TAU Magazin bei den 40. Goldegger Dialogen

Page 1


„Griaß di, Durchklungene!“* Persönliche Eindrücke von den 40. Goldegger Dialogen „Verbunden Sein. Für eine neue Weltbeziehung“ – gesammelt von TAU Redakteurin Petra Schwiglhofer.

DIALOGE 2022 Mit Gabi BOTT, Andreas WEBER, Phillip BLOM, Fritjof CAPRA, Katharina ROGENHOFER, Christian FELBER, Melanie WOLFERS & Mily GROSZ, Joachim BAUER,Vivian DITTMAR, Hartmut ROSA. u. a.

www.schlossgoldegg.at/dialoge

* „Griaß di, Durchklungene!“ Grußvorschlag von Christian Felber aus seinem Vortrag „Die innere Stimme und das große Ganze“ nach Erklärung des Begriffes „Person“: per sonare, Klangkörper, Durchklungene*r ** www.ulmentanz.de

Das Schloss Goldegg liegt leicht erhöht und schaut auf den Moorsee hinab, welcher vom Schilf umrahmt die umliegenden Berge und Hügel spiegelt. Die Vögel zwitschern und ihr Klang zieht durch die offenen Fenster in die Veranstaltungsräume. Schon seit 40 Jahren beherbergt das Schloss aus dem 14. Jahrhundert die Goldegger Dialoge, veranstaltet vom Kulturverein Schloss Goldegg. Viele Besucher*innen sind langjährige Stammgäste. Sie nutzen die Dialoge, um sich im Einlassen auf Neues zu üben. Das Ambiente lädt dazu ein. Am Tag nach meiner Ankunft beweist der berühmte Salzburger Schnürlregen seine Ausdauer – aber nicht nur in Schnüren, sondern auch in dicken prasselnden Tropfen. Perfekt für Kaffee und Kuchen im „Café im Schloss“ und ein Orientierungsgespräch mit Maria Schwaighofer, Mitarbeiterin des Organisationsteams. Sie erzählt von Überlegungen zu neuen Dialog-Formaten, um interaktionserfahrene, jüngere Zielgruppen anzusprechen, und von flexiblen Eintrittsvarianten. Behutsam werden Änderungen vorgestellt, manches findet auf Anhieb noch nicht so viel Zuspruch, doch die Stimmung ist gelassen, akzeptierend, beobachtend, reflektierend.

Das Verbindende zu suchen steht bei all den Veränderungsideen im Vordergrund.

Zusätzlich zum vorgesehenen Programm leitet Gabi Bott, Trainerin für Tiefenökologie, am Vollmondabend im Schlosshof den Ulmentanz** an. An die 30 Personen wiegen sich händehaltend im Kreis, sprechen Segenswünsche für Heilung in den Abendhimmel. Wir erleben ganz direkt Verbundenheit miteinander und weit über die Schlossmauern hinaus. Das Sommer-Sonnen-Wetter fährt die Temperaturen hoch und nach und nach steigt auch die Frequenz der Workshops

62 partner*innen-seite

und in Folge die Anzahl der Dialog-Gäste. Die Seminarräume im kühlen Schloss füllen sich. Die Dialoge 2022 nehmen Fahrt auf. Im Vorprogramm-Workshop von Gabi Bott „Active Hope! Einführung in die Tiefenökologie“ lerne ich, dass Tiefenökologie (nach Joanna Macy) eine innere Haltung ist, die alles Tun und Sein durchdringt, mit allem in Verbindung steht und die tiefe Fragen an das Leben stellt. Die leichte Verwirrung, die diese Definition bei mir hinterlässt, löst sich durch Begegnungsübungen etwas auf. So stehen wir in einem bewusst gewählten Abstand einer Person still gegenüber und sollen uns ihrer Einzigartigkeit gewahr werden. Zum Abschied wünschen wir dieser nonverbal: „Mögen dir all deine Stärken bewusst sein, möge es dir möglich sein sie zu leben und, wenn du das willst, sie nach außen sichtbar zu machen.“ In vielen Augen glitzert die Zugewandtheit. Dieser Workshop legt mir einen ersten inhaltlichen Zugang zum Thema der All-Verbundenheit. Die Fronleichnamsprozession, von der Kirche um den See und zurück zur Kirche, begrüßt den offiziellen Eröffnungstag. Die Musikkapelle zieht in den Schlosshof ein. Obwohl Blasmusik kein Genre ist, zu dem ich mich im Alltag hingezogen fühle, rührt mich diese im Goldegger Ambiente tief an. Ich spüre die Trommelschläge im Brustkorb und die Bläser in jeder Pore. Diese Art von Musik transportiert live eine große Kraft, ihr entspringt eine starke Verbundenheit, eine örtliche und zwischenmenschliche. Als ich mich umsehe, erkenne ich, dass es nicht nur mir so ergeht. Ich kann

Mit dem Auszug der Musikkapelle steigen die Besucher*­ innen in den dritten Stock hinauf, um in der für den Live-Stream verkabelten und dennoch atmosphärischen Dachhalle des Schlosses den Begrüßungsreden zu lauschen. Im wilden Ritt wirft sodann der Eröffnungsvortragende Andreas Weber philosophische und sehr persönliche Gedankenbilder durch den Vortragsraum. Ein Dialog-Start in hohem Tempo, welchen an die 250 Personen mit viel Applaus annehmen. Die Folgetage sind gefüllt mit Vorträgen und vertiefenden Workshops. Wie Wunderkerzen sprühen und knistern die Programmpunkte.*** Einen klitzekleinen Bruch in den harmonisch entspannten Flow setzt Christian Felber. Er schließt seinen Vortrag – „Die innere Stimme und das große Ganze“ – mit einer Kritik an der miserablen Dialog- und Diskurswilligkeit des bisherigen Pandemiemanagements und einem Aufruf zum verbindenden Gespräch. Es fühlt sich an, wie wenn alle kurz den Atem anhalten. Doch Christian Felbers achtsame, wertschätzende Sprache ermöglicht es, dass rasch der kollektive Seufzer der Erleichterung den

Raum durchzieht. Einige wundern sich über diesen Ausflug in die Kritik, andere bewundern seinen Mut, wieder andere finden es verwunderlich, dass es zurzeit Mut braucht, um zum Dialog einzuladen. Vor dem letzten Programmpunkt der Dialoge erklingt „der Alperer“ als Dankeschön. Wie schon an anderen Tagen vor Vorträgen leitet Heidi Clementi die Besucher*innen an, im mehrstimmigen Singen ein Fundament des Miteinanders zu legen. Es folgt ein fulminanter Abschlussvortrag – „Die Weltbeziehung zu ändern ist die tiefste Revolution“ –, gehalten vom Soziologen und Schnellsprech-Weltmeister Hartmut Rosa: „Ich soll langsam reden, jetzt fällt es mir wieder ein!“ Er startet sein Referat mit dem Begriff des „Ursprungsfunken“, der uns wahrnehmen lässt: „Da ist was, ich weiß nicht genau, was es ist, doch ich nehme wahr, da ist was.“ Er beantwortet die Frage „Wie sind wir auf die Welt bezogen?“ mit: 1. durch Atmen, 2. Essen & Trinken, 3. Blick & Stimme. In der Häufung diverser Atemwegserkrankungen und Essstörungen ließe sich der Rückschluss auf eine Störung der Weltbeziehung ableiten, so Hartmut Rosa. Aus der Resonanzbeziehung – mit fokussierter Aufmerksamkeit in Verbindung treten mit etwas, mit jemandem – entsteht eine neue Mitte, die nicht aus einer Quelle entspringt, sondern aus und zwischen allen. Von ebendiesem SchlussFeuerwerk schafft es in meinen randvollen Rucksack an Eindrücken und Denkanregungen noch ein wundervoller Hinweis: „Aufhören heißt nicht nur „Stopp“,

sondern auch nach oben hören, auf sich hören, auf etwas hören.“

in vielen Gesichtern eine Weichheit entdecken, die von Berührtheit erzählt. Ich atme

Petra Schwiglhofer Autorin, Schreibpädagogin und TAU Redakteurin. www.petraschwiglhofer.at www.schreibenundwandern.at

*** Wir schenken allen TAU Abonennt*innen den Online-Zugang zu den Goldegger Dialogen! Die Dialoge sind für TAU bis Mitte Jänner 2023 online!

Interesse? welcome@tau-magazin.net

41. Goldegger Dialoge: 7. – 10. Juni 2023 SELBSTWIRKSAMKEIT – Motor des Wandels

tief ein und speichere diesen Magic Moment.

Heft21 2022

Heft21 2022

partner*innen-seite 63


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.