Pfingstgeflüster - das Wave Gotik Treffen 2017

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Wave-Gotik-Treffen 2016


Im Folgenden ein kleiner Auszug aus dem Pfingstgeflüster 2017. Erscheinungstermin: 28.07.2017 Format: DIN A4 Umfang: 92 Seiten Preis: 8,90 Euro ISBN: 978-3-943412-81-9 www.shop.t-arts.de


Pfingstgeflüster

Maskenball ohne Verkleidung von Ines Kranert und Robert Forst

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Künstlerleben von Norman Liebold

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Mein Wave-Gotik-Treffen von Suzi Sabotage

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Das Träumen wieder lernen: Steampunk beim WGT von Katja Angenent

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Herbst sein IV (2012) von Klaus Märkert

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Schädelkulte der Welt von Jörg Scheidt

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Warum ist nicht jeden Tag WGT? von Markus Nikolaus Büttner

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Auf der Suche nach dem Geist der Bewegung von Peter Matzke

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Vom nachhaltigen Entladen positiver Energien von Christian von Aster

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Interpretationen II: Bilder, die von Wunden zeugen von Guldhan

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Einmal Europa und zurück von Tobias Grave

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Inhaltsverzeichnis

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Nekrolog von Marcus Rietzsch

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Weder Tag noch Nacht von Mike Reichel

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Durst nach Blut von Katharina und Parm v. Oheimb

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Teufeswerk „Kunst“ von Sabrina Forst

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Zur Geschichte des Westflügels von Matthias Schiffner

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Heimathiebe von Thomas Manegold

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Vermißter Traum von Oswald Henke

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Mittagstraum von Edith Oxenbauer

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Cure My Pain von Thomas Manegold

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Interpretationen I: Hinter Masken von Guldhan

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Treffenimpressionen von Claudia Schmid, Daniela Vorndran, Michael Küper und Marcus Rietzsch

Wave-Gotik-Treffen 2017


Pfingstgeflüster

Aus dem Schattenreich der Natur

WGT-Vortragsbeitrag: Durst nach Blut von Katharina und Parm v. Oheimb www.schemenkabinett.de

Bild: Voyage dans l‘Amérique méridionale, Alcide d‘Orbigny, 1835

Zusammen mit dem Leipziger Naturkundemuseum organisierte das Schemenkabinett zum 26. Wave-GotikTreffen die Veranstaltung „Aus dem Schattenreich der Natur“. Fünf Vorträge beleuchteten geheimnisvolle Todesboten, anatomische Präparate, fleischfressende Kannenpflanzen, verwesende Kadaver und tierische Bluttrinker. Dieser Text ist ein modifizierter Auszug aus Katharina v. Oheimbs Vortrag „Blutdurst – Vampire aus dem Tierreich“. Blut bedeutet Leben. Als Embryo und Fötus ist der Mensch über Nabelschnur und Plazenta mit der Mutter verbunden. Ihr Blut versorgt ihn mit Sauerstoff und Nahrung. Nur so kann er überleben; wächst und ge8

deiht. Wenn ein Körper stark blutet, schwinden auch seine Lebenskräfte. Zu wenig Blut bedeutet den sicheren Tod. Menschen sind von dem roten Lebenssaft seit jeher fasziniert und die Angst davor, daß jemand einem das Blut entzieht, sitzt tief. Phantastische Kreaturen, die Blut trinken, tauchen in verschiedensten Kulturen und Epochen auf. Der moderne Vampir ist ein lebender Toter, der nachts unterwegs ist und Blut trinken muß, um seine untote Existenz zu bewahren. Seine spitzen Zähne erlauben es ihm, die Haut seiner Opfer zu durchbohren. Viele Bluttrinker aus Mythen und Erzählungen sind Tiere oder tierähnliche Wesen. So zum Beispiel die der mesopotamischen Mythologie entstammende Lamaštu, eine Dämonin in Tiergestalt, die kleine KinWave-Gotik-Treffen 2017


Pfingstgeflüster

Lindenfels Westflügel

Foto: Marcus Rietzsch

Foto: Westflügel Leipzig

Foto: Marcus Rietzsch

Zur Geschichte des Westflügels von Matthias Schiffner www.westfluegel.de

„Herbei, herbei! Herein, herein! Ihr schlotternden Lemuren, Aus Bändern, Sehnen und Gebein Geflickte Halbnaturen!“ Mit diesen Zeilen rief Teufel Mephistopheles die bleichen Totengeister herbei, auf daß sie nach eigenem Maß Fausts Grab ausheben mögen. An Lemuren, Schattengeister bereits Verstorbener, erinnerten den Figurenbauer und -spieler Michael Vogel die grauen Gestalten, die ihm bei seinem ersten Besuch in Leipzigs Westen zwischen all den Häuserruinen und verwilderten Brachen entgegenzukommen schienen.

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Charlotte Wilde, Musikerin und Partnerin an seiner Seite, mag dieses Bild gar nicht. Was nur zu verständlich ist. Und doch war es der erste Eindruck dieses Stadtteils, der den Besuch aus dem gutbürgerlichen Stuttgart, Hauptstadt des reichen Baden-Württemberg, an der Armutshauptstadt Deutschlands zu Anfang der Nullerjahre so faszinieren und befremden gleichzeitig mochte. Schließlich nächtigten sie anläßlich ihres ersten Leipziger Gastspiels, damals am TdJW-Zelt auf dem Jahrtausendfeld, in einer Gästewohnung auf der Karl-HeineStraße, schräg gegenüber der Schaubühne Lindenfels. Dort sahen sie mitten hinein in die unsanierte HähnelWave-Gotik-Treffen 2017


Pfingstgeflüster

Die Besucher

Maskenball ohne Verkleidung von Ines Kranert und Robert Forst www.spontis.de

Fotos: Marcus Rietzsch

Mone von Rabenhorst (oben) Jacky (unten) Gwydion (rechts) Babsi (nächste Seite, links) Carsten (nächste Seite, oben) Jana (nächste Seite, unten)

Fotografen Michael Küper | www.ganz-in-schwarz.de Marcus Rietzsch | www.mr-bilderwelten.de

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Majestätisch zieht der schwarze Rabe seine Kreise über den Dächern der Leipziger Südvorstadt, bevor er seine Flugbahn nach Süden ändert. In einem Bogen überfliegt er das Völkerschlachtdenkmal und den Südfriedhof, um dann von Connewitz, der Tram-Linie 11 folgend, in Richtung AGRA weiterzugleiten. Das grüne Schild des ehemaligen Messeparks, auf dem er letztendlich landet, ist der einzige Farbklecks an diesem sonnigen Nachmittag, denn unter ihm schiebt sich ein Strom dunkel gekleideter Gestalten auf das Veranstaltungsgelände. Ihre Gesichter sind weiß geschminkt, wirken nachdenklich, manchmal traurig oder melancholisch und ihre Blicke sind zum Boden gesenkt.

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Schädelkult

WGT-Vortragsbeitrag: Schädelkulte der Welt von Jörg Scheidt

Foto: Marcus Rietzsch

Beispiel für Schädelkulte in heutiger Zeit „Opfergabe“ in Form von Münzen im Beinhaus von Kutná Hora Die Sonderbehandlung von Schädeln kann als eines der ältesten und kontinuierlichsten religiösen Zeugnisse gelten. Bis in unsere heutige Zeit werden Formen von Schädel- und Kopfkulten praktiziert. Üblicherweise verbinden wir mit dieser rituellen Verehrung archaische oder „primitive“ Kulturen. Dies ist jedoch ein Trugschluß. Sowohl im Christentum als auch im Buddhismus oder Hinduismus finden sich vielfältige Formen von Schädelkulten. Dieser Artikel soll dieses Phänomen etwas näher beleuchten. 44

Prähistorische und historische Schädelkulte Der möglicherweise früheste Beleg für eine besondere Bedeutung des Schädels tritt schon vor ca. 60 000 Jahren auf. Dabei handelt es sich um die Bestattung eines Neandertalers in der Höhle von Kebara in Palästina, bei der, abgesehen von einem Backenzahn des Oberkiefers, das komplette Kranium (Schädel ohne Unterkiefer) fehlte. Jedoch waren der Unterkiefer und sogar das Zungenbein an der anatomisch korrekten Position im Grab vorhanden. Ob es sich dabei wirklich um eine rituelle Sonderbehandlung eines Schädels handelte ist derzeit noch unklar, jedoch sind isolierte Schädelfunde bei Neandertalern keine Seltenheit. Wave-Gotik-Treffen 2017


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Die Peterskirche

Mittagstraum von Edith Oxenbauer

Fotos: Marcus Rietzsch

In der Mittagssonne sah ich ihn auf einer Bank vor der Leipziger Peterskirche sitzen. Die Luft flirrte in der Hitze. In ein altertümliches Kirchengewand gehüllt wirkte er wie aus der Zeit gefallen. Der ältere Herr, dessen schwarzes Haar an manchen Stellen ergraut war, erschien seltsam blaß. Ich hatte gar den Eindruck, die Zweige des Buschwerks hinter seinem Körper schwach erkennen zu können. Mehr um meine eigenen Sinne zu überprüfen als aus wirklicher Neugier, näherte ich mich der „Erscheinung“. An den Herrn herangetreten erkundigte ich mich nach seinem Befinden. Er blickte verwundert auf und sprach: „Ich fühle mich etwas flau im Magen. Und aus mir unerfindlichen Gründen kann ich mich nicht erinnern, wie ich an diesen mir vollkom50

men fremden Ort gelangt bin... Aber entschuldigt, verehrte Dame, wo sind meine Manieren geblieben?“ Der Unbekannte erhob sich. „Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Thaddäus von Lipsia. Ich bin Pastor der St. Petrikirche.“ Verwundert schüttelte ich den Kopf. „Pastor? Aber die Peterskirche ist doch eine protestantische Kirche.“ „Verehrte Dame, Ihr beliebt zu scherzen. Meinen Sie etwa, daß meine Kirche von diesem Ketzer Luther übernommen worden wäre? Meine 1507 geweihte und als einschiffiges spätgotisches Gebäude neu errichtete Kirche nahe dem Peterstor an der Stadtmauer ist mitnichten eine protestantische Kirche, sie gehört dem einzig wahren Glauben der römisch-katholischen Kirche an.“ Wave-Gotik-Treffen 2017


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Gespräche mit Goth

Lesungsbeitrag: Cure my pain von Thomas Manegold www.manegold.de

Foto: Michael Küper

Oh ja, da war es wieder. Bamm! Es schlug zu, ich war verloren. Dieser Schmerz erschütterte mich bis ins Mark. Und dabei sollte es doch so ein cooler Abend werden. Angst kroch in mir hoch. Angst, zu versagen, es zu vergeigen. Die Menschen zu vergraulen, die mir doch so viel bedeuteten. Nur, daß ich es ihnen nicht zeigen konnte. Schon am Einlaß haben sie so komisch geschaut. Kein Wunder, denn da tapste ein Häufchen Elend an ihnen vorbei, sagte kein Wort, schlich sich am Tresen vorbei und kraxelte auf diese Bühne. Sie war ehrfurchtsgebietend. Schließlich spielten auf 54

diesem Altar des Wahnsinns unsere Helden. Wie viele Weltuntergänge haben auf ihr stattgefunden? Wie viele Wiederauferstehungen geprügelter Seelen hatte sie schon erlebt, diese riesige Bühne… Im Gegensatz zu den meisten Clubs war dieser DJPlatz ein Präsentierteller. Kein kleines Kabuff am Rande der Szenerie, kein Balkon hoch über den Feiernden. Erklomm man diese Bretter, dann bedeuteten sie wirklich für eine Nacht die Welt. Für den DJ, für die Feiernden… Als ich sie das erste Mal betrat, war ich jung, mir ging der Arsch auf Grundeis. Alle starrten mich an, als ich mein Set begann. Selbst der Lichtmensch war aufgeregter als sonst. Ich hatte zuvor alle Kannen Wave-Gotik-Treffen 2017


Pfingstgeflüster

Treffenimpressionen

Fotografen Claudia Schmid | www.pro-artig.de Daniela Vorndran | www.black-cat-net.de Michael Küper | www.ganz-in-schwarz.de Marcus Rietzsch | www.mr-bilderwelten.de

Foto: Daniela Vorndran

Revolting Cocks 04-06, Stadtbad

Foto: Michael Küper

BFG 02-06, Felsenkeller 60

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Betrachtung

Das WGT in seinem zweiten Vierteljahrhundert: Auf der Suche nach dem Geist der Bewegung von Peter Matzke

Bild: Marcus Rietzsch

Das WGT hat im vergangenen Jahr sein 25. gefeiert. Eine stolze Zahl für eine Bewegung, der seinerzeit eine Halbwertszeit noch lange vor dem Ende des letzten Jahrzehnts des letzten Jahrtausends prophezeit wurde. Inzwischen gilt für Goth längst der trutzige Ausspruch einer längst vergessenen Polit-Pop-Band einer fast vergessenen Republik: „Da sind wir aber immer noch!“ Das jüngste WGT stellte jedenfalls einmal mehr die alte Plattitüde unter Beweis, der zufolge Totgesagte länger leben.

sich da schwarz gewandet und schwer herausgeputzt amüsiert, ist das noch Todeskunst? Muß vielleicht eine Bewegung, die sich offenkundig verstetigt hat und irgendwie (ohne eigenes Zutun) im gesamtbürgerlichen Konsens einer Gesellschaft angekommen ist, diese Akzeptanz nicht zwangsläufig mit dem Verzicht auf ihre eigentlichen Werte, ihre Identität bezahlen? Was haben Millionenverkäufe von HIM oder Unheilig mit den Inhalten derer zu tun, die 1992 ein Treffen Gleichgesinnter ins Leben riefen?

Doch Gothic ist heute irgendwie anders, meinen altgediente Szenegänger, es ist nicht mehr die Bewegung von „Gottes Tod“. Sind das eigentlich noch wir, was

Eigentlich galt immer: In der Zivil-Gesellschaft rufen alternative Denk- und Lebensmodelle, noch dazu, wenn durch einen erkennbaren Bekleidungsstil doku-

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Pfingstgeflüster

Skullpell Artwork

Interpretationen II: Bilder, die von Wunden zeugen von Guldhan Bilder von Steve Bauer www.stevebauerart.com www.skullpellartwork.com

Bild: Steve Bauer

Ich war noch nie Freund von sterilen Ausstellungshallen gewesen. Oder besser gesagt, von Prunk und Protz. Besonders bezogen auf die Kunst. Wenn sich Museen in barocken architektonischen Glanz einmieten. Und besonders, wenn es Galerien diesen gleichtun. Wenn extra Gebäude aufpoliert oder gar hochgezogen werden. Nur, um für sich und den geneigten Betrachter zu symbolisieren, daß die Vernissage in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. Und man sich innerhalb dieser Räume unweigerlich fragen muß, was 83

von beiden nun mehr um den künstlerischen Mehrwert buhlt: die ausgestellte Kunst oder die Kulisse. Mag sein, daß dieses jenseits meines subjektiven Verständnisses von Vernissagen angebracht ist. Daß gewisse althergebrachte Sphären der Kunst auch ein gewisses Publikum anziehen, die ein nobles Ambiente voraussetzen, um sich überhaupt mit dem Kunstgedanken beschäftigen zu wollen. Für mich raubt dieses der Kunst jegliche Seele. Täuscht trügerisch deren maWave-Gotik-Treffen 2017


Pfingstgeflüster

Soft Kill

Einmal Europa und zurück von Tobias Grave www.facebook.com/softkillportland anopendoor.bandcamp.com

Foto: Michael Küper

Einst spielten wir dieses furchtbare Konzert in einem Keller in Kansas City, dessen Eigentümer von seiner selbstgebauten Theke aus Sperrholz beeindruckter war als von den auftretenden Bands und er bedrohte jedermann nachdrücklich, sollte man seinen Hund nochmals vom Hof lassen. Für 23 Dollar mieteten wir uns damals in irgendein verlaustes Motel aus Pappwänden ein, wo plötzlich die Idee entstand, in Europa auf Tournee zu gehen. Die Aussicht auf eine bessere Behandlung als Musiker erschien mehr als verlockend. Nun nahm ich aber schon viel zu viele Jahre Drogen, die mich viel zu oft dem Tod oder einer langen Freiheitsstrafe nahebrachten, so daß ich einen Besuch Eu88

ropas komplett aufgegeben hatte. Als ich aus meinem pathetischen Drogenleib wie ein nacktes erschrockenes Kind in die Wildnis getrieben wurde, verstärkten sich die Aktivitäten von „Soft Kill“ und aus Europa kamen wieder Angebote. Die Aussicht, als amerikanische Band in Europa aufzutreten, ist unvergleichlich. Doch irgendwie hatte ich mein Gehirn schon so stark mit Crystal Meth fritiert, daß ich tödliche Angst vor dem Fliegen hatte. Meine Frau, meine Mutter und mein neugeborener Sohn eskortierten mich zum ersten Flug seit langer Zeit. Vierzehn Stunden später war ich gemeinsam mit meinen Bandkollegen Conrad und Owen in Manchester (England), vierundzwanzig Tage später in Leipzig. Wave-Gotik-Treffen 2017


www.pfingstgefluester.de


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