Spectrum Notes / April 2019

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31. Saison 2019 Frank S. Dodge Gründer und Künstlerischer Leiter

Das heutige Programm

SPECTRUM CONCERTS BERLIN

Habakuk Traber

II. Konzert der 31. Saison Dienstag, 30. April 2019

Teil I ERICH WOLFGANG KORNGOLD – PROJEKT

Philharmonie / Kammermusiksaal

19.30 Uhr Konzerteinführung mit Habakuk Traber 20.00 Uhr Konzert

Mitglieder des Ensembles Spectrum Concerts Berlin

BORIS BROVTSYN Violine CLARA-JUMI KANG Violine YURA LEE Viola GARETH LUBBE Viola TORLEIF THEDÉEN Violoncello JENS PETER MAINTZ Violoncello

JOHANNES BRAHMS (1833 – 1897) Streichsextett Nr. 2 G-Dur, op. 36 (1864 – 1865)

Allegro non troppo Scherzo. Allegro non troppo Poco adagio Poco allegro 20 Minuten Pause

Kunst und Leben: Brahms´ Streichsextett op. 36

ERICH WOLFGANG KORNGOLD (1897-1957)

Die Jahre zwischen 1859 und 1865 brachten für Johannes Brahms existenzielle Entscheidungen und Umbrüche, die Spuren im künstlerischen Schaffen hinterließen. Das Verhältnis zu Clara Schumann klärte sich, soweit es ging; dass Brahms 1859 die Verlobung mit der Göttinger Professorentochter Agathe von Siebold auflöste, wirkte in ihm längere Zeit nach: Die Tonfolge A-G-A-H-E, die alle in Noten übersetzbaren Buchstaben ihres Namens enthält, findet sich an prominenter Stelle in seinen Frauenchören op. 44 aus dem Jahr 1860 und im G-Dur-Sextett aus dem Jahr 1865; sie schließt dort im ersten Satz den Teil der Themenvorstellung ab und wird dabei mehrfach wiederholt und verwandelt; rückwirkend betrachtet, führt eine ganze Kette motivischer Metamorphosen auf dieses Anagramm hin. Seinem Wiener Freund Josef Gänsbacher, dem er die Cellosonate op. 38

Streichsextett für zwei Violinen, zwei Violen und zwei Violoncelli D-Dur op. 10 (1914-1916)

Moderato – Allegro Adagio Intermezzo. Moderato con grazia Finale. Presto

Änderungen vorbehalten

31. Saison 2019

ERICH WOLFGANG KORNGOLD (FOTO: Schott Music)

SPECTRUM NOTES 30. April 2019 - Ausgabe 3


widmete, vertraute er an, mit dem G-Dur-Sextett habe er sich von seiner „letzten Liebe losgemacht“. Bezog sich diese Bemerkung nur auf Agathe? Zwei weitere musikalische Hinweise verdienen in diesem Zusammenhang Beachtung. Als Grundlage für das Scherzo, das im G-Dur-Sextett an zweiter Stelle steht, wählte Brahms ein älteres Klavierstück, eine Gavotte aus dem Jahr 1855. Sie gehörte zu einem Suitenfragment, einer Sarabande und Gavotte, wobei letztere in häufig gewählter Dreiteiligkeit aus Gavotte I – Gavotte II – Gavotte I bestand. Brahms selbst spielte die beiden Stücke erstmals am 14. November 1855 in einem gemeinsamen Konzert mit Clara Schumann und Joseph Joachim in Danzig; er und Clara nahmen sie danach häufiger in ihre Konzertprogramme auf. Für das Sextett zog er die Gavotte I heran, auf die Sarabande und die Gavotte II kam er 1882 in seinem Streichquintett op. 88 zurück.

Im Thema des dritten, langsamen Satzes dominiert ein Motiv, das sich auch in anderen Werken, etwa im Ersten Klavierkonzert findet. Seinen Ursprung hat es in Robert Schumanns Introduktion und Allegro appassionato G-Dur op. 92 für Klavier und Orchester. Im Sextett erscheint es als ein Verwandter des Anfangsmotivs aus dem ersten Satz, mit dem zugleich die charakteristische Harmonik des Werkes fixiert wird, und – in Umkehrform – des Triothemas aus dem Scherzo, dessen Mittelabschnitt sich lebhaft von den Rahmenteilen unterscheidet. Auch hier findet, ähnlich wie beim Agathe-Motiv im ersten Satz, eine Entwicklung hin auf die erinnerungsgeladene Themengestalt statt. Das kompositorische Mittel für eine solche Entwicklung ist das Variieren. Dieses beginnt also im Adagio, dem eigentlichen Variationensatz, nicht erst, sondern findet in diesem seinen Höhepunkt. In jedem der ersten drei Sätze gibt es Motiv- und Themenbildungen, die mit Brahms’ Lebensgeschichte zusammenhängen. Sie weisen zu Agathe von Siebold, zu Clara und Robert Schumann, also zu drei Menschen, zu denen er neben Joseph Joachim seit 1853 die engsten Beziehungen hatte. Nicht ganz bedeutungslos ist gewiss die Tatsache, dass diese drei Sätze in dichter zeitlicher Folge komponiert wurden, während das Finale erst Monate später, aus einer gewissen Distanz entstand. Dazwischen lag eine doppelte Zäsur: der Tod der Mutter im Februar 1865 (das Horntrio schrieb er ebenso wie Teile des Deutschen Requiems im Gedenken an sie) und die endgültige Entscheidung für Wien als Lebensmittelpunkt.

Lachenmanns Worten „existenzielle Erfahrung“. Das gestaltete und erlittene Leben mag Material, mag musikalische Zeichen und Symbole angeregt und Perspektiven nahegelegt haben. So lässt das Finale aus op. 36 manche Reminiszenzen an die vorangegangenen Sätze aufblitzen, ohne direkt Passagen aus ihnen zu verwenden. Das Spiel mit Erinnerungsstücken und Anknüpfungen schafft Distanz. Sie erfüllt sich im Elan und in einer gewissen Leichtigkeit des Schlussstücks. Es besiegelt den Abschluss eines Prozesses, den die ersten drei Sätze austrugen.

Das Korngold Streichsextett op. 10

Der heutige Abend bietet nach der Pause das erste Kapitel eines größeren Spectrum-Vorhabens: der Aufführung und Aufzeichnung von Kammermusikwerken aus der Feder von Erich Wolfgang Korngold; sie werden beim Label Naxos als Spectrum-CD erscheinen. Der Komponist wurde 1897 in Brünn geboren, wuchs ab 1901 in Wien auf und erhielt dort auch seine Ausbildung, sammelte bald über seine Heimatstadt hinaus Erfolg um Erfolg auf allen Gebieten ein, vom Klavierlied über Kammer- und Orchestermusik bis hin zur großen Oper. Als die Nationalsozialisten ihren Machtbereich über Deutschland hinaus ausdehnten, blieb er in den USA und setzte dort als Komponist für den Film die absoluten Maßstäbe in diesem Genre angewandter Musik. Brendan G. Carroll überschrieb seine Korngold-Biographie mit »Das letzte Wunderkind«; und wer das heutige Konzert gehört hat, wird an der damit getroffenen Aussage keinen Zweifel hegen – allenfalls hoffen, dass das Attribut »letzte« nicht endgültig bleiben möge.

Das Sextett op. 10 komponierte Korngold im Alter von siebzehn Jahren, neben seinen Opernerstlingen ›Der Ring des Polykrates‹ und ›Violanta‹ - knapp fünf Jahre nach seinem legendären Klaviertrio op. 1. Die Uraufführung spielte das Rosé-Quartett, benannt nach seinem Primarius Arnold Rosé, Konzertmeister des Hofopernorchesters sowie der Philharmoniker und Schwager Gustav Mahlers. Auch diesem Werk legte Korngold wie dem Klaviertrio op. 1 die überlieferte viersätzige Form zugrunde, und deutete sie wiederum auf ganz spezifische Weise aus. Elemente des Musiktheaters, die sich in der Plastizität musikalischer Charakterisierungen in Opus 1 bereits andeuteten, spielen im Sextett eine stärker formbildende Rolle. So nutzt Korngold im ersten Satz die Einleitungstakte immer wieder als Portal, das die Aufmerksamkeit auf eine neue musikalische Szenerie lenkt. Die Kunst, einprägsame und zugleich komplexe Themen zu erfinden, die ihren Sinn erst durch die Kooperation aller Beteiligten erhalten, ihre Veränderungen, Weitungen und Reduktionen bis hin zur bloßen Andeutung, der Wechsel musikalischer Gestalten zwischen Vorder- und Hintergrund erzeugt ein Drama, das keine unterstützenden Worte oder Bilder braucht.

Im Sextett op. 36 trägt Brahms einen Teil seiner eigenen Geschichte aus. Er komponiert aber keine Erzählungen aus seinem Leben. Entscheidend bleibt für ihn die Kunstform; was er zu sagen hat, muss sich vor ihrer Tradition bewähren. Denn die Kunst selbst, nicht nur die Lebensgeschichtlichkeit ihrer Impulse und Themen, bedeutet für ihn nach Helmut

31. Saison 2019

Den zweiten Satz entwickelt er aus den Schattierungen des Anfangs zu einer innigen Gesangsszene ohne Worte, die Nähe zum Theater ist auch hier musikalisch zu spüren. Als Hommage an Wien und seine Musik komponierte Korngold den dritten Satz; aus seiner Zuneigung zur Musik von Johann Strauß macht Korngold hier so wenig wie im Klaviertrio einen Hehl. Im schnellen, brillanten Kehraus des Finales scheinen immer wieder Reminiszenzen an die vorhergehenden Sätze SPECTRUM NOTES 30. April 2019 - Ausgabe 3


auf – mehr im Tonfall als in thematischen Gestalten; auch hier wird die Kunst der Andeutungen kultiviert.

Ein besonderer Gast heute Abend

Das X-Rostropowitsch Giovanni Battista Guadagnini

Habakuk Traber

III. Nächstes Konzert

Donnerstag, 6. Juni 2019

Philharmonie / Kammermusiksaal 20.00 Uhr Konzert 19.30 Uhr Einführung mit Habakuk Traber

JANINE JANSEN Violine JULIA-MARIA KRETZ Violine AMIHAI GROSZ Viola PAULINE SACHSE Viola TORLEIF THEDÉEN Violoncello JENS PETER MAINTZ Violoncello

WOLFGANG AMADEUS MOZART Divertimento für Violine, Viola und Violoncello Es-Dur KV 563

JOHANNES BRAHMS Streichsextett Nr. 1 B-Dur op. 18

IV. Konzert Das Korngold-Projekt Teil II

Sonntag, 24. November 2019

Philharmonie / Kammermusiksaal 20.00 Uhr Konzert 19.30 Uhr Einführung mit Habakuk Traber

BORIS BROVTSYN Violine CLARA-JUMI KANG Violine GARETH LUBBE Viola TORLEIF THEDÉEN Violoncello ELDAR NEBOLSIN Klavier

Dieses Violoncello stammt von Giovanni Battista Guadagnini und wurde 1783 in Turin gebaut. Es befand sich im Besitz des großen Cellisten Mstislaw Leopoldovich "Slava" Rostropowitsch. Spectrum-Mitglied Torleif Thedéen spielt jetzt dieses Cello und es ist heute Abend bei uns. Das Instrument wurde ihm von Dextra Musica als Leihgabe überlassen und wird heute Abend sowie auf der Aufnahme im Korngold Sextett zu hören sein.

ERICH WOLFGANG KORNGOLD Suite für zwei Violinen, Violoncello und Klavier linke Hand op. 23

Klavierquintett für zwei Violinen, Viola, Violoncello und Klavier E-Dur op. 15

Erich Wolfgang Korngold

Zwei CD-Produktionen in Zusammenarbeit mit Deutschlandradio und Naxos sind in Planung. Veröffentlichung 2020

31. Saison 2019

In Zusammenarbeit mit Naxos und Deutschlandradio Kultur wird das Streichsextett op. 10 von Erich Wolfgang Korngold von 1. – 3. Mai 2019 in der Jesus-Christus-Kirche-Berlin aufgenommen. Die Suite op. 23, das Klavierquintett op. 15 und das Klaviertrio op. 1 kommen bei uns am 24. November 2019 zur Aufführung. Die Einspielung für die CD erfolgt vom 25. – 27. November 2019, wiederum in der Jesus-ChristusKirche.

SPECTRUM NOTES 30. April 2019 - Ausgabe 3


(FOTO: Adil Razali)

Generalprobe am 11. März 2019

Cover: My Bohemia, Alan Magee

Boris Brovtsyn Violine Clara-Jumi Kang Violine Yura Lee Viola Gareth Lubbe Viola Torleif Thedéen Violoncello Jens Peter Maintz Violoncello

(FOTO: Adil Razali)

Cover: il Beato Angelico, Alan Magee

Boris Brovtsyn Violine Clara-Jumi Kang Violine Gareth Lubbe Viola Torleif Thedéen Violoncello Eldar Nebolsin Klavier Veröffentlichung 2020

Eisenacher Straße 53, 10823 Berlin Telefon 030/787 14 801 –802 E-Mail: info@spectrumconcerts.com Website: www.spectrumconcerts.com

31. Saison 2019

Boris Brovtsyn, Eldar Nebolsin und Jens Peter Maintz im Krönungs-Kutschen-Saal der HfM "Hanns Eisler" beim Proben des Klaviertrios von Peter Tschaikowsky.

SPECTRUM NOTES 30. April 2019 - Ausgabe 3


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