The Gap 159

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Wie DschungelIntendantin Corinne Eckenstein arbeitet Das Rohe an jungen Menschen » Ich will die Neugierde der Menschen erwecken und zeigen, dass Jugendtheater ein gesellschaftspolitischer Raum ist.« — Corinne Eckenstein

Wer wollte nicht schon einmal eine Expedition durch den Dschungel machen? Einen Regenwald gibt es in Wien zwar nicht, dafür aber ein Theaterhaus, in dem es mindestens genauso wild zugeht – besonders in der neuen Saison. ———— Aus roher Masse etwas formen – wie eine Skulptur aus Ton – so arbeitet Corinne Eckenstein, 53. Sie ist Regisseurin und Tänzerin, Produzentin und Schauspielerin und mit der Spielzeit 2016/17 die neue Intendantin des Dschungel Wien. Als Theater für junge Menschen versteht sich dieser, vor allem aber als eine Stätte Kreativer für Kreative: »Am Dschungel werden die Stücke gemeinsam erarbeitet.« Dieser Umstand ist der gebürtigen Schweizerin wichtig, denn Jugendtheater wird gerne auf Pädagogik reduziert. So möchte sie die Sicht auf diese Form von Schauspiel ändern: »Ich will die Neugierde der Menschen erwecken und zeigen, dass Jugendtheater ein gesellschaftspolitischer Raum ist.«

Rainer Berson

Den eigenen Körper erfahren

Aus dem Performance-Parcours »Quartier 2030« der Regisseurin Claudia Seligmann.

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Seit Jahren arbeitet Eckenstein in ihren Produktionen daran. Vor allem mit ihrer »Boys«Trilogie (2012-2015) konnte sie Erfolge verzeichnen. In »Boys Don’t Cry« (2012) macht sie mit Klischees reinen Tisch und zeigt, dass Jungs sehr wohl weinen und tanzen dürfen. Sex ist ein Thema, das nicht behandelt werden soll, sondern muss. Eigenwillig stellen viele ihrer Stücke »Self-Empowerment« dar und zeigen, dass es gut ist, anders zu sein. Das Erfahren des eigenen Körpers steht dabei häufig im Zentrum. Buben und Mädchen aus allen Altersstufen, mit und ohne migrantischem Hintergrund, dick oder dünn, singen, springen, tanzen oder rollen (Adil sitzt im Rollstuhl und gehört mittlerweile zum Kernteam) durch den Raum. Ob sie darauf achte? »Woanders wird das Integration genannt, für mich ist das selbstverständlich.« Die Handlungsstränge verlaufen selten linear, aber

die Themen – Unsicherheit, Liebe, Sex, Beziehungen, Träume, Enttäuschungen – sind greifbar. Sie provoziert dabei gerade so viel wie nötig, zeigt schon mal nackte Körper im Jugendtheater. Doch das geschieht mit einer Ehrlichkeit, an der man sich gar nicht stoßen kann.

Auf Entdeckungsreise … Dabei arbeitet die ehemalige Tänzerin ohne Drehbuch und mit viel Improvisation: »Ich gebe etwas vor, aber wohin es geht, weiß ich nicht.« Ihr gefällt »das Unfertige« an den jungen Menschen, »dieses Rohe«: »Ich mag es überhaupt nicht, wenn etwas auf der Bühne zu glatt und vorgefertigt ist. Ich möchte gemeinsam mit Menschen etwas entdecken.« Das fängt bei den Castings an. Nur zum Teil arbeitet sie mit professionellen Darstellern: »Bewegung und Tanz ist ein Lebensgefühl, das sich nicht in Worten ausdrücken lässt.« »Räume öffnen« lautet auch das Dschungel-Spielzeitmotto 2016 / 17, »physisch, emotional, intellektuell«. In einer Kombination aus Choreografie und Schauspiel gibt das Eröffnungsstück »Running Wild« Einblick in die Zwischenwelt von Kindsein und Erwachsenwerden. Inspiration war Corinnes 13-jähriger Sohn Lino. Als eines Tages die »heiligen« Kuscheltiere in Müllsäcken vor der Zimmertür standen, war die Mutter verdutzt: »In welcher Welt lebt man da?« Diese gilt es gemeinsam mit den Schauspielerinnen und Schauspielern (11 bis 13 Jahre) zu entdecken. Im Raum hängen Riesenschaukeln. Auch er ist in Aufruhr, bleibt in Bewegung. Corinne spricht mit den Kindern darüber, was sie beschäftigt: »Was sie zu sagen haben, ist wichtig.«

Alles Kinderteller? Auf der Bühne kommen sie zu Wort: »Wenn man in einem Theater wie dem Dschungel arbeitet, hat man automatisch eine gesell-

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