Wegmarke | Garten+Landschaft

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Der Camí de les Guixeres schlängelt sich heute auf 800 Meter durch die Landschaft des katalanischen Igualada. Bis zu seiner Eröffnung 2018 war die umgebende Landschaft jedoch maßgeblich von den Folgen des jahrelangen Gipsabbaus gezeichnet. Die Architekten Batlle i Roig definierten ihr Image neu und tragen durch den Einsatz ausgewählter Materialien zu ihrer schrittweisen Regenerierung bei. SIGRID EHRMANN

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Alle Fotos: Jordi Surroca

WEGMARKE


TEXTUR CAMÍ DE LES GUIXERES, IGUALADA

AUTORIN Sigrid Ehrmann ist freiberufliche Landschaftsarchitektin und Fachübersetzerin. Sie lebt und arbeitet in Barcelona. Zuvor war sie für verschiedene Büros in Melbourne und Berlin tätig.

Langsam steigt der Weg an, der zu den Hügeln im Norden Igualadas führt. Gelegentlich geben die Häuser den Blick auf das Gebirgsmassiv Montserrat, eines der Wahrzeichen Kataloniens, frei. Dann verschwindet es wieder. Am Rande der Stadt gelangt man zum Ausgangspunkt des Camí de les Guixeres – ein Fußweg entlang eines ehemaligen Gips-Steinbruchs. Der Weg ist Teil des sogenannten Grünen Rings, mit dem die Stadt mit Fuß- und Fahrradwegen den grünen Gürtel um Igualada erschließen will. Die Kleinstadt Igualada liegt 60 Kilometer nordöstlich von Barcelona. Landschaftsarchitekten ist sie insbesondere wegen des Friedhofs der Architekten Enric Miralles und Carme Pinós bekannt. Mit dem Camí de les Guixeres besitzt die Stadt ein

weiteres Kleinod der Freiraumarchitektur. Das Projekt wurde von den Architekten Batlle i Roig entworfen und im November 2018 als „Landscape of the Year“ mit dem Preis des World Architecture Festivals ausgezeichnet. Die Landschaft, durch die der Fußweg verläuft, ist geprägt vom einstigen Gipsabbau und der späteren Nutzung als Müllumschlagstelle. Abfließendes Regenwasser und Erdrutsche sorgten für weitere Schäden. Die Regenerierung der Landschaft und der Erhalt von Biodiversität waren daher zwei der wichtigsten Entwurfskriterien. Durch einen behutsamen und nachhaltigen Umgang mit dem Regenwasser sollen die ökologischen Verhältnisse schrittweise verbessert werden und dem Ort eine neue Dynamik geben.

60 Kilometer von Barcelona entfernt, schlängelt sich der neue Fußweg die Höhen entlang, die die Stadt Igualada umgeben.

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NATUR UND LANDSCHAFT ALS HAUPTPROTAGONISTEN

WEGBELEUCHTUNG DURCH LUMINESZIERENDES GESTEIN

Ein weiterer Aspekt war die Erschließung und Vernetzung des Ortes auf städtischer Ebene. Doch was auf den ersten Blick als ein schlichter Weg erscheint, ist gleichzeitig Aufenthaltsort und Aussichtspunkt – ein 800 Meter langer Balkon mit Blick über die Stadt. Der Fußweg schlängelt sich um Bäume und Landschaftselemente immer weiter nach oben, wird mal breiter und mal schmäler. An bestimmten Punkten ändert er abrupt die Richtung, schneidet sich in die Landschaft und nimmt Bezug auf die dramatischen Einschnitte der Felswände, die der Gipsabbau hinterlassen hat. Dennoch spürt man, dass die Architekten sich zurückgehalten haben: Die Materialien und Farben fügen sich nahtlos in die Umgebung ein. Natur und Landschaft bleiben stets die Hauptprotagonisten. Batlle i Roig betonen, dass sie durch minimalistische und punktuelle Eingriffe in die Landschaft deren Besonderheiten hervorheben und eine grund legende Verwandlung des Ortes erzielen wollten.

Der Weg teilt sich in drei parallel laufende Streifen. Die Gestaltung passt sich an die jeweilige Topografie, die örtlichen Besonderheiten und spezifischen Anforderungen an. Der zentrale etwa drei Meter breite Streifen besteht aus einer wassergebundenen Wegedecke aus Granit-Sand. Der äußere Rand – ein 1,2 Meter breiter Betonstreifen – bildet den Balkon mit Blick über die Stadt und ist zudem barrierefrei. Die beigen Farbschattierungen der Beläge variieren nur leicht, doch wo die Bäume ihren Schatten auf den Weg werfen, funkeln die groben Körner im Beton auf: Das Material wurde mit einer lumineszierenden Gesteinskörnung (etwa 0,5 Kilogramm/Quadratmeter) versehen, die tagsüber Sonnenenergie speichert und nachts wieder abstrahlt. Eine Beleuchtung des Weges war aufgrund der fehlenden Stromversorgung in dem abgelegenen Gebiet nicht realisierbar. Mit dem lumineszierenden Beton fanden die Architekten eine Lösung, um auch nach Sonnenuntergang eine gewisse Visibilität zu erhalten.

Die Architekten setzen entlang des Weges immer wieder das Betonfertigteil Modell SB in verschiedener Weise ein – es dient unter anderem als Sitzbank und Überlaufrinne.


TEXTUR CAMÍ DE LES GUIXERES, IGUALADA

BETONFERTIGTEILE ALS SITZELEMENTE

Ein Naturgraben begleitet den Weg an seinem inneren Rand. Er dient dazu, das von der Bergseite ablaufende Regenwasser aufzufangen. Gleichzeitig fungiert er als Pufferzone für kleinere Erdrutsche. Mit dem vor Ort vorgefundenen Felsgestein wurde eine Reihe kleinerer Dämme gebaut, die das Regenwasser filtern und in Bereiche umleiten, die mit Pflanzen neu besiedelt werden. Nur ein schmaler Wiesenstreifen wurde angesät. Von dort soll sich die Vegetation weiter verbreiten und die Landschaft regenerieren. Ein weiteres Gestaltungselement ist das Betonfertigteil Modelo SB des Herstellers Arumí, das in verschiedener Weise eingesetzt wird: als Wegeinfassung, die teilweise zu schweben scheint und sich in den platzartigen Ausweitungen des Weges zur linearen Sitzbank erhebt, und ebenso als Überlaufrinne für den Wasserabfluss bei Starkregen. Die zur Gestaltung des Camí de les Guixeres verwendeten Materialen veranschaulichen die Entwurfsphilosophie der Architekten. Doch die Auswahl ist teils auch der Kostenvorgabe geschuldet. Im Süden Europas

werden seit der Finanzkrise nach wie vor wenig öffentliche Mittel für Bauprojekte bereitgestellt. Laut Batlle i Roig dienten diese finanziellen Einschränkungen als Ansporn, um innovative Materialien und kreative Entwurfslösungen zu finden; aus der Not wird eine Tugend. Diese Denkweise spiegelt sich auch in der Materialwahl wider: innovative Materialien, der Einsatz lokaler Baustoffe wie Naturstein, das Recycling von Abbruchmaterial und die kreative Nutzung konventioneller Bauelemente.

Das absolute Highlight zeigt sich jedoch erst mit Einbruch der Dämmerung. Dann leuchtet der 1,2 Meter breite Betonstreifen dank seiner lumineszierenden Gesteinskörnung. Der im Übrigen gleichzeitig die Barrierefreiheit garantiert (siehe Bild links).

FAKTEN

Stadt Igualada ARCHITEKTEN Batlle i Roig Arquitectes WEITERE BETEILIGTE PLANER STATIC (Bauingenieure), Moix Serveis i Obres (Baufirma) FERTIGSTELLUNG 2018 FLÄCHE 5 600 Quadratmeter (800 Meter Länge) KOSTEN 310 000 Euro BAUHERR/AUF TRAGGEBER

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3 FRAGEN AN MARIO SÚÑER DÍAZ, PROJEKTLEITER BATLLE I ROIG Mario Súñer Díaz, Architekt und Vizedirektor der Abteilung Landschaftsarchitektur des Büros Batlle i Roig Arquitectura, ist der Projektleiter des Camí de les Guixeres in Igualada. Das Architekturbüro mit Sitz in Barcelona wurde 1981 von Enric Batlle und Joan Roig gegründet. Batlle i Roig Arquitectura zeichnen sich durch eine solide Geschäftsstruktur, ihren ganzheitlichen Ansatz und visionäres Engagement, die Vielseitigkeit ihrer Arbeiten und internationales Renommee im Bereich Städtebau, Architektur, Landschaftsarchitektur und Umweltplanung aus. Im Büro sind über 90 Mitarbeiter tätig, einschließlich der zwei neuen Büropartner Iván Sánchez and Albert Gil.

Herr Súñer Díaz, welche Kriterien gab es bei der Materialwahl?

Drei wesentliche Kriterien waren für uns entscheidend: Erstens wollten wir Baustoffe verwenden, die wir vor Ort fanden. Zum Bespiel die im Projektgebiet verstreuten Steine, die sich durch kleinere Steinschläge vom Fels gelöst hatten. Daraus haben wir kleine Dämme zur Regenwasserrückhaltung gebaut. Das Recycling von Abbruchmaterial war ein weiteres Kriterium. Asphaltgranulat, das durch den Abbruch verschiedener Straßen in der Umgebung anfiel, haben wir als Tragschicht für die Wege eingebaut. So konnten wir wesentliche Kosten einsparen und das Projekt ökologischer gestalten. Drittens wollten wir innovative und neue Materialien einsetzen wie den lumineszierenden Beton. Mit Blick auf die Baukosten konnten wir so optimal auf die Anforderungen des Projekts eingehen. Wie unterstützten die verwendeten Materialien das Gestaltungskonzept und die Entwurfsphilosophie des Büros im Allgemeinen?

Das Projekt vereint die Prinzipien, mit denen wir alle Projekte angehen. Dies beginnt mit der Suche nach den Qualitäten des Ortes. Unser Ziel ist es, die Besonderheiten jedes Ortes zu entdecken und zu würdigen und darauf aufbauend ein Konzept zu entwickeln, das diese Werte stärkt. Zudem haben wir durch die Wirtschaftskrise gelernt, dass man trotz fehlender finanzieller Mittel im großen Maßstab denken soll. Es bedarf einer größeren Anstrengung, um neue Bauweisen und einfallsreiche Lösungen zu finden. Manchmal muss man auch radikale Entscheidungen treffen – zum Beispiel darüber, was bei einem Projekt essenziell ist und was überflüssig.

Die Jury des World Architecture Festivals (WAF) lobte bei der Preisvergabe besonders die innovative Materialverwendung. Was stellt für Sie die Innovation des Projekts dar?

Innovation besteht für uns aus zwei Dingen: einerseits aus der Recherche und Entwicklung neuer Baulösungen und andererseits aus Ideenreichtum bei der Anwendung konventioneller Bauweisen. Der lumineszierende Beton ist ein Beispiel dieser Materialsuche. So konnte die fehlende Beleuchtung ausgeglichen werden. Auch die Betonfertigteile, die auf den ersten Blick zwar unscheinbar sind und sehr kostengünstig waren, erfüllen durch ihre flexible Anordnung sowohl als Wegeinfassung und Sitzbänke als auch als Überläufe der Retentionsflächen mehrere Funktionen.

Die Entwurfsphilosophie spiegelt sich in der Materialauswahl wider: innovative Gesteine, lokaler Naturstein, recyceltes Abbruch-

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material und der

Mehr Bilder zum Projekt finden Sie unter:

kreative Einsatz konventioneller Bauelemente.

garten-landschaft.de/igualada

DISTINCTIVE MATERIALS LOOKOUT POINT TO MONTSERRAT MOUNTAIN

RETENTION AND INFILTRATION ZONE

LUMINISCENT CONCRETE USED IN THE LINEAR LOOKOUT

PRECAST CONCRETE BENCH USED IN THE REST AREAS

STONES FROM ROCKFALLS TO BUILD THE RETAINING WALLS

PRECAST CONCRETE BENCH USED IN THE REST AREAS

GREEN DITCH (1,20 m)

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STORMWATER MANAGEMENT Runoff water is slowed down and retained enhancing its infiltration. Re-naturalyze the area and increase the biodiversity

PATH (2,40 – 3,00 m) GREEN RING CONTINUITY Consolidation of the path integrated in the surrounding landscape

LUMINISCENT CONCRETE STRIP (1,20 m) LANDSCAPE VIEWS Sights over Igualada city and creation of singular areas along the path, highlightning the existing valuable elements of the site.

Foto: Batlle i Roig Arquitectura

REST AREA (OCCASIONALLY)


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