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Psychedelika

Heilsamer Trip

Psychedelika LSD und «Zauberpilze» galten lange als Gefahr für die Gesundheit. Heute sind Psychedelika die grosse Hoffnung bei der Behandlung von Depressionen, Traumata und Suchterkrankungen – auch in der Schweiz.

TEXT SIMON JÄGGI ILLUSTRATION MICHAEL FURLER

Vor vier Jahren reiste ein Forscherteam der Universität Zürich von Brasilien in die Schweiz zurück und konnte bald darauf mit einer Ausnahmebewilligung des BAG mehrere Kilo psychedelisch wirksamer Pflanzen importieren, aus denen Schaman*innen im Amazonasgebiet seit Jahrhunderten den traditionellen Pflanzensud Ayahuasca herstellen. Das Ziel des Projekts: den Wirkstoff DMT aus dem Gebräu extrahieren, in Studien testen und daraus schliesslich ein Medikament entwickeln. Mit diesem, so die Hoffnung der Forscher*innen, sollen sich psychische Leiden wie Depressionen und Angststörungen dereinst wirkungsvoll behandeln lassen. «Schwierige Emotionen und Denkmuster lassen sich unter dem Einfluss von Ayahuasca viel besser erkennen», sagt Milan Scheidegger. Er ist Neurowissenschaftler und Psychiater an der Universität Zürich und leitet ein Team, das sich mit der Wirkung von Psychedelika und deren therapeutischem Potenzial befasst. Weltweit erlebt die Erforschung psychedelischer Substanzen seit einigen Jahren einen regelrechten Boom. Im Fokus der Wissenschaft steht insbesondere Psilocybin, das in natürlicher Form in Pilzen vorkommt, zudem das vom Schweizer Chemiker Albert Hoffmann entdeckte LSD und das nicht-halluzinogene MDMA. Forschende erhoffen sich davon Hilfe bei schwer behandelbaren Depressionen, Suchterkrankungen oder Angststörungen. Tatsächlich nimmt die Häufigkeit psychischer Erkrankungen in weiten Teilen der westlichen Welt stark zu, ebenso von Suchterkrankungen. Dass die Pharmakologie nun Psychedelika entdeckt hat, gibt Grund zur Hoffnung. Denn in der medikamentösen Behandlung von psychischen Erkrankungen hatte die Forschung in den letzten zwanzig Jahren kaum noch Fortschritte erzielt.

Innovationstreiber Schweiz

Die Schweiz war in der gesamten Zeit eines der wenigen Länder, in denen die wissenschaftliche Arbeit mit Psychedelika unter streng kontrollierten Auflagen ohne grosse Unterbrüche erlaubt blieb. Matthias Liechti erforscht am Universitätsspital Basel seit mehreren Jahren die Wirksamkeit und Sicherheit von Psychedelika. «Die Schweiz gilt als Innovationstreiber und ist weltweit führend in der Erforschung und Verwendung dieser Substanzen in der Psychiatrie», sagt Liechti. Gründe dafür gibt es mehrere: An erster Stelle wurde in der Schweiz LSD entdeckt und Psilocybin erstmals aus Pilzen extrahiert. Auch setzten einige Psychiater*innen die Substanzen mit Ausnahmebewilligungen des BAG früh auch bei Patient*innen ein. Zudem entwickelte sich eine aktive Forschung, die sich auf die Untersuchung neuronaler Mechanismen konzentrierte, was vorübergehend einfacher war als

die Erforschung der therapeutischen Anwendung. «Daraus», so Liechti, «entwickelte sich in der Schweiz eine lange Tradition und Erfahrung, die im Gegensatz zu anderen Ländern ab den 1970er-Jahren weniger unterbrochen wurde und auch mit hoher personeller Konstanz erhalten blieb.»

Nun schwingt das Pendel in grossen Teilen der westlichen Welt wieder in Richtung Liberalisierung. In den vergangenen Jahren haben verschiedene Länder und US-Bundesstaaten die Gesetzgebung betreffend die Zulassung von Psychedelika gelockert. In den USA richten die führenden Universitäten des Landes psychedelische Forschungszentren ein. Scheidegger spricht von einem «Paradigmenwechsel». «Das Interesse an der Forschung mit Psychedelika ist momentan sehr gross.» Das hängt auch damit zusammen, dass das allgemeine Vertrauen in die klassischen Psychopharmaka in den letzten Jahren stark gelitten hat. 2019 kam eine umfassende internationale Meta-Studie zum Schluss, dass Antidepressiva kaum besser wirken als Placebos.

Verschiedene Pharmafirmen haben sich in den vergangenen Jahren zudem aus dem Forschungsbereich verabschiedet. Psychedelika wirken grundlegend anders als klassische Medikamente, sagt Milan Scheidegger von der Universität Zürich: «Mit Psychopharmaka lassen sich unangenehme Symptome für einen gewissen Zeitraum unter Kontrolle bringen. Psychedelika hingegen setzen die Bereitschaft für eine aktive Auseinandersetzung mit unangenehmen Emotionen und Erinnerungen voraus und können so persönliches Wachstum fördern, zum Beispiel im Rahmen einer Psychotherapie.»

Was eine klinische Anwendung betrifft, so steht die Industrie bereits in den Startlöchern. In den vergangenen Jahren sind gleich mehrere Biotech-Unternehmen an die Börse gegangen, die sich ausschliesslich auf psychedelische Substanzen fokussieren, die meisten mit Sitz in Kanada und den USA. Sie verfügen über viel Kapital und tragen Namen wie Field Trip Health, MindMed oder Compass Pathway. Letzteres führt in zehn Ländern 22 klinische Studien zur Psilocybin-Therapie bei behandlungsresistenten Depressionen durch.

Bis zur klinischen Zulassung von psychedelischen Medikamenten ist es noch ein weiter Weg. Im Fall von MDMA konnten bereits einige grossangelegte Studien das therapeutische Potenzial bei Patient*innen mit posttraumatischen Belastungsstörungen belegen. Für LSD, Psilocybin und DMT existieren erst wenige grosse Studien, die an Patient*innen durchgeführt wurden.

Halluzinationen verringern

«Ob eine Wirksamkeit tatsächlich valide in mehreren Placebo-kontrollierten Studien gezeigt werden kann, was für eine Zulassung als Medikament notwendig wäre, ist aktuell noch offen und wird sich vermutlich erst über die nächsten Jahre klären», sagt Forscher Matthias Liechti. Wie die bisherigen Untersuchungen hingegen bereits ergaben, seien die Substanzen in einem kontrollierten medizinischen Setting «insgesamt sicher», so Liechti. Bei korrekter Anwendung seien anhaltende unerwünschte Wirkungen äusserst selten.

Lassen sich die bisherigen Erkenntnisse bestätigen, so die verbreitete Meinung in Fachkreisen, könnten die ersten auf Psychedelika basierenden Medikamente in den nächsten fünf bis zehn Jahren zugelassen werden. Grösste Chancen haben sogenannte «psychedelische Derivate», glaubt Milan Scheidegger. «Das sind weiterentwickelte Abkömmlinge von klassischen Psychedelika.» Dabei modifizieren die Forschenden die Moleküle, etwa mit dem Ziel, dass die Halluzinationen etwas weniger stark ausfallen oder die Dauer des sogenannten Trips verkürzt wird. An einem solchen Präparat arbeitet auch Scheidegger. Die Bestandteile aus den psychotropen Gewächsen aus Amazonien hat er mit seinem Team und finanzieller Unterstützung durch die Universität Zürich und den Schweizerischen Nationalfonds zu einem sogenannten Pharmahuasca-Präparat weiterentwickelt. «Es ist sicher und hat weniger Nebenwirkungen als das ursprüngliche Ayahuasca.» Am meisten Potenzial sieht Scheidegger in der Therapie von Depressionen und Ängsten. Er hofft, dass das Medikament bis in zehn Jahren eine Zulassung erhält.

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