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Binnenland > P. 170
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Unsere Ansprüche haben sich verändert
Julia Kahl • Lieber Mika und Nik, schön euch hier in München zu treffen. Ihr seid Binnenland, ein kleines in Bern ansässiges Büro, das seit 2007 Schriften gestaltet und verkauft. Im Slanted Magazin #6 war Binnenland mit der T-Star vertreten, das war 2008. Ein Jahr später wurde die Schrift Korpus veröffentlicht. Jetzt haben wir 2011, was ist in der Zwischenzeit passiert? Binnenland — Wahnsinnig viel. In unserem Vortrag heute haben wir schon ein paar Daten eingeblendet: 2008 haben wir mit der Korpus begonnen und uns dadurch verstärkter mit den typografischen Momenten in der Schrift auseinandergesetzt. In der Zeit davor haben wir vor allem technisch anmutende Schriften entwickelt. • Also technisch, wie z.B. die T-Star? Genau. Wir hatten ja bereits vor der Gründung von Binnen land beide Schriften gezeichnet, wie z.B. die Blender und die T-Star. Über sie sind wir auch »zusammengekommen«, könnte man sagen. Ich habe die Blender entdeckt und Nik fast zeit gleich die T-Star. Über das Konstruieren und Ausloten unserer grafischen Mittel – wir sind ja Grafiker und keine gelernten Typografen – sind wir uns näher gekommen und haben gedacht, der funktioniert so ein bisschen wie ich auch funktioniere. • Dass ihr erwähnt, dass ihr keine gelernten Typografen seid, finde ich einen sehr interessanten Gesprächspunkt. Viele Grafiker machen irgendwann in ihrer Laufbahn eine Schrift – manche ganz gut, manche auch weniger gut. Ihr habt jetzt schon mit einigen Schriften »bewiesen«, dass ihr ein Gespür dafür habt. Wie seid ihr zur Schriftgestaltung gekommen? Das ist natürlich immer Einstellungssache, wie man mit Schriften umgehen will. Man kann sehr schnell eine Schrift für eine bestimmte Anwendung, wie z.B. einen Flyer gestalten, auf dem die Schrift funktioniert. So hat es bei uns angefangen. Aber das hat dann immer weiter geführt, denn nur Display Fonts zu zeichnen, hat uns irgendwann nicht mehr interessiert.
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Binnenland ist ein Schriftenverlag, der 2007 von den Grafikern Michael Mischler und Niklaus Thoenen gegründet wurde. Seitdem entwickeln sie Schriften und initiieren auf ihre Weise einen Austausch über Typografie. Julia Kahl interviewte Binnenland am 16. April 2011 während der 20plusx Konferenz in München.
Unsere Ansprüche haben sich verändert – verändern sich eigentlich ständig, und zwar in Bezug auf Gestaltung und Typografie, sodass wir immer mehr »eingekochtes« Design machen. Das bedeutet für uns, dass grafische Elemente oft komplett wegfallen und Schrift der Hauptträger der Nachricht wird. Somit muss die Schrift, egal ob im Text oder im Headline-Bereich, einfach funktionieren und deshalb haben wir angefangen zu forschen. Wir gestalten oft Bücher und haben dabei zunehmend mit eigenen Schriften gearbeitet. Das war nicht so geplant, aber hat ja auch etwas mit Identität zu tun. Angefangen hat alles in einer gemeinsamen Arbeit für einen Wettbewerb und dem in Folge zu gestaltenden Katalog für ein kleines Museum in Metz, Frankreich. Der Katalog über die Sammlung war als Text buch geplant. Das wurde für uns eine Art Absichtserklärung und Herausforderung, eine akzeptable Schrift zu gestalten. Wir haben mit dem Kunden nie über die eingesetzte Schrift gesprochen. Wir haben die Texte gesetzt und als die Publikation fertig war und niemand reklamierte, der Text sei unleserlich, war das ein gutes Gefühl. • Welche Schrift habt ihr dort eingesetzt? Das war die Catalog. Eigentlich hinken die Schriftprodukte dem Wissensstand immer leicht hinterher. Wir meinen damit, dass die neu gewonnen Erkenntnisse durch die Entwicklung einer Schrift erst der nächsten Schriftentwicklung zugute kommen. Das hat uns eigentlich auch zur Korpus geführt. • Seit 2008 habt ihr an der Korpus gearbeitet und sie jetzt veröffentlicht. Die Schriftuntersuchung zur Korpus »bezieht sich auf 10-Punkt-Antiqua Schriften aus dem Schriftprobenbuch der Werkschriften der Großdruckerei und Verlages Waldheim-Eberle AG in Wien von 1920«. Gleichzeitig aber auch auf »Fehlleistungen bei der Zeichenwiedergabe«. Wie genau habt ihr diese beiden Ansätze miteinander kombiniert?
1 Atelier, Research Sammlung und Untersuchung von ersten allgemeinen SchriftWiedergabeformen und -techniken.