Ausgabe 161

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FLASCHE LEER

Klingelingeling, Ihre Flaschen bitte Von Sarah Waltinger und Vanessa Zörrer pfandgeben.de oris* legt im dritten Stock eine kurze Verschnaufpause ein, bevor sie keuchend die Stufen zum vierten Stock des Altbaus in der Mainzer Neustadt hinaufgeht. Punkt 11 Uhr steht sie, wie vereinbart, vor der Tür. „Ich komme, um Ihr Pfand abzuholen“, sagt sie fröhlich. Schon am Telefon quietschte die Dame fast vor Freude über den Anruf. Vor eineinhalb Jahren hat sie sich bei pfandgeben.de angemeldet. Hier können, nach Eingabe der jeweiligen Stadt oder des Stadtteils, Pfandgebende Pfandnehmende anrufen und einen Termin vereinbaren. So werden die einen ihr Leergut los und Menschen, die durch das Sammeln von Flaschen ihr monatliches Einkommen aufbessern müssen, wird die Suche erleichtert. „Nachdem ich mich angemeldet habe, ist das erste Dreivierteljahr gar nichts passiert“, erzählt Doris. „Seit neun Monaten bekomme ich gelegentlich Anrufe.“ Bei den Pfandgebern handelt es sich in der Regel um Studenten, denen der geldwerte Abfall die WG einzunehmen droht. „Im Grunde komme ich für alles“, sagt sie, „klar, für zwei Bierflaschen lohnt es sich nicht. Aber wenn ich mir von dem Geld ein Brot leisten kann, ist es mir den Aufwand wert.“ Im Supermarkt an der Pfandrückgabe erntet Doris immer wieder abfällige Blicke, wenn sie mit ihrer großen IKEA-Tüte voller Flaschen vor dem Automaten steht. „Obwohl ich darauf achte, nicht zu den Stoßzeiten Pfand wegzubringen.“ Doris erzählt, dass das Auflesen von Pfandflaschen in den Straßen von Mainz immer schwieriger wird. Organisierte Gruppen gehen

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umher und packen ihre Bollerwagen oder Fahrräder voll. Herumstehende Flaschen sind kaum noch da. „Es grenzt an Pfandmafia“, sagt die Harzt-IV-Empfängerin. Das Jobcenter darf von den dazuverdienten Euros nichts erfahren. Andernfalls drohen ihr Kürzungen. Anderen mit Abfall etwas Gutes tun? Grenzt das nicht an Ausbeutung? Natürlich ändert das Portal nichts daran, dass in der heutigen Gesellschaft Menschen auf demütigende Weise über die Runden kommen müssen. Dennoch mag es die meisten Menschen freuen, wenn sie anstatt mühsam in Mülleimern zu wühlen, viele Flaschen auf einmal mitnehmen können. Hinzu kommt, dass durch die Plattform Menschen aufeinander treffen, die ansonsten in der Regel wenig miteinander zu tun haben. Vielleicht führt ein Treffen dann auch zu einer Tasse Kaffee und einem kurzen Gespräch. In diesem Sinne kann pfandgeben.de zusätzlich dafür sorgen, Verständnis und Toleranz zu entwickeln und Vorurteile abzubauen. *(Name von der Redaktion geändert) pfandgeschenke.de eit dem 1. Mai kann man sich via pfandgeschenke.de seines Pfands entledigen und erhält dafür ein Präsent. Diese Idee stammt von Marius Wolf, der auch das Pfand abholt. Bei unserem Test stand jedoch nicht Marius himself vor der Tür, sondern sein Vater als Vertretung mit einem guten akademischen Viertel Verspätung. Herr Wolf Senior hatte zu allem Unglück nicht einmal das gewünschte Geschenk dabei. Was allerdings nicht weiter schlimm war. Er war entgegenkommend und bot sogar drei Alternativen an.

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pfandgeben.de

Der Aufbau der Seite, über die man einen der Wolfs ordert, ist simpel: Man gibt an, wie viele Kästen, Flaschen oder Dosen man abgeben möchte. Auf dieser Grundlage wird ein Betrag an Credits errechnet. Eine Seite weiter darf man sich dann zwischen einer Spende oder einem Geschenk entscheiden. Die Spende geht an caritative Einrichtungen und ist zugleich mit achtzig Credits das Minimum an Leergut, das bereitstehen muss. Zukünftig soll man als Nutzer sogar entscheiden können, welcher Einrichtung genau das Geld zukommen soll. Wer sich beschenken lassen möchte, hat eine ordentliche Auswahl: von Pizzaschneider oder einer Playboy-Ausgabe (120 Credits) bis hin zur X-Box (2.650 Credits) reicht die Palette. Es kann durchaus vorkommen, dass eine kleine Differenz an Credits übrigleibt, die für kein weiteres Geschenk reicht. Diese Credits gehen nicht verloren und können beim nächsten Mal eingelöst werden. Auf diese Weise kann auch auf größere Geschenke gespart werden. Was fehlt jetzt noch? Richtig, die Adresse. Adresse und Kontaktdaten – unter denen der Kunde im Falle eines Falles erreicht werden kann – müssen angegeben werden sowie Datum und Uhrzeit, an denen man gerne besucht werden möchte. Und das ist noch nicht alles, was dieser Service bietet. Neben dem Pfandgut können auch ausrangierte Mini-Elektrogeräte, leere Druckerpatronen und Altkleider abgegeben werden. Pro Fahrt bleiben laut Anbieter „unterm Strich zwei Euro Gewinn, weshalb wir unter 10 Euro Pfandwert normalerweise nicht losfahren“. Zehn Euro sind zum Beispiel drei Kisten Bier und drei weiche PET-Flaschen.

pfandgeschenke.de

Kontaktaufnahme und Benutzerfreundlichkeit

übersichtliche Homepage, Kontakt nur telefonisch

übersichtliche Homepage, Kontaktformular

Kommt ab Pfandwert ...

... kann variieren, am besten erfragen

... von circa zehn Euro.

Pünktlichkeit

auf die Minute

knapp zwanzig Minuten Verspätung

Freundlichkeit

Im Test sehr freundlich, telefonisches Vorfühlen wird empfohlen.

Sehr freundlicher Daddy, reagierte souverän in Sachen nicht lieferbares Geschenk

Gegenleistung

Null Euro, aber eine gute Tat vollbracht.

10 Euro Pfandwert ergeben 100 Credits. Hierfür gibt’s z.B. eine Flasche Sekt oder einen Einweggrill.

6 STUZ August

FOTOS: SARAH WALTINGER (SEITE 6), INGO BARTSCH (SEITE 7)

Zuhause stapelt sich das Leergut. Der innere Schweinehund sagt: Sind es nur wenige Flaschen und Dosen, lohnt es sich nicht, sind es viele, wird der Transport zu mühselig. Zwei Portale versprechen hier Abhilfe – wir haben sie getestet.


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