Update operative Medizin 2016

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JUNI 2016

Update Operative Medizin und minimal-invasive Mikrochirurgie


Update Operative Medizin und minimalinvasive Mikrochirurgie – dritte Ausgabe Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen In der aktuellen Ausgabe unseres ­Magazins präsentieren wir Ihnen erneut neuste ­technologische Entwicklungen und behandeln aktuelle Themen, die bei Ihnen und Ihren Patienten hoffentlich auf reges Interesse stossen werden. Es sei nochmal erwähnt, dass die Autoren bei weiter­ führendem Informationsbedarf jederzeit kontaktiert werden können. Sie stehen dabei gerne Rede und Antwort.

Welche Themen beschäftigen uns in dieser Ausgabe? Neben der spannenden Fragestellung, wann eine p ­ rophylaktische Mastektomie zu empfehlen ist («Jolie-Effekt»), stellen uns die Kollegen der Anästhesie modernste Videotechnik zur sicheren Intubation mit Teaching-Effekt und unsere orthopädischen Kollegen minimalinvasive Techniken zur operativen Behandlung chronischer Schmerzen im Mittelfussbereich bei Läsionen der plantaren Platte vor.

Vollwandresektionen mit gleichzeitigem Defektverschluss im Gastrointestinaltrakt ohne notwendige Narkose zum Wohle unserer gemeinsamen Patienten. Ich bedanke mich herzlich bei unseren Autoren für die Bereit­ stellung der Artikel und im besonderen bei Martina E. Wagner als neue Kommunikationsverantwortliche des Spital Limmattal für die Organisation und das ansprechende neue Layout dieser Ausgabe.

Mit den besten Grüssen Spital Limmattal

Dr. med. Jörg Genstorfer Oberarzt Chirurgie / Redaktionsleiter

In der Traumatologie stellt die minimalinvasive Osteosynthese proximaler Humerusfrakturen mittels PHILOS-Platte den Goldstandard in unserem Haus dar. In einer prägnanten Darstellung sowie auf Originalaufnahmen aus dem OP präsentieren wir Ihnen nun auch in unserem Update-Magazin diese elegante Operations­ methode. Die exzellente Zusammenarbeit mit unseren gastro­ enterologischen Kollegen zeigt sich wiederum in Ihrem Artikel über endoskopisch anspruchsvolle, jedoch sicher durchführbare,

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GYNÄKOLOGIE

GYNÄKOLOGIE

Prophylaktische Mastektomie: für welche Patientinnen eine Option? Der «Jolie-Effekt»: nach der prophylaktischen Mastektomie der be­rühmten Schauspielerin häuften sich die Fragen der Patientinnen und ihrer Angehörigen. «Bis zu zehn Mal mehr Anfragen als vor der prominenten OP», schrieb Spiegel online. Doch für welche Patientinnen stellt die prophylaktische Mastektomie überhaupt eine sinnvolle Option dar? Welchen Frauen sollten wir diesen radikalen Eingriff anbieten oder sogar empfehlen? Sollte der gesunden Mutationsträgerin eine prophylaktische beidseitige Mastektomie angeboten werden? «My medical choice», nannte Angelina Jolie ihre Entscheidung zur prophylaktischen beidseitigen Mastektomie. Durch diesen Eingriff wird für eine gesunde Mutationsträgerin das Mammakarzinom­ risiko um mehr als 95% gesenkt und in der Folge eine Senkung der brustkrebsspezifischen Letalität um 90% erreicht. Die grösste Studie zu dem Thema prophylaktische beidseitige Mastektomie wurde 2010 von Domchek et al. mit 2482 an BRCA-Mutation leidender Frauen aus den Jahren 1974 – 2008 veröffentlicht. Keine der 247 Frauen, die sich für eine prophylaktische Mastektomie

Ist die brusterhaltende Therapie für die erkrankte Mutationsträgerin ausreichend? Die Frage nach dem ipsilateralen Risiko wird kontrovers diskutiert und die Studien zeigen keine einheitlichen Ergebnisse. Während einzelne Studien ein erhöhtes Risiko sowohl ipsilateraler als auch kontralateraler Rezidive beschrieben2), wurde in anderen Studien klar herausgestellt, dass kein Unterschied in der Anzahl ipsilater­ aler Rezidive zwischen Mutationsträgerinnen und Frauen mit einem sporadischen Mammakarzinom besteht 3). Gemeinsames Ergebnis der Studien ist, dass kein Überlebensvorteil durch die radikalere lokale Therapie zu erreichen ist4). Die brusterhaltende Therapie als mögliche gute Option für die erkrankte Mutations­ trägerin ist vor allem der hohen Radiosensitivität BRCA-mutierter Zellen zu verdanken5). Sicherlich handelt es sich um eine Einzel­ fall­entscheidung und der Wunsch nach einer beidseitigen Mastektomie im Falle der Erkrankung ist unabhängig von der Studienlage nachvollziehbar und sollte daher auch mit der Patientin thematisiert werden. Stellt die kontralaterale Mastektomie eine sinnvolle Option dar bei der erkrankten Mutationsträgerin? In einer im JCO 2009 erschienenen Studie wurden 2020 BRCA-­ Mutationsträgerinnen mit einem Mammakarzinom zwischen 1996 und 2008 untersucht. Das kumulative Risiko für ein kontra­ laterales Karzinom lag nach 25 Jahren bei 47,4%. Das Risiko war bei Vorliegen einer BRCA1-Mutation sogar 1,6-fach erhöht gegenüber Patientinnen mit einer BRCA2-Mutation6). Vor allem ein

Mammographie

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entschied, erkrankte an einem Mammakarzinom, während 98 der 1372 Frauen ohne Mastektomie erkrankten.1) Insgesamt stellt die prophylaktische Mastektomie die grösste Risikoreduktion dar und sollte der gesunden Mutationsträgerin angeboten werden. Eine gute Alternative stellt für die gesunde Mutationsträgerin sicherlich die intensivierte Vorsorge im Sinne einer Sekundärprävention dar.

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GYNÄKOLOGIE

ANÄSTHESIE

Laryngoskopie und Videolaryngoskopie zur endotrachealen Intubation junges Erkrankungsalter und das Vorliegen einer BRCA1-Mutation scheinen mit einem hohen Erkrankungsrisiko für die kontralaterale Seite einherzugehen. Die kontralaterale Masektomie, bzw. die beidseitige Mastektomie bei erkrankter BRCA-Mutationsträgerin sollte der Patientin im Hinblick auf das kontralaterale Risiko in jedem Fall angeboten werden. Aufgrund der vorliegenden Studien sind Erkrankungsalter und vorliegende Genmutation zu berücksichtigen. Ist die kontralaterale Mastektomie ohne Mutationsnachweis in Erwägung zu ziehen? Das Risiko für ein kontralaterales Karzinom beim familiären, nicht BRCA-assoziierten, Mammakarzinom ähnelt dem Sporadischen und hängt vom Ersterkrankungsalter ab. Die prophylaktische kontralaterale Mastektomie stellt somit keine empfohlene Prävention für BRCA-negative Patientinnen dar.7, 8) Dr. med. Rebekka Welter, Oberärztin Frauenklinik

References 1) Domchek et al.: Association of risk-reducing surgery in BRCA1 or BRCA2 mutation carriers with cancer risk and mortality. JAMA 2010; 304 (9): 967 – 975 2) Garcia-Etienne et al.: Breast-conserving surgery in BRCA1/2 mutation carriers: are we approaching an answer? Ann Surg Oncol 2009; 16 (12): 3380 – 3387 3) Kirova et al.: Is the breast-conserving treatment with radiotherapy appropriate in BRCA 1/2 mutation carriers? Long-term results and review of the literature. Breast Cancer Res Treat 2010; 120 (1): 119 – 126 4) Pierce et al.: Local therapy in BRCA1 and BRCA2 mutation carriers with operable breast cancer: comparison of breast conservation and mastectomy. Breast Cancer Res Treat 2010; 121 (2): 389 – 398 5) Formenti et al.: BRCA 1/2 germline mutations: a marker for radioresistance or radiosensitivity? J Clin Oncol 2000; 18 (5): 1159 – 1160 6) Graeser et al.: Contralateral breast cancer risk in BRCA1 and BRCA2 mutation carriers. J Clin Oncol 2009; 27 (35): 5887 – 5892 7) Rhiem et al.: Kontralaterales Mammakarzinom-Risiko bei BRCA1/2-negativen Patientinnen mit familiärer Hochrisikosituation. Senologie 2011; 8 8) Rhiem et al.: The risk of contralateral breast cancer in patients from BRCA1/2 negative high risk families as compared to patients from BRCA1 or BRCA2 positive families: a retrospective cohort study. Breast Cancer Res 2012; 14 (156)

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Die endotracheale Intubation stellt eine der Kernaufgaben des Anästhesisten dar und dient der Sicherung des Atemweges und ermöglicht die invasive Beatmung des Patienten. Gleichzeitig birgt sie eine Reihe möglicher Komplikationen mit potentiell lebensbedrohlichen Folgen. Die folgenschwersten davon sind die unerkannte ösophageale Fehlintubation und die Traumatisierung des Larynx mit anschliessender Schwellung und Unmöglichkeit der Beatmung und Intubation (sog. «cannot intubate, cannot ventilate»-Situation). Seit gut 70 Jahren wird zur Intubation mehrheitlich die direkte Laryngoskopie mit dem gebogenen Laryngoskop nach Macintosh verwendet, mit welchem sich in geübter Hand Erfolgsraten von über 99% erreichen lassen1). Die Hauptschwierigkeit stellt dabei die Visualisierung des Larynx dar. Seit einigen Jahren werden deswegen Laryngoskope mit eingebauter Kamera, sogenannte Videolaryngoskope, ein zunehmend wichtigeres Hilfsmittel zur Beherrschung von Intubationsschwierigkeiten2). Damit lässt sich auch bei schwierigen anatomischen Verhältnissen, wie zum Beispiel einer versteiften Halswirbelsäule, der Larynx darstellen, sodass der Endotrachealtubus unter Sicht eingeführt werden kann. Seit fünf Jahren wird am Spital Limmattal ein Videolaryngoskop, als primäre Intubationstechnik bei erwarteten schwierigen Atemwegsverhältnissen sowie als Notfallplan bei fehlgeschlagener konventioneller Intubation, zur Ausbildung von unerfahrenem Anästhesiepersonal verwendet. Dieses Vorgehen wird auch durch die neusten Guidelines bekräftigt 3). Die Verwendung als HilfsEndotracheale Intubation mit dem Videolaranygoskop mittel zur Ausbildung macht (Bild veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Sinn, da nach neueren Patientin) Update Operative Medizin und minimal-invasive Mikrochirurgie – Juni 2016

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ANÄSTHESIE

ORTHOPÄDIE

Plantar plate repair Studien ein guter Lerntransfer vom Videolaryngoskop zum konventionellen Laryngoskop zu erwarten ist4). Gleichzeitig kann durch die steilere Lernkurve im Vergleich zur klassischen Laryngoskopie und die gute Möglichkeit der Supervision am Bildschirm die Patientensicherheit optimiert werden. So kommt es beispielsweise dank der guten Visualisierung des Larynx äusserst selten zur ösophagealen Fehlintubation, was ansonsten bei Anfängern C-MAC ® Videolaryngoskop ein häufiges Problem darstellt. Diese Vorteile (KARL STORZ, Tuttlingen, dürfen aber nicht zur Annahme verleiten, dass Deutschland) die Videolaryngoskopie von anästhesiologisch unerfahrenen Personen alleine durchgeführt werden könnte. Verschiedene Studien zeigen klar die hohe Rate an Fehlschlägen, oftmals trotz guter Darstellbarkeit der Glottis, da sich der Endotrachealtubus häufig nicht in die Trachea vorschieben lässt. Ein kontinuierliches Training und genügend hohe Fallzahlen stellen auch hier unabdingbare Voraussetzungen für eine qualitativ hochstehende Patientenbetreuung dar.

Die Ruptur der plantaren Platte am MTP-Gelenk der Kleinzehen gehört zu den Differentialdiagnosen der Metatarsalgien. Eine chronische Überlastung im Bereich der MTP-Gelenke kann zu einer Schädigung der plantaren Platte führen. Diese zeigt sich in unterschiedlicher Ausprägung als Partial- oder Totalruptur (Abb. 1). Auch traumabedingt kann eine Ruptur der plantaren Platte resultieren. In einer Kadaverstudie1) konnte bei 20 Patienten mit entsprechenden Zehenfehlstellungen in 80% der Fälle eine Läsion der plantaren Platte gefunden werden.

med. prakt. Lukas Wolf, Oberarzt Anästhesie References 1) P. Niforopoulou, I. Pantazopoulos, T. Demestiha, E. Koudouna und T. Xanthos, „Video-laryngoscopes in the adult airway management: a topical review of the literature“ Acta Anaesthesiol Scand 2010; 54: 1050–1061. 2) D. W. Healy, O. Maties, D. Hovord and S. Kheterpal, „A systematic review of the role of videolaryngoscopy in successful orotracheal intubation“ BMC Anesthesiol, 12:32 Dec 2012. 3) C. Frerk, V. S. Mitchell, A. F. McNarry, C. Mendonca, R. Bhagrath, A. Patel, E. P. O’Sullivan, N. M. Woodall und I. Ahmad, „Difficult Airway Society 2015 guidelines for management of unanticipated difficult intubation in adults“ British Journal of Anaesthesia, 2015 1-22. 4) L. E. Wolf, J. A. Aguirre, C. Vogt, C. Keller, A. Borgeat und H. R. Bruppacher, „Transfer of skills and comparison of performance between King Vision® video laryngoscope and Macintosh blade after an AHA Airway Management Course – a prospective randomized cadaver study“ Unpublished.

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Abbildung 1: MRT-Anatomie mit Ruptur in der plantaren Platte Update Operative Medizin und minimal-invasive Mikrochirurgie – Juni 2016

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ORTHOPÄDIE

ORTHOPÄDIE

Klinisch imponiert eine Fehlstellung der Zehe im MTP-Gelenk mit (Sub-)Luxation nach dorsal oder Deviation nach lateral bzw. medial (Abb. 2). Die Köpfchen der Metatarsalia sind stark schmerzhaft auf punktuellen Druck von plantar. Die Fehlstellungen können auch plötzlich auftreten. Partialrupturen sind häufig persistierend schmerzhaft. Nach einer Totalruptur kann der Schmerz auch regredient sein. Die Diagnostik erfolgt klinisch und radiologisch (konventionelles Röntgen, ggf. MRT oder Sonografie). Seit wenigen Jahren bietet sich zur operativen Therapie eine neue Technik 2), bei der sowohl eine Korrektur an der distalen Metatarsale wie auch der plantaren Platte über einen dorsalen Zugang möglich ist, an.

Fadenenden von plantar nach dorsal durchgezogen. Jetzt wird das Köpfchen in die gewünschte Korrekturposition gebracht und endgültig fixiert. Schliesslich kann nun durch Zug an den Fadenenden die plantare Platte an die Basis der Grundphalanx plantar reponiert, die Fadenenden dorsal verknotet und damit ist die plantare Platte rekonstruiert werden. 2011 veröffentlichten Weil et al. 3) eine retrospektive Studie mit den Kurzzeitergebnissen (Durchschnittlich 22,5 Monate, Range

Abbildung 3: a Weil-Osteotomie, b Anschlingen der plantaren Platte, c nach Refi xation

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Abbildung 2: klinisches Bild mit Zehenabweichung (oben), Normalbefund (unten)

Dabei erfolgt ein dorsaler Zugang zum MTP-Gelenk. Zunächst wird eine Köpfchen-Osteotomie nach Weil durchgeführt, das Köpfchen nach proximal verschoben und vorübergehend fixiert. Nun kann von dorsal die plantare Platte beurteilt und weiter dargestellt werden. Mittels speziellen Shuttle-Instrumenten können (ähnlich der arthroskopischen Rotatorenmanschettenrekonstruktion) Fäden durch die plantare Platte gefädelt (Abb. 3 a–c) werden. Über zwei Knochenkanäle in der Basis der Grundphalanx werden die

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ORTHOPÄDIE

CHIRURGIE

Proximale Humerus Plattenosteosynthese (PHILOS) via minimal-invasivem Zugang 11–33 Monate) nach obengenannter Operation an 15 Füssen (13 Patienten). 85% zeigten eine verbesserte Funktion, 77% waren zufrieden oder sehr zufrieden. Der Schmerz-Score (VAS) verbesserte sich signifikant von durchschnittlich 7,3 präoperativ auf durchschnittlich 1,7 postoperativ. Weitere auch längerfristige Untersuchungen mit höheren Fallzahlen sind bisher nicht veröffentlicht. Dr. med. Simon Pankonin, Oberarzt Orthopädie

References 1) Coughlin M, Schutt SA, Hirose CB, et al. Metatarsophalangeal joint pathology in crossover second toe deformity: a cadaveric study. Foot Ankle Int. 2012; 33(2): 133–140. 2) Weil L Jr, Sung W, Weil L Sr, et al. Corrections of second MTP joint instability using Weil osteotomy and dorsal approach plantar plate repair: a new technique. Tech Foot Ankle Sur. 2011 March; 10(1):33–39. 3) Weil L Jr, Sung W, Weil L Sr, et al. Anatomic plantar plate repair using the Weil metatarsal osteotomy approach. Foot Ankle Spec. 2011 Jun; 4(3):145–50. 4) Weil L Jr and Klein E. Current concepts in plantar plate repair. Podiatry Today. 2012 April; 25(4).

Proximale Humerusfrakturen sind die dritt-häufigsten Knochenbrüche des Erwachsenen. Sie sind mit dem zunehmendem Alter sowie der Osteoporose assoziiert und kommen mit einer Inzidenz von 400/100‘000 Einwohner gehäuft bei über 70-jährigen Frauen vor (fünf bis sechs mal häufiger als in der Gesamtbevölkerung). Man unterscheidet nicht-dislozierte Frakturen, welche konservativ durch Ruhigstellung und Physiotherapie behandelt werden, von dislozierten proximalen Humerusfrakturen. Bereits 1951 entwickelte Charles S. Neer eine Humerus-Endoprothese zur Versorgung von komplexen Humeruskopffrakturen.1) Die endoprothetische Versorgung mittels Neer-II-Endoprothese, einer in mehreren Generationen verbesserten Weiterentwicklung, war bis Ende der neunziger Jahre die primäre Operationsmethode. Um die Jahrtausendwende wurde zunehmend eine anatomische Rekonstruktion des Humeruskopfes angestrebt. Nach der Klee-

Abbildung 1: Deltoido-pektoraler Zugang

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Abbildung 2: Minimalinvasiver Deltoid-Split-Zugang

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CHIRURGIE

CHIRURGIE

Über einen Schnitt über dem Musculus deltoideus (Abb. 2) wird direkt auf die Fraktur eingegangen, womit im Vergleich zum deltoido-pektoralen Zugang eine bessere Fraktureinsicht gegeben ist. Nach Reposition über die Rotatorenmanschette wird die PHILOS® -Platte mit Zielbügelaufsatz eingebracht (Abb. 3). Über den Zielbügel können nun perkutan Schrauben, initial zur Reposition der Fraktur sowie anschliessend zur Fixation der Platte am Humerus, eingebracht werden.

Abbildung 3: Einbringen mittels Zielbügel an der PHILOS-Platte © Synthes Technique Guide

Abbildung 4: PHILOS-Plattenosteosynthe

Abbildung 5: Resultat 6 Monate postoperativ

blattplatte, gefolgt von verschiedenen Trends und Techniken (Spickdrahtosteosynthese, Zuggurtungsosteosynthese, DoppelDrittelrohrplatteosteosynthese), setzte sich die sogenannte PHILOS® (Proximal Humerus Internal Locking System) -Plattenosteosynthese durch. Die PHILOS® -Platte wird traditionell durch den deltoido-pektoralen Zugang (Abb. 1) am Humerus angebracht. Dieser Zugang ist mit einem grossem Weichteilschaden und einer potentiellen Beeinträchtigung der Blutversorgung assoziiert. Seit Ende der Nullerjahre wird deshalb auch ein Deltoid-Split Zugang beschrieben, welcher eine minimalinvasive Plattenfixation (MIPO) erlaubt. 2) Im Gegensatz zur offenen Methode führt die minimalinvasive Technik zu einer kleineren Wundfläche, weniger Schmerzen postoperativ sowie zu einem kosmetisch ansprechenderen Resultat. Seit 2011 wird der minimalinvasive Zugang regelmässig am Spital Limmattal angewandt. 14

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Je nach Frakturmorphologie und -Stabilität ist nach der Operation eine früh-funktionelle Nachbehandlung unter intensiver physiotherapeutischer Begleitung für mindestens sechs Wochen angezeigt mit regelmässigen klinischen und radiologischen Verlaufskontrollen. Aus den eigenen Erfahrungswerten postulieren wir rund 10% bessere Resultate in der funktionellen Beurteilung. Zudem ist unsere Hypothese, dass die OsteosynthesematerialenfernungsRate bei minimal-invasiven Zugängen um 20% tiefer ist als bei deltoideo-pektoralen Zugängen. Da in der medizinischen Fachliteratur noch Daten zur Unterscheidung beziehungsweise zu Langzeitergebnissen fehlen, werden aktuell in einer am Spital Limmattal laufenden Studie beide Zugangsarten miteinander verglichen. med. prakt. Philipp Pfäffli, Assistenzarzt Chirurgie Dr. med. Arby Babians, Stv. Leitender Arzt Chirurgie

References 1) Fortbildung Orthopädie, Traumatologie - J. Jerosch, J. Heisel, A.B. Imhoff; 2003 2) Minimal Invasive PHILOS®-Plate Osteosynthesis in Proximal Humeral Fractures – Y. Acklin, R. Jenni, M. Walliser, C. Sommer; Eur J Trauma Emerg Surg 2009 Bildmaterial: Wo nicht anders vermerkt aus eigenen Quellen Update Operative Medizin und minimal-invasive Mikrochirurgie – Juni 2016

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GASTROENTEROLOGIE

GASTROENTEROLOGIE

FTRD: eine neue Methode zur endoskopischen Vollwandresektion im Gastrointestinaltrak ­keiner aufwändigen chirurgischen Organresektion bedürfen wie

Die endoskopische Polypektomie, die Mukosaresektion sowie die en-bloc Befundentfernung mittels submukosaler Dissektions­ techniken (ESD) sind etablierte Methoden zur Adenom- bzw. Frühkarzinom-Therapie im GI-Trakt.

beispielsweise bei GIST, NET (Fallbericht und Abb.2), Granular­ zelltumoren oder Melanom-Metastasen.

Aus onkologischer Sicht ist eine endoskopische Komplett-Entfernung von Frühkarzinomen des GIT in jedem Fall erstrebenswert (oder anzustreben)1), aber nicht immer umsetzbar (Fallbericht und Abb.1).

Ein drittes Problemgebiet für die endoskopische Befund-Kom­ plett­entfernung stellt eine ausgeprägte Narbenbildung nach vorausgegangener Teilpolypektomie, bzw. bei Narben-Adenom­ rezidiven, dar (Fallbericht und Abb.3).

Grenzen dieser Verfahren liegen darüber hinaus bei nichtepitheli­ alen GI-Tumoren mit Ursprung oder Infiltration der Lamina ­muscularis propria 2), die im Fall einer Low-risk-Situation noch

Die für diese Situationen notwendigen endoskopischen Voll­wand-­Resektionstechniken haben sich bislang aus dem experimentellen Bereich klinisch nicht durchsetzen können, mit einer

Fallbericht 1: 78jährige Patientin; EMR eines breitbasigen, 15 mm grossen Polypen im Colon descendens; ­Histologie: e ­ ntartetes Adenom (T1-Karzinom G1, L0, fraglich R1). 7 Tage später APC-­Markierung der Resektionsstelle und Nachresektion mit FTRD System; die Abtragungsstelle wurde v­ oll­ständig en-bloc entfernt. Histologisch Vollwandresektat ohne Residual-Karzinomnachweis, damit low-risk Situation und keine zusätzliche ­chirurgische Therapie notwendig.

Fallbericht 2: 72jähriger Patient; Koloskopie zur Abklärung PET-CT-positiver Colonbefund bei Melanom (retrospektiv: intraabdominelle Melanomfilia neben C.descendens). ­Zufallsbefund submuköser Rektum-Tumor (10 mm) ca. 2 cm proximal der Linea dentata, in EUS mit V.a. Infiltration L.musc.propria. Unproblematische FTRD; ­histologisch Rektumkarzinoid (NET) pT1 G1 R0 [low risk]. Unauffälliger LangzeitVerlauf.

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Abb.2a–d (a: NET Rektum; b: Einziehen mit Greifer in FTRD-Kappe; c: nach Resektion; d: Narbe nach 9 Monaten)

Abb.1a–d (a: Resektionsstelle; b: Sicht mit FTRD Aufsatz; c: nach Resektion; d: Resektat)

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GASTROENTEROLOGIE

GASTROENTEROLOGIE

Fallbericht 3: 72jähriger Patient; auswärts 3x EMR eines Rektumadenoms; Histo: s­ chwergradige Dysplasien, partiell Übergang in Adenokarzinom. Anfang 2010 V ­ orstellung Uni­ klinik Tübingen mit erneutem Lokalrezidiv zur o ­ perativen Therapie (Abb. 3a). ESD wegen Vernarbungen nicht möglich. In EUS keine perirektalen L ­ ymphadenopathien. Unproblematische FTRD (statt TEM) unter Propofol-Sedierung + single shot Antibiose. Histologisch Entfernung eines Narben-Adenoms im Gesunden. 1 Tag stationärer Aufenthalt. 15 Wochen später Clip spontan abgegangen mit stabiler Narbenbildung (Abb. 3f). Im Verlauf von 2 Jahren makroskopisch und histologisch kein Anhalt für ein Lokalrezidiv.

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Abb. 4a, b (a: FTRD-System mit Plastik-Aufsetzkappe inkl. Clip und elektrischer Schlinge, die extern am Koloskop in Plastikhülle entlang geführt wird; b: für FTRD speziell angefertigter OTS-Clip)

­ usnahme: das FTRD System (FTRD = Full Thickness Resection A Device, Abb.4).

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Aufbauend auf dem OTSC (Over-The-Scope-Clip) wurde vom Tübinger Unternehmen OVESCO in Zusammenarbeit mit der ­Endoskopie-Abteilung der Universität Tübingen ein neuartiges Clip-Schlingen-System auf einer der Koloskop-Gerätespitze aufsteckbaren Plastikkappe entwickelt, mit deren Hilfe erstmals mit einem flexiblen Endoskop eine sichere Vollwandresektion im GI-Trakt realisiert werden kann. Das FTRD-System ist im Vergleich zum OTSC-Set mit einem speziell geformten Nitinol-Clip ausgestattet, der mit zusätzlichen Spikes eine noch höhere Sicherheit des Verschlusses bietet (Abb. 4b). Die mit einem grösseren Hohlvolumen gestaltete FTRDKappe kann mit üblichen Koloskopen kombiniert werden.

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Abb. 3a–f (a: Narben-Rezidiv-Adenom [Pfeile] im Rektum; b: Greifen des Befundes / FTRD Aufsatz; c: Greifer zieht Befund in FTRD-Kappe bei invertiertem Gerät / neben Koloskop elektrische Schlinge ­innerhalb der Schutzhülle; d: nach Resektion; e: Kontrastmittel-Prallfüllung Rektum nach FTRD; f: Narbe nach 4 Monaten)

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In der Spitze der Kappe ist bereits eine entfaltete Schlinge integriert, mit der später der in die Kappe eingezogene Befund vollwandreseziert wird. Die Schlinge wird innerhalb einer Plastikumhüllung an der Aussenseite des Geräteschafts entlanggeführt (Abb.3c + 4) und in üblicher Weise wie bei einer Polypektomie eingesetzt. Update Operative Medizin und minimal-invasive Mikrochirurgie – Juni 2016

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GASTROENTEROLOGIE

GASTROENTEROLOGIE

FTRD – Arbeitsschritte 1. Vorspiegeln mit einem Routine-Koloskop, ggf. Darmreinigung und Markierung des Befundes wie vor ESD. Die Markierung ist auch bei leicht erkennbaren Befunden empfehlenswert, da mit aufgesetzter FTRD-Kappe, bzw. während des Einziehens des Befunds in die Kappe der Überblick meist eingeschränkt ist. Weiterhin kann abschliessend das Resektat bzgl. der Vollständigkeit der Resektion in den Randbereichen besser beurteilt werden. 2. Befundeinstellung mit dem FTRD-System, grosszügiges Einziehen des Befunds in die Kappe möglichst mit Greifer (oder Anchor, Fa. OVESCO) und nur zurückhaltende Verwendung von Dauer-Sog, um das unbeabsichtigte Mithineinsaugen dahinterliegender Organe zu vermeiden.

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dingt-komplett in die FTRD-Kappe einbringbar ist. Daher liegt der Schwerpunkt der FTRD-Anwendung derzeit bei Befunden im Colon4, 5).

Fazit Der Artikel beschreibt ein neuentwickeltes endoskopisches Verfahren zur Vollwandresektion, welches 2015 erstmals auch im Spital Limmattal bei einem Patienten mit Rektumkarzinoid erfolgreich zur Anwendung kam. Mit dem FTRD-System sind erstmals praktikable, flexibel-endos­kopische Vollwandresektionen mit sicherem, clipbasiertem Hohlorganverschluss im GI-Trakt realisierbar.

3. Lösen des FTRD-Clips (via Handrad, vergleichbar einer Gummibandligatur): damit wird gewährleistet, dass zu allen Zeitpunkten der Vollwandresektion ein Wandverschluss vorliegt. Die unvermeidliche Perforation wird also noch vor ihrer Entstehung bereits unterhalb des Befunds verschlossen, womit eine Kon­ tamination der Bauchhöhle vermieden werden kann.

Indikationen � T1-Karzinome (low-risk), inklusive Nachresektion nach R1-/Rx- Abtragung � subepitheliale Tumoren, vorallem bei V.a. Infiltration tiefer Wandschichten � Adenome an schwieriger Lokalisation (z.B. neben Divertikel) � Resektion von non-lifting-(Rezidiv-)Adenomen � diagnostische Vollwandresektion, z.B. bei V.a. Aganglionose

4. Unmittelbar nach Lösen des FTRD-Clips sofortiges S ­ chliessen der Schlinge und Abtrennen des Befunds. Entfernung des ­Endoskops einschliesslich Befundbergung innerhalb der Kappe. Das FTRD-System kam klinisch erstmals 2010 im Rektum zum Einsatz 3) (siehe auch Fallbericht 3). Mittlerweile sind bei mehreren Patienten rektale FTRD-Anwendungen erfolgt (s. Fallbericht 2), allerdings ist hier anatomiebedingt oft kein Vollwandresektat in der Kappe nachweisbar, sondern Teile der äusseren Rektumwand verbleiben meist im Clip (Abb.2c) und müssen aus diesem für die histologische Aufarbeitung entfernt werden, da die Rektumwand innerhalb ihrer äusseren Hüllfaszien nur be-

Vorteile � Intervention unter Sedierung; keine Intubationsnarkose ­erforderlich � bei onkologischer low-risk-Situation Vermeidung einer OP ­möglich � Verhinderung der Kontamination der Bauchhöhle durch Clip-Verschluss vor Exzision � en-bloc-Resektion für suffiziente pathologische Aufarbeitung � dynamischer Clipverschluss: Sicherheit ist einer chirurgischen Naht vergleichbar � kein erhöhter Personal- und kein gesonderter Geräte-Bedarf

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GASTROENTEROLOGIE

Kontakte für weiterführende Informationen Limitierungen � Zulassungsbeschränkung bislang auf colorektale Befunde � Sichtverhältnisse während FTRD v.a. bei Rest-Stuhlverschmutzung eingeschränkt � empfohlene entfernbare Befundgrössen bis max. 2,5cm � Befunde im proximalen Kolon mit aufgezogenem FTRD-System gelegentlich schwer erreichbar � eingeschränkte Anwendbarkeit im Rektum Dr. med.Thomas Kratt, Stv. Leitender Arzt Gastroenterologie Dr. med.Marcos Oberacher, Oberarzt Gastroenterologie Dr. med.Branislav Risti, Co-Chefarzt Medizinische Klinik

References 1) Schlag C, Wilhelm D, Feussner H, Meining A et al. EndoResect study: endoscopic full-thickness resection of gastric subepithelial tumors. Endoscopy 2013; 45: 4-11 2) Sarker S, Kyanam Kabir Baig KR, Mönkemüller K et al. Over-the-scope clip-assisted method for resection of full-thickness submucosal lesions of the gastrointestinal tract. Endoscopy 2014; 46(9): 758-61 3) Kratt T, v.Renteln D, Königsrainer A et al. ERD versus TEM: Erste Erfahrungen mit einem neuartigen Clip-Schlinge-System zur flexiblen, transanalen Vollwandresektion im Colorektum. Z Gastroenterol 2010; 48: 889-90 4) Schmidt A, Bauerfeind P, Gubler C, Damm M, Bauder M, Caca K. Endoscopic full-thickness resection in the colorectum with a novel over-the-scope device: first experience. Endoscopy 2015 Aug; 47(8): 719-25 5) Valli PV, Kaufmann M, Vrugt B, Bauerfeind P (2014) Endoscopic resection of a diverticulum-arisen colonic adenoma using a full thickness resection device. Gastroenterology. 2014 Nov; 147(5): 969-71

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Ärztliches Departement I/ Operative Kliniken sekretariat.chirurgie@spital-limmattal.ch

Dr. med. Jörg Genstorfer Oberarzt Chirurgie/ Redaktionsleiter joerg.genstorfer@spital-limmattal.ch Dr. med. Arby Babians Stv. Leitender Arzt Chirurgie

arby.babians@spital-limmattal.ch

Dr. med. Thomas Kratt Stv. Leitender Arzt Gastroenterologie thomas.kratt@spital-limmattal.ch Dr. med. Marcos Oberacher Oberarzt Gastroenterologie

marcos.oberacher@spital-limmattal.ch

Dr. med. Simon Pankonin Oberarzt Orthopädie

simon.pankonin@spital-limmattal.ch

med. prakt. Philipp Pfäffli Assistenzarzt Chirurgie

philipp.pfaeffli@spital-limmattal.ch

Dr. med. Rebekka Welter Oberärztin Frauenklinik

frauenklinik@spital-limmattal.ch

med. prakt. Lukas Wolf Oberarzt Anästhesie

lukas.wolf@spital-limmattal.ch

Update Operative Medizin und minimal-invasive Mikrochirurgie – Juni 2016

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«Update operative Medizin und minimal-invasive Mikrochirurgie» richtet sich an niedergelassene Ä ­ rztinnen und Ärzte und erscheint in regelmässigen Abständen. Rückmeldungen nehmen wir gerne entgegen.

Diese Ausgabe ist auch auf unsere Website abrufbar unter: www.spital-limmattal.ch/update-operative-medizin

Spital Limmattal Ärztliches Departement I/Operative Kliniken Urdorferstrasse 100 CH-8952 Schlieren Telefon +41 44 733 21 26 Fax +41 44 733 24 05 sekretariat.chirurgie@spital-limmattal.ch www.spital-limmattal.ch


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