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syndicom | Nr. 2 | 10. März 2017 Mitgliederporträt
«Ein bisschen abgründig darfs schon sein» In Oerlikon ist die Buchhandlung Nievergelt ein Begriff. Die Firmengeschichte reicht zurück bis 1888. 2015 verkaufte die Besitzerfamilie die Liegenschaft beim Marktplatz, heute führt eine GmbH das Traditionsgeschäft weiter. Die Geschäftsführerin, drei Buchhändlerinnen und ein Lernender nehmen Bestellungen entgegen, kümmern sich um die Ware und organisieren alle zwei Monate eine Lesung. Nicole Schmid arbeitet seit Dezember 2015 bei Nievergelt. Eine Quartierbuchhandlung mit breitem Sortiment – das hat ihr immer gefallen. Sie ist seit 19 Jahren im Buchhandel. Ihre Ausbildung hat sie bei Scheidegger gemacht, einer ebenfalls traditionsreichen Buchhandlung in Affoltern am Albis. Dort blieb Nicole bis 2006. Sie kennt auch den Zwischenbuchhandel und das Verlagswesen. Der Gewerkschaft ist sie vor rund zehn Jahren beigetreten. «So aktiv bin ich leider nicht», räumt sie ein, «aber an den Buchtreff und an die Branchenkonferenz gehe ich schon, wenn ichs zeitlich einrichten kann.»
Die Handschrift des Sprayers «Ich betreue unter anderem den Bereich Comics und Mangas, gehe auch regelmässig ans internationale Comix-Festival Fumet-
to in Luzern», erzählt Nicole. «Ein bisschen düster und abgründig darfs schon sein», fügt sie lächelnd hinzu. Ja, und auch politisch. Aus einem Regal zieht sie den neuesten Band des französischen Graphic-Novel-Künstlers Jacques Tardi, der in eindrücklichen Bildern die Schrecken der Schützengräben im Ersten Weltkrieg nachzeichnet. Während Nicole den Tardi-Band wieder einreiht, weist sie auch noch auf eine Kostbarkeit des Buchladens hin: Originalzeichnungen des berühmten Zürcher Sprayers Harald Naegeli. Die Strichmännchen mit den überlangen Gliedmassen zieren Ladeninneres und Fassade. Sie sind echt und, wie eine Plakette vermerkt, schon seit 1985 hier: Seither wacht das Auge der Sprayfiguren über das Geschick des schönen Ladens.
Rabenvögel, Kriech- und Krabbeltiere Nicole Schmid ist eine begeisterte Leserin seit ihrer Kindheit. Für schön gestaltete Bücher kann sie sich begeistern. Sie malt und zeichnet selbst, mag Lyrik und liebt die Natur. «Ich bin im Säuli amt aufgewachsen und wohne immer noch da», sagt sie. «Von meinem Wohnort aus bin ich sofort draussen, am Türlersee, im Wald, an Bachläufen und am
© SABINE ROCK
Das breite Sortiment der Oerlikoner Quartierbuchhandlung entspricht den Vorlieben der Buchhändlerin Nicole Schmid. Sie interessiert sich für Politik, Kunst, Belletristik, Lyrik und Comics, sie malt und zeichnet und liebt das Zusammensein mit ihren kleinen Neffen. Bücher findet sie unverzichtbar – aber möglichst gedruckt, auf Papier. Charlotte Spindler
Nicole Schmid am Arbeitsplatz ∙ Im Hintergrund ein «echter Naegeli».
Steinhauser Weiher.» Sie hat ein 90-Prozent-Pensum und pendelt jeden Tag quer durch den Kanton Zürich: «Immerhin kann ich im Zug lesen!» Auf einem niedrigen Regal stehen edel gebundene naturkundliche Bändchen aus dem Verlag Matthes & Seitz. Diese schön illustrierten Büchlein mag sie besonders. Ihr spezielles Interesse gilt den Rabenvögeln, den Kriech- und Krabbeltieren, den Käfern und Spinnen, eine Lei-
denschaft, die sie mit ihren beiden kleinen Neffen teilt. Ihnen schenkt sie Bilderbücher und liest ihnen möglichst oft vor.
Treffpunkt mit Spielecke und Kaffeemaschine «Eine Quartierbuchhandlung hat eine wichtige Funktion», davon ist Nicole überzeugt. «Es braucht jedoch ein breites Sortiment an Belletristik, Sachliteratur, Krimis, Kinderbüchern, Kochbüchern, auch Gartenlite-
ratur. Als unabhängige Buchhandlung können wir unser Sortiment selbständig auswählen, wir beraten, suchen auch Antiquarisches, erstellen Bücherlisten zu bestimmten Themen – und packen Geschenke liebevoll ein.» Mit der Spielecke, dem Kaffeetischchen samt Kaffeemaschine ist Nievergelt ein Treffpunkt fürs Quartier. «Auf diese Weise hat eine Buchhandlung auch in einem Aussenquartier eine Zukunft!»
Recht so!
Seit zwei Jahren arbeite ich für einen Betrieb mit Arbeitsort in Bern in einem 100%-Pensum. Im Rahmen von betriebswirtschaftlichen Optimierungen wird nun meine Abteilung an einen neuen Standort, nämlich nach St. Gallen, verschoben. Der Umzug soll innerhalb von einem Monat ab Information erfolgen. Der neue, viel längere Arbeitsweg von mehr als 4 Stunden pro Tag soll weder als Arbeitszeit gelten noch entschädigt werden. In meinem Einzelarbeitsvertrag wurde nie ein Arbeitsort schriftlich festgehalten. Ich bin Vater von 2 kleinen Kindern, die in Bern zur Schule gehen. Auch meine Frau hat eine Teilzeitstelle in Bern, weshalb ein Umzug nach St. Gallen für uns nicht in Frage kommt. Kann der Arbeitgeber mir so kurzfristig einen neuen Arbeitsort mit dermassen längerem Arbeitsweg zuweisen? Der Arbeitsort ist ein wesentlicher Vertragspunkt und kann nicht im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers einseitig verändert werden. Ein dauerhafter Wechsel des Arbeitsortes erfordert entsprechend eine Vertragsanpassung, welche im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer erfolgen kann oder
dann mittels Änderungskündigung durchzusetzen ist, d. h. der geltende Arbeitsvertrag wird gekündigt und ein neuer Arbeitsvertrag wird mit angepasstem Arbeitsort angeboten. Der Arbeitgeber kann den Arbeitsort somit nicht einseitig anpassen, er könnte dir aber vorübergehend einen anderen
Arbeitsort zuweisen. In Bezug auf die zusätzliche Wegzeit ist Folgendes zu beachten: Als Arbeitszeit im Sinne des Gesetzes gilt die Zeit, während der sich die Arbeitnehmenden zur Verfügung des Arbeitgebers zu halten haben. Der Weg zu und von der Arbeit gilt nicht als Arbeitszeit. Wird die Arbeit aber ausserhalb des Arbeitsortes geleistet, an dem die Arbeitnehmenden normalerweise ihre Arbeit verrichten, und fällt dadurch die Wegzeit länger als üblich aus, so stellt die zeitliche Differenz zur normalen Wegzeit Arbeitszeit dar. Auch wenn in deinem Arbeitsvertrag der Arbeitsort nicht bezeichnet wurde, so gilt in deinem Fall aufgrund der langjäh-
rigen Praxis Bern als Arbeitsort. Die zusätzliche Wegzeit nach St. Gallen gilt entsprechend als Arbeitszeit und die zusätzlichen Wegkosten sind durch den Arbeitgeber zu übernehmen. Sprich deinen Arbeitgeber auf diese Rechtslage an und mache die zwei erwähnten Positionen geltend. Es ist davon auszugehen, dass dir der Arbeitgeber in der Folge kündigen wird. Während der Kündigungsfrist muss der Arbeitgeber aber für die zusätzliche Wegzeit und die daraus entstehenden Kosten aufkommen. Falls du dich in der Folge bei der Arbeitslosenversicherung anmelden musst, wird die Ablehnung des neuen Arbeitsvertrages mit Arbeitsort St. Gallen nicht zu Einstelltagen
© MARGARETA SOMMER
Zuweisung eines Arbeitsorts
Kathrin Melzani syndicom-Rechtsdienst
führen. Da je Arbeitsweg mehr als zwei Stunden Wegzeit anfallen, gilt der neue Arbeitsvertrag aus arbeitslosenversicherungsrechtlicher Sicht nicht als zumutbares Angebot und seine Ablehnung bleibt sanktionslos.