Chemiextra 10 2016

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BIOWISSENSCHAFTEN

Wie ein Hormon die innere Uhr von Pflanzen beeinflusst

Wenn Pflanzen nicht richtig ticken Pflanzen stimmen ihre physiologischen und entwicklungsbedingten Prozesse auf den Tagesverlauf ab, dafür nutzen sie ihre innere Uhr. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Dahlem Centre of Plant Sciences (DCPS) der Freien Universität entdeckten kürzlich einen bislang gänzlich unbekannten Stress bei Pflanzen, den sogenannten «circadiane Stress».

Manchmal hilft dabei der Zufall auf die Sprünge. Bei Reparaturarbeiten an Pflanzenwachstumskammern entdeckten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Angewandten Genetik am Institut für Biologie, dass sich die Pflanzen in diesen Kammern ungewöhnlich verhielten: Auf die Umstellung des Licht-Dunkel-Rhythmus reagierten manche Pflanzen, indem ihre Blätter abstarben – ein Symptom von extremem Stress. Die genauere Untersuchung dieses Zufallsfundes führte zur Entdeckung einer bislang bei Pflanzen völlig unbekannten Form von Stress, für den die Wissenschaftler die Bezeichnung «circadian» (lat. circadian: ringsum den Tag, den Tagesrhythmus betreffend) prägten. Die Ergebnisse wurden jetzt in Plant Cell, der führenden Fachzeitschrift der Pflanzenwissenschaften, veröffentlicht.

Einfluss der inneren Uhr Dieser Stress beeinträchtigt das Funktionieren des inneren Zeitgebers der Pflanzen, der circadianen Uhr. Diese Uhr wird 21 6

Ein Defekt der inneren Uhr oder zu wenig vom Hormon Cytokinin führt bei verändertem Lichtrhythmus in der Modellpflanze Arabidopsis (Ackerschmalwand) zum Zelltod. Links eine nicht gestresste Pflanze, rechts eine gestresste.

jeden Tag neu durch rhythmische Veränderungen in der Umwelt justiert. Die wichtigsten Einflussfaktoren sind die täglichen Veränderungen von Licht und Temperatur. So wie eine echte Uhr aus vielen Rädchen und Federn besteht, setzt sich auch die circadiane Uhr aus einer Vielzahl einzelner Komponenten zusammen. Verschiedene Gene, darunter sogenannte Transkriptionsfaktoren, sind für ihre korrekte Funktion

Bild: FU Berlin

Zufallsentdeckung

Bild: Silvia Nitschke / Freie Universität Berlin

Pflanzen bleiben ihr ganzes Leben am selben Standort, sie können nicht weglaufen. Dort, wo sie wachsen, sind sie vielfältigen Umwelteinflüssen ausgesetzt. Tägliche und saisonale Änderungen von Temperatur und Lichtbedingungen sowie Angriffe von Schadorganismen sind ihre ständigen Begleiter und potenzielle Stressfaktoren. In den vergangenen Jahren sind viele Mechanismen, mit denen Pflanzen sich gegen diese Einflüsse zur Wehr setzen und ihr Überleben sichern, erforscht worden. Nur ganz selten wird eine neue Art von Stress entdeckt.

Obwohl die im Labor genutzten Bedingungen in der Natur so nicht auftreten, konnten die Forscher aus ihren Experimenten wichtige Erkenntnisse ableiten.

notwendig. Diese Transkriptionsfaktoren steuern, wann bestimmte Gene abgelesen und in Proteine übersetzt werden. So unterdrücken beispielsweise die Transkriptionsfaktoren CCA1 und LHY am Morgen die Übersetzung von Genen, die für Prozesse am Abend gebraucht werden.

Rolle des Hormons Cytokinin Sobald die circadiane Uhr der Pflanzen richtig eingestellt ist, koordiniert sie verschiedenste Prozesse optimal in Abhängigkeit von der Tageszeit. Sie hat unter anderem Einfluss auf die Pflanzenhormone, die wiederum das Wachstum und die Entwicklung von Pflanzen kontrollieren. Zu diesen Hormonen zählt auch Cytokinin, das bei der Zellteilung und Zelldifferenzierung in Wurzeln und Sprossspitzen eine wichtige Rolle spielt. Silvia Nitschke untersuchte in ihrer Dissertation in der Arbeitsgruppe von Professor Thomas Schmülling am Dahlen Centre of 10/2016


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