The Gap 165

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Prosa — ly di a h a ider

Voll auf die Neun! Kreativitätsräusche können zu einer ernsten Angelegenheit avancieren, wenn sie zum Dauerzustand werden. Die gebürtige Oberösterreicherin Lydia Haider lässt in ihrem Text einen von Musen Gestalkten und schwer Gebeutelten wortgewaltig anklagen.

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Sein Abgesang, der Aufgesang: Bestiarium der Musen Das hat mir ein Freund gestern berichtet, und er hat erzählt und geschrien, und er hat dann sogar geweint. Wir haben getrunken, und so hat er es gesagt: »Wieso müssen denn die Musen herkommen, nur weil ich ihnen ein freundliches Bett bereite. Was bringt der ganze Aufwand, wenn ich sie dann doch nur rauswerfen möchte. Heute will ich sicher keine Muse mehr! Und wer kann diese Geste überhaupt verstehen, der nicht selbst von dieser aufdringlichen Musenanmaßung dauernd bedrängt wird, da könnte man ja jede Minute irgendeine Kunst hinausproduzieren, so oft, wie die herlaufen, die sind ja nur noch da. Verständlich, dass man ihrer überdrüssig wird, nicht? Wer will denn das: immerzu Kreativität, ständig gute Ideen, dass sie nur noch so herausplatzen aus jeder Naht, eine Pein ist das, eine Krux, fast eine Bürde, andauernd nur Idee und Idee und Idee, und schon wieder eine, als wolle einen dieses Untier verhöhnen, selbstgefällig, völlig übertrieben. Wen wundert es da, dass man froh ist, wenn es einmal anders ist, man frei hat sozusagen von dieser ewigen Materialqual, wie sie in einer Lawine daherkommt, schon wieder. Gott bewahre einen vor den Musen! Ja auf manche haben sie es sichtlich ärger abgesehen denn auf andere. Kein Normalsterblicher weiß, wie sich das anfühlt, als würden sie als lechzende Jägersbrut hereinstürmen und auf einen losgehen, mit Gewehren und scharfer Munition, und unter Dauerbeschuss nehmen. So stehen sie dann alle feixend und höhnisch lachend da, und schießen, schon wieder, und freilich bis ins Letzte, diese Schweine. Wer schüttelt die ab, diese Berufsidioten, die Zerstörer ganzer Existenzen, weil sie sich auf einen so eingeschworen haben und ruinieren und nicht mehr nachlassen. Grauenhaft ist das, und es lässt nicht nach, sie hören nicht auf, gar nie, ja woher denn. Selbst wenn man glaubt, ihnen endlich ein Stück voraus zu sein, sie etwas abgehängt zu haben, dann zeigen sie sich einfach so flugs

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in einem Foto, oder einem Bild, oder einer belanglosen Landschaft, oder einem nichtssagenden Haus von außen oder innen, und lachen hinterfotzig heraus und lassen einen nicht in Ruhe, nichts einfach tun, nie genießen, nichts unschuldig empfangen. Sie treiben es sehr weit, und das wollen sie auch. Sie zeigen ihre Fratzen ganz pseudoneutral und miesmacherisch aus jeder banalsten Bildwirklichkeit. Ja sie treiben es weit, und das wissen sie auch. Diese Fiesen. Und selbst wenn man sich bemüht und nicht einmal das Haus verlässt, um sie so gut wie möglich zu meiden, dann kriechen sie ekelhaft und komplett unnötig aus dem Radio, bei jeder noch so peinlichen Musik, schamlos, ganz ohne Rücksicht auf Verluste, diese Treibenden. Dann hetzen sie schon wieder und machen Neues und vermeintlich so großartiges Gedankengut her, auf heitere Weise, sie probieren ja alles, diese Hinterhältigen, und fahren ein ohne Rücksicht auf irdische Verluste. Ständig tun sie das, ich kann schon nur noch Ö1 hören, um mich gegen sie zu erwehren, aber selbst da probieren sie es und steigen wallend in einfachste Reportagen ein und bringen das Gemüt zu erhitzen und setzen Flöhe hinein, wahnwitzig, übermächtig. Und selbst wenn es gelingt, Bild und Ton völlig außen vor zu lassen, mühsam, schwerlich, weil das doch so nötig ist zum Überleben, dann schauen sie plötzlich aus dem Kleiderkasten heraus wie unschuldige Kinder, die sich hier ewig schon versteckt haben und nur noch nicht gefunden wurden, kriechen hinterhältig in das Gewand, und sie halten mir ihre Gesichter selbstbewusst und wie natürlich entgegen und hauchen ein Nimm, selbst aus der Unterwäsche. Und schließe ich die Türen angewidert, dann schauen sie schon aus dem Sockenladl, wenn ich es aufziehe, unschuldig, so peinlich sich anbiedernd dabei. Und ich stoße es wie immer völlig abgestoßen wieder zu und wehre mich ihres ständigen Anmachens überdrüssig mit primitiven Verbalausfällen und weiß doch, dass es so leicht nicht sein kann. Wie kann man sich ihrer nur entledigen? So liege ich also in meinem Bett, ohne Ton und ohne Bildhaftes, von Textlichem ganz zu schweigen, und sie probieren es über alle Ecken, wieder und wieder, und liege ich noch so nackt da, sie können es, jahrtausendealte Erfahrung macht es ihnen leicht. Sie sind ja überlegen in ihren Strategien. Wer kann dieses Nötigen

19.09.17 21:23


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