Pfingstgeflüster - das Wave Gotik Treffen 2016

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Wave-Gotik-Treffen 2016


Im Folgenden ein kleiner Auszug aus dem Pfingstgeflüster 2016. Erscheinungstermin: 08.07.2016 Format: DIN A4 Umfang: 92 Seiten Preis: 8,90 Euro ISBN: 978-3-943412-76-5 www.shop.t-arts.de


Pfingstgeflüster

Nostalgietourette von Thomas Manegold

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Zur Entstehung der Gestus-Plakate von Gerd Lehmann

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I Ging von Peer Lebrecht

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Der Leipzscher und seine Gotticks von Peter Matzke

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Großer böser Wolf von Guldhan

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Defibrillator im Sargrucksack von Christian von Aster

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Inhaltsverzeichnis

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Der Fluch des Pharao von Guldhan

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Klassenfahrtstimmung und WGT-Momente von Niha-Céta und Sad

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Filigrane Vielschichtigkeit von Edith Oxenbauer

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Die sternenferne Welt von Sascha Blach

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Wenn Musik die Gefühle zum Tanz bittet von Ines Kranert und Robert Forst

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Von Totenkronen, Wiedergängern und dem Leichenfett von Dr. Anja Kretschmer

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Stadt der Erinnerungen von Nigel & Klive Humberstone

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Treffenimpressionen von Daniela Vorndran, Michael Küper und Marcus Rietzsch

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Mein Leben im Krematorium von Juliane Uhl

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Die Rückkehr einer Legende von Alexander Nym

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Grenzgänger von Edith Oxenbauer und Marcus Rietzsch

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Die werden niemals wissen, wie es damals war! von Sabrina Forst

Wave-Gotik-Treffen 2016


Pfingstgeflüster

Belantis

Der Fluch des Pharao von Guldhan tanktop.opus-mentis.de

Foto: Michael Küper

Auf der Fahrt zum Ort des Geschehens wären wir als die typische Kleinfamilie durchgegangen. Ich, der Jüngste, saß hinten. Und versuchte dem Drang zu widerstehen, gegen die Sitze zu treten und in bewährter Monotonie: „Wann sind wir endlich da“, zu quängeln. Es soll hierbei nicht unerwähnt bleiben, daß mir dieses nur bedingt gelang. Weswegen ich versuchte, das unruhige Zucken der Füße mittels diverser Gedankenspiele unter Kontrolle zu halten. Unter anderem mit der Frage, wann, und vor allem warum ich zum letzten Mal einen solchen Ort aufgesucht hatte. Wohlgemerkt: freiwillig. Zugegeben, das Warum war schnell gefunden. Denn, so schlußfolgere ich, gibt 4

es nur drei Gründe, warum sich der Mensch den Gang zu einem solchen Schauplatz antut. Erster Grund: Man sucht Anschluß. Will Menschen kennenlernen. Oder fern jeglichen romantischen Euphemismus gesprochen: Man sucht Sex. Beziehungsweise will das Weibchen an seiner Seite becircen. Was im Grunde dergleichen Motivation unterliegt. Oder man sucht einfach nur Ärger. Welches zwar keinen ergiebigen, jedoch allzu menschlichen Grund Nummer Zwei darstellt. Oder man erwartet einfach nur Spaß. Gänzlich unvoreingenommen. Vielleicht ein wenig naiv, aber dennoch die harmloseste Motivation; und damit der nette dritte Grund. Und wahrscheinlich zudem der erfolgreichste. Wave-Gotik-Treffen 2016


Pfingstgeflüster

Die Besucher

Wenn Musik die Gefühle zum Tanz bittet von Ines Kranert und Robert Forst www.spontis.de

Fotos: Marcus Rietzsch

Unsere „Hauptakteure“ Kornelia und Daniel (oben) Philia und Charlie (unten) Johannes und Hannah (nächste Seite)

Fotografen Michael Küper | www.ganz-in-schwarz.de Marcus Rietzsch | www.mr-bilderwelten.de Jana Nowak | www.jananowakphotography.de 16

Da steht er nun auf dem Schulhof. Gerade hat es zur großen Pause geschellt. Es sind etwa 50 Meter vom Ausgang des Schulgebäudes bis zu den Treppenstufen vor der Aula. Auf den Stufen stehen die Leute in Schwarz, die Coolen, die mit den Cure- und SistersShirts, den spitzen Schuhen, den auftoupierten Haaren und den geschminkten Augen. Ihr müßt wissen, die Stufen vor den stets verschlossenen Türen der Aula sind die Empore der Coolness und der Thron der Außenseiter. Niemand sonst will in der dunklen und hintersten Ecke des Schulhofs stehen, in der es immer ein bißchen kühler und ein bißchen modriger ist als auf dem Rest des großen Platzes. Er aber will. Unbedingt. Auch wenn er keine Ambitionen auf die obersten StuWave-Gotik-Treffen 2016


Pfingstgeflüster

Friedhofsgeflüster

Von Totenkronen, Wiedergängern und dem Leichenfett von Dr. Anja Kretschmer www.anja-kretschmer.de

Foto: PiCCart (www.instagram.com/piccart_photography)

Von den hochgewachsenen Bäumen des Südfriedhofes erklingt am Freitagabend, dem 13. das Gurren einer Taube. Erschrocken dreht sich eine schwarz gekleidete Dame mit Hut um. „Das ist ein Zeichen“, wispert sie mit weit aufgerissenen Augen. Die zahlreichen Besucher, die sich an diesem sagenumwobenen Abend auf dem Begräbnisplatz eingefunden haben, blicken erstaunt zu ihr hinüber und lauschen gebannt ihren näheren Ausführungen. „Was kaum jemand in der heutigen Zeit weiß, ist daß die Taube ein Todesvogel ist. Wenn ihr Ruf erklingt, der sich wie ‚Tutenfru‘ also Totenfrau anhört, dann ist das ein Zeichen dafür, daß nun bald jemand aus der 33

Familie stirbt.“ Die Zuhörer können sich ein Lächeln nicht verkneifen, doch die hochgeschlossene Dame im historischen Gewand beharrt auf die Wahrheit ihrer Aussagen und bekräftigt diese mit überlieferten Geschichten aus den vergangenen Jahrhunderten. Bei der Frau handelt es sich um die geheimnisvolle „Schwarze Witwe“, welche die Besucher des „Friedhofsgeflüsters I“ über die Grabstätten führt. Sie stammt, wie sie selbst sagt, aus dem Jahre 1898 und berichtet vom „plötzlichen“ Ableben ihres Mannes und wie sie ihn damals bestattet hat, was es zu ihrer Zeit für Bräuche gab und welcher Aberglauben sich daraus entwickelt hat. Wave-Gotik-Treffen 2016


Pfingstgeflüster

Gestus

Zur Entstehung der Gestus-Plakate von Gerd Lehmann

Fotos: Gerd Lehmann

Damals – im vorigen Jahrtausend – vor fast zwei Jahrzehnten, als Michael Brunner – der Begründer des Wave-Gotik-Treffens – im Herbst 1998 ganz aufgeregt zu mir kam und mich bat, ein werbewirksames Kalenderblatt im Wonnemond-Monat meines „GESTUS“Mondkalenders für 1999 zu kreieren. „Stell dir vor“, so sagte Micha zu mir, „da bewerben andere Leute ein ‚Gegentreffen‘ zu Pfingsten…“ Von Freunden, die aufopferungsvoll an der Organisation des Treffens mitwirkten, kam mir hin und wieder Kritik zu Ohren, daß Micha öfter mal Erschaffenes kurzfristig und terminknapp wieder völlig ändern oder ergänzen ließ, so daß das Kollektiv der Mitarbeiter 38

aufstöhnte. Auch in finanzieller Hinsicht ergaben sich Diskrepanzen, daß man Michael Brunner später einen „Wirtschaftspunk“ nannte. Also kamen die Gegenstrategen aus den eigenen Reihen – sie wollten das Treffen eben anders bzw. besser machen. Aber ich selbst, als Kreativer, konnte solche Momente, etwas Geschaffenes zu verändern, zu verbessern oder neu zu machen und dabei weniger aufs Geld zu achten, nachvollziehen. Na, und das mir inzwischen ans Herz gewachsene WGT zu „sabotieren“, das ging gar nicht, so dachte ich mir, und legte los; mit einer Klebemontage wollte ich ein kleines sympathisches WGT-Erlebnis schaffen. Fotos vergrößern, verkleinern, mit der Schere ausWave-Gotik-Treffen 2016


Pfingstgeflüster

Golden Apes

I Ging von Peer Lebrecht www.goldenapes.com

Foto: Daniela Vorndran

Glaube ich an eine Kontinuität der Geschichte? Vertraue ich ihr? Ich glaube schon und es war gut, daß ich es getan habe.

nur der eigenen, achsenunveränderlichen. Rauschen und Formen, Wellen und Farben, Time Lapse und Leviathan...

Vor einigen Tagen war da noch diese brennende Ungewißheit, wie es wohl werden wird, alle guten Dinge beim WGT zu vervollständigen, unter die Frage nach dem Befinden den Strich zu machen und zu wissen, in welchem Verhältnis sich Freude und Nervosität, Zufall und Bestimmung, Unvorhersehbares und Erhofftes gegenübertreten, so wie jedes Mal bis dato. Zuverlässige Dualität, Janus und die Ausgießung einer Taube... Und so viele Flügelschläge und so viele Erinnerungen, festgetäut an der Takelage der Geschichte, wenn auch

I Ging – der erste Morgen...

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Fast elf Jahre ist es nun her, daß wir unser WGT-Debüt geben durften und auch wenn es in der Natur der Zeit liegt, daß sie immer schneller wird, tiefer und trüber, so gibt es immer noch Momente jenes 15. Mai 2005, die so klar scheinen, so unverzerrt und patinalos, als wäre es keine zwei Tage her. Jenes Gefühl von Sand im Hals als Alice die leere, Wave-Gotik-Treffen 2016


Pfingstgeflüster

Sprachevolution

Der Leipzscher und seine Gotticks von Peter Matzke

Foto: Marcus Rietzsch

Daß vom Wave-Gotik-Treffen ein deutlich anderer Umgang mit der deutschen Sprache gepflegt wird, als das in der Landschaft der einschlägigen Festivals üblich ist, dürfte jedem Gast sofort ins Auge fallen. Hier gibt es statt eines Billings die „Künstler zum Treffen“, eine Programmabfolge statt der üblichen Running Order, Veranstaltungsstätten statt Locations. Für die „Obsession Bizarr Nacht“ ist kein Dresscode vorgeschrieben, sondern ein strikter Gewandungskodex. Man kann weiter in das Programmbuch, den Pfingst-Boten, schauen und wird bei den Beschreibungen der Bands beispielsweise den an solchen Stellen sonst allgegenwärtigen Terminus „Sound“ nicht finden. Einfach, weil er durch das deutsche Wort „Klang“ in voller Wortbe47

deutung inhaltlich wiedergegeben werden kann. Das hat nun, jeder weiß es, nichts mit rückwärtsgewandter Deutschtümelei zu tun: Dem Treffen seine warmherzige, tolerante Weltoffenheit abzuschreiben, haben auch die heftigsten Kritiker noch nicht gewagt. Wohl aber hängt es mit dem Bemühen zusammen, sich dem albernen Trend zu einem gleichmacherischen Denglisch entgegenzustellen, der etwa Menschen, die mit der Regionalbahn fahren, statt einer Auskunft nun einen Service Point vorsetzt, und sich dabei wunderbar weltläufig wähnt. Das Treffen war von Beginn an anders. Es hieß vom ersten Mal an, als es im Jugendklub Eiskeller mit zwei Abenden mit je vier Bands (beziehungsweise drei am Wave-Gotik-Treffen 2016


Pfingstgeflüster

Realusion

Großer böser Wolf von Guldhan Werke von Daniela Hellerforth www.realusion.de

Werk: Daniela Hellerforth

Wer hat Angst vorm schwarzen Wolf? Diese Frage drängt sich einem förmlich auf. Was womöglich an der optischen Dominanz jenes Bildes gelegen hatte. Und der Grund gewesen war, weshalb es mich schlagartig in seinen Bann zog. Nicht nur, daß dieses Werk derart viel Raum für sich beanspruchte, wie es sonst nur von Plastiken gewohnt gewesen war. Und es sich schon deswegen unmittelbar in die Wahrnehmung drängte. Es war ebenso schlichtweg das Wesen des Wolfes gewesen, das mich fesselte. Von der Künstlerin als friedliches Tier beschrieben, das durch den Menschen in die Aggression getrieben wird, zeigt dieses Bild allerdings eine andere Seite jener 50

Kreatur. Nämlich jene, die das Letzte sein wird, was deren Opfer zu sehen bekommen werden. Oder besser gesagt: deren Gegner. Doch wer hierbei die simple Darstellung eines kaltblütigen Raubtieres vermutet, dessen Überlegungen bewegen sich zu sehr in den Gefilden der Oberflächlichkeit. Schließlich sollte es nicht die Absicht der Künstlerin gewesen sein, nach aller Märchen Sitte den Kinderschreck zu symbolisieren. Sondern metaphorisch einen tieferschürfenden Aspekt der menschlichen Psyche zu verdeutlichen. Nämlich die Angst des Menschen vor der vermeintlichen Bestie. Und damit das typisch menschliche Treiben in all seiner Unvernunft. Wave-Gotik-Treffen 2016


Pfingstgeflüster

In The Nursery

Stadt der Erinnerungen von Nigel & Klive Humberstone www.inthenursery.com

Foto: Michael Küper

Zur Stadt Leipzig haben wir eine außergewöhnlich intensive Beziehung. 1987 gaben wir unser erstes Konzert in Europa. Es folgten regelmäßige Tourneen durch Deutschland, wo unsere bis zum heutigen Tag größte Fangemeinde entstand. Leipzig muß wohl die Stadt sein, die wir am häufigsten besucht und in der wir die meisten Konzerte gespielt haben (knapp gefolgt von Mexico City auf Platz 2). Als unabhängige Künstler gestalteten sich unsere Tourneen recht übersichtlich, aber als Teil unserer sporadischen Reisen und einmaligen Streifzüge durch Europa darf das Wave-Gotik-Treffen als eine zentrale jährliche Veranstaltung bezeichnet werden – unabhängig davon, 57

ob wir als auftretende Künstler oder „nur“ als Besucher zum Pfingsttreffen in die WGT-Stadt kommen. Unser Weg führte uns 1993 erstmalig in die Messestadt. Zu einer Zeit, als das WGT noch in den Kinderschuhen steckte, fand das erste Konzert von In The Nursery in Leipzig statt. Im folgenden Jahr feierten wir an selbigem Ort, dem Werk 2, unsere WGT-Premiere. Gemeinsam mit 17 anderen Bands waren wir Teil des offiziellen Programms eines der ersten Wave-Gotik-Treffen. Die Erinnerungen an jene Tage sind schön, aber verschwommen: die überaus lange Fahrt, die Schlaglöcher der Autobahn, die Katzenkopf-gepflasterten Straßen der Stadt, die vernachlässigten, heruntergekommenen Wave-Gotik-Treffen 2016


Pfingstgeflüster

Treffenimpressionen

Fotografen Daniela Vorndran | www.black-cat-net.de Michael Küper | www.ganz-in-schwarz.de Marcus Rietzsch | www.mr-bilderwelten.de

Foto: Daniela Vorndran

Peter Murphy 13-05, Agra

Foto: Daniela Vorndran

Publikum 15-05, Kohlrabizirkus 60

Wave-Gotik-Treffen 2016


Pfingstgeflüster

Leipzig in Schwarz

Die werden niemals wissen, wie es damals war! von Sabrina Forst www.spontis.de

Foto: Marcus Rietzsch

Es ist schon viel geschrieben worden zur Ausstellung „Leipzig in Schwarz“, die sich im Stadtgeschichtlichen Museum mit der Schwarzen Szene und der Geschichte des WGT befaßte. Es gab Interviews, Infos, Analysen, Kritik und Lob. Hier nun ein ganz persönlicher Bericht über die Begegnung mit der Vergangenheit und den Kloß im Hals beim Blick in die Vitrinen. Ich betrete die Ausstellung „Leipzig in Schwarz“ und lasse den ersten Eindruck wirken. Klischee olé! Grabsteine, rote Rosen, Grablichter, Urnen, Totenköpfe aus Plastik, ein Engel aus Stein, Kreuze, ein Skelett im halbgeöffneten Sarg. Darüber prangt in weißer Schrift auf schwarzem Grund die Frage „Fressen die auch Katzen?“ Hier bin ich richtig! Ich lese an der Wand:

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Gothics verbindet eine Lebenseinstellung: Trauer über gesellschaftliche Kälte, Verfall und Unmenschlichkeit, gegen die man als einzelner machtlos ist. Dazu kommt Faszination für Tod und Schmerz, auch in Ereignissen früherer Epochen. In der Farbe Schwarz drückt sich dieses Gefühl aus. Ist das so? Ich denke zurück an einen Diskobesuch 1987: Ich sitze auf der Treppe in einer alten Fabrikhalle und starre auf die Tanzfläche. Ich bin 16. Durch meine Adern fließt der saure Regen, der die Wälder sterben läßt, in meinem Kopf explodiert das Atomkraftwerk in Tschernobyl – immer wieder. Ich habe Angst, daß die Menschheit die Erde zerstört und die Natur zu einer giftigen Einöde wird. Ein Knopfdruck im kalten Krieg genügt: Radioaktivität, Krankheit, Tod! Aus den Boxen schreit Johnny Rotten „God Save the Queen“. Robert Wave-Gotik-Treffen 2016


www.pfingstgefluester.de


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