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Die autofreie Stadt

Grüne Utopie oder klimapolitische Notwendigkeit?

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N° 202

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AUSGABE DEZEMBER 2023 / JÄNNER 2024 — THE GAP IST KOSTENLOS UND ERSCHEINT ZWEIMONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 8000 GRAZ, P.B.B. | MZ 18Z041505 M


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25.01.2024

26.01.2024

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27.01.2024 SIMM CITY WIEN

26 FEB WIEN Arena

2024 TOUR Ticke ts: oe ticke t.com TICKETS BEI OETICKET.COM

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Editorial

We’re at the mercy of the state of the art

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www.thegap.at www.facebook.com / thegapmagazin @the_gap thegapmag the_gap

Herausgeber Manuel Fronhofer, Thomas Heher

Alexander Galler

Das durchschnittliche Alter eines Konzertpublikums lässt sich am einfachsten an der Dichte der hochgehaltenen Handys erkennen. Das ist sicherlich keine neue Feststellung, aber eine, die ich dieses Jahr vielfach bestätigen konnte. Schließlich war ich – aus beruflichen Gründen – selten auf so vielen und so unterschiedlichen Konzerten wie 2023. Von französisch-brasilianischem Trap auf der Freiluftbühne bis hin zu Techno-Hyperpop im überfüllten Kellerlokal. Das Handy am Konzert hat allerorts vielfache Funktion. Feuerzeugersatz bei langsamen Nummern, Koordinationsmittel für die weitere Abendgestaltung, Zahlungsmittel an der Bar und eben Foto- sowie vor allem Videokamera. Letztere Funktion ist primär für die hochgestreckten Hände verantwortlich. Denn ein Konzert – so scheint es mir – ist heute nur dann tatsächlich besucht worden, wenn es Videobeweise gibt. Oder anders ausgedrückt: Das Erleben des Konzerts findet nicht mehr nur am physischen Ort statt, sondern immer auch am virtuellen. Zwischen den Generationen hat sich da fundamental etwas verschoben. Zwar bin ich noch nicht steinalt, aber mein erstes Handy hab ich irgendwann Ende meiner Teens bekommen. Mein erstes Smartphone hab ich mir gekauft, als ich schon ein paar Jahre studierte. Ich bin nicht damit aufgewachsen. Wenn ich ein Konzert über den Bildschirm am Handy anschaue, dann entfernt mich das von der Situation, in der ich bin. Dann macht es sie unwirklicher. Für die jüngere Generation – so mein Eindruck – macht es sie erst wirklich. Ohne virtuelles Abbild bleibt sie schemenhaft, kann sie nur in einem Teil ihrer Lebensrealität überhaupt wahrgenommen werden. Wenn sie nicht über das Handy virtualisiert wird, kann sie nicht geshared, gepostet, geliked, werden. Das ist im Übrigen keine Kritik. Ganz im Gegenteil. Gen Z abwärts hat einfach intuitiv etwas kapiert, was ich mir als Digital Immigrant oft mühsam vor Augen führen muss: Das Virtuelle ist keine abgetrennte Sphäre vom Rest des Lebens, es ist Teil derselben Realität. Was dort geschieht, geschieht genauso real, hat genauso reale Konsequenzen. Wer sich also über ein Meer aus Handybildschirmen ärgert, die kaleidoskopisch dieselbe Szene abbilden, sollte sich bewusst werden, dass jeder dieser Bildschirme für einen neuen Blickwinkel steht, für eine Erfahrung, die um eine virtuelle Welt reicher ist. Auch wenn sie für FrüherGeborene die Welt vielleicht um genau den gleichen Grad ärmer macht.

Bernhard Frena

Chefredakteur • frena@thegap.at

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Chefredaktion Bernhard Frena Leitender Redakteur Manfred Gram Gestaltung Markus Raffetseder Autor*innen dieser Ausgabe Victor Cos Ortega, Barbara Fohringer, Carina Karner, Oliver Maus, Tobias Natter, Dominik Oswald, Helena Peter, Ghassan Seif-Wiesner, Mira Schneidereit, Sarah Wetzlmayr Kolumnist*innen Josef Jöchl, Christoph Prenner Coverillustration Nina Ober (Foto: Adobe Stock) Lektorat Jana Wachtmann Anzeigenverkauf Herwig Bauer, Manuel Fronhofer, Sarah Gerstmayer, Thomas Heher, Martin Mühl Distribution Wolfgang Grob Druck Grafički Zavod Hrvatske d. o. o. Mičevečka ulica 7, 10000 Zagreb, Kroatien Geschäftsführung Thomas Heher Produktion & Medieninhaberin Comrades GmbH, Hermanngasse 18/3, 1070 Wien Kontakt The Gap c/o Comrades GmbH Hermanngasse 18/3, 1070 Wien office@thegap.at — www.thegap.at Bankverbindung Comrades GmbH, Erste Bank, IBAN: AT39 2011 1841 4485 6600, BIC: GIBAATWWXXX Abonnement 6 Ausgaben; € 19,97 abo.thegap.at Heftpreis € 0,— Erscheinungsweise 6 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 8000 Graz Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz www.thegap.at/impressum Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Herausgeber*innen wieder. Für den Inhalt von Inseraten haften ausschließlich die Inserierenden. Für unaufgefordert zugesandtes Bildund Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmi­ gung der Geschäftsführung. Die Redaktion von The Gap ist dem Ehrenkodex des Österreichischen Presserates verpflichtet.

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Magazin

Auf back to the future die Uhr gedreht Die Stadt muss autofrei werden

010

016 »Das Fahrrad ist Medium für Klimagerechtigkeit« Medienwissenschaftlerin Julia Bee im Interview

033 Von der Muse zur Protagonistin Female Gaze und feministische Fotografie

033 Elfriede Mejchar, Paut, David Višnjič, Carina Karner, Judith Seif-Wiesner, Patrizia Liberatore

004

020 »Manchmal mach ich einen Soletti-Liptauer-Igel« Der Nino aus Wien im Interview zu »Kochbuch Take 16«

024 Neues Salz, alte Wunden Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut

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Elfriede Mejchar, Paut, David Višnjič, Carina Karner, Judith Seif-Wiesner, Patrizia Liberatore

020

Carina Karner Die Autorin unserer Coverstory als politisch aktiv zu bezeichnen, ist eine Untertreibung. Die Straße kennt Carina dabei ebenso gut wie den Sitzungssaal. In den letzten Jahren war sie vorwiegend für Links unterwegs, lange in der Koordination, aktuell als Bezirksrätin in Mariahilf. Auch dort versucht sie u. a., die Autos von der Straße zu bekommen. Zum Ausgleich simuliert sie als Physikerin an der TU »hierarchical self-assembly of anisotropic colloidal platelets«. Nein, wir wissen auch nicht so genau, was das ist.

Ghassan Seif-Wiesner

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024

Seit September ist unser Autor Ghassan auch Autor eines publizierten Buches. Da ist nämlich sein Roman »Tick Tack« erschienen. Für uns schreibt Ghassan vorwiegend Rezensionen, ein Genre, an dem er vor allem die intensive Auseinandersetzung mit Musik und Musiker*innen schätzt. Selbst war er auch musikschaffend unterwegs; erst als Teil der österreichischen FreeteknoSzene, danach ist er vermehrt auf HipHop umgeschwenkt. Musikvideos aus der Zeit lassen sich gerüchteweise noch auf Youtube finden.

Special Fotografie Von analog bis digital, aber immer mit dem richtigen Fokus

Rubriken 003 Editorial / Impressum 006 Comics aus Österreich 007 Charts 018 Golden Frame 038 Workstation 042 Drama: Arad Dabiri 048 Gewinnen 049 Rezensionen 052 Termine

Kolumnen

Comics aus Österreich Michael Liberatore Auf unserer Seite 6 zeigen Comic-Künstler*innen aus Österreich, was sie können. Diesmal möchte uns Michael Liberatore etwas Positives für die kühle Zeit mitgeben. ———— Horror-Comics haben einen speziellen Platz in der Comic-Geschichte. Der Backlash gegen das Genre in den 1950er-Jahren gilt als einer der Gründe für die Eigenzensur der amerikanischen Comic-Industrie. Auf alten Issues mahnt deshalb stets »Approved by the Comics Code Authority«. Diese prüden Sittenwächter*innen würden die Arbeit von Michael Liberatore vermutlich nicht approven – tendenziell ein gutes Zeichen. Liberatore liefert in seinen Comics Horror-Grotesken der Extraklasse. So viel Blood and Gore findet sich in den meisten Splatter-Filmen nicht. Doch Liberatore überzeugt nicht nur durch den Schockeffekt. Seine Panel-Layouts sind beständig innovativ, er experimentiert in der Form, sucht (und findet!) immer neue Wege, seine Geschichten zu erzählen. Im November ist Michael Liberatores neuer Comic »Bauer« bei Indiekator erschienen, eine österreichische Alpen-SplatterGeschichte, entstanden beim Hören alter 1980er-Mixtapes. Die Rubrik »Comics aus Österreich« entsteht in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für Comics: www.oegec.com

060 Screen Lights: Christoph Prenner 066 Sex and the Lugner City: Josef Jöchl

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Charts Christina Töpfer TOP 10

Ausstellungen des Jahres 2023 01 Jochen Lempert »Lingering Sensations«, C/O Berlin 02 Sophie Thun »Leaking Times«, Cukrarna, Ljubljana 03 Nicole Gravier »Mythes et clichés«, ENSP, Arles 04 Margaret Raspé »Automatik«, Haus am Waldsee, Berlin 05 Pan Daijing »Until Due Time, Everything Is Else«, Grazer Kunstverein 06 Sven Johne »Vom Verschwinden – Videos und Fotografie«, Kunstsammlung Jena 07 Gerald Domenig / Andrea Witzmann, Fotohof Salzburg 08 »Corps à corps«, Centre Pompidou, Paris 09 Laure Prouvost »Ohmmm age Oma je ohomma mama«, Kunsthalle Wien 10 Haus-Rucker-Co »Atemzonen«, Lentos, Linz

TOP 03

Freibäder in Österreich 01 Augartenbad Graz 02 Thermalbad Vöslau 03 Alpenstrandbad Edlach Auch nicht schlecht: Graumohn-Eis beim Eis-Greissler, Jaakko Eino Kalevi, Puzzeln Christina Töpfer ist Chefredakteurin der Fotografiezeitschrift Camera Austria International und Mitinitiatorin des Grazer Kurzfilmwanderkinos Street Cinema Graz.

Charts Patrick Münnich TOP 10

Paula Schmidt, Patrick Münnich

Ungelöste mathematische Probleme 01 Goldbachsche Vermutung 02 P-NP-Problem 03 Navier-Stokes-Existenz- und Glätteproblem 04 Hardy-Littlewood-Vermutung 05 Beal-Vermutung 06 Birch-und-Swinnerton-Dyer-Vermutung 07 Hodge-Vermutung 08 Riemannsche Vermutung 09 Existenz von Hadamard-Matrizen mit optimaler Unschärfe 10 Yang-Mills-Gleichungen

TOP 03

Konzertmomente 2023 01 Lorde × Caroline Polachek, Budapest, Sziget Festival 02 Johnny Jewel, Wien, Rote Bar 03 Depeche Mode, Klagenfurt, Stadion

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Auch nicht schlecht Prisma-Fotografie Patrick Münnich ist Fotograf und Mathematiker. Er arbeitet an einem Buch über ein Kunstprojekt mit selbst entwickelter Glitch-Art-Technik.

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Plattformregulierung negativ für Musiker*innen

Jede Menge Open Calls zum Jahreswechsel

Eine Studie der WU Wien hat untersucht, wie sich strengere Regulierungen von Internetplattformen auf die Musikbranche auswirken – mit unterschiedlichen Ergebnissen. ———— Wenn The Gap ein Foto veröffentlicht, ohne die Rechte dafür abgeklärt zu haben, ist das Magazin rechtlich verantwortlich dafür. Nicht so auf Plattformen wie Youtube. Diese können für Urheber*innenrechtsverletzungen nur bedingt oder gar nicht belangt werden. Grund dafür sind sogenannte »Safe Harbour«-Regelungen. Diese ermöglichen erst ein Internet, das auf nutzergenerierten Inhalten aufbaut. Müsste Instagram etwa das Copyright jedes hochgeladenen Fotos überprüfen und wäre die Plattform bei jedem widerrechtlich hochgeladenen Bild haftbar, dann gäbe es Instagram schlichtweg nicht. Vielerorts wird nun diskutiert »Safe Harbour«-Regelungen aufzuweichen, nicht zuletzt in den USA und der EU. Dadurch sollen Plattformbetreiber*innen gezwungen werden, mehr Verantwortung dafür zu übernehmen, was auf ihren Plattformen geschieht – ob es sich um Inhaltsfragen, Urheber*innen- oder andere Rechtsverletzungen handelt.

Sechs Open Calls für Kunstschaffende zum Jahreswechsel. ———— Immer rechtzeitig zum Ende des Jahres bzw. zum Beginn des neuen häuft sich die Anzahl der Open Calls. Wir haben einige der interessantesten zusammengefasst.

Studie identifiziert zwei Lager Eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien hat nun untersucht, wie sich strengere Regulierungen auf unterschiedliche Akteur*innen der Musikwirtschaft auswirken. Kurz zusammengefasst: Kaum regulierter Upload von Content schadet tendenziell großen Labels und Superstars, wohingegen er kleineren Musiker*innen nützt. Das stellt sowohl Politiker*innen als auch Vertreter*innen der Musikbranche vor Herausforderungen. »Es ist wichtig, dass politische Entscheidungsträger*innen die potenziellen Auswirkungen einer strengeren Regulierung von Plattformen für nutzergenerierte Inhalte sorgfältig abwägen«, erklärt Nils Wlömert, einer der Autoren der Studie, in einer Aussendung der WU. »Eine solche Regulierung könnte die Vielfalt der den Nutzern*innen zur Verfügung stehenden Inhalte einschränken und unbeabsichtigt die Marktkonzentration erhöhen, indem sie unbekanntere Künstler*innen in ihrer Reichweite einschränkt.« Bernhard Frena

Die Studie »Frontiers: The Interplay of User-Generated Content, Content Industry Revenues, and Platform Regulation: Quasi-Experimental Evidence from Youtube« von Nils Wlömert, Dominik Papies, Michel Clement und Martin Spann ist per Open Access verfügbar.

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Der Kultursommer Wien sorgt jedes Jahr für kulturelles Leben während der Urlaubssaison. Dafür wird ein reichhaltiges Programm mit Künstler*innen aus den Bereichen Kabarett, Literatur, Musik, Performance, Tanz, Theater und zeitgenössischer Zirkus zusammengestellt. Um selbst Teil dieses Programms zu werden, empfiehlt sich eine Bewerbung beim Open Call. Dieser läuft von 4. Dezember bis 31. Jänner 2024 unter www.kultursommer.wien. Alle zwei Jahre schreiben der Verein Lentos Freunde und die Kunstuni Linz einen gemeinsamen Kunstpreis aus – diesmal schon zum fünften Mal. Unter dem Motto »Dignity« werden oberösterreichische Künstler*innen unter 35 Jahren gesucht. Pro Person darf bis 14. März unter calls.kunstuni-linz.at/calls eine Arbeit eingereicht werden. Neben dem Wettbewerb wird es auch eine mehrtägige Verkaufsausstellung im Auditorium des Lentos sowie einen gedruckten Katalog geben. Das gesamte nächste Jahr wird die Tangente St. Pölten, das »Festival für Gegenwartskultur«, diverse lokale und internationale Kunstschaffende versammeln. Dazu laufen gleich vier Open Calls: Bei der »Visionale« werden bis 1. Februar 2024 Jugendliche und junge Erwachsene für künstlerische Aktivitäten im Bereich StreetArt gesucht. Die »Kritische Redaktion – Kredo« wird die Tangente mit einem Team aus neuen Journalist*innen das ganze Jahr über begleiten. Der Call läuft noch bis 22. Dezember. Mit dem Songwriting-Call wiederum möchte die Tangente Musikinteressierten eine Bühne bieten, begleitet von renommierten Namen aus der Szene. Bewerbungen sind noch bis 31. Jänner 2024 möglich. Zuletzt wird die Stadt-Galerie leere Schaukästen und Auslagen in St. Pölten in eine öffentliche Galerie verwandeln. Wer mit von der Partie sein will, kann sich ab April 2024 melden. Bewerbungen jeweils an die Adresse call@tangente-st-poelten.at. Bernhard Frena

Aktuelle Open Calls im Bereich Kunst und Kultur versammelt auch die Website www.newsbase.at.

Adobe Stock, Niko Havranek

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Splitter News

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ARCADIA LIVE PRÄSENTIERT

PABST & DZ DEATHRAYS

TEMMIS X STEINTOR HERRENCHOR

08.12.23 CHELSEA

11.12.23 B72

WANDA

THE GODFATHERS

22.12.23 WIENER STADTHALLE

18.01.24 CHELSEA

PRESENTED BY HITRADIO Ö3 & KRONEN ZEITUNG

VAN HOLZEN

KAPELLE PETRA

19.01.24 B72

02.02.24 B72

THE GARDENER & THE TREE

GIANT ROOKS PRESENTED BY RADIO FM4

14.02.24 GASOMETER

18.02.24 FLEX

OK. DANKE. TSCHÜSS

GHOSTLY KISSES

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Nina Ober (Foto: Adobe Stock)

Eine Stadt ohne Autos ist unvorstellbar. Die klimazerstörenden Industrieprodukte bestimmen, wie wir uns im öffentlichen Raum verhalten, wie wir uns durch ihn bewegen und sogar wie er von Grund auf gestaltet ist. Wie ist es zu dieser absurden Situation gekommen? Was wird dagegen unternommen? Warum müssen wir dringend noch viel mehr tun? ———— »Aus’m Weg, heast«, schreit mich der Autofahrer hinter mir an, als ich mit meinem Rennrad die Taubergasse hinunterfahre, schön in der Mitte des Fahrstreifens, denn ich möchte keinesfalls in die Tramschienen des 9ers gelangen – man lernt ja aus Erfahrung. Ich schreie zurück: »Wohin aus’m Weg, Oida?« – am Rand, gleich neben den Schienen gibt es nämlich nur noch eine Parkspur aus Pflastersteinen. Eh fesch, aber auch beschissen und gefährlich zum Radfahren. Der Mann schreit und hupt die ganze Straße lang weiter und schneidet mich dann beim Abbiegen. Ich muss eine Vollbremsung hinlegen. So stehe ich auf der Hernalser Hauptstraße, umringt von parkenden und fahrenden Autos, und wünsche mir in diesem Moment, dass alle Autos aus dieser Stadt verschwinden. Ich gebe zu, ich war auch schon vor diesem Ereignis kein Autofan, und so wie es sich für meine linksversiffte Schicht gehört, lege ich den Großteil meiner Wege mit dem Rad, der U-Bahn oder zu Fuß zurück. Wie die meisten meiner Friends besitze ich nicht einmal ein Auto. Doch obwohl wir damit nicht alleine dastehen – nur etwas mehr als ein Drittel aller Wiener*innen besitzt einen PKW –, ist es unbestritten, dass das Stadtbild in europäischen Großstädten auch 2023 noch immer von Autos bestimmt ist. Es ist eine – sozusagen autokratische – Herrschaft des Stärkeren und Schnelleren.

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Radfahrer*innen und Fußgänger*innen gehören dabei leider buchstäblich zu den an den Rand gedrängten Verkehrsteilnehmer*innen. In Zahlen gegossen bedeutet das, dass in Wien laut dem statistischen Jahrbuch 67 Prozent der Straßenfläche parkenden und fahrenden Autos zur Verfügung stehen, den Rest teilen sich baulich getrennte Tramstrecken, Gehsteige und Fahrradwege, wobei gekennzeichnete Fahrradwege nur etwa ein Prozent der

»Das Autofahren muss noch um einiges unbequemer werden.« — Ulrich Leth Gesamtverkehrsfläche ausmachen. Dieser ungleichen Flächenaufteilung steht entgegen, dass in Wien fast drei Viertel aller Wege entweder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt werden.

Luxus für alle Unsere kleine Rechnung führt sehr schnell zur Grundsatzfrage: Wie konnte es so weit kommen, dass sich Autos derart integral in unser Stadtbild reingefressen haben – von der Blechlawine am Gürtel jeden Morgen über zugeparkte Innenstadtgassen bis hin zur kompletten Flächenverplanung mit Einkaufszentren und Einfamilienhaussiedlungen in der Peripherie, die ausschließlich mit dem

Auto erreichbar ist? Wie ist das nur passiert? Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Auto vom Luxusgefährt der Reichen zum Verkehrsmittel der Wahl für die gesamte Bevölkerung gewandelt hat. Im Jahr 1950 gab es in Österreich laut WKO etwa 50.000 zugelassene PKWs, etwas mehr als zehn Jahre später, 1962, hatte sich diese Zahl auf ca. eine halbe Million PKWs mehr als verzehnfacht. 40 Jahre später hatte sich die Zahl abermals verzehnfacht und pendelte sich bei fünf Millionen ein. Spätestens in den 1970ern, mit dem Ausbau der Straßen, Autobahnen und Tunnels bis in das letzte Bergtal und dem diametral verlaufenden Rückbau der Schienenstrecken, wurde die motorisierte Zukunft Österreichs besiegelt. Mein Großvater war bei dieser Entwicklung übrigens in erster Reihe dabei, als Straßenpolier im südlichen Niederösterreich und in der Steiermark. Stolz hat er immer von den Sprengungen erzählt, die notwendig waren, um breite Serpentinenstraßen in die voralpinen Berge zu knallen. Das Auto war jetzt mehr als nur ein bequemes Verkehrsmittel, es wurde zum Kulturgut, zum Symbol der österreichischen Moderne nach dem Krieg. Das bäuerlich dominierte Land wurde bezwungen – zersprengt – und es wurde Platz geschaffen für die Verbindung zwischen den sich zersiedelnden Dörfern. Auf alten Familienbildern lacht mir meine Großfamilie entgegen, in bunten Hemden und dunklen Sonnenbrillen schauen sie zu siebt aus einem kleinen VW Käfer heraus, bereit für den sonntäglichen Ausflug zum Hof der Verwandtschaft. Auch in Wien wurde in den 70ern – neben dem U-Bahn-Bau – der Bau der Autobahnen vorangetrieben. Nun konnte man mit

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der Donauuferautobahn A22 und der Südosttangente A23 innerhalb Wiens mit Höchstgeschwindigkeit von Favoriten nach Donaustadt kommen. Esra Özmen, eine Hälfte des HipHop-Duos Esrap, erzählt in einem Interview mit dem Musikmagazin Skug, wie sie in ihrer Kindheit in Wien als ganze Familie mit dem Firmenauto des Vaters durch die Gegend gefahren sind. Manchmal auf Familienbesuch und manchmal einfach zum Spaß. Das Auto war ihr erweitertes Wohnzimmer, ein Rauskommen aus der engen 25-QuadratmeterGastarbeiter*innenwohnung. All das ist das Auto seit 50 Jahren kulturell: österreichisch und migrantisch, Arbeiter*innenklasse und bürgerlich, männlich, aber auch feministisch; es ist FPÖ und ÖVP. Aber auch und vor allem SPÖ. Was das Auto allerdings nicht ist, ist grün.

Das liegt daran, dass die meisten Länder ihre selbstgesteckten Klimaziele nicht einhalten. Österreich ist eines dieser Länder. Zwar fehlt es auch hierzulande nicht an Positionspapieren, die vorsehen, dass die durch den motorisierten Individualverkehr verursachten Emissionen bis 2040 um die Hälfte reduziert werden sollen, aber mit der Umsetzung ist das etwas anderes, wie offizielle Zahlen belegen. Diesen zufolge hat sich in Wien der Anteil der Wege, die mit dem Auto oder dem Motorrad zurückgelegt werden, in den letzten zehn Jahren nur unerheblich von 28 auf 26 Prozent verringert. In Graz gab es im gleichen Zeitraum

Das Klima sagt Nein Spätestens seit Anfang der Nullerjahre ist der Weltöffentlichkeit klar, dass das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid (CO2), das auch von Autos ausgestoßen wird, maßgeblich, nämlich zu 25 bis 30 Prozent zum Klimawandel beiträgt. Erst diesen November verlautbarte UN-Chef António Guterres, dass sich die Erde, wenn wir so weitermachen wie bisher, um ganze drei Grad erwärmen werde. Derzeit beschlossene und noch nicht umgesetzte Maßnahmen bringen nur eine Verbesserung um 0,1 Grad. Wir sind also auf direktem Weg zu einer Erwärmung um 2,9 Grad. Damit verfehlen wir das Ziel von 1,5 Grad, auf das sich alle großen Industrienationen der Welt 2015 in Paris geeinigt haben, bei Weitem.

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Ulrich Leth, Verkehrsexperte, TU Wien

zwar eine Senkung um sechs Prozentpunkte, aber von einem weit höheren Niveau, von 46 auf 40 Prozent. Man muss kein Mathegenie sein, um zu verstehen, dass die für 2040 gesteckten Ziele, den Anteil des motorisierten Individualverkehrs auf 15 Prozent (Wien) beziehungsweise 20 Prozent (Graz) zu verkleinern, kaum zu erreichen sind, wenn die Städte Mobilität nicht von Grund auf neu denken.

Die autofreie Stadt Deutlicher formuliert bedeutet Mobilität neu denken, sich zu überlegen, wie man Autos Schritt für Schritt aus den Städten bringen kann, bis nur noch ein Bruchteil davon übrig bleibt, der sogenannte essenzielle Verkehr – also Rettungs- und Feuerwehrfahrzeuge, Umzugswagen, Krankentransporte und dergleichen. Das ist die Grundidee der autofreien Stadt, in der es keine Privatautos mehr gibt und deren Bewohner*innen fast ausschließlich nachhaltige Verkehrsmittel nutzen. Bislang ist keine Großstadt dieser Welt völlig autofrei. Aber auch in österreichischen Städten wird mittlerweile mit verschiedenen Konzepten experimentiert, die auf eine schrittweise Verdrängung des Autos als Verkehrsmittel abzielen. Einige dieser Experimente werden sogar weiterverfolgt. Eine Strategie ist dabei die Koexistenz von Auto, Rad und Fußgänger*innen. Die seit zehn Jahren voranschreitenden Begegnungszonen bringen Gehsteig, Radweg und Straße auf dasselbe Niveau und sehen vor, dass alle Verkehrsteilnehmer*innen dieselbe Verkehrsfläche benutzen können. Um die Sicherheit al-

MA 13 – Landesbildstelle Wien, privat

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Der Bau der Südosttangente A23 wurde 1970 begonnen. 1993 wurde der letzte Abschnitt fertiggestellt. Im Bild der Stand 1978.

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MA 13 – Landesbildstelle Wien, privat

16.02.2024

WIENER STADTHALLE Halle F

die Straße, als das Projekt aus Kostengründen ins Wanken geriet. Beispiele, bei denen die Öffentlichkeit zunächst kritisch, aber später zustimmend ist, belegen auch, dass es Vorstöße aus der Politik braucht, um die Utopie der autofreien Stadt überhaupt erst denkbar zu machen. Ansätze wie Begegnungszonen mit einer fußgänger*innen- und radfreundlichen Gestaltung, in der nur wenige Parkplätzen und Ladezonen vorgesehen sind, zeigen, wie vielfältig die Nutzung des öffentlichen Raums sein kann, wenn er nicht mehr auf Autos ausgerichtet ist.

Es gibt aber auch Maßnahmen zur Verkehrsreduktion, die in der Theorie gut klingen, in der Praxis aber Lücken aufweisen. Die Wohnstraße ist ein solcher Fall. Bei Wohnstraßen dürfen Autos nur zuund ab-, aber nicht durchfahren. Wie in Begegnungszonen darf nur im Schritttempo gefahren werden und Kinder dürfen auf der Straße spielen. Im Prinzip ist das eine gute Idee, um den Verkehr aus den Nebenstraßen wegzubekommen, sodass Nachbar*innen die Straße auch als öffentlichen Raum des Zusammenkommens nutzen können. In der Praxis werden die Wohnstraßenschilder allerdings von den meisten Autofahrer*innen ignoriert und die Wohnstraße wird zur Durchfahrt genutzt. Das liegt zum einen an fehlendem Wissen um das Konzept der Wohnstraße, aber auch daran, dass sich die Fahrbahn oft nicht von einer normalen Straße unterscheidet. Die Straße lädt außerdem meist nicht zum Verweilen oder Spielen ein. Initiativen, die sich für eine bessere Nutzung oder sogar eine Erweiterung des Konzepts Wohnstraße einsetzen, gibt es allerdings. Mit dem sogenannten Supergrätzl in Favo-

*NESPRESSO ist eine eingetragene Marke der Société des Produits Nestlé Sw.A, Vevey.

ler gewährleisten zu können, darf in einer Begegnungszone dabei nur Schritttempo gefahren werden. Das wohl berühmteste Beispiel für eine solche Zone in Österreich ist die Mariahilfer Straße, die 2015 unter starkem Protest von ÖVP und FPÖ, der Ladenbesitzer*innen und anfangs auch der Bevölkerung verkehrsberuhigt wurde. Einige erinnern sich dabei vielleicht an die Memes von kreuz und quer stehenden verbrannten Autos, als Symbol dafür, wie chaotisch und apokalyptisch es dann bald auf der Mahü zugehen werde. Mittlerweile hat sich die Haltung der Bewohner*innen und auch der Geschäftstreibenden grundlegend geändert. Die Begegnungszone Mariahilfer Straße ist ein stadtplanerischer Erfolg, nicht zuletzt dank Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou, gegen die sich ein großer Teil der damaligen Kritik richtete. Auch in Innsbruck und Graz entstehen Begegnungszonen, zum Beispiel in der Grazer Zinzendorfgasse und in Innsbruck am Bozner Platz. Dort standen die Geschäftstreibenden übrigens von Anfang an hinter der Begegnungszone und gingen sogar auf

»Stell dir vor, du könntest dein Sofa für weniger als 30 Cent am Tag ein­ fach auf der Straße stehen lassen.« — Ulrich Leth

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riten ist die Bezirksvertretung vorgeprescht und schafft zwischen Neilreichgasse, Gudrunstraße, Leebgasse und Quellenstraße auf insgesamt 9,5 Hektar eine verkehrsberuhigte Zone. Statt mittels öder Wohnstraßenschilder wird der Durchzugsverkehr hier mithilfe von modalen Filtern in Form von Stipfeln und Blumenkisten gesperrt und auf die Hauptstraße zurückgeleitet. Gehsteigvorziehungen und die Errichtung von Parkbänken sollen zudem zum Aufenthalt einladen, zusätzliche Bäume spenden Schatten und Abkühlung. Eine weitere erwähnenswerte Initiative ist der Verein Space and Place. In jahrelangen Verhandlungen mit der Bezirksvertretung Rudolfsheim-Fünfhaus und der Magistratsabteilung MA 28 hat Space and Place erkämpft, dass die Fahrbahn in der Markgraf-RüdigerStraße bemalt werden darf. Die bunte und spielerische Gestaltung mit Blumen soll dabei den Charakter der Wohn- und Spielstraße verdeutlichen und so den Autofahrer*innen als visuelle Hilfestellung – »mach mal langsam hier« – dienen. Space and Place setzt sich zudem für die Erweiterung des Wohnstraßenbereiches im Nibelungenviertel ein, wo bereits sieben Wohnstraßen nebeneinander liegen; zwei sollen noch dazukommen und gemeinsam ein ganzes verkehrsberuhigtes Wohngrätzl bilden. In der Stadtpolitik ist das Anliegen auf »wohlwollendes Interesse gestoßen«, wie der Verein auf seiner Website schreibt. Umgesetzt wurde bis jetzt aber nichts. Die Beispiele Wohngrätzl Nibelungenviertel und Markgraf-Rüdiger-Straße unterstreichen ein grundsätzliches Problem der Mobilitätswende in den Städten: Sie dauert viel zu lange. Von der Idee über den politischen Aushandlungsprozess bis zur konkreten Planung und Umsetzung können selbst bei kleinen Anpassungen wie der Bemalung einer Fahrbahn Jahre vergehen. Im schnell fortschreitenden Klimawandel sind das Jahre, die wir als Gesellschaft schlicht nicht haben. Die Verkehrsstatistik in Wien zeigt es gut:

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Die meisten der hier vorgestellten Maßnahmen zur Verkehrsreduktion wurden schon vor Jahren gesetzt und trotzdem hat sich am Prozentsatz der mit dem Auto zurückgelegten Wege kaum etwas geändert.

Autosubvention Parkplatz »Das Autofahren muss noch um einiges unbequemer werden als die nachhaltige Alternative, mit der U-Bahn oder dem Rad zu fahren«, meint Verkehrsexperte Ulrich Leth von der Technischen Universität Wien dazu. Eine Maßnahme, die Leth in Wien für zentral hält, ist eine deutliche Preissteigerung bei den öffentlichen Parkgebühren. Dies würde die Autofahrer*innen überzeugen, ihr Auto in eine Parkgarage zu stellen, mit dem Effekt, dass die Wegzeit zur Garage mit eingerechnet

»Schnelligkeit und Komfort sind die wichtigsten Faktoren bei der Wahl des Verkehrsmittels.« — Ulrich Leth werden muss. »All unsere Studien zeigen, dass Schnelligkeit und Komfort die wichtigsten Faktoren bei der Wahl des Verkehrsmittels sind«, so Leth. Demnach seien die Leute bereit umzusteigen, sobald der öffentliche Verkehr bequemer und schneller ist, als mit dem Auto zu fahren, und sobald Zufußgehen und Radfahren sicherer werden. »Derzeit kostet das Parkpickerl in Wien nur 120 Euro, für einen Platz in einer privaten Garage bezahlt man diesen Preis pro Monat. Stell dir vor, du könntest dein Sofa für weniger als 30 Cent am Tag einfach auf der Straße stehen lassen und diesen öffentlichen Raum als

Wohnraum beanspruchen. So etwas ermöglichen wir gerade mit dem Parkpickerl«, bringt Leth dabei die wichtige Verteilungsfrage ins Spiel, die ja auch bei den Wohnstraßen und Begegnungszonen eine mindestens ebenso große Rolle spielt wie die Klimafrage. Weitere Potenziale gibt es bei neuen Stadtentwicklungsgebieten in Wien. Dort, wo komplett neue Stadtteile errichtet werden, kann man die öffentliche Anbindung von Anfang an – sozusagen auf dem Reißbrett – steuern. Wie das etwa beim U-Bahn-Anschluss für die Wiener Seestadt geschehen ist. »Zusätzlich zur fuß- und radzentrierten Gestaltung, können außerdem Sammelgaragen errichtet werden, um die Autos von der Straße zu bringen«, ergänzt Leth. Enttäuschend findet er allerdings, dass gerade in der Seestadt der Anteil des motorisierten Individualverkehrs nur im Wien-Schnitt und nicht besser ist. Denn die Seestadt ist als sogenannte 15-Minuten-Stadt konzipiert, in der die meisten Stationen des täglichen Lebens – also Einkaufsmöglichkeiten, Bildungseinrichtungen, Ärzt*innen, Apotheke und Freizeiteinrichtungen – innerhalb von nur 15 Minuten zu Fuß erreichbar sind. Da sei noch viel zu tun und die Errichtung einer weiteren hochrangigen Straße, in Form der sogenannten »Stadtstraße«, würde nicht helfen. Der Bau dieser Verbindung zwischen Seestadt und Südosttangente konnte durch die Besetzung von Aktivist*innen im Umfeld von »Lobau bleibt« zwar verzögert, aber nicht aufgehalten werden. Gerade in der Debatte um die LobauAutobahn zeigt sich, dass die Mobilitätspolitik der Zukunft noch zu sehr im politischen Klienteldenken verhaftet ist, in dem auch Wähler*innenschichten gegeneinander ausgespielt werden. Bürgermeister Michael Ludwig ließ etwa in der heißen Phase der Lobau-Proteste über die Medien ausrichten: »Es geht um ein Segment der Jugend, das schon eine Wohnung hat. Demonstranten, die die Mama mit dem Auto hinführt.« Ludwig verortet dabei Lobau-Demonstrant*innen in einem wohlhabenden Grünwähler*innen-Milieu, das vielleicht die Innenstadtwohnung von den Eltern erbt und nicht, so wie die ärmere Schicht der Autobesitzer*innen in den geförderten Neubau am Stadtrand ziehen muss. Dieses Bild stimmt nur bedingt, zeigt sich doch, dass Bewohner*innen der Seestadt und der ganzen Donaustadt im Schnitt nicht zu den ärmsten Teilen der Gesellschaft gehören. Im Gegenteil: Es sind größtenteils junge Mittelschichtfamilien, die dort hinziehen, um sich entweder den Traum vom Einfamilienhaus oder zumindest vom Wohnen im Grünen zu erfüllen. Diese Familien sind auch gleichzeitig die, die am ehesten ein Auto oder sogar zwei besitzen. Damit stellen sie auch jene Teile der Bevölkerung dar, die es zu überzeugen gilt, das Auto gegen eine Öffi-Jahreskarte zu tauschen.

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Die Konzepte für das Supergrätzl in Favoriten sehen Verkehrsberuhigung nicht durch Schilder, sondern durch bauliche Maßnahmen vor.

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Da viele Stadtpolitiker*innen, auch genau dieser Mehrheitsgesellschaft angehören, können sie sich genauso wenig wie ihre Wähler*innen die Utopie der autofreien Stadt ausmalen. Obwohl die neuen Begegnungszonen und Wohngrätzl die Wohnqualität erhöhen und mehr Raum für Fußgänger*innen und Radfahrer*innen schaffen, zeigt sich, dass diese verkehrsberuhigten Zonen viel zu punktuell sind, um die Verkehrsmittelwahl grundlegend zu ändern. Vielmehr bräuchte es wohl verstärkt Maßnahmen, die darauf abzielen, das Autofahren unbequemer zu machen, wie höhere Parkgebühren und weniger verfügbare Parkplätze. Darüber hinaus wäre ein über die ganze Stadt abgestimmter Masterplan nötig, um Schritt für Schritt zu einer Stadt ohne privaten Autoverkehr zu kommen. In diesem Plan müssten noch viel größere Bereiche einer Stadt, also ganze Bezirke autofrei gemacht werden. In Wien könnte man etwa zuerst mit der autofreien Innenstadt anfangen und sich dann über die Innenbezirke nach außen arbeiten. Dass das nicht eine rein utopische Vorstellung ist, zeigen auch grünschwarze Vorstöße aus 2020 zum autofreien ersten Bezirk. Daraus ist leider nichts geworden und seitdem hat sich die Idee auch nicht maßgeblich weiterentwickelt.

Barcelona Gipsy BalKan Orchestra

Utopie denken lernen Um aus dem Auto ein Relikt der Vergangenheit zu machen, braucht es schlussendlich nämlich zuallererst ein anderes Denken. Dabei fällt neben politischen Akteur*innen auch Kulturschaffenden eine bedeutsame Rolle zu. Ein solcher Beitrag für ein neues Denken ist z. B. »2050 – als die Autos die Stadt verlassen hatten«, ein Text vom Journalisten und Historiker Leo Kühberger, der einen »historischen« Stadtspaziergang in Graz um 2020 rund um den Volksgarten beschreibt. Aus einer Zukunftsperspektive schildert er, wie unvorstellbar vollgestopft mit Autos die Straßen damals waren. Wie laut und dreckig die Stadt war. Wie isolierend das Auto auf ihre Besitzer*innen wirkte. Und wie gut es ist, dass die Menschheit dieses Kapitel des motorisierten Individualverkehrs um 2040 hinter sich ließ. Es liegt an uns, diese Utopien Realität werden zu lassen. Carina Karner

Ulrich Leth ist Mitbegründer der Initiative Platz für Wien, die über 57.000 Unterschriften für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung der Stadt gesammelt hat. Auf der Plattform Wir machen Wien können sich verschiedene Initiativen zudem vernetzen und koordinieren. »2050 – als die Autos die Stadt verlassen hatten« von Leo Kühberger ist auf Soundcloud verfügbar.

8.12.’23

20 Uhr | Stehplatzkonzert

01 / 407 77 407 wiener-metropol.at 17., Hernalser Hauptstraße 55

Offenlegung: Die Autorin ist Bezirksrätin für Links im sechsten Wiener Gemeindebezirk.

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Was kann Medienwissenschaft gegen die Klimakatastrophe tun? Das ist eine der zentralen Fragen, die die Medienwissenschaftlerin Julia Bee derzeit umtreiben. Warum das Fahrrad hier Antworten liefern kann, erklärt sie in unserem Interview. ———— Seit letztem Jahr ist Julia Bee Professorin für Medienästhetik an der Universität Siegen, sie ist dort unter anderem in den Bereichen Gender Media Studies, Rassismuskritik und Postkolonialismus aktiv. Seit einiger Zeit dreht sich bei ihr jedoch viel um einen Apparat, den viele nicht sofort mit Medien verbinden: das Fahrrad. Zum einen, weil sie es für, wie sie sagt, einen »einfachen Ausweg aus einer komplex-verfahrenen Situation« hält, nämlich jener, von der autozentrierten Stadt und den damit einhergehenden Mobilitätsproblemen loszukommen. Zum anderen, weil ihrer Ansicht nach die »Fahrradmedien« wissenschaftlich so einiges zu bieten haben. Im Feld Medienwissenschaft ist das Fahr­ rad nicht unbedingt der naheliegendste Gegenstand. Inwiefern ist das Fahrrad medial interessant? julia bee: Zunächst interessieren mich Darstellungen und Inszenierungen von Fahrrad und Fahrradfahren in audiovisuellen Medien. Also: Wie erfahren wir überhaupt über das Fahrradfahren? Zum Beispiel in populären Filmen, Netflix-Serien und so weiter. Wie prägt das unsere Einstellung dazu? Der Normalität des Autofahrens sind wir ja die ganze Zeit ausgesetzt. Das Fahrrad ist da unterrepräsentiert und stark kindlich besetzt. Social-

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Media-Bewegungen hingegen identifizieren sich zunehmend über das Fahrrad. Dort hat das Fahrrad eine bestimmte Medialität als Protestzeichnen gegen die Kapitalisierung der Städte und für intersektionale Zugänge zur Stadt. Etwa: Wie eignen wir uns auch die Stadt durch das Fahrrad wieder an? Wie kann ich mich als FLINTA* ohne Gefahr von Angriffen in der Stadt bewegen? Wie fahren wir zusammen Fahrrad? Die Verhandlung dieser Fragen findet sowohl in audiovisuellen Medien als auch auf der Straße statt. Ist das Fahrrad selbst auch ein Medium? Herbert Schwaab nennt das Fahrrad ein »offenes Medium«. Es hat keine Innen-AußenGrenzen wie Autos – also keine Türen, keine Scheiben, keine Karosserie. Das Fahrrad ist nach außen offen, offen zu anderen Menschen. Damit hat es eine kommunikative, vergesellschaftende Funktion. Die Soziologin Rachel Aldred nennt das »cycling citizenship«. Damit meint sie die Möglichkeit, im öffentlichen Raum anderen Menschen zu begegnen und sich mit ihnen zu verständigen. Ohne diese Blechkarosserie rundherum. Dieses Weniger, im Gegensatz zum Auto, im Gegensatz zu technischeren Medien, kann man eigentlich zu einem Mehr machen. Nicht nur in Bezug auf Kommunikation im öffentlichen Raum, sondern auch, was Reparaturen oder Basteln angeht. Also durch seine technische Einfachheit ermöglicht es neue Dinge? Ja. Aber ganz so puristisch und unmedialisiert, wie man denken könnte, ist das Fahr-

rad nicht. Es ist nicht nur als E-Bike hoch aufgerüstet, sondern auch mit zahlreichen Funktionen verbunden. Intelligentes Licht, intelligenter Helm, Sicherheitsfunktionen am Schloss, Apps, die Körperfunktionen messen und sogar – aktuell noch in der Testphase – Apps, die sich mit smarter Infrastruktur wie Ampeln verbinden können. Das Fahrrad ist damit auch ein Medium in der Entwicklung hin zur smarten Stadt. Aber vielleicht auch zur überwachten Stadt? Mir fallen da sofort Fahrrad­ lieferant*innen ein. Für die ist das Fahrrad ja einerseits Arbeitsmittel, aber anderer­ seits gerade durch die digitale Einbindung quasi auch Arbeitskontrolleur. Das Fahrrad war und ist für viele Menschen eine Utopie als günstiges Fortbewegungsmittel. Aber genauso gut kann es auch in dystopischen Zusammenhängen fungieren. Da kommen wir auf den Begriff des offenen Mediums zurück. Schlussendlich spüren aber die Menschen, die durch diese Gig-Economy ausgebeutet werden, auch die infrastrukturellen Probleme, die insgesamt unsichere Situation für Fahrradfahrende stärker. Und es sind verschärfend oft rassifizierte Menschen, die diese Berufe ausüben. Bei E-Bikes – bei denen ich auch durchaus skeptisch bin – denke ich vor allem an die Kuriere und daran, wie deren Leben damit einfacher wird. Im Endeffekt ist jedes Fahrrad gut, das ein Auto ersetzt – egal welcher Ausprägung. Wenn all diese Lieferant*innen jetzt noch mit Autos unterwegs wären, wäre das ja das totale Desaster.

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»Das Fahrrad ist Medium für Klimagerechtigkeit« Medienwissenschaftlerin Julia Bee im Interview

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Du forscht auch zum Thema Fahrradak­ tivismus. Wie unterscheidet sich der von anderen aktivistischen Formen? Seit Corona gibt es verstärkt soziale Bewegungen, die das Fahrrad als Demomedium nutzen. Das ist allerdings kein Zufall, weil Krisen, die mit Verteilungsgerechtigkeit zu tun haben, durch das Fahrrad gut symbolisiert werden. Denn, sich mit dem Fahrrad öffentlichen Raum anzueignen, ist ein Moment der utopischen Umverteilung vom Raum einer Stadt, die um das Auto herum gebaut ist. Autos entnehmen öffentlichen Raum. Sie privatisieren ihn strukturell. Das ist keine Anschuldigung einzelner Menschen, sondern es ist ein strukturelles Problem. Öffentlicher Parkraum ist zu günstig, aber gleichzeitig merkwürdig selbstverständlich. Riesige Autokonzerne stellen ein Produkt her und ich darf dieses Produkt dann im öffentlichen Raum abstellen. Mit dem Fahrrad holen wir uns diesen Raum zurück. Aber wir denken diesen öffentlichen Raum neu als Begegnungsraum. Was ist deiner Meinung nach das Potenzi­ al des Fahrrads für politische Forderungen wie die autofreie Stadt? Eigentlich ermöglicht das Fahrradfahren erst die autofreie Stadt. Natürlich ist das Fahrrad immer im Verbund mit anderen Verkehrsmitteln zu denken. Wien hat ja z. B. ein wunderbares Nahverkehrsnetz in vielen Teilen der Stadt. Nur im Verbund mit so was kann das Fahrradfahren funktionieren und

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»Sich mit dem Rad öffentlichen Raum anzueignen, ist ein Moment der utopischen Umverteilung.« — Julia Bee

überhaupt die Aufwertung vom kommunitären Raum und kommunitären Verkehrsmittel. Eigentlich sollte jeder Mensch vom Staat für ganz wenig Geld ein Fahrrad bekommen und diese Fahrräder müssen sicher sein und gut aufbewahrt werden. Dann ändert sich auch der Zugang zur Infrastruktur und zu allem, was damit zu tun hat. Andererseits ermöglicht die autofreie Stadt aber auch ein sichereres Fahren. Ein bequemeres Fahren. Die ganze Stadt wäre eine andere, und ich glaube die Menschen müssen das erleben, um zu wissen, was das heißt. Dieser Verteilungskampf um den sehr begrenzten Raum, würde sich extrem entspannen und damit auch eine andere Stimmung in die Stadt kommen. Jüngere Menschen, ältere Menschen, unterschiedliche Körper könnten sich ganz anders bewegen. Menschen, die sich heute gar nicht trauen, Fahrrad zu fahren, würden Fahrrad fahren. Aber wir fordern die autofreie Stadt ja nicht für

das Fahrradfahren. Wir fordern sie für die Menschen, die wegen Feinstaub an Asthma und anderen Lungenkrankheiten erkranken. Und wir fordern sie nicht zuletzt für die Klimagerechtigkeit. Das ist ja kein Selbstzweck für das Fahrrad, sondern das Fahrrad ist eben Medium für Klimagerechtigkeit.

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Die Medienwissenschaftlerin Julia Bee war auch am Projekt »Decolonize Weimar!« beteiligt.

Gibt es auch potenzielle Schlaglöcher für diese Utopie? Ich war lange Zeit noch sehr viel mehr vom utopischen Potenzial des Fahrradfahrens überzeugt. Als Fußgängerin mache ich aber auch die Erfahrung, dass manche Menschen auch auf dem Fahrrad Rüpel sind. Die nehmen sich überall Raum, egal mit welchem Verkehrsmittel. Das Auto ermöglicht ihnen allerdings noch gewalttätiger, noch raumgreifender zu sein. Ich will Fehlverhalten am Fahrrad jetzt gar nicht schönreden, aber wenn sich die Lage insgesamt entspannen würde, entspannt sich diese Situation vermutlich auch. Noch ein Schlusswort? Bildet Banden und fahrt Fahrrad! Bernhard Frena

Julia Bee hat 2022 gemeinsam mit Ulrike Bergermann, Linda Keck, Sarah Sander, Herbert Schwaab, Markus Stauff und Franzi Wagner den Sammelband »Fahrradutopien: Medien, Ästhetiken und Aktivismen« herausgegeben. Der Band ist über die Online-Publikationsplattform Meson Press frei verfügbar.

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Golden Frame Zeitgenössische Kunst im angemessenen Rahmen

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Denise Ferreira da Silva & Arjuna Neuman »Ancestral Clouds Ancestral Claims«, 2023; Filmstill The_Gap_202_Story_FIN_BBA_red-BF_mf.indd 19

Mit dem dritten Projekt ihrer Filmreihe »Elemental Cinema«, die sich mit den klassischen vier Elementen als den Bausteinen der Welt auseinandersetzt, richten Denise Ferreira da Silva und Arjuna Neuman den Blick auf Chile, wo globale Windströme auf eine neoliberale Geschichte der Gewalt treffen. ———— Im Rhythmus der Jahreszeiten erhebt sich jedes Jahr eine rote Wolke aus Staub über dem afrikanischen Kontinent, steigt in die Luft und wandert entlang der selben Route, die die Sklavenschiffe der Kolonialmächte besegelten, angetrieben von derselben Kraft wie diese, als gigantische Schwade über den Atlantik. Von der anderen Seite erreicht den amerikanischen Kontinent ein Westwind, der von Asien kommend Rauch, Regenwolken, Mikroben und Mineralien bringt  Material, das die Felder befruchten und die Regenwälder mit Nährstoffen versorgen wird und das über eine Ewigkeit hinweg die Kupfer- und Lithiumbestände gebildet hat, die heute unsere Energietransformation ermöglichen sollen. Vom All aus gesehen zeigt sich die Dimension dieser Wanderungsbewegungen und auch, dass die Ströme alle nur Teil eines dynamischen Ganzen sind, das sich als zusammenhängendes Ökosystem über den Globus erstreckt. Alles, was irgendwo hierin entsteht, wird an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit wieder vergehen. In dieser Welt ist jede Rechnung ohne Verluste und ohne Gewinne, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft; es ist alles schlichtweg immer da. Direkt an der schroffen Küste Chiles treffen die Winde auf ein wüstes Gräberfeld aus der Zeit der proto-neoliberalen Diktatur Pinochets. Die Toten, die hier liegen, sind namenlos und verstreut, die Gräber keine Ruhestätten. Morde, die damals unter aller Augen begangen und doch von niemandem gesehen wurden, liegen heute in klarer, kalter Luft offen zutage. Ohne wiederum erkannt werden zu können. Nicht weit entfernt werden den Böden in gigantischen Anlagen Metalle und Erden entzogen, bevor sie sich in alle Richtungen zerstreuen, auf Handys, Laptops und Autos, Vapes und Satelliten verteilen und uns schließlich von überall umgeben. Extraktivismus und Vertreibung, Handelsfreiheit und supranationale TechUnternehmen – all das trifft hier zusammen. Aber wie die gigantischen Staubwolken erst von Weitem gut zu erkennen sind und wie die Rohstoffe unter der dem blauen Licht der Displays im Dunkeln gehalten werden, so halten sich auch diese elementaren Kräfte der Gegenwart verdeckt und ihre wahren Ausmaße werden erst mit Abstand sichtbar. In der Ausstellung »Ancestral Clouds Ancestral Claims« zeigen sich die Mechanismen einer Realität, die auf einer unsichtbaren Gewalt basiert. Und deren Unsichtbarkeit diese Gewalt überhaupt erst legitimiert. Victor Cos Ortega

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Saharastaub Denise Ferreira da Silva & Arjuna Neuman »Ancestral Clouds Ancestral Claims«

Denise Ferreira da Silva und Arjuna Neuman arbeiten seit 2016 zusammen an der Filmreihe »Elemental Cinema«. Die Ausstellung »Ancestral Clouds Ancestral Claims« sowie die gleichnamige Arbeit sind noch bis 17. März 2024 in der Kunsthalle Wien zu sehen. Begleitend zur Ausstellung finden Gespräche, Workshops und Führungen bei freiem Eintritt statt.

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01 »Soletti mit Liptauer, ein authentischer Klassiker der österreichischen Küche« 02 »Man muss das Leben einfach genießen und sich was gönnen.« 03 »Ein zartes Langos in Budapest« 04 »Eine erfrischende Jause« 05 »Al nero di seppia, mit der schwarzen Tinte des Dichters« 06 »Selbst gemachte Berner Würstel nach einem Konzert. Mit einer Erfindung von mir: einer Mischung aus englischem Senf und Mayonnaise. Das Ketchup ist nur für die Pommes.« 07 »Bigoli cacio e pepe in einem großen Pecorino-Laib zubereitet. Mit einem schönen Pfeffer drüber.« 08 »Mein Cremespinat-Comeback seit Jahrzehnten. In Zusammenspiel mit Tafelspitz.« 09 »Ein kleines normales Frühstück«

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Sas, Janne Karvinen

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»Manchmal mach ich einen Soletti-Liptauer-Igel« Der Nino aus Wien im Interview zu »Kochbuch Take 16« Der Nino aus Wien alias Nino Mandl ist einer der umtriebigsten Musiker*innen des Landes. Jetzt hat er sein erstes Buch veröffentlicht. Das war ebenso überfällig wie naheliegend. »Kochbuch Take 16« heißt das Resultat, erschienen bei Redelsteiner Dahimène Edition. The Gap traf ihn zum Interview. ———— »Als Stefan Redelsteiner seinen Verlag gegründet hat, habe ich gesagt, wenn ich mein Buch mache, dann bei ihm. Er war auch der einzige, dem ich das Skript geschickt habe. Ich wollte es nicht wochenlang an Verlage schicken und hoffen, dass es irgendwer rausbringt«, erzählt der 36-Jährige. Es ist ein eigenwilliges Debüt geworden. In Versform gibt Mandl in 16 Kapiteln (»16 ist meine Glückszahl«) mit Tagebuch- und Notizbuchaufzeichnungen, neuen und alten Songtexten, Gedankenfetzen, Aphorismen, Beobachtungen, Kalauereien und Verballhornungen Einblicke in seine Dichterseele. »Ich dachte, ich werfe alles aus 20 Jahren in einen Kochtopf, rühre um und lasse es köcheln«, erzählt er. Rausgekommen ist ein Buch in einem »genau hingeschmierten Stil«, das zu einem chaotischen und witzigen Ritt gerät, der »so schnell gelesen wie ein Film geschaut« ist. Rezepte gibt es in diesem Kochbuch keine, zumindest nicht im klassischen Sinn mit Mengenangaben oder gar foodgestylten Bildern. Essen und Trinken nehmen in den Zeilen dann aber doch einen prominenten Platz ein. Mitunter auch, wenn Mandl selbstironisch seinen eigenen Werkkatalog zerpflückt:

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»Wie ein Schwammerl saugst du das Jetzt auf. Meshuga. Spumante Abissi.« Aus Schaumwein geborene Abgründe also, oder wie er im Interview festhält: »Der Kopf kann auch ein Kochtopf sein, in dem es brodelt und der übergehen kann, wenn der Druck stärker wird.«

Es ist irgendwie schon auch ein musikalisches Buch geworden. Es kommen auch einige ausgewählte Songtexte darin vor. Ich habe ja noch nie Songtexte abgedruckt, weil ich immer dachte, es ist spannender, wenn man selber herausfindet, was ich singe.

Nino, wir werden jetzt gleich sehr viel über Essen reden. nino mandl: Ja, ich habe in den letzten Tagen sehr viele Fragen zu Essen beantwortet. Aber kein Wunder, wenn man ein Buch »Kochbuch Take 16« nennt.

Du erwähnst in einer Zeile im Buch, dass du dein Musiker-Ich sympathischer fin­ dest als dein Dichter-Ich … Ja, das ist so. Musikmachen ist für mich einfacher. Ich schreibe auch lieber, wenn ich eine Gitarre in der Hand habe. Mein literarisches Ich ist irgendwie verkopfter, ein wenig umständlicher und vor allem strenger.

Erste größere Aufmerksamkeit hast du ja vor fast 15 Jahren beim Protestsongcon­ test im Rabenhof mit dem »Spinat Song« erhalten. Hast du mittlerweile Frieden mit diesem Gemüse geschlossen? Damals ging mein Bewusstsein nicht über den Cremespinat von Iglo hinaus. Ich dachte, es gibt nichts anderes, und habe ihn gehasst. Alleine schon der Geruch hat mich aggressiv gemacht. Mittlerweile bin ich aber draufgekommen, dass frischer Spinat vom Feld etwas Tolles ist. Vor Kurzem war ich zum Essen eingeladen und der Gastgeber hat Tafelspitz mit Cremespinat gekocht. Es ist noch immer nicht mein Lieblingsessen, aber es ist okay. Bei deinem Buch hat man nicht selten das Gefühl, dass du auch ein paar Rezepte da­ für lieferst, wie du Musik machst. Täuscht der Eindruck?

Und wie gefällt dem strengen LiteratenIch das Buch? Insgesamt bin ich mit dem Resultat glücklich. Auch weil ich viel Energie reingesteckt und mir einiges dabei gedacht habe. Manchmal allerdings traue ich mich nicht, es anzuschauen. Es ist mir dann fast ein bisschen peinlich. Wie so eine betrunkene SMS, die man nicht rückgängig machen kann. Es ist schon ein gar nicht so unkompliziertes Verhältnis. Du könntest dein »Kochbuch« ja vertonen? Es werden auf meiner nächsten Platte auch Texte aus dem Buch vorkommen. Einiges aus dem Buch wird sich wohl eingesungen auf dem nächsten Album finden. Aber das Buch so vertonen, dass es auch aufgenommen werden kann? Eher nicht.

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Also wird es keine gesungenen Frühstück­ stipps für »Kaviar Toast mit Mayonnaise und Zitrone« von dir geben. Wie stehst du eigentlich zum Frühstück? Ich bin mehr der Dinner-Typ. Aber langsam komme ich ins Frühstücken rein und verschmähe es im Hotel auch nicht mehr so oft wie früher. Ich bemühe mich, um zehn Uhr beim Frühstück zu sein. Eine Alterserscheinung? Irgendwie schon. Vor zehn Jahren war es undenkbar, dass ich Frühstücken gehe – jetzt genieße ich es. Aber ein bisschen ein Problem habe ich mit der Atmosphäre in diesen Frühstücksräumen. Es sind ja dort sehr viele Leute auf einmal versammelt und ich weiß nicht immer, wie ich mich dann am besten verhalten soll – ich bin ja sehr schüchtern. Außerdem überlege ich sehr lange mit dem Teller in der Hand, was ich machen soll …

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Was lädst du dann üblicherweise auf? Am liebsten eine Semmel mit Salami, Käse und Butter. Aber wenn es Fisch gibt, freue ich mich auch. Den gibt es aber nur in den feineren Häusern. Was steht denn so in eurem Band-Rider, wenn es um Verpflegung geht? Mittlerweile bin ich der Einzige in der Band, der noch kein Vegetarier ist. Dementsprechend haben meine Kollegen sehr viel Gemüse, Obst, Datteln, Aufstriche und Hummus angeführt.

war ein sehr milder Verlauf. Vielleicht wegen dem Schwarzkümmelöl. Aber Gerstengras kann ich auch nur empfehlen. Du giltst ja als leidenschaftlicher FernsehSeher. Was isst du so beim Fernsehen? Was ich gerade als Abendsnack sehr gerne mag sind Soletti mit Liptauer. Man muss nur den Fernseher lauter drehen, weil es halt schon sehr knistert. Ich bin echt gerade in einer großen Soletti-und-Liptauer-Phase. Die Soletti wurden ja Ende der 1940er-Jahre in Feldbach in der Steiermark erfunden und ich frage mich, wie sie am Anfang im Vergleich zu heute ausgesehen und geschmeckt haben. Ob sie größer waren, dicker oder ob schon immer Steinsalz drauf war?

»Ich bin schon fast ein bisschen süchtig nach meinem Stamperl Schwarzkümmelöl.« — Der Nino aus Wien

Und du? Ich habe nur Cola Zero und Pistazien reingeschrieben. Das reicht mir. Aber ich nasche dann natürlich schon beim Hummus mit.

Da müsste man vielleicht nach Feldbach fahren … Ich war unlängst dort, aber ein Besuch in der Soletti-Fabrik ging sich leider nicht aus.

Wie wichtig ist euch dabei Bio-Qualität? Das steht jetzt nicht dezidiert im Rider. Aber ich stelle schon an mir fest, dass sich mein Bewusstsein in diese Richtung hin verändert hat. Früher habe ich halt einfach irgendwas gegessen die ganze Zeit. Ich habe mir auch abgewöhnt, immer eine Salami oder Kantwurst zu Hause zu haben. Heute schaue ich genauer nach, was ich einkaufe und woher etwas kommt.

Machst du den Liptauer eigentlich selbst? Nein, ich kauf ihn im Supermarkt. Meistens den von Wojnar. Der ist der einzige, der mit Brimsen gemacht wird. Dazu kauf ich dann eine kleine Packung Soletti an der Kassa. Das geht sich genau mit der Portion aus. Manchmal mach ich dann einen Soletti-Liptauer-Igel.

Auch beim Gerstengras und Kümmelöl, die du im Buch erwähnst? Schwarzkümmelöl. Kümmel und Schwarzkümmel sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Ich trinke jeden Tag ein Stamperl davon und irgendwie steh ich mittlerweile auch auf den Geschmack. Man könnte sagen, ich bin schon fast ein bisschen süchtig nach meinem Stamperl Schwarzkümmelöl. Sicher gut für die Gesundheit … Ja, das dürfte das Immunsystem stärken. Ich war ein ganzes Jahr nicht erkältet. Corona habe ich zwar trotzdem bekommen, aber es

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Schaust du auch Kochsendungen? Jetzt nicht bewusst, aber wenn es wo läuft, bleib ich dran. Die Kochsendung, die ich momentan am liebsten mag ist »Mein Lokal, dein Lokal«, wo sich Restaurantbesitzer gegenseitig besuchen und bewerten. In letzter Zeit habe ich aber auch immer gerne »Silvia kocht« mit Silvia Schneider geschaut. Ich finde sie sehr sympathisch. Was würdest du kochen, wenn dich Silvia Schneider zu sich in die Sendung einlädt? Wenn es riskanter sein soll, würde ich mich für ein indisches Curry entscheiden. Wahrscheinlich würde ich aber Spaghetti aglio e olio machen. Sehr simpel, aber die

habe ich gut drauf. Der Knoblauch darf nicht zu lange und nicht zu kurz braten und ich würde auch ordentlich Parmesan drüberreiben. Auch wenn das in Italien verpönt und ein richtiges No-Go ist. Aber ich bin halt ein Käsefan. Könntest du ohne Käse leben? Nein. Ich habe immer einen guten Käse im Kühlschrank. Ich muss aber sagen, dass ich vor Kurzem im Tolstoy, einem veganen Fast-Food-Restaurant am Naschmarkt, war und dort Mac and Cheese mit veganem Käse gegessen habe. Es war schon sehr gut. Eigentlich wie die Käsenudeln in meiner Kindheit. Hast du noch andere Speisen, die dich zu­ rück in die Kindheit katapultieren? Ich komme ja aus Hirschstetten. Das ist ja quasi schon Marchfeld. Und das ist eine große Spargelgegend. Bei uns in der Familie wird das erste Spargelessen der Saison immer zelebriert. Dann kommen alle zusammen und meine Mutter, die den besten Spargel macht, kocht. Ist also der Spargel der Geschmack dei­ ner Kindheit? Es ist schon was Vertrautes, aber ich muss auch sagen, dass ich gar nicht wirklich weiß, wie Spargel schmeckt, weil ich immer so viel Hollandaise dazugebe, was eigentlich sehr frech ist. Magst du Spargel? Ja. Vor allem den grünen, weil der ein­ facher zu verarbeiten ist. Ich traue mich nicht, Spargel selber zu machen. Einmal habe ich einen grünen Spargel gekauft, wo draufstand, dass man den nicht braten muss und einfach so essen kann. Ich habe ihn dann aber trotzdem kurz gebraten. Es war einfach, aber es hat keinen Spaß gemacht. Ich glaube, ich will lieber nur mit meiner Familie Spargel essen. Du erwähnst im Buch auch dein Leibge­ richt – Spaghetti al nero di seppia. Was fasziniert dich an diesem Gericht? Ich stehe schon sehr auf die schwarzen Spaghetti mit Tintenfisch. Als Halloween-Fan find ich sie auch optisch sehr ansprechend. Ich hätte gern eine Füllfeder mit Nero-diseppia-Tinte und würde damit dann einen Gedichtband schreiben. Eine Verneigung vor H. C. Artmanns »med ana schwoazzn dintn«? Vielleicht. Mir gefällt vor allem das Bild, dass man mit der Tinte, die man isst, auch schreibt. Manfred Gram

»Kochbuch Take 16« vom Nino aus Wien erscheint am 24. November bei Redelsteiner Dahimène Edition. Die Buchpräsentation findet am 27. November im Rabenhof Theater in Wien statt.

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Foto: Marcel Urlaub / marcelurlaub.com

Neues Salz, alte Wunden Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut Österreich stellt 2024 wieder eine Kulturhauptstadt Europas – und erstmals trägt eine Region diesen Titel. Unter dem Motto »Kultur ist das neue Salz« sind 23 Gemeinden in Oberösterreich und der Steiermark mit von der Partie. Wir beantworten sechs Fragen rund um die Kulturhauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut.

Was hat es mit dem Format Kulturhaupt­ stadt Europas überhaupt auf sich? Der Titel Kulturhauptstadt Europas (bzw. anfangs: Kulturstadt Europas) wird jährlich von der EU vergeben, seit 2004 an mindestens zwei Städte. Bewerbungen aus den jeweiligen EU-Mitgliedsländern wie auch von Beitrittskandidat*innen und Partnerländern (EFTA, EWR) sind nach einem Rotationsprinzip möglich. Die Initiative soll, so die Europäische Kommission, die kulturelle Vielfalt und die Gemeinsamkeiten der europäischen Kulturen aufzeigen, das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Kulturraum fördern und der langfristigen Entwicklung der ausgewählten Städte dienen. Ihr Profil und ihr Image sollen aufgewertet und letztlich der Tourismus angekurbelt werden. Die Förderung durch die EU, die nur einen kleinen Teil des jeweiligen Gesamtbudgets ausmacht, erfolgt in Form eines Preisgeldes in der aktuellen Höhe von 1,5 Millionen Euro, dem MelinaMercouri-Preis. Benannt ist dieser nach der griechischen Schauspielerin und Kulturministerin, auf deren Betreiben die Kulturhauptstadt-Initiative 1985 ins Leben gerufen wurde. Welche österreichischen Städte waren be­ reits Kulturhauptstadt Europas? Zum einen Graz im Jahr 2003 und zum anderen Linz im Jahr 2009. Beide gelten als erfolgreiche Beispiele für Kulturhauptstädte, denen damit eine nachhaltige Neupositionierung gelang. Für Graz konnte der künstlerische Leiter Wolfgang Lorenz mit

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über 2,5 Millionen Besucher*innen bei einem Gesamtbudget von 58,6 Millionen Euro eine positive Bilanz ziehen. Ähnliches gilt für Martin Heller und Linz – mit 2,8 Millionen Besucher*innen bei 68,7 Millionen Euro Budget. Das jeweilige Programm wurde sowohl von der lokalen Bevölkerung als auch von Tourist*innen gut angenommen, zeigen die veröffentlichten Zahlen. Die Beherbergungsbetriebe beider Städte konnten sich über ein deutliches Nächtigungsplus freuen. Im Stadtbild wirken die Kulturhauptstadtjahre etwa mit dem »friendly alien« Kunsthaus oder der Murinsel bzw. mit dem neu gestalteten Ars Electronica Center und dem Südflügel des Linzer Schlossmuseums nach. Negativ äußerten sich in Graz wie in Linz Teile der lokalen Kulturszenen, die sich nicht adäquat eingebunden sahen und die Kulturhauptstadtaktivitäten wegen mangelnder Nachhaltigkeit kritisierten.

Mit welchem Konzept gelang es Bad Ischl bzw. dem Salzkammergut, den Zuschlag für 2024 zu erhalten? Bad Ischl und das Salzkammergut bewarben sich unter den Schlagworten »Salz und Wasser« und konnten sich bei der Entscheidung im Jahr 2019 gegen »Dornbirn plus« sowie St. Pölten durchsetzen. Man wolle den Tourismus mit Kultur ausbalancieren, hieß es damals. Bewusst wurde im Rahmen der Bewerbung das Thema Overtourism angesprochen, man lud die Jury etwa auch nach Hallstatt ein. Darüber hinaus wurden Abwanderung sowie fehlende Arbeitsplätze und Bildungsangebote als große Herausforderungen der Region thematisiert. Juryvorsitzende Cristina Farinha meinte damals: »Es geht anhand des Themas Salz um Fragen der Post-Industrialisierung, es geht um Tourismus und Hypertourismus und darum, wie man mit Tradition, Kultur und alternativer Kultur umgeht. Diese Fragen sind die gleichen, die sich vielen Städten in Europa stellen.« Es war die erste Bewerbung einer inneralpinen Region um den Titel Kulturhauptstadt Europas. Neben Bad Ischl tragen diesen Titel 2024 auch Tartu in Estland und Bodø in Norwegen. Wie verliefen die Vorbereitungen auf das Kulturhauptstadtjahr? Man muss sagen: eher holprig. So kam es zum Beispiel im März 2021 zur Ablöse des künstlerischen Leiters Stephan Rabl – nach gerade einmal sechs Monaten. »Wir standen

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Die Arge Lola

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Elisabeth Schweeger, künstlerische Leiterin der Kulturhauptstadt

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vor der Entscheidung: Brechen uns die Künstler weg oder trennen wir uns von Rabl«, wird Alexander Scheutz, Obmann des Regionalentwicklungsvereins Regis und Bürgermeister von Hallstatt in der Tageszeitung Der Standard zitiert. Auch der Abgang des Industriellen Hannes Androsch aus dem Kulturkomitee des Hauptstadtjahres sorgte für Aufregung: In einem offenen Brief nannte er das Programm »global-exotisch«, es zeuge von wenig Verständnis für die Region. Überdies kritisierte er öffentlich einen Mangel an Information und Tempo. Mit Hubert Achleitner (Hubert von Goisern) stellte sich daraufhin ein anderes Komiteemitglied wortstark hinter die neue künstlerische Leiterin Elisabeth Schweeger. Aber auch seitens manch regionaler Kulturschaffender gab es Misstöne: Man werde zu wenig gehört, Kommunikation auf Augenhöhe finde nicht statt und inhaltlich würden die wirklich schmerzhaften Aspekte der (nationalsozialistischen) Vergangenheit eher ausgespart. Darüber hinaus begleiteten verbissene Streitigkeiten in der Bad Ischler Stadtpolitik die Vorbereitungen auf das Kulturhauptstadtjahr.

zierten Blick auf Geschichte und Traditionen, zeigt den steten Wandel von Kultur und kultureller Identität als positive Kraft, lotet die Zukunftsfähigkeit des örtlichen Tourismus aus und untersucht, was es braucht, um die ländliche alpine Region als Lebensraum für Jung, aber auch Alt attraktiv zu gestalten. Mehr als 85 Prozent der Veranstaltungen werden von lokalen und regionalen Künstler*innen, Vereinen, Institutionen und Betrieben durchgeführt, ist in den Presseinformationen zu lesen. 85 Prozent des Programms finden bei freiem Eintritt statt.

Und wie sieht das Programm der Kultur­ hauptstadt Bad Ischl – Salzkammergut nun aus? Mehr als 300 Veranstaltungen haben Elisabeth Schweeger und ihr Team in den 23 teilnehmenden Gemeinden zusammengestellt – bei einem Gesamtbudget von etwa 30 Millionen Euro (27,5 Millionen kommen von Bund, den Ländern Oberösterreich und Steiermark, den Gemeinden und Tourismusverbänden; 1,5 Millionen von der EU). Vier Schwerpunkte ziehen sich durch das Programm: »Macht und Tradition«, »Kultur im Fluss«, »Sharing Salzkammergut – Die Kunst des Reisens« und »Globalokal – Building the New«. Das heißt: Man wirft einen differen-

Experimentelle musikalische Positionen und digitale Kunst bei »New Salt«

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Okay, das klingt sehr umfangreich – und auch etwas abstrakt. Was wären denn konkrete Highlights? Im Rahmen der Academy of Ceramics Gmunden kommt es zum Austausch zwischen zeitgenössischen Künstler*innen und dem Traditionsunternehmen Gmundner Keramik. Mit dem Wirtshauslabor Salzkammergut sollen Impulse zur Wiederbelebung der verschwindenden Wirtshauskultur am Land gesetzt werden – unter Mitwirkung von Kochprofis und Auszubildenden. Das Sudhaus in Bad Ischl zeigt die zentrale Themenausstellung »Kunst mit Salz & Wasser«. Eine Reise durch 15 Hörund Erlebnisräume bietet das Projekt »Großer Welt-Raum-Weg«: »vom Badezimmer in die Pfarrkirche Bad Ischl, über Almen bis in die Steinwüste des Toten Gebirges und wieder zurück in den eigenen Alltag«. Unter dem Titel »Die Reise der Bilder« beschäftigen sich Ausstellungen im Lentos Kunstmuseum, einer Linzer Außenstelle der Kulturhauptstadt, in Bad Aussee und Lauffen mit »Hitlers Kulturpolitik, Kunsthandel und Einlagerungen in der NS-Zeit im Salzkammergut«. In der Graphic Novel »Verborgen im Fels. Der Berg, das Salz & die Kunst« setzt sich der deutsche Comic-Künstler Simon Schwartz mit der wechselvollen Geschichte des Altausseer Salzbergs auseinander. Und die Veranstaltungsreihe »New Salt« bietet – unter der künstlerischen Leitung der beiden ehemaligen The-Gap-Autor*innen Ursula Winterauer und Maximilian Zeller – experimentelle musikalische Positionen und digitaler Kunst in unterschiedlichen Formaten eine Bühne. Um nur einige wenige zu nennen … Manuel Fronhofer

Die Kulturhauptstadtjahr wird am 19. Jänner 2024 durch Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnet. Im Rahmen der »Opening Ceremony« am 20. Jänner sind in Bad Ischl zu sehen bzw. hören: der »Chor der 1.000« unter der Leitung von Hubert von Goisern und Tom Neuwirth aka Conchita, die Operette »Eine Frau, die weiß, was sie will!« von Oscar Straus sowie ein Konzert von Camo & Krooked.

David Višnjič, Motoi Yamamoto

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»Saltscape« von Motoi Yamamoto, zu sehen im Rahmen von »Kunst mit Salz & Wasser« im Sudhaus in Bad Ischl

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Special Fotografie

Von der Muse zur Protagonistin Female Gaze und feministische Fotografie

Valie Export

Valie Export: Fotografie, Performance und auch Film – etwa mit »Unsichtbare Gegner«.

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Nackte Körper, radikale Performances und Selbstporträts: In den 1970ern hielt der Female Gaze Einzug in die Kunstgeschichte. Feministische Künstlerinnen rückten zunehmend die von gesellschaftlichen Normen stark beeinflussten Lebensrealitäten von Frauen ins Scheinwerferlicht. Ihre Arbeit war bahnbrechend, erweiterte den Kunstbegriff und trug maßgeblich zu mehr Awareness für feministische Forderungen bei. Und trotzdem gerieten die Namen der Künstlerinnen samt ihrer Werke vielfach in Vergessenheit. Gebührende Anerkennung fehlt bis heute. Eine Geschichte über die besondere Bedeutung der Fotografie für feministische Kämpfe und die politische Dimension der feministischen Kunst der 1970er.

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———— Ob alte Meister, Im-, Expressionisten oder Modernisten – in der klassischen Kunstgeschichtsschreibung scheint das Maskulinum oft weniger generisch als schlicht ausreichend. Der traditionelle Kanon ist voller Leonardos, Franciscos und Pablos. Vornamen, die auf A statt auf O enden, sind rar gesät. Und trotzdem greift das Klischee, es hätte abseits ihrer Rolle als Modell und Muse einfach keine Frauen in der Kunst gegeben, eindeutig zu kurz. Forschungsergebnisse der letzten Jahre zeichnen nämlich ein ganz anderes Bild: Künstlerisch tätige Frauen gab es schon immer, nur kennt heute kaum jemand ihre Namen. Besonders bemerkenswert ist die, vor dem Hintergrund der Frauenrechtsbewegung 1968

»Die Künstlerinnen haben die Scheu abgelegt, zu sagen: ›Meine private Situation hat eine gesellschaftspolitische Dimension.‹« — Gabriele Schor

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Special Fotografie

zu Megan Fox’ zeitgenössischer Darstellung im Film »Transformers« hat die Präsentation von Frauen durch den Blick lüsterner Männeraugen eine lange Geschichte und allgegenwärtige Präsenz, der wir bis heute nur schwer entkommen. Es ist also kaum verwunderlich, dass – wie so oft – ein historischer Punkt erreicht war, an dem es Frauen schlicht und einfach reichte.

Das Private ist politisch Im Kampf mit stark verankerten Geschlechterrollen eroberten Künstlerinnen für sich und Frauen weltweit ihre Selbstdarstellung zurück. In der männerdominierten österreichischen Kunstszene der 1960er-Jahre wurden Frauen als Künstlerinnen weitgehend nicht ernst genommen. Viel zu stark waren die gesellschaftlichen Wurzeln der vorgefertigten Rollenbilder, in die sie hineingezwängt wurden. Eine Frau hatte vor allem Hausfrau, Ehefrau und Mutter

zu sein. Für Kunstschaffen war hier kein Platz. Doch mit der feministischen Frauenbewegung Ende der 1960er-Jahre und dem damit einhergehenden Protest wehrten sich Künstlerinnen gegen die ihnen so lange vorgeschriebenen Rollen. Ihre Waffe: die Kamera. Die feministische Aussage »Das Private ist politisch« markierte auch in der Kunstgeschichte einen perspektivischen Shift. Gabriele Schor, Kuratorin der Ausstellung »Feministische Avantgarde. Kunst der 1970er-Jahre« mit Werken der Sammlung Verbund, meint: »Diese Künstlerinnen haben die Scheu davor abgelegt, zu sagen: ›Ich gebe meiner privaten Situation das Gewicht, dafür eine gesellschaftspolitische Dimension zu behaupten. Und insofern gebe ich ihr auch einen Wert, als Thema für die Kunst verarbeitet zu werden.‹ Dadurch haben sie in der Kunst ein völlig neues Bild der Frau geschaffen.«

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entstandene, feministische Fotografie. Immer mehr weibliche Künstlerinnen begannen ihre von gesellschaftlichen Erwartungen geformte soziale Situation fotografisch zu verarbeiten. Noch nie zuvor in der Kunstgeschichte bildeten sich Frauen in dieser Menge und Nachdrücklichkeit selbst ab und eroberten sich so ein Stück weit die Deutungshoheit über die Darstellung von Weiblichkeit zurück. 1975 popularisierte die Filmemacherin und -kritikerin Laura Mulvey in ihrem Essay »Visual Pleasure and Narrative Cinema« den Begriff Male Gaze, den männlichen Blick auf den weiblichen Körper als Objekt, die Darstellung der Frau zur Maximierung der männlichen Schaulust. Der Male Gaze wurde zum Zentrum der Auseinandersetzung für eine feministische Bildsprache. Von Picassos Malereien femininer Formen bis hin

Bei »Sling Shot Action« ließ Renate Bertlmann bei Adam und Eva in Form von zwei Sex-Gummipuppen die Luft raus.

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»Das Thema ist Feminismus, es geht um die Situation der Frau damals. Und da gibt es viele Aspekte: zum Beispiel Hausfrau, Ehefrau, Mutter, die weibliche Sexualität, oder sich generell eingeschränkt zu fühlen.« — Gabriele Schor

Reinhold Bertlmann, Renate Bertlmann / Bildrecht

Verfremdung und Widerständigkeit von Körpern sind wie hier bei Renate Bertlmann oft Themen der feministischen Kunst.

Fotografie und insbesondere das Selbstporträt wurden innerhalb der bildenden Kunst zum beliebtesten Tool der feministischen Kritik. Malerei ist beispielsweise eine langwierige Angelegenheit – gerade für die Dringlichkeit feministischer Themen. Die Präzision, das lange Trocknen: So ein Medium war nicht gut dafür geeignet, die narrative Struktur von Geschichten wiederzugeben, die feministische Künstlerinnen erzählen wollten. In der vierteiligen Fotoserie »Bügeltraum« der österreichischen Fotokünstlerin Karin Mack bügelt sie zuerst einen schwarzen Schleier, bis sie sich zuletzt selbst wie eine schwarze Witwe auf das Bügelbrett legt und so den Tod der Hausfrau ausruft. Fotografie bot die Schnelligkeit und Leichtigkeit, die feministische Künstlerinnen suchten. Zudem waren etabliertere Formen wie die Malerei traditionell ein so männerdomi-

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niertes Genre, dass Frauen mit der Fotografie ein Medium fanden, mit dem sie sich von der Männerwelt abgrenzen konnten. Sie hatten sich ein Ausdrucksmittel angeeignet, das sie weiblich besetzen konnten. Und die Stars ihrer Kunst waren sie selbst. Jahrhundertelang hatten Männer Frauen durch ihren Male Gaze hindurch dargestellt. Indem Künstlerinnen sich nun im Selbstporträt vor die eigene Linse begaben, eroberten sie sich den Blick auf den weiblichen Körper zurück.

Genitalpanik Valie Export sitzt mit gespreizten Beinen, Lederjacke und Maschinenpistole vor uns. Der Schritt ihrer Hose ist frei, ihre Vulva auf Augenhöhe der Betrachter*innen. Sie zwingt uns, hinzuschauen oder unseren ausweichenden Blick zu bemerken. Die Fotografien der Performance lässt sie als Poster in ganz Wien

plakatieren (sie werden sofort wieder abgerissen) und an verschiedene Ausstellungen schicken (sie werden wiederholt abgelehnt). Es dauerte lange, bis feministische Künstlerinnen ernst genommen wurden. Heute ist Exports Werk »Aktionshose: Genitalpanik« eine kunstgeschichtliche Legende und sie Pionierin der feministischen Avantgarde. Wiens Kunstszene wurde in den 1960ern von den sogenannten Wiener Aktionisten geprägt, einer Gruppe von Männern, die mit schmerzhaften, aggressionsgeladenen Akten gegen sich selbst auf die Gewaltbereitschaft der Menschheit aufmerksam machen wollte. Frauen wurden hierbei nur als Statistinnen benutzt. Aus dieser Szenerie entstammt die Linzer Künstlerin Valie Export (bürgerlich: Waltraud Stockinger) und sie sorgt mit ihren provokanten, feministischen Performances, die sie mittels Fotografie festhält, rasch für

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Genau wie Valie Export nutzten viele feministische Künstlerinnen den eigenen Körper als Medium der Kritik. Die Nacktheit nahm dabei eine sehr wohl umstrittene, aber zentrale Rolle ein. Ihre nackten Körper als Form des Protests zu verwenden, reiht sich hierbei in die jahrhundertealte Tradition von Frauenbewegungen ein. Die »Nackte Demonstration« von Fabrikarbeiterinnen in Südkorea im Jahr 1976 und feministische Aktivistinnen, die vergangenen Juli in Spanien mit nacktem Oberkörper gegen die Verwendung einer faschistischen Hymne protestieren, sind nur zwei von vielen Beispielen, in denen Nacktheit eine zentrale Rolle für politischen Widerstand spielt. Sich nackt oder halbnackt zu fotografieren, ist eine Form der Selbstbestimmung und Kontrolle über die eigene Sexualisierung, die den Frauen lange Zeit von Männern weggenommen wurde und immer noch wird. Mit scharfen Nieten besetzte Brüste, spitze, lange Finger, die mit Kondomen überzogen sind, geneigte Phalli über einem Konferenztisch – auch die feministische Wiener Fotografin Renate Bertlmann findet ihre künstlerische Stimme in Haut und Körperlichkeit. Ihre

Im experimentellen Biopic »Amy!« von Laura Mulvey und Peter Wollen wird der voyeuristische Blick zurückgeworfen.

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diese provokativ und zynisch nach. Auf analogem Film schlüpften sie wie Schauspielerinnen in all die unterschiedlichen Rollen, die sie in der Gesellschaft spielen mussten. Doch auch wenn so ein kleines Gerät wie eine Kamera, so einen großen Unterschied für die Lebensrealität von Frauen machte, darf nicht vergessen werden, dass es sich hierbei trotzdem um einen feministischen Kampf handelt. Frauen stellten sich nicht einfach vor die Linse, drückten den Selbstauslöser und wurden dann plötzlich als den männlichen Kollegen ebenbürtige Künstlerinnen respektiert. Sie mussten sich selbst organisieren, bis sie ernst genommen wurden. Die Gründung von Magazinen und Organisationen sowie die selbstständige Planung von Ausstellungen waren essenzielle Bausteine eines feministischen Fundaments, das österreichische Fotografinnen bauten, um sich von sexistischen Darstellungen und traditionellen Rollenbildern befreien zu können.

Späte Wertschätzung Obwohl die Werke von Pionierinnen wie Export, Bertlmann und Jürgenssen in künstlerischer wie politischer Hinsicht den Kunstdiskurs stark prägten, bleibt Anerkennung dafür auch heute noch weitgehend aus. Das ändert sich langsam – aber sicher. Es werden Ausstellungen zu feministischen Künstlerinnen kuratiert, Werkkataloge und Essays befassen sich mit der Arbeit von Frauen. Und sogar in der bekannten Netflix-Serie »Sex Education« gibt es mit Aimee eine Protagonistin, die sich von den Werken feministischer Fotografinnen inspirieren lässt. Auch Schor sieht aktuell eine gesellschaftliche Neugierde: »Die jetzige Generation wächst quasi damit auf, dass vieles schon erforscht wurde. Trotzdem gibt es immer noch ein Interesse weiterzuforschen.« Feministische Werte sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wir können gespannt sein, was die nächsten Jahre und Jahrzehnte der Forschung noch so offenbaren werden. Mira Schneidereit, Helena Peter

Dem filmischen Werk von Laura Mulvey widmet sich bis 8. Jänner 2024 eine Retrospektive im Filmmuseum. Arbeiten von Birgit Jürgenssen sind bis 14. Jänner 2024 Teil der Ausstellung »On Stage – Kunst als Bühne« im Mumok. Die Ausstellung »Renate Bertlmann: Fragile Obsessionen« ist noch bis 3. März 2024 im Belvedere zu sehen. Valie Export wird im Rahmen der Kulturhauptstadt 2024 im Salzkammergut mit neuen Projekten vertreten sein.

Laura Mulvey / Peter Wollen

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Nacktheit als Revolution

Fotografien sind Bilder einer Frau, die sich aktiv gegen gesellschaftliche Instruktionen stellt. Einer Frau, die sich sozialen Normen nicht zum Komfort anderer beugt, die keine Angst hat im Weg zu stehen. Der Kampf gegen sexistische Rollenbilder wurde jedoch nicht nur durch das Zurschaustellen nackter Haut ausgetragen. Oft wurden genau diese Stereotypisierungen als Stilmittel feministischer Selbstporträts benutzt: Im Werk »Hausfrauen – Küchenschürze« der österreichischen Künstlerin Birgit Jürgenssen blickt diese mit einem stoischen Ausdruck frontal in die Kamera. Um ihren Nacken hängt, wie eine Schürze, ein merklich schwerer Herd, der sie mit seinem Gewicht Richtung Boden zieht. »Das Thema ist Feminismus, es geht um die Situation der Frau damals. Und da gibt es viele Aspekte: zum Beispiel Hausfrau, Ehefrau, Mutter, die weibliche Sexualität, oder sich generell eingeschränkt zu fühlen«, erläutert Kuratorin Gabriele Schor. Inspiriert von den überzeichneten, kommerziellen Frauenbildern der (ebenso männerdominierten) Pop-Art, die zu diesem Zeitpunkt am Höhepunkt ihres Erfolges war, nahmen feministische Fotografinnen Fotos aus hochpolierten Verkaufskatalogen oder Lifestyle-Magazinen zum Vorbild und stellten

Special Fotografie

Aufregung. Als die Künstlerin mit einer Box vor den Brüsten und der Aufforderung, man solle doch hineingreifen, durch Wiens Straßen spaziert, ist die mediale Empörung groß. Ihr »Tapp- und Tastkino« sorgt für so viel Tumult, dass dessen Präsentation bei einer Preisverleihung zu einer regelrechten Schlägerei ausartet. Es war der »erste mobile Frauenfilm«, eine wie so oft sarkastisch verpackte Kritik unter Aufopferung des eigenen Körpers.

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Fotografin (fotografiert von Magdalena Chan) »Statisch, symmetrisch, weich, bunt, ein bisschen surreal und verträumt vielleicht«, beschreibt Luca Celine Müller ihren Stil. Die Fotografin ist Teil der Klasse »Angewandte Fotografie und zeitbasierte Medien« an der Angewandten. Auch wenn sie dadurch mit einem Fuß solide in der Kunstwelt verankert ist, taucht sie mehr als nur eine Zehe vom anderen in diverse Auftragsarbeiten. Von Mode, über Porträts bis hin zu Events reicht da die Bandbreite. Zwischen Fotografie als Handwerk und Fotografie als Kunstform sieht sie dabei keinen Widerspruch: »Ich habe das Gefühl, dass jede Kunstform eine Art von Handwerk benötigt. Ich finde es spannend, dass der Fotoapparat auch ein Arbeitswerkzeug ist. Ich mag es, Dinge mit meinen Händen zu tun, eine Kamera in der Hand zu haben, vielleicht einen analogen Filter vor die Linse zu halten. Trotzdem sehe ich den Output als Kunstform.« Und auch in Bezug auf die fotografische Technik vereint Müller zwei Welten: »Digital ist für mich im Workflow für Aufträge und Projekte einfacher, aber ich würde niemals privat mein Leben und mein Umfeld digital festhalten. Alles, was privat passiert, wird bei mir analog fotografiert. Es fühlt sich irgendwie authentischer an, und da muss ich nichts nachbearbeiten, damit ich ein Foto schön finde.«

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Special Fotografie

Magdalena Chan

Fotografin/Künstlerin (fotografiert von Luca Celine Müller) Die Shootings von Magdalena Chan finden häufig draußen statt. Sie schätzt daran unter anderem die Spontaneität: »Fotografie ist outdoor sehr von anderen Faktoren beeinflusst wie dem Wetter, der Laune der Modelle und meiner physischen Condition. Outdoor-Shooten hält manchmal kleine Abenteuer bereit.« Wenn sie schlussendlich auf den Auslöser drücken kann, sei das für sie aber »der schönste Moment«. Und das, obwohl ihre Arbeit dann meist noch nicht zu Ende ist. Denn Chan legt sehr viel Wert auf Postproduktion. Hierdurch sowie durch Filter und ähnliche Aufnahmetechniken wirken ihre Fotografien oft malerisch. Für die Zukunft der Fotografie – und anderer visueller Medien – wünscht sie sich vor allem mehr Diversität: »Die Dekonstruktion des ›white male‹ als Prototyp ›Mensch‹ ist längst überfällig.« Ganz prinzipiell sieht sie nach wie vor ein Verlangen, die Normen der Vorgänger*innen zu brechen. In ihren Kreisen beobachte sie vermehrt eine Tendenz zur Aufhebung weißer Schönheitsideale und zur Beschäftigung mit Ökologie sowie mit politischen und sozialen Konflikten. Dabei reflektiert sie auch, dass ihr eigener Blick bestimmt ist durch ihre Perspektive als »in Zentral­ europa aufgewachsene weiße Frau, die innerhalb einer Kunstinstitution schaffend ist«.

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Special Fotografie The_Gap_202_Story_FIN_BBA_red-BF_mf.indd 42

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Nicole Toferer

Künstlerin (fotografiert von Costanza Brandizzi) »Oft habe ich das Gefühl, dass die vorgegebenen Formate auf Instagram sowie der Algorithmus einschränken und dass die gezeigten Kunstwerke in einer überflutenden Bilderwelt untergehen«, erläutert Nicole Toferer ihre Kritik an der Plattform. »Wie man sich und seine Arbeiten dort präsentiert, erfordert auf jeden Fall viel Überlegung. Mit der Gefahr, dass die Werke aus dem Kontext gegriffen werden. Gerade Instagram und Facebook arbeiten mit unüberlegter und voreiliger Zensur, die es Kunstschaffenden erschwert, all ihre Werke auch wirklich präsentieren zu können.« Gleichzeitig erlaube der freie Zugang heutzutage jedoch auch Menschen Anteilhabe an und Repräsentation in Fotografie, denen dies früher nicht möglich war. Den roten Faden für Toferers eigene Arbeit bilden gesellschaftskritische Thematiken, eine Auseinandersetzung mit Körpern und die Schnittstelle zwischen Mensch und Natur. Obwohl Fotografie für sie nach wie vor der Ausgangspunkt ist, arbeitet Toferer mittlerweile vermehrt interdisziplinär und integriert Objekte, organische Formen und Materialien sowie Performances: »Ich befinde mich in einem stetigen Prozess der Veränderung und des Experimentierens. Ich benutze Kunst gerne als Vorwand, um mich mit Themen längerfristig auseinanderzusetzen, Materialien auszuprobieren und mich in Situationen zu begeben, in denen ich sonst nie gewesen wäre.«

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Costanza Brandizzi

Künstler*in (fotografiert von Nicole Toferer) Fotografie ist nicht das einzige Medium, mit dem Costanza Brandizzi arbeitet. Fotograf*in greift also zu kurz, Künstler*in trifft es eher: »Fotografie war lange etwas sehr Persönliches, das ich für mich und eher losgelöst von einem künstlerischen Anspruch verfolgt habe. Es kam aber öfters vor, dass ich Motive, die ich abfotografiert hatte, in meine malerischen Arbeiten übertrug. In den letzten Jahren habe ich mich mehr mit Fotografie als künstlerischem Medium auseinandergesetzt und sie somit in meiner Praxis stärker in den Fokus gerückt.« Denn Fotografie habe für Brandizzi einen besonderen Reiz, der einerseits in der Unmittelbarkeit der fotografischen Aufnahme, andererseits in ihrer Bearbeitung liegt: »Das fotografische Material übertrage ich z. B. auf Latex oder Plastikfolien. Es wird so lang bearbeitet, bis sich ein zusammenhängendes Spiel aus Motiv und Material ergibt. Im Atelier kann ich meine Fotografien losgelöst vom persönlichen Kontext betrachten und neu verknüpfen.« Diese Arbeitsweise erfordert jedoch Zeit, und sich Zeit nehmen zu können, erfordert Geld: »Da ich noch nicht von meiner künstlerischen Arbeit leben kann, bin ich darauf angewiesen, eine andere Einnahmequelle zu haben. Es ist schwierig, dass das meine Ressourcen nicht komplett einnimmt.«

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DRAMA — ARAD DABIRIĆ

DRAMA, BABY! Für Arad Dabiri läuft es momentan ausgezeichnet. Sein Debütroman »Drama« wird allerorts gelobt und auch sein erstes Bühnenstück »Druck!« wurde vor Kurzem präsentiert. Mit dem Dramolett »reality check!« gibt der Wiener Autor The-Gap-Leser*innen Einblick in seine Sprachwelt.

REALITY CHECK! wien – erster bezirk – ein teures loft im dachgeschoss.

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also: dastehen im begehbaren kleiderschrank, zwischen panik und orientierungslosigkeit. es folgt: einer meiner vielen zusammenbrüche. und ihr seid zeugen davon. sorry not sorry. ja, eigentlich ist es gar nicht mal so schwer. dieses dilemma gar kein so großes. abends dort auftauchen, sich nicht verstellen, man selbst sein, oder eine der vielen versionen davon. dann wäre alles auch schon wieder vorbei. stattdessen? gedanken machen über auftritt und wirkung. ja, die verfickte oberfläche. diese veranstaltung, mit diesen leuten, heute abend. da ist wer. die sind w e r. zumindest in dieser kleinen bubble, in der man sich seit dem erfolg bewegt. ja, also weiterkramen, durch all die modekleidungsstücke, durch all die dinge, die vor gar nicht mal so langer zeit gar nicht mal so wichtig waren. neuen luxus voll auskosten. that’s life baby. aus dem augenwinkel: an der bettkante, sicherheitsabstand, kennt ja das zusammenspiel aus psychose und mir. trotzdem dableiben, trotzdem: mich als einzige verstehen. that’s love baby. SIE: du bist so ein narzisst! ups. einfach überhören, weitermachen: baumwolle oder leinen, mohair oder kaschmir. ganz sicher kein polyester, lange genug dafür gekämpft, keine ekelerregenden kunstfasern mehr zu tragen. ICH: vielleicht gehe ich nicht hin. SIE: aber du musst. ICH: was muss ich? gefeierter autor, migrantentraum, von armut zu glanz. ich bin ein star! SIE: stirb doch in deinem glanz. ICH: wow, drama.

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SIE: selbstgeschaffen. ICH: nein, da werde ich reingedrängt! SIE: inszenier dich einmal nicht selbst, sei einmal nur echt. ICH: und dann? SIE: und dann ist alles nur halb so schlimm. kurze pause, kein durchwühlen der kleider, keine hektischen bewegungen. SIE: es ist nur ein wertloser abend, und du machst draus diese riesige tragödie. uns geht es gut, aber du treibst dich in die tristesse. aua, aua, aua. aber mein gott, SIE hat ja auch recht, spuckt die bittere wahrheit auf den süßen boden unserer millionenschweren immobilie. die welt frisst sich selbst auf, und wir machen uns gedanken über kultur. über einen einzigen abend, eine einzige veranstaltung. so sind wir eben, das ist unser leben. wild umherreisen: lesungen in berlin, intellektuellendreck in paris, konzerte im wembley-stadion, ausstellungen im moma, modeschauen in mailand. doch liebe schenkt uns dort ja wirklich niemand. a sad, sad story – aber eben unsere geschichte. ICH: dann gehe ich nackt. SIE: gute idee. ICH ziehe mich aus. SIE zieht sich aus. jetzt wird es richtig albern. ICH: jetzt wird es richtig albern. und ihre mundwinkel zeigen zum ersten mal etwas anderes als: abscheu. SIE: schön, dass du es auch merkst. ICH ziehe mich wieder an. SIE zieht sich wieder an. hilft alles nichts, also: doch wieder hektik. um das überteuerte mahagoni-bett kreisen, in meiner freizeitjeans kramen, einer von nur fünfhundert exemplaren, unter hohen importkosten eingeflogen. keine spur von den zigaretten.

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erschöpfung, qual, frust. topf – deckel, schach und matt. pull me out of this, bitte.

erleichterung: gelbe american spirits, goldenes zippo, rauchen in unserem schlafzimmer.

Anna Radaschütz

ICH: ich habe sonst nichts zu erzählen. SIE: das ego bringt uns um. ICH: das ego treibt uns um. SIE: laut leben, aber leise gehen: das steht uns bevor. ach, was können wir schon dafür, hm? wir passen uns nur an. sie wollten uns nicht, versuchten uns loszuwerden, abzuschieben. doch jetzt sind wir nun mal da. eine lange reise, die nahrungskette entlang, jetzt ganz oben: gute karten, endlich mal. und das haben wir mit dem geschafft, was wir können, wohlgemerkt: mit dem einzigen, was wir können. etwas zutiefst menschliches, etwas zutiefst natürliches: ja, wir erschaffen. nur haben wir dabei das menschsein verloren. ICH mehr als SIE. aber trotzdem teilen wir uns diesen neuen standard, hier, im dachgeschoss, am karlsplatz, im loft, flying high, über den wolken, fucking uppereast-side-type-of-money eben. wieder in richtung kleiderschrank. der boden knarzt, schmerzende füße. jeder schritt, jedes knarzen: symbol für die, die für unseren wohlstand leiden mussten: hauptsächlich wir selber. aufgeopfert für so etwas wie kultur, unsere leben öffentlich zugänglich gemacht in büchern und theaterstücken. nackt gemacht, und wofür? denn sieht man die straße hinunter, dann ist da der eigentliche puls der stadt, die eigentliche hauptschlagader. nicht hier oben, nicht in unserer isolation. wir hier oben sind nur die aneurysmen, die tödlichen schläge, die schlechten werte, wir hier oben: verderben doch nur das blutbild dieser stadt. das smartphone, natürlich das neueste modell, schallt durch das ganze schlafzimmer.

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Zur Person Arad Dabiri wurde 1997 in Wien geboren und wird von dort auch nicht wegziehen – so der Autor, den der akademische Zwang in ein Studium der (Vergleichenden) Literaturwissenschaft trieb. Für Aufmerksamkeit sorgte im März 2023 sein Debütroman »Drama« (Septime Verlag), der für den Franz-Tumler-Preis nominiert war und zuletzt als bestes Debüt beim Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Darin schildert ein Ich-Erzähler einen 24-stündigen rauschhaften Streifzug durch den Wiener Untergrund. Dabiri beherrscht aber auch die dramatische Form. In enger Kooperation mit den Wiener Wortstaetten entstand sein erstes Theaterstück »Druck!«, das im November in einer szenischen Lesung im Theater am Werk präsentiert wurde.

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ICH: es soll mir einfach niemand etwas andichten können. SIE: sei taub und blind. ICH: im rampenlicht. alle augen auf mich. aber unsichtbar will ich sein! SIE: du hast dich für dieses leben entschieden. ICH: meinungen, meinungen, meinungen. urteile auch noch! SIE: anonymität geht verloren auf dem weg nach ruhm. ICH: ich gehe verloren auf dem weg nach ruhm. SIE: du hast es in der hand. ICH: es geht um text, nicht um mich. SIE: du bist aber auch der text. ICH: ich stehe außen. SIE: dann schreib doch mal einfach etwas, wo es nicht um dich geht. ICH: worum soll es sonst gehen? SIE: um alles andere.

rangehen, schweigen, nur zuhören. die andere seite legt auf. der erste bezirk wird still. vor die bettkante bewegen und fallenlassen. ICH: abgesagt. SIE: abgesagt? ICH: verschoben, auf morgen. mit beiden händen mein gesicht umfassen. SIE: und, war es das ganze wert? wäre dies tatsächlich ein theaterstück, dann würde nun der vorhang fallen, vielleicht gäbe es applaus, für den reality check, für die ehrlichkeit, die schonungslosigkeit. aber erbarmt euch nicht. morgen heißt es ja dann doch: wieder auftauchen, theater spielen, inmitten der aasgeier an sektgläsern nippen. und wien bleibt sowieso pessimistisch. ist klar, denn: was macht es noch für einen unterschied? wir spielen das spiel: bis wir an einem dieser abende tot umfallen.

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1 »Peeping Tom – Augen der Angst« Michael Powells legendärer Psychothriller mit Karlheinz Böhm (»Sissi«) als Serienkiller, der die Morde an seinen weiblichen Opfern mitfilmt, erscheint in aufwendig restaurierter Fassung. Inklusive Einführung von Martin Scorsese. Ab 25. Jänner im Handel. Wir verlosen zwei Blu-Rays und eine 4K-UHD.

2 Freitag F670 Warren Seit geraumer Zeit kombiniert Freitag bei einigen seiner Taschenmodelle die bewehrten ausgedienten LKW-Planen mit einem Stoff aus recycelten PET-Flaschen. So auch bei diesem mittelgroßen CrossbodyBag im reparaturfreundlichen Design. Um 160 Euro im Handel erhältlich. Wir verlosen ein Exemplar.

3 Stefanie Sargnagel »Iowa – Ein Ausflug nach Amerika« Ein USA-Reisebericht von Stefanie Sargnagel? Ganz genau. Mit gewohnt schonungslosem Humor und doch voller Empathie nähert sich die Autorin dem ländlichen Amerika an. Inklusive korrigierender Fußnoten von Christiane Rösinger. Ab 19. Dezember im Handel. Wir verlosen drei Exemplare.

4 »Oppenheimer«

5 Clemens Marschall »Tatort Wien – Verbrechen, Mord und Totschlag« Historischen Kriminalfällen im Wien der Nachkriegsjahrzehnte widmet sich Clemens Marshall in seinem neuesten Buch. Vom Mörder mit dem Maurerfäustl über den Hackenattentäter bis hin zur Mörderin mit dem Fleischwolf. Ebenso fesselnd wie schauderhaft. Wir verlosen drei Exemplare.

6 »Five Nights at Freddy’s« Regisseurin Emma Tammi hat das gleichnamige Survival-Horror-Game als Film aufbereitet. Darin muss der neue Nachtwächter (Josh Hutcherson) feststellen, dass sich sein Job in einer verlassenen Pizzeria alles andere als ruhig gestaltet. Ab 11. Jänner im Handel. Wir verlosen zwei DVDs und zwei Blu-Rays.

7 »The Raw Stuff – Volume III« Musik-Artworks und Gig-Poster-Designs von 32 Illustrator*innen aus zwölf europäischen Ländern versammelt der dritte Band von »The Raw Stuff«. Mit Arbeiten für Acts aus den Genres Rock, Metal, Punk, Doom, Stoner und Psychedelic. Zusammengestellt von Tom Gasperlmair. Wir verlosen drei Exemplare.

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Hersteller*innen (6), Freitag / Oliver Nanzig

Julius Robert Oppenheimer gilt als »Vater der Atombombe«. Regie-Koryphäe Christopher Nolan nimmt uns mit in die Gedankenwelt des US-amerikanischen Physikers und bringt Cillian Murphy in der Hauptrolle auf Oscar-Kurs. Großes Kino! Wir verlosen zwei DVDs und eine Blu-Ray.

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Endless Wellness

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Was für ein Glück — Ink Music

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Franziska Barcsay

Hersteller*innen (6), Freitag / Oliver Nanzig

Rezensionen Musik

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Die Anzahl der Chancen für einen ersten Eindruck kannst du an einem Finger abzählen. Und wenn du da mit »An manchen Tagen will ich sterben / An anderen lieber nicht« daherkommst, dann machst du gleich einmal einen mächtigen. Vor allem, wenn’s – auf deiner ersten Single wohlgemerkt – direkt um dein Spatzi geht, gleich noch einen mächtigeren. Endless Wellness haben also nicht nur einen super Namen, sondern auch offenbar super Themen. Dass du da hochgelobt wirst, von Anfang an – wer kann’s den Lobenden verdenken? Dass sie der Band in den kleinen Lokalen am Wiener Gürtel die Bude einrennen, ist nur so konsequent wie ein Vertrag beim Indie-Riesen Ink Music. Wenn nun nach eine paar Singles, die wirklich immer sehr schön und sehr sloganesk dahergekommen sind, ein Album ansteht, ist ein bisschen Vorsicht geboten. Weil sich dann die Frage stellt: Schaffen sie es auch auf langer Strecke? Wer jetzt zu lesen aufhören möchte, der*dem sei gesagt: »Ja, schaffen sie!« Wer noch ein paar Silben in seine Aufmerksamkeitsspanne reinquetschen kann, der*dem sei weiters gesagt, dass die erst 2021 gegründete, aber mit großer Freundschaftsromantik arbeitende Salzburger Gruppe rund um Philipp Auer vielleicht die größte Indie-Rock-Hoffnung der diesbezüglich recht ausgetrockneten heimischen Musiklandschaft sein dürfte – und das auf ihrem Debüt auch ordentlich untermauert. Das ergibt häufig recht bierseligen Folkrock mit ordentlichem Bleifuß auf dem Fuzz-Pedal und tatsächlich fast durchgängig äußerst tanzbaren Indierock, dazu gute Messages und Lines. Die brauchst du eben auch. Konsequenterweise natürlich überwiegend gegen das System, Post- und gleichzeitig Prä-Faschismus und die unselige Klimapolitik. Favorit: »Ich möchte kein Eisbär sein / Ich möchte eine Zukunft« im nicht an 80er-Anspielungen armen »Danke für alles«. Auch wenn der Sound insgesamt eher 90er ist – sofern du diese Einordnung zur Abwägung des Grades deines Abfeierns brauchst. Wenn Endless Wellness dann noch dazu mit dem schon angesprochenen »Hand im Gesicht« (Spatzi!) ein Song des Jahres gelingt, kannst du eigentlich nur mehr gratulieren. Gratuliere! (VÖ: 26. Januar 2024) Dominik Oswald

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Rezensionen Musik

Bon Jour

Chill-Ill

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Jetzt bringen Bon Jour also endlich ein Album raus – und nicht nur das! Das am schlechtesten gehütete Geheimnis der heimischen Musikszene wird auch gelüftet, nämlich, wer sich hinter den drei animierten Avatarköpfen verbirgt. Es sind Dodo Muhrer (ja, der von The Makemakes) Mario Fartacek (Teil von Mynth, Good Wilson und Mitgründer von Assim Records) und Leo-Constantin Scheichenost (in letzter Zeit vor allem mit der Brauerei Brauton aufgefallen). Doch vor der Offenbarung ihrer Identitäten sind sie noch über ein Trio hinausgewachsen. Nun sind auch Omar Abdalla (Siamese Elephants), Julian Pieber (ebenfalls Good Wilson), Singer-Songwriterin Amelie Tobien und Giovanna Fartacek (aka Berglind und die zweite Hälfte von Mynth) mit dabei. Ein wahres Stelldichein der österreichischen Indie-Szene. Kein Wunder also, dass das Debütalbum so heiß erwartet wurde, denn ein Debüt ist es eigentlich für niemand hier. Und die Erwartungen schienen zu halten. Radio-Airplay war gut, ChartsPlatzierungen konsistent, Shows gut gefüllt. Wäre da nicht ein kleines Problem: Alle Tracks auf der Platte hören sich ein bisschen, naja, gleich an. Funky Beats, darüber Vocals in leichter Kopfstimme, hier ein synthy Keyboard, da ein cooles Bass-Riff, dort hallende Background-Vocals. Alles natürlich ausgezeichnet produziert, wie das bei den Involvierten zu erwarten war. Das funktioniert als Pop im Radio, auf Konzerten und auch ausgezeichnet als Singleauskoppelung so hier und da zum Drüberstreuen in der Playlist. Aber als ganzes Album, intensiv gehört, wird das schnell, naja, fad. Was schade ist, weil da sind schon einige Banger drauf auf der Scheibe. »Blue Moon« ist ohnehin bekannt super. »All I Know« ebenfalls – und eine starker Opener. »Timebomb« sorgt mit rockigeren Akzenten für ein kurzes Aufmerken im zweiten Teil des Albums. Auch langsamere Nummern wie »Cœur« haben durchaus etwas für sich. Deswegen wünsch ich mir bald »Chapter 2« und dafür etwas mehr Plan, etwas mehr Experiment, etwas mehr Abwechslung. (VÖ: 24. November) Bernhard Frena Live: 23. April 2024, Wien, Flex — 25. April 2024, Linz, Posthof — 26. April 2024, Salzburg, Rockhouse — 27. April 2024, Graz, PPC

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Raum & Zeit

Mit »Raum & Zeit« präsentiert Chill-Ill ein mosaikartiges Album, das er in jahrelanger Kleinarbeit zusammengestellt hat. Dessen Entwicklung nahm nämlich schon vor einigen Jahren ihren Ausgang: Die Zeit der Pandemie wirkte bei Chill-Ill – wie bei vielen seiner Musikkolleg*innen – als Katalysator für Studioprojekte. So zog auch er sich damals in seine kreativen Hallen zurück, um weiter an Beats, Samples und feinfühligen lyrischen Gebilden zu basteln. Auf »Raum & Zeit« lädt uns der Musiker nun ein, in sein Raumschiff einzusteigen und seinen künstlerischen Kosmos zu bereisen. Die Themen auf dem 14 Tracks starken Album sind durchwegs vielfältig. Wir finden Liebessongs, Nummern über mentale Hochs und Tiefs, aber auch Tracks, die den Musikeralltag – vom Producen bis hin zu Bühnenerfahrungen – näher beleuchten. Das Motto lautet dabei, sich stets selbst treu zu bleiben und der Negativität mit einer positiven Attitüde entgegenzutreten. Chill-Ill liefert dabei aber keinen weichgespülten Kalendersprüche-Rap. Egal ob mit nationalen Features oder auf international geprägten Stücken in englischer Sprache, es findet stets eine Verschmelzung zwischen Lyrics und den Sample-basierten Boombap-Produktionen statt. Im feinen Mundart-Rap in einem gemütlichen Tempo entsteht so ein einheitlicher Guss. Das gelungene Storytelling im Text wird in den Beats, Samples und Cuts durch feine Stilelemente mitgetragen. Hier wird deutlich, dass Chill-Ill sowohl für die Texte als auch für die Beats verantwortlich war. Er navigiert dabei geschickt zwischen künstlerischer Zerrissenheit und einer tiefen Leidenschaft für Musik. Seine Texte reflektieren nicht nur die Lebensphilosophie als Künstler – Loyalität und Realness –, sondern auch die Kurzlebigkeit der modernen Zeit und den Wandel der Musikindustrie. In einer eindringlichen Auseinandersetzung mit globalen Ungerechtigkeiten thematisiert Chill-Ill auch Themen wie Armut und Krieg. Trotzdem gelingt es ihm, den negativen Vibes der letzten Jahre mit bemerkenswertem Optimismus entgegenzutreten und dabei Zuversicht, Empathie und Zufriedenheit zu vermitteln. (VÖ: 24. November) Ghassan Seif-Wiesner Live: 25. November, Wien, Chelsea

Paul Schütz, Kevin Schweighofer, Nico Hafner, Luca Celine

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Chapter 1: Growth — Bon Jour Records

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Paul Schütz, Kevin Schweighofer, Nico Hafner, Luca Celine

Rezensionen Musik

Bernhard Eder

Ja, Panik

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Mit »Golden Days« fügt Bernhard Eder seinem erstaunlichen Œuvre ein weiteres Kapitel hinzu. Das Album wurde von Max Perner, dem Schlagzeuger von Garish und Thees Uhlmann, koproduziert und gemischt. Auch bei Eder hält er die Sticks seit 15 Jahren in Händen und sitzt dort hinter seiner perkussiven Trutzburg. Mit zwei Ausnahmen auf »Golden Days«: Bei »Consequence« und »Impassable« bespielte Alex Kerbl (Leyya, Sharktank) die Drums. Mit Marlene Lacherstorfer, Julian Schneeberger sowie Ryan T. Carpenter sammelte sich weiteres illustres Personal aus Österreichs Musikszene um Eder. Für einen Großteil der Aufnahmen traf sich dieser mit seiner Band im Radiokulturhaus Wien. Die Chance ließ man sich als Musikant*innen nicht entgehen und spielte die Tracks gleich live ein. Bei »Nowayout« darf man der Band beim Improvisieren zuhören und man erahnt, wie breit gefächert Eders Formenvokabular ist. Er, der musikalisch auch schon am Burgtheater und am Salzburger Schauspielhaus gewirkt hat, erspielt sich hier mit seinen Kolleg*innen ein tonales Gemälde. Alles beginnt mit einem zarten Knistern, bevor mit melancholischen Klangfarben auf einen düsteren Gipfel geklettert wird. Dort wartet jazziges Tosen. Nach der Eruption löst sich die Dystopie in summender Stille auf. Das Highlight der Platte. »Golden Days« bleibt von Anfang bis Ende ein Ort des gedämpften Lichts, das mit beatlesesker Ästhetik in Noten gegossen wurde. Songwriter-Pop und Indie umarmen einander in trauriger Zweisamkeit und grooven dabei ihrem Fatum entgegen. In seinen Texten arbeitet Eder die letzten Jahre auf: Pandemie, Isolation, Rechtsruck und schmerzhafte persönliche Verluste sind die Themen eines im Tonfall dringlichen Albums. Damit spricht er wohl vielen aus der Seele. (VÖ: 2. Februar 2024) Tobias Natter Live: 5. Februar 2024, Wien, TAG — 22. Februar, Salzburg, ARGE Kultur — 23. Februar, Wörgl, Komma — 24. Februar, Innsbruck, Die Bäckerei — 16. März, Haag am Hausruck, Mülikoasahof

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Don’t Play with the Rich Kids — Bureau B Der letzte Song ist der Startpunkt, ist die – in Argentinien liegende – südlichste Stadt der Welt. »Alles fängt hier an / Hier stehen die Uhren still«, heißt es nämlich in »Ushuaia«, dem musikalischen Schlusspunkt von »Don’t Play with the Rich Kids«, dem neuen Album von Ja, Panik. Warum gerade noch vom Anfang die Rede war, wo es doch scheinbar bereits ums Ende geht? Andreas Spechtl, Texter und Sänger der Gruppe, hatte seine künstlerische Uhr gerade zwischenzeitlich angehalten, als ihm das Album gewissermaßen passierte – und er befand sich zu dieser Zeit eben in Argentinien. Dort fing also alles an, in diesem Fall: von Primal Scream und Konsorten beeinflusster Gitarrenrock, wie man ihn von den in Berlin beheimateten Musiker*innen schon länger nicht mehr gehört hat. »Ja, Panik topfit / Top Sound! Top Outfit!«, eine Zeile aus dem Einstiegssong »Lost«, mag zwar im ersten Moment selbstironisch klingen, der nach vorne drängende Sound vermittelt jedoch durchaus ein »topfittes« Gefühl. Falls sich dieses Adjektiv irgendwo so verwenden lässt, dann im Sprachuniversum von Ja, Panik, in dem so vieles möglich ist und sogenanntes Denglisch seine bestmögliche Verwendung erfährt. Und die rich kids? Die sind always sunkissed. Obwohl Stefan Pabst, Sebastian Janata, Laura Landergott und Andreas Spechtl auf dem Cover alles andere als sunkissed aussehen, nehmen sie sich da nicht ganz aus. Eigene Privilegien werden selbstverständlich mitverhandelt. So singt Spechtl in »Mama Made This Boy«: »Ich hab‘ gebraucht, um zu begreifen / Diese Mauer lässt sich nicht einreißen.« Außerdem lassen sich Systeme ja auch ganz gut von innen zerstören. Zum Beispiel mit Anti-Faschismus-Hymnen wie »Fascism Is Invisible (Why Not You?)«, deren Soundgewand sehr an Blur erinnert. Außerdem herauszuhören: Obwohl vieles in diese Richtung deutet, ist die Welt noch nicht am Ende. Auch am Ende der Welt nicht. Und schon gar nicht am Ende des Albums. »Die andere Welt, die möglich ist / Sie fängt, in unserem Hinterzimmer an.« (VÖ: 2. Februar 2024) Sarah Wetzlmayr

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Golden Days — Tron Records

Live: 10. April, Trafo, Jena — 11. April, Strom, München — 12. April, ARGEkultur, Salzburg — 13. April, Konzerthaus, Wien

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Termine Musik

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ANNA BUCHEGGER

Desertshore

30.01.2023

© Alex Gotter

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Das »Festival für abenteuerliche Musik und Gedanken« lädt Anfang Dezember für zwei Tage ins Volkstheater Wien ein. Bereits zum zweiten Mal versammelt Kurator Christian Morin eine eklektische Mischung aus Konzerten, Performances, Installationen, Talks und DJ-Sets. Headliner am ersten Abend ist die in Berlin lebende Australierin Kat Frankie mit ihrem Gesangsensembleprojekt Bodies (Foto). Als Main-Act am zweiten Abend erforscht Liraz iranische Popmusiktraditionen. 9. und 10. Dezember Wien, Volkstheater

ALTIN GÜN F

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23.04.24 GASOMETER

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FM4 Geburtstagsfest Anfang 2024 feiert FM4 nicht nur den eigenen 29. Geburtstag, sondern auch zwei Jahre unter der Ägide von Doroteja Gradištanac. Nach dem Chefinnenwechsel ist es zuletzt etwas ruhiger geworden um die ehemalige Ö3-Moderatorin. Beim Geburtstagsfest wird es hoffentlich lauter zugehen – und diverser als beim FM4 Frequency. Bei dem weist die erste Preview mal wieder eine unterirdische FLINTA*-Quote auf. Gut gefüllt wird die Ottakringer Brauerei jedenfalls sein. 27. Jänner 2024 Wien, Ottakringer Brauerei

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Termine Musik Lylit Spätestens seit sie für den Film »Eismayer« 2022 die Filmmusik beigesteuert hat, dürfte Eva Klampfer aka Lylit vielen ein Begriff sein. Als Solo-Artist zeichnet sie sich nicht zuletzt durch ihre Stimmgewalt aus. Irgendwo zwischen R&B und Jazz angesiedelt, aber immer voller Emotion und mit dem direkten Zugang einer Singer-Songwriterin. 1. Februar 2024 Wien, Konzerthaus

Anda Morts Erst im Dezember im Flex als Support von Salò, dann im Dezember im Rockhouse als Support von Sportfreunde Stiller und schließlich im April selbst als Headliner – presented by The Gap – wieder zurück im Flex. Eine Tour mit Buntspecht hat er ja auch schon hinter sich. Der Punkrocker aus Linz kommt rum. 9. Dezember Wien, Flex — 19. Dezember Salzburg, Rockhouse — 26. April 2024 Wien, Flex

Tanz Baby! »Tanz Baby! war eine österreichische Band aus Wien«, heißt es auf Wikipedia. Nicht mehr ganz up to date – oder zumindest unvollständig. Denn nicht mehr existierende Acts laden selten zu einer Comeback-Revue. Und Revue ist sicherlich der richtige Begriff für das Duo, dem es nie an Theatralik gemangelt hat. Also auf zu »Alternative-Herz-Schmerz mit Heimorgel« kurz vor Weihnachten! 19. Dezember Wien, WUK

Bernhard Frena

Cathleen Wolf, Samuel Kreuz, Helena Wimmer, Fynn Fix, David Kleinl, Wide Press, Michel Wuermer

Air Die Schnittmenge aus The Gap und OMV ist nicht besonders groß. Dass gerade Luft ein gemeinsames Interesse ist, hat auch uns überrascht. Also nicht Atemluft – daran hat eine der beiden Parteien vermutlich größeres Interesse –, sondern das französische Elektronik-Duo Air. Deren Auftritt in Wien wird nämlich von uns beiden unterstützt. Was für ein Venn-Diagramm! 27. Februar Wien, Konzerthaus

Siluh-X-Mess Etwas mysteriös hat uns Kunde von einem Event im Flucc Deck (d. h. oben) erreicht. Eine Whatsapp-Nachricht mit spärlichen Infos, die aber vielversprechend. »Siluh-X-Mess« steht da groß und eine Liste an Namen: Sophia Blenda (Foto). The Damski. Und »The Rich Kids (Karaoke Version)« – your guess is as good as ours. Dass es eine feine Sause wird, ist wohl nicht nur ein guess. 20. Dezember Wien, Flucc Deck

Anna Mabo

Lil Yachty

The Last Dinner Party

In der gleichen Reihe – »SingerSongwriter« – wie Lylit tritt schon im Dezember Anna Mabo mit Band und Gästen im Konzerthaus auf. Mabos neuestes Album verheißt Gutes für den Abend. Unser Autor Dominik Oswald urteilte: »Schunkeln ist zwar verpönt, wäre aber tatsächlich folgerichtig.« 5. Dezember Wien, Konzerthaus

Wirklich große amerikanische HipHop-Acts verirren sich recht selten nach Österreich. Auch im breiteren Mittelfeld schaut es nicht viel besser aus. Lil Yachty ist da zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber immerhin einer, der sich dieses Jahr einen neuen rockigeren Sound zugelegt hat. 17. Dezember Wien, Gasometer

Die Indie-Rock-Fraktion bei The Gap ist stark und ihre Quote muss erfüllt werden. Aber das kann auch schlimmer passieren als mit The Last Dinner Party. Der maximalistische Art-Rock der fünf Brit*innen klingt nämlich so gar nicht nach dem depressiven Sound vieler ihrer Landsmänner. 26. Februar Wien, Grelle Forelle

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Termine Festivals

3 Fragen an Johannes Grenzfurthner

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Co-Veranstalter Roboexotica

An wen richtet sich das »Festival für CocktailRobotik«? Was erwartet Besucher*innen? Mein Co-Veranstalter Günther Friesinger und ich sehen die Kernidee der Roboexotica, trotz aller Party, auch als eine Art Volksbildung: Menschen mit dem ironischen Versprechen einer robotischen Party zu locken, ihnen dann aber beinhart etwas über DIY, Technik, Wissenschaft und Philosophie zu erklären. Und dieser Trick funktioniert immer noch sehr gut. Bei der Roboexotica liegt der Fokus auf dem Flair, der Atmosphäre und der Persönlichkeit, die Roboter ausstrahlen können. Anstelle von Effizienz streben die Schöpfer*innen dieser Roboter danach, sie kultiviert und weltgewandt zu gestalten. Diese Grundidee ist seit der Gründung im Jahr 1999 ein zentraler Bestandteil des Events. Welche Roboter sind dir über die Jahre besonders im Gedächtnis geblieben? Zum Beispiel gab es eine Maschine, die Absinth über eine Distanz von 50 Metern, über das Publikum hinweg, in einen Auffangtrichter spuckte. Oder einen wunderbaren Eskalationsroboter, der per Gesichtserkennung versuchte zu erkennen, wer die betrunkenste Person im Raum war, um dieser dann ein Bier zu bringen. Oder einen Cocktailbrunnen für Hunde. Oder den Robomoji, die schönste und ineffizienteste Apparatur des Universums. Es dauerte 15 Minuten, um einen Mojito zu machen, und es war so laut, dass man sich daneben nicht unterhalten konnte, aber es war auch das schönste Werkl, das man sich vorstellen kann. Werden Roboter irgendwann Menschen im täglichen Barbetrieb ersetzen? Die Idee von Cocktails mixenden Robotern bei der Roboexotica fungiert als ironisch-spielerische Auseinandersetzung mit der Technologiewelt. wir stellen die Frage, wie Technologie unser Leben beeinflusst und inwieweit wir bereit sind, technologischen Fortschritt kritisch zu hinterfragen. Wir sind eben nicht Siemens, ganz im Gegenteil. Wenn unsere Apparate Menschen im Barbetrieb ersetzen sollten, dann haben wir grob was falsch gemacht. Roboexotica 14. bis 17. Dezember Wien, Kunsttankstelle Ottakring

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This Human World »International Human Rights Film Festival« nennt sich das This Human World, das bereits 2008 zum ersten Mal stattfand und seither den weltweiten Umgang mit Menschenrechten auf Wiener Kinoleinwände bringt. Festivalleiterin Carla Lehner betonte im Interview mit uns, dass es dabei aber nicht um einen rein cineastischen und künstlerischen Zugang zu Filmen gehe. Stattdessen stehen »die Geschichten, die Protagonist*innen und die Filmemacher*innen im Vordergrund. Wir versuchen, das Festival als Plattform zu nutzen, um Bewusstsein zu schaffen und Raum für Austausch und Diskussion zu geben.« Die Eröffnung macht »Les filles d’Olfa« von Kaouther Ben Hania, in dem zwei Schauspieler*innen die Leerstellen in einer Familie einnehmen. 30. November bis 10. Dezember Wien, diverse Locations

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Termine Festivals

Bereits zum elften Mal beschwört das Slash X-Mas dieses Jahr Weihnachtsgeister der etwas gruseligeren Art herauf. Unter dem Motto »Christmas is tough. We’re tougher« zeigt das blutigste Filmfestival Wiens zweimal weihnachtlichen Horrorspaß: zuerst amerikanische Familien und norwegische Fabelwesen in »There’s Something in the Barn« und anschließend mit »Silent Night, Deadly Night Part 2« einen Santa-Slasher. 14. Dezember Wien, Filmcasino

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, und ein gutes Gig-Poster oft mehr als 20 Pressetexte. Bei der Vienna International Gig Poster Show gibt es nicht nur gute Plakate zu sehen, sondern hervorragende. 14 Künstler*innen aus sieben Ländern werden im Projektraum des WUK vor Ort sein, um ihre Konzertposter für Bands wie Queens of the Stone Age, Beatsteaks, Melvins, Foo Fighters, Nine Inch Nails, Idles, Kadavar, Sleaford Mods, Swans, Mando Diao, Voodoo Jürgens und viele, viele mehr zu präsentieren. Ab 17 Uhr gibt es an beiden Tagen zudem Vorträge und Live-Siebdruck. 8. und 9. Dezember Wien, WUK Projektraum

Leading Ladies of Silent Cinema

Bernhard Frena

K-pachs / Wikimedia, Felix Vratny, Michael Hacker, Carolin Köpruner

Dass Filmgeschichte nicht Männersache ist, beweist das Filmarchiv in der mehrmonatigen Retrospektive, die sich den »Leading Ladies of Silent Cinema« widmet. Der dritte Schwerpunkt »Laughing Out Loud« kreist um die frühe Komödie und damit nicht zuletzt um Slapstick. Doch Tragik und Komik liegen nahe beieinander, gerade vor dem gesellschaftlichen Hintergrund der Stummfilmzeit. 15. Dezember bis 13. Jänner 2024 Wien, Metro Kinokulturhaus

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Vienna Gig Poster Show

Art on Snow Wer glaubt, Eisskulpturen seien nur etwas für Hochzeiten von Menschen mit zu viel Geld, sollte sich im Februar nach Gastein begeben. In den dortigen Skigebieten sowie in den Gasteiner Orten Dorfgastein, Bad Hofgastein und Bad Gastein werden coole Kunstwerke in Groß- wie Kleinformat zu bewundern sein. Die Bandbreite umfasst dabei Skulpturen, Foto-Ausstellungen, Malerei, Bildhauerei und innovative Multimedia-Installationen. 3. bis 9. Februar 2024 Gastein, diverse Locations

Winter Dance Festival

Feschmarkt Vorarlberg Schau wie fesch! Kurz vor Weihnachten gibt es in Feldkirch wieder mal allerlei außergewöhnliche Kreationen, Unikate und kreative Ideen abseits des Shopping-Mainstreams zu entdecken. Dann öffnet dort nämlich rund um das Pförtnerhaus die Vorarlberg-Ausgabe des beliebten Marktfestivals Feschmarkt seine Pforten. Wie gewohnt präsentieren sich Start-ups und Kleinproduzent*innen aus Bereichen wie Mode, Kosmetik, Möbel, Sport, Schmuck, Papeterie, Kunst, Kids, Delikatessen und Food. Darüber hinaus sorgt ein Rahmenprogramm für lebhaftes Marktgetümmel. 15. bis 17. Dezember Feldkirch, Pförtnerhaus

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Zentrum des Innsbrucker Tanzfestivals ist »Lagrima Negras«, die große erste Produktion der Limonada Dance Company unter Enrique Gasa Valga. Daneben werden aber auch eine Reihe anderer Events Tanzfreude in die Tiroler Landeshauptstadt bringen. Von Tanzworkshops über Ballettabende bis hin zu Dance-Sessions am Christkindlmarkt reicht die Palette. Das bringt Bewegung in die Tristesse düsterer Wintertage. 9. bis 18. Februar 2024 Innsbruck, diverse Locations

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Es gibt in der Mathematik, ergänzend zur euklidischen Geometrie, die sogenannte hyperbolische Geometrie. In dieser gibt es rätselhafte Dinge wie etwa parallele Linien, die konvergieren. Gleichzeitig folgen Strukturen von Salatblättern, Pilzen und Korallen ganz natürlich ihren Regeln. Inspiriert von der Forscherin Dr. Daina Taimina und angestoßen vom weltweiten Korallensterben, gründeten Christine und Margaret Wertheim das Projekt »Crochet Coral Reef«, das weltweit zum Häkeln hyperbolischer Strukturen einlädt und die Ergebnisse der zeitintensiven und experimentellen Arbeit gemeinsam mit wissenschaftlichen Einführungen ausstellt. So werden Annäherungen an die Natur und ihre (intellektuelle) Fähigkeit, an den Begriff der Zeit – der der Häkelarbeit wie der Entstehung der Korallenriffe zugrunde liegt – und an die gemeinsame Verantwortung gegenüber dem Planeten ermöglicht. bis 2. April 2024 Linz, Schlossmuseum

Österreichs größtes Korallenriff

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Termine Kunst

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Termine Kunst Ich bin anders, weil ich kann das Mit dieser Ausstellung bringt das Taxispalais Kunsthalle Tirol eine Reihe zu Ende, die sich mit dem Zusammenleben beschäftigt hat. Neben der Verschiedenartigkeit von Menschen, die oft an unterschiedlichen Körpern festgemacht wird, geht es auch um das Mit- und Nebeneinander ganz verschiedener Perspektiven innerhalb nur eines Körpers. Besonders prägnant drückt sich die Schwierigkeit, multiple Zugehörigkeiten in Einklang – oder zur Entfaltung – zu bringen, in der Songzeile des Wiener Hip-Hop-Duos Esrap aus, das der Ausstellung als Titel dient. bis 21. Jänner 2024 Innsbruck, Taxispalais Kunsthalle Tirol

Gestures of Archiving Heute erinnert ein rostbraunes Denkmal auf einer Wiese nahe Schwaz in Tirol an das Entnazifizierungslager, das hier nach Ende des Krieges für kurze Zeit stand. Genauso wie auch ein NS-Zwangsarbeitslager, ein Flüchtlingslager und Wohnstätte für Armutsbetroffene. Eine recht dürftige Form der Erinnerung. Die Ausstellung »Gestures of Archiving« geht Formen verantwortungsvoller Erinnerung in vielfältigen Kontexten nach – von der lokalen Wiese in Schwaz bis hin zu internationalen Erinnerungskulturen. bis 27. Jänner 2024 Schwaz, Kunstraum

Victor Cos Ortega Michael Maritsch, Esrap & Gasmac Gilmore, Verena Nagl / Kunstraum Schwaz, Simon Veres, Das weisse Haus, TBA 21 Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Kyle Knodell The_Gap_202_GewinnenRezisTermine_FIN_red-BF_mf_BBA.indd 57

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Erika Hock: Soft Curves Die Arbeiten von Erika Hock kommen zunächst ein als anachronistischer Formalismus daher. Durch ihre räumliche und plastische Präsenz bringen sie dann aber eine Facette mit, die unser körperliches, aber auch emotionales ImRaum-Sein erfahrbar macht. Konkret verspricht das eine Begegnung mit freihängenden Vorhängen, fadenzart im Material und modernistisch in der Farbpalette, sowie einem augenfälligen Pouf im Ausstellungsraum. Aber Vorsicht: open only by appointment. bis 27. Jänner 2024 Wien, Koenig 2 by Robby Greif

Sound Chamber »Reset« Klang hat eine ganz eigene Kraft. Das weiß nicht nur, wer Musik schätzt. Vier Künstler*innen sind diesem Potenzial in einer verdunkelten »Sound Chamber« auf der Spur. Es werden Bewusstseinszustände zugänglich gemacht, die im reizüberfluteten Alltag oft untergehen. Auf den Körper als Teil als Rezipient von Stimmungen und Rhythmen wird dabei genauso angespielt wie auf das Erinnerungs- und Vorstellungsvermögen, das von auditiven Eindrücken aktiviert werden kann. bis 27. Jänner 2024 Wien, Das weisse Haus

Ján Mančuška: Incomplete Movement Ganz im Gegensatz zum Kunstbegriff der klassischen Moderne, für die alles Farbe ist, ist für Ján Mančuška vielmehr alles Bedeutung. Diese hat eine grundlegend sprachliche Dimension und ist abhängig vom wahrnehmenden Ich sowie seiner Einbettung in räumliche und zeitliche Kontexte. In der ersten umfangreichen Ausstellung seines Werks in Österreich können wir uns nun dem Interesse des Künstlers am Zusammenhang zwischen der Sprache, den Dingen und uns nähern. bis 11. Februar 2024 Wien, FJK 3

Tishan Hsu: Recent Work 2023 Geboren 1951 in Boston, USA, hat Tishan Hsu die Entwicklung der Computertechnologie von Beginn an miterlebet. Künstlerisch verarbeitet er Veränderungen wie die Erweiterung des Körperbegriffs durch digitale Speicher- und Rechenmöglichkeiten. Dabei schwingt der Begriff des Fremden mit, der eine Parallele zu Hsus Aufwachsen als Sohn chinesischer Eltern in den USA bildet. Nach mehreren Jahrzehnten ohne größere Ausstellung werden Hsus (neue) Arbeiten jetzt von einer neuen Generation entdeckt. 1. Dezember bis 11. Februar 2024 Wien, Secession

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Termine Filme & Serien

3 Fragen an Voodoo Jürgens

Hauptdarsteller »Rickerl – Musik is höchstens a Hobby«

Regie: Chris Kraus ———— Für 15 Jahre saß die Pianistin Jenny von Loeben (Hannah Herzsprung) unschuldig im Gefängnis. Nun ist sie wieder auf freiem Fuß – und muss sich neu in der Welt orientieren. Sie sucht Halt im christlichen Glauben. Als sie herausfindet, dass ihre Jugendliebe unter dem Künstlernamen Gimmiemore (Albrecht Schuch) ein erfolgreicher Star wurde, will sie sich an ihm rächen – schließlich war er schuld an ihrem Martyrium. In einer TV-Talenteshow begegnet sie ihrem Peiniger. Doch ihr Wunsch nach Rache gefährdet ihre neue Beziehung. Chris Kraus liefert mit »15 Jahre« die Fortsetzung zu seinem von der Kritik gelobten Film »Vier Minuten« aus dem Jahr 2006. Er präsentiert eine Hauptfigur, die hin- und hergerissen ist – zwischen dem Drang nach Vergeltung und dem Wunsch, endlich loszulassen. Ein Film über die Höhen und Tiefen des Lebens. Start: 12. Jänner 2024

Zudem zeigt der Film die Welt der Beisln und Tschocherln. Inwiefern existiert dieses Wien noch? Die klassischen Beisln werden immer weniger und da gibt es viele Gründe dafür. Für uns war das auch ein Anlass, in diese Welt einzutauchen, in der es manchmal rough und doch auch sehr liebevoll zugeht. Ein Ort, wo Rickerl seinen Frust ertränken kann, aber auch unter Freund*innen ist und von seinen Problemen erzählen kann. Letztlich muss Rickerl zu sich stehen, um die Beziehung zu seinem Sohn zu retten und seine Musikkarriere weiterzubringen. Siehst du Parallelen zu deiner Karriere für kreative Visionen einzustehen? Der Film ist keine Biografie und trotzdem gibt’s natürlich Parallelen. Ich habe immer Musik gemacht, weil mir das einfach taugt. Ob man davon einmal leben kann, steht auf einem anderen Blatt. Bei mir hat es lang nicht danach ausgesehen. Die Geschichte, dass du nur hart genug arbeiten musst, und dann wird’s etwas, halte ich für eine Mär. Aber ein bisschen Biss schadet sicher nicht. »Rickerl – Musik is höchstens a Hobby« Start: 19. Jänner 2024

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Persona non grata Regie: Antonin Svoboda ———— 2017 berichtete die frühere Skirennläuferin Nicola Werdenigg von ihrer Vergewaltigung als 16-Jährige durch einen ÖSV-Kollegen. Bis heute engagiert sich die ehemalige Sportlerin in der Öffentlichkeit gegen sexuelle Gewalt und Missbrauch – auch entgegen aller Widerstände und Anfeindungen. Basierend auf ihrer Lebensgeschichte bringt Antonin Svoboda (»Immer nie am Meer«, »Drei Eier im Glas«) nun einen Spielfilm auf die große Leinwand: Gerti Drassl mimt darin Andrea, die von ihrem Nachbarn vergewaltigt wird. Die Gewalttat rüttelt Erinnerungen an eine frühere Vergewaltigung wach und daran, wie der ÖSV den Täter damals um jeden Preis schützen wollte. Nicola Werdenigg wollte mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit jungen Menschen Kraft geben, sich in so einem Fall mitzuteilen. Der Film zollt dieser mutigen Frau Tribut. Start: 26. Jänner 2024

Florian Lehner, Dor Film / West Four Minutes Filmproduktion / Wild Bunch Germany, Coop 99 Filmproduktion, Netflx, Home Box Office

Sowohl die Musik als auch die Orte des Films tragen dazu bei, die Essenz des Austropop einzufangen. Das war auch die Intention Adrian Goigingers. Was bedeutet Austropop für dich? Ich tue mir mit dem Begriff ja sehr schwer und sehe mich eigentlich nicht als jemand, der Austropop macht. Trotzdem spielt der Film mit dem, was man gemeinhin als Austropop bezeichnet. Es gibt viel Musik aus Österreich, die mir sehr taugt, und einiges davon taucht im Film auf.

15 Jahre

Barbara Fohringer

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Gemeinsam mit Adrian Goiginger hast du lange an der Charakterentwicklung der Figur Rickerl gearbeitet. Magst du diesen Prozess kurz skizzieren? Der Ausgangspunkt war die erste Platte und diese Lieder zu einem Film zu machen. Wir haben uns dann über Jahre im Kaffeehaus getroffen, Gedanken ausgetauscht und aufgeschrieben. Mir war wichtig, da ein bisschen Abstand zu Voodoo Jürgens reinzubekommen. Deshalb habe ich gesagt, dass ich der Figur Rickerl nur meine Lieder leihe und wir ihm einen Lebenslauf verpassen.

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Dead Girls Dancing Regie: Anna Roller ———— Drei Freundinnen (Luna Jordan, Noemi Liv Nicolaisen, Katharina Stark) reisen nach ihrer Matura durch Italien, um den Schulalltag hinter sich zu lassen und Abenteuer zu erleben. Bald treffen sie auf die mysteriöse Anhalterin Zoe (Sara Giannelli). Zu viert stranden sie in einem Bergdorf und beginnen die Grenzen ihrer Freiheit auszutesten. Anna Roller schafft es mit ihrem Debütfilm, das Innenleben junger Frauen authentisch darzustellen. Start: 8. Dezember

SO LÖFFELT ÖSTERREICH!

Priscilla Regie: Sofia Coppola ———— Seit ihrem Debütfilm »The Virgin Suicides« rückt Sofia Coppola die Lebenswelten von Frauen und Mädchen in den Fokus. Ihr neuestes Werk widmet sich Priscilla, der Frau an der Seite des Rockstars Elvis Presley. Als die beiden sich trafen, war sie erst 14 – und er 24. Auch sonst ist ihre Ehe von Ungleichheit geprägt. Basierend auf Priscilla Presleys Memoiren, erzählt der Film von einer Frau, die in ihrer Ehe gefangen ist. Start: 4. Jänner 2024

Fremont Regie: Babak Jalali ———— Donya (Anaita Wali Zada) musste aus Afghanistan flüchten. Nun arbeitet sie in einer Glückskeksfabrik, ist einsam und kann nicht schlafen. Als sie befördert wird, versucht sie, über eine Nachricht in einem der Glückskekse einen Freund zu finden. Daraufhin lernt sie den Autohändler Daniel (Jeremy Allen White) kennen. Babak Jalali zeigt, wie Menschen zueinander finden – ein zärtlicher Film für kalte Wintertage. Start: 5. Jänner 2024

vegetarisch

Smoke Sauna Sisterhood Regie: Anna Hints ———— Viele Frauen, viele Erlebnisse, viel Schmerz und viel Schönheit – und all das in der Sauna. Anna Hints rückt in ihrem u. a. bei der Viennale prämierten Dokumentarfilm die Geschichten verschiedener Frauen in den Fokus, die sich beim gemeinsamen Saunagang austauschen. Ein empathischer Film, der die Veränderungen im Leben einer Frau sowie weibliche Solidarität zum Thema macht – und den Frauen dabei mit Respekt begegnet. Start: 12. Jänner 2024

The Holdovers Regie: Alexander Payne ———— Alexander Paynes neunter Spielfilm »The Holdovers« spielt in einem Internat: Ein unbeliebter Lehrer (Paul Giamatti), ein aufmüpfiger Schüler (Dominic Sessa) und die Schulköchin (Da’Vine Joy Randolph), die gerade ihren Sohn verloren hat, sind – aus unterschiedlichen Gründen – während der Weihnachtsferien dort zurückgeblieben. Vergangenes muss überwunden und die Zukunft in die Hand genommen werden. Start: 25. Jänner 2024

Carol & The End of …

True Detective

Idee: Dan Guterman ———— Ein fremder Planet rast auf die Erde zu, damit sind die Stunden der Menschheit gezählt. Wie damit umgehen? Während alle dem Exzess frönen, hat die stille und stets angespannte Carol (Martha Kelly) so ihre Probleme damit, nun die – Pardon! – Sau rauszulassen. Als »Liebesbrief an die Routine« beschreibt Showrunner Dan Guterman (»Community«, »Rick and Morty«) »Carol & The End of the World«. Die Serie soll uns die Schönheit des Alltags verdeutlichen. ab 15. Dezember Netflix

Idee: Nic Pizzolatto ———— Eine lange Pause gab es für die beliebte Krimiserie »True Detective«, aber nun können sich Fans auf die vierte Staffel freuen: In dieser ermitteln Liz Danvers (Jodie Foster) und Evangeline Navarro (Kali Reis) – und zwar zum Verschwinden von acht Männern aus einer Forschungsstation. Die vierte Staffel ist die erste, die einen Untertitel hat (»Night Country«) und bei der Issa López (»Tigers Are Not Afraid«) als Showrunnerin das Sagen hat. ab 15. Jänner 2024 Sky

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Christoph Prenner

bewegen bewegte Bilder – in diesem Kompendium zum gleichnamigen Podcast schreibt er drüber

Screen Lights Let’s (not) talk about sex! Pressekonferenzen großer Filmfestivals erweisen sich ganz gern als Schauplätze aufsehenerregender Auftritte. Berauscht von der Premiereneuphorie wird hier zum Gaudium der versammelten Presse schon mal die eine oder andere kontroverse Botschaft losgelassen, die dann unverzüglich ihren Weg in die Welt antritt, um diese für die Bonmot-Beisteuernden im übelsten Fall für immer zu verändern (so long, Lars von Trier!). Da oben auf dem Podium kann so mancher wache Geist bisweilen aber auch zu pointierten Betrachtungen kommen – so wie Yorgos Lanthimos bei den Filmfestspielen von Venedig: »Es ist schon seltsam, oder?«, antwortete der griechische Regisseur (»The Favourite«) auf die Frage, warum die selbstbewusste Sexualität seines eben gezeigten neuen Werks viele so überrascht habe, und fuhr mit der konsequenten Folgefrage fort: »Warum gibt es keinen Sex mehr in Filmen?« Einerseits hat Lanthimos mit seiner Beobachtung durchaus recht – denn auch der durch MeToo endlich angestoßene Einsatz von Intimacy Coordinators am Set hat den Backlash gegen nackte Tatsachen auf der Leinwand keineswegs völlig zum Verstummen gebracht. Man denke nur an die wütenden Netzreaktionen auf einschlägige »anstößige« Szenen in Oppenheimer oder an eine aktuelle Studie der UCLA, wonach die Gen Z mit weniger Sex in Bewegtbildproduktionen gut leben könnte. Andererseits ist die Diagnose der NeoKeuschheit, die sich in Hollywood ausgebreitet zu haben scheint, vielleicht doch verfrüht, wenn man bedenkt, wie genüsslich Filme in den letzten Monaten die Geheimnisse des Fleisches zelebriert haben – etwa die ultra-explizite queere Ménage-à-trois in Ira Sachs’ »Passages« oder Chloe Domonts Erotikthriller »Fair Play«, der ein verpöntes Genre in der Gegenwart und im Feminismus hat ankommen lassen. Und dann ist da eben noch Lanthimos’ in Venedig mit dem Goldenen Löwen prämierter und auch sonst absolut ausgezeichneter Film »Poor Things« selbst, der in diesem Themenfeld noch mal ganz neue, aufregende Perspektiven aufwirft, die geeignet sind, der Diskussion um die Notwendigkeit von Sex auf der Leinwand zusätzliche Würze zu verleihen.

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So freizügig und schamlos wie dieser Film, der auf der Viennale zu sehen war und ab Mitte Jänner regulär in die Kinos kommt, war ein Hollywood-Studioprojekt schon lange nicht mehr. Ja, sie wurde tatsächlich vom konservativ-korrekten Disney-Konzern finanziert, diese Adaption einer Geschichte von Alasdair Gray, in der eine gewisse Bella Baxter (Emma Stone) von einem Wissenschaftler (halb Frankenstein, halb Frankensteins Monster: Willem Dafoe) von den Toten zurückgeholt wird – durch die Implantation des Gehirns ihres ungeborenen Kindes. Holy fuck! Dieser Eingriff geht freilich mit der Konsequenz einher, dass die (körperlich) erwachsene Frau wieder ganz bei Null anfangen und sich das sonst über Jahrzehnte angesammelte Lebenswissen im Zeitraffer abermals erarbeiten muss. Dazu gehört, neben dem erneuten Erlernen, wie man geht, spricht und sich in der Welt zurechtfindet, auch das (Wieder-)Erforschen der eigenen Sexualität. Ihre aufkeimende Faszination für das »furious jumping« wird bald von einem windigen Advokaten (Mark Ruffalo) missbraucht, der der bisher Eingesperrten die Welt zeigen will – mit besonderem Augenmerk auf deren Betten. Ihre Reise führt Bella schließlich in ein Pariser Bordell, wo sie entdeckt, dass sie mit ihrer Lieblingsbeschäftigung Geld verdienen und sich so von den Männern, die sie einzuhegen pflegen, unabhängig machen kann.

Lebensbejahende Provokation Zweifellos ist es Bellas unbändige Lust am Leben, die dieser verwegene Volten schlagenden Story ihre wilde Kraft verleiht. »Ich bin ein unvollkommener, experimentierfreudiger Mensch«, bemerkt sie einmal fast leitmotivisch im Zusammenhang mit ihren Erkundungen. Ihre »Freiheit in allem, auch in der Sexualität« sei elementarer Bestandteil des Stoffs, ließ Lanthimos auf besagter Pressekonferenz wissen, um dies sogleich als Handlungsanweisung für sich selbst zu verstehen: »Es war mir sehr wichtig, keinen prüden Film zu machen, denn das würde die Hauptfigur völlig verraten. Wir mussten selbstbewusst sein und wie sie keine Scham empfinden.«

An jener Stelle hätte man natürlich auch gerne erfahren, was sich Emma Stone bei der Gestaltung ihrer Rolle gedacht hat – aber dazu durfte sie sich wegen des damals noch laufenden Streiks der Screen Actors Guild nicht äußern. Stones stets furchtlos forschendes Spiel spricht ohnehin für sich: Mit vollem Körpereinsatz lässt sie sich auf Bella und ihre Entwicklung ein, erweckt sie mit einem Mix aus Komik und Mitgefühl, Albernheit und Pathos eindringlich zum Leben. So hat man die Oscar-Preisträgerin (»La La Land«) noch nie gesehen. Aber auch Lanthimos setzt in seinem unübersehbar kostspieligsten Film neue Akzente. Der Meister der kleinen, giftigen Studien menschlicher Gnadenlosigkeit (von »Dogtooth« bis »The Lobster«) erzählt seine emanzipatorische Befreiungsgeschichte mit ungeahnter Lust an kühner visueller Opulenz, als maximalistisches Kulissen- und Kostümfurioso mit einer Haltung zum Thema Begehren, die mit Begriffen wie Sexpositivity nur unzureichend beschrieben ist. Dabei geht es ihm spürbar um mehr als um Provokation um der Provokation willen: Mit Bellas moralischem Erwachen zwischen Schlüpfrig- und Spitzzüngigkeiten entsteht schließlich sogar eine auf wundersame Weise lebensbejahende Sicht auf die Welt. Lanthimos leugnet nicht, dass wir alle irrsinnig grausam sein können, aber gleichzeitig vermittelt er auf subtil subversive Weise die Überzeugung, dass zumindest die meisten von uns fähig und willens sind, das Gute und Schöne zu sehen und auch danach zu streben. Noch lange nachdem die zahllosen orgastischen Schreie seiner Heroin und die sie notgedrungen begleitenden medialen Aufschreie verklungen sein werden, dürfte es diese ungeahnt zärtliche Botschaft eines der schonungslosesten Filmemacher der Gegenwart sein, die Bestand haben wird. prenner@thegap.at • @prennero Christoph Prenner plaudert mit Lillian Moschen im Podcast »Screen Lights« zweimal monatlich über das aktuelle Film- und Seriengeschehen.

Luca Senoner, Searchlight Pictures

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Emma Stone und Mark Ruffalo in »Poor Things«

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Termine Bühne

Daphnes Garten

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Wunder »Wunder« von Enis Maci erkundet den Körper als Bühne der Macht und Obsessionen. In drei Teilen treffen Stimmen aus verschiedenen Epochen aufeinander und verschmelzen zu einem facettenreichen Stimmenensemble; darunter Pornostar Sexy Cora, Beauty-Influencerinnen, die barmherzige Derwischin Hatixhe und Mutter Teresa. Alle suchen sie nach dem »Treibstoff«, der ihren Körper bewegt. Die Aufführung von »Wunder« findet auf Deutsch, Katalanisch und Spanisch statt, sie spielt mit Übersetzung und Vieldeutigkeit. Regisseur Juan Miranda arbeitet dafür am Schauspielhaus Wien mit einem mehrsprachigen Ensemble. »Wo fängt der Körper an, wo hört er auf? Wie viel kann er ertragen?« 9. bis 21. Dezember Wien, Schauspielhaus

Das bereits in Salzburg uraufgeführte Opernprojekt findet im Gedenken an die maltesische Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia statt, die 2017 durch eine Autobombe getötet wurde. Ihr Blog wurde seinerzeit von mehr Menschen gelesen als die maltesischen Tageszeitungen, evozierte jedoch auch Gegenwehr. »Daphnes Garten« erzählt von ihrem Einsatz für die Wahrheit und gegen Korruption, verortet sie jedoch auch in ihrem Garten, an dem Ort, der ihr zum Refugium wurde. 29. November bis 9. Dezember Klagenfurt, Theaterhalle 11

Schmusechor Neujahrskonzert Zur Wiedereröffnung des umgebauten WUK veranstaltet Andreas Fleck, der neue künstlerische Leiter der Performing-Arts-Schiene, ein buntes Fest. In der Manier des womöglich etwas bekannteren Neujahrskonzerts im Musikverein soll es auch hier Walzer und Ballett zu sehen und hören geben – allerdings mit frischem Anstrich. Als zentraler Headliner tritt der queere Schmusechor unter Dirigentin Verena Giesinger auf, der sich mit chorischen Neuinterpretationen von Popsongs einen Namen gemacht hat. 6. Jänner 2024 Wien, WUK

Black

Die Jahre Die 2022 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnete Schriftstellerin Annie Ernaux erzählt in »Die Jahre« die Geschichte eines einzelnen Frauenlebens, das uns als kollektive Autobiografie durch die vergangenen Jahrzehnte führt. Ernaux bearbeitet auf poetische Weise Sitten und Einstellungen, Konsumgewohnheiten und kulturelle wie geistige Strömungen. Nach der Uraufführung bei den Linzer Kammerspielen ist die Bühneninszenierung von Claudia Seigmann, der künstlerischen Ko-Leiterin der Gruppe Theaternyx*, auf Basis des Romans erstmals in Wien zu sehen. Die Erzählung wechselt zwischen Momentaufnahmen eines individuellen Lebens und dem Strom des Weltgeschehens, begleitet von Chansons und Liedern. 13. bis 16. Dezember Wien, Theater am Werk (Kabelwerk)

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Die Ameno Girls finden sich auf einer Pyjamaparty in der Venusfalle wieder, der Geruch von Popcorn erfüllt den Raum. Der »Hot Bus« bringt die Passagiere auf einer atemberaubenden Bergstraße zu einem Sehnsuchtsort, während der Blumenchor in einem Car-Crash-Commercial um die Venus tanzt. »Piece of Love« basiert auf offenen Ateliers im ehemaligen Nachtlokal Tête-à-Tête, das ins Zentrum für antidisziplinäre Kunst umgewandelt wurde. Alles dreht sich um die kollektive Erforschung der Liebe als künstlerische Praxis. 15. Jänner bis 3. Februar 2024 Wien, Theater Drachengasse

Oliver Maus

Piece of Love

Inma Quesada, Theaternyx*

Die Installation erlaubt dem Publikum über einen verdunkelten Raum sowohl unheimliche Enge mit unvorhersehbaren Wendungen als auch die sinnesraubende Schwärze des Weltraums zu erleben. Inspiriert von Höhlenforscher*innen und der Millennium-Simulation des Weltalls versucht »Black«, das Medium des dunklen Raums als Ort der Wahrnehmung und performativen Darstellung zu intensivieren. Das Publikum wird eingeladen, direkt in die speziell fürs Brut angefertigte bewegliche Raumkonstruktion einzutauchen. 11. bis 14. Jänner 2024 Wien, Brut Nordwest

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Haltungsübung Nr. 68

Sich treu bleiben. Wer unabhängig und frei von jeglicher Agenda kommuniziert, der wird nicht nur verstanden, dem wird auch vertraut. Und genau das macht DER STANDARD seit 35 Jahren. derStandard.at

Der Haltung gewidmet.

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Service Notizen Glossar

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The Gap 090 Oktober 2008 Bontempi-Schlager, der Iconic Turn und E-Sport für die Massen: 15 Jahre vor dem großen Tanz-Baby!-Comeback. ———— Dass Kristian »Mu« Musser auf Fotos gerne gähnt, zeigt nicht nur das Cover unserer Oktoberausgabe aus dem Jahr 2008, sondern auch das aktuelle Pressebild, das Tanz Baby! für ihre Comeback-Revue im Dezember im WUK haben schießen lassen. Vor 15 Jahren erschien ihr Debütalbum »Liebe«, uns war das eine ausführliche Story über das »Schlagerduo zwischen Bontempi-Trash und Kunst-Background« wert: »Eine Bestandsaufnahme über die Szene-Hintergründe und zum Spannungsfeld, in dem Tanz Baby! heute stehen.« In einem breit angelegten Special zur Game City im Wiener Rathaus wiederum setzten wir uns u. a. mit der Geschichte kompetitiver Computerspiele, mit den medien- und bildungspolitischen Aspekten des Iconic Turn (von der Schrift- zur Bildkultur) sowie mit der Frage auseinander, ob E-Sport das Zeug zum Breitensport hat. Die Antwort kennen wir mittlerweile.

Substance Wien

Tribeka Graz

2001, als das Substance gegründet wurde, war der Vinylhype der letzten Jahre noch lange nicht abzusehen. Umso erstaunlicher, dass sich dieser sehr gut sortierte Plattenladen der alten Schule – mit Expertise in vielen Genres! – schon so lange hält. Ausgangspunkt dafür war übrigens Trost Records, das als Label und Musikvertrieb anfangs noch aus dem Wohnzimmer von Konstantin Drobil, einem der Substance-Betreiber, Kassetten, Platten und CDs verkaufte. Wer auf Alternative, Indie, Elektronik, Hip-Hop, Avantgarde und/oder Free Jazz steht, wird hier definitiv fündig. Westbahnstraße 16, 1070 Wien

Trink besseren Kaffee – eine Aufforderung, der man hier sehr gerne nachkommt und die auch gleich im Namen des Coffeeshops steckt. Ein Pionier der Grazer Specialty-Coffee-Szene. Grieskai 2, 8020 Graz

Szene Salzburg Im ehemaligen Stadtkino angesiedelt, setzt die Szene auf Programmvielfalt zwischen Tanz und Kabarett, Theater und Konzerten. Anton-Neumayr-Platz 2, 5020 Salzburg

Bernhard Frena

Boombap ist ein Hip-Hop-Subgenre aus den späten 1980ern, frühen 1990ern. Der Name bezieht sich auf den prominenten Beat aus Boom (Kick) und Bap (Snare). Die Comics Code Authority nahm 1954 ihre zensierende Arbeit nach starren konservativen Regeln auf. Offiziell endete das Mandat der CCA erst 2011, als die letzten Comicverlage (DC und Archie) austraten. FLINTA* ist ein Sammelbegriff für Frauen, Lesben, inter und trans Personen. Kurz: alle Menschen, die keine cis Männer sind. Gig-Economy beschreibt, dass Unternehmen Menschen vermehrt nicht mehr anstellen, sondern für kurze, zeitlich beschränkte »Gigs« bezahlen. Dies führt häufig zu äußerst prekären Arbeitsverhältnissen. Die Lobau ist ein Auengebiet im Osten von Wien, das aufgrund des zunehmend regulierten Donauflusses ein wichtiges Schutzgebiet für gefährdete Tier- und Pflanzenarten darstellt. Neoliberalismus ist eine Ideologie, die den unregulierten Markt als ideales System sieht und versucht, diesem System möglichst viele Lebensbereiche unterzuordnen. Populär seit den 1980ern, dank Proponent*innen wie Margaret Thatcher und Ronald Reagan. Persona non grata ist heute zwar ein Synonym für eine unerwünschte Person, bezog sich aber ursprünglich auf Diplomat*innen, die nicht mehr im Gastland bleiben durften. Das Gegenstück ist die Persona grata. Schach bezeichnet zugleich das Spiel wie auch die Warnung, dass ein König im nächsten Zug von einer Figur erobert werden könnte. Das Wort leitet sich vom persischen Shah, also König ab. Tschocherln sind vielen Nicht-Wiener*innen vermutlich weniger ein Begriff als die omnipräsenten Beisln. Ein Tschocherl ist ein kleines, oft etwas abgehalftertes Café oder Lokal, fast ausschließlich von einem treuen Stammpublikum frequentiert. Übereinkommen von Paris ist der Name der internationalen Klimavereinbarung, bei der sich 2015 195 Nationen auf eine Reihe von Richtlinien zur Verminderung der Erderwärmung geeinigt haben. Mit umstrittenem Erfolg.

Wo gibt’s The Gap?

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Gewidmet all denjenigen, die beim Lesen auf die eine oder andere Wissenslücke gestoßen sind.

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Bernhard Frena

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Josef Jöchl

artikuliert hier ziemlich viele Feels

»Es ist das Schicksal jeder Generation, in einer Welt unter Bedingungen leben zu müssen, die sie nicht selbst geschaffen hat.« Ob Boomer, Generation X, Millennials oder Gen Z – jede Generation wurschtelt sich durch die Überreste der vorangegangenen. Damit hat es sich aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Was John F. Kennedy, von dem ich das eingangs angeführte Zitat entlehnt habe, nämlich nicht wissen konnte: Wir Millennials haben es von allen Generationen am schwersten. Während unserer Pubertät geriet durch 9/11 die Welt aus den Fugen. Seither verbrachten wir jede freie Minute im Internet, wo wir uns unrealistische Vorstellungen vom Leben, Arbeiten und Frühstücken machten. I can haz Avocado-Toast – aber um welchen Preis? Who do I want to become when I grow up – also nach meinem 50. Geburtstag? Hilfe, wie kann ich die Welt verändern und mir gleichzeitig eine Eigentumswohnung finanzieren? Die Realität stellt die Generation Y vor enorme Herausforderungen – vor allem in der Liebe. Es ist schwierig genug, als Millennial andere Millennials zu daten. Noch komplizierter wird es, wenn man als Millennial etwas mit jemandem aus einer anderen Kohorte anfängt, so wie ich jüngst mit einem Angehörigen der Generation X.

It’s complicated Ich hatte ihn auf einer Party kennengelernt. Schon allein die Leere in seinem Blick verriet mir, dass er zwischen 1965 und 1980 geboren sein musste – als Teil jener Generation, die sich erstmals ohne Kriegseinwirkung weniger Wohlstand und ökonomische Sicherheit erwarten durfte als ihre Elterngeneration, aber mittlerweile ihre Schäfchen ins Trockene gebracht hat. Der Gen X-er sprach mich an, oder er zitierte mit kaum geöffnetem Mund Songtexte von

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Pavement, ich konnte den Unterschied beim besten Willen nicht erkennen. Dennoch folgte ich ihm wenig später in seine riesige Wohnung, als der sexpositive Millennial, der ich bin. Dort verhielt ich mich wie Lena Dunham in der einen »Girls«-Folge, in der sie mit einem älteren Mann nackt Tischtennis spielt, nur ohne Tischtennis. Der Gen X-er entpuppte sich als sehr accomplished. Er liebte die Oper. Ich halte es für sehr vernünftig, in Wien die Oper zu lieben, weil das zu den Dingen gehört, die man hier gut machen kann. Mir ist es leider nie gelungen. Als er mich fragte, ob auch ich die Oper liebte, antwortete ich nervös mit einem Witz: »Meine Oper sind beide schon gestorben, als ich noch sehr klein war.« Dann verabschiedete ich mich und ignorierte seine Anrufe, wie wir Millennials das eben so machen.

Netflix and Chill Doch wir texteten weiter. Als waschechter Millennial legte ich Wert darauf, nicht umgehend auf seine Nachrichten zu antworten, um den Eindruck zu vermeiden, ich wäre besonders verfügbar. Wenn wir uns dann zum »Netflix and Chill« trafen, sprachen wir häufig über deepe Themen wie intergenerationale Beziehungen, meine Work-Life-Balance und warum ich immer so viel prokrastiniere, wenn ich eigentlich arbeiten muss. Adulting is so hard! Zwischendurch zeigte ich ihm, welche Doggos ich gerne mein Eigen nennen würde, oder wir testeten auf Buzzfeed, welche Pizzabeläge unseren Persönlichkeiten entsprechen. Insgesamt kann man unsere Affäre mit zwei Wörtern sehr treffend beschreiben: on fleek. Bis wir eines Morgens beim Frühstück saßen. Der Gen X-er wirkte noch zielloser und zukunftsverdrossener als sonst. »Bae, was ist los?«, fragte ich einfühlsam, »du hast ja deinen Grünkohl-Smoothie gar nicht angerührt.« Der

Gen X-er blickte mir ins Gesicht und sagte mit emotionsloser Stimme: »Josef, findest du nicht, dass du Generationenlabels etwas zu viel Wert beimisst? Du bist doch nur ein Jahr jünger als ich.« Das verletzte mich. Ausgerechnet von ihm, der mir wochenlang mein mangelndes Commitment vorgeworfen hatte! »OK, Boomer! Für dich mag es nur das Jahr 1981 sein. Für mich als Millennial ist es jedoch eine ganze Generation«, sagte ich zum Abschied. Bye, Felicia!

I’m a Zoomer now Ein paar Tage später sollte ich eine längere E-Mail des Gen X-ers erhalten. Die gängigen Labels für Generationen hielt er für willkürlich gewählt und ohne jegliche empirische Basis, sogar für pseudowissenschaftlich und einem tiefgreifenden Verständnis für sozialen Wandel wenig zuträglich. Diese Etikettierungen stellten doch nur eine Beschäftigung für Werbefuzzis und Menschen dar, die wie ich sehr viel Tagesfreizeit hätten. Dieser Zynismus war wieder einmal typisch! Doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergaben seine Worte. In Wahrheit gehört man doch ohnehin zu der Generation, der man sich zugehörig fühlt. In letzter Zeit habe ich nämlich immer weniger Lust auf diese ganze Millennial-Scheiße. Mittlerweile fühle ich sehr stark, dass ich von der Einstellung her eher Gen Z bin. Ein Zoomer. Zoom zoom zoom. Hyperpop, Tiktok, Buffalos, Fidget Spinner. Vielleicht trage auch ich bald ein Crop Top, wer weiß! Wir alle haben die Power, die beste Generation der Menschheit zu sein – oder die letzte. Wusste schon John F. Kennedy. joechl@thegap.at • @knosef4lyfe Josef Jöchl ist Comedian. Sein aktuelles Programm heißt »Die kleine Schwester von Nett«. Termine und mehr unter www.knosef.at.

Ari Y. Richter

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Sex and the Lugner City How to date as a Millennial

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„Ich setze mich dafür ein, dass wir weltoffen kommunizieren.“ Stuart, Moderator

Ein Mitarbeiter des ORF, der wie all seine Kolleginnen und Kollegen den Auftrag hat, mit einem ausgewogenen Programm zu einer funktionierenden Gemeinschaft in Österreich beizutragen.

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