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Ganz im Norden

Einzigartiger Boden, ungewohnte Sorten. Am Santerhof geht

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Winzer Willi Gasser eigene Wege –und zwar erfolgreich

Akkurat aneinandergereiht stehen die sechs Weinflaschen zum Verkosten da. Auf die Etiketten gedruckt die Rebsorten. Ungewohnt, fantasievoll klingen sie: Solaris, Johanniter, Muscaris, Souvignier Gris, Regent, Cabernet Cortis. Mit ruhiger Stimme beginnt Willi Gasser zu erzählen. Der Winzer ist geübt darin. Gerne fachsimpelt er mit Besuchern bei Verkostungen und Führungen durch das Weingut. Dort, am Santerhof bei Mühlbach, baut Gasser PIWIS an – pilzwiderstandsfähige Rebsorten, die sich „dank ihrer Genetik besser als traditionelle typische Reben gegen Pilzkrankheiten wie den Mehltau schützen“, erklärt er.

Vor 150 Jahren wurden in Frankreich großflächig PIWI-Sorten angebaut, entstanden durch Kreuzungen mit amerikanischen Wildarten. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts gerieten die robusten Reben in Vergessenheit. Heute entdecken immer mehr Winzer die Trauben wieder, die, anders als konventionell angebaute, kaum bis gar nicht gespritzt werden müssen. Und zugleich eine überraschende Qualität aufweisen.

Gasser spaziert von der Hofstelle Richtung Weingarten. Er hat 1994 begonnen, mit PIWIS zu experimentieren. Drei Jahre zuvor hat er den Santerhof auf biologischen Anbau umgestellt. Es gab wenig an Erfahrung, Wissen und Kollegen, mit denen sich Gasser austauschen konnte. Er und sein Wein wurden belächelt. „Manche sagen bis heute, sie hätten noch nie einen guten PIWI getrunken“, sagt Gasser. Darüber kann er nur schmunzeln.

Bei einer Riesling-Blindverkostung hat er einmal seinen Johanniter Wein „Granitus“ dazugestellt. Der Riesling ist eine der Muttersorten des Johanniter. „Das Urteil nach der Verkostung war einhellig: Der Johanniter war der beste“, sagt er stolz und lacht.

Der Santerhof wurde 1541 erstmals urkundlich erwähnt, 1889 hat der Urgroßvater das Gut erworben. Efeu rankt sich an den mächtigen Mauern des Wohnhauses empor. Nebenan suhlen sich zwei Schwarze Alpenschweine im Schlamm. Der Weinbauer hält inne. Sein Blick schweift über die Rebstöcke. Im Hintergrund bimmeln Glöckchen einer Schafherde. Die Tiere übernehmen einen Teil der Beweidung und Entlaubung im Weingarten. Auf zweieinhalb Hektar wachsen die PIWIS bis auf 900 Meter Meereshöhe hinauf. Das ist hier, so hoch im Norden Südtirols, nicht selbstverständlich. Tatsächlich ist der Santerhof das nördlichste Weingut Italiens. „Anderswo mag es mehr Sonne und mehr Grad Celsius geben, aber der Boden hier in Mühlbach ist einzigartig“, sagt der Winzer. Gassers

Rebstöcke stehen auf Urgesteinboden aus Granit: „Der hohe Silikat-Anteil versorgt Reben und Früchte mit wichtigen Mineralstoffen.“ santerhof.eu

Der Himmel hat sich zugezogen. Auf Gassers graues, kurz geschorenes Haar fällt Nieselregen. Doch der hält ihn von seinem weiteren Rundgang nicht ab – vorbei an mächtigen Apfelbäumen, die neben dem Wein wachsen. „Es gibt immer noch in den Köpfen festgesetzte Überzeugungen“, erklärt er, „es heißt: Wein wird vor allem über den Namen und die Etikette verkauft – sagt dir der Name nichts, wirst du ihn kaum kaufen.“ Er beweist das Gegenteil, mit persönlicher Überzeugungsarbeit, Tag für Tag. Die meisten seiner rund 16.000 Flaschen bringt Gasser jedes Jahr direkt ab Hof unter die Kenner und Genießerinnen.

Zurück am Haus setzt sich der 57-Jährige auf eine Holzbank, beobachtet den Regen. Gasser ist angekommen. Das wachsende Bewusstsein für Ursprünglichkeit und Naturnähe im Weinbau kommt „Überzeugungstätern“ wie ihm entgegen. Anfangs gemieden und argwöhnisch beäugt, pilgern heute Winzerinnen und Winzer aus der Region und dem Ausland zu seinem Hof. Er hat für alle denselben Rat: „Wichtig ist, eigene Erfahrungen zu sammeln, um gute Entscheidungen treffen zu können. Dafür braucht es Zeit. Und man muss wissen, wohin man will.“ Gasser weiß es: Er will Vielfalt bewahren und ausbauen. „Raritäten sind da von Vorteil, sie wecken Interesse und Neugierde.“ Vor 20 Jahren hat sich Willi Gasser mit seinen PIWIS aufgemacht. Begeistert, unbeirrbar, erfolgreich. Sohn Johannes will den Weg weitergehen. Das ist für den Vater die größte Freude.

Wie Generationen

Was können junge Winzer von erfahrenen Kollegen lernen – und umgekehrt?

Der Generationenwechsel ist in zahlreichen Südtiroler Kellereien derzeit ein großes Thema. Viele junge Winzerinnen und Winzer wollen in der Weinproduktion mit modernen Methoden wieder auf altbewährte Verfahren zurückgreifen, die von der vorigen Generation verworfen worden waren. Ein Beispiel: die Herstellung schalenvergorener Weißweine – sogenannter Orangeweine. Im Anbau wiederum wird verstärkt auf die Begrünung der Anlagen und Pflege der Artenvielfalt geachtet, wie anno dazumal. Die jungen Wilden besitzen die Kenntnisse über zeitgenössische Technologien – und den Wagemut! Die älteren, erfahrenen Winzer stehen ihnen mit ihrem Wissen von früher zur Seite.

Hannes Munter, geboren 1982, Kellermeister der Kellerei Eisacktal – einer der jüngsten seines Fachs in Südtirol