BILD: ZVG
Aus verhaltener Sympathie wurde tiefe Freundschaft: Marie-France Tschudin und Ulla Pers.
begegnen. Auf einer neuen Ebene. «Ich habe realisiert, was für ein tiefgründiger Mensch Marie-France ist», sagt die freiberuflich tätige Kommunikations- und Kunstberaterin. Derzeit lebt Pers in Basel, während es Tschudin, die zudem häufig beruflich unterwegs ist, in die Romandie verschlagen hat. Aufgrund der Wohnortdistanz sehen sich die zwei Frauen wieder seltener, telefonieren dafür wöchentlich. Ihre Freundin fehle ihr, wenn sie länger nichts von ihr höre. «Für mich ist sie wie eine grosse Schwester. Sie ist immer da, wenn ich sie brauche. Und ich für sie.» Chris Harland und Bruno Paneth sind bereits eine halbe Ewigkeit miteinander befreundet. Seit wann genau, wissen sie selbst nicht mehr, deshalb schätzen sie: 1977. Kennen gelernt haben sie sich über ihre damaligen Freundinnen. An ihre erste Begegnung können sie sich selbst durch gehöriges Kopfkratzen nicht mehr erinnern. Dafür daran, dass es ihre gemeinsamen Interessen wie Velo fahren oder Bergtouren waren, die sie einander näher brachten.
«Es ist unser erklärtes Ziel, uns durch sämtliche italienischen Pastarezepte zu kochen.» Wer mit den beiden spricht, spürt ihre Vertrautheit. Es
«Freundschaften leben davon, dass man mehr rein gibt, als man rausnimmt.»
Wichtiger als die Familie «In Sachfragen sind wir oft unterschiedlicher Meinung», sagt Paneth. «Chris verfolgt oft einen klar linken Kurs.» Dass man sich ab und zu nicht einig ist, spielt für die beiden keine Rolle. Denn Diskussion soll sein, unbedingt. «Freundschaften leben davon, dass man mehr rein gibt, als man rausnimmt», zeigt sich Paneth überzeugt. In der Regel sehen sich der Berufsschullehrer und der gebürtige Engländer einmal die Woche, manchmal auch seltener, eine Verpflichtung, sich zu treffen, gäbe es ja nicht. Aber: Für einen Monat keinen Kontakt, das wäre ihnen doch zu lang. Häufig kommt man bei Harland, er ist Hausmann und Vater, zusammen.
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wird im 30-Sekunden-Takt gewitzelt, keine bösartigen Scherze, sondern tüchtige Neckereien, wie es sie nur unter ganz vertrauten Menschen gibt. Paneth besucht Harland und die Seinen manchmal auch in den Ferien, grosses Aufheben wird darum nicht gemacht, alles ist wie selbstverständlich, alles hat seinen Gang. Was klar macht: Paneth ist noch mehr als ein Freund für Harland, er ist Teil der erweiterten Familie. Die Erzählungen von Harland, Paneth und Pers zeigen weitere Freundes-Facetten, nicht mehr, nicht weniger. Wohl jede enge Freundschaft würde weitere Nuancen zu diesem nie komplett werdenden Bild beitragen. Eine definitive Antwort, was Freundschaft ist, gibt es nicht, kann es nicht geben. Sicher ist nur, dass in Zeiten, in denen die Familien immer kleiner werden und die Zahl der Single-Haushalte steigt, Freundschaften jeglicher Couleur an Relevanz gewinnen. Viele sagen, dass ihnen ihre besten Freunde wichtiger sind als ihre Familie. Das würde ich nicht unterschreiben. Aber sie sind mir genauso wichtig. Wozu mir die Worte der Wiener Psychologin und Verhaltenstherapeutin Eva Jaeggi einfallen: «Eine Freundschaft kann eine Paarbeziehung nicht ersetzen. Aber es kann sein, dass Menschen, die Freundschaften pflegen, besser gegen seelisches Ungemach gefeit sind.» ■
SURPRISE 245/11