The Gap 129

Page 59

R ez

m u si k

JJ Doom Key To The Kuffs (Lex Records / Cooperative Music / Universal)

Iamamiwhoami Kin (Coop)

Doom Hop Winterwelt Konventioneller Electropop randvoll mit mysteriösen Bildern – manchmal ist Kunst so einfach. Das Team für die Optik ist mit vier Leuten doppelt so groß wie das für die Musik. Dem schwedischen Multimedia-Projekt Iamamiwhoami sind Videos offenbar ziemlich wichtig. Macht ja nichts, verfilmte Alben gab es früher schon, nach MTV schrumpften zwar die Budgets, bewegte Bilder wurden durch Youtube allerdings nicht eben unwichtiger. Und dieses Spiel haben Iamamiwhoami konsequent zu Ende gedacht. Noch vor dem Album wurden alle Songs einzeln als Videos veröffentlicht. Zusammen geben sie eine Geschichte, die noch viel mehr von der Atmosphäre lebt als etwa Daft Punks »Interstella 55555« oder Falcos »Junge Römer«. Die Sängerin wirkt da­ rin aus der Zeit gefallen, zu solidem Electropop wandeln Fellkreaturen durch Wälder und kalte Architektur, weiße Socken, Birken, Nebel, helle Farben und reichlich Tiefenschärfe spielen wichtige Nebenrollen. Am Ende hat man die Weite und Einsamkeit der Welt gesehen. In Skandinavien gab es in letzter Zeit gleich ein paar Songwriterinnen, die mit schwer verständlichen Bildern und fiebrigen Stimmen in andere Welten hinüber glitten. Sie alle haben sich ein paar Akkorde von Fever Ray und Bat For Lashes abgesehen. Sie heißen Susanne Sundfør, Hanne Kolstø, Hanne Hukkelberg, Jennie Abrahamson oder jetzt eben Iamamiwhoami. Letztere bauen noch mehr als die anderen auf die Macht der Bilder. Selbst das Datum der Albumveröffentlichung wird nicht per Mail, Twitter, Tumblr oder Facebook verlautbart, nein, ein kurzes Video musste her. Wenn sonst auch nur sehr wenige Informationen im Umlauf sind, verbreitet sich der Name eines solchen Debütalbums schnell über die diversen Netzkanäle. Der Song »Idle Talk« ist darauf so cirka der Gipfelpunkt, ein eisiger, bewegter Beat treibt die erwartungsvolle Stimme vor sich her. Er ist wie der Rest des Albums glasklar produziert und guter, aber gängiger Elektropop. Wer vierzig Minuten Zeit hat, sollte sich dennoch auf audiovisuelle Astralreise durch »Kin« machen. 07/10 Stefan Niederwieser

Doom überrascht seine Fans mit einer weiteren Gratwanderung. »Key To The Kuffs« bringt Rap von den Rändern der Galaxis Latveria auf den Punkt. Doom ist einer dieser Untergrundhelden des US-HipHop, auf den sich fast alle einigen können, die ihn kennen. Der Rapper mit der Maske ist nicht Sido, sondern MF Doom, das textete der Kölner MC Retro­gott kürzlich und stellte damit für alle Zu-Spät-Gekommenen klar, wie weit der Einfluss von Doom eigentlich reicht. Er war Anfang der 90er Teil der legendären New Yorker K.M.D., tauchte nach dem Tod seines Bruders unter und 1999 mit »Operation: Doomsday« wieder auf. Seither verbirgt er seine Narben unter einer Metallmaske, ähnlich wie der Super-Bösewicht Doktor Doom in den Marvel Comics, und veröffentlicht reihenweise Klassiker: sein Solowerk »Mm.. Food« sowie Kollaborationen mit Madlib (»Madvillainy«) oder Danger Mouse (»The Mouse And The Mask«) – und selbstverständlich war das nur ein Ausschnitt. Zahlreiche seiner verschobenen Beats hat er über die Jahre selbst gebaut und sich auch als Produzent einen Namen gemacht. Für sein jüngstes Werk »Key To The Kuffs« hat er auf Jneiro Jarel vertraut. JJ plus Doom. Macht JJ Doom. Der Alternative-HipHop-Produzent ließ sich für diese Zusammenarbeit besonders von britischem 80er New Wave wie Duran Duran, Tears For Fears oder Gary Newman beeinflussen. Die vielschichtigen Songs, in die er seinen Rapper einwickelt, fallen besonders durch ihre unüberschaubaren Einzelteile und ihren Groove auf. So manövriert das Konzept zwischen IDM-HipHop, verzerrtem Trip Hop, ausgefranstem Electro und einem Jazz-Erbe, das psychoaktiv durchschimmert. Von hier aus ist Flying Lotus ähnlich weit entfernt wie der große Tricky. Doom etabliert derweil seine Sätze zu elementaren Sounds. Grob überlagern sich lyrische Experimente, politische Krisenkommentare (»Gov’nor«), Befindlichkeiten und Stimmungsbilder zu Sex (groß: »Winter Blues«) oder seine Verbindung zur Geburtsstadt London. Er wollte eine Atmosphäre, die man nicht von ihm erwartet hätte. Das hat er bekommen und wird durch Features wie Damon Albarn (»Bite The Thong«) und Beth Gibbons (»GMO«) bestätigt. JJ Doom ist durch und durch aufregend geworden, ein avantgardistischer Eckpfeiler in einer ohnehin randvollen Karriere. 08/10 Klaus Buchholz 059

129_056-073_Rezensionen.indd 59

04.09.12 21:41


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.