Stadtstreicher 11/2016

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DER KONZERTMEISTER

ZWISCHEN HOFBALL UND GUILLOTINE:

THE SCARLET PIMPERNEL

Foto: Theater Chemnitz/Dieter Wuschanski

E

in Musical feiert Französische Revolution und heraus kommt – big surprise! – eine Liebesgeschichte. Eine Frau zwischen zwei Männern: Revolutionär und französischer Bürger der eine, Reaktionär und englischer Hofmann der andere. Und da die Französische Revolution böse war, ist in diesem Fall der Bürger ein Monster und der Aristokrat eine Lichtgestalt – und außerdem eine Art Robin Hood, der dem böse gewordenen F-Staat ein paar hochwohlgeborene Opfer von der Guillotine stibitzt. Ja, wenn es nur immer so leicht wäre wie im Musical, der Staatsgewalt ein Schnippchen zu schlagen! Obwohl: In Sachsen… Allerdings muss man hier bedenken, dass auch dieser Staat aktuell vor einer veritablen Revolution steht. Demnächst gehen hier 1000 von 4000 Verwaltungsleuten durch Ruhestand flöten und so gut wie niemand folgt nach. Ernsthaft also eine Revolution, die uns böse überraschen wird – aber zum Glück erst, wenn es nächstes Jahr so weit ist. Andererseits ergeht es schon jetzt manch hiesigen Ämtern

so, dass sie zum Beispiel die Bauaufsicht, für die sie zuständig wären, mangels Personal ganz den privaten Nachbarn eines jeweiligen Bauherrn überlassen müssen, die sich hoffentlich melden werden, wenn es etwas zu beanstanden gibt. Auch von den Lehrern hat man hier schon raunen gehört, dass es gerne etwas mehr sein dürften, und in Bezug auf die sächsische Justiz und Polizei möchte man derzeit bitte nicht in die bundesdeutsche Presse schauen! Deshalb ganz schnell zurück in die unbeschwert-lichten Sphären des Musicals, wo am Schluss der Böse nicht nur unter die Räder, sondern gleich mal unters Beil kommt. Die scharlachrote Pimpernelle: Sir Percy trägt sie auf seinem Siegelring und so wird sie zugleich sein Alias, als er mit einigen weiteren Hofmännern in den französischen Untergrund geht. Aus der kriminellen Doppelrolle zieht das Musical natürlich keine politische Brisanz, aber eine erhebliche Portion Witz. Denn am englischen Hof tragen diese heimlichen Musketiers nun mit Fleiß das absurd läppischste Getue

HIER DÜRFTE, WIE AUCH IMMER, DER NÄCHSTE CHEMNITZER MUSICALERFOLG SEINEN ANFANG GENOMMEN HABEN.

Eske Bockelmann ist der Klassik-Kenner beim Stadtstreicher

und die übertrieben eitle Rüschenverliebtheit zur Schau, um so jeden Verdacht von sich abzulenken: eine Travestie, die dem Percy des Veit Schäfermeier mitsamt seinen Kumpanen ausnehmend gut gelingt. Schäfermeier hat dabei nicht nur die ideale Stimme für den Musical-Helden, er hat als Ehemann, Widerstandskämpfer, verkleideter Spion und nicht zuletzt als hirnverbrannt geckenhafte Hofschranze den Löwenanteil an Handlung zu tragen und in Schwung zu halten, und auch das glückt ihm dank einer von Szene zu Szene wachsenden Bühnenpräsenz. Sein Gegenspieler und damit der Böse des Ganzen, Bürger Chauvelin – heißt so viel wie Kahlköpfling und schofel ist er natürlich außerdem −, hat in Alexander Franzen einen ebenso präsenten Darsteller und die ebenso passend ideale Stimme gefunden: Mit ihrer stählernen Schärfe oder, wo nötig, rauen Gefährlichkeit sorgt er für reichlich Schauder. Eine der besten Szenen vielleicht, als er allein auf weiter, nacht-dämmriger Bühne seine finstere Wut hinausschreit und der wehende schwarze Mantel sein satanisch rotes Inneres aufleuchten lässt. Zwischen den beiden Männern, die auf diese Weise dominieren, bleibt die Marguerite von Stefanie Köhm dann notwendig etwas blass. Doch das liegt hauptsächlich an der Schwäche eines Stücks, dem nur diese eine weibliche Hauptfigur einfallen wollte und zu ihr nichts weiter, als dass sie die Abteilung Liebesballade bedient. Und gerade die Balladen, auch in Percys Mund, folgen musikalisch so sehr bloß einem Musical-Standard, dass man am Ende nicht weiß, ob die verschiedenen Nummern nicht bloß Wiederholungen einer und derselben waren. Die musikalisch und vor allem rhythmisch interessantesten Songs hat Chauvelin und haben die von Percy angeführten Ensembles. In deren bewegten Auftritten bewährt sich am besten eine durchwegs flüssige Regie und in ihnen – nur in ihnen − findet auch die deutsche Übersetzung der Liedverse zu Verve und Esprit. Kurz: Hier dürfte, wie auch immer, der nächste Chemnitzer Musical-Erfolg seinen Anfang genommen haben. ■


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