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Wohnungskrise in den Niederlanden

In den Niederlanden fehlt es immer mehr an bezahlbaren Wohnungen. Inzwischen regt sich Protest, doch politisch tut sich kaum etwas.

Seit einiger Zeit hat eine Wohnungskrise die Niederlande fest im Griff. Alle Zahlen verweisen seit Jahren auf eine sich immer weiter verschärfende Krise, die mittlerweile alle Landesteile erreicht hat, auch kleine Städte wie Maastricht. Schätzungen zufolge mangelt es im ganzen Land an mindestens 300 000 Wohnungen. Laut der unabhängigen Non-Profit-Organisation Nibud, die in Haushaltsfragen berät, bezahlen rund 800 000 Menschen zu viel Miete im Verhältnis zu ihrem Einkommen, und 900 000 junge Leute im Alter von 20 bis 35 Jahren sind gezwungen, bei ihren Eltern zu wohnen – in einem Land mit knapp 17 Millionen Einwoh- ner*innen.

Gerade die Regierung der rechtsliberalen VVD unter Premier- minister Mark Rutte gab in den letzten zehn Jahren einen Grossteil des sozialen Wohnraums dem freien Markt und internationalen Investor*innen preis. Ausserdem gewährte sie Hausbesitzer*innen und -käufer*innen überproportionale finanzielle Zuschüsse. Damit befeuerte die VVD eine bereits zuvor existierende Entwicklung: Während zum Beispiel in der Schweiz der Kauf eines Hauses oder einer Wohnung für die meisten Normalverdiener*innen immer mehr zum unerfüllbaren Traum wird, ist in den Niederlanden in besserverdienenden Kreisen das Wohnen zur Miete kaum verbreitet.

Das liegt vor allem daran, dass der Hypothekenzinsabzug dort extrem hoch ist. Knapp 43 Prozent der Zinsen auf eine Hypothek können von der Steuer abgesetzt werden – auch etwas, was nur Hauseigentümer*innen zugutekommt

Housing-First-Programme, die darauf abzielen, obdachlosen Menschen so schnell wie möglich und ohne bürokratische Hürden eine eigene Wohnung zur Verfügung zu stellen, gibt es in den Niederlanden in begrenzter Zahl seit einigen Jahren; so wurde etwa 2020 die tausendste Housing-First-Wohnung eingeweiht. Zur Eindämmung der steigenden Wohnungslosigkeit ist dies jedoch nur bedingt hilfreich. Denn die Öffentlichkeit nimmt diese Schicksale bisher kaum wahr. Es ist bezeichWohnen wird erst nend, dass auch der Woonopstand bis jetzt nur für die durch die Krise dann zum politischen wohnungslos gewordenen Menschen streitet. Ebenso lässt die ReProblem, wenn aktion der Politik auf sich warten. In dem im Dezember 2021 verabes die Mittelklasse schiedeten Koalitionsvertrag wird versprochen, jährlich mindestens betrifft. 100 000 Wohnungen zu bauen, wovon zwei Drittel bezahlbar sein müssen; zudem soll die Anzahl international Studierender kontrolliert und ein eigenes Wohnungsministerium eingerichtet werden. Von weiteren Konzepten zur Eindämmung akuter Wohnungslosigkeit, wie Housing First, ist jedoch keine Rede. So bleibt es dabei, dass Obdach- und Wohnungslosigkeit erst dann zum Politikum, wenn die Mittelklasse betroffen ist. JEOF ANZEIGE

Wohnungsnot als höchste Priorität

Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass in den Niederlanden die Menschen seit Monaten auf die Strasse gehen: Die Protestaktion Woonopstand – auf deutsch «Wohnaufstand» – , die bereits in Rotterdam, Utrecht und Amsterdam Demonstrationen durchführte, fordert, dass die Bekämpfung der Wohnungsnot höchste Priorität erhält, dass mindestens vier Milliarden Euro jährlich in bezahlbaren Wohnraum investiert werden und dass der Hypothekenzinsabzug deutlich gesenkt wird, um die Ungleichheit zwischen Eigentümer*innen und Mieter*in- nen zu reduzieren. Auch die Zahl Wohnungsloser hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt, auf mindestens 40 000 landesweit.