The Gap 142

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LEGO – Renaissance durch Pop und Netz Sohn / Videofilmemacher / MØ 142

Magazin für Glamour und Diskurs

»... weil Busse die Huren des Teufels sind.« – Künftige Praktikantin als Erklärung, warum sie spät dran ist.

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MONATLICH. VERLAGSPOSTAMT 1040 WIEN, P.B.B. GZ 05Z036212 M, Nº 142, März 2014

Diedrich Diederichsen. Pharrell. Design und Gender. E-Books. Donaufestival. EMA. The Americans. 50 Jahre Filmmuseum. Metronomy. Final Fantasy XIII. Her. Im Wortwechsel: Was hat Graz von drei Jahren City Of Design?

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Krems / Austria

April 25-26 & April 30-May 3 2014 Music/Soundart

Jeff Mills / clipping. / Peaches / Bill Orcutt / Pharmakon / Teho Teardo & Blixa Bargeld / Boddika b2b Joy Orbison / Robert Henke / Forest Swords / Vatican Shadow / Objekt / Oneohtrix Point Never / Jon Hopkins / Ron Morelli / Nozinja / Factory Floor / Karenn / Ninos Du Brasil / Stephen O´Malley / Samuel Kerridge / Dean Blunt / Mykki Blanco / Kassel Jaeger / Chris Madak & Donato Dozzy / Compound Eye / Sensate Focus and many more Performance/Art/Installation

God´s Entertainment / Santiago Sierra / Dries Verhoeven / AA Bronson / Carlos Maria Romero & Guillaume Marie / Meg Stuart / Jeremy Wade, Monika Grzymala, Xiu Xiu / Keith Hennessy / Liz Rosenfeld and many more

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Leitartikel von Thomas Weber

Amadeus. Eine Art Nachruf   In seinen besten Jahren war der Amadeus Award bemüht. Heute taugt »der Amadeus« bestenfalls noch als Reibebaum für Bands, die sich lautstark davon distanzieren.

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idmen wir uns also ein – wie es aussieht – allerletztes Mal den Amadeus Awards, dem vom Verband der hiesigen Musikindustrie (ifpi) ausgerichteten österreichischen Musikpreis. Seit 2000 findet der statt und er wurde eine Zeit lang sogar im ORF-Fernsehen übertragen. Ziel des Preises war es, die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit auf österreichische Musik zu lenken. Geld war für die Ausgezeichneten ohnehin nie vorgesehen. Stoßrichtung: Glanz und Blitzlichtgewitter, Ruhm und Ehre. Eine Zeit lang funktionierte das mit den gemeinsam mit dem ORF aufgebauschten »Stars« sogar irgendwie. Wir erinnern uns an Christl Stürmer. Wieviele Amadeus-Trophäen sie zu Hause stehen hat, weiß die Dame vermutlich nicht einmal selbst mehr. Das Unterfangen war redlich, durchaus bemüht, ist aber endgültig als gescheitert zu betrachten. Seit ein paar Jahren dümpelt die Chose vor sich hin. Der ORF hat – Ausnahme: FM4 vergibt einen Preis in einer eigenen, über allen musikalischen Genres stehenden Kategorie – das Interesse an der Veranstaltung verloren. Man widmet sich lieber den »Dancing Stars«. Sonst muss man sparen, kürzt und streicht

The Internet Killed The Amadeus Star Was Sender wie Krone Hit also interessiert, sind z.B. die verwertbaren Daten der Fans von nominierten Acts und Künstlern. Diese werden seit ein paar Jahren mobilisiert, für »ihre« Acts zu stimmen. Ein Versuch, eine Veranstaltung, die aus einer anderen Zeit stammt und auf Strukturen eines untergegangenen Musikzeitalters basiert, in die Gegenwart zu retten. Gegen einen besonders plumpen Akt der Marketing-Verwertung ihrer Fans durch Krone Hit hat nun das nominierte Elektronikduo HVOB protestiert und auf eine Teilnahme verzichtet. Es folgten Naked Lunch, Monobrother und Chakuza. Wozu auch mit Strukturen kooperieren, die einen ignorieren, sogar den eigenen Bandnamen falsch schreiben und nur dann Interesse vortäuschen, wenn sie einen brauchen: einmal im Jahr, wenn der Amadeus eine vermeintlich geeinte Branche zusammenzuführen trachtet. Die Beweggründe mögen individuell und unterschiedlich sein. Gemeinsam haben alle Genannten, dass sie den Amadeus nicht (mehr) brauchen. Genausowenig wie österreichische Acts heute Majorlabels brauchen, um eh nix zu verkaufen. Man hat in den letzten Jahren gelernt, sich selbst

zu helfen, über das Internet und soziale Netzwerke eigene Communities aufgebaut. Einige Acts haben es einigermaßen erfolgreich ins Ausland geschafft. Ganz ohne die Musikindustrie, zumeist sogar weitgehend ohne jede Form der Förderung. Klar: Der Amadeus war nie das, was ernstzunehmende Künstler oder Bands als »unser Award« bezeichnet hätten. Das haben höchstens diejenigen geglaubt, die keine Ahnung hatten und sich das einreden ließen. Eine Zeit lang haben aber die meisten kooperiert, aus purem Pragmatismus. Dass ein Award nichts bringt, demonstrierte vor Jahren schon eine Band (den Namen hab ich leider vergessen), die ihre Trophäe im See versenkt hat. Weil: eh nix wert. Mitgespielt hat man damals trotzdem. Doch dem Amadeus Award ein lautstarkes »Fuck you!« zu entgegnen, bringt heute mehr kulturelles Kapital als jede Auszeichnung. Damit hat der Amadeus absurderweise ein letztes Mal seine Aufgabe erfüllt und Acts zu Öffentlichkeit verholfen. Würdevoll wäre es jetzt, würde sich der Amadeus selbst für sein eigenes Lebenswerk auszeichnen. Und dann sanft einschlafen. Bild Michael Winkelmann

auf Kosten des Kreativstandorts. Eine Rückkehr des Amadeus in den Schoß des ORF war insgeheim immer das Ziel seiner Veranstalter. Doch die schien nie ferner als heute. Weil ein auf Glanz und Glamour abzielender Award aber Medien braucht, musste man als Veranstalter nehmen, was die private Medienlandschaft halt so hergibt. Womit wir beim nächsten Problem wären. Dort hat man sich nämlich noch nie für österreichische Musik interessiert. Bei Puls 4 und Krone Hit geht es zuvorderst ums Geldverdienen. Das wird auch ein Amadeus Award nicht ändern.

Thomas Weber Herausgeber weber@thegap.at @th_weber

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Lego Wenn man sich entschließt, Lego auf das Cover zu nehmen, fallen einem die bunten Steine plötzlich überall auf. In der Popkultur war Lego dauerpräsent. Mit den Steinen konnte man gleichzeitig fast alles darstellen und ihm dabei den heiligen Ernst nahm. Lego funktioniert wie eine Mini-Version des Lebens. Da ist es konsequent, dass nun der erste große Lego-Film in die Kinos kommt. Dank gebührt auch Beate und Tobi Prisching, die uns nicht nur ihre Legosteine fotografieren haben lassen, sondern auch noch die »Pop«-Lettern gebaut haben.

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Magazin LEGO 018 —— Renaissance durch Pop und Netz: Jeder mag Lego. Mit dem dänischen Spielsystem lässt sich Welt nachbauen. Dabei stand die Firma vor zehn Jahren vor dem Konkurs. Heute ist sie eine Erfolgsgeschichte. Design und Gender 024 —— Messer müssen nicht pink sein, Computer nicht kalt und eckig. Das Buch »Du Tarzan Ich Jane« fordert einen gendersensitiven Umgang mit Design. Golden Frame: Sixtus Preiss 026 —— Beim Soundframe im MAK schenkt der Künstler Sixtus Preiss den Besuchern ein intimes Hörerlebnis durch eine Sound in Astronautenhelmform. Diederichsen: Über Pop-Musik 028 —— Der deutsche Kulturtheoretiker Diedrich Diederichsen hat über Pop-Musik alles geschrieben, was der Fall ist. Ein Interview. Mø 030 —— Mø trägt bauchfrei und Plateauschuhe. Gerade hat sie ein Stück feministischer Popgeschichte weitergeschrieben. Donaufestival 032 —— Dean Blunt performt live am Donaufestival, weiterhin mit reizenden Versteckspielen. Kreisky 033 —— Grant, Katharsis und Humor sind drei Grundbestandteile des neuen Kreisky-Albums. Ein Interview. Sohn 034 —— Wir wussten schon vor einem Jahr, dass Sohn groß wird. Wie groß, davon hatten wir dann aber keine Ahnung.

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E-Books 036 —— Eine Branche ist verwirrt: Verdrängen EBooks die Bücher? Unsere Reportage zeigt: Man weiß es nicht. Musikvideoland Österreich 038 —— Selbstverwirklichung, Identifikation, Werbemedium. Wir haben österreichische Musikvideomacher gefragt, warum sie das tun, was sie tun. The Americans 041 —— Die Serie zwischen Ehe-Drama und Spionage-Thriller macht nicht nur wegen dem Soundtrack Spaß. Popmusik vertont den Kalten Krieg – große Unterhaltung. 50 Jahre Filmmuseum 042 —— Hier nimmt man Kino ernst: Weil das Filmmuseum 50 wird, blicken wir hinter die Kulissen. Kulturmanager in der Provinz 044 —— Auch am Land will das Publikum unterhalten und am Frontallappen mit Kultur stimuliert werden. Wie arbeitet es sich dort als Kulturmanager? Design: Think Global, Build Social! 046 —— Kenianische Slums sind doch wichtiger als das Sofitel. Das Architekturzentrum Wien zeigt in seiner aktuellen Ausstellung architektonische Beispiele, die nicht an der Lebensrealität vorbeigehen.

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Sohn Anfang April erscheint eines der meisterwarteten Alben des Jahres: »Tremors« heißt das Meisterwerk des britisch-österreichischen Ausnahmekünstlers Sohn. Es gibt darauf Tracks, die Freiraum erlauben, und Lieder, wo was los ist. Auf jeden Fall aber ist es eine Platte, die Emotionen provoziert. Im Interview erzählt Sohn, dass er nicht performt, sondern eine Atmosphäre aus Licht und Ton kreiert. Die Zuhörer sollen diese Show aber nicht als Gemeinschaft erleben, sondern als eigenen, persönlichen Moment wahrnehmen.

034 Rubriken Leitartikel 003 Inhalt 004 Editorial / Porträt / Impressum 006 Fondue 009 Fabula Rasa 010 Unbezahlter Anzeiger 011 Splitter 012 Wortwechsel: Was hat Graz von drei Jahren City Of Design? 048 Workstation: Jahson The Scientist und Mira Kolenc 050 Prosa: Sophie Strohmeier 054 Reviews 057 Introducing: Krysten Ritter 066 Termine 074

Bild der Ausgabe Yeah, wir können auch Diskurs anstupsen. Was mit einem unschuldigen Leitartikel unseres Herausgebers in der letzten Ausgabe begann, wurde gefühlte eine Trillion Mal kommentiert und brachte den heißdiskutierten Journalismus-Arbeitsmarkt zurück auf den Medienradar. Wir warten noch auf Dankes­ schreiben für den Input.

Kolumnen Fabula Rasa Zahlen, bitte Know-Nothing-Gesellschaft

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You Forgot It In People — Lego? Zum Glück haben wir manchmal so gar keine Idee, was wir aufs Cover geben sollen. Dann gehen wir auf Jagd durchs Netz nach der einen großen Story. Lego? Zum Glück haben wir mit Peter Stuiber einen Autor, den es immer schon gereizt hat, etwas zu dem niedlichen Weltkonzern aus Dänemark zu schreiben (Seite 020), und dazu auch noch einen passenden Artikel zu gender-sensitivem Design (Seite 026). Dann gibt es da Christoph Prenner, für den Filmverleihe einfach mal eine eigene Vorführung ansetzen, damit sich die Story über den gesellschaftskritischen Blockbuster in dieser Ausgabe noch ausgeht (Seite 024). Außerdem haben wir Zuwachs bekommen, drei Neue nämlich: Teresa Havlicek (siehe nebenan), Amira Ben Saoud (hat es doch tatsächlich über die gefürchtete Praktikumsschleife geschafft) und Kevin Reiterer (lange Autor hier, dauernd auf allen Techno-Partys dieser Stadt) verstärken dieses Magazin – wie man so im Langweilersprech der Pressemitteilungen sagt. Dass andere Freunde dafür in Karenz gehen oder für internationale Medienkonzerne über ihr Hosenzelt schreiben, das ist die Kehrseite. Zu dieser traurigen Seite gehört dann auch, dass Apotheker Magister Thomas Edlinger mit dieser Ausgabe seine letzte Kolumne für The Gap geschrieben hat. Nach seinem ABC des Abfalls, hat er mehrere Jahre lang Zahlen mit viel Sinn ausbuchstabiert. Das war meistens richtig gut. Es wird auch vieles richtig gut. Mit neuen Leuten wie diesen nämlich.

Stefan Niederwieser niederwieser@thegap.at @the_gap

kontribut

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Teresa Havlicek

Dominik Oswald

Knackst —Teresa ist unsere Neue, die eine unter 270 Bewerbern, die das Assassination Center als Last Man Standing überstanden hat. Den akademischen Titel hat sie vielen hier voraus: Bachelor of Science an der WU nämlich. Uneitel, wie sie als Ex-Modebloggerin, Faux Fox-Autorin und gelernte Wirtschafterin ist, meint sie, dass ihre Noten nicht gereicht haben, um bei Mc Kinsey die Welt zu zerstören, dass die dort sowieso härter trinken, aber sie nicht hinpasste,weil sie immer von Nachhaltigkeit und Umwelt und so geredet hat. Endlich haben wir also jemanden, der was kann und mal nicht nur über Musik schreiben will, sondern »Bravo Hits 24« als prägendste Platte bezeichnet. Auch sonst sind ihre herausragenden Eigenschaften nicht ganz typisch: sie tanzt gut und gern, sie besteht auf ihrem Recht auf Hauswein, ist Vegetarierin und interessiert sich für Schamhaare. Und sie knackst mit den Fingern. Aber wir haben hier ja eine Schwäche für Menschen mit sozial schlecht akzeptierten Ticks. Ironie kurz beiseite: Bei ihren Texten legt Teresa ein beeindruckendes Tempo vor. Und hinterher sind die Dinger auch noch lesbar. Nur dass sie einmal in einem Ganzkörperkostüm tanzend den Campus verunsichert hat, hätte sie uns besser nicht verraten. Wir suchen doch schon längst jemand, der für uns als Panda durch die Wiener Clubs zieht.

Anzüglicher Schmusologe — Dass der geschniegelte Dominik auf dem Sportgymnasium im Fußballzweig war, sieht man ihm gar nicht an: Gelbe und rote Karten bekommt man von ihm heute nur noch für mangelnden Style. Als Hobbys gibt er »Dandy- und Lebemann-Sein« an und meint das ziemlich ernst. Wie auch das Schmusen. Wegen seiner mittlerweile verschriftlichten Expertise wird der Profi-Wingman von Fans schon mal als »gottverdammtes Genie« bezeichnet. Zurecht. Denn trotz einer starken musikalischen Tendenz, die Dominik vielleicht »deutschsprachige Sadness« nennen würde (Element Of Crime, Ja, Panik, Neigungsgruppe Sex, Gewalt und Gute Laune), kann er sich als Praktikant für so gut wie alle The Gap-Themen begeistern und recherchiert im Handumdrehen gerne auch drei Artikel parallel. Diese strotzen dann nur so vor Querverweisen, Wortspielen und Ideen, die mindestens so gut sitzen wie Dominiks Anzüge. TEXT Amira Ben Saoud

TEXT Stefan Niederwieser

Impressum

HERAUSgeber Thomas Weber chefredaktION Martin Mühl, Stefan Niederwieser Redaktion Ranya Abd El Shafy, Niko Acherer, Matthias Balgavy, Amira Ben Saoud, Josef Berner, Sandra Bernhofer, Liliane Blaha, David Bogner, Manuel Bovio, Ivo Brodnik, Stephan Bruckner, Klaus Buchholz, Johannes Busching, Ann Cotten, Lisa Dittlbacher, Andreea Dosa, Margit Emesz, Juliane Fischer, Holger Fleischmann, Philipp Forthuber, Manuel Fronhofer, Miriam Frühstück, Barbara Fuchs, Daniel Garcia, Yannick Gotthardt, Manfred Gram, Dominique Gromes, Julia Gschmeidler, Andreas Hagenauer, Jan Hestmann, Christoph Hofer, Sebastian Hofer, Peter Hoffmann, Michael Huber, Konstantin Jakabb, Reiner Kapeller, Jakob Kattner, Sophie Kattner, Markus Keuschnigg, Michael Kirchdorfer, Kristina Kirova, Stefan Kluger, Michaela Knapp, Katrin Kneissl, Markus Köhle, Christian Köllerer, Leonie Krachler, Christoph Kranebitter, Rainer Krispel, Michael Bela Kurz, Philipp L’Heritier, Artemis Linhart, Gunnar Landsgesell, Ali Mahlodji, David Mochida Krispel, Christiane Murer, Nuri Nurbachsch, Ritchie Pettauer, Stefan Pichler, Johannes Piller, Stefanie Platzgummer, Lasse Preng, Christoph Prenner, Teresa Reiter, Werner Reiter, Kevin Reiterer, Martin Riedl, Tobias Riedl, Georg Russegger, Joachim Schätz, Peter Schernhuber, Bernhard Schmidt, Nicole Schöndorfer, Werner Schröttner, Richard Schwarz, Katharina Seidler, Wolfgang Smejkal, Lisa Stadler, Cornelia Stastny, Roland Steiner, Gerald C. Stocker, Johanna Stögmüller, Peter Stuiber, Wernr Sturmberger, Denise Helene Sumi, Asha Taruvinga, Hanna Thiele, Horst Thiele, Franziska Tschinderle, Erwin Uhrmann, Jonas Vogt, Luise Wolf, Maximilian Zeller, Martin Zellhofer, Barbara Zeman PRAKTIKUM Franz Lichtenegger, Dominik Oswald termine Manuel Fronhofer, Stefan Niederwieser AUTOREN Georg Cracked, Michaela Knapp, Michael Lanner, Moriz Piffl-Percevic, Jürgen Wallner, Martin G. Wanko fotografie Florian Auer, Lukas Beck, Stephan Doleschal, Andreas Jakwerth, Georg Molterer, Ingo Pertramer, Kurt Prinz, Karin Wasner, Michael Winkelmann Illbilly-illustration Jakob Kirchmayr COVER Thomas Albdorf ART DIRECTION Sig Ganhoer DESIGN Elisabeth Els, Annemarie Sauerbier, Thomas Wieflingseder Lektorat Wolfgang Smejkal, Adalbert Gratzer web Super-Fi, m-otion anzeigen Herwig Bauer, Thomas Heher, Wolfgang Hoffer, Micky Klemsch, David Kreytenberg, Martin Mühl, Thomas Weber (Leitung) Distribution Martin Mühl druck Ferdinand Berger & Söhne GmbH, Pulverturmgasse 3, 1090 Wien geschäftsFÜHRung Martin Mühl PRODuktion & MedieninhabERin Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6 / III, 1040 Wien kontakt The Gap c/o Monopol GmbH, Favoritenstraße 4–6/III, 1040 Wien; Tel. +43 1 9076766–41; wien@thegap.at, www.thegap.at, www.monopol.at, office@thegap.at bankverbindung Monopol GmbH, easybank, IBAN AT77 14200 20010710457, BIC EASYATW1 abonnement 10 Ausgaben; Inland EUR 15, Europa EUR 35, Rest der Welt EUR 42 HEFTPREIS EUR 2 erscheinungsweise 8 Ausgaben pro Jahr; Erscheinungsort Wien; Verlagspostamt 1040 Wien Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für den Inhalt von Inseraten haftet ausschließlich der Inserent. Für unaufgefordert zugesandtes Bild- und Textmaterial wird keine Haftung übernommen. Jegliche Reproduktion nur mit schriftlicher Genehmigung der Geschäftsführung.

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Spähaugen und Schnappschützen aufgepasst: The Gap freut sich immer über bemerkenswerte Momentaufnahmen, optische Querschläger und belichtete Kuriositäten. Einsendungen an fondue@thegap.at

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Vorher hab ich mir an deiner Schmiererei aber noch gründlich den Arsch abgewischt.

Du hast da noch etwas Wieckse auf den Lippen.

feat. MC Fun Da Meant und Thomas Dehnfuge hinterm Betonmischer.

Gesichter des Todes: Von unbekannten Tätern die Luft ausgelassen, daraufhin qualvoll korrodiert. Rust in Peace.

Ganz ein Feiner. Dachdecker nämlich.

Immer dieser verhurte Apostroph.

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Fabula Rasa LIVE MIT BAND

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All Hail TheLIVE Captain! MIT BAND Die Kolumne von Georg Cracked

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»es ist der geist sein eigner raum, er kann in sich selbst einen himmel aus der hölle und aus der hölle einen himmel schaffen.« (john milton »das verlorene paradies« 1. gesang) Suzy ist schwanger und hat als allererstes ihrem Baby einen Facebook-Account angelegt und sich eine App namens »Babywatch« downgeloadet, die mittels des eingebauten Mikrofons die Herzschläge des Kindes aufnimmt (und diese als Soundfile auf Facebook hochladen kann). Im ersten Moment war sie geschockt, weil die App keinen Herzschlag finden konnte, aber dann fand sie im FAQ der App unter Fehlermeldungen den Hinweis, das Embryos erst ab dem sechsten Monat ein ausgebildetes Herz haben, und jetzt sagt sie: »Babywatch ist so gut wie ein Kinderarzt.« Und ihre Freunde auf Facebook sagen das auch, nur Michael findet »auf jeden Fall Baywatch besser, aber das ist auch eine gute Sache.« (4 Likes für diesen Kommentar, aber kein lol, da war das Hauke Schmidt-Video aber viel besser. Außerdem, Mike kennt Baywatch doch nur aus Youtube.) Und plötzlich posten alle im Freundeskreis Babyfotos von sich selber und es hagelt Likes, als ob Facebook morgen die Richtlinien ändern würde. »it feels like i’m the only one / it feels like nobody cares.« (mozes and the firstborn) Melanie drängt dich auch ein Foto von dir zu posten, aber du hast keine Babyfotos bei dir. Die sind alle noch bei deiner Mutter, was sie wirklich lustig findet und dich den restlichen Abend mit »Muttersöhnchen, Muttersöhnchen«-Gesängen ärgert. Du verstehst den Witz nicht, es ärgert dich auch nicht; aber du findest, dass ihr Drang, bei jedem gerade eben angesagten Internet–Hype mitzumachen, nicht zu ihr passt. Tatsächlich hasst du das Getue, und noch mehr hasst du, dass Melanie und all ihre kleinen Freundinnen daran echten Spaß zu haben scheinen. Spaß, den du einfach nicht haben kannst. Es sieht wirklich nach realer Freude aus, wie sie sich in ihre Smartphones vertiefen, lachen und kommentieren. Ohne jede reflektierte Distanz oder Meta-Ebene. Du kannst Dich nur aufraffen, wenn Du eine ironische Brechung oder inhaltliche Drehung entdeckst (Nick Cave orakelt über Hannah Montana, Jimmy Fallon spielt Barry Gibb); aber immer wenn du Melanie erklären willst, warum das jetzt der bessere Joke ist, sagt sie nur, du sollst das bitte nicht so kompliziert machen. Go with the flow, und enjoy es einfach. Dabei ist es so oberflächlich, so mainstream. Drei Jahre nach dir findet sie shamedogs lustig. Sie fragt dich, ob du Miley Cyrus sexy findest, wenn sie am Spiegel leckt? Morgen ist Wochenende und ihr trefft euch mit Suzy und ihrem Freund zum Prosecco-Frühstück. Die community ist gespannt. Powered by Slaves, Willard Grant Conspiracy, Youngbloods

Tickets: HAUS DER MUSIK, Seilerstätte 30, täglich 10 - 22 Uhr, www.hdm.at

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Es gibt Dinge da draußen, die sind so gut, die sind Segnungen für die Menschheit, echte Hits der Warenwelt, für die machen wir freiwillig Werbung.

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Täglich grüßt das Murmeltier

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Sich mit Eigenfett aufzuspritzen ist so 2000. Auch Seifen aus abgesaugtem Hüftspeck waren zuletzt in »Fight Club« cool. Endlich gibt es auch ein essbares Produkt des Körpers: Salz, das aus menschlichen Tränen hergestellt wird. Wie sich das Lachsalz vom Wutsalz geschmacklich unterscheidet, kann man bei Monster Supplies herausfinden. Als Dessert empfiehlt sich dann die ebendort fabrizierte Milchschokolade mit Kinderzahnsplittern. Diese englische Küche. www.monstersupplies.org

Wir sind jetzt langsam aus dem Alter raus, wo nur unsere ganz komischen Freunde Kinder bekommen. Immer häufiger werden auch unsere coolen Homies Eltern. Das ist insofern blöd, als man dem Nachwuchs dann auch ebenso cooles Zeug schenken muss. Noch blöder aber, dass man sich den Bill Murray-Onesie von Truly Sanctuary nicht gleich selbst behalten kann. Macht Lust, sich wenigstens selbst ein paar Babys zu besorgen. www.etsy.com

Dieser Stuhl besteht aus demselben Material, aus dem auch Stress Balls gemacht werden. Trifft sich gut, denn dieses antikisierende Sitzteil schaut auch für stressed balls ganz angenehm aus. Da der Held Herkules bekanntlich bisexuell war, ist es ihm vermutlich recht egal, welches Geschlecht sich auf sein Gesicht setzt. Ein Gewinn für alle Beteiligten! www.fashionarchitecturetaste.com

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Ela Sattler (VJane, Neonrost)

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Moments to Memorize

01 saying goodbye to a friend in happiness 02 sunset after working a night on projects 03 talking about existentialism at a family party 04 talking about existentialism at a family party 05 spending time with yourself in a different country 06 waking up in a club, with still enough music to dance to 07 driving over the border by accident 08 talking to a strangers till they show you their insides 09 driving a fork-lift-truck which weights 30 tons 10 dreaming of death and waking up alive

TOP 5

Weird things to eat

Der Lynch’sche Blick auf die Fabrik

01 norwegian rotten salmon 02 fried grasshoppers 03 black pudding by my granny 04 random things you find on the ground which don’t look poisonous 05 things that are presented to you as food but you have no clue at all what it could be

Kürzlich ist David Lynchs neuer Fotoband »The Factory Photographs« erschienen. Darin zu finden sind 80 Fotografien in Schwarz-Weiß von Fabrikgebäuden in Lodz, Berlin und Los Angeles, die er in der Zeit von 1980 bis 2000 geschossen hat.

auch nicht schlecht: Wearing a »Dirndl«-dress whenever and wherever you feel like it

Laura Karasinski (Art Director, Atelier Karasinski)

TOP 10

TOP 5

Vintage-Läden in Wien

01 Glasfabrik 02 Vintagerie 03 Carla 04 Oliver auf der Strozzigasse 05 Bananas

auch nicht schlecht: Beyoncés Visual Album

TEXT MIRIAM FRÜHSTÜCK BILD PRESTEL VERLAG

Typografie-Seiten

01 myfonts.com 02 houseindustries.com 03 losttype.com 04 tendollarfonts.com 05 fontfont.com 06 typejockeys.com 07 typography.com 08 losttype.com 09 thefontfeed.com 10 fontsquirrel.com

Der charismatische David Lynch lässt kaum ein gängiges künstlerisches Mittel aus, um das Publikum kennenlernen zu lassen, was der Herr auf dem kreativen Sektor so alles kann. Mag man seine Filme nicht – auch wenn man ihm damit die Tatsache, cineastische Meilensteine geschaffen zu haben, nicht absprechen wird können – kann man sich seine Lieder zu Gemüte führen. Wird man dann noch immer nicht so richtig warm mit seinem Schaffen, gibt es ebenfalls die bildende Kunst und die Fotografie, der David Lynch seit seinem Studium an der Pennsylvania Academy of the Fine Arts in den 1960er Jahren nachgeht und deren Ergebnisse er in regelmäßigen Abständen in Ausstellungen präsentiert. Kürzlich war es wieder so weit, und sein neuer Fotoband »The Factory Fotographs« ist erschienen. Versammelt sind hier 80 Fotografien in Schwarz-Weiß von Fabrikgebäuden in Lodz, Berlin und Los Angeles, die er in der Zeit von 1980 bis 2000 geschossen hat. Begonnen hat das Ganze im Zuge der Suche nach Filmschauplätzen, in der Zeit als Filme wie »Eraserhead« (1977), »Elephant Man« (1980) und »Dune« (1984) entstanden sind, in denen er sein Interesse an Industrie und Maschine durch Sound und Bild integrierte. Die Fotos, welche ein Herantasten über das einsame Gelände an die einzelnen Fabriken bis in das Innere der leer stehenden Gebäude dokumentieren, weiden das längst Ausgeweidete nun en detail aus. Dabei folgt er zumindest einer Tradition, nämlich seiner eigenen. David Lynch betrachtet all zu Reales in einer Konzentration, die den Betrachter seinen gewohnten Blick aufgeben lässt und dadurch das Eigentümliche freigibt, ohne dessen Symbolik zu erklären. Es ist eine seit jeher kindliche Neugier, die David Lynch immer wieder das Faszinosum von gelebter und lebender Industrie weniger suchen und finden, als entdecken lässt. Und es ist, als wäre man dort gewesen und hätte sich in winterlicher Atmosphäre im Verzicht auf menschliche Gesellschaft anstelle von David Lynch in der weiten Leere der vorhandenen Räume auf die Reise gemacht. Wen diese Fotoarbeiten auch nicht überzeugen, wartet einfach auf den nächsten Coup. Auf Lynch ist Verlass. »David Lynch: The Factory Photographs« ist im Prestel Verlag erschienen.

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Von Türmen und Tänzern

Hennes, Stefan, was waren die wichtigsten Erfahrungen, die ihr gemacht habt? Im ersten Jahr geht es immer darum, eine gute, gesunde Basis zu schaffen, auf der es aufzubauen gilt. Hier kann jeder grober Fehltritt bei strategischen Entscheidungen das sofortige Aus bedeuten. Entsprechend sorgfältig haben wir uns diesen Schritt mehr als ein Jahr vor dem Launch überlegt. Welche Neuerungen können wir im Jahr 2014 erwarten? Neben den vorhandenen Kooperationen werden Communities aus Italien, Serbien und Slowenien dabei sein und ein verstärkter Fokus auf den Bundesländern liegen. Auch in Sachen Deko und Visuals wird mehr passieren. Gleichzeitig legen wir aber auch mehr Wert auf das Side-Programm. Unter anderem gibt es da das Dish Tennis Tournament oder die Live-Übertragung des Champions League-Finales mit Heineken. Welche Ziele habt ihr in den kommenden Jahren mit dem Festival? Wir wollen gezielt langsam wachsen, die Marke in Österreich, Deutschland und der Schweiz stärken und in weiteren Ländern ausbauen. Mittelfristig spekulieren wir, das musikalische Programm auf ein bis drei weitere Genres auszuweiten. Letztes Jahr meintet ihr, der intime Charakter des Festivals soll der Grundstein für alles sein. Auch 2014 ist das Festival auf 2.000 Leute limitiert. Warum die Exklusivität? Von Anfang an wollten wir ein kleines, feines und qualitatives Festival für uns und unsere Freunde gestalten. Wir haben mit knapp 1.000 Gästen 2013 begonnen und das Limit für die zweite Ausgabe bei maxi-

mal 2.000 gesetzt, damit wir unseren Grundsätzen treu bleiben können. Wir wollen unsere selbst gesetzten Qualitätsstandards halten – und vor allem den damit zusammenhängenden Charme des Festivals. Könnt ihr bereits etwas über das Line-up verraten? Booking-technisch konzentrieren wir uns budgetär auf die Mittelklasse – große Acts wie Modeselektor wird es also nicht mehr geben. In dieser Klasse finden sich sowohl etablierte Künstler als auch vielversprechende neuere Namen. Wir werden unseren Gästen eine gute Mischung aus beidem präsentieren. Für den deutschsprachigen Raum seid ihr Vorreiter mit einem elektronischen Festival in Kroatien. Habt ihr bereits Nachahmer ausmachen können? Nicht wirklich und das freut uns natürlich sehr, weil wir dadurch auch für immer von einer Art First Mover Advantage profitieren können. Fakt ist aber auch, dass es nicht einfach ist, ein Festival dieser Art ohne entsprechendes Konzept, Promo-Power im Heimatland und Produktionspartner zu veranstalten. Es gibt viele Hürden, die nach außen nicht sichtbar sind.

Das Lighthouse Festival findet von 23. bis 25. Mai in Porec, Istrien, statt. Bestätigt sind bereits: Kollektiv Turmstrasse live, Axel Bomann, Dream Koala live, Rodgriguez Jr. live, RAR live (Re.You & Rampa), HVOB live, City Fox Showcase (Mike Shannon, Dewalta, Mark Henning, Markus Lindner), Animal Trainer, Joyce Muniz lighthousefestival.tv

TEXT MICHAEL MARIA MORGENBESSER BILD Michael Winkelmann

2013 fand das Lighthouse Festival zum ersten Mal statt. Als erster Anbieter im deutschsprachigen Raum konnten sich die Pratersauna-Betreiber Hennes Weiß und Stefan Hiess über zahlreiche Hürden hinwegsetzen.

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Lea Sonnek (Hella Comet)

TOP 10

THINGS TO THINK ABOUT (RANDOM ORDER)

01 Zustand >< aufstand 02 abstand >< Aufstand 03 Umstand >< aufstand 04 anstand >< Aufstand 05 Bestand >< aufstand 06 besitz >< Aufstand 07 Besetzen >< aufstand 08 versetzen >< Aufstand 09 Versessen >< aufstand 10 vergessen Endstand?

TOP 5

THINGS THAT MIGHT THREATEN FREIHAUT'S FREIHEIT (RANDOM ORDER)

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standhaft haftstand stand: HAFT vollzug zog sog eindruck – beule ressentiment >< hassen lassen

auch nicht schlecht: atme n atem mate n

www.thegap.at/gewinnen Puch: Das Studentenrad Kein Fahrrad ist in Österreich so bekannt wie das Waffenrad. Puch hat nun für einen Relaunch dieses Rads gesorgt und verbindet unveränderbare Attribute mit modernen Komponenten und Technologien. Dazu gehört nun auch das Studentenrad, eine Kooperation mit Raiffeisen, die den Klassiker im Radverkehr noch beliebter machen will: Studentenkonto-Inhaber bekommen das Rad zum Sonderpreis. Oder bei uns. Wir verlosen 1 Exemplar.

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Franz Lichtenegger (Praktikant / Eristguterjunge)

TOP 10

TRASHIGE MTV-SHOWS VON ALS ICH NOCH KLEIN WAR

01 Flavor of Love 02 Room Raiders 03 Dismissed 04 Pimp My Ride 05 Date My Mom 06 I Love New York 07 The Osbournes 08 Punk’d 09 Parental Control 10 Next

TOP 5

MOMENTE VOM BEYONCÉ-ALBUM

01 Surfboard 02 I woke up like diz 03 Yoncé all on his mouth like liquor 04 He Monica Lewinsky’d all over my gown 05 Gonna rock that ching-ching-ching

auch nicht schlecht: Tove Lo

»The Act Of Killing« Bei den Oscars nun doch leer ausgegangen, bewegt diese Doku weiterhin weltweit ihr Publikum: Regisseur Joshua Oppenheimer beschäftigt sich darin mit einer Massentötung im Jahr 1965 in Indonesien, bei der das Militär gegen Mitglieder der Kommunistischen Partei sowie chinesische Mitbürger vorging. Die Soldaten von damals wurden nie belangt und stellen in dem Film ihre Taten nach. Wir verlosen 3 Blu-rays.

»Thor: The Dark Kingdom« Am 20.3. erscheint der zweite Thor-Film auf DVD und Blu-ray. Bedroht werden diesmal nicht nur die Erde, sondern gleich alle neun Reiche und Thor Chris Hemsworth nimmt die Unterstützung von Natalie Portman und Anthony Hopkins nur zu gerne an. Wir verlosen 3 Pakete, bestehend aus DVD oder Blu-ray, T-Shirt und iPhone-Case.

»Borgen« Staffel 3 Birgitte Nyborg hat die Politik nach den Ereignissen der zweiten Staffel verlassen und verdient in der Privatwirtschaft als angesagte Rednerin ihr Geld. Als jedoch ihr Nachfolger bei den Moderaten die Partei in eine neue Richtung lenkt, wird sie abermals auf den Plan gerufen, Dinge zu verändern. Wir verlosen 2 Boxen der dritten Staffel.

»Blutgletscher« »Rammbock«-Regisseur Marvin Krenn hat sich wieder ein Horror-Genre vorgenommen und mit seinem Team in »Blutgletscher« Filme wie »Das Ding aus einer anderen Welt« in die heimschen Alpen übertragen. Horror für Fans – mit ein paar Logiklöchern, aber ungebrochener Lust an der Sache. Wir verlosen 1 DVD und 1 Blu-ray.

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Kolumne: Zahlen, bitte! von Thomas Edlinger

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Jahre müssen manche Menschen werden, um sich in die Surfkids im Internet zu verlieben. Einer davon heißt Michel Serres.

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elbst der verlässlichste Pubertätsbegleiter der deutschsprachigen Nachkriegsjugend, die Bravo, ist in der Krise. Knallharte Aufmacherstorys über »die tödliche Sex-Sucht« von Justin Bieber und seine »Porno-Bitches« locken immer weniger Kids hinter dem Smartphone hervor. Der junge Mensch, das unbekannte Wesen – viel beforscht, noch mehr umworben und wenig verstanden. Ausgerechnet ein 83-Jähriger will es nun genau wissen und macht sich seine Gedanken über den Neuen Menschen, der angeblich seit den 70er Jahren in Serie hergestellt wird. »Ich wäre gern 18, so alt wie die kleinen Däumlinge, jetzt, da alles zu erneuern, ja erst noch neu zu erfinden wäre«, sagt Michel Serres in seinem Aufruf »Erfindet euch neu!«. Klar, dass man anlässlich dieser »Liebeserklärung an die vernetzte Generation« an »Empört euch!«, den zum Taschenbuchhit avancierten Zornesaufruf des ehemaligen Widerstandskämpfers Stéphane Hessel denken muss. Der ebenfalls greise Serres ist eigentlich ein honoriger Philosoph mit Lehrstuhl an der Académie Francaise und Professuren an der Sorbonne und in Stanford. Er begriff sich Zeit seines Lebens als Brückenbauer zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften, als Informationstheoretiker im universalen und transzendentalen Sinn. Zentral für sein Denken ist die Auffassung, dass das Wissen entlang von Knoten verteilt und nicht hierarchisch zentralisiert ist. So jemandem kommt das Internet gerade recht. Nachdem ich voller Bewunderung gesehen habe, wie sie, schneller als ich mit meinen steifen Fingern es je vermöchte, mit ihren beiden Daumen SMS verschicken, habe ich sie mit der größten Zuneigung, die ein Großvater zum Ausdruck bringen kann, auf die Namen Däumelinchen und kleiner Däumling getauft. Von den Däumlingen, so Serres Einsicht, lässt sich vor allem lernen, dass man Figuren wie ihn nicht mehr braucht. Das macht ihm, der niemandem mehr etwas beweisen muss, keine Angst. Und auch die Pendelschläge der zwischen

Berauschung und Depression pendelnden Aufmerksamkeitssüchtigen machen ihm keine schlechte Laune: Wenn ich die Folgen dessen, was alte Nörgler Egoismus nennen, und die Verbrechen, die auf Konto der Zugehörigkeitslibido gehen oder um ihretwillen begangen wurden – Hundert Millionen von Toten – gegeneinander abwäge, dann kann ich diese jungen Leute nur von ganzem Herzen lieben.

KonneKtiver Netzidealismus Das ist einmal eine Ansage. Nix Narzissmusfalle, nix Computer-Burn-Out, nix Volkskrankheit Depression. Aber klar hat Serres Recht: Gegen zwei Weltkriege für Gott, Vaterland und Familie ist der Nerdismus der Menschmaschinchen ein harmloser Klacks. Serres weint dem Untergang der alten Kollektive des 20. Jahrhunderts keine Träne nach, denn sie waren in Blut getränkt. Dafür sehnt er schon die spannende neue Welt der Konnektive herbei – lockere Assoziationen von Individuen, die sich nicht einer Idee unterordnen, sondern lieber die Idee der Vernetzung verwirklichen wollen. Für die Schwarmintelligenz gilt die Kompetenzvermutung, und die Anonymität in den sozialen Netzwerken reanimiert ein Fingerspitzengefühl für den Umgang miteinander, dem es immerhin nur um das virtuelle Beschnüffeln und nicht um das reale Ohrfeigen geht. Ok, ein bisschen blauäugig klingt diese französische Poetisierung der kalifornischen Ideologie schon. Von Cyber-Mobbing, der Epidemie der Shit-Storms und anderen Standardsituationen der Technologiekritik (Kathrin Passig) scheint Serres noch nie etwas gehört zu haben. Auch die Freude von Geheimdiensten und Konzernkraken an der gläsernen Menschheit, die uns mit ein paar Klicks bis auf die Unterhose ausziehen, dürfte ihm entgangen sein. Zur Ehrenrettung von Serres sei aber gesagt: Das Buch ist Anfang 2012, also vor dem Jahr des Edward Snowden,

verfasst worden. Trotzdem: Neu war die Netzkritik auch damals schon nicht, die Technoeuphorie ist ja schon lange einem Unbehagen an der Netzkultur gewichen. Die diesjährige Netzkulturschau Transmediale in Berlin zum Beispiel ging von einer Cyber-Dystopie aus und verkündete das Zeitalter des Afterglows. »Die digitale Revolution ist schon wieder vorbei und das YOU hat verloren.« Den Netzidealisten Serres kümmert all das gar nicht. Er blickt sich im Hörsaal in Paris um und bemerkt, dass seine geliebten Däumlinge und Däumelinchen nicht mehr an den Lippen des Professors, sondern an der Tastatur kleben. Sie stecken ihre Köpfe nicht desillusioniert in den Sand, sondern in die Cloud. Ein altes Bibliotheksfossil reicht ihnen dabei die Hand. Seine Augen leuchten, und sein Text gebiert viele Fragezeichen. Kommt das Ende der Welt, wie wir sie kennen? Endet, wie Serres hofft, das Zeitalter des alten Wissens, haben Autoritäten, Experten und Entscheider ausgedient? Und was kommt danach? Serres sieht jedenfalls nicht weniger als eine neue Weltgesellschaft heraufdämmern, ein Update des Turmbaus zu Babel. Ist das naiv, poetisch oder erfrischend zukunftsoffen gedacht? Kann man die selbstregulative Kontrollgesellschaft der Gegenwart tatsächlich auch anders als eine tyrannische Welt ohne außen begreifen? Ist die radikalöffentliche Perspektive »Alle beobachten alle« der Ausweg aus dem Miserabilismus der Gegenwart und dem Elend der Kritik (Bruno Latour)? Diese Lobeshymnen handeln jedenfalls von Menschen, die sich selbst helfen und selbst heilen. Von Menschen, die keine Einsager mehr brauchen, aber auch nicht wissen, was sie anderen vorsagen sollten.

Thomas Edlinger Journalist und Kurator

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Lego — Renaissance des Spielsystems durch Pop und das Netz

Legoland ist überall Coca-Cola kann man grauslich finden, Disney banal. Aber gibt es jemanden, der Lego nicht toll findet? Die drittbeliebteste Marke der Welt ist de facto unangreifbar. Sie steht für Machen, Utopie, Spiellust und grenzenlose Kreativität – und mühelos vereint sie Widersprüche, wenn man entweder nach Bauplan oder zufällig und wild wuchernd bauen kann. Lego ist nicht nur Kinderspielzeug, sondern wird bei Therapien eingesetzt oder bei Personalfragen, in der Kunst, in Musikvideos, als Baumaterial für technische Geräte oder als sympathische Lizenzmaschinerie, die von den »Simpsons« und »Harry Potter« über »Toy Story« und »Sponge Bob« bis hin zu »Star Wars« reicht. Und es ist dabei »pädagogisch wertvoll«. Man kann damit vor allem nicht nur Wirklichkeit simulieren, sondern tatsächlich herstellen. Wie in dem Sandkasten-Game »Minecraft«, nur im echten Leben. Die Liste seiner fabelhaften Eigenschaften lässt sich beliebig fortsetzen. »Leg godt« – »spiel gut«: Firmengründer Ole Kirk Christiansen hätte keinen passenderen Namen finden können. 1932 begann er im dänischen Dorf Billund mit der Produktion von Holzspielzeug, Ende der 40er Jahre kamen die ersten Bausteine auf den Markt, die aus Zelluloseacetat bestanden. Der Durchbruch gelang allerdings erst 1958 mit dem Kunststoff ABS. »Natürlich hat es davor eine lange Geschichte der Baukästen gegeben«, so der Kulturwissenschaftler Ernst Strouhal, Professor an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien und profilierter Spieleforscher. »Doch erst Lego war so unheimlich praktisch, weil es so leicht und zugleich unzerstörbar ist.« Die stabile und leicht wieder zulösende Steckverbindung aus Noppen und Röhren sowie die Präzision der Produktion erwiesen sich als der entscheidende Erfolgsfaktor.

Die unendliche Kombinierbarkeit ist nicht nur aus Sicht des Spielenden ein Geniestreich: Je mehr Steine, desto besser – auch für den Umsatz. Mit nur wenigen Formen stand Lego in der Tradition der Reformpädagogik (von Fröbel bis Montessori) und der Bauhaus-Moderne (Kreis, Dreieck, Quadrat), so Ernst Strouhal, der auf einen weiteren Aspekt von Legos Anfangszeit hinweist: »Beim Baukasten ist das Ausund Einräumen Teil des Spiels. Hier griff die kleinbürgerliche Disziplinierung mit ihrem strikten Ordnungssystem, in diesem Fall nach Farben und Bausteinformen.« So modern Lego war (und ist), seine Stärke bezog es auch aus der Fähigkeit, die Zeit des Wirtschaftswunders idealtypisch abzubilden: Das archetypische Haus, die properen Straßen, die ordentliche Stadt – all das lässt sich wunderbar mit Legosteinen bauen. Aber nicht nur, denn »die differenzierte Verwendung ist dem System Lego eingeschrieben«, so Ernst Strouhal. Das ist auch heute nicht anders: Kinder bauen Lego-Sets zwar oft mit den Eltern nach Bauplan zusammen. Doch erst wenn das fertige Teil wieder demontiert und »kaputt« ist, geht der Spaß so richtig los.

Lego vs. Sim City Auf die einfachen Bausteine folgten später Themensets wie Eisenbahn, Burgen oder der Space Cruiser aus den späten 70er Jahren, als auch die ersten kleinen Lego-Figuren auf den Markt kamen. Anfangs noch ohne Gesicht, später dann immer gutgelaunt. Bereits Ende der 60er Jahre hatte man mit Duplo eine Bausteinversion für Kleinkinder geschaffen, die mit den Legosteinen kompatibel ist. »Lego musste ausdifferenziert werden«, so Ernst Strouhal. »denn jede kulturelle Praxis wird von Generation zu Generation jünger.« Sprich: Die Kinder spielten immer früher mit Lego. Manches ging schief: »Scala«, die erste Produktlinie für Mädchen, wurde wegen Misserfolgs vom Markt

Text Peter Stuiber Bild LEGO, Disney / Lucasfilm, SocImages, Jung von Matt

600 Milliarden Legosteine soll es weltweit geben. Doch die Masse allein ist es nicht, die Lego so allgegenwärtig macht. Kreativität und Kapitalismus, Popkultur und Plastik, Steckverbindung und »Star Wars«: Lego ist das passende System für unsere Welt.

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Vor zwei Jahren führte die Werbeagentur Jung von Matt mit der »Imagine«-Kampange eindrucksvoll vor, wie viel Pop und Fantasie in den kleinen bunten Lego-Steinen steckt.

genommen. Ebenfalls kein Bestseller, wenn auch marketingtechnisch visionär, war »Fabuland«, inklusive Merchandise und eigener Fernsehserie. Der neue Lego-Film hat also Vorläufer (und nicht nur einen). Trotz Rückschlägen war Lego bis in die 90er Jahre laufend gewachsen und bei seinem Kerngeschäft geblieben. Das Patent auf die LegoSteine lief aus. Gegen Kopien ging man rechtlich vor, jedoch ohne Erfolg. Währenddessen veränderte sich die Welt radikal – Gameboy und Nintendo ließen Baukästen alt aussehen, Spiele wie »Sim City« transferierten die Faszination an der Konstruktion in virtuelle Welten. Was beinahe im Desaster geendet hätte, wie der Management-Professor David C. Robertson in seinem fesselnden Buch »Das Imperium der Steine« beschreibt, das zeitgerecht zum Lego-Film erschienen ist und die Geschichte der Marke mit Schwerpunkt auf die vergangenen 15 Jahre erzählt. Lego sei damals »selbstzufrieden und engstirnig« geworden, so Robertson.

Lego 2000: Passiv und panisch Die Führung von Lego reagierte auf die Veränderungen passiv bis panisch. »Nur über meine Leiche bringt Lego jemals ›Star Wars‹ heraus«, zitiert das Buch die Reaktion des Firmenvorstandes auf den Vorschlag, sich mit Lucasfilm zusammenzutun. Das war 1997. Lego hatte noch nie die Ideen anderer aufgegriffen, sondern stets selbst welche entwickelt. Außerdem schien die kriegerische Welt nicht zum Saubermann-Image zu passen. Doch in den USA machten Lizenzprodukte auf dem Spielesektor bereits die Hälfte des Umsatzes aus, so Robertson. Die Lego-Konkurrenten Hasbro und Mattel waren bereits mit Disney verbandelt. Letztlich aber machte sich der »Sündenfall Star Wars« für Lego außerordentlich bezahlt, die Serie entwickelte sich zu einer der erfolgreichsten der Firmengeschichte. Neben Modellen von Kampfschiffen, Droiden und Sternenzerstörern gibt es heute poppigsüße Videospiele, Comics, Kurzfilme, Langspielfilme und natürlich Unmengen an Fanvideos. Aber auch mit »Harry Potter« landete man große Erfolge. Doch das waren die Ausnahmen. Lego verdreifachte die Anzahl der neuen Spielzeuge und führte viele neue Produkte ein. »Das Ergebnis war eine Menge Hektik, aber nur sehr wenig Gewinn«, so Robertson.

Einem Turnaround-Experten gelang auch nicht viel. Viele neue Konzepte brachten wenig brauchbare Resultate. Selbst die »Star Wars«- und »Harry Potter«-Produkte stagnierten ohne Film-Nachschub. Man eröffnete Ableger von Legoland in Großbritannien, den USA und Deutschland und plante weltweit Flagshipstores. Das war allzu viel des Guten. Noch nie zuvor hatte es so viele Legoteile gegeben, die nicht zueinander passten. 2003 stand man vor der Firmenpleite.

Internet, Communities und Schwarm Den Umschwung brachte ein Youngster namens Jørgen Vig Knudstorp. Sein Ansatz – neben einer gründlichen Neustrukturierung –: zurück zum Kerngeschäft. Dazu gehörte die Reduktion der über 14.000 Teile auf weniger als die Hälfte (heute bestehen Lego Sets zu rund 70 Prozent aus Standardteilen), Wiedereinführung von Duplo und ein klassischeres Redesign der Sets. Doch nicht nur das, Knudstorp erkannte die Zeichen der Zeit. Im Internet trafen sich seit vielen Jahren erwachsene (!) Lego-Fans, um auf Sites wie brickshelf.com oder bricklink.com ihre Kreationen hochzuladen. Der kreative Austausch war genauso wichtig wie das Retro-Gefühl. Erstmals gingen Lego-Manager zu Events wie dem »Brick Fest«, bei dem Erwachsene (sogenannte AFOLS – Adult Fans Of Lego) Riesenbauten und Skulpturen schufen. Man begann, an den Communities anzudocken und die Schwarmintelligenz zu nutzen. Besonders talentierte Hardcore-Fans wurden in die Designteams eingebunden, Kinder konnten direkt online Feedback auf neue Modelle geben. Auch der letzte Skeptiker im dänischen Billund begann zu verstehen, dass die digitale Revolution keinem anderen Spielsystem der Welt so entgegenkam wie Lego. Schließlich gelang es Lego sogar, im boomenden Bereich der Action Heros und Fantasy-Figuren erfolgreich Fuß zu fassen: Mit der Produktreihe »Bionicle« für ältere Kinder verstand man, dass nicht die Figuren allein die Fantasie beflügeln, sondern dass es Geschichten sind, die erzählt werden müssen. Auch im digitalen Bereichen musste Lego über seinen Schatten springen: Als der Programmiercode der Roboter-Serie »Mindstorms« geknackt wurde, erkannte man nach einem anfänglichen Schock das Potenzial und ließ Hacker ran, um das Produkt zu verbessern. Im analogen Bereich verhielt sich Lego ebenso innovativ,

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Buchtipp »Das Imperium der Steine. Wie Lego den Kampf ums Kinderzimmer gewann« gibt einen ebenso umfassenden wie faszinierenden Einblick in die Welt von Lego. Das Buch des amerikanischen Innovationsexperten David C. Robertson setzt den Schwerpunkt auf den Turnaround des dänischen Konzerns, ist aber weit mehr als eine bloße Management-Studie. Gespickt mit Hintergrundinformationen, liefert es ein ebenso intimes wie spannendes Porträt des LegoUniversums. Erschienen im Campus Verlag.

etwa mit der »Lego Architecture«-Serie mit Modellen von berühmten Architektur-Ikonen, die eindeutig Erwachsene ansprechen. Und die nächste Herausforderung wartet bereits: der 3D-Druck. Wie ändert sich Legos Geschäftsmodell, wenn es billiger wird, virtuell Gebautes real auszudrucken, anstatt fertige Sets beim Händler zu kaufen?

The Lego Movie Vorläufig gibt es ein Happy End für das Traditionsunternehmen. Lego hatte in den vergangenen Jahren wieder ein rasantes Wachstum zu verzeichnen, scheint moderner denn je. Der Film kommt also zur rechten Zeit. Die Marke strahlt geradezu jungfräulich. Und schafft es einmal mehr, Widersprüchliches zu vereinen: Die Kapitalismus-Kritik im LegoFilm kommt gut an, obwohl Lego selbst als weltweite Nummer 3 des Spielesektors ein mächtiger Teil des Systems ist. Dass man sich gegenüber »kriegerischen« Figuren und Settings geöffnet hat – so what? Das haben andere auch. Selbst die zunehmende Skepsis gegenüber Plastikspielzeug scheint Lego nicht zu tangieren – immerhin lässt Lego in Europa produzieren. Klischeehafte Produktserien wie »Lego Friends«, die speziell für Mädchen konzipiert sind, gehen problemlos durch (siehe auch den Artikel zu Gender Design auf der folgenden Seite). Dabei sollte man gerade bei einem skandinavischen Unternehmen diesbezüglich mehr Sensibilität erwarten, oder ist das ein naiver Wunsch? »Legos Image ist unantastbar«, so Ernst Strouhal. »Es kommt nicht aus einem Schurkenstaat. Es ist politisch neutral, weil es dänisch ist. Von dort ist noch nie etwas Böses gekommen. Lego verkörpert die Sauberkeit der Moderne.« Alles ist clean, so wie die meisten »Kunstwerke«, die mit Lego gebaut und global abgefeiert werden. Meist handelt es sich dabei um riesige Bauwerke mit 150.000 Bausteinen oder sonstigen Rekorden. Da staunen Papa und der Sohnemann und vielleicht auch die Tochter und Mama. Umso empörter die Reaktionen, als der polnische Künstler Zbigniew Libera Ende der 90er Jahre aus Lego einen Bausatz für ein Konzentrationslager kreierte. Ein Tabubruch. Sowas darf man nicht tun, schon gar nicht mit Lego. Dabei hieß es doch immer, mit Lego könne und dürfe man alles machen. Außer: einzelne Bausteine auf dem Boden liegen lassen. Spätestens dann weiß man: Lego kann auch wehtun.

Links oben: Modelle von Architekturikonen sprechen klar Erwachsene an. Mitte: Anfang dieses Jahres explodierte der Brief einer Siebenjährigen über Legos Geschlechter-Stereotype im Internet. Unten: Der Stein des Anstoßes.

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»The Lego Movie« — Vom guten Blockbuster-Pop-Gewitter

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Text Christoph Prenner Bild 2014 WARNER BROS. ENTERTAINMENT INC.

Steine des Anstoßes: Der vermeintlich ultimative Product-Placement-Film erweist sich als unerwartet subversives Loblied auf Kreativität und Anarchie. Everything is awesome. Das weißt du doch, von diesem einen Song selbigen Namens, der dir ohne Unterlass aus dem Radio entgegenhämmert – und den du dann wie alle anderen rund um die Uhr vor dich hinträllern musst. Alles ist leiwand, alles im vorgesehenen Fluss. Falls du dich an die Regeln hältst, Handlungsanweisungen befolgst, aufstehst, arbeitest, konsumierst, was feilgeboten wird. Tag für Tag. Auch, und vor allem in deiner kunterbunten Klötzchenwelt, in der du dafür als abrissbeauftragter Bauarbeiter sauber nach Vorschrift dafür sorgst, dass kein Stein auf dem anderen bleibt, wenn das so gewünscht wird, weil es sonst eben seltsam aussehen würde. Was aber, wenn all dies gar nicht deine Bestimmung wäre? Wenn da auf einmal dieses Mädchen wäre, Farbenfreude im Haar und Rambazamba im Gemüt, das dir erzählt, dass du dieser eine Auserwählte wärst, der Master-Builder, von dem die Prophezeiung kündet, der, der Welten, von denen du noch nie gehört hast, zusammenführen und aus dem Muff des Beharrens befreien soll? Würdest du ihr ins Ungewisse folgen? Aber sicher würdest du. Du magst ein grader gelber PlastikMichl sein, doch du bist garantiert kein Idiot.

»Toy Story« × »Matrix« Ganz entschieden zugewuchert muss sie gewesen sein, die Weggabelung, an der ein filmisches Juwel dieser Preisklasse unentdeckt vor sich hinschlummern konnte. Aber wer käme schließlich schon auf die kolossale Idee, ausgerechnet an jenen tollkühnen, für eine gewisse Aufmüpfigkeit prädestinierten Ort etwas hinzupflanzen, wo sich der Pfad so mancher »Toy Story« ausgerechnet mit jenem der »Matrix« quert? Doch nicht etwa gar ein dänischer Plastikstockerl-Spielzeuggigant, der angetreten ist, sein Imperium erstmalig auf die Kinoleinwand zu wuchten – und dabei schon im Titel klar machen möchte, dass das hier nichts mit Product Placement im Film zu tun hat. Sondern gleich mit Product

Placement als Film. Dann wäre das doch erst recht ein Ding der Undenkbarkeit, oder? Oder eben doch nicht – zumindest dann, wenn dabei die richtigen Baumeister an die Gerätschaft gelassen werden.

Alles leiwand Ob man sich im Lego-Imperium letztlich so lückenlos im Klaren war, wen man mit dem Gespann Phil Lord und Christopher Miller, deren »Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen« und »21, Jump Street« bereits beste Beweisführung waren für Kinomainstream, der pikanter angesetzt sein kann als er muss, in den Regiestühlen seines 60-Mio-DollarPrestigeprojekts Platz nehmen ließ? Der charmebeschlagen zwischen (simulierter) Stop–Motion- und Animationsästhetik tänzelnde Dauerbespaßungsreigen mag zunächst als munter angerührte Mischung aus kindgerecht kunterbunten Visual Gags und popkulturellem Referenzgewitter (mit mehr Anspielungen, als man zunächst handlen kann; sowie Gastauftritten von Plastikabbildern von u.a. Batman, Shakespeare und Shaquille O’Neal) seine primäre Wirkung entfalten, hat aber wie ein anderes Kids-Unterhaltungsprodukt darunter mehr zu bieten: Nachgerade überraschungseiesk haben Lord und Miller in ein Corporate-Produkt einen thematischen Kern eingearbeitet, den man gut und gerne als subversiv bezeichnen kann. Dass daraus trotz der inhärenten gesellschaftspolitischen Sprengkraft der bislang größte Hit des US-Kinofrühjahrs wurde, lässt einen womöglich tatsächlich den Glauben an das PostPixar-High-Animations-Kino im speziellen und das Blockbusterkino im Allgemeinen ein klein wenig zurückgewinnen. Everything is awesome? Warum denn eigentlich nicht ...?

»The Lego Movie« (von Phil Lord und Christopher Miller, im Original mit den Stimmen von Chris Pratt, Will Ferrell, Elizabeth Banks, Morgan Freeman) läuft ab 11. April in den österreichischen Kinos.

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Design und Gender — Für ein geschlechtersenibles Design

Gegen die Pinkisierung der Welt Text Peter Stuiber Bild Weller, Hinz, Krämer, Rajabi / aus: »Du Tarzan ICh Jane«, Blumhardt Verlag

»Gendersensibles Design« – braucht es das wirklich? Und ob! Angesichts der sich verschärfenden stereotypen Rollenzuweisungen in Produktkultur, Werbung oder Grafik fragt man sich mitunter, wie fortschrittlich unsere Gesellschaft tatsächlich ist. Über vergangene Zeiten kann man sich leicht lustig machen. Über die biederen Hausfrauen-Kochbücher der 60er Jahre zum Beispiel. Oder über die damalige »Vati kommt abends von der Arbeit heim«-Romantik, die so manches Kinderbuch heute unlesbar macht. Oder über den skurrilen Ernst in den Wochenschauen, wenn Scharen von Männern mit Hut irgendetwas Wichtiges machen, planen oder besprechen. Und heute? Wir halten uns für aufgeklärt, liberal, weltoffen und emanzipiert. Spätere Generationen werden sich trotzdem auf den Kopf greifen, wenn ihnen manche Werbung oder Produkte aus 2014 unterkommen. Denn die stupide Einteilung in blau – rosa, kantig – rund, hart – weich, technoid – emotional, männlich – weiblich zieht sich wie ein roter Faden durch unsere Kultur. Im Vergleich zu früher ist es dabei nicht besser, sondern teilweise sogar ärger geworden. »Gehen Sie mal in ein Spielwarengeschäft, da haben Sie rechts Superman und links Lillifee, rechts Lego Techno und links Lego Friends. Es gibt so gut wie keine gemischten Abteilungen mehr«, so Uta Brandes, seit 1995 Professorin für Gender und Design an der Köln International School of Design und weltweit eine der führenden Expertinnen auf ihrem Gebiet. »Die Pinkisierung der Welt schreitet voran. In bestimmten Branchen hat sie sich extrem verschärft.« Grund dafür sei die Differenzierung über Marketing und Branding, die seit den 90er Jahren vorangetrieben wurde. Je stereotyper eine Zielgruppe versorgt werden kann, desto besser kann man das Geld abmelken.

Du Tarzan, ich Jane Selbstverständlich geht es nicht immer nur um Pink oder Blau. Die Differenzierungen funktionieren auf vielen Ebenen – über Farbe, Form, Materialwahl, Werbekampagne –, wie das Buch »Du Tarzan Ich Jane« von Birgit Weller und Katharina Krämer von der Hochschule Hannover

beweist. In ihm werden Produkte aus den unterschiedlichsten Bereichen gegenübergestellt, die manchmal subtil, manchmal brachial Frauen oder Männer, Mädchen oder Burschen ansprechen sollen. Rosa Sparbüchsen von Esprit machen mit einer Aufschrift ganz klar, wofür es für Frauen zu sparen lohnt: Dessous, Schmuck, Handtaschen und Nightlife. Bei den Burschen: Hobby, Auto, Party und die Freundin. Ja und wenn schon, ist ja für Teenies, muss man nicht ernst nehmen. Oder? Der Messerhersteller Victorinox verkauft unter dem Label Pink eine Sonderedition im Kleinformat – verwendbar als Schlüsselanhänger, mit Minischere und Nagelschere. Mehr brauchen Frauen ja nicht. Dass Coca-Cola mit »Light« und »Zero« zwei eindeutig geschlechtercodierte Produkte auf dem Markt hat, drückt sich nicht nur in Farbe oder Schrift aus, sondern auch in den absurden dazugehörigen Werbetexten. Bei »Light« setzt man auf den Claim »Nur du bist du«, die Mädels dürfen sich »spontan und ungezwungen, verspielt, laut, lustig« fühlen. Beim »Coke Zero Game« hingegen landet der Hero »im Stadion, mit seinen besten Kumpels, umgeben von heißen Girls«. Bei Kosmetika setzt sich das fort: »Eine Frau würde heute kaum eine Kosmetikserie kaufen, die sich als typisch männliches Produkt darstellt. Es geht soweit, dass die Verträglichkeit in Frage gestellt wird«, so die Autorinnen von »Du Tarzan Ich Jane«.

Einmal ohne Klischees, bitte! Natürlich sind sie auch auf positive Beispiele gestoßen. Die Scheren von Fiskars oder die Werkzeuge des deutschen Herstellers Bahco, dessen Linie Ergo neutral und ergonomisch universal (also sowohl für größere als auch für kleinere Hände, aber auch für Linkshänder) gestaltet ist. Oder die Toilette-Taschen der deutschen Marke Authentics. Mitunter ist es auch der ironische Umgang mit Geschlechterklischees, der ein probates Mittel sein kann um aufzufallen, wie die Autorinnen betonen. Es gehe ja nicht um Gleichmacherei, sondern um Vermei-

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dung von Stereotypen. Uta Brandes ergänzt die Reihe der Vorbilder um ein prominentes Beispiel, bei dem Design geschlechtsneutral und zugleich höchst erfolgreich ist: Apple. Dort war es Jonathan Ive, der die Computer vom nerdigen Männerlook befreite. Um der »Pinkisierung der Welt« etwas entgegenzusetzen, hat Uta Brandes im vorigen Jahr das »International Gender Design Network« gegründet. Expertinnen und Praktikerinnen werden zusammengespannt, um Erfahrungen auszutauschen, Lobbying zu betreiben und sich gegenseitig zu unterstützen. »Ich setze mich dafür ein, dass Gender in Zukunft beim Design die gleiche Rolle spielt wie Funktionalität, Ökologie, Emotionalität. Alle reden derzeit von Sustainability, aber Gender muss auch rein!« Und zugleich geht es bei ihrem Netzwerk auch darum, Designerinnen und Theoretikerinnen sichtbarer zu machen, denn die Szene ist bekanntlich männlich dominiert – von der Ausbildung bis zu den Top-Jobs für große Marken. Dass bei der Wiener Werkstätte und anderswo vor 100 Jahren Frauen in den Textil- und Keramikbereich gedrängt wurden, kann man noch historisch »erklären«. Warum aber sind heute in der Automobilindustrie die Herren der Schöpfung für die Karosserie und die (wenigen) Damen meist fürs weiche Textile zuständig? Wie wäre es mit einem Rollentausch? Uta Brandes erzählt von einem »Concept Car« bei Volvo, das von Designerinnen entwickelt wurde und so gar nicht den niedlichen Klischees vom rundlichen, kleinen Stadtauto entsprach: »Es war sehr sportlich, cool, mit riesigen Wing-Doors nach oben, aber auch mit viel Stauraum. Außerdem hatte es ein Detail, das für manche Frauen wichtig ist: Die machten nämlich in die Kopflehne ein Loch hinein, damit es mit hochgesteckten Haaren nicht so unbequem ist.« Gebaut wurde das »Frauenauto« leider nie, offenbar rechnete man sich keine Marktchancen damit aus.

Wir müssen immer weiter durchbrechen Von ein paar Stereotypen können auch Monica Singer und Marie Rahm berichten, die unter dem Namen Polka ein erfolgreiches Studio in Wien betreiben. »Wir selber arbeiten nicht bewusst damit, weibliches Design zu machen, obwohl unsere Arbeit zu unserem Erstaunen manchmal von Journalisten so beschrieben wird. Da wir zwei Frauen sind, reagieren auch die Kunden manchmal mit einer bestimmten Erwartungshaltung.« An ihrer Ausbildungsstätte – der Angewandten – habe das Thema jedenfalls keine Rolle gespielt. »Dadurch, dass das früher eine metallverarbeitende Meisterklasse war und die Werkstätten in der Klasse vorhanden waren, waren wir auch als Frauen in diesem eher männerdominierten Bereich integriert und akzeptiert. Alle haben schweißen und fräsen gelernt«, so Marie Rahm. Monica Singer ergänzt: »Es war kein Thema in der Ausbildung. Man muss aber auch dazu sagen, dass ich während des Studiums ausschließlich männliche Professoren und Assistenten hatte.« Dass sie eben nicht »nur« Textiles und Lampen, sondern auch Möbel oder Massenprodukte entwerfen, dazu benötigten die beiden Durchsetzungsvermögen. Marie Rahm: »Ich glaube, als Frau muss man sich im technischen Bereich anfangs mehr beweisen. Auf der anderen Seite ist es aber auch einfacher, durch den exotischen Faktor, den wir dadurch haben. Wir fallen mehr auf.« Das Buch »Du Tarzan Ich Jane – Gender Codes im Design« ist im Blumhardt Verlag Hannover erschienen. igdn.blogspot.co.at 025

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Links oben: Sixtus Preiss’ Soundball. Rechts oben: Andreas Kollers Projekt »Computers Falling In Love«, in welchem er das Thema der Maschinenliebe mit minimalistischen Feedbackloops der Videokunst zusammenbringt. Links unten: Eine Kollaboration der Künstler Lutter, Kohlmayr und Knapp mit einem Lampenschirm der besonderen Art. Rechts unten: Die österreichische Künstlerin Lia untersucht Kompositionen in ihrer neuen Videoarbeit. 026

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golden frame — Sixtus Preiss bei Soundframe 2014: »A matter of ... «

Great Balls of Sound If audiovisual art is the answer, what is the question? Genau das sollen die Künstler in der diesjährigen Ausstellung im MAK erfahrbar machen. Wie letztes Jahr ist die Landschaft aus Tönen, Bildern, Grafiken und Sounds wieder eine kollaborative Arbeit von Designern, Künstlern, Musikern und allem, was dazwischen angesiedelt ist. Was davon ist jetzt Sound Art? Zum Beispiel die Sound-Installation von Sixtus Preiss, die Teil des Multimedia-Komplexes im Ausstellungsraum ist. An seinem akustischen Objekt – das ein wenig an ein U-Boot erinnert, ein wenig verrostet und mitgenommen von diversen Unterwasserabenteuern, dabei aber keiner Wes Anderson-Ästhetik entspricht – befinden sich acht Lautsprecher. Diese Kugel, die aussieht wie ein Astronauten-Helm, funktioniert tatsächlich auch ein wenig wie ein solcher. Sixtus Preiss setzt sich in seiner Soundinstallation mit Klang und Klangwiedergabe auseinander. Dabei gibt es keinen horizontalen Bezugspunkt, also kein »Vorne« wie bei Dolby Surround, er zerstört die narrative Struktur des »Von-vorne-beschallt-Werdens«, wodurch der Beschallte durch seine eigenen Kopfbewegungen den Schall in der Kugel so aufnimmt, wie er es im realen Raum tun würde. Ohne den Hörer, der sein Kopf hineinstecken muss, funktioniert dieses Sound–Art-Objekt gar nicht. Wie beim Baum im Wald, der umfällt.

Gebastelte Klänge Der Fokus liegt dabei vor allem auf einem einzigen Sinnesorgan. Musik und Geräusche umgeben uns mittlerweile im Alltag überall- und von allen Seiten. Manche Städte beschallen sogar die U-Bahn oder Klos, in Malls vertreibt man herumlungernde Jugendliche mit Klassik. Man kann diese Soundkugel also auch als den Versuch einer Emanzipation des Hörens sehen. Nachdem zuerst Edgar Varèse jegliches Geräusch in der Musik etabliert hatte, musste John Cage erst wieder die Stille in die Musik einführen, um das Publikum wieder zum Zuhören zu bringen. Einfach nur hören. Der Lauschende befindet sich also sozusagen in einem auditiven Planetarium. Sixtus Preiss spielt mit unserer auditiven Wahrnehmung, um sie schließlich zu erweitern und uns ein intimes Hörerlebnis zu schenken. Er schafft einen akustischen Raum, in dem sich Zuhörer eigene Bilder kreieren können – wenn sie wollen. Vernissage und Festival-Opening / MAK Nite Special: 25. März Ausstellungsdauer: bis 13. April Kuratiert von Gerald Moser und Eva Fischer Teilnehmende Künstler: Karin Fisslthaler, Rainer Kohlberger, Andreas Koller, Lampenschirm – Nuors 02 – Kohlmayr Lutter Knapp, Lia, Veronika Mayer & Gerald Moser & Conny Zenk, Sixtus Preiss, Benjamin Tomasi

Text Carola Fuchs Bild Sixtus Preiss Andreas koller, LutTer kohlemAyr und knapp, lia

Wahrnehmung neu. Das ist das Ziel der kommenden Soundframe-Ausstellung. Und was genau ist eigentlich Sound Art?

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interview Michael Kirchdorfer, Stefan Niederwieser Bild Thomas Albdorf

Diedrich Diederichsen – »Über Pop-Musik« — Pop-Theorie-Pflichtlektüre

Gib mir alles Diedrich Diederichsen hat das wichtigste Buch über Pop-Musik geschrieben, das es auf Deutsch gibt. Weil man das sowieso lesen muss, haben wir mit ihm eher über die Gegenwart und Zukunft – nicht nur von Pop-Musik – geredet.

Für einen lebenden Theoretiker hat Diedrich Diederichsen einen sehr langen Wikipedia-Eintrag. Das liegt wohl daran, dass er fürs Schreiben über Pop lange der wichtigste Kopf im deutschen Sprachraum war – gern gehasst, kritiklos verehrt, oft schwer verständlich, aber immer geistreich. Sei es als Chefredakteur von Spex, als Autor von »Sexbeat«, als Feuilletonist im Tagesspiegel und natürlich weit darüber hinaus. Immer öfter interessierte ihn PopMusik aber nicht mehr so, 2006 wurde er Professor an der Wiener Akademie der bildenden Künste, schrieb vor allem über Kunst, manchmal Serien, Kulturtheorie oder kuratierte eine Ausstellung über Ökologie. Mit »Über Pop-Musik« bringt er seine Beschäftigung mit Pop-Musik zu einem umfassenden und vorläufigen Ende. Pop-Musik folgt hier mehrere Modellen, hat aber kein Ende, oder gleich mehrere, die langsam von neuen kulturellen Modellen abgelöst werden. Man kann also sagen, ja, wer soll da noch jemals etwas draufsetzen? Gut, man versteht ihn schwer. Das Buch kann noch in eine einfachere Tonlage gebracht und anschaulich gemacht werden. Aber wenn man ihn einmal versteht, dann stimmt hier alles. Und Pop-Musik ist schließlich kein Kindergeburtstag. Bitte also einmal ordentlich bücken. Never mind the bollocks, here’s Pop–Theorie.

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stefan niederwieser: Es gibt sonst keine Ästhetik von Pop im deutschen Sprachraum. diedrich diederichsen: Das ist schon richtig. Aber ich sage auch an manchen Stellen, warum es eine Ästhetik der Pop-Musik alleine nicht ist. Es ist ein Versuch, den Gegenstand Pop-Musik so neu zu fassen, dass man etwas mit ihm anfangen kann, dass man sich mit ihm institutionell beschäftigen kann. Vermeidet das Buch absichtlich eine Systematik oder hat es eine eigene, versteckte Systematik? Die Systematik ist, dass es vier oder fünf Grundideen aus verschiedenen heuristischen Szenarien heranzieht – davon ist eine die Welt der Zeichentheorien, die zweite ist die Geschichtsphilosophie, die dritte ist Kunsttheorie und Ästhetik, das vierte wäre Sozialwissenschaften und Gesellschaftswissenschaften sowie Soziologie und als fünfte das Szenario von Rezipienten und Produzenten. Eine Metasystematik, die zeigt, wie diese fünf Perspektiven zueinander stehen, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen, würde sehr viel mehr betreffen. Das wären dann ja Thesen über das System der Geisteswissenschaften heute – das hab ich mir geschenkt. Diese fünf Ansätze scheinen sich nicht immer miteinander zu vertragen, sie bilden unterschiedliche Aspekte von Pop-Musik ab, die nicht gleich wichtig sind. Sie sind nicht gleich wichtig. Im zweiten Teil wird vieles durchgespielt, was danach verworfen oder zumindest relativiert wird. Natürlich haben sie unterschiedliche Universalisierbarkeitspotenziale. Sie sind nicht fünf gleichwertige Geschwister. Aber dass es sie so gibt, wie es sie gibt, hat damit zu tun, dass sie Vorläufer haben, eine Geschichte der Investments in diese Perspektiven. Es gab schon immer Leute, die glaubten, man muss Pop-Musik als Kunst behandeln oder aber als ergebnisbestimmte, historische Entwicklung betrachten. Es gab immer schon welche, die Pop-Musik-Semiotik wollten – deshalb gibt es sie da auch drin, aber es ist nicht so, dass ich sagen würde, sie hätten den gleichen Rang. Und es ist nicht ganz zufällig so, dass am Schluss die Gesellschaft steht. Du sprichst vom 20. Jahrhundert und seinen Ausläufern. Würdest du trotzdem sagen, dass diese Beschreibungen von dir auf die Gegenwart zutreffen? Ja, schon, das gibt es alles weiterhin. Nur gleichzeitig sind eben andere Modelle entstanden. Ich schreibe auch am Ende, dass ich glaube, dass das Sozialisationsmodell des Spiels das der Identifikation ablöst – und das bedeutet natürlich schon eine Menge. Das Spielmodell funktioniert psychologisch anders. Ich hab mit einer Sache etwas zu tun, ich setze auf etwas, aber es gibt eine Trennung zwischen der setzenden Instanz und dem Einsatz – und der Einsatz kann verloren gehen, das ist dann auch wirklich schlimm, oder auch fatal und manche Leute erschießen sich auch anschließend – aber es ist trotzdem keine Identifizierung, sondern ein Setzen. Sie haben aus der Distanz heraus gehandelt. Das ist auch sozusagen das Narrativ einer Entwicklung, die wir zurzeit haben: Die Realien führen zu einem einzigen Stau, die politischen Verhältnisse entwickeln sich nicht weiter, das ist alles verstopft. Aber die Spekulation, das Spiel mit Potenzialen, ist unser Weg raus aus dieser Situation. Insofern ist das ein sich abzeichnender Komplex, der einen Wechsel darstellt zum Paradigma der Identifikation. Nur glaube ich, dass er sehr viel davon erbt und übernimmt, und dass es noch eine ganze Weile braucht, bis wir ihn komplett da haben, bis er zur Blüte kommt. michael kirchdorfer: Kann man Pop überhaupt je statisch benennen? Es geht ja nicht nur um Pop an sich, sondern vor allem auch um die Rezeption der Pop-Musik. Und die ist höchst wandelbar. Für mich aber nicht. Für mich ist als entscheidendes Phänomen wichtig: Rezeption gehört zur Pop-Musik dazu, sie ist Bestandteil der Pop-Musik. Die Pop-Musik ist noch gar nicht zu Ende, ehe die Rezeption eingesetzt hat. Es geht darum, dass sie die Verbindung herstellt zwischen dem öffentlichen Draußen und dem intimen Privaten Drinnen – nicht über eine mediale Konstruktion, nicht über einen Sender, sondern über die Körper der Rezipienten. Die Körper der Rezipienten sind dafür zuständig, zwischen den einzelnen Sendestationen hin und her zu laufen und die Verbindung herzustellen – während es in allen anderen Dispositiven dafür medial technische Installationen gibt, die das leisten. Das ist der entscheidende Punkt.

stefan niederwieser: Das klingt so, als könnte das jetzt noch sehr lange so weiterlaufen, diese Vermittlung, die Pop da schafft. Mit dem Internet hat sich diese Kommunikation verändert, weil die Rolle von Drinnen und Draußen anders geworden ist. Viele Elemente davon bleiben auch affektive Elemente. Aber was nicht bleibt, ist zum Beispiel die ganze Verabredungskultur, die in meinem Buch eine große Rolle spielt. Aber viele der Dinge, die in der Pop-Musik Menschen zusammenführen, stellt jetzt die elektronische Verbindung her. Ist das der Grund, warum manches von dem, was Pop-Musik früher gekonnt hatte, in digitale Medien gewechselt ist? Ist das der Grund, wieso Occupy, Arabischer Frühling und die Wirtschaftskrise keinen wirklichen Sound gehabt haben? Die letzten Kämpfe sind entweder wirkliche Kämpfe für Grundbedürfnisse, Lebensmittel-orientierte Kämpfe – oder es sind solche, die die Rahmenbedingungen und die Grundrechte des öffentlichen Lebens betreffen. Und das ist der fundamentale Paradigmenwechsel – die Tatsache, dass quasi eigentlich alle politischen Kräfte, die politische Bezeichnungen tragen – wie links, rechts, liberaldemokratisch oder was auch immer – gerade revoltieren. Das Politische überhaupt gegen das PräPost-Präter-Politische. Diese Tatsache schließt es aus, die aus der Welt der kulturellen Identifikation stammenden Rituale mit einer bestimmten politischen Kultur zusammenzudenken. Im Grunde geht es bei alldem, was zurzeit stattfindet, um elementare Dinge – es geht überall darum, dass man gar nicht mehr normal leben kann. Was früher ein normales Leben in der Stadt war, kann sich heute keiner mehr leisten. Es geht nicht mehr. Die gesamte Organisation von Massengesellschaften in Städten bricht gerade zusammen. Das ist so fundamental, das es dazu keinen Soundtrack geben kann, höchstens zufällig irgendwas. In der Gegenwart werden große Fragen wie Netzneutralität, Überwachung oder Filter Bubbles nicht mehr über Pop-Musik gestellt. Warum findet das so gut wie keine Entsprechung? Es hat Pop-Musik immer ausgemacht, so etwas sofort reflektieren zu können. Ich bin nicht sicher, ob das nicht schon reflektiert wird. Bestes Beispiel: die viel gelobte Actress-Platte, da werden netzkulturelle Phänomene zumindest klanglich symbolisiert. Das hängt noch an keiner großen Glocke, trotzdem würde man wohl in zehn Jahren auf die Frage »Was ist der Soundtrack zu Snowden?« sagen: Actress. Du schreibst am Ende von einem Ende der Pop-Musik entweder in Absoluter Musik oder aber in einem aktualisierten Wiederholen alter Trends aus dem Jahr 1971, also »Retromania« – hat nun PopMusik vielleicht sogar ihr Ziel erreicht, indem sie Subjektformate erfolgreich etabliert hat, die jetzt mit sich selbst einig sein können? Ja, das wäre die Thomas-Frank-These – also im gesamten Zyklus der Babyboomer und Gegenkulturen nichts anderes zu sehen als die kulturelle Begleitmusik zur Installation eines neuen Kapitalismus und seiner Subjektformate. Da ist was dran, aber es ist zu einfach. Der Umbau der Kulturindustrie erfolgte als eine Zusammenarbeit der Kritiker und der angestellten Optimierer im Laden selbst. Beide haben Anteil am Ergebnis. Die Befreiung von der Fabrikarbeit hin zur Vermarktung der eigenen Selbstverwirklichung enthält eben sowohl die Unterwerfung als auch die Befreiung – man muss beide Teile berücksichtigen. Der Zyklus endet in gewisser Weise damit. Dabei werden nicht einfach nur historische Resultate produziert, sondern schon darin ist ein Gegenmoment erkennbar, der mit dem Modell des Spiels zu tun hat, das natürlich seinerseits keine Befreiungsbewegung ist. »Über Pop-Musik« von Diedrich Diederichsen umfasst 474 Seiten und ist bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. 029

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MØ »No Mythologies To Follow« — Ein Pop-Debüt im Zeichen einer neuen Weiblichkeit

Die neue Girl Power Mø ist das jüngste Supergirl unter den neuen, coolen Heldinnen im Musikbiz und dabei weder Singer-Songwriterin noch Punk-Amazone. Sie macht Pop in Reinform und trifft damit auch einen Nostalgie-Nerv.

Danke, Spicies! Das findet auch die Dänin Karen Marie Ørsted aka Mø. Diese hegt nämlich eine fast kindliche Begeisterung für die fünf Powerfrauen aus London. Nicht nur war eine Spice-Girls-CD in den 90ern ihr erster Berührungspunkt mit Popmusik, nein, diese Sache mit der Girl Power brachte sie sogar erst auf die Idee, Sängerin zu werden. Also, tausend Dank, Spicies. Euretwegen können wir den großartigen Pop von Mø überhaupt hören. Das stellt einen weiteren Grund dar, das Quintett auch heute noch zu verehren. Einen von ganz vielen, versteht sich. Auch ziemlich super ist zum Beispiel das, was die Band durch ihre ganze Girl-Power-Vermarktung zum Third-Wave-Feminismus beigetragen hat. Diese Welle überschnitt sich ungefähr mit der Gründung der Gruppe am Beginn der 90er und stand unter anderem (!) für eine neue Weiblichkeit. Es wurde ein Frauenbild skizziert, das sich durch Stärke und Selbstbewusstsein auszeichnete und trotzdem Sexappeal ausstrahlte. Girl Power spitzte das zu. So trug man unter dem unsichtbaren Schutzmantel der Bewegung sorglos knallenge Glitzerminis mit High-Heels und lutschte dabei lasziv an bunten Lollipops. Dass es dafür auch harsche Kritik hagelte, sollte keine Überraschung sein. Verona Feldbusch ging sich unter diesen Vorzeichen auch aus. Wobei, nicht wirklich. Sexobjekt oder nicht, Kontrolle über das eigene geile Abbild oder nicht, das wurde immer wieder heftig diskutiert. Die Spice Girls standen da drüber. Frauen und Mädchen, die aber zufällig nicht der erfolgreichsten Girlgroup aller Zeiten angehörten, hatten es natürlich nicht ganz so locker. Wichtig war es aber trotzdem. Die Gir-PowerAttitüde war kein Entweder-Oder mehr. Es war beides – Selbstbestimmung und Sexiness.

»Don’t Wanna Dance« von BBC Radio One’s Zane Lowe alle erkannt. Im Video zur Single tanzt sie mit ihren dänischen Gal-Pals und puderrosa Pelzjacke zwischen alten Karren auf einem Autofriedhof und streckt sich dazwischen auf der wohl schicksten Couch der Welt aus. Ihr Kleid scheint aus den Stoffresten des Überzugs zu sein. Sie singt von der Gänsehaut, die sie bekommt, wenn sie die Moves von der einen Person sieht und will daher nur mit dieser tanzen. Dazu knallen die Beats. Zucker!

Unausgesprochener Feminismus Auf die Frage, ob sie sich für Gleichberechtigung einsetzt, hat Mø eine klare Antwort: ja. Immerhin ist sie eine weibliche Künstlerin, die macht, worauf sie Lust hat, anzieht, worauf sie Lust hat und zusammenarbeitet, mit wem sie Lust hat. Und wenn das Mainstream-Größe Avicii ist, dann ist das halt so und aus (»Dear Boy«). Mit dieser lässigen Attitüde sei es dementsprechend weniger notwendig, auch noch explizit Texte über Feminismus zu schreiben. Universalthemen sind doch viel lustiger. Etwas ganz Ähnliches hat auch Charli XCX zur Zeit ihres Album-Release letztes Jahr gesagt. Auch sie ist ein beeindruckendes Pop-Supergirl – ein bisschen trashiger und zerrupfter als ihre Kollegin Mø vielleicht. Mø, Grimes und Co repräsentieren jedenfalls eine neue, junge Weiblichkeit am aktuellen Pophimmel. Keine Girl Power 2.0 und auch keine vierte Feminismus-Welle. Es ist eine erfrischende Selbstbestimmtheit, ganz ohne Schublade und ohne Stempel, eine Selbstbestimmtheit, die schon wieder vergessen hat, dass diese für Frauen früher oft schwer zu erreichen war. Es ist wunderbar kraftvolle Popmusik der Marke DIY, gemeinsam mit einer Allerwelts-Bodenständigkeit und einer Freude an Selbstdarstellung. Letztere natürlich auch online, aber die wesentliche Rolle von Twitter, Tumblr und Instagram sei bitte so unausgesprochen hinzunehmen wie der Verweis auf den Feminismus von Mø. Außerdem wäre das wieder ein 2.0-Begriff und die sind ja sowas von vorbei. Mø spielt am 30. April in der Fluc Wanne. Das Album »No Mythologies To Follow« ist via Sony erschienen.

Text Nicole Schöndorfer Bild Sony

Nein, es ist eben nicht einfach Girl Power 2.0. Nicht alles, was ein Revival erlebt, sollte mit dieser Bezeichnung leben müssen. Schon gar nicht im Pop. Auch wenn Mø – zu Deutsch Jungfrau – gern und oft bauchfrei zusammen mit Plateauschuhen und Scrunchies trägt, hat das, was sie macht, mit den Spice Girls wenig zu tun. Eh, sie wollte als kleines Mädchen immer so sein wie Sporty Spice und hat sogar vor Kurzem deren Hit »Say You’ll Be There« gecovert. Trotzdem. Ihr Debütalbum »No Mythologies To Follow« klingt völlig neu. Da steckt mehr dahinter. Es ist immerhin viel passiert seit der Girl-Power-Bewegung der 90er Jahre, die von den Riot Grrrls bis hin zu den Spice Girls reichte, der Jahrhundert-Girlgroup schlechthin. Während Erstere stets mit Feminismus, Krach und Underground in Verbindung gebracht wurden, wedelten die Spice Girls mit AlloverAnimal-Prints, Union-Jack-Latexkleidern und Victory-Zeichen über die Weltbühnen. Politik war da kein dominantes Thema. Höchstens unterschwellig. Dafür wurden in jedem Song Freundschaft, Liebeskummer und Make-up besungen. Das nannten sie dann Girl Power. Wie bald schließlich auch der Rest der Welt. Und verdammt, es war Girl Power.

Keine Strategie ist auch eine Strategie Sie wirkt außerdem erleichtert. Nach zwei Jahren voller TeaserVideos (darunter »XXX 88« ft. Diplo) und der »Bikin-Daze«-EP vergangenen Oktober, wird sie am 10. März endlich ihr Debüt »No Mythologies To Follow« veröffentlichen. Dass dieses Album 2014 eine riesige Sache wird, haben spätestens nach ihrem Auftritt beim Eurosonic Noorderslag und der Hottest-New-Record-Huldigung für die erste Auskopplung 031

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10 Jahre Donaufestival — Dean Blunt, Sound-Erlöser

Down The Rabbithole Das Versteckspiel geht weiter, wenn auch mit offeneren Karten: Der Ex-Hype-Williams-Zauberer Dean Blunt veröffentlicht vielleicht, ab und zu und nur kurz aufblitzend neue Musik und performt heuer beim Donaufestival. Konzerte von Hype Williams waren eine der körperlichsten Erfahrungen, die man durch Musik machen kann. Ob einstündige Stroboskop-Gewitter, die einem den Gleichgewichtssinn rauben, vollkommene, möglicherweise mechanisch irgendwie verstärkte Dunkelheit, die ähnlich einem Lawinenerlebnis das eigene Raumgefühl auslöscht oder eine Wand aus Bass, ein Sound wie ein Schlag in den Magen, der Schlucken schwierig bis unmöglich und den Klang physisch angreifbar macht: ein Rausch durch Schallwellen, gerne auch körperliches Unwohlsein, schien bei den Shows des Londoner Produzentenduos vorprogrammiert.

Nebelfeuer Die Nebelmaschine haben Dean Blunt und Inga Copeland mittlerweile ausgeschaltet und ihren Performance-Helfern die GuantanamoKapuzen und Gummimasken abgenommen. Ihr letztes gemeinsames Album, das 2012 auf Hyperdub erschienene, fantastische »Black Is Beautiful«, veröffentlichten sie bereits unter getrennten Namen. Blunt, der schon zu Hype-Williams-Zeiten eigene Musik herausbrachte, hat den charakteristischen Sound der Band, diesen ganz und gar einzigartigen Hybrid aus benommen taumelnden Lo-Fi-Drum-Machines, schweren Drones, Restspuren von HipHop und opiatgeschwängertem Singsang, hinter sich gelassen. Sein vielbeachtetes Soloalbum »The Redeemer« aus letztem Frühjahr sowie das sogleich nachgeschossene »Stone Islands«-Mixtape, das ausschließlich über eine russische Website zum Download erhältlich war, besteht aus Abbildungen eines Seelenlebens. Es sind Collagen aus dem Soul kleiner Liebeslieder, Field Recordings zwischen Meeresrauschen und Autohupen, einer traurigen Gitarre und Mailbox-Nachrichten einer Trennung. Über allem thront Blunts unverhüllte, unperfekte Stimme. Es scheint, als befände man sich endlich mittendrin statt nur draußen vor dem Spiegel.

Verstecken spielen

Text Katharina Seidler Bild PROMO

Wer allerdings dreimal Wolf schreit, dem glaubt man beim vierten Mal nicht mehr, und wer bereits seinen früheren Bandnamen von einer echten Person, nämlich dem amerikanischen Videoclip-Regisseur Hype Williams stiehlt, wer jahrelang keine Interviews gibt oder bei einer seiner sehr raren Chat-Konferenzen einem Journalisten vom Fact Mag auf die Frage nach der Bedeutung seiner Musik »If I’m talking too fast, it just means you’re listening too slow« antwortet, dem mag man den ohnehin nicht einmal selbst behaupteten Wechsel ins Minnefach nicht so einfach abnehmen. Während man also überlegt, ob man nun etwas für, gegen oder über Dean Blunt in der Hand hat oder vielleicht sogar in sein echtes, blutendes, gebrochenes Herz blickt, schlägt er schon den nächsten Haken und verschwindet tiefer im Kaninchenbau. Blunts letzter musikalischer Streich, das Ende Jänner veröffentlichte, 26-minütige Mixtape »Skin Fade« ist nach wenigen Tagen wieder aus dem Netz verschwunden. Wie es klingt und ob die neuen Tracks etwas – irgendetwas! – mit seiner aktuellen Liveshow zu tun haben, Gewissheit darüber haben wird man erst am 26. April, wenn Dean Blunt der Minoritenkirche in Krems beim Donaufestival neue Erkenntnisse beschert. Gewissheit, hat dieses Wort überhaupt irgendeine Bedeutung? Dean Blunt spielt live beim Donaufestival, das von 25. April bis 3. Mai in Krems stattfindet. 032

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Kreisky – Blick auf die Alpen — Grant goes Pop?

Homo Kreisky. Es geht um den Menschen »Blick auf Alpen« soll eure Version von Pop sein. Was kann man sich im Rahmen von Kreisky darunter vorstellen? franz: Für unsere Verhältnisse ist das Album auf jeden Fall eine Öffnung. Die letzten Platten waren ja doch sehr hart, sehr getrieben. Auf »Blick auf Alpen« gibt es viele Momente, die viel spielerischer, breiter, undurchdringlicher sind. Dadurch ist der Begriff Pop durchaus gerechtfertigt. Das Album ist ein bisschen unsere Entertainment-Platte. gregor: Ich seh’s als unsere 70er-Jahre-Platte. Aber ja, was ist heute überhaupt Pop-Musik? Auf »Blick auf Alpen« werden viele Geschichten erzählt. Im Fokus steht diesmal der Mensch und der Widerspruch, der ihn ausmacht. gregor: Der Mensch ist ja ein komisches Wesen. Einerseits will er dazugehören, echt und virtuell. Gleichzeitig will er aber unbedingt ein Individuum sein und legt Wert darauf, Dinge zu tun, die ihn als Individuum auszeichnen. Nur um dann draufzukommen, dass es sehr viele Individuen gibt, die genau das gleiche machen. franz: Thema des Albums ist auf jeden Fall die Frage, wie sich jeder Mensch seine Philosophie aufbaut. Was macht der Mensch, um sagen zu können: »Und das bin jetzt ich!« Diese Selbstvergewisserungen treiben halt oft seltsame Blüten, die interessante Geschichten liefern. Franz, woher nimmst du die lässigen Geschichten für deine Texte? Bist du oft im Wirtshaus oder im Kaffeehaus? franz: Ja … … und redest dort mit den Leuten? franz: Nein, haha. Ich hör’ am Nebentisch zu, was gesagt wird. Da gibt’s ja immer schöne Sager. Solche Beobachtungen dienen gut als Nukleus. Es geht um Situationen des Menschlichen, in denen man sich selber erkennt.

Eure Musik grantelt so schön, dass es mir nach dem Hören immer besser geht. Soll eure Musik therapeutisch wirken? franz: Unsere Musik hat etwas sehr Befreiendes. Musik per se, denn wir sind ja Schamanen. Wenn man so laute Musik macht und Frustration rauslässt, ist das immer sehr gut. Auf der anderen Seite sind wir aber nie ganz ernst. Wenn da gegrantelt wird, schwingt auch immer Leichtigkeit mit. Wäre wirklich alles bitterböse und dazu noch so laut, ich glaube, dann würde man noch tiefer in die Wut reinkippen. Wir können da schon immer gut loslassen. Kommt die Energie dann immer auf Befehl? Wenn ihr auf Tour seid, es ist kalt, das Essen war nicht gut ... franz: … dann verliert’s aber die Leichtigkeit. Solche Konzerte gab’s schon, wo ich wirklich vor Hass gestrotzt habe. Die sind dann nie so schön. Da lässt man sich fast zu viel in die Musik fallen und im Raum hängt eine schwarze Wolke. gregor: Da geht’s mir dann leichter. Ich schau’ dem Franz zu, wie er seinen Hass verarbeitet und fühle mich im Endeffekt gereinigter als er. franz: Mir ist das dann eher peinlich. gregor: Das verbindende Element in der Band ist auf jeden Fall aber nicht der Grant, sondern der Humor. »Blick auf die Alpen« erscheint am 21. März via Wohnzimmer Records. Kreisky sind rund um diesen Termin auch auf Tour: 15. März, Salzburg, ARGE Kultur; 27. März, Innsbruck, Weekender Club; 29. März, Ebensee, Kino; 3. April, Krems, Kino im Kesselhaus; 4. April, Oslip, Cselley Mühle; 5. April, Linz, Posthof; 12. April, Wiesensfeld, Willage Festival; 24. April, Wien, Arena; 25. April, Steyr, Röda. Eine Langversion des Interviews gibt es auf www.thegap.at

Text Michael Maria Morgenbesser Bild Ingo Pertramer

Unglaubliche drei Jahre liegt »Trouble« bereits zurück. Viel wurde gespielt, geschrieben auch. Kreisky haben den Grant salonfähig gemacht. Im traditionsreichen Café Jelinek geben Franz Adrian Wenzl und Gregor Tischberger Interviews zum vermeintlichen Stilbruch der sich da »Blick auf die Alpen« nennt.

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Sohn – »Tremors« — Going International

Melodien aus der Stille

Text Jakob Bouchal Bild Amelia troubridge

Ein Monat lang hat Sohn jede Nacht im Wiener Studio verbracht. Er hat magische Momente zu einem, ja, Meisterwerk verdichtet.

Am 7. April erscheint mit »Tremors« das Debütalbum des britisch-österreichischen Ausnahmekünstlers Sohn, eines der wohl am meisten erwarteten Alben des Jahres. Eine Handvoll fantastischer Songs, eine Million Followers auf Soundcloud, Erwähnungen in den Jahresausblicken sämtlicher Musikmagazine – das alles sind Faktoren, die den Boden für das Album aufbereiten. Zum Interview in der Suite eines Wiener Hotels erscheint Sohn mit Mütze, Mantel, schwarzem Hoodie und massiven Lederschuhen – in character, quasi. Er ist direkt aus L.A. zum Pressetag in Wien angereist, zwei weitere in Berlin folgen gleich im Anschluss. Trotzdem wirkt er voller Energie, sprudelt über mit Gedanken zu seiner Musik und schafft es mit einer Prise Selbstironie und viel Humor, bei all dem uneingeschränkt sympathisch rüberzukommen. Gleichzeitig schlagen aber auch immer wieder eine immense Zielstrebigkeit und Arbeitsmoral durch, sowie eine sehr genaue Vorstellung davon, was Sohn ist und was nicht. »Der einzige richtige Druck war der Zeitdruck«, sagt er auf die Frage, wie er mit den hohen Erwartungen an sein erstes Album umgegangen ist. Bis Weihnachten musste das Album fertig sein, neben der Tour und einem langen Aufenthalt in L.A. Dazu kam

die ernüchternde Erkenntnis, dass alle Songs, die zu diesem Zeitpunkt fertig waren, bereits veröffentlichte waren. Also flog er nach London zu 4AD, mit seinem Handy, auf dem er 50, 60 Ideen – er singe sie oft einfach in dieses Ding rein, sagt er – gesammelt hatte. Gemeinsam wählte man 20 aus. Einen ganzen Monat lang, letzten Oktober, war Sohn jeden Tag und jede Nacht alleine im Studio, manchmal bis in die Morgenstunden, wenn die letzte Bim schon gefahren war. Das Ergebnis ist ein äußerst stimmiges Album, das wohl jetzt schon zu den besten das Jahres gezählt werden muss. Ein Meisterwerk, ja, wir haben es gesagt.

»In meinem Kopf ist das ganze Album ein einziger langer Track.« »Artifice«, die Single, sticht sofort aus dem Album heraus: Der Song fühlt sich anders an als die anderen Tracks, und ist wohl auch der einzige, der in einem Clubkontext funktioniert. »Zwischen all den Songs war noch Platz für einen Song, der genau das macht«, sagt Sohn. Er ist eigentlich übervoll und viel zu schnell vorbei. Das Wichtigste an »Artifice« ist für ihn aber, dass er »Bloodflows«, dem nächsten Track am Album, erlaubt, mit seiner Stille zu schockieren. »In ›Artifice‹ gibt

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»Es ist wichtig, dass ich Sohn bin, und nicht jemand anders.« Wie ein roter Faden ziehen sich Isolation und Stille als Überbegriffe durch die Musik von Sohn – ein Konzept, das in Hinsicht auf die anstehenden Touren durch Europa und Nordamerika nur scheinbar im Widerspruch zur Konzertsituation steht. Er selbst empfindet das als großartig: Es wird nicht von ihm erwartet zu performen, er muss etwas erschaffen. Seine Rolle ist es, mit Hilfe von Licht und Ton die Atmosphäre für einen Raum zu kreieren – »und ab und zu sage ich Danke, damit die Leute nicht denken, ich sei ein Arschloch«. Diese Isolation will Sohn auch dem Publikum vermitteln, die Menschen sollen die Show nicht als eine Gemeinschaft genießen, sondern ihren eigenen Moment erleben, wie er sagt. Deshalb arbeitet Sohn auch mit viel Licht, von der Bühne weg direkt in die Gesichter des Publikums gerichtet – für ihn ein zentraler Punkt der Show: »Wenn man Licht auf die Menschen wirft und sie anstrahlt, vergessen sie, dass sie dort sind, dass sie eine Präsenz haben«. Diese Logik lässt sich teilweise auch auf seine Musik umlegen, auf die manchmal fast schockierende Stille, die immer wieder den lautesten Teil seiner Musik ausmacht. Die Musik von Sohn ist auf eine ganz eigene, persönliche Art sehr ehrlich, trotzdem hält er seine Identität geheim. Er will mit allen Mitteln vermeiden, dass die Persönlichkeit der Schöpfers das in den Schatten stellt, was geschaffen wird. Darum hat er auch angefangen, Kapuzen zu tragen, deswegen wird bei seinen Shows viel Licht von hinten anstatt von Spots verwendet. Es gibt Bilder von mir und ich verstecke mich nicht, aber es ist wichtig dass ich Sohn bin, und nicht jemand anders. Die Anonymität in Wien schätzt er, auch wenn er mittlerweile öfters erkannt wird – die Menschen begegnen ihm aber durchwegs höflich, lächeln ihn an, aber laufen nicht einfach auf ihn zu. »Ich kann jetzt nicht sagen, dass das nicht auch meine Schuld wäre, ich bin ja angezogen wie der Imperator aus ›Star Wars‹«, fügt er lachend hinzu.

»Ich habe massiv unterschätzt was es bedeutet, ein Album zu veröffentlichen.«

es keinen Raum, keine Leere, es ist bewusst voll mit Dingen, damit dich der freie Raum von »Bloodflows« voll erwischt, und dich daran erinnert, dass es eigentlich auf dem ganzen Album genau darum geht«, fügt er hinzu. Das Video zu »Artifice« ist eher ein Kontrapunkt zum Song: In Superzeitlupe sieht man das Chaos nach einem Autounfall – gedreht wurde das Ganze in vier Sekunden. Das einzig ruhige Element im Video ist Sohn selbst. »Es sagt eine Million Dinge, ohne irgendetwas zu sagen«, meint er dazu, »es zieht dich rein, du kannst es nicht nicht anschauen«. Warm und organisch präsentiert sich der Sound von Sohn – das er mittlerweile übrigens mit kurzem O ausspricht wie in Carcassonne –, manchmal kommt unter diesen weichen Texturen aber eine sehr rohe Energie zum Vorschein, etwa in dem Arpeggio das am Ende von »Lessons« losbricht. »Meine Musik hat schon auch Kanten«, erklärt er, »und manchmal ist es toll, das rauszulassen«. Er sieht das auch als Reaktion auf Entwicklungen im letzten Jahr, Kanye Wests »Yeezus« hätte alles möglich gemacht. Alles ist jetzt erlaubt, die Menschen sind desensibilisiert für mehr Rohheit. Und natürlich ist Sohn ein virtuoser Synth-Architekt.

Sohn produziert mittlerweile auch Songs für andere Künstler, wie »Waiting Game« für Banks oder »Last Stand« für Kwabs. Den SohnSound für die Musik anderer zu transponieren war für ihn überraschend einfach: »Du gehst einfach mit anderen Personen in einen Raum und fängst an Musik zu machen, und die sagen dann, ›Das gefällt mir‹ und du sagst, ›OK, sing etwas‹ und dann singen sie was und du sagst, ›Der Teil ist gut, der nicht so‹ und bevor du es weißt, hast du einen Song. So wäre das sogar leichter als alleine. Ihm sitzt dann zur Abwechslung nur ein anderes Label im Nacken, das einen fertigen Track braucht. Gerade im letzten Jahr konnte man auch beobachten, mit welcher Präzision das Management von Sohn arbeitet. Er remixt einfach mal Disclosure, Laura Mvula, Rhye oder Angel Haze. Zum ersten Mal fühlt es sich wieder ein wenig an, als ob Sohn selber noch nicht ganz genau wissen würde, wie das alles weitergehen wird. Das sonst so durchdachte Image wird weiterentwickelt und ausgelotet. Er habe massiv unterschätzt, was es bedeutet, ein Album zu veröffentlichen, meint Sohn dazu, besonders auf 4AD, ein Label, auf dem heuer nicht mehr als vier oder fünf Künstler ein Album rausbringen werden. Außerdem muss er Verantwortung an andere Menschen abgeben, seiner Band, Kollaborateuren und dem Management uneingeschränkt vertrauen und nach Kalendern leben, die ihm andere vorgeben, damit er Melodien aus der Stille schaben kann. Dinge nicht mehr hundertprozentig unter seiner Kontrolle zu haben, empfindet er als großartig und zugleich schrecklich. Die nächsten Monate, vielleicht Jahre werden sehr spannend, aber auch hart und arbeitsintensiv. Sohn weiß das. Es klopft an der Tür, wir haben bereits zehn Minuten überzogen. Immer noch füllt seine einnehmende Präsenz den Raum. Mit einem Händedruck, einem Lächeln und dem Wort »Groovy!« verabschiedet sich Sohn. Es ist ihm rausgerutscht, das ist selten genug.

»Tremors« von Sohn erscheint am 4. April auf 4AD. Sohn spielt am 4. April im Rockhouse in Salzburg, am 5. April im Corad Sohm in Dornbirn und am 23. April in der Arena in Wien. 035

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E-Books — Buchhandel in Österreich

»Das Buch ist denen scheißegal« Das unbekannte Wesen E-Book bedroht Buch und Buchhandel. Denn möglicherweise verdrängt es – früher, später oder auch gar nicht – das Buch. Eine Rundschau in der Szene.

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Jenseits der Statistik

Digital ist besser Völlig ohne gedrucktes Buch hingegen kommt der E-Book- und Hörbuchverlag McPublish aus, der seit 2010 digitale Erstveröffentlichungen herausbringt. Interessant ist, dass sich die Hörbucher besser verkaufen als die rund 20 E-Books und Stefan Tauber, Leiter von McPublish, von einer zunehmenden Bedeutung des E-Books »wenig« merkt. Denn deren Absatz steige »eigentlich nicht«. Trotzdem glaubt er an die Durchsetzungskraft des E-Books. Viele der heute unter 30-Jährigen würden E-Book-Leser und das gedruckte Buch eine Liebhaberangelegenheit à la Vinyl-Platte werden. Für Fachverlage ist die Digitalisierung dagegen dem Vernehmen nach wichtig: Der Verlag Manz mit Schwerpunkt Recht und Steuern bietet schon seit 1986 in der Rechtsdatenbank rdb.at alle seine Zeitschriften und weiteres Material für ein Fachpublikum online an. Im Unterschied dazu wenden sich die aktuell 44 E-Books, alles »gängige Rechtsratgeber«, an ein größeres Publikum. Aber »wiewohl dieses Segment ein gewisses Wachstum zu verzeichnen hat, sind die Erfahrungen bislang doch äußerst zurückhaltend«, so Verlagsleiter Dr. Wolfgang Pichler. Das E-Book hingegen sei für seinen Bereich eher nicht zukunftsträchtig: Mit den Vorteilen einer Datenbank könne es nicht mithalten und professionelle Nutzer würden die gewohnte Technik (PC, Laptop) nicht um einen E-Reader erweitern wollen. Entspannt zeigt man sich bei Reclam – obwohl der Verlag eine Unmenge Werke im Programm hat, deren Urheberrechtsschutz längst ausgelaufen ist. Wenn zum Beispiel das Projekt Gutenberg aktuell fast 45.000 E-Books gratis anbietet, warum soll sich noch jemand eines kaufen? »Weil wir die Texte in Reclam-Qualität bieten«. Ob das reicht, wohl vor allem Schüler und Studenten dauerhaft zu binden? Aber immerhin: »Es gibt schon seit vielen Jahren urheberrechtsfreie Titel in mancher Form gratis im Netz. Einen Beeinträchtigung der Printverkäufe durch diese Angebote konnten wir bislang nicht feststellen.«

Der in Wien und Bozen beheimatete Folio Verlag hat seit Herbst 2012 E-Books im Programm. Derzeit gibt es 37 Stück, das sind bloß 8 % im Vergleich zu den lieferbaren Print-Titel. Viel ist das nicht. Das liegt aber nicht am Geld, denn das Druck-PDF in ein ePub zu konvertieren ist nicht so teuer, sondern daran, lieber vorwiegend Neuheiten als EBook zu bringen und das Archiv nur dann umzuarbeiten, wenn sich das gedruckte Buch noch akzeptabel verkauft. Mit den Umsätzen, die trotz Steigerungen gerade mal 2 % der Print-Umsätze ausmachen, ist der Verleger Ludwig Paulmichl dennoch zufrieden. Seiner Meinung nach ist das E-Book bereits eine ernst zunehmende Variante des Taschenbuchs. Ähnlich ist die Situation beim Verlag Milena, der 2013 auf die E-Book-Schiene aufsprang und derzeit mit circa 20 E-Books 10 % des Gesamtprogramms digital lieferbar hat. Die Umsätze seien E-Books drängen Buchhändler aus der Komfortzone Der Blick durch die Branche zeigt: Viele machen sich kluge Gedansoso lala, die Tendenz aber steigend, so Verlegerin Vanessa Wieser. Digitaler Renner ist Otto Basils »Wenn das der Führer wüsste«, der ken. Aber alle, die heute eine mögliche Zukunft voraussagen, könin guten Monaten 20 bis 30 mal gekauft wird. Derzeit seien E-Books nen morgen eines Besseren belehrt werden. Die digitale Revolution »keine ernst zunehmenden Player, aber in 15 Jahren wird das anders führt Buchhandel und Verlagswesen nach Jahren in einer relativen ausschauen. Bücher werden auf Kids antiquiert wirken«. Lesen könn- Komfortzone in eine Situation, mit der beide so gut wie gar nicht te künftig analog der Slow-Food-Bewegung der Entschleunigung die- umzugehen wissen. Deshalb wird verweigert, zaghaft probiert und nen. Ganz anders entschied sich Drava, der noch völlig ohne E-Book schnell geschossen. auskommt. Allerdings nicht aus Prinzip, sondern aus Pragmatismus. Das Schicksal der Musikindustrie, die durch die Digitalisierung »Wir verzichten zunächst auf Entwicklungskosten, die sich ein kleiner massiv finanziell verloren hat, muss sich in der Buchbranche nicht Verlag sowieso nicht zumuten kann«, so Verlagsleiter Peter Wieser. Im zwingend wiederholen: Musik muss nicht greifbar oder sichtbar Moment beobachtet man die digitale Entwicklung. Allerdings: »Auf sein, um gehört zu werden. Das Buch hingegen braucht zwingend ewig und immer wird sich auch ein kleiner Verlag nicht dem Heulen ein Transportmedium. Vielleicht ist das der Vorteil, den die Branche mit den Wölfen verweigern können«. Radikal verweigert sich Sonder- – zumindest verlagsseitig – hat. Vielleicht ist das E-Book auch nur ein zahl: »Ich habe keine Lust, die Schaufel, mit der mein Grab ausgehoben Aufflackern, dem eine Rückbesinnung auf das gedruckte Buch folgt wird, zu verkaufen«, meint Verleger Dieter Bandhauer. Niemand in – und sei es nur noch in Form aufwendig gemachter, hochwertiger der Branche wollte das E-Book haben, aber »die Elektroindustrie will Liebhaberprodukte. Nur eines scheint fix: Richtig verschwinden wird Lesegeräte verkaufen, die morgen durch neue ersetzt werden müssen. das Buch – angelehnt an das Rieplsche Gesetz über die Verdrängung Das Buch ist denen scheißegal«. der Medien – wohl kaum.

Text Martin Zellhofer

Niemand in der heimischen Buchbranche hat den Überblick, wo das E-Book im Moment steht und wohin die Reise gehen wird. So stellte Gerald Schantin, Präsident des Hauptverbandes des Österreichischen Buchhandels (HVB), unlängst im Branchenblatt Anzeiger fest, dass der Umsatzrückgang des gedruckten Taschenbuchs 2013 gegenüber 2012 besonders hoch war, weil es vom E-Book bedrängt würde. Das kann er allerdings bloß vermuten: Er weiß nämlich nicht, wie viele E-Books der Buchhandel in Summe verkauft und was er damit verdient. Das wird zwar von den Händlern erfasst, aber nicht zentral zusammengeführt. Und laut HVB ist auch noch nicht absehbar, wann das so weit sein wird. Der Buchhandel selbst ist froh, dass ihm Unsicherheiten auf Seiten der Konsumenten in die Hände spielen: E-Book-Leser müssen zwischen offenen Systemen (Tolino, Sony, ...) und geschlossenen (Amazon Kindle) wählen und sich somit festlegen, ob sie sich an Amazon binden oder in einem Shop nach Wahl downloaden wollen. Oder technisch versiert sein, um Sperren umgehen zu können. Das ePub-Format ist schick, weil sich der Text der Größe des Reader-Displays anpasst. Vieles gibt es im Moment aber nur als PDF – und das wird meistens starr angezeigt. Und der Reader von heute kann morgen bereits veraltet sein. 2011 und 2012 lieferte der HVB basierend auf Umfragen unter heimischen Verlagen erstmals Zahlen über den E-Book-Markt in Österreich: Demnach vertrieben 2011 32,3 % der Befragten E-Books, 2010 bloß 17 %. Waren es damals noch 16,7 %, die partout nicht ins E-Book investieren wollten, so sank das ein Jahr später auf ein knappes Zehntel aller Händler. Bescheiden stiegen die Anzahl der lieferbaren E-Books und die Umsätze, wobei 42 % der Befragten im Jahr 2011 gerade mal maximal ein einziges Prozent ihres Umsatzes mit E-Books machten. Das Branchenblatt Sortimenter-Brief berichtete dagegen zuletzt von stark zunehmenden E-Reader-Verkäufen. Die massiven TV-Werbungen von Amazon für seinen Kindle-Reader im vergangenen Weihnachtsgeschäft lassen ähnliche Schlüsse zu.

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Musikvideoland Österreich — Die Macher im Interview

»Der Look ist egal, wenn die Idee gut ist«

Die goldene Ära des Musikvideos ist vorbei. Dennoch kommen Clips lokaler Regisseure bei Festivals auf die große Leinwand. Youtube gibt es auch noch. Wir sammelten die Statements der Macher zu DIY, DSLR und dem lieben, fehlenden Geld.

Wienpop, Im Puls der Nacht, Schwerpunktland beim Branchenfestival Eurosonic und jetzt gerade der Amadeus Award – die Diskussion um österreichische Musiker, ihre Erfolge und ihren Ruf früher und heute reißt nicht ab. Patrick Pulsinger, aktiver Don der Szene, der voriges Jahr das Popfest kuratierte, nannte die musikalische Vielfalt und ihre Qualität in einem Interview (The Gap 136) »erschreckend großartig«. Es tut sich etwas und das ist gut so. Doch wie sieht es mit den Bildern aus, wer setzt diese Musik ins Video und warum? Geld scheint bei den meisten jedenfalls keine Motivation zu sein. Die goldene Ära des Musikvideos ist längst vorbei. Das große Geld, die großen Budgets – das gab es zuletzt in den 90ern und zwar nicht nur international, sondern auch im kleinen Österreich. Die Wiener DoRo-Produktion, gegründet von Rudi Dolezal und Hannes Rossacher, übernahm in ihrer Blütezeit nicht nur Videoproduktionen für Falco, sondern auch für internationale Acts wie Queen oder David Bowie. DoRo hatte seine Hand bei der Gründung von Viva im Spiel und konnte sich in den 80ern und 90ern in Preisen und wohl auch beträchtlichen Summen Geldes eingraben. Das war, bevor die ganze Musikindustrie in die Krise geriet und auch DoRo Konkurs anmelden musste. Da momentan viele österreichische Musiker unterschiedlichster Genres es nicht zuletzt durch kluge Selbstvermarktung via Internet schaffen, sich international einen Namen zu machen, beginnen nun auch lokale Filmfestivals wie Poolinale, Vienna Independent Shorts oder das Linzer Festival Crossing Europe damit, den zur Musik gehörigen Videos und ihren Machern Plattformen zu bieten. Dass sich die Musikvideomacher in Österreich aber kaum einmal untereinander kennen, wie unsere Interviews zeigen, beweist nur, wie viel Aufbauarbeit hier noch geleistet werden muss. Das betrifft auch die Filmförderung. Denn von den Labels, die schon damit kämpfen, ihre Musiker zu promoten, wird nicht viel finanzielle Hilfe zu erwarten sein. Die

Ergebnisse hätten sich dabei natürlich anständiges, faires Geld verdient. »Was hier visuell passiert, ist ganz großes Kino«, sagt Christoph Kuschnig zwar in ganz anderem Kontext, nämlich über ein Video von Fisherspooner. Die Aussage aber lässt sich eins zu eins auf das aktuelle österreichische Musikvideoschaffen umlegen. Wir baten also einige Filmemacher, die in Österreich leben oder aus Österreich kommen, uns unabhängig voneinander Fragen zum Thema Musikvideo zu beantworten. Daraufhin collagierten wir ausgewählte Antworten, als Beginn einer Reihe zum Musikvideo-Schaffen aus Österreich, die wir online fortsetzen werden. Auf www.thegap.at werden dann auch die Langversionen der Interviews zu lesen sein. Was macht für dich den Reiz an Musikvideos aus? pevny: Der Reiz an der Arbeit in diesem Genre liegt definitiv an der Befreiung jeglicher Konventionen stilistischer wie formaler Art. Du kannst in Zusammenarbeit mit den einzelnen Künstlern ein großes Publikum ansprechen und die Chance auf Viralität ist enorm. unger: Musikvideos geben mir Freiheiten. Ich kann assoziativ arbeiten, collagenartig. Musik, Lyrics und die Bilder kommunizieren miteinander und das Ganze folgt keiner zwingenden Narration. Was sind die besonderen Herausforderungen bei Musikvideos? johns: Ein Musikvideo liefert oft die Identifikationsgrundlage für Fans und trägt zum Image der Band bei. Im Vergleich zu anderen Genres ist es hier wichtig, die Musik im Auge zu behalten, denn manchmal verwirklichen sich Filmemacher ohne jegliche Verbindung dazu. moshel: Leider sind normalerweise die Budgets bei Musikvideos extrem niedrig und damit ist es schon ungeheuer schwierig, vor allem nach der goldenen Epoche der 90er, zu punkten. pevny: Die Möglichkeit, einem guten Song mit Bildern eine noch bessere Aufmerksamkeit zu schenken, ist spannend. Der Diskurs mit Musikern ebenfalls. Das ist im Werbefilm – gerade in Österreich – leider verloren gegangen.

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Links oben: Das bombastische »Maschin« von Bilderbuch. Look von Antonin Pevny. Rechts oben: Christoph Kuschnig war für Garish »Auf den Dächern« und am Wasser. Links unten: Daniel Moshel und Tenor August Schram in »MeTube« . Rechts unten: Die Schauspielerin Sabrina Reiter in Manuel Johns »Time Loops«. Kennen sich Musikvideomacher in Österreich untereinander? Gibt es Plattformen? gierlinger: Ein richtige Szene gibt es aus meiner Sicht nicht. Als Plattform gab es, soweit ich mich erinnern kann, Screensessions, mittlerweile sehe ich das VIS als Plattform für Musikvideos. johns: Jein. Ich kenne nur ein paar wenige, entdecke aber immer wieder gleiche Namen, wenn ich mir neue Videos von österreichischen Künstlern auf Youtube ansehe. Eine Plattform kenne ich aber noch nicht. unger: Ich kenne fast keine ... Hast du das Gefühl, dass die Qualität und Quantität der Musikvideos in Österreich zunimmt? Was spielen DIY, d.h. die »ungelernten« Musikvideomacher, für eine Rolle? gierlinger: Ich denke schon. Man ist durch die begrenzten finanziellen Mittel oft gezwungen, andere filmische Mittel einzusetzen. Dabei entstehen aus meiner Sicht oft erst die spannenden Projekte. unger: Ich sehe viele Videos, die ganz nett aber mittelmäßig sind. DIY ist kein Kriterium für mich, ob ein Video gut oder schlecht ist. Die Videos, die mich staunen lassen, sind ganz unterschiedlicher Natur. Ich mag genauso gern die ungeschnittene Einstellung im HomevideoFormat bei »Libertatia« von Ja, Panik, wie auch das aufwendig hergestellte Musikvideo von Daniel Moshel, »MeTube«. Wie nimmst du die österreichische Musikszene wahr? pevny: Ich finde die österreichische Musikszene extrem spannend. Wenn man hier lebt, nimmt man das vielleicht nicht unbedingt wahr, aber wenn man sich im Ausland über Österreich unterhält, ist Musik schon ein Thema. Ich finde die Szene erfrischend uneitel, und sie hat eine gewisse rotzige Attitüde. Es ist eine tolle Kombination aus anspruchsvoller Ambition an der Textarbeit und einer ausgefeilten, kniffligen Tüftelei am Sound. Auch der Mut, wieder deutsch/österreichisch zu klingen.

gierlinger: Auch die internationale Wahrnehmung nimmt zu. Die Fördergeber sind hierbei jedoch gefragt, Bands, Labels etc. mehr zu unterstützen. In Skandinavien läuft das schon lange so. Ist es schwieriger, für Musikvideos Förderungen zu finden als für andere Projekte im Filmbereich? johns: Meiner Erfahrung nach ja. Gerade junge Künstler haben oft zu wenig Mittel, ihr Studioalbum aufzunehmen und abmischen zu lassen. Da sollten natürlich die meisten Fördergelder hineinfließen. Eine Musikvideoförderung ist mir nicht bekannt. Allerdings zahlen selbst große Labels oft nur sehr wenig, wenn du als Musiker keine Cashcow für sie darstellst. zumtobel / hartmann: Wir haben eigentlich noch nie gehört, dass jemand eine Filmförderung für ein Musikvideo bekommen hätte. Vielleicht gibt es da ja Möglichkeiten in Form von einer Förderung speziell für Musiker, aber die staatlichen Filmförderungen sind an reinen Musikvideos eher nicht interessiert. Private Sponsoren sind da eine bessere Adresse (z.B. Omas und Opas der Bandmitglieder). unger: Ich versuche es gar nicht. Musikvideos sind für mich eine idealistische Sache. Ich mache es, um zu üben, um Künstlerinnen und Künstler zu unterstützen. Wie stehst du zum DSLR-Look bei vielen Musikvideos? johns: Gerade zu Beginn war es natürlich großartig, diese FotoQualität für eigene Low Budget-Projekte verwenden zu können. Wie so oft übersättigt sich das und der Anspruch auf etwas »nicht so Sauberes« steigt. zumtobel / hartmann: »Kamera wackelt und alles ist unscharf« ist halt ein bisschen langweilig. Man braucht aber auch nicht immer eine 50.000 Euro-Kamera. Die alleine macht jedenfalls kein gutes Video. kuschnig: Der Look ist egal, wenn die Idee gut ist. Natürlich dreh ich lieber auf einer professionelleren Kamera. Leider erlauben das die kleinen Budgets nicht immer.

Text Amira Ben Saoud Bild Antonin Pevny, Christoph Kuschnig, Moshel, Manuel Johns, Marie-Thérèse Zumtobel, Johannes Gierlinger, Mirjam Unger

»Selbst große Labels zahlen oft nur sehr wenig, wenn du als Musiker keine Cashcow für sie darstellst.« – Manuel Johns

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V.l.n.r.: Ätherische Gourmets in Fijukas »Phantom Sentimental« von Marie-Thérèse Zumtobel und Anselm Hartmann. Mit dem Baseballschläger in Sex Jams »Junkyard«, Johannes Gierlinger führte Regie. Das neue Luise Pop Video feiert am 5. März Premiere, verantwortlich für das Bild war Mirjam Unger.

Welchen Stellenwert haben Musikvideos in deinem sonstigen Schaffen? moshel: Bisher hatten sie keinen besonderen Stellenwert. Bei den Budgets und den oft restriktiven Vorgaben habe ich mich nicht danach gestreckt. Setzt der Erfolg ein, kommen auf einmal Leute auf dich zu. Ich würde mich riesig freuen, weitere Musikvideos mit eigenwilligen Konzepten zu gestalten. kuschnig: Musikvideos haben für mich einen sehr großen Stellenwert. Ich habe mich an meinen ersten kommerziellen Industriefilmen und Making-of-Filmen mehr an Musikvideos als irgendetwas anderem orientiert. gierlinger: Ich arbeite als Filmemacher meist im Dokumentar-, Essay- und Experimentalfilmbereich. Musikvideos ermöglichen mir, gewisse Dinge zu vermischen und vor allem auch Ästhetiken der Popkultur einzubringen. In meinen anderen Arbeiten haben diese Elemente bisher keinen Platz gefunden. Dein Lieblingsmusikvideo? johns: Eines meiner Favourites der letzten Jahre ist »The Bay« von Metronomy. Die Bildkompositionen und der Schnitt sind einfach großartig. unger: Wahrscheinlich eines von den Beastie Boys zusammen mit Spike Jonze. Die trashigen Super-8-Videos von Lana del Rey mag ich auch ziemlich gern. zumtobel: »Sabotage« von den Beastie Boys. Regie führte Spike Jonze. Es handelt sich um eine Parodie auf amerikanische Fernsehkrimis aus den 70er Jahren, mit viel Gerenne, Türen eintreten, Zooms und Moustaches. moshel: Alltime Favourite: »Thriller« von Michael Jackson. kuschnig: »Sweetness« von Fischerspooner. Was hier visuell passiert, ist ganz großes Kino, weil es mehr ein avantgardistischer Kurzfilm als ein Musikvideo ist. Bei »Sweetness« ordnet sich nicht das Bild der Musik unter, es dominiert sie aber auch nicht. Bild und Musik haben den gleichen Stellenwert. Die Poolinale – Music Film Festival Vienna (27. bis 30. März) vergibt in Zusammenarbeit mit Mica – Music Austria und den VIS – Vienna Independent Shorts seit 2013 den österreichischen Musikvideopreis. Dieses Jahr findet die Preisverleihung am 26. Mai im Brut statt. Auch das Crossing Europe Filmfestival Linz (25. bis 30. April) setzt dieses Jahr einen Musikschwerpunkt und vergibt im Zuge dessen sowohl einen Music Video Award als auch eine Residency für Musik­ videoschaffende.

Johannes Gierlinger studiert Kunst und digitale Medien an der Universität für bildende Kunst in Wien. Er war selbst Teil der Band The Helmut Bergers und arbeitet im Moment an einem Video für die Steaming Satellites. Bisher drehte er zum Beispiel für die Sex Jams und Gin Ga. Mirjam Unger kennt man als FM4-Moderatorin und Regisseurin der Dokumentarfilme »Vienna’s Lost Daughters« oder »Oh Yeah, She Performs!«. Zu ihren Musikvideos zählen Arbeiten für die Lassie Singers und Bunny Lake. Soeben hat sie ihr neuestes Musikvideo präsentiert: »Invisible« von Luise Pop. Manuel Johns studierte an der FH Joanneum in Graz Informationsdesign. Er drehte zum Beispiel für Giantree, Thebigempty und Hans im Glück Musikvideos. Antonin Pevny ist gelernter Grafik-Designer und hat sich auf Musikvideo- und Werbefilmproduktion spezialisiert. Er ist unter anderem Regisseur von Bilderbuchs »Plansch (Teil 1)« und »Maschin«. Daniel Moshel studierte Multimedia Art an der FH Salzburg. Sein experimentelles Musikvideo »MeTube: August Sings Carmen ›Habanera‹« gewann zahlreiche Preise, zählt mittlerweile fast eine Million Youtube-Views und lief am Sundance Film Festival. Marie-Thérèse Zumtobel und Anselm Hartmann sind beide Kamerastudenten an der Filmakademie Wien. In Zusammenarbeit entstand zuletzt das Musikvideo für Fijuka »Phantom Sentimental«. Christoph Kuschnig hat an der Film School der Columbia University studiert und lebt in New York und Wien. Er arbeitet gerade an einem neuen Musikvideo für Garish, für die er auch »Auf den Dächern« realisiert hat.

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The Americans, Season 2 — Der Sound der Spionage

Kalter Krieg, kühler Klang

Text Christoph Prenner Bild Dreamworks Television

Die an der Nahtstelle von Spionage-Thriller und Ehedrama anberaumte Serie »The Americans« erwies sich als eine der erfreulichsten TV-Neuentdeckungen.

Das eine Ass im Ärmel, das Alleinstellungsmerkmal, – man möchte fast meinen: vergessener – Perle »Tusk« unterlegten Seum sich von allen abzuheben. Gut zu haben, schwer quenz losging, sich im Verlauf der Staffel mit dem smarten Einstreuen zu finden – selbst dort, wo im Serienformat erzählt von The Cure, Fad Gadget und Echo & The Bunnymen fortsetzte, fand wird, also die Story korrigiert und verfeinert werden schließlich seine unumstrittene Klimax im, no na, ein wenig ostentakann und Haken geschlagen werden. Viele Nischen tiv und dennoch so wirkungsvoll mit Peter Gabriels »Games Without sind schon besetzt – das mag die einem permanent Frontiers« unterfütterten Cliffhanger. den Teppich unter den Plot-Pantoffeln wegziehende Twist-Fixierung Es wird nun für das weitere Gedeih dieser erfreulichen Neuentdesein oder die bis ins Comichafte gehende Charakterzeichnung, der ckung (Staffel 2 ist Ende Februar in den USA via dem Kabelkanal FX, Hang zum Hyperrealismus oder das Faible für existenzphilosophische der sonst auch noch »Sons Of Anarchy«, »Justified« oder »American Exegesen. Im Falle der Spionageserie »The Americans«, die bereits Horror Story« am Spielplan hat, gestartet) also nicht wenig davon gebührend Widerhall gefunden hat und nun in der zweiten Staffel abhängen, ob sich das mit den actionbegleitend ausladenden und ankommt, ist es schlicht und einfach: die gute alte Tante Popmusik. emotional einladenden Musikmischungsbeigaben noch einmal so profund ausgeht. Und freilich auch davon, ob man die GrundkonstelHaarteile und Toupets lation des ermüdenden Gewerbes der Geheimdienste, der allseitigen Von »Breaking Bad« und »The Sopranos« mal abgesehen, dürfen sich Dauerparanoia und einer geladenen Mann-Frau-Beziehung, die man Serienschöpfer Joe Weisberg und Music Supervisor Janice Ginsberg sich mit »Homeland« teilt, nicht nur ein wenig abschütteln, sondern bei ihrer musikalischen Selektion zur unbedingten Spitzenklasse zäh- sie vielleicht sogar in besser gelüftete Regionen transportieren kann, len. In der Schläfersaga rund um ein Anfang der 80er Jahre in der All- als dies noch der aus der universellen Gnade gefallenen, einstigen American-Vorstadtidylle von Washington D.C. incognito operierendes Konsensserie mit Claire Danes gelungen ist. Wenn einem auf dieser KGB-Agenten-Ehepaar sitzen die Haarteile und Toupets mitunter sehr Mission dann erneut Roxy Music von der Klangspur entgegenschallen windschief, während der Soundtrack äußerst passgenau ausfällt, von sollten: umso feiner. gut abgehangenen Meilensteinen bis zu obskuren Heldentaten aus kühlem New Wave, schnittigem Post Punk und käsigem Proto-Synth- Die zweite Staffel von »The Americans« läuft in den USA derzeit Pop. Sie alle arbeiten der gereizten Kalter-Krieg-Atmosphäre leitmoti- auf FX Networks. Im deutschen Sprachraum wird »The Americans« auf visch zu. Was im Piloten mit einer denkwürdig von Fleetwood Macs Pro 7 Maxx ausgestrahlt. 041

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50 Jahre Österreichisches Filmmuseum— Hinter den Kulissen zum Jubiläum

Ums Ganze Das Österreichische Filmmuseum feiert 50. Wir schauen hinter die Leinwand des »Unsichtbaren Kinos«, einer ganz einzigartigen, unverzichtbaren Filminstitution.

Text Peter Schernhuber Bild Lukas Maul

Ein Espresso an der Bar des Österreichischen Filmmuseums kostet 1,50 Euro. Er wird im Glas serviert. Stets stehen frische Schnittblumen am Tresen. Anspruch und Haltung des Hauses sind auch in solchen Details spürbar. In der Cinémathèque an der Albertina passieren keine halben Sachen. Weder an der Bar, noch auf der Leinwand oder im Archiv. Nicht jeder der unzähligen akribischen und minutiösen Arbeitsschritte jedoch ist so sichtbar wie der Espresso. Im Foyer warten Besucher auf die Vorführung. Junge und Alte, Studierende, Cineasten, Nostalgiker. Nicht selten bildet sich vor der Kassa eine Schlange.

2,5 Tonnen aus Liechtenstein Wenn der Film in Originalfassung gezeigt wird, haben viele Kopien bereits einen langen Weg hinter sich. Wer den Anspruch verfolgt, Kino von Welt im Original zu zeigen, braucht ein weltweites Netzwerk befreundeter Archive und Sammlungen. Und eine eigene Sammlung als Kern der Institution. »Jede Schau ist immer auch eine Interpretation der eigenen Sammlung«, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter Alejandro Bachmann. Diese spiegelt wiederum die Geschichte des Hauses, auch seiner Akteure. Hunderttausende filmische Artefakte lagern in einem in die Jahre gekommenen Lager im 19. Bezirk: Original- und Synchronfassungen, Filmbilder, Poster, technische Apparaturen und andere Materialien, die die Veröffentlichung eines Films begleiteten. »Wir haben nicht genügend Geld, zu wenig Personal und kaum mehr

Platz, dennoch sammeln wir alles«, gibt Sammlungsleiter Paolo Caneppele die Grundstimmung dort wider. Das führte bereits zu skurrilen Geschichten. Eine Schenkung aus Liechtenstein wurde begeistert angenommen, um dann doch etwas verdutzt zu schauen, als ein LKW 2,5 Tonnen Druckwerke anlieferte. Viele der hier lagernden Artefakte stammen aus Schenkungen und Nachlässen. Ab und an passieren auch Ankäufe, häufig Tauschgeschäfte mit anderen Archiven. Besonders stolz ist man auf den Nachlass des sowjetischen Avantgardisten Dziga Vertov, die kürzlich erworbene Bibliothek des jüngst verstorbenen Kurators und Autors Amos Vogel oder den Vorlass Michael Hanekes. Auch einige andere Filmschaffende, Verleihe und Produktionsfirmen deponieren Material in den Kühlräumen. Der überwiegende Bestand sind analoge Materialien. Der Ausstellungsraum ist die Leinwand in der Innenstadt. Deshalb heißt es ja auch Filmmuseum.

Kontrolle ist besser Jeder der gezeigten Filme landet zuerst im Archiv. In der Kopienkontrolle werden 35mm-Hollywood-Filme ebenso wie rare 9,5mmAmateurfilme vor und nach der Vorführung gesichtet und begutachtet. Bereits bei der Vorstellung ist neben dem Vorführer ein Saalregisseur anwesend, der nicht nur den Ton regelt, sondern Auffälligkeiten notiert. Was wie der Luxus einiger Nostalgiker anmutet, ist nichts anderes, als Film und Kino in ihren spezifischen Eigenschaften ernst zu nehmen. Damit verbunden ist auch eine kulturelle und letztlich politische Haltung. Während gegenwärtig viel Geld in Digitalisierung-

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gesteckt wird, ist der Erhalt des Originals längst keine Selbstverständlichkeit. Ein fataler Trugschluss, wie Roland Fischer-Briand von der Fotosammlung eindrucksvoll zeigt. Aus einem der unzähligen Apotheker-Schränke zieht er das Konvolut des Filmklassikers »Metropolis«. Bilder, die – von der Patina und der Aura des Originals mal abgesehen – viele Suchmaschinen so oder ähnlich auch finden würden. Einzig, im Österreichischen Filmmuseum geht es nicht um Ähnlichkeit, sondern um Tatsachen und Exaktheit. Und auch auf die Rückseite geschichtlicher Dokumente lässt sich mit Google nicht blicken. Dort befinden sich im konkreten Fall nämlich Aquarellpausen der Vorderseite. Hält man die Filmbilder gegen das Licht, werden aus Schwarz-Weiß-Fotografien Farbbilder. Selbstverständlich verfügt nicht jeder Sammlungsgegenstand über solche eindrucksvollen Schauwerte, umgekehrt aber ist nie klar, welchen Artefakten später einmal Bedeutung zukommen wird. Immer wieder kommen Studierende, Wissenschafter, Enthusiasten ins Archiv. Eine Online-Datenbank gibt vorab einen Überblick über einen Teil des Bestands. Das Archiv ist dabei zwar eine Schatzkammer, aber keine, die hermetisch abgeriegelt ist. Geschaut und geforscht wird mit dem Auge, dennoch lädt Paolo Caneppele Studierende dazu ein, das Archiv zu nutzen. Etwa, um sich durch das noch unerforschte Material zu wühlen, das in einem Raum in dutzenden Bananenschachteln lagert.

Neben der Kopienkontrolle für Vorführungen finden hier auch Digitalisierungen und Restaurationen statt.

Alles Licht dem Projektor Das Österreichische Filmmuseum will Film ans Publikum bringen. Peter Kubelka, gemeinsam mit Peter Kronlechner Gründer des Hauses, war es, der dafür die bestmögliche Kinosituation schaffen wollte. Ein Kino, das den Raum des Vorführsaals in der Schwärze verschwinden lässt und den Blick des Besuchers ausschließlich auf die ausgestellten Filme richtet. Ein Luxus angesichts der alltäglichen Dauerbebilderung, der das Filmmuseum zu einer Schule des Sehens macht. Das Lichtmonopol des mittlerweile dritten »Unsichtbaren Kinos« ist dem Projektor vorbehalten. Störungen wie leuchtende Displays sind nicht nur seitens des Hauses unerwünscht. Mitunter werden auch die Gäste initiativ, um in den ungestörten Filmgenuss zu kommen. Aber nicht immer fällt der abendliche Kinobesuch so hochtrabend und bildungsbürgerlich aus. Es ist das unmittelbare Filmerlebnis, das begeistert. Brigitte Bardot in einer Villa auf Capri, Will Oldham durch amerikanische Wälder stapfend, flimmerndes und pulsierendes Videomaterial zu einem Song der Wiener Band Broken Heart Collector. Film in allen Erscheinungsformen, das interessiert das Österreichische Filmmuseum. Wenn auch mit Schwerpunkten.

Alte Filmkopien sind schwer, schmutzig und stinken«, dennoch liebt Sammlungsleiter Paolo Caneppele sein Archiv. Aktweise lagern die Filme in den markanten Filmdosen.

Curatorship und Gin Viele der Besucher kehren nach der Vorstellung in die Filmbar zurück. Ergänzend zum »Unsichtbaren Kino« hat die Wiener Architektin Gabu Heindl einen Übergangsbereich zwischen dem Kino und der Stadt geschaffen. Und auch hier blitzt die Arbeit des Archivs auf. An der Wand hängt das Plakat der jeweiligen Filmschau. Die unverkennbare Grafik des Hauses vor einem markanten Filmstill, das im Idealfall den Charakter der Schau in einem Bild verdichtet. Manche Gäste schmökern in den Programmheften mit den legendär enthusiastischen Texten. Besonders bemerkenswert ist auch, mit welcher Präzision im Büro in der Innenstadt jeder Credit und Originaltitel recherchiert wird. Das betrifft auch die hauseigene Buchreihe, die in einer Vitrine aufgestellt wird. »Film Curatorship« heißt ein Titel, in dem der Direktor des Hauses – Alexander Horwath – einen zentralen Begriff des Filmmuseums zur Diskussion stellt. Dabei beschränkt sich Kuratieren absichtlich nicht darauf, Programme im Setzkastenprinzip zusammen zu bauen. Curatorship soll Inhalte, ihr Trägermaterial und ihre Umwelt ernst nehmen. Film wirft so immer auch Fragen nach der Programmierung, Sammlung, Forschung und Vermittlung auf. Film als Ganzes. Dabei ist nicht allen zu später Stunde nach Diskurs und Halbwissen zumute. Manche genießen auch nur das Barsortiment für den Spätabend. Grappa, Gin mit Gurke, Rotwein, vielleicht ein gefülltes Schurgebäck. Selbstverständlich von bester Qualität. Wie fast alles im Österreichischen Filmmuseum, das dieser Tage sein 50-jähriges Bestehen feiert.

Links: Florian Wrobel leitet die Filmsammlung des Österreichischen Filmmuseums. Rechts: Plakate bekannterer und weniger bekannter Filme lagern hier, um für Buch- und Forschungsprojekte, Ausstellungen und Filmschauen verwendet zu werden.

Im Sommer 2008 wurde die von Erich Steinmayr und Fritz Mascher gestaltete Bar von der Architektin Gabu Heindl baulich weiter entwickelt. 043

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Von der Metropole in die Kleinstadt — Kulturmanager über Hürden und Charme der Provinz

Provinzielle Weite

Text Sandra Bernhofer

Sie machten Karriere in den Metropolen der Welt und finden sich in Hintertupfing, St. Pölten und Salzburg wieder. Welchen Einfluss hat der Urbanitäts-Level in der Postmoderne tatsächlich noch auf Kulturmanager?

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Die Bühne liegt in kompletter Dunkelheit, Scheinwerfer blenden ins Publikum, Wortfetzen in Französisch, Englisch, Deutsch schwirren durcheinander. Die Sidecut- und Dutt-Dichte ist am Eröffnungsabend des Festival Performing New Europe (pneu) bedeutend höher als sonst in Salzburg. Fast hat man den Eindruck von Urbanität. Alles anderes als angestaubt ist auch das, was sich später auf der Bühne abspielt: »Germinal« packt drei Männer und eine Frau in eine verquere Wirklichkeit. Erst können sich diese nur über Maschinen verständigen, die sie Gedanken an die Wand projizieren lassen, dann finden sie zur gesprochenen Sprache, überspringen Feuer und Rad und landen im digitalen Zeitalter. Das Stück des belgischfranzösischen Künstlerduos Antoine Defoort und Halory Goerger, das die Menschheitsgeschichte völlig neu schreibt, ist im Juni auch bei den Wiener Festwochen zu sehen. Intendanten aus Estland, Finnland und Deutschland ließen sich das Schaulaufen der jungen PerformanceKünstler nicht entgehen. »Heute gibt der Ort keinen großen Ausschlag mehr«, meint Regisseur Hubert Lepka in einer Pause. Nicht nur die Durchdringung der Gesellschaft mit neuen Medien treibt die Entprovinzialisierung voran, sondern auch gezielte wirtschaftspolitische Maßnahmen: Das niedersächsische Wolfsburg zählte noch vor 80 Jahren weniger als 1.000 Einwohner. Gleichzeitig mit dem Bau eines Autowerks wurde eine zugehörige Großstadt aus dem Boden gestampft – die ganz nebenbei einen imponierenden kulturellen Ehrgeiz entwickelte. Die Wolfsburger Museen können es inzwischen mit den wichtigsten Galerien Europas aufnehmen. Vermutlich hat Lepka also Recht – wenn er darauf anspielt, wen oder was man in eine Stadt holt. Welche Szenen in einer Stadt gären, ist aber – Crowdfunding und digitalem Austausch zum Trotz – nach wie vor wesentlich internen Dynamiken geschuldet.

Lebendige Szenen? Die wenigsten Nachwuchskünstler, die am Mozarteum und an der renommierten Tanzakademie Sead ausgebildet werden oder an der Fachhochschule MultiMediaArt studieren, bleiben in Salzburg. Davon weiß auch Stephan Schmidt-Wulffen ein Lied zu singen: Neun Jahre stand er der Wiener Akademie der bildenden Künste mit ihren 1.400 Studierenden vor, bevor er 2011 Rektor der fünfmal kleineren New Design University in St. Pölten wurde. »Viele unserer Absolventen wollen sich dem internationalen Diskurs anschließen. Und der wird nun einmal in Metropolen verhandelt.« London, Berlin, aber auch Eindhoven seien beliebte Ziele. »Da braucht eine kleine Universität viel Kraft, um sich zu behaupten.« Die Strahlkraft urbaner Schmelztiegel ist groß. »Es ist nicht so, dass Metropolen auf junge Künstler warten – es gibt eh schon so viele dort, die auch ihr Auskommen finden wollen. Aber ich verstehe schon, welchen Reiz etwa Berlin für junge Leute hat: der Austausch, die andere Lebensluft, die große Städte per se haben«, sagt Angela Glechner. Sie kuratierte das Pneu Festival und leitet jetzt die Szene Salzburg. Dieses Problem der Abwanderung haben viele Second Citys, die zwar verhältnismäßig groß, aber eben nicht die Hauptstadt sind. »Mir würde auf Anhieb kein Land in Europa einfallen, wo die junge zeitgenössische Kunst nicht in der Hauptstadt zuhause wäre«, erklärt die Intendantin, »Sogar Hamburg ist leer. Ich saß da in einer Jury. Wir bekamen 16 Anträge pro Jahr, in Wien – einer Stadt von vergleichbarer Größe – waren es weit über 100.« Bevor sie die Szene übernahm, war Glechner in Wien, Hamburg und Brüssel als Kulturmanagerin tätig – und ist nicht die einzige, die wenig Scheu vor der Provinz hat. Es sind vor allem die Karrierechancen an größeren Häusern, die in Kleinstädte locken: Sabine Breitwieser, die Direktorin des Salzburger Museums der Moderne, ist die erste, die als Chefkuratorin dem New Yorker Museum of Modern Art den Rücken kehrte – die lakonische Begründung: »Ich gehöre zu den Menschen, die gern schwierige Aufgaben haben.« Steven Walters hob in Esslingen, mitten in Baden-Württemberg, das Klassik-Festival Podium aus der Taufe. Gerhard Willert wiederum hatte Engagements in München, Hamburg und Mannheim, bevor er Leiter der Schauspielabteilung am Landestheater Linz wurde. Noch weiter in den Westen zog es den zuletzt am Leopold Museum tätigen Tobias G. Natter nach Stationen am Historischen Museum der Stadt Wien und an der Galerie Belvedere: In seiner Heimat leitete er von 2006 bis 2011 das Vorarlberg Museum. Bri-

» Da is’ ja eh nix los« ist eine weit verbreitete Einstellung, doch die Musikszene in St. Pölten war immer schon lebendig.« gitte Fassbaender war 13 Jahre Intendantin des Tiroler Landestheaters, nachdem sie in den 70er Jahren als Opernsängerin an den wichtigsten Häusern Europas und der Metropolitan Opera aufgetreten war. Sie war es auch, die 2009 Enrique Gasa Valga anbot, die Tanzcompany des Hauses zu übernehmen. »Ich hatte immer schon das Gefühl, dass Innsbruck einen Provinz-Komplex hat – zu Unrecht«, sagt er, »dieser Komplex hat sich aber etwas gebessert.« Das führt er auch darauf zurück, dass viele Kinder der Stadt nach Engagements in Wien oder London zurückkehren.

Beim Geld hört die Freundschaft auf »Es ist ein generelles Problem kleiner Städte, dass sie junge Künstler nicht halten können. Aber das wahre Manko an Salzburg ist, dass kulturpolitisch zu wenig Ehrgeiz besteht«, bemängelt Angela Glechner. »Es braucht mehr Förderprogramme, mehr offene Ateliers, mehr Residencies.« Die Situation dürfte sich weiter zuspitzen: Seit Herbst 2013 schwappen auf den Salzburger Kulturlandesrat Heinrich Schellhorn Protestwellen von allen Seiten ein. Grund ist der Sparkurs des Landes, der nur eine der Nachwehen des Finanzskandals ist – 1,5 Millionen Euro werden 2015 und 2016 jeweils gekürzt. »In keinem anderen Bereich wird mit dem Einsparen einer vergleichsweise geringen Summe ein so großer Schaden angerichtet«, lautet der Kernsatz der Petition »Ja zum Kulturland Salzburg«, die bereits 6.500 Menschen online unterschrieben haben. »Wir haben faktisch schon jetzt laufend abnehmende Budgets«, kritisiert Glechner. Eine Anpassung an die Inflation gab es für viele seit Jahren nicht, während die Tarife steigen. Den Motor am Laufen halten will Landesrat Schellhorn, indem er den Tourismus verstärkt für die Finanzierung von Kultursonderprojekten zur Ader lässt. »Der Fremdenverkehr profitiert von den kulturellen Leistungen der Künstler des Landes«, argumentiert er. Bereits 1920 wurde ein Fonds explizit für die Finanzierung der Kultur gegründet. Momentan fließe der Großteil dieses Geldes aber in touristische Einrichtungen zurück. »Wenn jemand etwas auf die Beine stellt, dann muss er auch dafür bezahlt werden«, ärgert sich Glechner über die mangelnde Wertschätzung. Vor allem Zeitgenössischem werde oft aufgezwungen sich zu begründen, »weil einem die Leute wegen der Karten nicht gleich die Bude einrennen«. Zu Pneu lud sie ganz bewusst jüngere Künstler mit nicht vollkommen ausgegorenen Stücken – mit Erfolg: 3.000 Besucher, 95 Prozent Auslastung. »Das Publikum hier ist irrsinnig neugierig. Man hat das Gefühl, es ist hungriger als in Metropolen, weil einfach seltener etwas Neues aufpoppt«, betont die Intendantin, »auch auf hochkomplexe Stücke wie ›Germinal‹.« In größeren Städten sei das fast schwieriger: »Da ist oft sehr viel Publikum aus der eigenen Sparte dabei, das selbst produziert und beim Zuschauen ein bisschen unentspannt ist.« Für Stephan Schmidt-Wulffen von der NDU ist der größte Vorteil an der Kleinstadt das Familiäre: »In St. Pölten zu arbeiten, ist unglaublich effektiv. Die Wirtschaftskammer funktioniert wie eine große Familie. Man hat ein Gegenüber, das sich Zeit nimmt, die eigene Sache zur gemeinsamen macht. In Wien hat man es dagegen mit einem ganzen Ministerium zu tun, das nur schwer durchschaubar ist.« Für ihn ist der Ort des Geschehens aber auch in der Postmoderne ganz wesentlich: »Man arbeitet immer mit Menschen zusammen. Trotz Computern.« Die Salzburger Sommerszene ist in Planung, am Landestheater Innsbruck ist gerade »Körper.Seelen« angelaufen. »Germinal« wartet auf die Aufführung bei den Wiener Festwochen. 045

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Ob in Südafrika, Thailand oder Bangladesh – in wirtschaftlich schwachen Ländern gilt es ohne Ideologie zu bauen.

Think global, build social! — Bauen für eine bessere Welt

Pragmatisch, praktisch, gut 046 Text Peter Stuiber Bild Markus Dobmeier, Franc Pallarès-López, Pasi Aalto/pasiaalto.com

Die neue Ausstellung im Architekturzentrum Wien zeigt Beispiele engagierter Architektur der vergangenen Jahre. Die ist weniger politisch, sondern pragmatisch. Auch aus Österreich kommen etliche Impulse.

Vor zehn Jahren zeigte das Architekturzentrum Wien (azw) eine Schau, die das gängige Bild von zeitgenössischer Architektur um eine wichtige Facette bereicherte: Bauen für sozial Schwache. Präsentiert wurden die Projekte des »Rural Studio«, einer 1993 gestarteten Initiative der Auburn University, die im westlichen Alabama, einer traditionell armen ländlichen Region, tätig wurde. Architekturstudenten begannen ihre Projekte mit kleinem Budget (und teils mit Recyclingmaterialien), dafür aber mit großem Engagement zu planen. Bei der Errichtung sollten die zukünftigen Benutzer selbst mit Hand anlegen und dadurch die Identifikation mit den Projekten deutlich erhöht werden. Für die Studierenden wiederum bot sich die einmalige Gelegenheit, vom Trockentraining ins echte Leben zu wechseln. Das Projekt wurde weltweit wahrgenommen und nachgeahmt. So auch in Österreich, nicht zuletzt aufgrund der Ausstellung im AZW.

Globales Architekturversagen Damals entstand an der TU Wien unter der Leitung von Peter Fattinger erstmals ein sogenanntes Design Build Studio. Im Laufe der Jahre kam es zu verschiedenen Projekten in Afrika und Asien, bei denen Stu-

dierende nicht nur mit einer komplett anderen sozialen Realität konfrontiert wurden, sondern ihre Lösungskompetenz unter Beweis stellen konnten. Was in den 90er Jahren in den USA als zartes Pflänzchen begann, hat sich mittlerweile zu einem global relevanten und beachteten Phänomen entwickelt: Fast scheint es, als hätten sich ArchitekturInteressierte, Museen und Medien an der viel beschworenen »StarArchitektur« sattgesehen. Andres Lepik, Kurator der Ausstellung, die in Kooperation mit dem Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt am Main entstanden ist, geht überhaupt mit der westlichen Architektur hart ins Gericht. Angesichts der rasant wachsenden Megastädte und grassierender informeller Siedlungen könne man nur vom Versagen sprechen. »Die ›formelle‹ Architektur verliert weiter an Relevanz, weil ihre Möglichkeiten von einer überwältigenden Mehrheit der globalen Bevölkerung einfach nicht mehr wahrgenommen werden. Architektur schafft hier keine Angebote und hat hier keinen Markt.« Lepik weiß, dass diese Tendenz nichts Neues ist. Während die soziale Komponente bei der Architektur-Avantgarde der Zwischenkriegszeit noch eine wichtige Rolle spielte – Hannes Meyer, Direktor des Bauhauses, bezeichnete Gestaltung einst als »Dienst am Volke« –, führte das industrialisierte Bauen nach 1945 zunehmend zum Entstehen öder Wohnblöcke, bei denen die Frage nach dem Glück der Menschen zur

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Temporäre Dormitorien, also Schlafplätze in Thailand.

Nebensache wurde. Selbstverständlich gab es immer wieder Versuche, diese Dominanz aufzubrechen. Einer davon war die berühmte Ausstellung des Österreichers Bernard Rudofsky, der 1964 im MOMA in New York »Architecture without Architects« ins Zentrum rückte. Andres Lepik kuratierte fast 50 Jahre danach ebendort eine Ausstellung zur sozialen Ader von Architektur. Mit »Afritecture« brachte er das Thema auch nach München.

Kooperativen ohne Ideologie Die Ausstellung »Think Global, Build Social! Bauen für eine bessere Welt« in Wien präsentiert nun 22 Projekte, die jeweils einem der fünf Themenkapitel – Material, Wohnen, Partizipation, Kultur, Design Build Programme – zugeordnet sind. Auf die bekannten Namen der Szene trifft man natürlich, so etwa auf den umtriebigen Francis Kéré, den nicht nur Schlingensief-Fans kennen (Kéré ist der Architekt des berühmten Operndorfes). Er studierte Architektur in Berlin und baute in seinem Heimatland Burkina Faso viel beachtete Schulen. Doch auch weniger bekannte Namen sind vertreten, so etwa die Kounkuey Design Initiative, die sich dem »Slum upgrading« in Kenia verschrieben hat. Dass die Eingrenzung auf 22 Projekte nicht leicht war, bestätigt Sonja Pisarik, die das Ausstellungsprojekt im azw geleitet hat: »Wir haben zwei Jahre lang zusammen mit den Kollegen in Deutschland unzählige Projektlisten erstellt. Letztlich ging es darum, möglichst unterschiedliche Projekte zu finden, von denen man behaupten kann, dass sie sich bewährt haben. Das hätten natürlich auch andere 22 sein können. Wichtig war, dass neue Aspekte zu finden waren, zum Beispiel beim Baumaterial oder bei der Konstruktion.« Der entscheidende Unterschied zu früheren Projekten sei die Sensibilität gegenüber ihren künftigen Benutzern. Die postkolonialen, um nicht zu sagen neokolonialistischen Bemühungen, für »die da unten« etwas zu organisieren, haben auch in der Architektur ihre Spuren hinterlassen. Man hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, westliche Arroganz ist nicht angesagt. »Design Build Studios oder Büros erstellen meist in extremer Vorrecherche einen Befund und überlegen dann, wie sie zu einem Ziel kommen können. Dieses und der Weg dorthin werden gemeinsam mit den Menschen und Organisationen vor Ort erarbeitet.« Das führe automatisch zu höherer Akzeptanz und Identifikation, ganz abgesehen davon, dass der Wissenstransfer keinesfalls eine Einbahnstraße von den reichen in die ärmeren Länder ist. Andres Lepik beschreibt noch einen weiteren Aspekt, der die heutige soziale Architektur von ihren

Die Bücherei für ein Waisenhaus, auch Thailand.

Vorläufern unterscheidet, nämlich ihre pragmatische Herangehensweise, von ideologischen Bauten scheint man genug zu haben.

Relevanteste Architekturausstellung dieses Jahres Während Österreich als Nation bei der Entwicklungszusammenarbeit das Prädikat beschämend dauerhaft gepachtet hat, spielen heimische Studios bei der sozialen Architektur durchaus eine beachtliche Rolle. Das reicht vom Vorarlberger Lehmbauexperten Martin Rauch bis zum Linzer BASEhabitat. »Besonders hervorzuheben ist der 2004 von Christoph Chorherr gegründete Verein S2arch«, so Pisarik. An zwei Standorten in Südafrika wurden mit zwölf Architektur-Fakultäten im deutschsprachigen Raum große Schulgelände gebaut. »S2arch ist laufend vor Ort, auch als Betreibergesellschaft. Das ist ein beachtliches, kontinuierliches Engagement«. Eines, das noch dazu von der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen wird als Projekte mit großer PR-Anstrengung. Die Ausstellung wird in Wien durch einen rein österreichischen Bereich ergänzt, in dem Pisarik und ihr Team 72 Projekte vorstellen: die Gesamtheit der heimischen Anstrengungen der vergangenen zehn Jahre. Da sind auch jene dabei, die soziale Architektur in Österreich selbst voranbringen, so das bemerkenswerte Büro Gaupenraub, das bereits einige Projekte im Bereich Obdachlosenbetreuung (Notquartier VinziRast u.a.) geplant hat. Ohne Honorar übrigens. Die relevanteste Architekturausstellung dieses Jahres gilt es nicht zu versäumen. Dem Thema entsprechend ist als Begleitpublikation kein seelenloses Coffeetable-Book erschienen, sondern eine 200 Seiten starke, deutsch-englische Sondernummer der Zeitschrift »ARCH+«, gespickt mit Texten und Bildern zu allen Projekten, einem Dossierteil über Francis Kéré sowie aufschlussreichen Zeitleisten und Glossarseiten, die das Thema historisch detailgenau bis in die Zwischenkriegszeit erschließen – was die Publikation im Vergleich zu anderen aus dem Bereich, die sich nur mit aktuellen Projekten auseinandersetzen, besonders wertvoll macht. Der Rechercheaufwand spiegelt sich auf jeder einzelnen Seite. Mit dem Thema wird eine Traditionslinie der Architektur aufgenommen, die in der Geschichte immer wieder aufblitzt, besonders oft in Krisenzeiten. Wer will da noch von Stararchitekten hören?

»Think Global, Build Social!« läuft von 15. März bis 30. Juni 2014 im Architekturzentrum Wien. 047

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Christian Buchmann

Wirtschaftslandesrat Steiermark

der wortwechsel. vier personen zur frage:

Was hat Graz von drei Jahren Unesco City Of Design?

Eine Unesco City Of Design kann nicht jeder werden. Eine City Of Design hat eine lebendige Design- und Kreativbranche, setzt starke Impulse im Bereich Architektur und Design, hat ein charakteristisches Stadt-Design und moderne Ausbildungsstätten für Kreative. Die Unesco hat Graz für all diese Dinge ausgezeichnet, die Stadt darf sich seit dem 14. März 2011 City Of Design nennen. Um dieses Ziel zu erreichen bzw. alle Initiativen zu bündeln, sind die Creative Industries Styria GmbH entstanden, die damals mit der Bewerbung beauftragt wurden und als Drehscheibe zwischen Wirtschaft und Kreativszene agieren. 1,5 Millionen Euro wurden für die Umsetzung des Projekts zur Verfügung gestellt – eine Ausgabe, die nicht alle als gerechtfertigt empfanden. Immerhin wurden im selben Jahr drastische Kürzungen im Bildungs-, Sozial-, Gesundheits- und Kulturressort angekündigt. Aber Moment – im Kulturressort? Gehört Design nicht dort dazu? Diese Ambivalenz schmiss Kritikern Holz ins Feuer: das City-Of-DesignProjekt sei nur ein Prestigeobjekt für einzelne Politiker, Geld würde primär für Marketingzwecke ausgegeben, anstatt Kulturschaffende zu fördern. Bringen soll das Ganze, dass das schon vorhandene kreative Potenzial der Stadt ganz nach oben auf die Agenda kommt und, dass Design in das städtische Lebensgefühl übergeht. Die City Of Design soll Impuls für Graz als Standort, für Kreativwirtschaft und Tourismus sein. Dass kreatives Potenzial schon vorher vorhanden war, welches es durch den Titel und die neuen Strukturen nur zu bündeln galt, kann man schwer bestreiten. Die FH Joanneum ist mir ihren designspezifischen Ausbildungsschwerpunkten zu einem Zentrum der Branche gewachsen und Architektur und Stadtplanung spielen in der Region schon länger eine verhältnismäßig große Rolle. Insofern könnte es ja durchaus Sinn machen, das auch in internationale Strukturen einzubetten. War dieses Bestreben der letzten drei Jahre sinnbringend für die lokalen Kulturschaffenden? www.thegap.at/wortwechsel

TEXT UND DOKUMENTATION Teresa Havlicek

Drei Jahre ist es her, dass Graz zur Unesco City Of Design gekürt wurde, zeitgleich zu Kürzungen im Kultur- und Sozialbudget der Stadt. Hat es wenigstens die erhofften Erfolge gebracht?

»Ein Prozess hat begonnen« — Innovation und unternehmerisches Denken spielen eine wesentliche Rolle für die positive Entwicklung eines modernen Wirtschaftsstandorts. In der Steiermark werden diese Faktoren von den vielen kreativen Köpfen hervorragend gelebt. Seit Jahren wächst die Zahl der Unternehmen in der Kreativwirtschaft und sie bringen Innovationen am laufenden Band hervor. In der Steiermark gibt es 3.910 Kreativunternehmen mit insgesamt 12.930 Beschäftigen, die rund 1,3 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr erzielen. Die Kreativwirtschaft ist damit in den letzten Jahren zu einem wesentlichen Wirtschaftsfaktor mit hohem Wachstumspotenzial geworden. Graz ist als Unesco City Of Design ein anerkannter Hotspot geworden, designorientierte Projekte und Events werden weit über die Grenzen von Graz und der Steiermark hinaus wahrgenommen. Der Designmonat Graz lockte etwa im Jahr 2013 rund 75.000 Besucherinnen und Besucher an, das Designforum Steiermark zählt pro Jahr rund 60.000 Gäste und die fortschreitende internationale Vernetzung schafft Partnerschaften mit anderen Unesco Creative Cities wie Buenos Aires, Nagoya oder St. Etienne, das heuer im Designmonat zu Gast sein wird. Übrigens: Ein internationales Magazin reihte den Designmonat Graz unlängst unter die »20 most vibrant design events« – weltweit! Diese Beispiele zeigen, dass die Ernennung von Graz zur Unesco City Of Design zur Stärkung des kreativen Milieus in der Steiermark beigetragen hat. Die Auszeichnung ist aber nicht das Finale, sondern der Beginn eines herausfordernden Auftrages, nämlich die Kreativwirtschaft weiter mit Handwerk, Gewerbe und Industrie erfolgreich zu vernetzen. Denn nur so entsteht das, was unsere Wirtschaft so dringend braucht, nämlich Innovation, Wachstum und Wertschöpfung. Dr. Christian Buchmann, 51, ist seit 2005 Mit­ glied der Steiermärkischen Landesregierung. Er ist derzeit als Landesrat für die Ressorts Wirtschaft, Europa und internationale Bezie­ hungen sowie Kultur zuständig.

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Heidrun Primas

Iris Kastner

Philipp Raunigg

Vorstandsvorsitzende Forum Stadtpark

Designshop-Inhaberin

Geschäftsführer einer Kreativagentur

»Wir brauchen einen differenzierten Diskurs « — Wenn man Stadt-, Gesellschaftsund Kulturentwicklung ganzheitlich denkt, ist es nicht sinnvoll, Initiativen und deren Wirkung von einander isoliert zu betrachten. Das Klima für die Kreativwirtschaft in der Stadt hat sich in den letzten drei Jahren sicher positiv verändert und gerade kleine Unternehmen sind erfreulicherweise sichtbarer geworden. Man muss jedoch sehen, dass zur gleichen Zeit die Kürzungen im Kultur-, Sozial- und Bildungsbereich Schaden angerichtet haben. Kleine Initiativen sind mitunter kaum noch überlebensfähig. Begriffe wie Kreativität, Kunst, angewandte Kunst bzw. Design werden oft verwaschen verwendet. Es ist sinnvoll, zwischen angewandter Kunst, an deren Ende zwingend ein verwertbares Produkt stehen muss, von Kunst als für sich stehenden Prozess, welcher nicht immer verwertbar sein muss, zu differenzieren. Diese beiden Ansätze können wertneutral nebeneinander stehen, jedoch hat das City-Of-Design-Projekt jenen Ansatz gefördert, der Kunst und/oder Design primär als wirtschaftliches Produkt sieht. Insofern ist es auch bezeichnend, dass sich hinter den Positionen Kulturlandesrat und Wirtschaftslandesrat eine Person befindet. Die Intention hinter Projekten, die sich durch die Kombination der beiden Ressorts ergibt, ist sicher positiv – jedoch ist eine Zusammenführung von Wirtschaft und Kultur immer eine heikle Angelegenheit, die Fragen nach der Unabhängigkeit und Freiheit der Kunst aufwirft. Dass Graz City Of Design ist, ist gut. Mir liegt vor allem am Herzen, dass Graz seit 2001 Stadt der Menschenrechte ist. Das ist eine »Marke«, unter der sich eine zukunftsweisende, kulturpolitische Diskussion und Wirkkraft beheimaten ließe.

»Branding City Of Design« — Auf Basis von Interviews mit Vertretern der lokalen Kreativwirtschaft wird in einer Studie behauptet, dass das City Of Design Branding als eine langfristige Strategie wahrgenommen wird, welche ein Impuls für nachhaltige Stadtentwicklungsprozesse sein kann. Ein Produkt wurde verkauft, ein Image kreiert. Die Bewerbung von 2011 betont, dass das Ziel jenseits der bloßen Verpackung steht. Es geht um den Mehrwert für den Menschen und seine Umgebung. Ist auch das gelungen? Ein Kritikpunkt, der in der kreativen Szene immer wieder fällt, ist die Vereinnahmung. Politische Kräfte haben die Kreativwirtschaft für ein Branding forciert. Es wird mit Phänomenen des Marketing betrieben, die man vor Ort nicht entsprechend schätzt. Nachdem das Branding erledigt ist, könnte man sich auf grundlegende Dinge konzentrieren, die der Kreativwirtschaft mehr Sicherheit geben, wie z.B. Copyright oder Patentrecht. Das Maß an Wertschätzung an kreativen Leistungen zeigt sich aber auch in der Bezahlung eben dieser. Das scheint noch im starken Gegensatz zu den Ausgaben für das Branding von City Of Design zu stehen. Der Titel City Of Design ist eine Chance für Graz und positiv zu bewerten. Vieles wurde seither unternommen, einiges ist gelungen, manches ist gescheitert. Können Effekte und Nutzen des Titels überhaupt messbar sein, außer in Zahlen (z.B. Besucherzahlen oder Nächtigungszahlen), die ja auch wieder erstens geduldig und zweitens interpretierbar sind? Was Relation und Kontrolle der Mittel von Stadt und Land betrifft, so ist ein Diskurs angesagt, der auch stattfindet. »Der Begriff ›Design‹ ist anfällig überstrapaziert zu werden, daher empfiehlt es sich sorgsam damit umzugehen« – so steht es schon in der Bewerbung von 2011 ...

»Graz in der Identitätskrise« — Juhu ... nun sind wir auch noch City Of Design! Zum Glück erinnern uns nette weiße Kleber daran, die schon seit drei Jahren an ausgewählten Auslagen und Fenstern picken. Irgendwie habe ich das Gefühl, unsere städtischen Führungskräfte leiden unter einer Identitätskrise. Sind wir jetzt eher Genusshauptstadt oder doch mehr Kulturhauptstadt ... oder vielleicht sogar bald Design-Genuss-Erbe? Es ist schön, dass sich Graz unter klingenden Design-Städten wie Shanghai und Berlin wiederfindet. Eine bewundernswerte Errungenschaft, wenn man bedenkt, dass diese Mitgliedschaft konzeptionell am Reißbrett einiger weniger Protagonisten in Graz entstanden ist und nicht wie anderswo – das wage ich einfach mal zu behaupten – langsam aus der gesellschaftlichen Kultur gewachsen ist. Deshalb wird es auch noch Jahre dauern, bis Design als Grundqualität in unser kulturelles Fleisch und Blut übergegangen sein wird. Erst dann werden wir nachhaltige wirtschaftliche und touristische Erfolge verbuchen. Hoffentlich gehen den Initiatoren bis dahin nicht die Kräfte aus. Jetzt wirkt einiges noch etwas verkrampft. Seltsam ist leider die Tatsache, dass die Stadt Graz ihr eigenes Brand Design nicht unter den vielen herangezüchteten und hochgelobten Designern und Designagenturen ausgeschrieben hat, sondern das visuelle Aushängeschild ohne Expertisen mit Inhouse-Grafik umgesetzt hat. Das zeugt von wenig Vertrauen in die eigene hochgelobte Design City. Das Ergebnis spricht für sich. Trotz aller Kritik – wir alle versuchen in einem zukunftsträchtigen Segment Fuß zu fassen. Design hat Relevanz! Das steht fest und davon bin auch ich überzeugt. Wir stehen als City Of Design in den Kinderschuhen. Aber wir lernen. Und wir werden in Zukunft noch mehr mitmischen als heute.

» Das City-Of-DesignProjekt hat jenen Ansatz gefördert, der Kunst als wirtschaftliches Produkt sieht.« (Heidrun Primas)

Heidrun Primas ist Vorstandsvorsitzende des Forum Stadtpark, welche eine Grazer Aktionsgemeinschaft von Künstlern, Wissen­ schaftlern und Kulturschaffenden ist. Zuvor war sie als Architektin und Künstlerin tätig.

Philipp Raunigg, 41, ist Geschäftsführer der Kreativfirma Raunigg und Partner GmbH. Er betreut Kunden im Bereich Werbung, Marketing, Kommunikation und Marken­ positionierung.

Iris Kastner hat 2008 die Designplattform Kwirl in Graz gegründet, www.kwirl.at. Kwirl ist Plattform für nachhaltige Gestaltung und setzt heimische Produktionen in den Kontext von zeitgenössischem Design. 049

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bild Matthias Hombauer dokumentation Stefan Kluger

Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ

Mira Kolenc, 29, Bloggerin

Es begann mit der Liebe zu alten Filmen. Durch sie kam Mira Kolenc erst auf die Idee, sich mittels Selbstversuch modisch den frühen 50er Jahren zu nähern – insbesondere Diors »New Look«. Als sie mit ihrer Verwandlung begann, bekam sie die Kleidungsstücke praktisch umsonst; irgendwann kamen dann auch die passende Frisur und Make-up hinzu: »Für mich war das immer eine rein persönliche Leidenschaft, ohne den Hintergedanken, ob oder wem das gefallen könnte«, sagt Kolenc. Allerdings musste sie bald feststellen, dass ihr Auftreten nicht selten erstaunliche Erwartungen und Fantasien weckt. Dass sie für andere Menschen oft eine Projektionsfläche darstellt, beschäftigt die Bloggerin. Die Doppeldeutigkeit ihres Blogs »Mira Kolenc – ein Feldforschungsprojekt« ist dabei Programm: »Sowohl ich als Forschungsgegenstand als auch mein Recherchieren vor Ort sind gemeint.« www.mirakolenc.com

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Workstation — MENSCHEN AM ARBEITSPLATZ

Jahson The Scientist, MC & Science Teacher

Jahson möchte seinen Schülern etwas beibringen. Er will ihnen nicht nur trockenes Wissen schmackhaft machen, sondern sie vor allem dabei unterstützen, ihre eigenen Fähigkeiten zu entfalten. Denn so lernt er auch viel von ihnen: »Kinder sehen Dinge oftmals auf ganz andere Weise als Erwachsene«, erzählt Jahson. Neue Betrachtungsweisen und andere Blickwinkel sind essenziell, will man die Welt ringsum besser begreifen. Als Forscher will er Erkenntnisse teilen, die die rein materialistische Herangehensweise der Wissenschaft bereichern sollen. Jahson, der bereits an Schulen in London, Wien und Taiwan unterrichtete, hat nebenbei noch eine eigene Band. Passender Name: The Science Report

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Prosa von Sophie Strohmeier

mit feinem sinn für ironie mokiert sich die junge autorin sophie strohmeier über die mechanismen im literaturbetrieb. ein satirischer schlüsseltext, der in den neo-gulag führt.

Si tacuisses ...

Die Fürst Die schwarzhaarige Dame lauert in einem schattigen Eck des Kaffeehauses. Ihre Augen hinter den schwarzgerahmten Brillen sind grün und wachsam, ihre Schultern weiß und nackt. Sie ist die Katze in der Finsternis. Und dann ist sie die Finsternis. Neben einem riesigen Fenster, ein paar Tische weiter, sitzt die bemerkenswert junge Schriftstellerin Vero Fürst mit einigen Journalisten. »Als ehemaliges Fotomodell, Frau Fürst«, fragt einer der Journalisten »und als bemerkenswert gutaussehende junge Frau – sagen Sie, gibt es Vorurteile, gegen die Sie zu kämpfen haben? Darf man denn überhaupt als Schriftstellerin heute gutaussehend sein?« »Ja«, sagt Vero Fürst, »das finde ich auch seltsam. Heutzutage sollte es doch egal sein, wie man aussieht. Wirklich wichtig ist das, was man schreibt und denkt. Das sind alles Dinge, die in einem Menschen drinnenstecken, denke ich. Da sollte Aussehen wirklich nicht zählen.« Ein anderer Journalist, von einer sehr ernsten Zeitung, lehnt sich nach vorne: »Und dass jemand in ihrem Alter, also 24 –« »23«, flüstert Vero Fürst sanft und senkt zaghaft ihr entzückend spitzes Kinn, »Dass man mit 23 so viel schreiben möchte ... wieviel schreiben Sie denn eigentlich am Tag, Frau Fürst?« »Bis zu 10 Stunden«, sagt Vero Fürst. »Manchmal komme ich gar nicht dazu, mir ordentlich die Zähne zu putzen.«

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»Ja, was sagen denn Ihre Eltern zu ihrer regelrechten Schreibewut?« »Die sind sehr stolz auf mich. Meine Eltern sind wunderbar. Sie haben mir auch immer gesagt, dass lesen sehr wichtig wäre. Ein Haus ohne Bücher finde ich sehr ausladend. Überhaupt könnte ich mich nie in einen Mann verlieben, der noch nie Faust gelesen hat.« „»Sehr bemerkenswert in einer Zeit, in der keiner mehr liest«, nickt eine Journalistin. »Ja, ich finde das auch richtig traurig, dass es immer weniger Leserinnen und Leser gibt. Überhaupt finde ich diese Internetkultur abscheulich. Am liebsten hätte ich ja meinen Roman auf einer Schreibmaschine geschrieben.« »Ich habe immer nur auf einer Schreibmaschine geschrieben«, sagt der älteste Journalist der Runde mit den wässrigsten Augen diesseits der Donau. Es ist seine einzige Bemerkung, und sein Blick erhebt sich sehnsuchtsvoll zu der lichtüberfluteten Vero Fürst, ihren braunen Augen und winzigen Sommersprossen. Einen Moment lang fühlt sich der Journalist jung. Wie wunderbar, notiert sich der Journalist in seinen privaten Notizen, wir sollten alles einfach ein bisschen einfacher sehen ... Es sind bekanntlich alle sehr dankbar dafür, dass es in Österreich eine solche Autorin gibt, die in so jungen Jahren sich so mutig zum Lesen und Schreiben bekennt. Vero Fürst kam genau zur richtigen Zeit und befreite die Literatur von ihrem geriatrischen

Odeur. Wer sonst hätte diese wichtige Rolle übernehmen können? »Frau Fürst«, sagt ein hübscher Journalist mit Glasauge, „möchten Sie vielleicht etwas zu der Behandlung gegenwärtiger Künstlerinnen in Russland sagen? Was halten Sie zum Beispiel von Pussy Riot?« »Ich finde es ganz schrecklich, dass diese jungen Frauen im Gefängnis sitzen und ich habe große Ehrfurcht vor ihnen und ihrem Mut. Wenn ich mir denke, die sind ja alle gleich alt wie ich ...« Vero Fürst hält einen Moment inne und blickt in die Ferne, am hübschen Journalisten mit Glasauge vorbei und in die Tiefe des Raumes hinein – »Ich finde, dass das ein sehr wichtiges Thema ist und dass wir uns alle davon betroffen fühlen sollten. Überhaupt ist es hier in Westeuropa die Pflicht eines jeden Künstlers, sich für Pussy Riot zu engagieren.« Dort, wo Vero Fürsts Blick die dunklere Ecke des Kaffeehauses berührt, zucken schwere schwarze Wimpern. Nun treten die weißen Glieder der Dame langsam aus der Finsternis hervor. Die Dame ist mindestens zwei Meter groß und der Schatten, den sie wirft, nimmt eine ungeheuerliche Gestalt an. Vero Fürst kann die Alligatorentätowierung nicht sehen, die den Rücken der Dame spaltet, dafür bewundert sie die Bewegung, mit der die Dame ihre Brille hebt und nach hinten schiebt. Es ist für die junge Autorin unmöglich, den Blick von der Dame zu wenden.

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»Pflicht?« sagt die Dame mit einer unmöglich tiefen Stimme. Es ist nicht ganz klar, ob die Stimme ernst oder scherzend spricht. Die Dame steht direkt vor der jungen Autorin, hebt ungehindert ihre riesige Hand und steckt Vero Fürst eine hellbraune Haarsträhne hinters Ohr. Dabei berührt ihr Daumen die Wangenknochen der jungen Autorin. Sofort spürt Vero Fürst eine süßliche Wärme in sich aufsteigen. »Pflicht«, sagt die Dame langsam und blickt Vero Fürst tief in die Augen, »Pflicht, tja. Überleg’s dir halt. Wir könnten dich natürlich sofort gegen Nadezhda Tolokonnikova austauschen. Mhm, es wäre einfacher, als hier und jetzt in die Hände zu klatschen. Wie wär’s?« Die Dame spielt mit dem Marienbildchen an der feinen Goldkette, die praktisch seit Vero Fürsts Geburt um ihren Hals liegt. Die Dame hebt eine gezupfte Augenbraue. Für Vero Fürst gibt es nur eine Antwort: eine besonders strahlende nämlich, die angesichts der Journalisten umso schneller und unbedachter fällt. Denn was, zum Teufel, soll schon passieren?

Sophie Strohmeier

Bild: Jessyca R. Hauser

geboren 1987, aufgewachsen zwischen Österreich und USA, studiert derzeit Romanistik und Slawistik an der Universität Wien. 2007 bis 2009 arbeitete sie mit Peter Whitehead am Spielfilm »Terrorism Considered As One Of The Fine Arts« sowie weiteren Film- und Literaturprojekten. Ihr erster Roman »Küss mich, Libussa« (Edition a), ist seit Oktober 2013 im Handel erhältlich und eine poetisch explizite Liebesgeschichte, in der eine Studentin mit allen Tricks Manfred Gram arbeitet, um eine ihrer Professorinnen für sich zu gewinnen.

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Die Bilder der jungen österreichischen Autorin Vero Fürst, die mit Nadezhda Tolokonnikova getauscht hat, sind um die Welt gezogen. Zart wirkt dieses Gesichtchen hinter Gitterstangen, manche nennen es mutig und überzeugt, andere verdattert. Leider sind bisher aus Sibirien noch keine Briefe eingetroffen. Aber welch ein schwesterliches Zeichen, welch Courage und künstlerisches Engagement! »Jungfrau Maria ist nun also doch Feministin geworden« – diesen passenden Kommentar twittert ein obskures Staatsoberhaupt, von dem niemand, wirklich niemand, es erwartet hätte. Die Mitarbeiter der österreichischen Tageszeitung Der Standard sind die einzigen, die nicht ganz glücklich sind. Es fehlt nun jemand, der wöchentlich die letzten Seiten des Feuilletons mit erfrischend einfachen und entzückend ulkigen Ansichten füllt. Nadezhda Tolokonnikova schreibt ja nur auf Russisch, was kein Mensch versteht. Außerdem weigert sie sich, Weihnachtsgeschichten zu schreiben und als die Kopie einer jungen Autorin herzuhalten, die sich zu sehr wichtigen Themen äußert. Nun schreitet Nadezhda durch die Straßen Wiens mit einem Gefolge aus Studenten und Aktivisten, Kindern, Pudeln und Bärenmenschen, trinkt ihr Bier in der Wunderbar und plaudert mit allen, die gerne wollen, worüber sie gerade wollen. Sogar die grantigsten Katzen tragen jetzt diese selbstgemachten bunten Mützen, berühmtes Symbol des Pussy Riot. Ein hoffnungsvoller Wind weht aus dem Norden und die Menschen wollen Statuen erklimmen und Barrikaden bauen, auf das Beschissene scheißen und Lieder singen. Und das alles verdanken sie der bemerkenswert jungen Vero Fürst.

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AB HIER: REZENS ONEN

142 Pharrell GIRL (Universal)

It’s A Girl Nach 20 Jahren im Geschäft ist Pharrell Williams offenbar am absoluten Höhepunkt seiner Karriere angekommen. Ein feature-geschwängertes zweites Soloalbum kommt da gerade recht. Es ist fast schon absurd. Man möchte meinen, Pharrell hätte seine Glanzzeiten Anfang der Nuller Jahre hinter sich gebracht. Seinerzeit hat er gemeinsam mit Chad Hugo als Produzententeam The Neptunes einen modernen Klassiker nach dem nächsten rausgehauen. Neben Timbaland galten die beiden produzententechnisch als the shit. In einem von EDM überfluteten Popzeitalter hätte wohl niemand mehr damit gerechnet, dass ausgerechnet Pharrell jetzt im Alter von 40 Jahren noch einmal so richtig big wird. Und trotzdem fuhr er mit »Blurred Lines« und »Get Lucky« zwei der erfolgreichsten Songs des letzten Jahres ein. »Happy« entpuppte sich hingegen als Spätzünder. Mehr als sechs Monate nach seiner Veröffentlichung konnte man den Dopamin-getränkten Titel schließlich getrost als »Worldwide Smash« bezeichnen. Das 24-Stunden-Musikvideo dürfte einen großen Teil zum Hype beigetragen haben. Nicht umsonst tanzt man in Städten auf der ganzen Welt wie auf Droge zu »Happy«. »G I R L« heißt die Platte und verdeutlicht gleich im Opener, dass das hier alles andere als ein Rumsitz-Hörerlebnis wird. Ein fesches Streicherthema eröffnet den Track, bevor Mr. Williams seinen Einsatz hat. Auf »Brand New« gibt es mit Justin Timberlake auch schon das erste Feature: Nach allen Regeln der Kunst wird eine Falsetto-Battle ausgetragen, aus der beide als Sieger hervorgehen. Neben Daft Punk darf auch Miley ran und wird von Pharrell eingeladen, auf seinem Motorrad zu fahren. Jaja. Er ist halt eine Drecksau. Der letzte Track »It Girl« gibt sich noch mal entspannt und rundet die Scheibe perfekt ab. Und da ist sie auch endlich, die allseits beliebte Kuhglocke, von der Pharrell wohl nie genug bekommen wird. Man hatte schon Angst gekriegt, dass die auf »G I R L« gar nicht gefeatured wird. Nach dem Hören fühlt man sich ein bisschen wie der Raum ohne Dach, der in »Happy« so schön metaphorisch beschrieben wird. Melancholie wird man hier nur schwer finden, es geht um feelgood, es geht um Spaß und es geht um Lust. Pharrell könnte ruhig öfter Soloalben machen. Lebensfreude wird hier nämlich en masse versprüht. 08/10 Franz Lichtenegger

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EMA The Future’s Void (City Slang)

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Future Islands Singles (4AD)

Katzen fressen Vögel

Sympathisches Pathos

EMA hat etwas zu sagen, zur Netzkultur, zu Überwachung und zu digitalen Annehmlichkeiten. Sie fordert Widerstand, ohne dabei einen Moralischen zu bekommen.

Future Islands haben mit ihrem vierten Studioalbum den Schmerz erträglich gemacht. Bitter-süßer Synth-Pop zum Alleinsein und Alleinbleiben.

Anfang Februar wurde im Kopenhagener Zoo eine Giraffe an einen Löwen verfüttert. Die Hysterie darum hätte Erika M. Anderson gut gefallen. Menschen haben die seltsame Fähigkeit, Fakten völlig auszublenden, wenn sie nur richtig wollen. Was tausende Mal völlig normal war, bringt Menschen unter anderen Umständen dazu, auszurasten. Zum Beispiel im Internet. Zum Beispiel wenn sie glauben, dass kranke und alte Lebewesen vor Raubtieren geschützt werden müssen und sie etwas Besseres verdient haben als eine Schlachtung. Was das mit Bankenrettung und den Wölfen an der Wall Street zu tun hat? Vermutlich nichts. Vielleicht alles. In EMAs Video zu »Satellites« war jedenfalls eine Katze zu sehen, die einen Vogel verspeist. Sehr nüchtern. Anders sind die vielen Dislikes auf ein Video schwer zu erklären, das doch eigentlich nur in die Welt der Netz-Paranoia eintauchen will und dabei zeigt, was Katzen tun, wenn sie nicht fein verpackte Schlachtabfälle fressen oder süß im Internet sind. Dinge, die man außerdem nicht so schnell versteht: Die digitalen Bodybuilder und lächelnden, blonden Gogo-Girls im Video zu »So Blonde«. Der blödsinnige Pearl Jam-Groove im selben Song. Das Albumcover. Cthulu. Die Zartheit von »3Jane«. Die Zartheit von »When She Comes«. Die übertrieben coolen Gesten. Oder das Albumthema, wie nämlich das Netz unseren Alltag formt, was wir preisgeben, wie Algorithmen uns schon besser kennen als wir uns selbst und wie das mit dem Faux Grunge zusammenpasst. Aber das ist nicht schlimm. Kunst ist ein Rätsel, sie ist nicht einfach zu erklären, sie ist nicht mit sich selbst eins. Das ist, worin Erika M. Anderson immer herausragend war, sie nimmt das Chaos und der Angst des modernen Zeitalters und macht es nachvollziehbar. Sätze wie diese muss man sich einfach nur aus dem Presseinfo copypasten. Aber ja, »The Future’s Void« ist ein Album, das sich sträubt, das Dissonanzen aushält und die Leere der Zukunft nicht nur als ein Accessoire begreift, das uns sexy macht. Es klingt vielleicht nicht so gut wie es sollte, aber es verarscht uns nicht wie so viele andere Neo-Grunge-RockBands und Katzenvideos da draußen. 08/10 Stefan Niederwieser

Die Future Islands sind Dienstleister in mittelschweren Trennungsphasen, bei unerwiderten Schwärmereien und in überschaubaren Lebenskrisen jeder Sorte. Das Trio aus Baltimore hat es geschafft, aus dem »aber«, das üblicherweise auf »Es ist nicht so schlimm«, folgt, Musik zu machen. Sein Pathos ist nicht prätentiös à la Arcade Fire, nicht unnahbar wie das des Labelkollegen Sohn, nicht so verkopft wie das von Grizzly Bear, deren Produzenten sie sich für ihr viertes Studioalbum »Singles« geholt haben. Sein Pathos ist sympathisch. Während das experimentell-destruktive Debüt »Wave Like Home« noch dem Post-Punk verpflichtet war, regiert auf »Singles« gut verdaulicher Synth-Pop: »Oh, Oh, Baby Don’t Hurt No More«, heißt es da mantraartig. »Singles« besteht zu einem Gutteil aus up-beatigen, tanzbaren Nummern, über die Samuel T. Herring mittels einmalig rotziger Stimme zielsicher Lyrics schleudert, die anderswo platt klingen würden. Hier sind sie goldrichtig. Dass es noch immer wehtut, lässt uns der Sänger nicht zu schnell vergessen. Das vierte Studioalbum der Band ist die konsequente Fortsetzung ihres bisherigen Werdegangs, den man sich ein bisschen wie die Phasen der Trauer vorstellen kann: Auf dem Debüt herrschte noch die Wut vor, »Singles« umgibt bereits die Aura der Akzeptanz. Dabei ist die LP noch kompatibler und poppiger als der Vorgänger »On The Water« aus 2011, bietet weder große Überraschungen noch große Enttäuschungen. Der zweite Track, »Spirit« bildet den frühen Höhepunkt des Albums – er treibt die typisch fröhliche Traurigkeit auf die Spitze und lässt mit 140 BPM sogar die sorgenvollsten Köpfchen mitnicken. Auch wenn es sich bei »Singles« weder um das bisher beste noch das bestmögliche Album, das die Band zu diesem Zeitpunkt hätte machen können, handelt, dürfen wir es guten Gewissens ans Herz legen: nur dort gehört es nämlich hin. 07/10 Amira Ben Saoud

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Metronomy Love Letters (Because Music)

m u si k

East India Youth Total Strife Forever (Pias Cooperative)

Lagerfeldmusik

Neues Komponieren

Die englischen Style-Darlings legen schicken Elektropop nach. Der funktioniert diesmal nur bedingt auf Partys, dafür aber bestimmt auf jedem Designmarkt.

East India Youth macht etwas, das selten geworden ist: Neues. Wie hier Sounds und Melodien ineinander greifen, Laptop, Rauschen und Komposition, ist magisch.

Metronomy waren immer schon verdammt hip. Auch schon zu ihren Remix-Zeiten. Nach dem Release ihres Dancepop-Albums »Nights Out« wurden sie von Kaiser Karl Lagerfeld persönlich eingeladen, seine SS09Chanel-Show in Paris zu eröffnen. Auch »The English Riviera« schaffte einen unwahrscheinlichen Spagat: während der Kitsuné-Sound immer mehr übersteuerte, emanzipierte sich das britische Quartett um Mastermind Joseph Mount von den überhitzten Stylern aus Paris und fand in seiner melodiösen Drahtigkeit zu sich selbst. Auf Partys von superhippen Leuten lief man eh trotzdem noch. Zu Recht. War ja gut. Und sie sind auch immer noch gut. Der Sound bleibt reduziert, die Gitarren federn unter Mounts Stimme, die immer klingt, als hätte er ein ganz schweres Herz. In Kombination mit dem britischen Akzent ist das natürlich unwiderstehlich. Wie auch »I’m Aquarius«. Die erste Single ist zweifellos die beste Nummer auf dem Album, da haben Metronomy all ihre großartigen und charakteristischen Ideen untergemischt. Die unaufdringlich poppigen Beats, schwermütige Synths, der ganze Minimalismus. Und ein bisschen »shup-dup-dup-dah« – groovige 60ies-Funkambitionen, die später dann den Titelsong »Love Letters« dominieren. Richtig toll ist aber eigentlich »Boy Racers«. Es klingt exakt so, als wäre es die Erkennungsmelodie einer Polizeiserie aus den 70ern oder 80ern. Die beiden Helden sind wie Mel Gibson und Danny Glover in »Lethal Weapon« und haben Schnauzbärte wie einst Giorgio Moroder. Zwischendurch ertönt immer wieder dieses eine Geräusch, das Bibi Blocksberg nachhallt, wenn sie »Hex-Hex« ruft. Herrlich. Das war es aber auch schon fast mit den Highlights. Bei »Love Letters« gibt es nämlich folgendes Problem. Viele Songs sind vorbei, bevor man wirklich hinhören hat können. Oft driftet man ganz schnell ab und merkt es nicht einmal. Das ist schade, aber doch ein altbekanntes Minus bei Metronomy-Alben. Es gibt immer eine Handvoll ganz großer Songs und der Rest bewegt sich im guten Durchschnitt. High Fashion trifft Flohmarkt. Auch irgendwie wieder voll zeitgemäß. 06/10

Die Docklands Londons scheinen ein guter Ort zu sein, um Musik zu machen. Hier, in dem jüngsten, neuen Stadtteil Londons hat schon Kwes sein Album geschrieben. Und jetzt East India Youth, der den East India Docks außerdem seinen Namen verdankt. William Doyle kam aus dem kleinen Bournemouth hierher, wo er drei Jahre an »Total Strife Forever« gearbeitet hat, unter Druck, denn London ist teuer und aufreibend. William Doyle war von den Möglichkeiten einer Indierock-Band enttäuscht. Eine große Inspiration war deshalb Brian Eno. Heute besucht dieser die Konzerte von East India Youth. Das Erstaunlichste an diesem Album ist der breite Graben, den es überwindet. Die Dance-Elemente sind auf »Total Strife Forever« – schwer, bei diesem Namen nicht an das letzte Foals-Album zu denken – vergleichsweise zurückgenommen. Dafür ... nun, andere nennen das mangels eines besseres Wortes Ambient. Dabei geht East India Youth über das, was seit Jahren auf den hervorragenden »Pop Ambient«Samplern auf Kompakt verdichtet wird, sogar hinaus. Es sind eher Kompositionen aus Sounds, mal repetitiv, minimalistisch, mit Varianten, mit Strukturen von Songs und Tracks, die kunstvoll ineinander greifen. Dazwischen singt East India Youth, selten genug, aber dann umso eindringlicher, im Stil von Postal Service oder Grizzly Bear. Zwischen all diesen Stühlen bewegt sich das Album. Sicher nicht mühelos oder besonders eingängig. Aber es reicht, um den Mund einmal erstaunt offen stehen zu lassen. Und was bitte ist ein Track wie »Glitter Recession«? Hier rauscht der Laptop, das digitale Klangbild ist angereichert mit Emotionen und Sozialität. Hier herrscht kein Widerspruch zwischen den reinen, digitalen Klängen und den schmutzigen analogen Geräuschen. Als wären wir im Netz angekommen, mit unseren Fingern und Screens als Interfaces, mit Tools und Apps als innere Software. Als hätten wir seine Materialität und seine sonischen Qualitäten so langsam kennengelernt. East India Youth ist dabei einer der überzeugendsten. 08/10 Stefan Niederwieser

Nicole Schöndorfer

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Schoolboy Q Oxymoron (Top Dawg Entertainment / Universal)

musik

Die Heiterkeit Monterey (Staatsakt)

Man With No Fear

Der zerstörte Ponyhof

Schoolboy Qs Debüt musste ein Meisterwerk werden, da waren sich die einschlägigen Blogs vorher schon einig. So falsch lagen sie nicht.

Monterey. Stadt in Kalifornien und Sehnsuchtsort ambitionierter Popkultur heißt das Leitmotiv der Hamburger Band Die Heiterkeit.

Nenn es einfach mal Detox. Denn wenn es im HipHop einen Sankt Nimmerleinstag gibt, dann ist das die wohl nie Realität werdende Veröffentlichung von Dr. Dres Album »Detox«. Schoolboy Qs Debüt, nach einer Reihe Mixtapes, drohte ein ähnliches Schicksal. Nach Kendrick Lamars Riesenerfolg verpflichtete sich Q dazu, »Oxymoron« mindestens auch einen Klassiker werden zu lassen. Also wurde bereits Mitte 2012 mit der Produktion begonnen. Sample-Probleme, Perfektionsdrang und Verzögerungen jeglicher Art führten letztendlich zu einer unfassbar ewigen, zweijährigen Schaffenszeit. Aber von Anfang an. Eine Miniversion von Death Row Records, so umschrieb ein US-Magazin das Label namens Top Dawg Entertainment, kurz TDE. Das passt, wollte man dort doch Rapper-Charaktere schaffen und mit einer geballten Gruppendynamik TDE auf die Karte der Westküste setzen. Eine Crew wurde geplant – am Reißbrett. Jay-Rock, ein gleichaltriger Homie, den Q schon seit der Gang-Zeit kennt und die beiden um ein Jahr Jüngeren: der feierwütige Ab-Soul, und ein junger Lyrikstreber namens Kendrick Lamar komplettieren das Quartett namens Black Hippy. Wenn Kendrick Lamar den beflissenen, mit preußischer Disziplin und Kant’scher Vernunft ausgestatteten Jüngling darstellt – der stets klug genug war, sich aus Familien- und Gang-Streitereien rauszuhalten –, dann ist Schoolboy Q der nicht minder begabte, aber unvernünftigere und wohl mit mehr Führungspersönlichkeit gesegnete G, der gerne mal einen Hennessy zu viel hebt und in der Schulpause Ganja vertickt. »Oxymoron« ist nun das Album, das jetzt erscheinen musste. Das Clipse nie zustande gebracht haben, ein neues, perfekt orchestriertes »The Documentary« (das Debüt von The Game) sozusagen. Die einschlägigen Blogs und Magazine feiern das Werk ohnehin bedingungslos ab. Nur ist das Ganze im Zusammenhang zu betrachten. Ob »Oxymoron« in fünf Jahren auch noch ein dermaßen epochaler Einschlag – wie heute vermittelt – zugestanden wird? Man of the year? Bestimmt. Aber man of the decade? Wohl kaum. 08/10 Felix Diewald

Kalifornien ist ein markanter Dreh- und Angelpunkt des Albums, und geschichtsträchtig ist auch der Albumtitel. 1967 erschuf das Monterey Pop Festival einen Mythos. Bilder des Festivals – und mit ihnen bestimmte Vorstellungen von Pop – sind ins kollektive Gedächtnis übergegangen. In elf Songs nimmt Die Heiterkeit Position zur Welt ein. Leitmotiv: Der Glaube an die Dissidenz von Pop. Aus einer politischen Agenda ist längst Nostalgie geworden. Und bereits damals hatte die Hippie-Idylle ihre Kritiker. Etwa jene Künstler, die wenig später an der Ostküste der USA den popkulturellen Gegenentwurf vorlegten: Lou Reed, Andy Warhol, Factory, Avantgarde. »Factory« heißt auch das Auftaktstück des Albums. Die Heiterkeit spannen gleich einen mächtigen Referenz-Bogen auf: Wie bei den Fanfaren in den Signations großer Filmproduktionsfirmen setzt die Band Synthesizer ein, um sie salopp in Gitarrenmusik zu brechen. Die Heiterkeit macht Pop, aber keinen, der so ist wie früher. Auch keine naive Reminiszenz an vermeintlich bessere Tage. Pop auf der Höhe und mit dem Erfahrungshaushalt der Zeit. Bedacht, unaufgeregt, mitunter zögernd, aber stets erfrischend klar spielen die drei Musikerinnen ihre Musik. Mit Gitarren, die nach enttäuschtem Glück, aber immer noch nach begehrter Lebensfreude klingen. Einer Freude, die Die Heiterkeit bereits am Cover ihres ersten Albums charmant und pointiert ausdrücken: mit einem Smiley nämlich, dessen Mund entfremdet und gelangweilt gerade der Welt entgegenblickt. Es gibt keine Höhepunkte auf Monterey. Von jedem Punkt des Albums aus lässt sich eine Vermessung der Welt angehen. »Bleib, wenn du magst, so lange, wie du Zeit hast«, heißt es im letzten Stück »Pauken und Trompeten«. Im Nachhall von »Monterey« möchte man noch lange verweilen. 08/10 Peter Schernhuber

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Mauracher Let’s Communicate (Hooray!! Music)

musik

Real Estate Atlas (Domino)

Abmarsch in den Synth-Olymp

Wund- statt Sonnencreme

Der Turmbau zu Babel in Elektro-Manier: Hubert Mauracher und Sonia Sawoff betonieren sich mit viel Druck zu Icona Pop in die Synth-Galaxie.

Die Band, die mit neo-nostalgischen Beach-Hymnen als Mitbegründer des Chillwave fungierte, gräbt dem Genre ein feuchtes Grab.

Die Party ist zu Ende: Die Strandjungs von Real EsMit Synthpop lag man in den letzten Jahren selten tate tauschen die Sonnen- gegen Wundcreme. Die falsch. Und Mauracher hatte ja schon etliche EntBand, die mit Beach-Hymnen wie »Younger Than wicklungen hinter sich gebracht, ehe er vor zwei Yesterday« als Mitbegründer des Chillwave fungierJahren mit »Super Seven« überzeugend landete. Der te, gräbt dem Genre auf ihrem dritten Album »Atlas« Tiroler bespielte anfangs noch die Überreste der ein feuchtes Grab. »Atlas« fordert vor allem eins ein Wiener Downtempo- und Breaks-Landschaft, zog weiter zu UK Garage, um hinterher bei gefühligen Gitarren auf einem – Positionierung. Das ernsthafte Anliegen, sich als Gruppe innerhalb Major-Label zu landen. Fast schon glaubte man, jemand mit so einem einer bereits zu Genüge topografierten Indie-Landschaft neu zu verorunbeständigen Musikgeschmack wäre bei Werbejingles besser aufge- ten, ist offen und bewusst hörbar. Auch wenn sich der typische Real hoben. Aber Mauracher machte etwas »Unösterreichisches«. Er kehrte Estate-Sound in Aufbau und Struktur vordergründig kaum verändert der Band-Formation den Rücken zu und spielte mit dem Nebenprojekt hat, verfärben Stimmungen und Assoziationen die Tonalität: Der sonPing Ping frei. Der Song »Skin« klang wie schon immer dagewesen, nendurchtränkte, eskapistische Strandpop ist einer melancholischen der Refrain wie ein Darbo-Fruchtikus. Hubert Mauracher wurde ein Wassermusik gewichen. Martin Courtneys juvenile Stimme und das fähiger Disco-Dirigent, er musste sich nur auf die Suche nach einer hypnotische Gitarrenspiel von Matt Mondaline erinnern frappant an neuen Stimme machen und sie in Harmonie-Wolken auflösen. Er fand den zurückgelehnten Jangle-Pop der Byrds – inklusive deren Harmosie in Sonia Sawoff – ein Drittel des Grazer Schwestern-Trios Sawoff niegesang. Abseits der Selbstfindung ist das zweite große Thema von Shotgun – und ließ sie all diese bestens geschnitzten Popsongs singen. »Atlas« die Zeit – oder konkreter, der Moment, in dem diese abhanden »Outer Space Dancer«, die Nena-Hymne, »Coma«, den Post-Dubstep zu kommen droht. Der Weg ins Leben führt so durch den Umweg einer Jugend, die als Sollbruchstelle fürs Erwachsenendasein steht. oder »You«, den benommenen Piano-Leierkasten. Spätestens, wenn Real Estate in »Crime« die Existenzangst packt, »Let’s Communicate« kommt nun mit Sci-Fi-Cover daher und lagert noch ein Stück näher am Elektro-Horizont: Da wobbeln die Bässe und geben sie dabei auch den Soundtrack zum Prekariat der Endzwanziger schlängeln die Sounds mit mehr Druck nach vorne, da beschallen Be- und Anfangdreißiger: Die Träume, die geträumt, aber nie gelebt wurcken die großen Refrains. Da wird aber vor allem eines verschlissen: den, holen einen einfach noch schmerzlicher ein, wenn man trotz drei Raum für Sawoffs einst so eindrucksvoll eingesetzte Stimme. Stattdes- Teilzeitjobs nicht so recht weiß, ob man nächstes Monat überhaupt sen wird gesungen wie bei Bonaparte – im Dialog mit der 4 / 4- Snare noch die Miete bezahlen kann. »Atlas« ist in diesem Sinn eine Spiegeund sich brav an das Laut-Leise-Schema gehalten. Leiernd, steril, wie lung akuter Befindlichkeit, die trotz ihrer Subjektivität kollektiv wirkt. ein Marsch von Sowjet-Soldaten. Das Album pflastert Effekte und Ein- Die Teenage Angst ist existentiell geworden und sticht mit süßen Redrucke in die Höhe wie beim Turmbau zu Babel. So hoch, bis man zu verb-Filtern und Fischaugenlinsenakustik klar und deutlich ins Herz. übermütig ist, die Aussicht zu genießen. Heruntersegeln wäre schön Ob diese Formel die Platte in der musikgeschichtlichen Abhandlung gewesen. Lieber im Hinterhof knutschen, als sich in der Disco an- zum Generationenalbum macht, wird die Zeit zeigen. Fest steht, dass schreien. Mauracher kommuniziert lieber mit den Füßen. Die antwor- »Atlas« das bis dato reifste, mitreißendste und zitierwürdigste Real Estate-Album ist – und musikalisch zum besten gehört, was das junge ten halt selten. 06/10 Franziska Tschinderle Jahr bisher zu bieten hat. 08/10 Michael Kirchdorfer

01/10 grottig 02/10 schlecht 03/10 naja 04/10 ok, passt eh 05/10 guter Durchschnitt 06/10 sehr gut 07/10 super 08/10 ein Top-Album des Jahres, Genre-Klassiker 09/10 absolutes Meisterwerk

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NOrMal ist geFÄhrlich

Johnny Cash Out Among The Stars (Sony) ­— Okaye Restlverwertung liegengebliebenen 80er Materials des Man in Black. Mehr SchlagerCountry als Rubin Noir. 06/10 Rainer Krispel

musik

Dillon The Unknown (BPitch Control) ­— Sohn hat eine Tochter im Geiste – Dillon, ein Hauch von Klagelied, wenn auf karges Soundland trauriger Minimal-Pop fällt. 07/10 Juliane Fischer

Eleni Mandell Let’s Fly A Kite (Make My Day Records) ­— Zaubermusik einer wissenden Frau. Nichts für Menschen, für die Jugend etwas mit Lebensjahren zu tun hat. 08/10 Rainer Krispel

Jimi Goodwin Odludek (Heavenly) ­— Das erfolgsverwöhnte Doves Mastermind verschmelzt Freaky Brass mit Electro-Beats zu einem explosiven Hörerlebnis. 06/10 Gerald C. Stocker

Highasakite Silent Treatment (Propeller Recordings) ­— Die norwegischen Kammerpopper Highasakite vertonen das Schweigen als Strafe, bleiben dabei sympathisch und musikalisch flexibel.

New DesigN UNiversity gestaltUNg . techNik . BUsiNess

QUerDeNker gesUcht!

Gardens & Villa Dunes (Secretly Canadian) ­— Ein Platz in der langen Reihe solider Synth-Platten, die schnurstracks aus 80erFilmen gerippt sein könnten, ist Gardens & Villa sicher. Mehr aber auch nicht.

06/10 Domnik Oswald

06/10 Sandra Bernhofer

BachelOr ■ Grafik- & Informationsdesign ■ Innenarchitektur & 3D Gestaltung ■ Manual & Material Culture ■ Event Engineering ■ Business & Design ○

Master ■ Innenarchitektur & 3D Gestaltung ■ Raum- und Informationsdesign* ■ E-Mobility & Energy Management

Howler World Of Joy (Rough Trade Records) ­— Er schreit vielleicht ein bisschen zu viel. Das geht irgendwann böse auf die Stimmbänder. Sonst aber bekommen Howler das tadel­ los hin, nach Sheffield des Jahres 1986 zu klingen. 06/10

Joan As Police Woman The Classic (PIAS) ­— Lebenslust siegt über Melancholie. Funk über Punk und schlussendlich Soul über Blues. Ein Soul-Meilenstein im Pop. Und ein Karriere-Highlight. 08/10 Franziska Tschinderle

Kaiser Chiefs Education, Education, Education & War (Fiction) ­— Nach Dauerschleife in den Fashion TVs dieser Welt besinnt sich das britische Quintett erfreulicherweise auf ihre Post-Punk-Anfänge und unprätentiöse Töne. 06/10 Gerald C. Stocker

Stefan Niederwieser

■ Intellectual Property Rights & Innovations ■ Entrepreneurship & Innovation ○ ○ in Planung * in Akkreditierung

Jetzt stUDiereN! w w w.NDU. ac. at

Scarlet Chives This Is Protection (Siluh) ­— »Sind das Feministen?«, werden sich bald alle fragen. Und weiter: »Ist das noch Pop?« Scarlet Chives provozieren in Bild und Ton wie schon lange nicht mehr. Endlich wird wieder gerätselt. 06/10 Franziska Tschinderle

Die New Design University ist die Privatuniversität der Wirtschaftskammer NÖ und ihres WIFI

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The Vogue Running Fast – The Complete Records (Trost) ­— In ihren besten Momenten klangen The Vogue wie XTC, The Smiths und Suicide. 1981 beschlossen sie vor 10.000 Leuten in der Wiener Stadthalle, dass Ruhm nur in Österreich wurscht ist.

The War On Drugs Lost In The Dream (Secretly Canadian) ­— Kurt Vile hat die langhaarigen Murmler nicht wegen musikalischer Neuorientierung verlassen. Denn Hall bleibt Hall, Krautrock bleibt Krautrock, gut bleibt aber auch gut. 07/10 Stefan Schallert

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K C A L B N I K BAC Film | Cyber | Print | Media | PR1 | Young Marketers2 | Student 1) In Kooperation mit dem PRVA Public Relations Verband Austria 2) In Kooperation mit den Marketing Natives

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Stories We Tell (von Sarah Polley; mit Michael Polley, Susy Buchan, Mark Polley) — Es ist immer eine Gratwanderung, sich mit der eigenen Familiengeschichte auseinanderzusetzen, eine, die mal mehr, mal weniger gelingt. In jedem Fall aber ist diese Auseinandersetzung etwas, was sich nicht zurücknehmen lässt, was sowohl Zuseher als auch Filmemacher konfrontiert und mit einem Mehr an Wissen oder aber auch an Fragen zurücklässt. Sarah Polley wagt mit »Stories We Tell« weit über die übliche Intimität und Grenzen des Dokumentarischen hinaus diese Gratwanderung und spart sich selbst dabei nicht aus. Denn es geht um ihre Eltern, um die Tatsache, dass sie Kind einer außerehelichen Affäre ist, dass ihre Mutter zu früh verstorben ist und eine Familie fragend hinterließ. Ihr Umfeld erzählt diese Geschichte, jeder und jede für sich und von Anfang an. Dabei wird deutlich, dass die Fragmente der Erinnerung eine eigene Ordnung erfahren, neue und andere Aspekte beigefügt und ausgespart werden und somit jede Familiengeschichte eine perspektivische Erzählweise erfährt, die zeigt, dass die Vergangenheit im Auge des Betrachters liegt. Dabei geht es Polley nicht primär um die Enttarnung einer Verklärung, sondern eben um die jeweils eigene Version einer gemeinsamen Vergangenheit, die nochmals in ihre eigene Interpretation durch die Aneinanderreihung von scheinbar alten Super-8-Filmen ihren eigenen Weg sich zu erinnern dokumentiert und so zu einer Geschichte für alle wird. »Stories We Tell« ist ein Geschenk, vor allem an das Publikum, und es ist ein Beleg, dass die Welt der außerordentlichsten Geschichten immer das Leben selbst bleibt. 08/10 Miriam Frühstück

Need For Speed (von Scott Waugh; mit Aaron Paul, Imogen Poots, Dominic Cooper) — Vergessen wir die Geschichte. Schließlich geht‘s bei »Need For Speed« doch um schöne, schnelle Autos und einen unvergleichlichen Geschwindigkeitsrausch. Sämtliche Rennen machen so richtig Laune; vielleicht auch deshalb, da komplett auf CGI verzichtet wurde, um eine möglichst realistische Kulisse zu schaffen. Und diese Autos lassen Raserherzen höher schlagen: Bugatti Veyron, Lamborghini Sesto Elemento, Koenigsegg Agera und GTA Spano – nicht zu vergessen der brandneue Ford Mustang GT. Wie auch immer: Hauptsache, es gibt einen Grund, ins Auto zu steigen und so richtig Gas zu geben. Noch besser wäre es gewesen, den Film als eine einzige lange Verfolgungsjagd zu drehen. Denn die Szenen, die sich hinter dem Lenkrad abspielen, sind eindeutig die besten, die »Need For Speed« zu bieten hat. 06/10 Stefan Kluger Spuren (von John Curran; mit Mia Wasikowska, Adam Driver, Rainer Bock) — Auf dem gleichnamigen TrueStory-Bestseller basierend erzählt »Spuren« vom Selbstfindungstrip einer jungen Frau, die in neun Monaten die Wüste Australiens bis zum Indischen Ozean durchquerte. Robyn Davidson wollte mit jener Reise ihre physischen und psychischen Grenzen ausloten. Regisseur John Curran liefert dazu nun schöne Bilder von noch schöneren Schauplätzen. Doch einen wirklichen Einblick in die körperlichen Entbehrungen, in die Verlorenheit und die dunkle Melancholie der Einsamkeit bekommt man dabei kaum. »Spuren« vermag einen zwar mit seiner schönen und faszinierenden Atmosphäre einzufangen, lässt einen letztlich aber mit einem unbefriedigten Gefühl wieder los. 06/10 Leonie Krachler

Film

Her (von Spike Jonze; mit Joaquin Phoenix, Scarlett Johansson, Amy Adams)

From Her To Eternity Human after all. Wie es bekanntlich im falschen Leben kein richtiges geben soll, so gibt es auch im virtuellen kein reales: Spike Jonzes meisterliche Tragikomödie rüttelt am Kern von Liebe und Beziehungen. Fünf Oscar-Nominierungen und ein Golden Globe können nicht irren: Spike Jonzes neuer Film toppt sein bisheriges, an Höhepunkten nicht eben armes Œuvre. Diesmal lädt der 44-Jährige seine brillante, an Musikvideos geschulte Kameraästhetik, Verschrobenheiten und Popkulturzitate mit einem kleinen philosophischen Kommentar zu Liebe und Beziehungen, genauer: deren Fragilität und Absenz auf. Jonze nutzt dafür das bewährte Vehikel des Sci-Fi-Movie und entwirft eine stylishe visuelle Kulisse aus ultra- und retromodernem Design, in der die schöne neue Welt Realität scheint. Darin bewegen sich die Menschen mit zenbuddhistischer Ausgeglichenund schlafwandlerischer Sicherheit. Einer von ihnen: Theodore Twombly (Joaquin Phoenix), der berufsmäßig poetische Liebesbriefe schreibt, seine Freizeit aber völlig einsam mit Video-Gaming verbringt, seit seine Ehe gescheitert ist. Die entstandene Leere füllt sich erst, als er ein neues Betriebssystem installiert, das sich einfühlsam selbst auf den User programmiert. Samantha (Scarlett Johanssons Stimme) entpuppt sich als dermaßen empathische, humorvolle und hilfsbereite A.I., dass sich zwischen beiden eine Liaison entwickelt. »Her« reißt mit unaufgeregter Sanftmut einen Themenkomplex an, der sich gerade in verschiedenen Variationen im Kino wiederfindet. Theodore steht einmal mehr für einen aktuellen Männertyp als Protagonisten: Sehr sensibel und ebenso einsam scheitert und resigniert er grandios am Paarmodell, das sich an der neoliberalen Gewinnmaximierung orientiert. Statt sich wie Walter Mitty in Tagträume zu flüchten, sucht er Zuflucht in einer user-optimierten Virtual Reality und körperlosem E-Sex. Wo kein realer Anderer und kein Körper, da kein Schmerz, möchte man meinen, noch dazu, wenn man angepasst individualistisch um sich selber kreist. Jonze knackt diese Illusion ziemlich gründlich und bisweilen unangenehm. Der scheinbar aufgeklärte, technisch progressive Rückzug auf sich selbst wird zum Boomerang. Mit verschmitzter und kluger Leichtigkeit stellt »Her« die Fetische Kommunikation und Connection vom Kopf auf die Füße und macht deutlich, wie viel (oder auch wenig) es braucht, um Verbundenheit, Geborgenheit und Beziehungen herzustellen. Dass es vielleicht nicht der Netzwerkgedanke ist, bei dem sich jeder global connected glaubt, ist, sondern doch auch ein anderes Betriebssystem braucht, schlägt Jonze schon mal vor. 09/10 Sophie Kettner

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Auge um Auge (von Scott Cooper; mit Christian Bale, Casey Affleck, Woody Harrelson)

Cause & Effect Wenn man nichts mehr hat, wofür es sich zu kämpfen lohnt, braucht man jemanden, gegen den man kämpfen kann: Stahlarbeiter Russell (Christian Bale) legt sich mit einem mordenden Drogenboss (Woody Harrelson) an. Themen finden sich in »Out Of The Furnace« (der zwingendere Originaltitel) en masse. Die Basis bilden kriegsbedingte Traumata, fehlende Sozialleistungen, das Gefälle zwischen zivilisiertem Zentrum und barbarischer Peripherie, Unzulänglichkeiten in Legislative und Exekutive, Arbeitslosigkeit, Outsourcing etc. Würde man die US-amerikanische Gesellschaft in den Computertomographen schieben, käme unter anderem ein solches Bild heraus. Kein allumfassender Querschnitt, sondern die Momentaufnahme eines Teilbereichs. Auf diesem Fundament bauen weitere, universellere Themen auf. Zunächst sind das Beziehung, Liebe und das (erfolglose) Streben nach Glück. Eine Ebene darüber handelt der Film von Vergeltung, Schuld und Sühne. Den Platz an der Spitze nimmt jedoch unangefochten die Familie ein. Fehlt nur noch das verbindende Element, das Leitmotiv – in »Auge um Auge« dreht sich alles um Ursache und Wirkung. Rodney (Casey Affleck) ist für sein Land in den Krieg gezogen und leidet nun unter psychischen Problemen. Weil er psychische Probleme hat, findet er keinen Job. Weil er keinen Job findet, häuft er Schulden bei einem Gangster (Willem Dafoe) an. Rodneys Bruder Russell (Christian Bale) will helfen, also wendet er sich an den Gangster. Weil er in der Position des Bittstellers ist, kann er ein dargebotenes Glas Whiskey nicht ablehnen. Weil er getrunken hat, baut er einen Unfall. Weil eine Mutter und ihr Kind dabei sterben, wandert er in den Knast. Weil er in den Knast wandert, verliert er die Liebe seines Lebens (Zoe Saldana) an einen anderen (Forest Whitaker). »Out Of The Furnace« setzt nicht auf Überraschungseffekte. Die Tragödie ist vorprogrammiert, wird von der ersten Minute an frontal angesteuert. Doch obwohl Regisseur Scott Cooper (»Crazy Heart«, 2009) das Konzept von Ursache und Wirkung so gnadenlos ausschlachtet, dass der Film zeitweise wie die Blaupause eines Kinodramas wirkt, kann man sich nicht von der Talfahrt der Protagonisten abwenden. Hinzu kommt einer der großartigsten, widerwärtigsten Bösewichte (Woody Harrelson) der letzten Jahre. »Auge um Auge« ist trist, bedrückend und zieht die Zuseher unwiderruflich in seinen Bann. 07/10 Leo Dworschak

KISSING MR. CHRISTO Uraufführung

ab Mi 19. März 2014, 20:00

Von Dominic Oley Frei nach Alexandre Dumas‘ „Der Graf von Monte Christo“

Rache? Was ist Rache? Wer rächt sich für was, an wem, und warum nicht, oder doch, für nichts, oder alle, an wem doch, oder doch nicht, aber bald? Und die wahrscheinlich wichtigste Frage: Wer bezahlt dafür?

Weiters aktuell im TAG

TAGebuch SLAM

So 23. März, So 27. April 2014, 19:00

DER DISKRETE CHARME DER SMARTEN MENSCHEN

Uraufführung von Ed. Hauswirth Do 28. & Fr 29. März 2014, 20:00 Di 1. & Mi 2. April 2014, 20:00

SPORT VOR ORT

So 30. März, So 13. April 2014, 19:00

ZWAA AUF ANA INSL

Von Christian Suchy Fr 4. & Sa 5. April 2014, 20:00

Meet the Masters: LEE WHITE So 6. April 2014, 19:00

Tickethotline: 01/586 52 22 oder karten@dasTAG.at Onlineticket: www.dasTAG.at Theater an der Gumpendorfer Straße 142_056-073_Rezensionen.indd 65

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Metallica – Through The Never (Ascot Ellite) von Nimrod Antal; mit Dane DeHaan, Metallica

Introducing Krysten Ritter krysten ritter vertritt in mancherlei hinsicht das unterrepräsentierte genre der weiblichen buddy-komödie, hängt aber noch im limbo zwischen nebenrolle und schlechtem humor fest. — Der tragische Erstickungstod ihrer Figur Jane Margolis aus »Breaking Bad« ist vielen sicherlich noch im Gedächtnis. Ansonsten wird Krysten Ritters Arbeit jedoch vornehmlich von wenig ernstzunehmenden Projekten in Film und Fernsehen dominiert – was nahelegt, dass Frauen mit einem eher markanten, wenig »formbaren« Äußeren bisher weniger Platz eingeräumt wird. Neben kleineren Rollen in Serien wie »Veronica Mars« und »Gilmore Girls« hatte Ritter auch Hauptrollen in Serien, deren Außenseiter-Status nicht ungerechtfertigt war: »Don't Trust The B – In Apartment 23« und »Gravity« lassen sowohl Niveau als auch Humor vergeblich suchen und wollen sich mit dem Deckmantel der »Quirkiness« tarnen. »Quirky«, so beschreibt sich die Schauspielerin auch selbst – eine Eigenschaft, die Frauen im Filmbusiness bislang tendenziell wenig Verdienst einbrachte. 2011 war Ritter am Filmprojekt »Life Happens« als Autorin und Produzentin beteiligt. Was der Streifen mit der Serie »Don't Trust the B« gemeinsam hat, ist neben teils problematischen Inhalten und mäßigem Humor der weibliche Zusammenhalt. Beide Formate zeigen reale, greifbare Figuren – so unliebsam diese auch sein mögen. Gerade wegen ihrer fehlerhaften Charaktere stechen sie hervor. Kim in »Life Happens« ist keine Figur, die nicht bereits in Filmen wie »Drei Männer und ein Baby« von Männern dargestellt worden wäre und kann somit auch nicht der Einfachheit halber als schlechte Mutter abgestempelt werden. Der Film zeigt einfach, dass auch Frauen in der Mutterrolle eine Lernkurve durchleben. Dabei gibt es ohnehin immer noch viel zu wenige Buddy-Komödien mit Frauen. Warum also sollten an Frauen in ihrem Schaffen stets höhere qualitative und moralische Ansprüche gestellt werden? Heuer wird Krysten Ritter noch im heiß ersehnten »Veronica Mars«-Film sowie in »Big Eyes«, der neuen Arbeit von Tim Burton, zu sehen sein. TEXT Artemis Linhart BILD ABC

Policeman (GMFilms) von Nadav Lapid; mit Yiftach Klein, Yaara Pelzig, Michael Moshonov

South Park: Die komplette 16. Staffel (Paramount) von Trey Parker, Matt Stone

DVD

Wenn schon Konzert-Film, dann richtig. Also erstens in 3D und außerdem mit Story. So ungefähr haben sich das Metallica und ihr Umfeld wohl gedacht. Und ja – es geht sich aus. Zwar wird die Selbstbeschreibung, dass es sich bei »Through The Never«, um einen Spielfilm handelt, nicht ganz eingelöst, für einen Konzertfilm werden aber tatsächlich relativ neue Wege beschritten. Metallica ein richtig aufwendiges Konzert mit einer Bühnenshow, die man so tatsächlich noch nicht oft gesehen hat und es gelingt ihnen kurz vor Schluss dann sogar, dieses Bombast-Klischee zu durchbrechen, die Bühne scheinbar zu zerstören und das gute alte, ach so authentische Proberaum-Feeling zu zelebrieren. Parallel dazu wird ein junger Fan als Runner durch die Stadt geschickt und gerät in urbane Riots zwischen an Fantasy-Schlachten angelehnten Figuren – etwa ein mystischer Reiter – und der Polizei. Hier zählt nicht Interpretation, sondern der Druck der Bilder und der Musik. Und da kann man Metallica wenig vormachen – auch wenn noch mehr Story und Riot und noch weniger Metallica besser gewesen wäre. 06/10 Martin Mühl »Policeman« erzählt eine in den letzten Jahren immer wieder gesehene Geschichte auf zwar konventionelle, aber nicht minder beeindruckende Weise: Yaron ist Polizist in einer israelischen Spezialeinheit. Daheim kümmert er sich um seine schwangere Frau, mit den Kollegen feiert er traditionelle Macho-Rituale. Shira ist eine Tochter aus wohlhabendem Haus und plant mit jugendlichen Freunden die Entführung reicher Industrieller bei einer Hochzeit. Wenig überraschend werden die Geschichten – in einem blutigen und für alle Beteiligten traurigen Showdown – zusammengeführt. Drehbuchautor und Regisseur Nadav Lapid setzt dabei nicht auf ungewöhnliche Einfälle, sondern verlässt sich auf die Milieus und ihre innere Dynamiken. Etwa wenn die Männerfreundschaft unter den Polizisten dazu führt, dass sich ein krebskranker Kollege bei einem rechtlichen Problem für die Mannschaft opfert. Nicht neu, aber eindrucksvoll. 07/10 Martin Mühl Wenn es um »South Park« geht, ist wie immer der Name Programm. Es mag sein, dass der künstlerische Zenit der ewigen Drittklässler aus Colorado bereits überschritten wurde – witzig ist das Ganze aber immer noch. Die ursprünglich 2012 im Fernsehen ausgestrahlte und nun auf DVD recycelte 16. Staffel bietet die gewohnte komödiantische Kost der Chefköche Matt Stone und Trey Parker. Neben Sportdoping und Obamas Wiederwahl sind Killertoiletten, Honey Boo Boo, Internet-Memes, ein mystisches Ostermonster namens Jewpacabra und Sarcastaball die Highlights der 14 Folgen. Die Staffel braucht sich in Sachen Humordichte nicht vor früheren Seasons zu verstecken. Auch wenn nicht jeder Witz zündet und der zur Erstausstrahlung aktuelle PopkulturBezug der jeweiligen Episoden in der Nachbetrachtung etwas verlorengeht, hat »South Park« nichts von seinem Biss verloren. 07/10 Michael Kirchdorfer

Starlet (Rapid Eye Movies) von Sean Baker; mit Dree Hemingway, Stella Maeve, Besedk a Johnson auf DVD

Die junge Pornodarstellerin Jane kauft auf einem Flohmarkt eine Thermoskanne, in der sie später einen Haufen Geld entdeckt. Da die Rückgabe nicht auf Anhieb klappt, versucht Jane ihr schlechtes Gewissen durch Gefälligkeiten für die Pensionistin Melissa zu beruhigen. »Starlet« ist keineswegs die erste Geschichte eines ungleichen Paars, das über Umwege zueinander findet und aus deren Gegensätzlichkeiten sich Freundschaft entwickelt. Obgleich das Setting »Pornostar trifft Rentnerin« ordentlich Zündstoff bereithält, liegt die Stärke des Films nicht im Konflikt seiner Charaktere. »Starlet« verbindet die Welt zweier Fremder sachte und unaufgeregt. Alles hier ist Alltag und so übt Regisseur Sean Baker angenehmerweise keine Kritik an den Lebensumständen seiner Charaktere. Formal lebt der Film von zarten Pastelltönen und einer gewissen Unbeschwertheit. Selbst wenn der Vorwurf der Blauäugigkeit hier immer auch mitschwingt, »Starlet« ist zu gerissen, um dafür angreifbar zu sein. 08/10 Reiner Kapeller Auf www.thegap.at außerdem Reviews von »The Call – Leg nicht auf!« (Universum), »Feuchtgebiete« (Filmladen), »Frozen Ground« (Universum), »Janus« (Hoanzl), »Lovelace« (Studiocanal), »NWR – Nicolas Winding Refn« (Tiberius Film), »Pain & Gain« (Paramount), »Passion« (Ascot Elite), »Planes« (Disney), …

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Buch Alexander Schimmelbusch Die Murau Identität (Metrolit)

Jörn Birkholz Schachbretttage 01 (Folio) — Zuallererst muss gegen den Klappentext dieses Buches Einspruch erhoben werden. »Schachbretttage« ist nämlich kein Roman über das Lebensgefühl der Thirtysomethings. Es ist ein Buch über die Idee, dass jeder einen Roman schreiben kann, wenn er nur lange genug arbeitslos ist. Man muss es Birkholz zugute halten, dass er immerhin diese Theorie widerlegt hat. Birkholz’ Protagonist, der gefinkelterweise Buchholz heißt, ist ein Versager. Er hat ein Buch geschrieben, für das sich – wie auch für dieses hier – kein Schwein interessiert und schiebt die Schuld an seiner miserablen Lage nun auf den Literaturbetrieb, der das angebliche Genie des Autors nicht zu erkennen vermag. Gemeinsam mit einer zweiten gestrandeten Existenz geht er auf Lesereise durch Deutschland, verkauft zu wenige Bücher, verdient zu wenig Geld, spielt den herablassenden Intellektuellen, der – wie kann es anders sein – nur von Idioten umgeben ist. Die Sprache ist gezwungen originell und auch das komplette Plot-Vakuum wirkt dem Gefühl nicht entgegen, dass einem hier dreist die Zeit gestohlen wird. Mann, Birkholz! In dunklen Momenten wünschen sich viele, sie wären Sven Regener, aber deshalb muss man doch nicht jeden faden Schmarren, der einem passiert, zu Papier bringen. Außerdem lügen Lieblingstanten oft, wenn sie sagen: »Das musst du unbedingt aufschreiben.« Es ist übrigens möglich, dass der Literaturbetrieb auch für eine Fortsetzung dieser Tragödie nicht viel Verständnis haben wird. Also bitte nicht deshalb den AMS-Kurs absagen. 01/10 Teresa Reiter George V. Higgins Die Freunde von Eddie Coyle 02 (Kunstmann) — Für Krimis der alten Schule braucht es nicht viel. Pistolen zum Beispiel, Knarren, wie sie so schön heißen, dann und wann auch Sturmgewehre, Waffenschieber, einen Haufen Banknoten und Menschen, die nicht zwingend einer geregelten Arbeit nachgehen wollen. George V. Higgins war einer der großen amerikanischen Autoren, denen eines klar war: Sämtliches soziologisches und psychologisches Gerede braucht der echte Krimi nicht, solange er einen straffen Inhalt hat. Und dieser lebt vor allem von erstklassigen Dialogen sowie listigen Handlungsverläufen. Higgins wusste genau, wie der Hase läuft, war er doch hauptberuflich Anwalt und vertrat in der Watergate-Affäre den Black-Panther-Aktivisten Eldridge Cleaver. Seinen wiederentdeckten Roman »Die Freunde von Eddie Coyle« siedelte er jedoch in der Unterwelt Bostons an. Eddie Coyle verschiebt Waffen. Ihm selbst droht der Knast, also muss er Detective Dave Foley einen seiner Kunden ans Messer liefern. Bloß wen? Sind doch alles keine netten Jungs, und auf einen Racheakt muss er sich gefasst machen. Großartig, wie der Autor hier jeden um sein Leben laufen lässt, wie sich die Kapitel vernetzen und Storys, die alleingestellt schon einen Roman hergeben würden, sich zu einem großen Ganzen fügen. So nah an der Sprache und an den Personen

Auf der Insel der Seligen Thomas Bernhard lebt. Sein Tod war nur fingiert. Auf Mallorca hat er es sich gemütlich gemacht. In Alexander Schimmbelbuschs Roman »Die Murau Identität« begibt sich ein Schnöseljournalist auf Spurensuche. Ein Roman, der rechtzeitig zum 25. Todestag Bernhards kommt. Claus Peymann soll einmal gesagt haben: »Ich träume ständig von Bernhard. Und zwar träume ich, dass er lebt – und nur getarnt gestorben ist. Um der ganzen Welt, dem ganzen Rummel zu entkommen.« Wer könnte es dem Misanthropen Bernhard verdenken? Jetzt, im medialen Wirbel rund um den 25. Todestag des alten Meisters, wagt sich Autor Alexander Schimmelbusch an ein Gedankenexperiment. Was, wenn Bernhard tatsächlich noch lebt? In seinem Roman »Die Murau Identität« macht sich der Erzähler, ein schnöseliger Kulturjournalist, der sich durch naiv verblendete Dekadenz auszeichnet, nun auf, Thomas Bernhard aufzuspüren. Der hat seinen Tod nämlich nur vorgetäuscht und verbringt ein zweites Leben als Franz Josef Murau auf Mallorca. Das geht aus Verlegerbriefen von Siegfried Unseld hervor, die man dem Journalisten zugespielt hat. Schimmelbusch vermeidet in seinem Roman geschickt, in den Bernhard-Duktus zu fallen. Sicher, Anklänge gibt es schon, doch es bleibt bei subtilen Tönen. Den kleinsten gemeinsamen Nenner finden Thomas Bernhard und der erzählende Journalist dabei übrigens in ihrem ausgeprägten Sinn für das Schöne. Dekadenz lässt ihn sich in luxuriösem Leben und großspurigen Übertreibungen ausufernd verlieren. Geld und Alkohol fließen in rauen Mengen. Das Zynische wuchert wie in Deix-Karikaturen. Dabei verfällt er stark ins Monologische. Dann kommt, was mehr als überflüssig ist: Die persönliche Verarbeitung eines Trennungstraumas mit zahlreichen Randbemerkungen zur Exfrau. Diese wirken wie unausgegorene Lückenfüller. Dies gilt auch für den absurd verstörenden Schlussteil. Bis dorthin bleibt Thomas Bernhard nämlich das ganze Buch über die Leerstelle, die unkonkreteste Figur. Der ist übrigens auf einer spanischen Hacienda mittlerweile das geworden, was er ewig verachtet hat: kleinbürgerlich. 07/10 Juliane Fischer

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zu bleiben, ist wahrlich eine Meisterleistung. Das Timing stimmt perfekt, auch kommt man in den 70er Jahren noch ohne große Technik aus: Zum Telefonieren geht man in die Telefonzelle. Und dort lässt man geile Sätze ab, wie zum Beispiel: »Das Leben ist hart, aber wenn man blöd ist, ist es noch härter.« 09/10 Martin G. Wanko Robert Preis Graz im Dunkeln 03 (Emons) — »Graz im Dunkeln« heißt der zweite Kriminalroman des Grazer Autors Robert Preis. Abermals schickt Preis seinen Chefermittler Armin Trost auf eine irrwitzige Achterbahnfahrt zwischen Leben und Tod: In einem gigantischen Einkaufszentrum bei Graz wird Trost Zeuge eines Amoklaufs, den er zu stoppen versucht. Er schafft es auch, und ein letztes Gespräch mit dem Attentäter bringt ihn in ein Wellnesshotel im oststeirischen Ort Pöllau, wo unheimliche Dinge vor sich gehen. Menschen verschwinden spurlos, ein mystisches Labyrinth aus unzähligen Höhlengängen spielt eine gewichtige Rolle. Hinzu kommen äußerst schräge Gestalten, die den Polizisten auf Trab bringen. Fazit: Robert Preis hat die Welt in der Oststeiermark sehr gut im Griff. Er nimmt den Wellness-Tourismus ebenso aufs Korn wie den Esoterik-Wahn. Warum der Roman jedoch die steirische Landeshauptstadt im Titel trägt, bleibt fraglich, Marketingspezialisten sollte man gelegentlich in die Eier treten. 08/10 Martin G. Wanko Qiu Xiaolong 99 Särge 04 (Zsolnay) — Qiu Xiaolong ist wohl einer der eifrigsten chinesischen Autoren, die nicht mehr im Reich der Mitte leben. Xiaolong lebt mittlerweile in den USA und schreibt, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Mit »99 Särge« legt er nun den siebten Roman vor, in dem Oberinspektor Chen ermittelt. Zhou Keng, der korrupte Direktor der Shanghaier Wohnbaubehörde, wird erhängt in einem Hotel aufgefunden. Vieles deutet auf Selbstmord hin und Chen wird eigentlich nur zum Fall hinzugezogen, um ihn auch formal abschließen zu können. Bei genauerer Betrachtung bemerkt der Oberinspektor jedoch ziemlich bald, dass es hier von Ungereimtheiten nur so wimmelt. Dem Staatsapparat wäre viel daran gelegen, den Fall möglichst schnell zu den Akten legen zu können, doch hat hier niemand mit äußerst aktiven Netzbürgern in Shanghai gerechnet, die sich trotz Aktivitätsverbot der Gerechtigkeit verpflichtet fühlen. Sehr gekonnt und auch mit viel Herz beschreibt der Autor das heutige Leben in Shanghai, zitiert die große chinesische Geschichte und vermittelt nebenbei eine Einführung in die moderne chinesische Kochkunst. Man liest den Roman gerne fertig, weil er das neue China zeigt, in dem die Menschen unter dem Mao-Kapitalismus mehr als nur leiden. Dass sich der Autor für ein offenes Ende entschieden hat, gibt dem Roman eine sehr realistische Note. Im Smog der chinesischen Metropole geht eben noch vieles unter. 08/10 Martin G. Wanko

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SUBOTRON/WKW pro games Veranstaltungsreihe zur Praxis von digitalen Spielen im MuseumsQuartier/ quartier21 / Raum D, 1070 Wien subotron.com/veranstaltungen/pro-games/

Do. 06.03.14, 19h Rovio Stars and free-to-play publishing Jussi Immonen, Head of portfolio and business at „Angry Birds´“ Rovio stars, Helsinki

Fr. 07.03.14, 9–12h Workshop mit Jussi Immonen

Ort: EPU-Forum der Wirtschaftskammer Wien, Operngasse 17-21/6. Stock, 1040 Wien Anmeldeformular: subotron@wkw.at Anmeldeschluss: 24.02.14

Do. 20.03.14, 18h Roundtable Ausbildungsmöglichkeiten für die Gamesindustrie 2014

mit Vertertern von Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Donau-Universität Krems, FH Hagenberg, FH Salzburg, FH St.Pölten, FH Technikum Wien, HTL Spengergasse, SAE Institute Wien, TU Wien, Universität für Angewandte Kunst Wien, Universität Wien

Do. 03.04.14, 19h Bildungs-Tour in Wiener Game-Developer-Studios Sproing Interactive Media GmbH, Rabcat Treffpunkt 19h: Fernkorngasse 10, 1100 Wien Anmeldung unter anmeldung@subotron.com

Do. 17.04.14, 19h Austria Game Jams 2014 replay

Präsentation & Anspielen der diesjährigen Games aus Wien, Linz und Graz Extra: GDC roundtable Unterstützt von www.creativespace.at – Die Kreativplattform der Wirtschaftskammer Wien

Medienpartner:

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Franz Suess Zu Fallen und weiter (Glaskrähe)

Charles Forsman Celebrated Summer 01 (Fantagraphics) — Es sind die besonders einsamen, depressiven Momente von Peanuts. Den Kopf auf die Arme gelegt, bei der Mauer. Alleine beim Fenster sitzend. Es ist diese heimliche Melancholie und Sehnsucht an dem Tag, an dem Ferris blau machte. Und es ist ganz schlicht. Zwei Freunde beschließen an einem Sommerwochenende, LSD zu nehmen und eine Ausfahrt zu machen. Road Comic Book. Coming of Age Road Graphic Novel. Das war’s schon. Worin sich Charles Forsman bereits bei »The End Of The Fucking World (TEOTFW)« ausgezeichnet hat, macht auch »Celebrated Summer« zu einem fabelhaften Kunstwerk. Er versteht es wie kaum ein anderer kontemporärer Comic-Künstler, die Befindlichkeiten, Ängste, Zweifel und Unsicherheiten der Menschen, ganz besonders seiner Teenager- Protagonisten, durch seinen zurückhaltenden CharlesSchulz-cum-Naive-Kunst-Stil in dinghafter Weise ausbrechen zu lassen. Da kann man Mikes tiefe Unzulänglichkeitspanik spüren und verstehen, warum er sie mit komischer Coolness überspielt. Und man sieht, wie einsam Wolf ist, wie schwer es ihm fällt, zu interagieren und wie unverstanden er sich fühlt. In all dieser Tragik vergisst Forsman doch nicht auf die Komödie. Alberne Kleinode drogenvernebelter Komik versüßen das nüchterne Bild. Charles Forsman ist bereits jetzt ein Gigant der Comic-Book-Kunst. Neben »TEOTFW« muss »Celebrated Summer« in jedem Regal stehen. 10/10 Nuri Nurbachsch

Aufrappeln Mit poetischem Strich und feiner Feder bringt der Wiener Zeichner Franz Suess Erlebnisse im Melancholie-Strudel zu Papier. Der Wiener Zeichner Franz Suess hat sich 2011 mit »1160, Ottakring« zum ersten Mal mit einer Graphic Novel vorgestellt – einem episodischen und humoristisch-poetischen Werk über Alltagsbewältigung in Wien. Franz Suess’ Werke kann man schwer anders als autobiografisch lesen – und sei es eine erdachte Autobiografie. Sie zeichnen sich durch eine intensive Selbstthematisierung aus, deren selbstmitleidige Ausprägung man eigentlich nur einem Wiener verzeihen kann und vielleicht auch nur einem, der Sinn für Poesie, Humor und Selbstironie mitbringt. Davon gibt es in Franz Suess’ neuem Werk »Zu Fallen und weiter« jedoch genug. Die Hauptperson ohne Namen, wir nennen sie der Einfachheit halber Franz, ist wieder Single und fällt in ein schwarzes Loch: »Lieber doch ins Bett liegen gehen … Heimlich leiden am ebenfalls unterbetreuten Küchenboden ist eher suboptimal«. Franz rappelt sich noch einmal auf. In den folgenden Tagen bindet er sein Wieder-Single-Sein so gut wie jedem seiner Freunde auf die Nase, die von den Krisen seiner ON / OFF Beziehung etwas gelangweilt scheinen. Manchmal scheint es unendlich einfach, Zuneigung zu finden und dann wieder unendlich schwer. Dann passiert, was Zufall sein kann, oder doch Manifestation eines psychischen Zustands: Franz hat einen Unfall. Es ist ein lächerlicher Unfall mit einem Fußgänger, der jedoch eine komplizierte Gelenksentzündung zur Folge hat. Franz kommt ins Krankenhaus und damit ins richtige Umfeld, um die alltäglichen Selbstzweifel und Ängste noch eine Etage tiefer zu tragen und beim Existenziellen anzukommen. Er träumt von der Schwärze, die ihn verschlingt, allein und vergessen im kargen Spitalszimmer. Franz’ »dunkler Zwillingsbruder«, wie man den betrunkenen, aber unverletzten Unfallverursacher nennen könnte, wird in der Zwischenzeit von seinen Schuldgefühlen heimgesucht. So leben die Verunfallten also, einander unbekannt, nebeneinander her, in ihrer Bedürftigkeit irgendwie verbunden und doch irgendwie getrennt. Franz wird durch eine Schar seiner liebevoll beschriebenen Freunde gerettet und kann wieder auf Alltagsbewältigung umschalten. Und da kommt der Anruf vom Schatzerl. ON? Franz Suess ist schlicht und einfach ein talentierter Zeichner, seine Graphic Novels wirken manchmal wie eine Aneinanderreihung für sich stehender Bilder, ohne dadurch aber den Erzählfluss zu stören. Sie sind schön gearbeitet und bringen viele Emotionen auf den Punkt. Besonders gelungen ist die Darstellung des inneren Rückzugs des »dunklen Zwillingsbruders«, die ohne viel Worte auskommt. In Franz Suess’ Bildern, grob und fein zugleich, scheint immer mehr präsent zu sein als die erzählten Ereignisse. Sie verzaubern die beschriebenen Alltagsszenarien und fügen ihnen eine neue Ebene hinzu. Das Ergebnis ist ein hochgradig individueller Zeichenstil, der definitiv eine Bereicherung für die österreichische Zeichnerszene darstellt. 08/10 Alexander Kesselring

Tim Leong Super Graphic 02 (Chronicle Books) — Wer wollte nicht schon immer wissen, wie der Zusammenhang von nackter Haut und Würde bei Comic Con Cosplay ist? Oder wie die Chronologie der diversen Batman-Sidekicks nebeneinander aussieht? Wieviel Bein Wonder Woman in ihren diversen Kostümen zeigt? Die Reiserouten von Tim und Struppi auf einer Weltkarte? Lebensdauer der Charaktere bei »Walking Dead«? Oder Anteile diverser Popkulturformate an »Scott Pilgrim«? Tim Leong hat mit »Super Graphic« die Antwort auf all diese Fragen und noch viel mehr! Auf 192 Seiten, jede davon voll mit Infografiken, führt Leong uns auf eine visuelle Reise ins Nerdvana der Comic Geeks, wo Statistiken Flamewars anzetteln können. Natürlich ist das nur ein kleiner Ausschnitt aus der Riesen-Comic-Book-Welt, aber sorgt für Schmunzeln und hat Wiederlesewert. 06/10 Nuri Nurbachsch Matthew Thurber Infomaniacs 03 (PictureBox) — Während ein Internet-Serienmörder sein Unwesen treibt, wird Ralph in eine Rehab-Klinik für Internetsucht gesteckt. Amy Shit und ihre HipHop-Combo The Climate Game-Changers protestieren gegen das Monopol von Entirenet. Deren CEO, Victor Valkyrie, will das Gehirn des letzten Menschen, der das Internet noch nie gesehen hat, erwerben. Die Anthropomorphic Task Force folgt indessen den Spuren des Internet-Serienmörders und dem messerartigen Cursor. Schon verwirrt? Das macht nichts, nein, ist sogar sehr gut. Matthew Thurbers »Infomaniacs« ist eine skurrile Satire von Internetkultur, globaler Wirtschaft und kapitalistischem Kult. Thurbers Off-Beat-Humor und sein Ideenfeuerwerk schleudern und schütteln uns, werfen uns aber nicht ab. Alles, was die MatrixTrilogie versprochen hat und nicht mal im Ansatz halten konnte, erfüllt »Infomaniacs« und gibt noch Zugaben. Fantastisch unterhaltsam und klug.

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Weltuntergang im Zeitraffer Mit der Rückkehr von Lightning endet die Geschichte von »Final Fantasy XIII« und die Welt geht unter. Ein böses Omen für die leidgeplagte Serie? Lightning ist zurück! Wenige Tage vor dem Ende der Welt wird die Heldin von einem Gott höchstpersönlich aus ihrem Kälteschlaf geweckt. Einer Walküre gleich soll sie Seelen der Menschen sammeln, um sie sicher auf die Arche zu bringen. Denn die Gottheit hegt bereits Pläne für eine neue Welt – und benötigt dafür eben Einwohner. Die Uhr tickt … und das ist die offensichtlichste Neuerung: ein gnadenloser Countdown, der den drohenden Untergang in keiner Minute vergessen lässt. Verhindern kann ihn auch Lightning nicht – aber verzögern, um so möglichst viele Seelen in die nächste Welt zu retten. Statt dem schlauchartigen Levelsystem des ursprünglichen »Final Fantasy XIII« bietet das letzte Abenteuer der Saga nun endlich wieder eine offene Welt. Durch den Stress mit der Uhr wird einem die Erforschung der – zumindest teilweise – schönen Welt aber konsequent verleidet. »Keine Zeit verlieren!« lautet das Credo von »Lightning Returns« und der Spieler steht regelmäßig vor der Entscheidung, ob sich dieser oder jener Quest überhaupt noch ausgeht. Das ohnehin schon gute Kampfsystem wurde ebenfalls überarbeitet: Zwar kämpft Lightning nun ausschließlich alleine gegen die dunklen Mächte, das System ist nun dafür – anfänglichem Übersichtsproblemen zum Trotz – nahezu perfekt. Der Einsatz von diversen Ausrüstungssets verleiht dem Ganzen taktische Tiefe, ohne dabei zu überfordern. Lightning veranstaltet zudem ein Effektfeuerwerk, das sogar die hohen grafischen Standards der Serie übertrifft. Auch zahlreiche andere Charaktere, die die Welt bevölkern, sind optisch eine Augenweide; dagegen fällt so manche Umgebungsgrafik deutlich ab und enttäuscht. Die wahre Katastrophe sind aber nicht schwache Texturen oder das polarisierende Zeitlimit: Es sind die seltsam leblos wirkenden Personen und der Verdacht, dass die Kunst des Erzählens nun völlig verlustig gegangen ist. Dabei birgt die Prämisse – das Ende der Welt steht unmittelbar und unabwendbar bevor – für sich betrachtet Potenzial für das ultimative Drama. Leider stimmt weder der Rhythmus der Erzählung, noch vermag der Inhalt an sich zu fesseln. Und beim kleinsten Hinweis auf Geheimnisvolles kann man sich sicher sein: Irgendeine Person redet so lang darüber und erklärt, bis das Mysterium einem ganz anderen Rätsel weicht. Was haben sich die Entwickler dabei bloß gedacht? So endet die Geschichte ähnlich enttäuschend, wie sie vor Jahren mit dem ersten Teil begann. Wozu also gut 30 Stunden investieren, die für »Lightning Returns: Final Fantasy XIII« nötig sind? Wegen den beinahe makellosen Kämpfen, die zumindest einen Funken Hoffnung versprühen, dass die Serie wieder in altem Glanz erstrahlt. Irgendwann. 06/10 Stefan Kluger

Lightning Returns: Final Fantasy XIII (Square Enix); PS3 getestet, Xbox 360; www.lightningreturns.com 071

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Rez Das Schwarze Auge: Blackguards 01 (Daedalic); PC; www.blackguards-game.com/de — »Blackguards« hat eine große Schwäche: den Zufall. Die oftmals sehr stark vom Glück abhängigen Faktoren, ob eine Schlacht gewonnen oder verloren ist, verweisen auf die Pen & Paper-Vorlage von »Das Schwarze Auge«. So kann es schon mal passieren, dass wir die erste Gruppe von Banditen spielerisch leicht erledigen, nur, um uns an der nächsten – nahezu identen – Gruppe die Zähne auszubeißen. Solch Widerspruch kann freilich auch spannungsfördernd betrachtet werden: Man weiß nie, was einem blüht. Massig Gegnertypen, spielerisch variantenreiche (wenngleich optisch biedere) Schlachtfelder und rollenspieltypisch (ganz recht, »Blackguards« ist ein Hybrid) zahlreiche Spezialisierungen erzeugen ein äußerst abwechslungsreiches Strategiespiel. Deshalb überwiegt nur selten Frust, wenn überraschend eine Niederlage blüht. Dafür macht »Das Schwarze Auge: Blackguards« einfach zu viel Spaß; und süchtig. Ob es aber im Jahr 2014 tatsächlich nötig ist, solch antiquiertes System anzuwenden, sei dahingestellt. 08/10 Stefan Kluger Earth Defense Force 2025 02 (Bandai-Namco); PS3 getestet, Xbox 360; www.de.namcobandaigames.eu — Wer weiß, was ihn erwartet, ist klar im Vorteil. Das trifft insbesondere auf »Earth Defense Force 2025« zu: bescheidene Technik (schwache Texturen, regelmäßig holprige Bildrate), stümperhafte Präsentation und ein Leveldesign, das auch im vergangenen Jahrtausend keine sonderlich gute Figur gemacht hätte. Das war bei der Serie mit B-Movie-Charme schon immer so – und wird sich vermutlich niemals ändern. Wer das akzeptiert, könnte hinter der hässlichen Schale eine wahre Spielspaßgranate entdecken: lokaler oder Online-Multiplayer vorausgesetzt. Denn einmal mehr ist es eine Freude, mit Brachialgewalt den Weltfrieden wiederherzustellen. Überdimensionale Käfer, Spinnen und Ameisen, haushohe Roboter und gigantische UFOs werden mit einem üppigen Waffenarsenal attackiert und ohne Hemmungen ausradiert; schließlich sind die Aliens die Bösen und wir die Guten! Im Namen der Gerechtigkeit und für die gute Sache (Erde retten!) töten wir nicht nur alles, was sich uns in den Weg stellt, sondern legen dabei auch ganze Stadtteile in Schutt und Asche. Das rockt! Monster- und Raumschiffdesign weisen (einmal mehr) darauf hin: die Entwickler müssen große Fans der Low-Budget-Monsterfilmen aus den 1950ern sein. Die neuen Klassen spielen sich erfreulich verschieden, sind bis auf den einsteigerfreundlichen Ranger aber eher für erfahrene Spieler geeignet. Lobenswert ist die Möglichkeit, nicht nur online,

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sondern auch via Splitscreen gemeinsam gegen die Invasion vorzugehen. Das ist übrigens dringend zu empfehlen, gibt »Earth Defense Force 2025« doch spielerisch nicht sonderlich viel her. Wer ein Faible für Trash hat und sich einfach mal so richtig austoben will, könnte jedoch etliche Stunden ordentlich unterhalten werden. 06/10 Stefan Kluger Far Cry – The Wild Expedition 03 (Ubisoft); Xbox 360 getestet, PS3; www.ubisoft.de »Far Cry« war 2004 nicht nur eine technische Meisterleistung, die vielen PC-Spielsystemen viel abverlangte, sondern ein Beispiel dafür, wie die entsprechende Technik Spiel- und Spielerlebnis verändern kann. Das Spiel wollte nie mehr sein als ein Shooter – eröffnete mit der ziemlich frei begehbaren Inselwelt aber vollkommen neue Möglichkeiten. Der Xbox 360-Überarbeitung, sieht man das Alter – immerhin zehn Jahre – nun natürlich an, in Sachen Gameplay ist es aber immer noch fantastisch. Mit Teil 2 folgte ein Open-World-Shooter, der viele Spieler mit seinen Eigenheiten (etwa wiederkehrende Gegner) überforderte, anderen eine der außergewöhnlichsten Spielerfahrungen bot (weirde Krankenheiten und Drogenerfahrungen im Spiel inklusive). Teil 3 führte die Ideen zusammen und ist eines der zwingensten Action-Games überhaupt. Der Ableger »Blood Dragon« zelebrierte auf der gleichen technischen Basis weniger Spieltiefe, dafür aber 80er-Laser-Ästhetik und pubertären Humor, der immer wieder die Spielwelt durchbrach. Die »Far Cry«-Reihe gehört zum besten, das Shooter in den letzten zehn Jahren und damit seit immer zu bieten hatten. 10/10 Martin Mühl Invizimals 04 (Sony); PS3, PS Vita; invizimals.eu.playstation.com/ de_AT/home — Sonys plattformübergreifende »Pokémon«-Konkurrenz verheizt einige gute Ideen und präsentiert sich letztendlich sehr mangelhaft. 03/10 Harald Koberg

Thief 05 (Square Enix); PC, Xbox 360, Xbox One, PS3, PS4, thiefgame.com — Ganze zehn Jahre ist es her, dass Meisterdieb Garret zum letzten Mal auf Streifzug geschickt wurde. Trotzdem sind er und die dazugehörige »Thief«-Serie vielen Schleichspiel-Freunden als Juwel des Genres in Erinnerung geblieben. Jetzt ist er zurück und sorgt für einige enttäuschte Gesichter. Der Garret von heute ist nicht mehr der, der er einmal war. Zu sehr haben sich die Entwickler vom Spiele-Mainstream beeinflussen lassen, um die Serie als jenen knüppelharten Schleichspiel-Puristen wiederzubeleben, der sie einmal war. Da brechen alarmierte Wachleute schon die

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Suche ab, während der Pfeil im Kopf ihres Kameraden noch nachfedert und der unglaubliche Garret kann den extrem kurzsichtigen Wachen nahezu über die Füße steigen, ohne dabei entdeckt zu werden. Dafür bleibt’s dabei, dass der Meisterdieb kein Meisterassassine ist und mit mehreren angreifenden Feinden nur schwer zu Rande kommt und so ist »Thief« auch 2014 ein klassisches Schleichspiel. Daran rüttelt auch die eine oder andere rasante Verfolgungsjagd wenig. Schwerer zu verschmerzen sind die schwache KI der Feinde und die gar so matt erzählte Handlung. Der Versuch, Garret durch seine Beziehung zu seiner aufmüpfigen Schülerin mehr charakterliche Tiefe zu verleihen, scheitert ebenso, wie die Bemühungen, die etwas zu linearen Levels in eine anregende Geschichte zu verpacken. Dafür gibt’s stimmungsvolles Ambiente in hübscher, wenn auch nicht beeindruckender technischer Aufmachung. Der Neustart der Serie mag an den hohen Erwartungen der Fangemeinde gescheitert sein. Aber das ist Scheitern auf hohem Niveau. Für sich allein betrachtet ist »Thief« ein feiner Titel der mit dem aus der Mode gekommenen Zweigespann von Ruhe und Bedacht gespielt werden will und für einige Stunden bestens unterhält. 07/10 Harald Koberg

Wonderbook: Das Buch der Zaubertränke 06 (Sony); PS3; www.playstation-wonderbook.com — Für kleine »Harry Potter«-Fans gibt es nach dem »Buch der Zaubersprüche« jetzt die Möglichkeit, Trank-Brauer zu werden – nett, aber unspannend. 05/10 Harald Koberg

Wonderbook: Dinosaurier – Im Reich der Giganten 07 (Sony); PS3; www.playstation-wonderbook.com — Mit einem von BBC mitentwickelten Ausflug in die Welt der Dinosaurier liefert Sony den bislang eindrucksvollsten Titel für das AR-Spektakel Wonderbook. AR steht in diesem Fall für »Augmented Reality« und das bedeutet wiederum, dass das Spiel mit Hilfe der Playstation-Kamera und des Wonderbooks Dinosaurier durch unsere Wohnzimmer laufen lässt. Zu sehen ist das alles freilich nur am Fernseher, recht eindrucksvoll ist es trotzdem. Und es ermöglicht ein intuitives, direktes Eingreifen in das Spielgeschehen. Wobei »Spiel« in diesem Fall nicht gänzlich zutrifft. »Dinosaurier – Im Reich der Giganten« ist vielmehr eine Lernsoftware mit spielerischen Elementen. Echte Freiheiten oder Entscheidungsmöglichkeiten gibt es genauso wenig wie tatsächliche Herausforderungen. Aber für dinosaurierfreundliche Kinder kann dieser Ausflug zu den Urzeitweisen zweifelsohne ein spannender und gleichzeitig leerreicher sein. 06/10 Harald Koberg

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TEXT Franz Lichtenegger BILD Andreas H. Bitesnich, Constantin Luser, Sophie Dvořák, Gerald Zugmann / MAK, Irmina Staś, Clemens Wolf, Markus Wörgötter

2014 feiert der österreichische Star-Fotograf Andreas H. Bitesnich nicht nur 50 Jahre seines Lebens, sondern auch 25 Jahre seines künstlerischen Schaffens. Höchste Zeit für eine Zwischenbilanz in Form einer Retrospektive. Neben Reise- und Porträtfotografie sind es vor allem Bitesnichs Aktserien, die durch ihre radikale Ästhetik immer wieder für Aufsehen sorgten. Eröffnung: 26. Februar, 19.00 Uhr; Dauer: 27. Februar bis 9. Juni Wien, Kunsthaus

Andreas H. Bitesnich – 25 Years of Photography

TERMINE KULTUR

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TERMINE

KULTUR

Constantin Luser Der österreichische Künstler Constantin Luser benötigt nichts als einen Fineliner, manchmal auch mehrere zugleich, um seine Ideen- und Bildgefüge zu realisieren. Worte, Symbole sowie abstrakte und figurative Elemente werden zu komplexen Liniengerüsten verflochten. Der leichte Notizbuch-Charakter der Arbeiten verspricht, dem Oberlichtsaal der Kunsthalle Krems einen sketchy Flair zu verleihen. Eröffnung: 15. März, 11.00 Uhr; Dauer: 16. März bis 29. Juni Krems, Kunsthalle

Sophie Dvořák

TEXT Franz Lichtenegger BILD Andreas H. Bitesnich, Constantin Luser, Sophie Dvořák, Gerald Zugmann / MAK, Irmina Staś, Clemens Wolf, Markus Wörgötter

Enzyklopädien des 20. Jahrhunderts systematisch zu zerlegen, das ist die Lieblingsbeschäftigung von Sophie Dvořák. Jede dieser Enzyklopädien unterliegt einer alphabetischen Ordnung, die sich bei der Wienerin meistens in Form von Collagen ausdrückt. Das Nebeneinander von Dingen, Personen und Ereignissen lässt Wissens- und Weltbilder entstehen, die das Allgemeinwissen auf die Prüfung stellen. Eröffnung: 4. März, 19.00 Uhr; Dauer: 5. März bis 3. April Wien, Musa

Neuaufstellung der Schausammlung Teppiche Teppichkunst gilt wohl nicht gerade als wahnsinnig hip. Das MAK jedoch bietet eine der umfangreichsten und bekanntesten Textil- und Teppichsammlungen der Welt. Und dieser soll nun neues Leben eingehaucht werden. Schwebende Metallschollen tragen die erlesenen Stücke durch den Raum. Das unkonventionelle Konzept dürfte für die seit 1864 zusammengetragenen Objekte eine wahre Verjüngungskur darstellen. Eröffnung: 8. April, 19.00 Uhr; Dauer: permanent Wien, MAK

Irmina Staś Aus unserem tiefsten Inneren will Irmina Staś sogenannte biomorphe Strukturen, »Organismen«, visualisieren und diese festhalten. Gedanken und Emotionen präsentieren sich als fragile Lebenslinien, die der Biologie entspringen diese durchleuchten. So gehen Bild und Mensch eine tiefsinnige Symbiose ein. Die Polin provoziert und spielt auf sensible Art und Weise mit existenziellen Fragen. Eröffnung: 6. März, 18.30 Uhr; Dauer: 7. März bis 4. April Wien, Strabag Kunstforum

Collected #4: Bilder über Bilder Ein Wechselspiel zwischen Malerei und Fotografie beschreibt die vierte Ausgabe von »Collected«. Beide Medien beeinflussen sich gegenseitig stark in ihrer Entwicklung. Hybrid-Arbeiten verwischen dabei zunehmend die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion. Mit einer Auswahl an Werken wird ein Einblick in die Bandbreite der aktuellen österreichischen Kunstszene geboten. Eröffnung: 26. Februar, 19.30 Uhr; Dauer: 27. Februar bis 27. April Wien, Bank Austria Kunstforum

Heinrich Dunst Der Dualismus zwischen Wort und Bild ist etwas, mit dem Heinrich Dunst gerne spielt. So fertigt er beispielweise Buchstaben aus synthetischen Materialien oder auch Spanplatten, und erklärt damit jegliche erschließbare Logik für ungültig. Die Bedeutung der Werke bleibt meist völlig dem Betrachter überlassen. Bei der Frage nach dem Sinn möchte der gebürtige Salzburger möglichst viel Freimut bieten. Dauer: 11. April bis 8. Juni Wien, Secession 075

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#19: Green IT im Haushalt

Perspektive wechseln. Magazin für Politik und Gesellschaft

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In einer Welt, in der alles vernetzt und jederzeit erreichbar ist, verbraucht auch alles ständig Energie. Auf der einen Seite soll die Intelligenz oder „Smartness“, die wir unserer Umwelt einhauchen auch zur Optimierung des Energieverbrauchs beitragen, auf der anderen vergessen wir oft, dass kein Gerät, kein Display, kein Sensor ohne Energie auskommt und dass auch der Standby-Modus den Stromzähler permanent weiterlaufen lässt. Im Großen – etwa bei Rechenzentren – ist Green IT schon lange Thema und auch die Energiefresser im Haushalt – Waschmaschinen, Geschirrspüler und E-Herde – hat das ökologische Bewusstsein längst erreicht. Im Bereich der Consumer Electronics zählt die Leistung noch immer mehr als der dafür nötige Input. In der 19. Ausgabe von twenty.twenty begeben wir uns auf die Suche nach Green IT im Haushalt und nach Strategien für Öko-Nerds.

Di., 29.04.2014 – Empfang 18:30 Uhr – Start 19:00 Uhr The Hub Vienna, vienna.the-hub.net Wien 7., Lindengasse 56 / Top 18 –19 Die Veranstaltungsreihe twenty.twenty widmet sich als offene Diskussionsplattform Zukunftsszenarien einer Welt 2020. Denn: Zukunft kann nicht gepredigt oder verordnet werden. Sie gehört diskutiert und gestaltet.

www.twentytwenty.at | www.facebook.com / exploring2020 | www.twitter.com / exploring2020

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T ermine

G a lerien

highlights Do. 20.03. // 20:00 Songwriter

William Fitzsimmons & Band

Richard Deacon Ausstellungsansicht

Stefan Waibel, Ideal Nature Machine 2012, Fluorescent Paint On Wire

Di. 25. – Mi. 26.03. // 20:00 Kabarett

Andreas Vitásek: Sekundenschlaf

TEXT Teresa Havlicek BILD MAM Mario Mauroner Contemporary Art Salzburg – Vienna, Galerie Thaddeus Ropac

Form and Colour?

Ideal Nature Machine(s)

Wo der Laie sich »Oh, ein buntes Segelboot an der Wand!« denkt, da sieht der Kenner tatsächlich komplexe Anordnungen von einem der wichtigsten zeitgenössischen Bildhauer Großbritanniens. Typisch für seine Arbeiten hat Richard Deacon mit einem Mix an Materialien gearbeitet: PVC, Beton, Stahl, Holz und Keramik. Die glänzenden, linearen Keramikskulpturen sind am Boden angeordneten Stahlskulpturen entgegengesetzt. Die organisch wirkenden Stahlsteine sind in ihrer Bescheidenheit ein harter Kontrast zu den Keramikskulpturen und beweisen feines Gespür für das Zusammenspiel aus positiven und negativen Formen. bis 5. April Galerie Ropac, Villa Kast, Salzburg

»Alle Prozesse sind reversibel und es geht keine Energie verloren« – laut Stefan Waiber befindet sich die ideale Maschine im Einklang mit dem Gesamtsystem. Seine »Ideal Nature Machine« ist eine Illusion der Natur: überdimensionierte Grashalme und Blumen wiegen sich sanft im Wind. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass es sich um Bestandteile aus Aluminium handelt, welche durch UV-Licht zum Leben erweckt werden. Die ganze Maschine braucht also jede Menge Energie und richtet sich im Grunde gegen das, was sie darstellt. So birgt das Werk ästhetische Genüsse und gedankenanregende Kontraste. bis 10. Mai Galerie Mauroner, Wien

Kärnten

Steiermark

Manfred Baumann Stadtgalerie Klagenfurt bis 15. Juni

Niederösterreich

Eva Gruber Fotogalerie Feuerbachl, Neunkirchen bis 2. April Herwig Zens – Zeichnungen zur spanischen Architektur Galerie Göttlicher, Krems bis 26. April

Oberösterreich

Barbara Höller, Michael Wegerer – Clusterwolke Galerie Oberösterreichischer Kunstverein, Linz bis 12. März Alfred Haberpointner und Helmut Swoboda Galerie 422, Gmunden bis 17. Mai

Salzburg

Faistauer Preis für Malerei 2014 Galerie im Traklhaus bis 5. April Kenton Nelson Galerie Ruzicska bis 10. Mai

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Mi. 26.03. // 20:00 Soul/Funk/Brass

The Soul Rebels

Sa. 29.03. // 20:00 Indie/Pop

Garish

Fr. 04.04. // 20:00 Kabarett

Martin Puntigam: Supererde

Fr. 04.04. // 20:00 TanzTage 2014

Compagnie Philippe Genty (fr)

Sa. 05.04. // 20:00 Indierock

Ramesch Daha – Somewhere in Iran Werkstadt Graz bis 23. März Karl Horvath – some photos Kunsthaus Mürz, Mürzzuschlag bis 21. April

Kreisky / Mann aus Marseille

Tirol

Shaun Parker Company (aus)

Dani Gal – Wie aus der Ferne Kunstraum Innsbruck bis 22. März Siegfried Anzinger – Bozetti und die Bronzen Galerie Elisabeth und Klaus Thoman, Innsbruck bis 10. Mai

Wien

NO FUTURE Komplex Kunsthalle Exnergasse WUK bis 22. März Divergente Ausblicke: Daniela Auer /  Nicolas Dellamartina / Julia Maurer Loft 8 bis 28. März Francesca Woodman Vertikale Galerie bis 21. Mai Trash & Art – An Exhibition in Progress Galerie Hummel bis 27. Juni

Do. 10.04. // 20:00 HipHop

Retrogott & Hulk Hodn

Do. 10.04. // 20:00 TanzTage 2014

Fr. 11.04. // 20:00 LiteraturSalon

Max Goldt: Schade um die schöne Verschwendung!

Sa. 12.04. // 20:00 Indie

The Notwist / Jel

Sa. 12.04. // 20:00 Kabarett

Hagen Rether: Liebe

Das komplette Programm gibt’s auf www.posthof.at POSTHOF – Zeitkultur am Hafen, Posthofstraße 43, A – 4020 Linz Info + Tickets: 0732 / 78 18 00, www.posthof.at

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TERMINE

FESTIVALS

3 Fragen an Tomas Zierhofer-Kin (Donaufestival) Kiew, Stockholm, London, Athen – reagieren Musik, Kunst und ihre Festivals ausreichend auf diese tiefen Umbrüche, die wir derzeit erleben? Die meisten Festivals in keinster Weise! Wir erleben sowohl in der Hochkultur als auch in der Popkultur und ihren Institutionen eine Epoche dramatisch fahrlässiger Entpolitisierung. Es läuft im Moment darauf hinaus, seltsame Blasen zu erschaffen, die weder dem Wesen der Kunst noch dem der Gesellschaft entsprechen, eskapistische Blasen zwischen Wellness und Betäubung sind an der Tagesordnung. Dabei gibt es enorm viele künstlerische Ansätze für neue Utopien, Denk- und Erlebensmodelle, die wir im Moment brauchen wie ein Stück Brot und von denen wir politisch viel lernen könnten. Ist Performance wirklich diese Gondel in eine andere Realität? Performance ist so ein seltsamer Begriff geworden. Wir versuchen darunter viele neue Kunstformen und deren Inhalte zusammenzufassen, die sich im darstellenden Bereich von historischen Formen abgrenzen und Neues versuchen. Und ich kann mit Überzeugung sagen, dass daher die wichtigen Impulse zu einem neuen Denken und Erleben kommen. Diese neuen Kunstformen, die kein Theater, keine bildende Kunst, kein Aktivismus, sondern etwas ganz Neues sind, können enorm viel bewirken. Erwin Pröll ist 67. Was kommt nachher und wie groß ist sonst die Akzeptanz für avantgardis­ tische Kunstfestivals in der Landespolitik? Was oder wer nachher kommt, entzieht sich meiner Einschätzung. Wir können nur hoffen, dass es kein Mitglied des Dentaltechniker-Verbandes wird! Die Akzeptanz für avantgardistische Kunstfestivals ist in Niederösterreich wie im Rest der österreichischen Welt natürlich nicht sehr hoch, denn die meisten Politikerinnen und Politiker haben einfach nicht den Mut, so etwas bis aufs Blut zu verteidigen. Erwin Pröll ist so einer. Das hätte ich mir – bevor ich ihn kannte – auch niemals gedacht. Donaufestival 25. April bis 3. Mai Krems, verschiedene Locations; www.donaufestival.at

Der diesjährige Eröffnungsfilm »Das große Museum« wagt einen beeindruckenden Blick hinter die Kulissen des Kunsthistorischen Museums.

Diagonale Die Diagonale, das Festival des österreichischen Films, geht in ihre 17. Runde und präsentiert sich und ganz Graz auch heuer wieder als wichtigstes Branchentreffen heimischer Filmschaffender und Interessierter. Diese können sich von den vielen Facetten des österreichischen Films – Spiel- und Dokumentarfilm – und aktuellen Trends überzeugen. Die Ausgabe 2014 wartet mit einigen Zuckerln auf, wie dem Eröffnungsfilm »Das große Museum« von Johannes Holzhausen, einer Dokumentation über das Kunsthistorische Museum. Ein Highlight ist dabei immer die Verleihung der Filmpreise der Diagonale. It goes without saying, dass das ein absoluter Pflichttermin ist, vor allem für jene, die sich von der Tiefe des heimischen Filmschaffens überzeugen wollen. 18. bis 23. März Graz, verschiedene Locations

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TERMINE

FESTIVALS Yung Lean ist als kleines Kind in einen Topf mit schlechten PhotoshopFiltern gefallen.

1 ... ist der Platz, den »Selfie« bei der Wahl zum englischen Wort des Jahres 2013 gemacht hat. Um Selfies geht’s auch beim zehnten Pictoplasma Festival ab Ende April in Berlin Mitte. Ein Thema, mit dem sich jeder identifiziert. Da kann man sogar den Papst fragen.

Step Forward

TEXT Dominik Oswald BILD Navigator Film, Nature Sounds, Senator Entertainment AG

Die Wiener Clubveranstalter Step Forward – das sind die mit den vielen X – begehen ihr viertes Jubiläum und veranstalten aus diesem Anlass gleich einmal ein ganzes Festival. Dieses trumpft nicht nur mit großen internationalen Namen wie R.A. The Rugged Man oder Yung Lean & Sad Boys auf, sondern auch mit einer Street-Art-Ausstellung, einem Concept Store und allem Drum und Dran. 8. bis 23. März Wien, verschiedene Locations

»Under The Skin«, ein neuer Film mit Darling Scarlett Johansson, eröffnet das heurige Crossing Europe.

Welser Figurentheater-Festival

Das traditionsreiche Puppenfestival bringt im März bereits zum 23. Mal einige Künstler und Gruppen nach Oberösterreich, insgesamt stehen 56 Vorstellungen an. Heuer werden unter anderem Trakls »Blaubart« oder Kafkas »Der Prozess« aufgeführt. Das Figurentheater-Festival ist also nicht nur für Kinder spaßig, sondern auch für Erwachsene. Weil, Trakl und Kafka, selten so gelacht. 6. bis 12. März Wels, verschiedene Locations

Poolinale

Die vierte Ausgabe des beliebten Festivals für Musikfilme wartet mit einigen Österreich- und sogar Weltpremieren auf, die Screenings zeigen Filme mit Ja, Panik, The National und Sweet Sweet Moon. Auch das Rahmenprogramm besticht mit Partys, Konzerten und der Verleihung des österreichischen Musikvideopreises. 25. bis 30. März Wien, verschiedene Locations

Sound:Frame

Crossing Europe Der zehnte Geburtstag des Festivals für zeitgenössisches europäisches Autorenkino soll gebührend gefeiert werden. Ein dicker Musikfilmschwerpunkt ist ohnehin schon erfreulich, dazu lassen die Verleihung der Crossing Europe Awards und Eröffnungsfilme mit Scarlett Johansson und Texta die Synapsen vor Vorfreude schon tanzen. 25. bis 30. April Linz, verschiedene Locations

Das diesjährige Sound:Frame Festival legt mit dem Motto »A Matter Of …« seinen Fokus klar auf den Theorie- und Ausstellungsbereich. So gibt es neben Diskursen um Reflexionsprozesse in der audiovisuellen Kunst auch drei Austellungen im MAK, Künstlerhaus und mo.ë. Die Musik kommt aber nicht zu kurz, so treten unter anderem Jonwayne, Romare oder Wife auf. 25. März bis 13. April Wien, verschiedene Locations 079

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März | April

TERMINE

|14 saison 2013

MUSIK

Jazz im Porgy & Bess Riemergasse 11, 1010 Wien

Nice price! < 26 Jahre EUR 10,– Vollpreis EUR 18,–

6.3. Do | 20:30 | Jazz & Beyond Caravaggio Industrial Jazz und elektronischer Avant-Rock rund um den Meisterbassisten Bruno Chevillon

23.4. Mi | 20:30 | All That Jazz Muchogusto y los Toros del Diablo Erotische Surf-Oper zwischen verführerischem Jazz & leidenschaftlichem Surf-Rock 19:15 | Meet the artists: Ute Pinter im Gespräch mit den Künstlern

Komponistenporträts im ORF RadioKulturhaus Argentinierstraße 30a, 1040 Wien

Nice price! < 26 Jahre EUR 10,– Vollpreis EUR 19,–

4.4. Fr | 19:30 | Fast Forward Hannes Kerschbaumer

Nunchaku, Machete, Leuchtpistole, Bergehaken und barfuß im Anzug – das ist wahre Härte.

9.5. Fr | 19:30 | Fast Forward Arturo Fuentes

Der aufmüpfige Kärntner, den man nicht nur, aber auch als Naked-Lunch-Bassisten kennt, hat ein neues Album fertig. Und man darf davon ausgehen, dass »Fuzzman & The Singin Rebels« den hakenschlagenden Weg des Herwig Zamernik – von Lo-Fi-Pop über räudiges Protestliedgut bis hin zur gelungenen Schlager-Aneignung – fortsetzen wird. 17. April Dornbirn, Spielboden — 19. April Klagenfurt, Theaterhalle 11 — 22. April Wien, Stadtsaal — 24. April Graz, Musichouse — 25. April Steyr, Röda — 26. April Ebensee, Kino

DAWA Do | 20:30 | GARAGE X

13.3.

20:00 Einlass EUR 12,– | 14,– (VVK | AK)

Petersplatz 1, 1010 Wien

Jeunesse – musik.erleben

Schaut trotz Faible für die Vergangenheit gerne auch nach vorn oder zur Seite: Joan Wasser.

Joan As Police Woman saison 2013|14 klassik jazz world neue musik kinderkonzerte

www.jeunesse.at

Die Doo-Wop-Nummer »The Classic« hat als Vorbote für das gleichnamige Album ganze Arbeit geleistet: Noch beseelter als bisher klingt Joan Wassers Musik – sowohl im kurzen als auch im langen Format. Eine Entwicklung, die Wasser sehr gut zu Gesicht steht, weil sie den Blick dabei nicht nur in die Vergangenheit richtet, sondern offen bleibt für Überraschendes und Neues. Bei ihrem Wienkonzert bestreitet der deutsche Loop-Künstler Helmut das Vorprogramm. 2. Mai Wien, Ottakringer Brauerei

Text Manuel Fronhofer, Amira Ben Saoud Bild Veranstalter (5), Niclas BrunZell, Hillary Harris

© Ingo Pertramer

Fuzzman

Jeunesse Kartenbüro . Bösendorferstraße 12, 1010 Wien im Musikvereinsgebäude . Tel: (01) 505 63 56 E-Mail: tickets@jeunesse.at . Mo – Fr, 9:00 – 19:30 Uhr 142_074-081_Termine.indd 80

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Text Manuel Fronhofer, Amira Ben Saoud Bild Veranstalter (5), Niclas BrunZell, Hillary Harris

Kunsthalle Wien

TERMINE

MUSIK

Raresh »Some tales need to be told«, lautet der Untertitel der »Disco Tales«. Der rumänische DJ und Produzent Raresh erzählt seine Geschichten am Liebsten an den Turntables, die er schon mit 15 für sich entdeckt hat. Sollte man an den Iden des März noch keine Pläne haben, empfehlen wir House und Techno als Alternative zum Tyrannenmord. Geh auch du hin, mein Sohn! 15. März Wien, Grelle Forelle

Springbreak Mit einer Solo-Akustik-Show von Anders Wendin, besser bekannt als Moneybrother (Bild), geht das Frühlingsfestival im Haus der Musik in die vierte Runde. Neben dem in reduzierter Form vorgebrachten beseelten Rock des sympathischen Schweden gibt’s Stimmungsvolles aus dem Songwriter-Fach von Sara Jackson-Holman und umgänglichen IndiePop von We Invented Paris zu hören. 22. März Wien, Haus der Musik

Calvin Johnson Trommelwirbel! Calvin Johnson, Betreiber des Labels K Records, Musiker (Beat Happening, …) und ganz allgemein überaus umtriebige Figur im internationalen Pop-Underground, beehrt Österreich. Mit dabei: Tirana, und in Wien außerdem Lime Crush sowie Gemaltes und Gezeichnetes von Veronika Eberhart (Plaided, Tirana) und Andi Dvořák (Fettkakao). 6. April Graz, Keplerkoje — 8. April Wien, Akademie der bildenden Künste

Amine Edge & Dance Ein dicker Bass, HipHop-Samples und ein deeper House-Beat. Aus diesen Zutaten besteht Gangsta House und hört sich so g’schmeidig an, wie südfranzösische Weine schmecken. Aus der Gegend kommen nämlich Amine Edge & Dance und bringen für ihren Auftritt sicher einige »GoodieGoodies« ins Flex. Dort kann man dann wie Gott in Frankreich tanzen. Santé! 22. April Wien, Flex

Ryan Hemsworth Ryan Hemsworth ist Elektro-Zucker, ja fast schon Honig. Deswegen schmiert man ihn sich so gern aufs von uns gebutterte Schwarzbrot. Vor allem im Kaffeehaus. Okay, noch mal: Schwarzbrot, die Veranstaltungsreihe, lädt sich den kanadischen DJ, Produzenten und Sample-König ins Cafe Leopold. Gepimpt hat das The Gap, also wir. Hi-Hat-Explosionen bis zum Zuckerschock. 26. April Wien, Cafe Leopold

Wohnzimmer Rufus Wainwright Records Night

Kraftwerk

Gerade ist mit »Vibrate« die erste BestOf-Zusammenstellung von Rufus Wainwright erschienen, schon führt ihn die zugehörige Tour nach Wien. Beides bringt feinsinnige Popmusik, in der Wainwrights Faible für Extragvaganz und Bombast immer wieder grell aufflackert. 28. März Wien, Museums­ quartier, Halle E

Die Karten sind längst weg – kein Wunder, zählen Kraftwerk doch zu den unumstrittenen Pionieren der elektronischen Musik. Die acht Konzerte im Rahmen der Festwochen (jeweils eines zu einem ihrer Alben) kommen samt 3DVideo-Projektionen aus den Geräten. Man nennt es auch Gesamtkunstwerk. 15. bis 18. Mai Wien, Burgtheater

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We Walk Walls und das Florian Horwath Ensemble besorgen den LiveSound, DJs mit direktem oder indirektem Label-­Bezug die Musik aus der Konserve – Wohnzimmer Records, ein verdienter Player der heimischen IndieSzene, lädt zur Sause ins Wiener Fluc. Und zwar bei freiem Eintritt. 21. März Wien, Fluc

Karlsplatz SILKe OTTO-KnAPP CArL FreDrIK HILL 12/3 – 25/5 2014 Ausstellung #Questions Mit der Ausstellung Silke OttoKnapp / Carl Fredrik Hill. Questions of Travel (Wien) startet die Kunsthalle Wien ihr diesjähriges Programm am Karlsplatz. Die Ausstellung versammelt ausgewählte Werke zweier Künstler/innen, die sich innerhalb ihres Genres und in ihrer jeweiligen Zeit intensiv mit der künstlerischen Darstellung von Landschaften, Bühnen und Theaterräumen beschäftigt haben. Im Spiel mit den Codes des bühnenhaften Charakters des gläsernen Ausstellungsraums entsteht zwischen den Arbeiten von Silke Otto-Knapp und dem urbanen Außenraum ein Bezugssystem, das die ikonografische Architektur in vielschichtiger Weise zitiert und reflektiert. Darüber hinaus zeigt die Ausstellung Zeichnungen des schwedischen Künstlers Carl Fredrik Hill (1849–1911), der sich ebenfalls intensiv mit dem Bühnenraum befasst hat und diesen als Szenografie expressiver Selbstbefragung inszeniert. Alle Infos zu Ausstellung und Programm unter: www.kunsthallewien.at Kunsthalle Wien Treitlstraße 2 1040 Wien, Austria kunsthallewien.at blog.kunsthallewien.at facebook.com/KunsthalleWien twitter.com/KunsthalleWien instagram.com/KunsthalleWien

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Know-Nothing-Gesellschaft von Illbilly The K.I.T.T.

Selbstversuch

illustration Jakob Kirchmayr

S

ehr en vogue, wie man so schön auf Französisch zu sagen pflegt, ist es im Moment, Selbstversuche aller Art zu machen und dann darüber zu schreiben. Ein Monat vegan sein. Vier Wochen ohne Social Media-Kanäle. 30 Tage rund um die Uhr Beschallung mit dem Gesamtoevre von Kraftwerk. Einen Mondzyklus plus ein paar zerquetschte Tage lang nur die Wahrheit sagen. Ein Jahreszwölftel dazu nutzen, einen Pullover zu stricken. In drei Dekaden alle Bücher von Paulo Coelho lesen und schauen, was passiert. Laut der momentan sehr beliebten App »Quiz-Duell« wären das übrigens 24 Stück Coelho-Bücher. Und, nur für den Fall, dass sich jemand eben daran gestoßen haben sollte: Laut Duden, der alten, gelben Sprachhure, darf man das Wörtchen Dekade auch verwenden, wenn man einen Zeitraum von zehn Tagen oder zehn Wochen meint. Das Wort ist also nicht exklusiv für die Spanne von zehn Jahren reserviert. Und der Vollständigkeit wegen: Man darf auch eine Anzahl von zehn Büchern Dekade nennen. Fast zweieinhalb Dekaden Bücher von Coelho hätte man dann in drei Dekaden bei diesem Selbstversuchsvorschlag zu bewältigen. Das ist eindeutig zu viel und das macht auch keiner, der noch alle seine Murmeln im Sack hat. Und keine Sorge, ich tu das auch nicht. Denn ich bin nämlich dazu angehalten, Anzüglichkeiten und Frivolitäten in meine Zeilen zu mischen, sonst krieg ich nämlich mein Geld nicht überwiesen. Ein Selbstversuch unter der Gürtellinie muss also her. Und weil ich das Angenehme gerne mit dem Nützlichen verbinde, war mein erster Impuls, bei meiner Lebensabschnittsdingsbums vorstellig zu werden und zu fragen, ob sie denn damit einverstanden wäre, über einen Zeitraum von 2.592.000 Sekunden 90 Mal mit mir intim zu werden. Abgesehen davon, dass ich mir schön langsam ein mittelschweres Thesaurusproblem gezüchtet habe und kaum noch Umschreibungen für das Wort Monat finde, erhielt ich eine grobe Abfuhr. Eine, die noch dazu in einer Meinungsverschiedenheit gipfelte, als ich im Scherz anfrug, diesen Selbstversuchsvorschlag vielleicht anderen, eventuell willigeren Personen zu unterbreiten.

Unterm Strich ist die ganze Idee aber ein ziemlicher Infantilismus und nicht sonderlich tiefschürfend, würde ich jetzt mal selbstkritisch anmerken. Darum mögen andere drei Mal täglich Fickifickibumsibamsi machen und darüber in anderen Trottelmagazinen schreiben, um Klickzahlen in die Höhe schnellen lassen. Irgendwo wird sich schon ein ambitionierter Invasivjournalist finden. Ich für meinen Teil, ein begnadeter Wichser und begeisterter Bumser, werde einfach die Stute von hinten aufzäumen und meinen Dödel Dödel sein lassen. Enthaltsamkeit ist viel herausfordernder. Das ist jetzt zwar auch nicht weniger infantil, aber reicht aus, um – so wie es sich fürs Beschreiben von Selbstversuchen gehört – banale Erkenntnisse und Befindlichkeitswinde zu herrlichsten Perlen der Selbstüberschätzung aufzublasen. Also, hier die Notizen. Und zwar in Dekaden zusammengerafft. Tag 1 bis 10: Nachdem ich mir noch einmal gescheit das Weiße aus dem Nudelaug’ rausgejerkt hatte, konnte meine Mission ihren Anfang nehmen. Recht schnell bemerke ich untertags eine Leistungssteigerung in beruflichen Belangen. Ich arbeite effizienter als sonst und finde abends gar noch Zeit, mich um Haushaltsdinge zu kümmern. Ablenkung oder Sublimierung? Ich weiß es nicht. Gelegentlich pochen zwar meine Hoden. Ich poche aber wacker zurück und signalisiere den Klöten auf diese Art, dass jetzt mal Sendepause ist. Der Schmerz hilft mir, mich wieder aufs Wesentliche zu konzentrieren und meine Aggressionen auf andere zu richten. Ich erstelle auch eine Liste von Dingen, die mir auf die Nerven gehen. Vorne mit dabei: Jared Leto, die Neos, das Vice, Bitstrips und Tom Turbo. Im Personennahverkehr zu bestehen wird immer schwieriger. Ich gehe nur noch mit gesenktem Haupt durch die Gegend. Dennoch verzeichne ich immer wieder unerwartete Erektionen. Eine besonders verstörende etwa, als ich 100 Meter lang einem frisch getrimmten Königspudel nachspazierte. Nachts schlaf ich aber ruhig und traumlos, weil ich mir immer mit Bier und Wermut die Kante gebe. Das mit der anfangs festgestellten Leistungssteigerung hat sich nun auch wieder erledigt. Tag 11 bis 20: Ich schaue mir unentwegt Interviews mit dem Schispringer Thomas Morgenstern an. Sein Kärntner Dialekt, diese ekelhaft wabbelnde Reibelautverweichlichung, macht mich rasend. Ich würde ihn am liebsten ins Koma zurückprügeln

und bemerke zu meinem Entsetzen, wie sein dummer Sprachsatzbau Spuren an mir hinterlässt. Als mich unbedarft jemand ganz harmlos frug, wie es mir denn so ginge, antwortete ich schwurbelnd: »Den Umständen entsprechend eigentlich eh extrem geil.« Lebensabschnittsdingsbums macht sich einen Spaß daraus, mich zu quälen und läuft vorwiegend sehr spärlich bekleidet oder überhaupt gleich nackt vor meiner Nase herum. Sie besteht auch darauf, mich zu waschen und trocken zu rubbeln. So will sie Kontrolle über die Standhaftigkeit meines Vorhabens gewinnen. Sie geht auch nach mir zu Bett. Apropos. Nachts beuteln mich jetzt autoerotische, narzisstische Träume. Unlängst etwa der, in dem ich mir selbst einen ablutsche. Schweißgebadet wache ich auf und notiere in mein Traumtagebuch: »Mein Schwanz so lang wie ein Aal / und er riecht auch so.« Versuchte das drei Tage lang in einen Bilderbuchreim zu gießen. Nennenswertester Erfolg: »Lese Barthes, Foucault, de Beauvoir / mein Pendel sprengt jedes Reservoir – gib meiner Schüssel Gummi.« Tag 21 bis 30: Ich werde immer unberechenbarer. An jeder Ecke lauern Zwei- und Drei- oder gar Vierdeutigkeiten. Eine gute Geschäftsidee kommt mir in den Sinn. Kleine Feuerwehrlöscher, aus denen Schlagsahne aus dem Schlauch spritzt. Verwendbar als Partykracher, um z. B. Geburtstagskerzen auf Torten und Kuchen auszublasen. Die Aggressionen werden auch nicht weniger. Um sie abzubauen, kaufe ich mir auf der gut frequentierten Einkaufsmeile Mariamilferstraße einen kleinen Stressball für Hand und Finger, den ich die unentwegt drücke. Nach zwei oder drei Tagen ist er kaputt. Auch weil ich oft rein gebissen habe. Als Ersatz besorge ich ein Mini-Trampolin. Ich hüpfe darauf unentwegt herum und sehe danach vieles klarer. Eine neue, ungeahnte Spiritualität ergreift mich und scheint auch bleiben zu wollen. Eine Art sechster Sinn: Ich sehe nackte Menschen! Überall. Immer. Nicht nur im Internet.

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