BILD: GUIDO SÜESS
Wörter von Pörtner Meine Meinung Meine Meinung war bislang kein begehrtes Gut. Nicht nur meine. Da wir andere Meinungen bestenfalls als harmlose Verwirrungen, schlechtestenfalls als gemeingefährlichen Irrsinn wahrnehmen, erfreute sich neben der eigenen bisher jene Meinung der grössten Beliebtheit, die für sich behalten wurde. Das hat sich dramatisch geändert. Seit einiger Zeit kann ich mich kaum mehr davor retten, meine Meinung abzugeben. Ihre Meinung ist uns wichtig! wird mir von allen Seiten versichert. Nach Kündigung meiner Motorfahrzeugversicherung rief mich ein Mann an. Er wollte meine Meinung zu seinem Produkt erfahren. Es war Samstagmorgen und ich gab ihm zu verstehen, dass ich wenig geneigt war, diesen mit ihm am Telefon zu verbringen. «Aber Sie wollen uns doch sicher helfen, dass wir unsere Kunden noch besser bedienen kön-
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nen!» Ich wollte nicht. Der Mann wurde unfreundlich und fand, dass es meine persönliche Verpflichtung sei, einem der grössten Versicherungskonzerne der Welt meine Freizeit zur Verfügung zu stellen. Es gibt Hotlines von Telekommunikationsunternehmen, die ich nur ungern anrufe, weil darauf stets ein Gegenanruf folgt, bei dem ich meine Meinung zur erhaltenen Hilfe abgeben sollte. Das Energie-Coaching (wie viele Meinungen und Umfragen es wohl gebraucht hat, diese Beratung derart knackig zu benennen?), das ich in Anspruch genommen habe, sandte mir auf Ignorieren des elektronischen Fragebogens hin diesen noch einmal per Post zu. «Um das Angebot noch besser … auszurichten, sind uns Ihre Erfahrungen sehr wichtig. Wir bitten Sie daher, den Fragebogen bis zum xx.xx.xx auszufüllen.» Es kostete mich ein wenig Überwindung, den Fragebogen ins Altpapier zu werfen. Ich kam mir vor wie einer, der seinen Anteil nicht leistet. Dabei habe ich die Dienstleistung bezahlt. «Die Beantwortung dauert rund zehn Minuten.» Ich sollte nicht so kleinlich haushalten mit meiner Zeit, die ich, Hand auf’s Herz, ja doch nicht sinnvoller zuzubringen weiss, dachte ich. Es geht doch darum, die Dienstleistung, das Produkt, die Marke und schlussendlich die Welt zu verbessern oder zu vernochbessern. Oder ist Zeit immer noch Geld
und die Zeit der Konsumenten ein Gut, das die Unternehmen zu Geld machen wollen? Geld, mit dem sich die kontinuierliche Prozessoptimierung, die sich öffentliche und private Unternehmen für viel Geld haben aufschwatzen lassen, finanzieren lässt? Wie sollen sich die Computerprogramme amortisieren, ohne mein trifft zu/trifft eher nicht zu/trifft irgendwie schon zu, aber irgendwie auch nicht? Da die Teilnahme an Umfragen weder Bürgerpflicht ist noch zu meinen bevorzugten Freizeitbeschäftigungen zählt, verzichte ich darauf. Zumal ich den Verdacht habe, dass meine Meinung nicht zu Verbesserungen führt, sondern dazu, dass die Mitarbeitenden dieser Unternehmen mit Marketing- und Kommunikationskauderwelsch zugetextet und von der richtigen Arbeit abgehalten werden, die sie dank der umfragebasierten Optimierung in immer weniger Zeit mit immer grösserer Begeisterung zu erledigen haben. Meiner Meinung nach ist diese Meinungssammelei eine einzige sinnlose Landplage. Diese Meinung immerhin interessiert keine der umfragewütigen Organisationen.
STEPHAN PÖRTNER (STPOERTNER@LYCOS.COM) ILLUSTRATION: SARAH WEISHAUPT (SAVVE@VTXMAIL.CH) SURPRISE 331/14