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Auf den Strassen Belgrads

Fotoessay Der Fotograf Igor Čoko spürt auf den Strassen von Belgrad Armut und Ausgrenzung nach – und stösst dabei auf eine «subversive Schönheit».

Von den 6,9 Millionen Einwohner*innen Serbiens leben 2,5 Millionen an der Armutsgrenze, mehr als Zweidrittel wohnen in der serbischen Hauptstadt Belgrad. Besonders betroffen sind Langzeitarbeitslose sowie ältere Menschen. Sie prägen das Stadtbild – und verleihen den Strassen eine besondere «visuelle Ästhetik», findet Igor Čoko.

Es war vor gut zehn Jahren, als der im kroatischen Teil Jugoslawiens geborene Anthropologe und Fotograf Igor Čoko damit begann, das Leben auf den Strassen von Belgrad zu dokumentieren. Es ging ihm von Anfang an darum, all die mannigfaltigen Prozesse fotografisch einzufangen, die eine Gesellschaft durchmacht, die einschneidenden Veränderungen unterworfen ist. Im Falle von Serbien gehören dazu der Zusammenbruch Jugoslawiens, der darauffolgende Balkankrieg sowie der Krieg im Kosovo, aber auch der immer wieder aufflammende Nationalismus, Auswanderung, Armut sowie, seit 2015, die Migration in die EU-Länder. «Diese Veränderungen haben nicht allein politische Folgen, sondern auch Auswirkungen auf die Entwicklung und das Aussehen von Städten», sagt Igor Čoko. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer «visuellen Ästhetik der Strassen», denn in Čokos Augen haben diese zum Teil extremen Veränderungen durchaus auch ihre Schönheit; und genau diese versucht er mit seiner Strassenfotografie einzufangen.

Auf den ersten Blick mögen sich die Bilder über all die Jahre ähneln. Doch bei genauerem Hinsehen, so Igor Čoko, werde deutlich, wie sich in der serbischen Gesellschaft je länger je mehr Parallelwelten herausbilden und viele Menschen sich zunehmend in eine Realität flüchten würden, die mehr auf Legenden und Mythen beruht als auf den harten politischen und sozialen Fakten.

Igor Čoko hat bereits zwei Bücher über die, wie er sie nennt, «subversive Strassenästhetik Belgrads» veröffentlicht. Der erste Band deckt die Jahre 2013 bis 2017 ab, der zweite 2017 bis 2021; derzeit arbeitet der studierte Anthropologe am letzten Teil seiner Trilogie, sie soll 2025 abgeschlossen werden.

IGOR ČOKO, 48, hat in Belgrad Anthropologie studiert. Seine Arbeit kreist um Menschen am sogenannten Rand der Gesellschaft. Als erster Fotograf überhaupt hat Čoko uneingeschränkten Zugang zu serbischen Gefängnissen erhalten, die Arbeit ist als Buch «Living Behind Bars» erschienen. Mehr unter: igorcoko.net

Hintergründe im Podcast: Radiojournalist

Simon Berginz spricht mit Redaktor Klaus Petrus zum journalistischen Format des Fotoessays. surprise.ngo/talk