November2018

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haupten, wir haben es drauf! Diese „Superheldinnen und Superhelden“ Ausgabe hat es auch faustdick hinter den Ohren. Wir dürfen auf den folgenden Seiten Menschen kennenlernen, die sich das Abzeichen für besondere Heldenleistungen mehr als nur verdient haben. Die Helfer*innen von der Flüchtlingshilfe HERMINE zum Beispiel. Was die so leisten und warum sie unbedingt mehr Unterstützung brauchen erfahrt ihr auf S.16. Lisa Kühnemann, unsere Autorin des Artikels, hat dafür Franziska Koller interviewt, eine der 34 Ehrenamtlichen. Foto: Liz R.

Wir sind alle Helden und Heldinnen. Wir haben Höhenflüge und erleben wunderbare Bruchlandungen. Kämpfen gegen Dinge des Alltags und besiegen sie. Helfen unseren Freundinnen und Freunden aus der Not und werden ab und zu auch mal selbst gerettet. Wir geraten in Zwicklagen, aber können uns auch wieder aus diesen kniffligen Situationen befreien. Wir haben alle individuelle Superkräfte, die wir einsetzen um unsere Welt ein bisschen besser zu machen. Ja, man kann schon be-

Die Alltagshelden, über die Anna Blumin auf S.18. berichtet, haben auch großes Weltretterpotential in sich. Sie geben für ihre(n) Beruf(ung) alles und für solche Menschen müssen wir besonders dankbar sein. Mehr davon, bitte! So und jetzt noch ein bisschen Frauenpower! 100 Jahre Wahlrecht. Anna Bopp erzählt uns auf S.20 von 3 wunderbaren Heldinnen, die mit ihrem Mut, ihrer Intelligenz und ihrem Kampfgeist einiges bewegt haben. Passt ziemlich perfekt zu

unserem Coverbild „Nonkonformist“ von Miriam König , wie ich finde. Dann gibt es aber auch ein paar, die einmal tatsächlich in die Rolle eines Superhelden oder einer Superheldin schlüpfen möchten. Also, ich meine damit wirklich das volle Programm. Neugierig? Dann blättert auf S.21 und lestw den Artikel über Live Action Role Games von Alica Wittschen. Wenn ihr zwischendurch mal eine Pause braucht vom ganzen Weltretten und Bösewichte bekämpfen, dann schaut doch mal auf S.22. Josefine hat für euch die Top 10 ihrer Lieblingspodcast zusammengestellt. Da ist garantiert für jeden etwas Spannendes dabei. Ich hoffe diese Ausgabe inspiriert euch, lässt euch ab und zu schmunzeln und vor allem stolz sein. Denn, wie schon gesagt, sind wir alle irgendwie Helden*innenauch ohne Umhang und komischer Speedo-Badehose über blauen Leggings (sorry, Superman). Viel Spaß beim Lesen! Eure Célin

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SB@Home wird am 14.12.2018 abgeschaltet und das neue WueStudy wird seinen Betrieb am 07.01.2019 aufnehmen. Der neue „Studienplaner“ soll euch euer Studium gegliedert nach Pflicht- und Wahlpflichtbereichen sowie die zugehörigen Module einfacher aufzeigen. Bekannte Funktionen wie der Studienservice, Veranstaltungsbelegung und

Prüfungsanmeldung werden natürlich auch nicht fehlen. Wichtig ist aber, sich schon jetzt auf den Abstellungszeitraum vorzubereiten. Das bedeutet, benötigte Unterlagen wie Immatrikulationsbescheinigung oder Notenspiegel herunterladen und sich für die Prüfungen anmelden!

Raum für Deine Ideen Ch Are illout a

Kleide r Börse offenes Atelier offener Bandraum offenes Fotolabor Urban Gardening offene Werkstatt Bee Keeping r

Büche Basar

Seit 2015 haben wir Studierende ein eigenes Haus mit Garten! - Ein Freiraum für unsere Ideen Wenn Du eigene Ideen umsetzen möchtest, Vorschläge für spannende Projekte hast, oder einfach Platz benötigst, dann melde Dich bei uns!

oekologie@uni-wuerzburg.de

Du hast Lust, dich mal als Journalist*in auszuprobieren und traust dich noch nicht zu einer großen Zeitung? Du bist schon Profi und glaubst, uns weiter helfen zu können? Oder du schreibst einfach gerne und möchtest mal was von dir veröffentlicht sehen? Dann bist du bei uns, dem Sprachrohr, goldrichtig. Probiere dich aus und sende uns deinen Artikel an sprachrohr@uni-wuerzburg.de. Oder folge uns auf Instagram und Facebook um zu erfahren, wann das nächste Redaktionstreffen stattfindet und schau einfach mal bei uns vorbei. Wir freuen uns!

facebook.com/studentshouse

Mehr Frauen in die Wissenschaft: Für ihre Konzepte der Gleichstellung und Personalentwicklung wurde unsere Uni ausgezeichnet. Die JMU darf sich nun mit dem Prädikat „Gleichstellung Ausgezeichnet!“ schmücken. Doch das ist noch nicht alles. Bund und Land werden das Gleichstellungsprogramm unserer Universität zusätzlich mit bis zu 3,3 Millionen Euro finanziell fördern. Die Gelder sollen in Maßnahmen zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen, Konzepte zur Gewinnung von Studentinnen mit geringem Frauenanteil und die weitere Stärkung von Familienfreundlichen Rahmenbedingungen, fließen.

studentshouse24@gmail.com

Schon mal bei uns auf Instagram vorbeigeschaut? Da gibt es jetzt eine neue Rubrik namens „Inside“. Wir haben mal das Sprachrohr zu einem Fernrohr umfunktioniert, welches euch einen Blick ins Campus-Leben und alles was dazu gehört, ermöglicht. Egal ob spannende Vorträge an der Uni, Wundertütenverteilung oder andere coole Events, wir halten euch up to date!

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Als Hochschulgruppe der Universität Würzburg setzt ihr euch ein und wollt etwas bewegen! Für was macht ihr euch dieses Semester besonders stark?

Wie schon in den letzten Jahren setzen wir uns für eine fahrradfreundliche, ökologische und nachhaltige Uni ein. Wir machen uns für eine bessere Anbindung des öffentlichen Nahverkehrs (vor allem ans Hubland) stark. Darüber hinaus ist es uns wichtig, dass beim Semesterticket Kultur zur nächsten Verhandlungsrunde auch die kleineren Theater mit eingebunden werden. Falls ihr weitere kreative Vorschläge habt, um die Uni grüner zu machen, lasst es uns wissen.

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Die Juso-Hochschulgruppen sind der Studierendenverband der Jusos und der SPD. Bundesweit gibt es mehr als 80 aktive Gruppen, die in den örtlichen Studierendenvertretungen mitarbeiten, in der Sozialberatung aktiv sind oder die Studierenden in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung vertreten. Mit dem Anspruch die SPD zu bewegen, machen wir uns nicht nur für bildungs-, sozial- und wissenschaftspolitische Verbesserungen stark, sondern entwickeln auch in anderen politischen Fragen eigene Positionen. Bei vielen bildungspolitischen Organisationen sind die Juso-Hochschulgruppen als kompetente Gesprächspartnerin und Sachverständige geschätzt. Nicht zuletzt verschaffen wir den Studierenden mit Aktionen und Veranstaltungen in der Öffentlichkeit Gehör und tragen unsere Positionen in die politische Debatte. Juso-Hochschulgruppen sind zudem in vielen lokalen wie überregionalen Bündnissen und sozialen Bewegung aktiv und kämpfen dort gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen und studentischen Gruppen für mehr und bessere Bildung.

Die LHG steht für liberale Hochschulpolitik. Wir setzen uns für die Freiheit der Studierenden und für ein flexibles, individuelles und selbstbestimmtes Studium ein. Wir setzen uns für längere Bibliotheksöffnungszeiten ein. Auch sollen die Teilbibliotheken am Wochenende geöffnet haben, damit für alle Studierende Literatur für ihr Studium zur Verfügung steht. Ein weiteres Herzensthema ist die Chancen der Digitalisierung an der Universität zu nutzen. Ob man lieber zuhause, bei Freunden oder in der Bibliothek lernt - das bleibt jedem selbst überlassen. Deshalb wollen wir, dass die Chancen der Digitalisierung erkannt werden und dass das E-Book Angebot ausgebaut wird. Darüber hinaus sollen Veranstaltungen auch als Podcast oder Videodatei bereitgestellt werden, damit man auch von Zuhause aus Vorlesungen verfolgen kann.


Der Wohnungsmarkt in Würzburg ist, wie viele Studierenden schon erleben mussten, angespannt. Der Bundestag bespricht zurzeit die Nachbesserungen der Mietpreisbremse. Wie steht ihr zu der aktuellen Wohnungsmarktsituation in Würzburg, welcher Studierenden ausgesetzt sind?

Die Wohnungssituation ist offensichtlich unerträglich. Wir versuchen unser Bestes, jedoch sind unsere Möglichkeiten in der Hochschulpolitik stark begrenzt. Aus diesem Grund wollen wir, dass weiterhin alle Studierende auf diese Situation aufmerksam machen, um Druck auf die Verantwortlichen auszuüben.

Der Wohnraum für Studierende in Würzburg ist zu knapp. Die Zahl der Studierenden ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen, während sich bei der Zahl der Wohnheimsplätze und auf dem Wohnungsmarkt kaum etwas getan hat – viel mehr steigen die Mieten jährlich auf ein Rekordhoch. Wir fordern den Ausbau der Studierendenwohnheime! Darüber hinaus besteht dringend Bedarf an Wohnungen für junge Familien mit Kindern und barrierefreien Wohnungen, die Rollstuhlgerecht eingerichtet und zugänglich sind.

Es muss mehr bezahlbaren Wohnraum in Würzburg geben. Der Wohnungsmarkt in Würzburg ist seit Jahren überlastet. Für Geringverdiener und Studenten bestehen kaum Chancen. Ziel muss es sein, dass es für jeden Geldbeutel die entsprechenden Angebote gibt. Seitens der Stadt müssen hierfür die Weichen gestellt werden. Für mehr Wohnraum müssen zusätzliche Bauflächen ausgewiesen werden, mehr Nachverdichtung zugelassen werden und die Aufstockung von Gebäuden erleichtert werden. Privater Wohnungsbau muss neben sozialem Wohnungsbau stehen.

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Veganes Plätzchenbacken mit der Eatwell-Organisation Infos und Anmeldung: ralph.baudisch@esg-wuerzburg.de

Poetry Slam. Wann: 20 Uhr, Wo: Posthalle, Eintritt: 12€ (Abendkasse)

Vortrag: 100.000 Kilometer Südamerika- Menschen, Augenblicke, Abenteuer. Wann: 18 Uhr, Wo: Kellerperle, Eintritt: 12€ (Abendkasse)

Vegane VOKÜ Wann: 17:30 Uhr Wo: Cairo, Eintritt frei!

Vortrag: „Hat die Pille ausgedient?“ Wann: 20 Uhr Wo: KHG

Vortrag Gesundheit Für Alle?! Interkulturelle Hürden in der Gesundheitsversorgung. Wann: 19 Uhr Wo: Wittelsbacherplatz 1, Raum 02.202 Damenwahl Improtheater: Der Sein trügt Wann: 20 Uhr, Wo: Cairo Eintritt: pay what you want!

Betrunken Gutes Tun Wann: 19 Uhr Wo: Waldschenke Dornheim

Konzert: Hearts Hearts (AT) Wann: 20:00 Uhr, Wo: Cairo, Eintritt: 13€ (Abendkasse)

Konzert: Jules Messanet „La Vierge“ Wann: 20 Uhr Wo: Neubaukirche Würzburg

Mixed Media Kunstaustellung: Artwars Wann: 22Uhr Wo: Waldschänke Dornheim Eintritt: 10€

Konzert: Jules Messanet „La Vierge“ Wann: 17 Uhr Wo: Neubaukirche Würzburg

Vortrag Gesundheit Für Alle?! Gesundheitsversorgung von Wohnungslosen. Wann: 19 Uhr Wo: Oswald-Külpe Hörsaal (Röntgenring 12)

03 / 04 / 06 / 07 Geschlossene Gesellschaft, Drama von Jean-Paul Sartre

11 / 12 / 13 / 14 Drei Männer im Schnee oder das ewige Kind, nach einem Roman von Erich Kästner

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17 / 18 / 20 / 21 Und das am Hochzeitsmorgen, Komödie von Ray Cooney und John Chapman


Di 04.12 Feuerzangenbowle Do 06.12 Feuerzangenbowle Di 11.12 Das schweigende Klassenzimmer Do 13.12 WEIT. (Im Oswald-Külpe-Hörsaal!) Di 18.12 Love, Simon Di 08.01 Unsane Di 15.01 Avengers Infinity War

Vortrag: Thinking Europe Nationalismustheorien- ein Überblick Wann: 18-20 Uhr Wo: Wittelsbacherplatz 1, 02.206

Film „Das Mädchen Hirut“ & anschließender Vortrag zu aktuellen Menschenrechtsthemen Wann: 20 Uhr Wo: Café Standard Eintritt: frei Hörsaal Slam #2 Wann: 19 Uhr Wo: Max Scheer Hörsaal Eintritt: 2,50€ Konzert: Johnethen Fuchs Wann: 18:30-21:30 Uhr Wo: Wunschlos Glücklich

Kaktus Double Feature Improvisierte Vorweihnachtsgeschichten bei Glühwein und Plätzchen Wann: 20 Uhr Wo: Cairo Eintritt: 12€ (Abendkasse)

Art Brew Design Markt Wann: 11-17 Uhr Wo: Jugendkulturhaus Cairo

Vegane VOKÜ Wann: 17:30 Uhr Wo: Cairo, Eintritt frei!

Comedy Lounge Würzburger Comedy Show Wann: 19:30 Uhr Wo: Cairo Eintritt: 16€ (Abendkasse)

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Fabian Ballweg

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Das schwedische Klischee

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Madeleine Ernst

Sieben Bläser + zwei Drummer + ein MC – brachial laut und verdammt gut – Moop Mama

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Franziska Koller und Lisa KĂźhnemann

Foto: Stefan Bausewein

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Anna Blumin

Helden haben verschiedene Gesichter und von Unterhosen über Strumpfhosen tragenden muskulösen Männern mit Capes bis hin zur Catwoman im Latexanzug sind da für fast jeden Geschmack welche geboten. Ich setzte mich jedoch mit Menschen auseinander, die in meinen Augen die wahren Helden unseres Alltags sind. Menschen, die seit wenigen Jahren in ihrem Beruf tätig sind oder schon seit knapp 40. Ich lernte Menschen mit einer ausgesprochenen Leidenschaft für ihren Beruf kennen und hatte das Glück sie für einige Minuten zu interviewen, um damit ein Portrait von ihnen zu erstellen und daran zu erinnern wie unglaublich wichtig sie für uns alle sind. Diese Helden tragen ein anderes Kostüm… Im Jahr 1978 hat Kerstin im Alter von 18 Jahren angefangen als Erzieherin zu arbeiten. „Ich war auf dem Gymnasium und in der Fachoberschule auf den sozialen Zweig.“ Kinder im Alter von 1 bis 6 betreut sie nun täglich. „Was ich immer noch liebe, ist die Arbeit mit den Kindern, weil man da auch immer so viel zu lachen hat.“ Diese extrem verantwortungsvolle Aufgabe bereitet ihr manchmal jedoch auch Kopfschmerzen. „Was ich jetzt aber auch immer anstrengender finde, da zu Hause immer weniger mit den Kindern gemacht wird. Und die Kinder können auch gar nichts dafür. Die El-

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tern erwarten von uns auch immer mehr.“ Vom Staat folgen ebenfalls viele Verordnungen. So wird für jedes Kind ein eigenes Portfolio geführt, in dem die Entwicklung festgehalten werden. Entwicklungsgespräche sind auch verpflichtend und die Kooperation mit Schulen wird zunehmend gefordert. „An manchen Tagen denke ich, ich habe nichts mit den Kindern gemacht.“ Ein anderes Beispiel liefert Alex. Er ist 23 Jahre alt und hat ebenfalls eine Ausbildung zum Erzieher absolviert. Nun arbeitet er als Erzieher in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. „Mittlerweile gefällt mir die Arbeit mit Jugendlichen jedoch mehr als die mit Kindern, weil man mit ihnen mehr machen kann.“ Der lange Ausbildungsweg hat ihm insgesamt gut gefallen und er habe es nie bereut. Auf den wachsenden Bürokratieaufwand entgegnet er „Es ist schon viel, aber es geht noch. Es ist nicht so, dass ich mehr Zeit mit dem Papierzeug als mit den Jugendlichen verbringe. Ich bin bei uns aber auch mit den Abläufen zufrieden.“ Um einen Beruf im sozialen Bereich meistern zu können, sollte man einige Charaktereigenschaften mitbringen, die einem helfen den teilweise sehr harten Alltag auf eine gesunde Art und Weise zu überstehen. Die Heldenkräfte definiert Alex als: „Geduld, Offenheit, viel Einfühlungsvermögen, es

ist wichtig einen gewissen Abstand zur Arbeit zu haben, da man schon viel mitkriegt und viele schwierige Themen hat, viel erlebt und da muss man es auch gut schaffen das auf der Arbeit zu lassen. Es ist trotzdem ein schönes Arbeiten in der Psychiatrie. Man hat immer das Klischeebild in der Gesellschaft.“ Von diesen Klischeebildern sollte man sich nicht blenden und auch nicht abschrecken lassen, denn es gibt viele schöne Facetten. „Man merkt auch oft Änderungen bei den Jugendlichen, dass es denen bei uns oft besser geht und sie dann auch oft entlastet sind. Das ist etwas Schönes, dass man erleben kann und was man glaube ich auch braucht. Wenn man keine Ergebnisse hat, ist es sonst natürlich auch schwierig weiter zu machen.“ Ronja ist 56 Jahre alt und hat als Grundberuf Kinderkrankenschwester gelernt. Sie war über 20 Jahre in verschiedenen Kliniken tätig. Nach ihrem Erziehungsurlaub hat sie sich dazu entschieden in der Behindertenhilfe zu arbeiten. „Es hat alles seine Zeit gehabt. Ich wollte nie etwas anderes sein als Kinderkrankenschwester. Den Schichtdienst wollte ich nicht mehr nach dem Erziehungsurlaub. Und im Krankenhaus sowieso nicht mehr, denn dort ist eine Entwicklung, die ich nicht gutheiße. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so mit den Behinderten arbeiten


kann, aber man wächst in alles hinein. Behinderte geben, je nachdem wie schwer die geistige Behinderung ist, so viel zurück.“ Im Altersheim hat sie aus finanziellen Nöten auch mal jedes zweite Wochenende gearbeitet: „Das hat mir auch gut gefallen und hilft mir bei der Pflege von Menschen mit Behinderungen, da sich das nicht immer so sehr mit der Pflege von Kindern deckt, aber es ist schon auch sehr an die Substanz gegangen.“ Dass es an Helden wie Ronja in der Pflege an allen Ecken und Kanten mangelt ist jedoch auch schon lange kein Geheimnis mehr: „Es will auch keiner mehr machen. Die jungen Menschen, die diesen Beruf nun ergreifen, hören schnell wieder auf, ohne die Ausbildung abzuschließen oder sie entscheiden sich danach für etwas anderes. Eine Entwicklung, vor der man Angst hat.“ „Während der Ausbildung habe ich mir schon gedacht ich möchte irgendwie mehr machen als nur Krankenschwester zu sein. Ich wollte weiter dazu beitragen, dass es diesen Beruf auch gibt und dass Krankenschwestern auch mal anders gesehen werden, da sie so enorm wichtig sind,“ sagt Tamara, eine 27 Jahre junge Heldin, die sich dazu entschlossen hat nach der Grundausbildung einen akademischen Grad zu erwerben. Sie hat Gesundheits-und Pflegepädagogik studiert und ist nun Lehrerin für die Ausbildung von Krankenschwestern. Doch die Steigerung in der Position hat auch ihre Schattenseiten: „Mir fehlt der menschliche Kontakt unheimlich doll. Die Dankbarkeit, Freude und Zuneigung, wenn man das kennt… es ist unbeschreiblich wie man anderen Menschen so viel helfen kann.“, erzählt die junge Frau sichtlich gerührt. „Ich habe nachts teilweise drei Leute reanimiert und im Endeffekt so viel bekommen, dass

sich jeder andere darüber lustig machen würde. Ich komme Heim und habe Sachen mitbekommen an denen Menschen gestorben sind, die vielleicht 16 Jahre alt waren. Mit so einer enormen Belastung und so einem geringen Gehalt muss man sich auch überlegen, ob man da in der Zukunft noch damit zurechtkommt. Es ist so ein wunderschöner Beruf. Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich an meine Patienten denke, weil die so dankbar waren. Ich habe immer versucht das Beste zu geben.“ Man hat jedem Menschen, den ich befragt habe eine so starke Begeisterung für ihren Beruf angemerkt. Im Fall von Tätigkeiten im sozialen Bereich kann man meiner Meinung nach nur von einer wahren Berufung sprechen. Es sind Menschen, die jeden Tag für das Wohl von anderen Menschen 101 Prozent geben und ihre eigenen Bedürfnisse während der Arbeitszeit hinter die von anderen stellen. Sei es ein weinendes Kind, das wieder zum lachen gebracht wird oder ein 70-jähriger Mann, der nach einer erfolgreichen Behandlung und Pflege wieder seinem Leben nach einem Krankenhausaufenthalt selbstständig nachgehen kann. Eines Tages sind wir alle auf die Hilfe von diesen Helden angewiesen und dann sollten wir dankbar dafür sein, dass es Menschen wie sie gibt. Ich wünschte, dass ich noch viel mehr Frauen und Männer im Bereich der Pflege hätte interviewen können, denn jeder einzelne von ihnen hat unsere Bewunderung und unseren Respekt verdient. Meine vier Beispiele haben Wege von Menschen gezeigt, die nicht immer ganz gerade verliefen und die zeigen, dass der Pflegeberuf auch viele Schattenseiten hat. Vor allem wird stark deutlich, dass für die immens hohe Tag täglich erbrachte Leistung kein annähernd gerechtfertigter Lohn ausgezahlt wird. Wie schön es doch

wäre eine Lösung für den enormen Personalmangel in der Pflege zu finden. 1980, vor 38 Jahren hat meine letzte Befragte Superheldin, Gabriele, angefangen den Beruf auszuüben, den sie als Traumberuf bezeichnet. Krankenschwester. „Man hat für die Patienten Zeit gehabt, was jetzt leider nicht mehr der Fall ist. Die Patienten und vor allem die Angehörigen werden anspruchsvoller. Es ist leider nicht mehr das was ich gelernt habe.“ Zu Beginn meines Interviews scheinen ebenfalls die negativen Seiten wie bei den bereits anderen portraitierten ehemaligen Krankenschwestern zu überwiegen. Es folgen harte Fakten über die Aufenthaltsdauer von Patienten im Krankenhaus: „Der Schnitt liegt bei uns nun bei 4,8 Tagen, früher waren es vier Wochen. Man muss mehr Patienten in kürzerer Zeit, mit weniger Personal und mit mehr schriftlichem Aufwand versorgen. Wie es den Patienten selber geht interessiert eigentlich niemanden mehr. Das macht dann richtig wütend.“ Ein entsetzliches Schicksal brachte Gabriele dazu den Beruf auszuüben und jeden Tag als Krankenschwester trotz aller schlechten Aspekte alles zu geben. „Ich war als Kind sehr krank. Ich habe mit acht Jahren eine Hirnblutung gehabt und lag auch eine Woche im Koma. Ich habe die Schwestern bewundert, die haben immer gelacht, die waren immer freundlich und die haben mich wieder gesund gemacht. Damals habe ich dann beschlossen, das mache ich auch. Ich will einfach Menschen helfen. Zu sehen wie es jemandem von Tag zu Tag besser geht und die Dankbarkeit, die man von den Patienten bekommt, das ist sehr wertvoll. Seit 30 Jahren bin ich nun in der Kardiologie und Nephrologie und möchte dort auch nicht mehr weg.“

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in Deutschland – who run the world? Anna Bopp

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Alica Wittschen Für das Gute kämpfen, die Bösen besiegen, als Heldenfigur gefeiert werden. Klingt nicht gerade nach einem alltäglichen Erlebnis, eher nach Film. Dafür verantwortlich, diesen Erfahrungen im echten Leben auf die Sprünge zu helfen, ist Mercedes Buyala. Als Organisatorin von Live Action Role Plays, auch LARP abgekürzt, bietet sie eine Möglichkeit, trotzdem filmreife Abenteuer zu erleben. Während beim Filmeschauen Ausrufe wie „Öffne nicht die Tür!“ ins Leere verlaufen, kann man bei LARPs selbst den Lauf der Handlung mitbestimmen. Vorstellen könne man sich LARPs wie ein Computerspiel – nur im echten Leben und mit selbst ausgedachten Rollen. Bevor die Teilnehmenden jedoch in die Handlung eingreifen können, muss diese zunächst überhaupt bestehen. Auch dafür ist Mercedes Buyala mit ihrem Team verantwortlich. Wichtiges Stichwort dabei: das „Storytelling“. In Drehbüchern werden die Geschichten entworfen, in denen später die Teilnehmenden ihre Abenteuer erleben sollen. Generell gelte: „jedes Setting ist möglich.“ Eigene Universen werden erschaffen, manchmal in Anlehnung an Filme. „Das Drehbuch ist der optimale Ablauf der Geschichte,“ erklärt Mercedes Buyala. Weil die Spielenden das Drehbuch aber nicht kennen und ihr Verhalten nicht vorhersehbar sei, werden verschiedene Ausgänge vorbereitet. Gleichzeitig gäbe es die „NSCs“, die „Nicht-Spieler-Charaktere“. Diese im Drehbuch beschriebenen Charaktere haben von Anfang an zugewiesene Rollen mit Verhaltensanweisungen und kennen den antizipierten Handlungsablauf: Ressourcen, mit denen es möglich ist die Geschichte interaktiv zu steuern. Bei Abweichungen vom Drehbuch ist Mercedes Buyala jedoch nicht enttäuscht: „Ich finde es spannend, was andere Menschen aus unserer Geschichte machen, welche Lösungsvorschläge für aufkommende Probleme sie finden“. Die Faszination von LARPs liege vor allem darin, dass die Teilnehmenden mitgenommen werden in eine eigene, geschlossene Welt, bei der man komplett vom „im Hier und Jetzt sein“ eingenommen wird, berichtet Mercedes Buyala. Mal kurz das Handy rausholen, während man gerade die böse Hexe bekämpft, die den wichtigen Schlüssel für den Schatz in ihrem Besitz hat? Fehlanzeige. „Im Alltag machen wir immer fünfhundert Dinge auf einmal“, so Mercedes Buyala. „Im Spiel geht das nicht. LARPs werden zum Entschleunigungsfaktor.“ Natürlich werde bei mehrtägigen Events abends auch mal aufs Handy geschaut, kurz Nachrichten an Freunde oder Familie getippt. Aber eben nur kurz. Generell gelte: man versuche möglichst lange im Spiel zu bleiben. Neben dem Organisie-

ren von LARPs war Mercedes Buyala langjährige Vorsitzende und Mitbegründerin des Deutschen Liverollenspiel Verbands – ehrenamtlich. Denn in Deutschland sind LARPs bislang ein Nischenphänomen. Anders hingegen sähe es in Skandinavien aus, wo Rollenspiele mit pädagogischen Konzepten „viel in der Jugendarbeit eingesetzt werden“. Denn LARPs seien ein „vielschichtiges und komplexes Hobby“. Das Hineinversetzen in eine andere Rolle erfordere Kreativität, allein um die Kostüme herzustellen. Für das Meistern der Abenteuer ist Problemlösungskompetenz gefordert. Die Spielen-

Tagen liegen, mit zwischen zwei und 8.000 Teilnehmenden. Die Themen sind vielfältig, ob Fantasy-Welt, Endzeit oder Mittelalter. Eine historisch korrekte Darstellung ist in der Regel jedoch nicht erforderlich. „Ob die Rüstung des Ritters einer aus dem 13. Jahrhundert oder aus dem 15. Jahrhundert ähnelt, ist in dem Moment egal. Wichtig ist: ich erkenne: ‚Das ist ein Ritter in seiner Rüstung‘“ erklärt Mercedes Buyala. „Stereotype – Denken in schwarz und weiß, Gut und Böse – eine klare Rollenverteilung machen Handlungsentscheidungen einfacher als in der echten Welt. In gewissem Sinne

den sind die meiste Zeit draußen aktiv, bei Kämpfen werde zwar mit weichen Waffen gekämpft, trotzdem sei die sportliche Komponente nicht außer Acht zu lassen. Zudem haben LARPs einen sozialen Charakter, ermöglichen es, neue Leute kennen zu lernen und Gruppenzusammenhalt fördert. Diese positiven Aspekte versuche sie auch in ihrem Beruf als Event- und Projektmanagerin einfließen zu lassen, erzählt Mercedes Buyala. Mit Firmen führt sie kleine rollenspielartige Einheiten durch, um so Teambuilding zu unterstützen. Sie wünscht sich, dass man auch in Deutschland verstärkt den pädagogischen Effekt von LARPs nutzt, um Lerninhalte zu vermitteln – ob in Schulen oder für Firmen. Denn: „Ein bisschen LARP würde viele Sachen viel spannender machen. Was man selbst erlebt, an das kann man sich besser erinnern.“ Aus Großbritannien haben Live Action Role Plays in den 1980er und 1990er Jahren nach Deutschland gefunden, so dass es hier mittlerweile rund 50.000 Spieler gibt, die an rund 1.000 Veranstaltungen von ca. 150 Veranstaltern teilnehmen. Die Dauer kann je nach Veranstaltung zwischen einer Stunde und mehreren

ist das auch der Reiz am Spiel.“ Die Möglichkeit, in die Held*innenrolle zu schlüpfen, die durch und durch gut ist, steht jedem der Teilnehmenden frei. Trotzdem gibt es nicht ausschließlich Held*innen. Im Gegenteil: Schurkencharaktere seien genauso reizvoll. Aus Buyalas Beobachtung sei das Held*innen/ Schurk*innen Prinzip in den Hintergrund getreten. „Man kann sich als Held*in darstellen, das ist aber mittlerweile eher verpönt“. Die Organisation schreibt deswegen jedoch nicht nur noch Schurkendrehbücher: „Wir schreiben Heldengeschichten.“ Ihre Rollen suchen sich die Spielenden selbst aus – je nach zugetrauter schauspielerischer Leistung. In der Regel hätten die Charaktere aber Ähnlichkeiten mit dem Charakter aus dem echten Leben, so die Beobachtung Mercedes Buyalas. Durch das Live Action Role Play werde eine Möglichkeit geboten, über die eigenen Fähigkeiten hinaus zu wachsen, Dinge zu tun, die man sich sonst nicht zutraut. Anlass also, sich zumindest ein bisschen heldenhaft zu fühlen, selbst wenn man die Schurkenrolle eingenommen hat.

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Josefine Praline

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„HEY, WAS IST DEINE SUPERKR AFT? “ Pia Linden Ich kann Smalltalk nicht ausstehen. Aber worüber soll man sonst reden, wenn man auf der WG-Party draußen auf dem Balkon eine Zigarette raucht mit jemanden, den man überhaupt nicht kennt. Oder wenn man zu früh da ist, vor dem Seminarraum steht und da diese eine Person mit dir wartet, irgendjemand, du kannst dich nicht mehr an den Namen erinnern, aber irgendwann, irgendwann habt ihr mal ein Referat zusam-

men gemacht, eine Gruppenarbeit oder was auch immer. Worüber redet man, wenn man in der Supermarktschlange plötzlich den Mitbewohner seiner guten Freundin trifft? Man smalltalkt. Zum Beispiel über das Wetter. Regen? Nervt. Sonne? Blendet. Schnee? Ganz nett, aber matschig. Alternativ kann man darüber sprechen, wie es einem geht. Gut, und dir? Auch gut. Und dann? Dann sucht man etwas verzweifelt nach weiteren

belanglosen Themen, vielleicht fragt man, wie das Wochenende war, wie das Studium so läuft, irgendwas, was einen ehrlich gesagt, nicht wirklich interessiert. Keiner mag Smalltalk, aber jeder macht’s. Ich behaupte, smalltalken ist eine soziale Norm (oh ja, jetzt wird’s pseudo-wissenschaftlich!) und ja, ich verstehe auch, warum wir Menschen smalltalken müssen. Smalltalk ist das, was man mit denen macht, die man kennt, aber

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mit einem obligatorischen und nichtssagenden „gut“ antwortet, eine Welt, in der niemand mehr verzweifelt nach belanglosen Themen suchen muss, während die Zeiger der Uhr vor sich hinschleichen. Stellt euch eine Welt vor, in der wir stattdessen über Sachen reden, die uns wirklich interessieren, die uns inspirieren, die uns weiterbringen!

nicht wirklich gut kennt. Versteht mich bitte nicht falsch, ich mag Smalltalk nicht aus dem Grund nicht, weil ich es nicht könnte (Leute, ich bin wirklich gut im Smalltalk, ehrlich!). Ich finde auch, dass Smalltalk auf jeden Fall besser ist, als sich peinlich berührt anzuschweigen, oder, noch schlimmer, kindisch zu ignorieren (das ist wirklich nur erlaubt, wenn man gerade einen sehr, sehr schlechten Tag hat). Smalltalk ist der Schritt zwischen Anonymität und Freundschaft, Smalltalk, Smalltalk, das ist die entfernte Bekanntschaft, das ist das Zeit-überbrücken, das ist der Gesprächseinstieg. Schließlich können wir nun mal nicht mit jedem, den wir ein, zwei oder noch kein einziges Mal zuvor gesehen haben, über emotionale Konflikte, geheime Leidenschaften oder den Durchfall auf dem Klo reden. Und leider habe ich ja auch noch keine Ahnung, dass der Typ mit dem ich draußen auf dem WG-Balkon stehe, eine super interessante Hausarbeit schreibt, dass die Person, mit der ich vor dem Seminarraum warten muss, Expertin für Tiefseetauchen ist (oder ein beliebiges anderes Thema, das mich zurzeit brennend interessiert) und der Mitbewohner meiner guten Freundin mir spannende Geschichten von seiner letzten Reise nach Timbuktu erzählen könnte. Es gibt einfach immer bessere Themen, über die man sich unterhalten könnte, auch, wenn es nur 5 Minuten an der Supermarktkasse sind, 10 Minuten vor dem Seminarraum, oder draußen auf dem WGBalkon, wenn die Unterhaltung potentiell sogar überhaupt keine zeitliche Begrenzung hat. Smalltalk ist wie wenn du eine fremde Sprache lernst und es so viel gibt, was du sagen willst, auf Italienisch, Französisch, Spanisch, Arabisch, was auch immer, aber dir fehlen einfach die richtigen Vokabeln und ach, wie geht denn überhaupt der Konjunktiv? Smalltalk ist genauso frustrierend wie eine Sprachbarriere oder wenn dir das Brot mit der belegten Seite nach unten auf den Boden fällt. Aber der Grund für Smalltalk sind nicht grammatikalischen Hürden oder motorische Missgeschicke, der Grund für Smalltalk ist, dass es sowas wie eine soziale Norm ist. Keiner weiß warum, aber jeder macht’s. Ja, wer es jetzt noch nicht gemerkt hat, das hier, das wird ein Plädoyer gegen den Smalltalk. Stellt euch eine Welt vor, in der niemand mehr über das Wetter redet, niemand mehr auf „wie geht’s dir“

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Aber wie könnte man das umsetzen? Wie kann man es schaffen, den Smalltalk in die gesellschaftliche Vergangenheit zu befördern? Tauchen wir doch noch ein Stückchen tiefer in die smalltalk-lose Utopie ein. Beispiel 1: Ich stehe auf dem Balkon, neben mir steht irgendjemand, den ich nicht kenne, „Hallo“, sage ich und jetzt könnte ich alles ansprechen, was mich gerade beschäftigt, also sage ich: „Was hälst du eigentlich davon, dass dieser superreiche Typ von Blackrock jetzt Angela Merkel ersetzen will?“. Beispiel 2: Ich treffe das Mädchen, mit dem ich letzte Woche eine Gruppenarbeit gemacht habe, vor dem Seminarraum. Erst die Begrüßung (warum das so obligatorisch ist, darüber ließe sich als nächstes debattieren, das gebe ich zu), dann der willkürliche Einstieg in irgendein Thema: „Findest du, dass die Replikationskrise in der Wissenschaft einen Wandel in der Forschungsarbeit bewirken sollte?“. EasyPeasy. Und Beispiel 3: Ich stehe an der Supermarktkasse und treffe den Mitbewohner meiner besten Freundin. Ich unterdrücke den ersten Impuls etwas über den Nieselregen draußen zu sagen (total irrelevant) und überlege mir stattdessen… Hmm. Ja. Da muss ich erstmal etwas überlegen. Ah, da fällt mir ein, ich muss in zwei Wochen ein Referat über frühkindliche Entwicklung halten, da könnte ich ihn ja einfach fragen, wann er so als Kind stubenrein geworden ist? Ja, ja, ja. Ich hab’s selbst gemerkt. Das wirkt, als hätte ich einen Dachschaden. Das ist der sichere Weg von entfernter Bekanntschaft zu sich-hinter-einem-Supermarktregal-verstecken,-sobald-manden-anderen-erspäht. Der sichere Weg von potentieller Freundschaft zu sozialem Ruin. Ich gebe zu, vielleicht waren die Vorschläge etwas zu extrem. So geht das also nicht. Vielleicht brauchen wir einen mittleren Weg, einen Kompromiss. Wenn Smalltalk wirklich sowas wie eine soziale Norm ist, dann gibt es einen Grund, warum wir das tun. Soziale Normen sorgen, unter anderem, dafür, dass unser gesellschaftliches Zusammenleben funktioniert. Sie sind wie ungeschriebene Gesetze, die wir von klein auf verinnerlicht haben. Wenn wir jetzt mal richtig wissenschaftlich werden wollen, dann könnte ich als Beispiel die Norm der Reziprozität nennen: tut mir jemand etwas Gutes, fühle ich mich verpflichtet, auch etwas zurückzugeben. Und warum? Damit nicht das Gefühl haben muss, dass ich jemandem etwas schul-

dig bin, damit es ein ungefähres Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen gibt. Im Falle Smalltalk würde ich schätzen, dass wir uns intuitiv über Dinge unterhalten wollen, die dem Grad der Bekanntschaft zu einer Person widerspiegeln. Wir wollen nicht mit Fremden über unsere privaten, persönlichen Dinge reden, darüber, was für politische Einstellungen wir haben, was uns für familiäre Konflikte umgeben oder wie unser psychisches Befinden aktuell ist. Wir smalltalken, um die Distanz zu wahren, die eben existiert, wenn man sich nur entfernt kennt. Zu private oder persönliche Dinge zu fragen würde den Gesprächspartner mit hoher Wahrscheinlichkeit verschrecken, statt eine interessante Konversation loszutreten. Also, zurück zum mittleren Weg. Wir brauchen etwas, was weder zu belanglos und oberflächlich (weil uninteressant), noch zu privat ist (weil man damit Gefahr läuft, versehentlich dunkle Ecken der Persönlichkeit aufzudecken). Letztens wurde ich von jemandem, den ich über ein paar Freunde auf einem Festival kennengelernt hatte (ergo entfernte Bekanntschaft) gefragt, was meine Superkraft wäre, wenn ich mir irgendeine aussuchen könnte. Das fand ich eine schwierige Frage, musste etwas darüber nachdenken (was ich als positiv erachte) und ehe ich mich versah, waren wir in eine hitzige Diskussion über potentielle übernatürliche Fähigkeiten geraten. Später ist mir aufgefallen, dass das die perfekte besser-als-Smallltalk-Frage ist. Wenn du eine Superheldin oder ein Superheld wärst, was wäre deine Superkraft? Ab jetzt kein langweiliger Smalltalk mehr, ab jetzt reden wir über die unendlichen Möglichkeiten übernatürlicher Fähigkeiten. Fliegen? Zaubern? Schnell wie ein Blitz sein? Unsichtbar machen? Oder vielleicht sogar etwas realistischer, die Superkraft beim Feierngehen nicht mehr müde zu werden? Immer sofort einschlafen zu können? Alle Klausuren mit 1,0 zu bestehen? Nie wieder meckern über das Wetter, Fragen über das eigene Befinden ausweichen oder auf der Suche nach einem Thema stottern: ab jetzt rede ich nur noch über Superkräfte. Auf WG-Parties, vor Seminaren, in Supermarktschlangen, egal wo, egal wie. Und wenn meine Kraft wäre, in die Zukunft schauen zu können, dann würde ich sagen: vor meinem inneren Auge kann ich das Ende der Smalltalk-Ära sehen und ja, es rückt näher.


Julian Sturz

Der Himmel schwarz, ganz schwarz

Durch schscheinende

Mechatrisches den Weg

Natürlich kaltes un-

ich laufe, angenehm rig

mal erGassen

nisch elekweist mir

nicht, aber natürlich

Kein Stern, kein Mond, kein Licht

Einer Stadt, ich wandle schumm-

les seltsam nisch, alles

unregelterbroAbzwei-

kaltgeteilte von Stein

seltsam vertraut.

Durch das Gedränge und Glas Repetitiv mäßig unchen von gungen Doch alharmo-

Vielleicht ein Zuhause?

Sebastian Simpfendörfer

Denken über dich entmenschlicht mich Verstehen, dass ich gleich und du anders bist Wo? fragst du dich ich hingegen entspanne mich

Mit Hand und Herz wehr ich mich du hingegen streitest dich mit mir und allem anderen

Was bleibt zwischen dir und mir? Wir?

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Herausgeber: Studierendenvertretung der Universität Würzburg Kontakt: Hubland Nord „Students House“ Emil-Hilb-Weg 24 97074 Würzburg Telefon: +49(0)931 31-85819 Fax: +49(0)931 31-84612 Email: sprachrohr@uni-wuerzburg.de Mit freundlicher Unterstützung vom Studentenwerk Würzburg! Redaktionsleitung: Célin Röser Layout: Kathrin Koeppen Redaktion: Fabian Ballweg, Anna Blumin, Anna Bopp, Madeleine Ernst, Franziska Koller, Lisa Kühnemann, Pia Linden, Josefine Praline, Sebastian Simpfendörfer, Julian Sturz, Alica Wittschen Titelbild: vorne „Nonkonformist“ von Miriam König hinten „vom Winde verweht“ von Kathrin Koeppen Schriften: Crimson Cabin

Auflage: 3000 Stück Druck: Dresdner Verlagshaus Druck GmbH Meinholdstraße 2 01129 Dresden

Für die nächste Ausgabe könnt ihr uns Kunst von Euch zusenden, wenn ihr Glück habt, wird Euer Kunstwerk bald das Sprachrohr im Januar zieren. Dies kann alles Mögliche sein, ein Foto, eine Illustration, eine Collage... Schickt uns einfach eine E-Mail mit eurem Namen, natürlich dem Werk und wenn Ihr wollt eine kurze Beschreibung.

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