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Reportage

15. Juli 2018

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Über und über mit Blut befleckt Zwischen Trümmern ging der Papst zu den Bombenopfern.

Die Geste am Platz vor der vom Bombenhagel getroffenen Kirche San Lorenzo zählt zu den ausdrucksstärksten Bildern des Pontifikats von Pius XII. Bild: Gemälde von Achille Beltrame in „La Domenica del Corriere“ vom 1. August 1943.

Foto: KNA

uf seine Weise heiligen Charakter der Hauptstadt der Christenheit zu achten und sie von weiteren Bombardements zu verschonen. Zugleich forderte der Vatikan die Italiener auf, hohe militärische Kommandos aus der Stadt zu schaffen, die den Alliierten Grund zu Angriffen geben könnten. Er rief dazu auf, Rom zu einer „offenen Stadt“ zu machen. Zehn Tage nach dem großen Luftangriff wurde Diktator Benito Mussolini gestürzt und verhaftet. Italien blieb zunächst auf deutscher Seite im Krieg, bereitete jedoch seine Kapitulation vor. Unmittelbar nach deren Bekanntwerden am 9. September 1943 rückten deutsche Truppen in Rom ein. Für neun Monate war die Ewige Stadt von den Nazis besetzt. Am 4. Juni 1944 übernahmen dann US-Einheiten von Osten her die Stadt, während gleichzeitig die deutschen Verbände nach Norden abzogen. Zu größeren Kämpfen kam es aufgrund vorheriger Absprachen dabei nicht. Der Bombenabwurf vom 19. Juli 1943 war nicht der letzte Luftangriff auf Rom; die späteren waren jedoch nicht so verheerend. Das römische Stadtzentrum blieb danach von Kriegszerstörungen weitgehend verschont.

Aber am 4. November 1943 wurde der Vatikan getroffen: In den späten Abendstunden fielen vier Bomben. Ein Fehlabwurf ist ausgeschlossen, weil das einzelne Flugzeug vorher länger über Rom kreiste und bei klarem Mondlicht gute Sicht bestand. Die Bomben richteten beträchtlichen Sachschaden am Governatorat und am Bahnhof an; in der ganzen Umgebung flogen die Fensterscheiben heraus. Jedoch wurde niemand verletzt oder getötet. Wenn auch durch glückliche Umstände: Der spätere Kardinal Domenico Tardini hatte kurz zuvor sein Studio im Governatorat verlassen, das schwer beschädigt wurde. Die vatikanische Diplomatie protestierte und forderte bei Alliierten und Deutschen Aufklärung. Aber jede Seite bestritt den Abwurf und machte die Gegenseite für den Angriff verantwortlich. Der Vatikan hat die Schäden nach dem Angriff weitgehend beseitigt. Nur die getroffene Fassade des Bahnhofs, in dem heute ein Supermarkt für Elektronik, Getränke und Bekleidung untergebracht ist, wurde nie repariert. Auch nach 75 Jahren sieht man noch die von Bombensplittern beschädigte Front. KATHPRESS

I

n einem Zimmer des Vatikanischen Palastes ist ein kleines Museum mit Erinnerungsstücken an Papst Pius XII. [bürgerlicher Name Eugenio Maria Giuseppe Giovanni Pacelli; * 2. März 1876 in Rom; † 9. Oktober 1958 in Castel Gandolfo, Papst vom 2. März 1939 bis zu seinem Tode, Anm. Sonntagsblatt] eingerichtet worden. Es soll jedoch erst nach dem Tode des Papstes der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Unter den vielen Fotografien befindet sich dort auch ein Bild des damaligen Nuntius Eugenio Pacelli in Bergmannstracht, das nach seinem Besuch in einem Bergwerk bei Gelsenkirchen aufgenommen wurde. Blutbeflecktes Kleid Die wertvollste Reliquie aber ist das blutbefleckte weiße Kleid, das der Papst bei seinem Besuch der bombardierten Viertel um San Lorenzo am 19. Juli 1943 trug. Zwischen Trümmern und Leichen ging der Papst dort zu Fuß zu den Verwundeten und brachte ihnen Trost und Hilfe, während Soldaten mit ihren Jacken einen Teppich vor seinen weißbeschuhten Füßen ausbreiteten. Eine alte Prophezeihung des Don Bosco erfüllte sich: Über und über mit Blut befleckt kehrte der Stellvertreter Christi in den Vatikan zurück. Der Papst an der Kasse der Bank Am spätesten erholte sich der Kassierer der Vatikanischen Bank von den Aufregungen dieses Tages. Während noch die alliierten Flugzeuge über Rom kreisten, erschien der Papst zum erstenmal in der Geschichte persönlich an der Kasse der Bank und forderte alles verfügbare Geld. Einen Augenblick mag der überraschte Kassierer geglaubt haben, einen Betrüger vor sich zu haben. Dann aber händigte er Pius zwei Millionen in Tausend-Lire-Scheinen aus, die der Papst bei San Lorenzo unter die Opfer des Bombenangriffs verteilte. Zum ersten Male reichte der Papst an diesem Tage dem britischen und dem amerikanischen Botschafter nicht die Hand und ließ sie wie Schuljungen vor seinem Tische stehen. Und ebenso kühl verabschiedete er wenige Monate später den deutschen Botschafter, der ihm im Auftrag Hitlers ein Asyl in Deutschland für den Fall einer alliierten Besetzung Roms anbot. „Sagen Sie dem Reichskanzler, dass er immer auf unsere Gastfreundschaft rechnen kann, wenn er sie in Kürze benötigen wird.“ Das war sein einziger Kommentar. DER SPIEGEL 9/1949


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