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Pörtner in Kaiseraugst

Surprise-Standorte: Bahnhof

Einwohner*innen: 5498

Sozialhilfequote in Prozent: 1,9

Anteil ausländische Bevölkerung in Prozent: 29,5

Protest: Um das in Kaiseraugst geplante Atomkraftwerk zu verhindern, wurde 1975 das Baugelände während elf Wochen besetzt.

«Willkommen in Kaiseraugst», werden die Reisenden am Bahnhof begrüsst. «Leben. Arbeiten. Zuhause sein» lautet das Motto, das sich an die Einheimischen richtet oder jene, die es werden wollen. Es wurde schon vor der Pandemie erfunden, obwohl erst seit da alles am selben Ort stattfindet. Nicht stattgefunden haben wahrscheinlich die Tanzpartys, die für das Frühjahr 2020 geplant waren und die noch immer mit einem Plakat im Fenster der Bahnhofsremise beworben werden.

Für Besucher*innen steht die Orientierungstafel «Willkommen in Augusta Raurica» bereit. So hiess der Ort früher. Wie zu lesen ist, liegen die ganz grossen Zeiten desselben etwas zurück, sie dauerten ca. vom Jahr 44 vor unserer Zeitrechnung bis ins siebte Jahrhundert, von da an übernahm das aufstrebende Basel die Rolle der Lokal-Metropole. Der vergangene Ruhm und vor allem die davon zurückgebliebenen Ruinen sind es, welche Besucher*innen anlocken.

Das Städtchen selber ist recht verschlafen, schön, aber ruhig, obwohl der Weg vom Bahnhof den Musigweg.ch entlang führt. Auch hier sind noch Mauern des alten Kastells zu sehen, zweitausend Jahre alte Trümmer, dahinter ein Spielplatz und ein Schulhaus, gegenüber hübsche Einfamilienhäuser mit Doppelgarage. Die Prognose ist zu wagen, dass sie nicht 2000 Jahre lang erhalten bleiben werden. Auf der Terrasse des Landgasthofes sitzt ein einziger Gast in der Sonne. Nur das Putzwägeli, das den nicht zu sehenden Dreck beseitigt, stört kurz die Stille; um die Ecke fliesst, ebenso still, der Rhein. Auf der anderen Seite der Geleise findet sich ein Einkaufszentrum namens Kaiserhof, dahinter liegen Block- und Hochhaussiedlungen. Ein starker Gegensatz zum historischen Dorfkern.

Der noch historischere Dorfkern, das alte Augusta Raurica, liegt ebenfalls auf dieser Seite der Geleise. Der Weg dorthin führt an einem weiteren Einkaufszentrum vorbei, unter einer wuchtigen Fussgängerüberführung aus Beton hindurch.

Weil Ruinen zwar respektheischend, aber so spektakulär nun doch wieder nicht sind, wurde die Grabungsstätte mit einem Tierpark kombiniert. Damit Kinder und Jugendliche nicht enttäuscht werden, sind sie doch aufregende Unterhaltungsparks gewohnt. Das Panorama der Grabstätte ist ein Gemälde, wie es rundherum an einem Markttag ausgesehen haben könnte. Draussen braust unter Hochspannungsleitungen die Autobahn vorbei, was den mentalen Ausflug in die Vergangenheit leicht erschwert. Ansonsten aber ist es eine schöne Anlage; weil aber die damals gehaltenen Tiere, Esel, Ziegen und Schweine auch heute noch verbreitet sind, gehen die Kinder mässig interessiert an ihnen vorbei. Auf den Turmruinen lässt sich ein wenig herumklettern, sich für einen Moment vorstellen, die Stadt gegen das Land zu verteidigen.

Die grösste Attraktion ist das Amphitheater, in dem das Herumklettern hingegen verboten ist. Auffällig, dass die Bühne im Gegensatz zur Zuschauertribüne sehr klein ist. Da eine Bedachung fehlt und es bei den Römern keine Plastikpelerinen mit Sponsorenaufdruck oder Regenschirme gab, ist davon auszugehen, dass nur bei schönem Wetter gespielt wurde, an warmen Abenden im Sommer. Also dann, wenn heute die Theater Pause machen.

Der Zürcher Schriftsteller Stephan Pörtner besucht Surprise-Verkaufsorte und erzählt, wie es dort so ist.