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Rory & Jeff Julien,
Was für ein begeisterndes Turnier in Crans-Montana! Man erwartete ein eher langweiliges Event, und schliesslich wurde daraus ein spannender Krimi. Man fürchtete, die Schweizer Teilnehmer würden sich wieder am Cut die Zähne ausbeissen, und dann spielte Julien Clément um den Sieg mit! Und die Wetterprognose kündigte Sintfluten an, und dann konnten drei der vier Runden – darunter auch die Schlussrunde – bei bestem Wetter mit viel Sonnenschein gespielt werden!
Man kommt nicht um Superlative herum, wenn man vom Omega European Masters 2008 berichtet. Und natürlich war der Genfer Julien Clément der Mann des Turniers, rettete das Event, das sich so problematisch angekündigt hatte! Das lieferte auch den Beweis, dass trotz der Konkurrenzsituation durch die US PGA Tour (mit dem FedEx Cup) unser eigenes Tour-Event strotzt vor Gesundheit –bloss etwa fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr betrug der Zuschauerrückgang, und der ging mit Bestimmtheit vor allem zu Lasten der Wetterprognose.
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Wer aber dabei war, dem bleibt dieses Open unvergesslich. Zuerst sorgte der europäische Shooting Star Rory McIlroy aus Nordirland dafür, dass die Emotionen hoch gingen. Er wird erst im nächsten Mai 20 Jahre alt und war vor seinem Übertritt zu den Pros auf die laufende Saison hin derjenige Amateur mit dem besten Handicap aller Zeiten – jedenfalls wird das so behauptet: es soll +6,5 betragen haben. Was heisst: wenn er eine Runde gespielt hat, musste er für 36 Stablefordpunkte 6 unter Par spielen! Doch jetzt ist er Pro, er steht bereits auf dem 111. Rang des offiziellen World
Rankings, und er hat in Crans beinahe seinen ersten grossen Sieg errungen.
Beinahe nur; weil er noch viel lernen muss, der Rory. Er lag mehr oder weniger von Anfang an in Führung, hatte nach drei Runden einen Vorsprung von vier Schlägen auf eine Gruppe von nicht so besonders sieggewohnten Spielern, darunter auch Julien Clément. Nur Miguel Angel Jimenez schien das Zeug zu haben, noch aufzuholen. Rory gab sich betont locker, zurückhaltemd, bescheiden, und er versprach, weiterhin auf Angriff zu spielen. Bereits in der ersten Runde nämlich hatte er gezeigt, wozu er imstande ist; mit 63 Schlägen (-8) hatte er den Golfplatz von CransMontana bei leichtem Regen buchstäblich auseinander genommen.
«He's throwing it away!»
Doch die Schlussrunde geriet dem jungen Superstar nicht nach Wunsch – sein Motor lief nicht mehr auf allen Zylindern, er verpasste Greens, musste fighten und blieb bloss dort, wo er am Samstag Abend schon war – bei 13 unter Par. Nicht so die Gegner, welche nullkommaplötzlich auf

«Striking Distance» herangekommen waren; unter ihnen Alejandro Canizares, Christian Cévaer, Miguel Angel Jimenez, Gary Orr, Robert Dinwiddie, Barry Lane und Juan Abbate. In dieser Gruppe hielten sich auch Julien Clément und JeanFrançois Lucquin (den seine Freunde «Jeff» nennen, hergeleitet aus J.-F.) versteckt; und diese beiden sollten es zum Schluss sein, welche dem Turnier den Stempel aufdrückten.
Denn Rory hätte auf dem 18. Loch bloss ein Par gebraucht, um mit einem Schlag Vorsprung zu gewinnen, und er lag für den Approach keine hundert Meter weit vom Green entfernt mitten auf dem Fairway. Welchen Teufel ihn da ritt, die Fahne anzugreifen und nicht einfach in die Mitte des Greens zu zielen, das weiss nur er selber; jedenfalls verfehlte er das Green, chippte schlecht und notierte ein Bogey. Das brachte Jeff erstmals ins Geschäft und ins Playoff und liess ihn auf dieser Welle über zwei Zusatzlöcher auch zum Sieg surfen, während Rory ausser sich war und weitere kurze Putts daneben schob... zum Entsetzen der zahlreichen britischen Journalisten, welche die Hände vor dem Gesicht zusammenschlugen und das stöhnten, was oben im Zwischentitel steht.

Julien der Chef
Aber das Feld, der Tag und die Begeisterung gehörten Julien Clément. Er hatte für die unglaubliche Spannung gesorgt; er hatte die Emotionen angekickt, er hatte die mit Abstand grösste Zuschauermenge, die ihn begleiteten, sich mit ihm freuten und mit ihm litten. Und er war es, der den frenetischsten Applaus einkassieren durfte, zusammen mit einem Siegercheck von 95000 Euros und einer soliden Chance, es nächstes Jahr wieder zurück in die European Tour zu schaffen.
Dort hatte er ja 2003 und 2004 bereits gespielt, bevor er allerdings in einen brutalen «Slump», eine Leistungskrise geriet. Daraus scheint er sich jetzt, nicht zuletzt dank der Hilfe seines Coaches Gavin Healey, mit einem Rundschlag der Extraklasse befreit zu haben. Insbesondere ist aufgefallen, dass Clément den Ball wesentlich besser trifft, kaum etwas daneben schiesst und so meistens aus der Mitte des Fairways weiterspielen kann. Während er noch bis letztes Jahr vor allem um mehr Präzision kämpfte und viele Greens auch aus kurzen Distanzen verfehlte, hat er jetzt eine Ballkontrolle, die durchaus auf allerhöchstem Level genügt. Das bringt ihm auch tiefere Scores: vier Mal unter 70 in Crans, das ist ein extrem solider Ausweis! Bleibt noch die Frage nach den Abenteuern des Titelverteidigers. Brett Rumford notierte zwei Mal 67 für die ersten beiden Runden, was am Freitag Abend Platz eins bedeutete, ex- aequo mit Rory McIlroy. Doch dann lief es ihm etwas weniger gut, so dass er das Turnier auf Rang 22 mit einem Score von -7 beendete; durchaus eine sehr ordentliche Vorstellung für den Australier, der extra für das Omega European Masters aus den USA in die Schweiz gekommen war.

■ Aus Crans-Montana vom Omega European Masters: Urs Bretscher, Jacques Houriet, Martin Schnöller
Neben Julien
Clément prägten sie das Omega European Masters 2008: «Jeff» Lucquin als Sieger, der junge Rory McIlroy als tragischer Held, und Miguel Angel Jimenez in der Rolle des Miguel Angel Jimenez – er spielte sich selber so gut, dass ihm auch nur einSchlag fürs Playoff fehlte.
