in den gleichen Parkanlagen sitzen … Schönberg hasst die Unglückszahl 13, während Thomas Mann eine Kritik ins Unglück stürzt … Proust erbaut sich seine eigene Schutzkammer auf der Suche nach der verlorenen Zeit und Gertrude Stein formuliert den berühmten Satz »Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose«, weil Kafka Angst vor nackerten Weibern hat, während Max Beckmann sein Gemälde »Der Untergang der Titanic« abschließt. Alles klar? 09/10 martin g. wanko

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Lady Bitch Ray Bitchism. Emanzipation – Integration – Masturbation 03 (Vagina-Style) — »Du bist, so wie du bist, vollendet und einzigartig, Bitch! Merk dir das!« Was Reyhan Sahin in ihrem Kapitel »Bitchism Ethik« als Moralvorgabe verlautbart, gilt für ihr ganzes Manifest. 068

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SA 08. DEZ. 2012 Rüfikopfbahn I Lech am Arlberg 20:30 - 02:00 h

Jonatham Lethem Bekenntnisse eines Tiefstaplers 04 (Tropen) — In der Nacht vor dem 11. September 2001 war Jonathan Lethem noch mit Bret Easton Ellis saufen. Punkt, nächste Geschichte. In den vorliegenden, unterschiedlich bunten Essays legt Lethem seine Biografie nahe, versucht sich und seine hochkulturelle Sozialisation zu erklären. Das ist mal mehr, mal weniger aufschlussreich, bietet mal mehr und mal weniger oft Postervorlagen: »Jede mediale Revolution hat alles verändert und gleichzeitig alles unverändert gelassen, die jeweiligen Vorläufer wurden zerstört und blieben doch erstaunlich lebendig«. Außerdem reflektiert er über das Sampling von Ideen in der Literatur und schreibt gegen falsche Urheberrechtspolitik; er erklärt seine Fan-Leidenschaften (Bob Dylan, James Brown) und bricht Lanzen für verkannte Kunstnischen (ScienceFiction-Literatur) oder wünscht sich ungeschönte Sexszenen im Film. »Bekenntnisse eines Tiefstaplers« ist ein anregendes Flickwerk, eine Beilage für zwischendurch. 06/10 Klaus Buchholz

> Wandel <

CI: foxandraven.com

Als Lady Bitch Ray konzentriert sie auf knapp 500 Seiten, was ihre Rolle seit Jahren über diverse Medienkanäle nach vorne spritzt. »Bitchism« ruft seine Leserinnen und Leser (»Bitcher«) zur Selbstermächtigung, Emanzipation und Selbstliebe auf. Als Mittel zum Zweck dient ihr bekannter direkter Jargon. Besonders in ihrem Werk will die promovierte Linguistin Kraftausdrücke nicht dem Patriarchat überlassen (siehe »Bitchism-Glossar«). Ihre Emanzipationsparolen sind knackig, prägnant und witzig – wenn auch in der Masse redundant und weniger provokativ. Das selbsternannte Nachschlagewerk ist als solches zu verstehen: prall gefüllt mit zugespitzten Argumenten, Hochglanzfotos, illustren Sextipps und interkulturellen Handlungsanweisungen. Ohne sich anzubiedern adressiert sie erfolgreich eine breite Masse. Im Zentrum steht ihre Figur als Projektionsfläche für einen lustvollen, sexpositiven Feminismus. Von Analsex bis Zwangsehe muss alles rein und effektvoll sein. Dennoch bleibt der Scharfsinn der Lady Bitch Ray – ihr Buch derweil relevant, amüsant und notwendig. 07/10 Klaus Buchholz

25 kuratierte, internationale Animations-Kurzfilme im Gondelkino Jetzt Karten zum VVK-Preis sichern! LändleTicket, Ö-Ticket & Lech Zürs Tourismus DJs Mik Mok (Berlin), Denis Yashin (Wien), Jonas Friedlich (München), Patrick Testor (Wien), DJ Jondal (München), Scheibosan (Wien), uva. Live Kebara (Wien) Projektionskunst & Visuals F. Fitzke, Mindconsole, 4youreye, Udo Kapeller (VMS) www.facebook.com/cineastic.gondolas

www.cineasticgondolas.at

Benjamin Maack Monster 05 (Mairisch) — Es ist eine verwirrende und abartige Welt, in die Benjamin Maack in seinem Kurz- und Kürzestgeschichtenband »Monster« einführt. Und wenn diese Storys, in denen die Hauptperson stets den Vornamen Benjamin trägt, tatsächlich Rückschlüsse auf den Autor zulassen, dann möchte man lieber nicht in dessen Haut stecken. Denn die meisten lassen sich mit eindeutigen Attributen belegen: Düster, morbid, abartig, beklemmend, unheimlich oder verstörend sind die Geschichten über schwerkranke Freunde, verschwundene Brüder, pubertierende Teenager oder sich entfremdende Menschen. Nicht alle Geschichten sind von gleich hoher Qualität, von gleicher Dichte. Die Guten vermögen zu fesseln; manche allerdings lassen den Leser in negativem Sinne ratlos zurück. Maack hat bis dato Erzählungen und Gedichte veröffentlicht. Beim Lesen von »Monster« keimt der Wunsch auf, der Autor möge einen Roman schreiben, der die Spannungsbögen, den Ideenreichtum und das ungute Gefühl in der Magengegend beim Lesen der richtig gelungennen Storys aufnimmt und weiterspinnt. 06/10 martin zellhofer

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Rez Sean Ford Only Skin 01 (Secret Acres) — Die Stadt im mittleren amerikanischen Westen könnte ebenso gut in der Vorhölle existieren. Rundherum Ödland und Wald. Wir sehen nur Ausschnitte der Stadt, Elemente wie ein Bühnenbild. Ford zeigt uns auch nur die handelnden Personen, niemand anderen. Und da ist ein Geist, ein Laken mit Augenlöchern und entkörperter Stimme. Vielleicht wie ein Kind einen Geist zeichnen würde. Dieser Geist erscheint auch nur einem Kind. »Only Skin« zieht uns ins Niemandsland, dort wo Menschen auf mysteriöse Art und Weise verschwinden und eine junge Mutter ein Leben aufnehmen muss, das nicht ihr gehört. Ford beschwört das unbehagliche Gefühl, das einen manchmal beschleicht, wenn man alleine zu Hause ist und sich dringend Gesellschaft wünscht. In dieser kleinen Stadt ist jeder einsam und die Menschen verschwinden nicht nur körperlich, sondern auch aus den Erinnerungen und Herzen der Zurückgebliebenen. »Only Skin« ist also eine Beschreibung der Suche nach einem Platz – sei es im eigenen Leben, innerhalb einer Gemeinschaft oder in der Welt. 07/10 Nuri Nurbachsch Osamu Tezuka Barbara 02 (DMP Platinum) — Sehnsüchtig warten viele auf den Kuss der Muse, egal wann, wo, wie er kommen mag. Osamu Tezuka dürfte in einer Dauerorgie mit allen neun Musen gelebt haben. 1973 und 1974 beflügelten sie ihn, seine »experimentellere« Neigungen weiter zu verfolgen und reifere Mangas zu zeichnen. »Barbara« entstand. Tezuka zupft hier die gespannten Saiten des Künstlerinstruments, wo die Reize des Verbotenen, die Tragödien des Lebens und die vermeintliche Würdigkeit der Kunst zusammenspielen, um dem Kunstschaffenden zum Werk zu verhelfen. In einem kannibalistischen Prozess schöpft der Protagonist aus seinen eigenen Perversionen oder dem Leid anderer Antrieb und Material für seinen nächsten Roman. Stets neben ihm seine Muse Barbara, ihre Beziehung schwingt wie ein Pendel von Sucht zu völliger Ablehnung. »Barbara« fehlen die typischen Momente Tezuka’scher Gags, die er oft anwandte, um düstere Szenen seiner Werke aufzuheitern. 08/10 Nuri Nurbachsch Jim Woodring Congress Of The Animals 03 (Fantagraphics Books) — Jim Woodring ist der Metaphysiker unter den Graphic-Novel-Zeichnern und spezialisiert sich seit Längerem auf rätselhafte Ornamente, moralische Anomalien und die erzählungsgenerierenden Effekte der blanken Idiotie seiner Hauptfigur Frank. Einen vielleicht assoziierten, aufgewärmten Orwell darf man sich daher nicht erwarten. Revolutionen werden hier nicht geplant, sondern sind in Woodrings Universum bereits in einem Ausmaß realisiert, das den Wunsch nach Beständigkeit aufkommen lässt. Der eigentliche Inhalt: Frank lässt für sich arbeiten, kann aber nicht bezahlen und wird deswegen zur Zwangsarbeit verpflichtet. Soweit vollzieht sich alles nach einfachen moralischen Gesetzen. Doch die kosmische Verteilung von Belohnung und Bestrafung entbehrt schließlich doch jeder moralischen Rechtfertigung. Frank gelingt die Flucht, bei der verschiedenste Wesen umkommen. Darauf folgen abwechselnde Impulse von Todesangst und Schadenfreude. Und obwohl sich ihm die absolute Vollkommenheit entzieht, findet er in dieser Welt schließlich doch noch Geborgenheit und liebevolle Zweisamkeit. Alles wie immer fantastisch gezeichnet von einem geheimnisvollen Jim Woodring, der hier tatsächlich post-revolutionär zur Ruhe zu kommen scheint. 09/10 Alexander Kesselring

Comics Blanquet Toys In The Basement (Fantagraphics Books)

Kellergeschichten Was in kaputten, entsorgten Spielsachen so vor sich geht, erzählt der französische Zeichner Blanquet in »Toys In The Basement«. Ein aufschlussreich morbider Trip in die Welt der Traumata. Meine ersten beiden Blanquet-Bände »La nouvelle aux pis« und »La vénéneuse aux deux éperons« musste ich mir noch direkt beim französischen Verlag Cornélius bestellen. Es folgte die aufregendste und unangenehmste Leseerfahrung, die ich mit Graphic Novels bisher gemacht habe. Blanquet entwirft in diesen Bänden mit seinen scherenschnittartigen Bildern im harten Schwarz-Weiß-Kontrast eine Welt der kindlichen Grausamkeit, die durch die »Verhüllung« der Charaktere nur umso intensiver wirkt. Es ist eine schonungslose psychoanalytische Reise in den Abgrund des Es, wo Sexualtrieb und Sadismus einander schräg beäugen, um dann in der nächsten dunklen Seitengasse gemeinsam zu verschwinden. Die wortlosen Geschichten erschließen sich in ihrem schrecklichen Verlauf erst am Ende der Erzählung, wenn die parallelen Episoden sich zu einem dunklen Ganzen fügen. Wenn man vor diesem Hintergrund zu »Toys In The Basement« greift, der ersten englischsprachigen Veröffentlichung Blanquets, wirkt alles zunächst so, als ob Blanquet seiner gemarterten Seele eine kleine Auszeit gegönnt hätte. Dieser Eindruck entsteht schon allein dadurch, dass die Figuren diesmal nicht als tiefschwarze Umrisse auftreten, sondern in ihrer ganzen Konkretheit gezeichnet und koloriert sind und zudem sprechen – auch das Szenario lässt nicht gleich erschaudern: Eine Halloween-Kinderparty. Die eigentliche Geschichte beginnt mit dem Gang in den Keller, wo ein zerschlissener Teddybär lebendig wird und einen folgenschweren Fehler begeht, indem er zwei verkleidete Kinder für Spielzeuge hält und sie in sein verborgenes Refugium führt. Hier leben die gemarterten, verstümmelten und danach weggeworfenen Spielzeuge. Noch immer gilt ihre Wut ihren einstigen Peinigern – den »unschuldigen« Kindern. Sie sind allesamt traumatisiert und suchen in dieser unterirdischen Welt Schutz. Was in dem Keller passiert, ob die Kinder als solche entlarvt werden, ob sie entkommen können, oder ob sie vielleicht die Rache der Spielzeuge ertragen müssen, sollte bei einer so kurzen Erzählung nicht vorweggenommen werden. Man kann »Toys In The Basement« aber durchaus als eigenwillige Referenz auf die zuvor genannten Werke Blanquets lesen. Seine Themen wie Demütigung, Grausamkeit, Verlust der Unschuld sind präsent, wenn auch nur angedeutet. Es scheint fast so, als ob Blanquet seinen Lesern diesmal die Illusion lassen wolle, dass »alles halb so schlimm« sei. Wie die Kinder in der Geschichte lässt er uns wie aus einem bösen Traum erwachen. Wer weiter mit Blanquet träumen will, darf sich nicht wundern, wenn seine grafische Fantasie brutal, morbid und abgründig wird. Darin liegt dann auch seine wirkliche Meisterschaft, die sich in »Toys In The Basement« nicht ganz entfalten kann, dadurch aber auch weniger abschreckt. 09/10 Alexander Kesselring 01

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Der Traum vom Fliegen Die bezaubernd schöne Welt des Indie-Wii U-Launchtitels »Chasing Aurora« stammt von den Wiener Entwicklern Broken Rules. Tauch ein in diese fantastische Welt, gib dich der Sehnsucht des Fliegens hin, scheint »Chasing Aurora« zu flüstern. Und tatsächlich erzeugt der Wii U-Launchtitel einen erstaunlichen Sog – besonders bei fröhlichen Mehrspielerrunden. Das Wiener Entwicklerteam Broken Rules (»And Yet It Moves«) präsentiert zum Start der neuen Nintendo-Konsole ein Game mit herausragendem Art-Design, dahinter steckt ein simples aber hoch motivierendes Spielkonzept, das auf Nintendos Asymmetrical-Multiplayer basiert. Im Singleplayer ist »Chasing Aurora« nichts anderes als ein klassischer Trail Chase und erinnert nicht selten an das legendäre »Nights Into Dreams«. Mit einem von fünf farbenfrohen Vögeln fliegt man durch Tore und Loopings, während die Uhr unerbittlich tickt; jeder Checkpoint bringt wertvolle Sekunden. Dieser Modus ist denkbar kurz geraten, für eine bessere Zeit spielt man die einzelnen Abschnitte aber gern immer wieder. Das liegt nicht zuletzt an der akkuraten Steuerung und dem geschmeidigen Gefühl beim Flügelschlagen: Rhythmisches Schwingen bringt Geschwindigkeit, hektisches Flattern nicht, gut koordinierte Sturzflüge entscheiden ebenfalls über Sieg oder Niederlage. Dabei macht »Chasing Aurora« umso mehr Spaß, desto besser man das Gameplay verinnerlicht hat. Es lohnt sich also, die Levelarchitektur zu studieren – dann entbrennt ein durchaus meditativer Flow. Leider sind keine Leaderboards integriert, weder lokal noch online. Zur Höchstform läuft das Indie-Game im Multiplayer auf, wenn Hide & Seek, Freeze Tag und Chase auf dem Programm stehen. Das Wii U-Gamepad macht dabei unter den Spielern die Runde; wer auf dem kleinen Display spielt, tritt gegen die restlichen Teilnehmer an. Zahlreiche Herausforderungen und Optionen sorgen in Kombination mit der tadellosen Steuerung für Langzeitmotivation. Bei den Eingabegeräten hat man die Wahl, wobei definitiv am besten mit Gamepad oder Nunchuck geflogen wird. Von ein paar Slowdowns und Framerate-Einbrüchen abgesehen, macht der Titel auch technisch eine gute Figur: Scharfe geometrische Figuren und satte Farben bestimmen den unverkennbaren Look. Der Soundtrack lässt keine Wünsche offen und passt perfekt zur jeweiligen Situation. Großartig! Schade nur, dass die Welt von »Chasing Aurora« mit ihrer Schönheit zum Erkunden lockt, aber die Entdeckerlust nicht zu befriedigen vermag. Die Umgebungen, hauptsächlich von den imposanten Alpen dominiert, weisen auf eine größere, bedeutendere Geschichte hin, die jedoch nicht erzählt wird. Allerdings plant Broken Rules, in Zukunft Fortsetzungen in anderen Genres zu liefern: Wie wär’s mit einem Rollenspiel? 08/10 stefan kluger

Chasing Aurora (Broken Rules); Wii U; www.chasing-aurora.com 071

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Rez 007 Legends 01 (Activision); Xbox 360 getestet, PS3, PC, Wii U; www.activision.de — In diesem Ausmaß dann doch überraschend liebloser Zusammenschnitt bekannter Bond-Szenen. 03/10 Martin Mühl Angry Birds Trilogy 02 (Activision); Xbox 360 getestet, PS3, 3DS; www. activision.de — Hm, »Angry Birds« nun auch für Konsolen. Der Spaß ist weiterhin kurzweilig, nutzt aber trotz Kinect die Möglichkeiten einer Konsole naheliegend nicht im Ansatz. 05/10 Martin Mühl Assassins Creed 3 03 (Ubisoft); Xbox 360 getestet, PS3, PC; assassinscreed.ubi.com — Ein neuer Held, die neue Welt und lauter neue Möglichkeiten: Sofaassassinen dürfen sich auf eindrucksvoll inszenierte Streifzüge freuen. 08/10 Harald Koberg

Call Of Duty Black Ops 2 04 (Treyarch / Activision); Xbox 360 getestet, PS3, PC; www.callofduty.com — Der nun im Jahr 2025 angesiedelte Shooter-Prototyp »Black Ops 2« setzt wieder einmal so ziemlich auf den MultplayerMode (und ein Upgrade der bekannten ZombieSlasher-Level). All das ziemlich am Punkt und nicht unbedingt feig, was den Mut zu Veränderungen betrifft. Als mittelmäßiger Spieler werde ich im Einzelspieler-Modus aber das Gefühl nicht los, dass hier einiges schiefgegangen ist. Die gewollte ÜberPräsentation drängt mich immer weiter, zieht mich durch das Spiel und gibt mir das Gefühl, dass selbst offensichtlichste Fehler meinerseits keinen Nachteil bringen. Das Feedback ist immer wieder denkbar schlecht und damit auch meine Verbindung zum Spielgeschehen nicht vorhanden. Dabei haben sich die Entwickler wirklich was überlegt und schon das erste Level – offene Schlachten auf einem Feld – zeigen, dass »Black Ops 2« mehr sein wollte, als das übliche, jährliche Update. Wegen der MultiplayerModi: 08/10 Martin Mühl Cognition: An Erica Reed Thriller – Episode I 05 (Phoenix Online); PC; www.postudios.com/cognition — Wenn ein neuer Indie-Entwickler sein erstes kommerzielles Projekt veröffentlicht, ist das jedes Mal etwas Besonderes. Im Fall von »Cognition: An Erica Reed Thriller« aber auch aus zwei speziellen Gründen: Erstens entwickelten Phoenix Online Studios zuvor das kostenlose und wirklich gute »The Silver Lining« (inoffizielle Fortsetzung der »King’s Quest«Reihe), zweitens unterstützte die renommierte Videospielautorin Jane Jansen (»Police Quest«, »King’s Quest«, »Gabriel Knight«, »Gray Matter«) das Projekt als Beraterin. Deren Handschrift zeichnet sich schnell ab, während die düstere Geschichte von »Episode I: Hangman« ihren Lauf nimmt. Heldin Erica Reed rätselt sich dabei im Grunde durch ein klassisches Point-and-Click-Adventure, das sich durch eine Besonderheit von anderen Genrevertretern unterscheidet: Ericas einzigartige Fähigkeiten, mit deren Hilfe sie etwa in die Vergangenheit schaut, um weitere Informationen zum Kriminalfall zu erhalten. Während feine 2D-Grafik, atemberaubender Zeichenstil und immersive Soundkulisse

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auf ganzer Linie überzeugen, stolpert das Adventure gelegentlich über seine Geschichte; zu flach und unpersönlich wirken viele Nebendarsteller, die an sich spannende Handlung hat mitunter ihre Durchhänger. Nichtsdestotrotz ein vielversprechender Beginn für das Adventure im Episodenformat. 07/10 Stefan Kluger

Doom 3: BFG Edition 06 (Bethesda); PS3 getestet, Xbox 360, PC; bethsoft. com/de-de/games/doom_3_bfg — Ein Packerl für Sammler und Nostalgiker: Alle drei »Doom«-Teile, lieblos aneinandergeschraubt, aber wieder einmal einen Blick wert. 04/10 Harald Koberg Fußball Manager 13 07 (EA); PC; www.fm.de — Konkurrenzlos umfangreicher Fußball Manager, der dieses Jahr erneut mit erweiterten Optionen auftrumpft. Leider wurden viele der Baustellen – Grafik, Realismus, Bugs – praktisch nicht angetastet und einfach übernommen. Bitte generalsanieren! 06/10 Stefan Kluger LittleBigPlanet: Karting 08 (Sony); PS3 getestet, PS Vita; www.unitedfront­ games.com/games/littlebigplanet-karting — Sackboys Kartrennen sind ein Muss für Kreative und ihre Bewunderer. Eine nette, aber im Detail verbesserungswürdige Option für Genre-Fans. 07/10 Harald Koberg

Mass Effect Trilogy 09 (EA); Xbox 360 getestet, PS3, PC; www.masseffect.com — Für alle, die sie versäumt haben, gibt’s jetzt die drei Teile der Kult-Serie in einer Packung – unverändert, nur leider nicht mit allen DLCs. 07/10 Harald Koberg

Medal of Honor: Warfighter 10 (EA); PC getestet, PS3, Xbox 360; www.medalof­ honor.com — Mehr von der alt gewordenen, virtuellen Terrorbekämpfung. Dem grafisch soliden und fulminant inszenierten Shooter fehlt die Inspiration. 06/10 Harald Koberg

Disney Micky Epic – Die Macht der 2 11 (Disney); Xbox 360 getestet, PS3, Wii, 3DS, PC; www.disney.de/micky — Die berühmteste Maus der Welt und Stardesigner Warren Spector – aus dieser Kombination sollte sich ein wahrhaft großes Spiel erheben. Daraus wurde nichts; stattdessen wurde es ein Jump ’n’ Run von der Stange, dem man sein großes Budget erstaunlich wenig ansieht. 06/10 Stefan Kluger

Need for Speed: Most Wanted 12 (EA); PC getestet, PS3, PS Vita, Xbox 360; www. needforspeed.com — »NFS« goes »Burnout Paradise« und verliert offline die eigenen Wurzeln aus den Augen. Da muss der Online-Modus Wiedergutmachung leisten. 06/10 Harald Koberg Nike + Kinect Training 13 (Microsoft); Kinect für Xbox 360; www.xbox.com — Nach der ersten großen Welle an Fitnessspielen für Playstations Eyetoy wurde es ruhiger um das Genre

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und seitdem sind in diesem Bereich in erster Linie Low-Budget-Titel erschienen. Microsoft und Nike haben sich zusammengetan, um das zu ändern – und wenig überraschend das wohl beste Fitnessspiel bisher entwickelt. Das wiederum bedeutet gar nicht soo viel. Trotzdem: »Nike+ Kinect Training« macht vieles richtig, bietet vielseitige Übungen und ist darum bemüht, einem Fitness-Trainer nicht nur zur Bewegung an sich zu motivieren, sondern auch dafür zu sorgen, dass die Bewegung möglichst richtig und gesund ausgeführt wird. Dies gelingt nur zum Teil, da die Konsole schon im Anfangstest – zumindest aus dem in dieser Übung gewünschten Winkel – nicht erkennt, ob gerade mit dem rechten oder linken Bein gearbeitet wird. Außerdem wurde bei der Entwicklung auf Spiele oder spielerische Inhalte weitgehend verzichtet. Das ist zwar nachzuvollziehen, reduziert die Zielgruppe aber auf jene, die wirklich motiviert sind, etwas zu tun und nicht die Bewegung als Add-On eines Spiels genießen wollen. »Nike + Kinect Training« ersetzt kein FitnessCenter und keinen Personal Trainer, bietet aber viel und sollte zum Anfang auf jeden Fall reichen, um tendenziell gesund in Bewegung zu kommen. 07/10 Martin Mühl

Painkiller: Hell & Damnation 14 (Nordic Games); PC; www.painkillergame.com — Speed kills! Der vermutlich schnellste Ego-Shooter geizt auch im neuesten Teil nicht mit Geschwindigkeit, Gewalt und originellem Gegnerdesign. Leider ist das Gameplay denkbar simpel; spätere Level bergen zudem kaum noch Überraschungen. 06/10 Stefan Kluger

Skylanders: Giants 15 (Activision); PS3 getestet, Xbox 360, Wii, 3DS; www. skylanders.com — Diesmal erweckt Bösewicht Kaos legendäre Riesenroboter, um sich die bunte Schwebewelt Skylands Untertan zu machen. Spyro, Stump Smash und andere Helden wollen das natürlich verhindern. Wie beim Vorgänger liegen auch bei »Skylanders: Giants« eine oder mehrere Spielfiguren (je nach Paket) bei, die via Portal ins Spiel übernommen werden. Wie gehabt auch der Spielablauf: Arenakämpfe, Schiebe- und Schalterrätsel und immer wieder auch spezielle Aufgaben, deren Lösung bestimmten Heldentypen vorbehalten ist. Ein geschickter Schachzug, um die Sammellust ordentlich voranzutreiben, denn wer dem Spiel all seine Geheimnisse entlocken möchte, braucht mindestens acht Figuren. Vor allem jüngere Spieler dürften auch beim zweiten »Skylanders«-Abenteuer vor Freude hüpfen: ordentlich Action, ausgedehnte Erkundungstouren und – nicht zuletzt – das Sammeln möglichst vieler Helden motiviert. Erwachsene Gamer spricht der kindliche Look, die veraltete Grafik und das reduzierte Gameplay eher weniger an, zumal der Spaß schnell teuer wird (zehn Euro pro Figur). 08/10 Stefan Kluger Smart as … 16 (Sony); PS Vita; at.playstation.com — Trotz großspurig angekündigter Innovationen liefert »Smart as …« konservatives Hirn-Jogging mit Online-Anbindung zum Prahlen. 06/10 Harald Koberg

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TEXT Andreea Dosa BILD Dominik Mentzos, Stefanie Dittrich, Michael Goldgruber, Anna Stöcher, Maria Lassnig / UMJ / N. Lackner, Catherine Hentriette

William Forsythe, einer der weltweit führenden Choreografen, hat eine neue Kategorie des zeitgenössischen Tanzes geschaffen, indem er die Codes und Möglichkeiten des klassischen Balletts erneuerte. Mit der eigenen Company wird Forsythe im Tanzquartier Wien seine neueste Produktion »Sider«, die auf einer Tragödie aus der Zeit Shakespeares basiert, vorstellen. Termine: 7. und 8. Dezember, 20.30 Uhr Wien, Tanzquartier Wien

The Forsythe Company – Sider

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Club Burlesque Brutal Endlich eine Burleske, die den Namen verdient hat: Sie heißen Miss Bourbon, Cunt, Miss Kottlett, Madame Don Chanel, Dr. Sourial, Madame Cameltoe, Rosebutt und Frau Professor la Rose und sind gemeinsam Club Burlesque Brutal. Was auf der Bühne passiert, ist vorher nicht unbedingt festgelegt. In der Performance spielen die Queer Femmes mit Geschlecht, Körpern, Lust und den darauf gerichteten Projektionen. Am 15. Dezember legt im Anschluss das QuoteKollektiv auf. Termine: 14. und 15. Dezember, 22.00 Uhr Wien, Brut

Werkstadt Vienna – Design Engaging the City

TEXT Andreea Dosa BILD Dominik Mentzos, Stefanie Dittrich, Michael Goldgruber, Anna Stöcher, Maria Lassnig / UMJ / N. Lackner, Catherine Hentriette

In Kooperation mit der Vienna Design Week zeigt das MAK herausragende Beispiele der jährlich stattfindenden »Passionswege«. Österreichische und internationale Designer, aber auch jüngere Werkstätten und Geschäfte stellen ihr Haben und Können zur Schau. Eröffnung: 11. Dezember, 19.00 Uhr; Aus­ stellung: 12. Dezember bis 17. März Wien, MAK

Zeit(lose) Zeichen – Gegenwarts­ kunst in Referenz zu Otto Neurath Alles, was heute zum Medienalltag gehört, hat seinen Ursprung in dem bild­ pädagogischen Programm des österreichischen Sozialökonomen und Philosophen Otto Neurath. Anlässlich des 130. Geburtstags von Neurath zeigt das Künstlerhaus die Ausstellung »Zeit(lose) Zeichen«, die die Aktualität seiner Konzepte verdeutlicht. Eröffnung: 12. Dezember, 19.00 Uhr; Ausstellung: 13. Dezember bis 17. Februar Wien, Künstlerhaus

Letzter Aufruf Jedermann Autor Marc Pommerening wagt eine Neu-Fassung des österreichischen Klassikers »Jedermann« und schneidet es nach eigenem Muster zu. Mit viel Witz setzen Tod und Teufel, Himmel und Hölle in Bewegung im Kampf um die unsterbliche Seele eines sterbenden Kapitalisten, der äußerst gerissen um sein Leben zockt. Premiere: 23. Jänner, 20.00 Uhr; Termine: 29., 30. und 31. Jänner, 20.00 Uhr Wien, TAG

Maria Lassnig – Der Ort der Bilder Eben meinte das Format, sie sei die teuerste lebende Künstlerin Österreichs – Männer eingeschlossen. Die Neue Galerie Graz präsentiert teils noch nie gezeigte Arbeiten Maria Lassnigs aus allen Schaffensperioden, von der Entwicklung vom abstrakten Expressionismus bis zur gegenständlichen Malerei. Die Personale thematisiert die Vorgänge der Bildwerdung der äußeren Realität sowie der Manifestation innerer Bilder. Ausstellung: 17. November bis 28. April Graz, Neue Galerie Graz

Catherine Henriette – The Frozen River Henriettes Aufnahmen entstanden in Harbin, der nördlichsten Provinzhauptstadt Chinas. Im Mittelpunkt ihrer Fotografien steht der zugefrorene Fluss Songhua, auf dem sich trotz sibirischer Kälte die Bevölkerung bis zur Abendstunde aufhält. Der französischen Fotografin ist es gelungen, stimmungs­ volle Bilder einzufangen, die beruhigend und faszinierend zugleich sind. Aus­stellung: 23. November bis 12. Jänner Salzburg, Leica Galerie 075

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Jeune Création Européenne

Stylianos Schicho. Blissfully Bursting Bubbles

Die Wanderausstellung in der Galerie im Traklhaus zeigt Arbeiten von 72 Künstler / innen aus Frankreich, Deutschland, Litauen, Slowakei, Ungarn, Österreich, Italien, Spanien und Portugal. Jede beteiligte Nation bestimmte einen Kurator, der für die Ausstellung acht junge Positionen ausgewählt hat. Das Gesamtergebnis tingelt nun durch Europa und macht bis Jänner 2013 im Traklhaus Station. Die österreichischen Beiträge sind unter anderem Judith Pichlmüller, Stephan Wiesinger, Anja Ronacher oder Kay Walkowiak. bis 12. Jänner Galerie Meyer Kainer

Glückselig platzen die Seifenblasen – sind schön anzusehen, aber auch eine Metapher für den schnell erlöschenden Schein. Aus Stylianos Schichos großformatigen Leinwänden schauen nüchtern gedrängt gruppierte Gestalten aus rot umrandeten Augen heraus. Sie blicken aus der Perspektive ihrer Realität direkt in unsere, beobachten sie kritisch, und man ertappt sich dabei, sich zu Fragen: Wissen die, was ich denke? bis 14. Jänner Feichtner Galerie

Kärnten

Vorarlberg

Nina Maron. Last Chance Galerie Unart, Villach bis 31. Dezember

Niederösterreich

Daria Martin. Syntonization Galerie Stadtpark Krems bis 9. Februar

Oberösterreich

TEXT Margit Emesz BILD Galerie im Traklhaus, Stylianos Schicho

Stylianos Schicho »Blissfully Bursting Bubbles«, 2012

Geheime Dimensionen Atelierhaus Salzamt, Linz bis 18. Jänner

Salzburg

Beutezüge. Systeme des Eigennutzes – Mechanismen der Plünderung Fotohof Salzburg bis 16. Jänner

Steiermark

Poklong Anading. Pocket Coffin Galerie Zimmermann Kratochwill bis 5. Jänner

Tirol

Markus Prachensky Galerie Thoman, Innsbruck bis 12. Jänner

Movement. Silvia Bächli, Heinz Breloh, Anna Huber, David Reed Magazin 4, Bregenz bis 17. Februar

Wien

Marita Fraser Kerstin Engholm Galerie bis 16. Jänner Wim Wenders. Places, strange and quiet Ostlicht. Galerie für Fotografie bis 9. Jänner Jonathan Meese Galerie Krinzinger bis 26. Jänner Spielraum. Patrick Schmierer. Tomek Baren Galerie Knoll bis 19. Jänner AIR Hungary Krinzinger Projekte bis 31. Jänner Liam Gillick / Renée Green / Heimo Zobernig – Screens Galerie Meyer Kainer bis 18. Jänner Rudolf Polanszky Galerie Konzett bis 26. Jänner Rosa Arbeit auf goldener Straße Akademie der Bildenden Künste, Schillerplatz, Wien bis 3. Februar

Milan Mladenovic, Waschsalonbibliothek, Still aus dem Video 8-Acht, 2012

MILAN MLADENOVIC. 8-ACHT

PREIS DER KUNSTHALLE WIEN 2012

5. Dezember – 6. Jänner Kunsthalle Wien Karlsplatz

Milan Mladenovic agiert in seiner mehrteiligen Videoarbeit 8-Acht als ein Performer, der über seine Auftritte in unterschiedlich gestalteten und atmosphärisch aufgeladenen Räumen einen Mikrokosmos verschiedenartiger Wirklichkeiten, Emotionen, Zustands- und Wahrnehmungssituationen inszeniert. Jede Videosequenz besticht dabei durch eine je eigene, zwischen Klarheit und Irrealität changierende Eindringlichkeit. Milan Mladenovic thematisiert in seiner 11-minütigen Videoarbeit damit nicht zuletzt aktuelle gesellschafts- und zeitkritische Aspekte, die durch Steigerungen des „ganz normalen Wahnsinns“ bis ins Absurde artikuliert werden. Ergänzend zur Preisträgerarbeit werden die skulpturale 1-KanalVideoinstallation Auge von Thomas Glänzel und das Video FTP von Lukas Troberg ausgestellt.

Karlsplatz, Treitlstraße 2, 1040 Wien täglich 13 bis 24 Uhr, So. und Mo. 13 bis 19 Uhr Eintritt frei www.kunsthallewien.at

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TERMINE

FESTIVALS

4 Fragen an Thomas Kleutgen (Rave On Snow) Ist man als Electronic Music Festival eigentlich gezwungen, mit neuen Trends in der Elektronik­ szene zu gehen? Rave On Snow hat nie großes Namedropping betrieben. Die Ausrichtung war schon immer musikalisch vielseitig und innovativ. Wenn du neun Locations zur Verfügung hast, ist genügend Platz für Experimente. Das Club-Hopping in Saalbach ist legendär und es macht überhaupt keinen Sinn, die Guettas und Tiestos dieser Welt zu buchen. Eure Artists sehen alle irgendwie gleich aus, so Anfang-30-jährige Typen mit Dreitagesbart. Wer wählt die denn aus? Männer mit Bärten sind in der Weihnachtszeit sehr gefragt. Ich glaube dann doch, dass hier eher das Auswahlkriterium Musik eine Rolle spielte. Hoffentlich. Aber auf jeden Fall ein klarer Trend in der elektronischen Szene. Und den gehen wir voll mit! Wieviele internationale Gäste habt ihr und woher kommen sie? Aus österreichischer Sicht? 60 Prozent. Lassen wir die Deutschen weg, bleiben noch 10 Prozent, die sich zumeist aus Westeuropa bei Rave On Snow einfinden. Wie gut verträgt sich eure Partycrowd mit den Einwohnern? Sind Lärm oder Komakids ein Problem? Saalbach ist schon sehr liberal, was das Thema Party respektive Lautstärke angeht. Ein Großteil Saalbachs profitiert auch unmittelbar von dem Wochenende und beim klassischen Après-Ski geht’s auch nicht gerade leise zu. Das Problem Drogen wird sicherlich kritisch gesehen und das Aufgebot an Polizei macht dies auch deutlich. Wir können nur präventiv darauf einwirken. Aufklären, an die Vernunft appellieren und einen guten  Rettungsdienst vor Ort haben. Rave On Snow 13. bis 16. Dezember Saalbach-Hinterglemm www.raveonsnow.com

Christian Kreisel ist einer der Artists, die beim Art On Snow schöne Spuren hinterlassen werden.

Art on Snow Dass Snowboarder in der Coolness-Hackordnung auf Schnee ganz oben gleiten, ist eigentlich nicht zu übersehen. Die Bewegung bringt kreative Säfte in Wallung und verträgt sich auch blendend mit fetten Filzmarkern, Street Art und Eisschnitzerei aus dem Handgelenk, dachten sich auch die Macher von Art on Snow. Das Winter-Kunst-Festival gibt »Board Rider Artists« (Boardersprech für Künstler aus der Sub- und Boarder-Kulturszene) eine Bühne. Im Gasteiner Tal wird ausgestellt und selbst gemacht. Zum Beispiel szenebezogene Artworks, Schneemänner für Meister, Schnee- und Eisskulpturen wie fast von Michelangelo. Angst vor einem Kultur-Overkill braucht man dabei nicht zu haben – die nächste Après-Ski-Hütte ist immer nur einen Flying Hirsch entfernt. 2. bis 8. Februar Bad Gastein, Dorfgastein, Bad Hofgastein

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TERMINE

FESTIVALS Club Transmediale bringt kalte Berliner Nächte zum Glühen.

1.810.000 ... So viel Euro sind im Kulturbudget der Stadt Wien für Festivals gewidmet: Internationales Gehörlosenfestival (44 k), Identities (185 k), Viennale (1,5 Mio.), Karlsplatz.org – Popfest (90 k). Das heißt nicht, dass andere wie Planet Music (500 k) oder Philharmoniker (14 Mio.) nicht auch Festivals machen könnten, aber Letztere wehren sich noch erfolgreich gegen die Eventisierung der Kultur.

TEXT Lisa Schmid BILD Rave on Snow, Christian Kreisel, Club Transmediale, Chimeric / Cooperative music

Transmediale / Club Trancemediale »When Pluto Was A Planet« und »The Golden Age« – Nostalgisch und doch visionär zugleich sind die Schlagwörter der beiden Transmediale-Festivals (das eine für Medienkunst und digitale Kultur, das andere für dasselbe im Clubkontext). Die Festival-Themen Users, Netzwerke und Begierde wollen bei Tag neu gedacht und erfunden werden, während bei Nacht die Leinwände und Leuchtdioden zu avancierten Rhythmen und Klängen erstrahlen. 29. Jänner bis 3. Februar, Berlin, Haus der Kulturen

Delphic haben Material vom neuen Album mit. Nur die Garderobe werden sie vor dem traditionell kalten FM4Fest wechseln müssen.

This Human World

Das internationale Filmfestival der Menschenrechte bietet diesmal mit den ergänzenden Schwerpunkten Urbanism und Arbeit ein besonders weites Themenspektrum. Hochkarätig ist außerdem die Jury, u. a. mit Renata Schmidtkunz, Manuel Rubey und Manfred Nowak. 24. November bis 10. Dezember Wien, Gartenbaukino, Topkino, Schikaneder, Filmcasino

Buster Keaton Filmmuseum

»Tragedy is a close-up; comedy, a long shot« – Buster Keaton war einer der großen Pioniere der Stummfilmkomik, der mit dem Tonfilm jäh verschwand. Die Retrospektive widmet sich seinen Glanzzeiten, vom Sidekick in »The Butcher Boy« bis zum avantgardistischen Regisseur von »Steamboat Bill Jr.«. 1. bis 21. Dezember Wien, Filmmuseum

FM4-Fest Wenn einem draußen klirrende Kälte langsam die Beine hoch kriecht, gibt es eigentlich nur eine vernünftige Lösung: Abschütteln. Diese Tanzbein-Taktik hat sich am Open Air FM4-Geburtstagsfest bislang immer bestens bewährt. Diesmal wird einem mit dem vielleicht mutigsten Line-up aller FM4-Fest-Zeiten in den Beinen und im Herzen warm: Toro Y Moi, Delphic, Friska Viljor und Marsimoto. Honorieren, gratulieren, hingehen und tanzen. 26.Jänner Wien, Arena

Air & Style

Was ist es bloß, das Männer und Frauen mit einem Brett an den Füßen so faszinierend macht? Vielleicht ist es ihre Kühnheit, vielleicht aber auch das eigenartige Model-Casting oder das musikalische Begleitprogramm zu den Luftstunts: stilsicher und punktgenau programmiert mit Left Boy, Fanta Vier, Mac Miller und Kraftklub mit K. 1. bis 2. Februar Innsbruck, Bergisel Stadium 079

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TERMINE

MUSIK

magmoiselle »Auftakt« 6.12.

Do | 20:00 Einlass | 20:30 Beginn VVK: EUR 12,– | AK: EUR 14,–

Teresa Eitzinger Gesang Helmar Hill Piano Georg Wild Gitarre James Hornsby Bass Philipp Scheibl Schlagzeug

Vorschau Jänner

Pendler klingt org.

13 Jahre klingt.org Leicht zu merken: 2013 feiert klingt.org 13-jähriges Bestehen. Auf der Künstler-Plattform findet man experimentelle Popmusik verschiedenster Coleur. Gleich zu Beginn des Jahres wird das Jubiläum begossen und betanzt. Damit auch die Party richtig »org« wird, gibt es Live-Musik, darunter u. a. Elektro-Folk-Pop von Pendler und Sound- und Video-Kunst von Billy Roisz. Auch Dieb13, seit Beginn Hauptadministrator der Netz-Community, gibt sich die Ehre. 12. Jänner Wien, Brut im Künstlerhaus

Großmütterchen Hatz Salon Orkestar

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Do | 20:00 Einlass | 20:30 Beginn VVK: EUR 12,– | AK: EUR 14,–

Weitere Highlights 2013 Christoph Pepe Auer Trio+ feat. LYLIT Fatima Spar Quartett Ernesty International und viele mehr!

GARAGE X, Petersplatz 1, 1010 Wien

Stephan Hoellermann nimmt außer schwarzem Gold noch seine gelbe Weste ins Morisson mit.

Jeunesse – musik.erleben

saison

klassik

jazz

world

neue musik

2012|13

kinderkonzerte

Jack by The Gap Das neue Jahr beginnt mit dem besten und zugleich verkanntesten House-Produzenten aus Österreich, den Jack auftreiben konnte: Der Sound von Stephan Hoellermann ist ein Unikat. Keine altbackenen Samplepacks werden hier verwurstet, sondern Eigenkreationen geschaffen. Nicht umsonst erhielt er die Ehre, mit Koryphäen wie Rick Wade oder Chez Damier zu arbeiten. In Hoellermann-DJ-Sets rangieren neben raren Exemplaren auch tonnenweise eigene Edits. Er kann mit viel Recht sagen: »I get deep!«. Dem musikalischen Hof machen ihm die Resident-DJs Moogle und Laminat. Who else?! 25. Jänner Wien, Morisson. 12. Jänner Wien, Brut im Künstlerhaus

TEXT Sandra Adler BILD Wolfgang Thaler, Stephan Hoellermann, Kebara, Affine Records, Maria Krasa, Jonas Bang, Michael Petersohn

Jazzig eingefärbter Soul, wunderbare Songs, kleine und große Geschichten aus dem, über das und zum Leben – gefühlvoll, verspielt, facettenreich, mit Witz und Ernsthaftigkeit.

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TEXT Sandra Adler BILD Wolfgang Thaler, Stephan Hoellermann, Kebara, Affine Records, Maria Krasa, Jonas Bang, Michael Petersohn

TERMINE

MUSIK

highlights Cineastic Gondolas Wie der Name schon sagt, ist Cineastic Gondolas ein Filmfestival in einer zum Kino umfunktionierten Seilbahn. Neben dieser originellen Idee muss sich das musikalische Rahmenprogramm nicht verstecken. Das DJ-Lineup glänzt mit Namen wie DJ Jondal, Mik Mok und Patrick Testor. Live gibt es was von Der Eindimensionale Mensch plus Überraschungsband zu hören. 8. Dezember Lech am Arlberg, Rüfikopfbahn

Do. 13.12. // 20:00 Kabarett

Das Rainald Grebe Konzert

Sa. 15.12. // 20:00 Balkangroove

Shantel & Bucovina Club Orkestar

Mo. 17.12. // 20:00 Kabarett

Annamateur & Außensaiter:

Ogris Debris

Screamshots

»Disco Tales« erzählt das österreichische Duo Ogris Debris im Dezember. Ihre Einflüsse reichen von Jazz über Hip-Hop zu House – ein Mix, in dem vor allem die Entertainment-Bestialität des Duos begeistert. Tiere logischerweise an allen Ecken: Gerade coverten sie »Sea Lion Woman«, ein anderer Hit hieß »Miezekatze«. Grelle Forelle, nimm dich in Acht! 15. Dezember Wien, Grelle Forelle

Silvester im Brut – Malefiz meets Rhinoplasty Im Brut treffen die Party-Schwergewichte Malefiz und Rhinoplasty aufeinander. Beide pflegen die stilvolle Grenzüberschreitung und Obsession mit der glitzernden Fratze des Mainstream, von Katy-Perry-Partys bis zur Tory-Spelling-Abtreibungsklinik am Klo. Damit kann und soll das Jahr beginnen. 31. Dezember Wien, Brut im Künstlerhaus

Spot On Denmark Qualitätsmusik aus Skandinavien ist längst kein Geheimtipp mehr. Von den besonderen Qualitäten Dänemarks kann man sich erneut im WUK überzeugen. Die ausgesandten Pop-Botschafter beim Spot On Denmark im Februar sind Rangleklods, Choir of Young Believers und The Eclectic Moniker. Ihre Argumente (in gleicher Reihenfolge): analog-digitaler Zwitter-Pop, 80s-lastige Indie-Pop-Hymnen und selbsternannter »Calypso in Bärten«. 1. Februar Wien, WUK

Tocotronic

Fr. 21.12. // 20:00 Metal

The Sorrow / Darius Mondop / Cursed By The Fallen

Mo. 21.01. // 20:00 LiteraturSalon

Stephan Schulmeister: Mitten in der großen Krise

Fr. 25.01. // 20:00 Alternative/Folk

Neigungsgruppe Sex, Gewalt & Gute Laune / A Life A Song A Cigarette

Mo. 28.01. // 20:00 LiteraturSalon

Petros Markaris:

Zahltag / Finstere Zeiten

Mi. 30.01. // 20:00 Kabarett

Sie sind zweifelhaft unter den ersten Namen, die einem beim Begriff Hamburger Schule einfallen. Seit fast 20 Jahren geben Tocotronic einem das Gefühl, Teil einer Jugendbewegung sein zu wollen und nicht zu können. Kapitulation und Nicht-Selbermachen waren weitere Slogans ihres Scheiterns. »Wie wir leben wollen« ist sicher wieder so ein künstlerisch grandioser Reinfall. 6. Februar Wien, Burgtheater — 7. April Graz, Orpheum — 9. April Wien, Arena — 10. April Linz, Posthof

Flüsterzweieck:

Wie im Film nur ohne Walter

Do. 31.01. // 20:00 Glamrock

Austrofred:

Fire, Light & Austrofred XXL

Sa. 02.02. // 20:00 LiteraturSalon

Cees Nooteboom: Briefe an Poseidon

Sa. 16.02. // 20:00 Electronic Pop

Fritz Kalkbrenner: Sick Travellin’ Tour

Di. 26.02. // 20:00 Pop

Spain

Tanz Baby!

Stars

Spain kommen zwar nicht aus Spanien, aber aus Kalifornien. Ihre Songs könnten trotzdem nicht weiter von sonnigen Gefilden entfernt liegen. Mit ihrem leicht schrägen, lethargischen Rock, den Johnny Cash einst mit einem Cover adelte, beehren sie im Dezember das Chelsea. 12. Dezember Wien, Chelsea

Tanz Baby! schaffte es mit Schlager und Neuer Deutscher Welle inklusive entsprechender Texte, ernsthafte Anerkennung zu bekommen. Blasmusik ist da nur der nächste logische Schritt. »Ich bin ein Stern« – zu Weihnachten im festlichen Fanfaren-Klang der Musikarbeiterinnenkapelle. 18. Dezember Wien, WUK

Die Kanadier Stars stammen aus dem gleichen geografischen wie musikalischen Umfeld wie die Indie-Größen von Broken Social Scene. Auf der Tour zu ihrem neuen Album »The North« verzaubern sie auch Wien mit zarter Melancholie und Melodie. Set yourself on fire mit Gefühlen. 20. Dezember Wien, Flex

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Patrick Wolf:

Sundark & Riverlight Acoustic

Das komplette Programm gibt’s auf www.posthof.at POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00, www.posthof.at

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Know-Nothing-Gesellschaft von Illbilly The K.I.T.T.

Doppelter Mopplereffekt,     oder doch ein Tripeln?

illustration Jakob Kirchmayr

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as letzte Mal hab ich an dieser Stelle großmäulig verkündet, zwei antike Witze des Schwiegervaters eines Kollegen von mir zum Besten zu geben. Der eine oder andere wird sich vielleicht noch erinnern, falls nicht, kann es gerne auch nachgelesen werden. Also hopp, hopp, schnell zum Zeitungsständer im Wohnzimmer sprinten und Heft 131 rausfischen. Wie? Das Heftchen wurde bereits entsorgt? Soviel Glamour und Diskurs auf einen Haufen hält ja kein Schwein aus? Das verstehe ich. In meinem Notizbuch, das zurzeit übergeht vor lauter Aphorismen und Sprichwörtern, steht etwa vermerkt: »Nicht jeder wegen Dringlichkeit gewebte Soundteppich, der in Musikrezensionen vorkommt, ist tatsächlich schon ein Diskurs.« Allerdings steht dort auch: »Wenn man die Hand, die einen füttert, nicht beißen will, soll man dafür Sorge tragen, dass sie einem wenigstens die Eier schaukelt.« Insofern, denke man sich hier bitte nun einen Link. Einfach draufklicken, sie werden ins Heft 131 umgeleitet. Was? Der Link funktioniert nicht? Selbst nach mehrmaliger, herzhafter Betätigung der Hardware? Will ich es eben nochmals kurz zusammenfassen, was Letztens hier geschrieben stand. Aber echt nur kurz, sonst heißt es am Ende, dieser komische Zapfen (ich) will Zeilen schinden, weil ihm (mir) nichts Besseres einfällt, als alte Kamellen aufzuwärmen. Also: Es ging um zwei antike Witze des Schwiegervaters eines Kollegen von mir. Ich hab das letzte Mal an dieser Stelle großmäulig verkündet, sie dieses Mal zum Besten geben zu wollen. Die Gags sind aus den 1960er Jahren, rechtlich geschützt, also mit Copyright versehen und lagern in der Library of Congress in Washington. Der langen Einleitung kurzer Sinn: Ich habe es nicht geschafft, mit dem nötigen Druck und einer ordentlichen Portion

Fleiß, die Pointen aufzutreiben. Alles was ich weiß ist, dass es bei einem der beiden Witze um Fu Man Chu geht. Gemeint ist aber nicht die Stoner Rock-Band aus Kalifornien, die schreibt man auch anders (Fu Manchu nämlich und ich weiß auch nicht, ob es eine Stoner Rock-Band ist), sondern der verrückte Wissenschafter, der die Weltherrschaft an sich reißen will. In den 60er Jahren, in denen der Gag das Licht der Welt erblickte, gab es nämlich eine sehr populäre Fu Man Chu-Filmreihe. Christopher Lee spielte den gefährlichen Megalomanen, dessen Pläne aber stets vereitelt wurden. Christopher Lee verehre ich übrigens ein bisschen. Er hält den Weltrekord als Schauspieler mit den meisten Filmrollen. So an die 275 Filme hat er gedreht, genau kann das aber keiner mehr sagen. Nicht einmal die Wikipedia, die alte Wissenssau. Lee ist jedenfalls eine beängstigende Output-Maschine. So wie Konsalik und James Last. Dass ich aus ähnlichem Holz geschnitzt wäre, kann man nicht gerade behaupten, deswegen verehre ich Christopher Lee ja ein bisschen so sehr. Mein Output ist nämlich überschaubar. Denn ich bin faul. Ich finde, übertriebener Fleiß und Ehrgeiz sind einfach widernatürlich. Die Natur strebt energetisch günstige Zustände an, wer dagegen handelt, kriegt die Rechnung von der gestrengen Mutter eiskalt vor den Latz geknallt. Dementsprechend wenig Verständnis bringe ich für diese ganzen Burnout-Trotteln auf. Christopher Lee ist jetzt übrigens 90 und hatte noch nie ein Burnout und ganz sicher auch nie eine Rolle abgelehnt, weil er auf seine Work-Life-Balance schauen musste. Ein Sir durch und durch. Er ist sicher ein Meister, ein dunkler Darth der Synergieeffekte. Da, aber nur da, sehe ich vielleicht leichte Ähnlichkeiten zu mir. Ich moppel gerne doppelt. Manchmal versuche ich aber auch zu tripeln. Zum Beispiel, werde ich im nächsten Jahr mein zehnjähriges Kolumnenjubiläum feiern. Da könnte ich auch ein Best-of des letzten Jahrzehnts zusammenstellen. Mal schauen. Man muss nämlich wissen, bei mir kommt zur Faulheit erschwerend hinzu, dass ich auch nicht sonderlich gerne recherchiere.

Ich versuche mich davor zu drücken, wo es nur geht. An und für sich kein Problem, aber irgendwie bin ich dann ja doch auch noch Journalist. Ein Journalist, der nicht recherchieren mag, ist aber wie ein Pornodarsteller, der keine Analszenen machen will. Es gehört halt zum Berufsbild, zur Job-Description dazu. Um den eben getätigten Vergleich auf sicheren Boden zu bringen, möchte ich noch schnell einen kleinen Aphorismus hinten nachschieben: Richtig gute Recherche führt stets ins Rektum unserer Zeit. Aber nur weil ich es nicht gerne mache, heißt dies noch lange nicht, dass ich es nicht kann. Drum Ohren und Augen jetzt bitte spitzen: Von Christopher Lee ist kaum bekannt, dass er für Pissoirs auf den Herrentoiletten diese Plastikfußballtore, die ein Kügelchen dran gemacht haben, konzipiert hat. Ihm war aufgefallen, dass der Mann psychologisch einfach gestrickt ist und großen, kindlichen Spaß daran hat, seinen Urinstrahl zielgerichtet abzulassen. Ein hüpfendes Kugerl macht ihm beim Urinieren sein Herz überschlagen. Reinigungskräfte haben so weniger zu tun. Lee verdiente damit ein schönes Zubrot. Bei mir funktioniert dieser psychologische Taschenspielertrick übrigens nicht. Ich halte das für üble Bevormundung und richte, wenn ich dieser Toiletten ansichtig werde, regelrechte Sauereien an. Ausscheidungsarmageddon am Abort, also. Sodale, das war es für diesmal und dieses Jahr. Im nächsten dann, gibt es eine kleine Feier zum Zehnjährigen. Mit einem Bestof und geilen Gags aus den 60er Jahren. Ich werde es als Retro-Future verkaufen und trage ein cooles T-Shirt, auf dem »Print ist lebt« stehen wird.

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