2 minute read

Moumouni

… Worst-Case-Szenario

Die Poetin steht hinter dem Bühnenvorhang und linst nach draussen ins Publikum. Viele erwartungsvolle Menschen. Unangenehm, bei einem solch grossen Anlass nicht genau zu wissen, warum man eingeladen wurde. Sie hatte es einfach vergessen. Normalerweise lässt sich das relativ schnell an Setting und Publikum erkennen. Aber heute: schwierig. Ist es eine Rassismusveranstaltung? Die Poetin entdeckt einen «Refugees Welcome»-Aufkleber auf einer Tasche mit Fransen. Das könnte ein Hinweis sein. «Frau Mamudi, in zwei Minuten auf die Bühne», krächzt es aus den Lautsprechern im Backstage. Komisch, die Veranstalterin hatte ihren Namen falsch ausgesprochen. Ungewöhnlich für eine Rassismusveranstaltung. Dann wird es wohl doch ein Dada-Auftritt sein? Die Poetin war in den letzten Jahren ein Star des Schweizer Dada geworden. Als erste Schwarze Frau. Aber das ist egal, denn Dadaist*innen sehen keine Farben und lieben gleichzeitig Afrika. Und das sollte auch so bleiben. Auf keinen Fall wollte sie auch im Dada die RassismusTante werden. Und auf keinen Fall wollte sie die Antirassist*innen mit Dada vergraulen: Jetzt keinen Fehler machen!

Sie tritt auf die Bühne. «Ähm», beginnt sie. Im Publikum flüstert wer aufgeregt: «So heisst ihr Buch!» Stimmt. Ihr letzter Dada-Band hiess «Ähm 2000». Also Dada-Publikum? Sie ist noch unschlüssig und beginnt ins Mikrofon zu husten, um Zeit zu gewinnen. Jemand eilt auf sie zu und klopft ihr auf die Schultern. «Geht’s, Sister?» Ein paar Leute im Publikum husten euphorisch mit. Widersprüchliche Signale.

Ein Alptraum: Offenbar sind Vertreter*innen beider Gruppen im Publikum! Die Poetin beschliesst: zweiter Anlauf. Eine Aneinanderreihung von Worten aus dem Stichwort-Repertoire, die vielleicht beide Seiten ansprechen: Geld und Diplome // Helfersyndrome //Kongo! Kongo! Koltan! // Bongo! Bongo! Alarm!

Bei «Bongo» hatte sie kurz gestockt. Sie weiss nicht, ob das die Antirassist*innen überzeugt. Und die Dadaist*innen sind überhaupt nicht erfreut darüber, sogenannten «conscious rap» zu vernehmen. Die Poetin ist hin- und hergerissen und reimt: Dattel Dattel Dak Dak! // Dackel, Dackel Watsch Watsch!, für die Dadaist*innen und: Es ist echt jetzt Zeit // für Gerechtigkeit!, für die Antirassist*innen. Letztere sind verwirrt. Sie hätten gern mehr über den schrecklichen Koltanabbau im Kongo gehört. Andere scrollen schon auf dem Handy herum. Ein älterer Mann steht auf und grummelt: «Ich wusste es. Dada ist tot!»

Die Poetin fällt theatralisch auf die Knie, die vor Unglück anfangen zu schmerzen. Mit letzter Kraft bäumt sie sich auf und kräht: «Was wollt ihr denn, verdammt?» Das ist für alle zu viel. Wie in einem Wasserkocher fängt das Publikum an zu brodeln und schwappt fast über. Die Antirassist*innen schreien hassig: «One Love! One Love!» Die Dadaist*innen rufen: «Urallala! Urallala!» Die Veranstalterin wedelt mit einem vor Monaten unterschriebenen Vertrag und ruft wütend: «Eine ganz normale Lesung!» Die Poetin hat die Kontrolle verloren. Dabei ist es ihre Lesung! Unverschämtheit! Mit neu entfachter Passion rennt sie ins Backstage, holt sich ihre After-Show-Pfeife, stürmt damit zurück auf die Bühne und schreit: «Feuer!», bis ihr jemand ein Streichholz zuwirft, das sie an ihren rauen Händen entfacht.

Die Poetin setzt das Mikrofon in Brand und holt sich ein Buch, das sie wegen all der Auftritte nie hatte lesen können. Sie setzt sich neben die Bühne und schreit: «Heute lese ich! Was ich! Will!»

FATIMA MOUMOUNI

hat manchmal Alpträume. Dann überlegt sie, wie es wäre, wenn ihr Publikum diverser wäre.