50plus_02/25_Portrait Meli Nussbaum

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Ein futuristisches Gebäude als begehbares Instrument

Bauleiterin mit Herz und Hirn

Sie bringt Frauenpower in die Baubranche: Meli Nussbaum (44) hat sich vor vier Jahren als Bauleiterin selbstständig gemacht. Mit Herz und Hirn zieht sie ihr eigenes Ding durch. Ihr Erfolgsrezept? Gegenseitiger Respekt und Teamwork, damit am Ende alle am gleichen Strang ziehen. Wir haben Meli auf ihrer aktuellen Lieblingsbaustelle im solothurnischen Wolfwil besucht.

VON BENEDIKT LACHENMEIER & NOEMI BACHOFNER

Meli Nussbaum ist gerade am Telefon, als wir sie auf ihrer Baustelle in Wolfwil treffen. Noch steht ein Gerüst am Einfamilienhaus, die Fenster sind unverglast. Die Bauleiterin und ihr Team sind gerade dabei, das Gebäude von Grund auf zu sanieren. Bereits vollendet ist der dazugehörige Anbau, der das Haus um rund 120 Quadratmeter erweitert. Darin wohnt zurzeit die Familie, der die Liegenschaft gehört. «Das Projekt ist eine ziemliche Challenge», erklärt Meli, nachdem sie ihr Telefongespräch beendet hat: «Wir mussten so bauen, dass das Haus jederzeit bewohnbar bleibt. Der Familie sollte immer eine Küche, eine Nasszelle und ein Wohnbereich zur Verfügung stehen.» Sowieso ist die Baustelle im 2400 -Seelen-Dorf zwischen Oensingen und Zofingen für die 44 -Jährige eine ganz besondere: «Es ist das erste Projekt, bei dem wir von A bis Z alles selbst gemacht haben – von der Planung über die Baubewilligung bis zur Ausführung mit Fachkräften, die unter unserem Namen arbeiten», sagt die Bauleiterin stolz, während sie durchs unvollendete Haus führt. «Wir» bedeutet übrigens Meli und ihr Mann René – aber dazu später.

FOTOS: VOLLBILD FOTOGRAFIE, MICHAEL KUNZ

Von einem Tag auf den anderen zum Traumjob Aber wie kommt Meli überhaupt dazu, Bauleiterin zu werden? Schliesslich sind Frauen auch heute noch kaum auf der Baustelle anzutreffen. Laut Statistik liegt der Frauenanteil im Schweizer Baugewerbe lediglich bei zwölf bis 18 Prozent. Für Meli war das aber nie ein Hindernis. Ihren ersten Job hatte sie in einem Ingenieurbüro. Während den Schulferien schnitt und faltete sie dort Pläne, um ein wenig Geld dazuzuverdienen und merkte schon da: Das ist meine Welt. Später sicherte sich die Ostschweizerin im selben Betrieb eine Lehrstelle als Bauzeichnerin und arbeitete nach der Ausbildung mehrere Jahre dort auf dem Beruf. Im Gespräch stellt Meli klar: «Ich habe den

Job nicht aus Leidenschaft gemacht, sondern ihn mehr als ein Sprungbrett gesehen.»

Dieses Sprungbrett nutzte die damals 30-Jährige dann auch. Als im Unternehmen ein Job in der Bauleitung frei wurde, bot sie ihrem Chef kurzerhand an, diese Aufgabe zu übernehmen. Melis Mut kam an – und schon stand sie als frischgebackene Bauleiterin im Einsatz. An einem Tag zeichnete sie noch Pläne für knapp 50 Terrassenwohnungen und am nächsten trug sie bereits die Verantwortung für das ganze Projekt. «Plötzlich musst du in einer Männerdomäne führen», erinnert sie sich zurück. «Aber ich mag es, wenn ich ins kalte Wasser geworfen werde – so funktioniere ich am besten.»

«Plötzlich musst du in einer Männerdomäne führen.»

Im Studiengang Techniker HF Bauplanung holte sich Meli schliesslich noch das nötige Fachwissen. Um dieses Ziel zu erreichen, pendelte die junge Bauleiterin zwischen ihrem Arbeitsort in Luzern, ihrem Wohnort in Basel und der Ausbildung in Bern hin und her. Was Meli am Bauen fasziniert: «Wenn du monatelang geplant und über Details diskutiert hast, und dann der Bagger die Erde aushebt, weisst du: Jetzt wird alles zur Realität. Das ist ein unbeschreibliches Gefühl.» Ihr Credo auf der Baustelle lautet Teamwork. «Ich versuche mit den Leuten zusammen Lösungen zu erarbeiten. Ich komme nie auf die Baustelle und sage: ‹Genau so will ich es, also machst du es so.›» Eine Herangehensweise, welche die 44-Jährige aus

Melis Wunsch ist, das Unternehmen um drei bis vier Angestellte zu erweitern.

ihrer Sicht vielleicht erfolgreicher macht als einige männliche Bauleiter. Denn Meli weiss: Durch eine gute Zusammenarbeit lässt sich einiges an Baukosten sparen. Gleichzeitig brachte ihr die offene Einstellung bei den Handwerkern bisher grossen Respekt ein. Mit Feingefühl und Power hat sich Meli in der Männerdomäne behauptet: «Auf der Baustelle hatte ich noch nie das Gefühl, ich komme nicht weiter, weil ich eine Frau bin.»

Anders sieht es bei der Planung eines Bauprojekts aus. In der Zusammenarbeit mit Architekten und Fachplanern machte Meli auch schon mal negative Erfahrungen. «Irgendwie hat man oftmals das Gefühl, man könne eine Frau im Preis drücken», ärgert sie sich. Diese Haltung ging der selbstbestimm-

Das Umbauprojekt in Wolfwil ist für Meli ein Herzensprojekt.

ten Frau immer mehr gegen den Strich. Sie wollte ihr eigenes Ding durchziehen, Projekte so umsetzen, wie sie es für gut befindet. Und zu dem Preis, den sie verhandelt.

Vom Ehemann zum Geschäftspartner

Schlussendlich war es aber ihr Mann René, der die Idee der eigenen Firma hatte. «Im ersten Moment habe ich die Hände verworfen und gesagt: Das mache ich ganz sicher nicht», erinnert sich Meli. Doch dann überlegte sie sich, dass sie als Bauleiterin sowieso immer die Verantwortung trägt, ob angestellt oder selbstständig – und willigte ein. Denn von Anfang an war klar: Das Unternehmen ist eine gemeinsame Sache der beiden, obwohl René als langjähriger Banker mit der Baubranche nichts am Hut hatte. Der Plan: Meli startet mit dem Geschäft, er steigt später ein. Nach einem Jahr war es bereits so weit. Die Bauleiterin konnte die Aufträge nicht mehr allein stemmen, René musste unterstützen. Ein Telefonat mit dem Elektriker, ein Besuch auf der Baustelle – Meli führte ihren Mann Schritt für Schritt in die Baubranche ein. An den rauen Wind und das Tempo musste sich René erstmal gewöhnen. «Aber das hat er mit Bravour gemeistert», sagt die Wahlbaselbieterin stolz. «Und durch seine langjährige Erfahrung auf der Bank hatte er bereits eine grosse Ahnung von Strukturen und Prozessen.»

Die Arbeit kommt an erster Stelle Meli ist überzeugt: Das gemeinsame Unternehmen ist das Beste, was ihnen passieren konnte. «Ich muss keinem Chef mehr Rechenschaft ablegen und kann Projekte so umsetzen, wie ich will. Und mein Mann konnte dank dem Branchenwechsel wohl im letzten Moment ein Burnout abwenden.» Die Schattenseite der Selbstständigkeit? Das Geschäft ist omnipräsent – besonders, wenn man als Paar auch noch zusammenarbeitet. «Es ist

Jahr verreisen die beiden für zwei Wochen auf die Malediven oder in die Karibik. Übrigens die einzigen Ferien, die sich das Paar jährlich gönnt.

Die «beste Bauleiterin» Ihr Wunsch für die Zukunft? Das Unternehmen um drei bis vier Angestellte zu erweitern. Aktuell betreuen Meli und René zehn Bauprojekte. Mit zusätzlichen Leuten könnten sie noch mehr und auch grössere Baustellen stemmen. Am liebsten würde Meli mal eine Villa im Wert von zwei bis drei Millionen planen – mit Dampfdusche und Whirlpool. Könnte sie wählen, würde sie das Projekt mit einem rein weiblichen Team besetzen. «Mehr Frauen in der Branche – das wäre schön.» Das Engagement von Meli zahlt sich jedenfalls aus. Das beweisen manchmal die ganz kleinen Dinge, wie die aktuelle Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft in Wolfwil schön aufzeigt. Nach der Vollendung des Anbaus erhielt Meli einen grossen Früchtekorb als Dankeschön. Und auf Instagram schrieb die Familie, sie sei «die beste Bauleiterin». Weil sie sich um alles kümmere und immer da sei, wenn eine Frage auftauche. «Wenn die Kundschaft am Ende happy ist, ist das der schönste Moment», sagt Meli und geht wieder voller Elan an die Arbeit.

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